Zwickauer Impressionen

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Zwickauer Impressionen
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Zwickauer Impressionen

Texte aus dem Förderstudio Literatur e.V.

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte bei den Autoren

ISBN 9783957444776

Fotos:

Titel: Monika Hähnel

S. 13, 29, 53, 87, 101, 107 Beate Schmalfuß S. 41, 71 HPA

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Monika Hähnel

Vorwort

Sieglinde Riedel

Ein Tor zu meiner Stadt

Eveline Hoffmann

Vertraute Klänge

Annerose Kolbe

An der Katharinenkirche

Hans Corduan

Am Denkmal von Robert S.

Heinrich Schulze

Der Obelisk

Monika Hähnel

Beim Engelmann

Monika Hähnel

Neubau-Blöcke

Helga Westphal

Trabant en miniature

Monika Hähnel

Schwimmen für Ästheten

Heidemarie Lonkowski

Wie im Himmel

Reiner Karg

Am Poetenweg

Eveline Hoffmann

Paradiesbrücke

Hans Corduan

An der Brücke

Andrea Riedel

Gedankenfluss

Eveline Hoffmann

Ein Zug – bis mitten in die Stadt

Heidi Bergmann

Am Marienbach

Eveline Hoffmann

Zwischen „Berg“ und „Tal“ – und von Zwickau in die Welt

Johanna Prokscha

Meine Schule

Georg Meusel

Bomben auf Planitz und die Kirchen meiner Kindheit

Heidi Bergmann

Eingebunden

Gundula Schubert

Rosenwiese 2014

Heidi Bergmann

Pflaumenbaumpfad

Monika Hähnel

Im Zwickauer Urwald

Johanna Prokscha

Das Ende der Marienthaler Pfirsiche

Brigitte Jähn

Verlorenes Idyll

Andrea Riedel

Ein Garten für die Sinne

Monika Hähnel

Wunschadresse

Gundula Schubert

Paradiesgarten 2020

Heidi Bergmann

Ostermorgen

Helga Westphal

Fremder, kommst du nach Z. . . .

Monika Hähnel
Vorwort

Aus der eigenen Inaugenscheinnahme, aber auch aus einer Stadtführung, einem beiläufig eingesteckten Flyer, aus Tagebuchnotizen, Erinnerungsbüchern bekannter Söhne und Töchter der Stadt, Gesprächen … aus vielem speist sich das Bild von einer Stadt. Das gilt auch für Zwickau und für die in der Stadt Lebenden oder sie Besuchenden. Manchmal rundet sich solches Bild und verbindet einen noch mehr mit dem Ort, manchmal fügen sich dem Mosaik verstörende Steine ein, immer aber ergänzt man es auch selbst durch Vertiefung oder Korrektur nach erneuter Begegnung.

Erzählt einem jemand von seiner Sicht auf die Stadt, macht einen auf besondere Orte aufmerksam und vermittelt, wie er zu Wissen über Details gekommen ist, so kann das die eigene Sicht bereichern. Besonders eindrucksvoll aber sind solche Fremdsichten, wenn zugleich deutlich wird, welche Empfindungen das bei den Erzählern ausgelöst hat, welche persönlichen Geschichten damit verbunden sind. So wollten auch die Mitglieder des Förderstudios Literatur e.V. Zwickau, die 2015 ihr 20jähriges Bestehen feiern, etwas von ihren besonderen Zwickau-Plätzen berichten und ihre Eindrücke, zum Teil auch Erinnerungen, weitergeben.

Entstanden ist eine kleine Sammlung neuer Texte.

1995 wurden schon einmal kürzere „Zwickauer Impressionen“ zusammengestellt. Einige Texte wurden damals Grundlage für filmische Sequenzen aus dem Videostudio, das wie das Förderstudio Literatur e.V. ebenfalls seinen Sitz in der Galerie am Domhof hat. In der jetzt entstandenen Sammlung – inzwischen gibt es auch neue Autoren in unseren Reihen – treten Fotografien hinzu, die auf ihre eigene Weise Stimmungen in der Stadt eingefangen haben.

 

Nun laden wir die Leser und Betrachter ein, sich anregen zu lassen, von den Entdeckungen, Erinnerungen und Impressionen der Autoren des Förderstudios Literatur, anregen zu erneuter Erkundung Zwickaus!

Sieglinde Riedel
Ein Tor zu meiner Stadt

Abseits der Stadt ist der Ort, wo sich Wiedersehen und Abschied tangieren, wo sich Freude und Traurigkeit ihr Stelldichein geben. Der Bahnhof ist das Eingangstor zu meiner Stadt und sollte die Ankommenden freundlich empfangen.

Ich schaute zurück auf den Vorplatz, der sich halbkreisförmig vor mir breitete. Da ich noch Zeit hatte, wartete ich vor dem überdachten Eingang des attraktiven Bahnhofsgebäudes, einem Kuppelbau im klaren Bauhausstil aus Klinker Glasziegeln. Dabei beobachtete ich, wie eine ältere Frau mit ihrem Rollenkoffer nach Verlassen der Straßenbahn Slalom um aufgeplatzten Asphalt und Pfützen lief. Der Winter nahm gerade seinen Abschied und Reste von Altschnee und Streusand bedeckten den Boden. Ihr Koffer holperte über die mit Kopfstein gepflasterten Fahrbahnen der Busse. Die letzte Hürde war der verblasste, wellige Zebrastreifen, den sie passieren musste, um den Eingang zu erreichen.

Dieser Vorplatz ist wahrlich kein freundlicher Empfang für Fremde, dachte ich. Das hat die Schumannstadt nicht nötig! Wie lange sollte dieses triste Bild noch bleiben? Ich erinnerte mich, dass vor längerer Zeit in der Zeitung eine Skizze des Bahnhofsvorplatzes mit direkt vor den Eingang verlegten Straßenbahnschienen und anschließenden Grünflächen vorgestellt wurde. Ich versuchte, bei den Stadtvätern Näheres über Baubeginn und Abschluss zu erfahren. Leider musste ich mich mit der unbefriedigenden Antwort zufrieden geben, dass am Projekt gearbeitet würde.

Es war Vormittag, ein Gruppe rauchender Taxifahrer wartete gelangweilt auf Fahrgäste. Eilig kam ein junger Mann mit Aktenkoffer aus der Bahnhofshalle. Er ging auf einen der Taxifahrer zu. Dieser wies ihn an den ersten in der Reihe der wartenden Autos.

Ich ging in die Bahnhofshalle und traf dort auf die Frau mit dem Rollenkoffer. Ihr Blick richtete sich auf die gegenüber dem Eingang hoch angebrachte elektronische Anzeigetafel, die für den Zug nach Dresden Verspätung meldete. Ich kannte das Problem. Besonders im Winter, wenn aus fünf Minuten zwanzig und mehr wurden. Die Sachsen-Franken-Magistrale ist ein gutes Angebot der Deutschen Bahn. Sie verbindet Dresden und Nürnberg täglich einige Male. Ich erinnerte mich, dass in den neunziger Jahren die Strecke von Görlitz bis Oberstdorf führte. Das war ein bequemes Reisen ohne Umsteigen in den Süden Deutschlands.

Die Frau sprach mich an: „Wollen Sie auch nach Dresden?“ – „Nein, heute nicht. Ich fahre aber oft diese Strecke.“ – „Ich muss zum Flughafen, hoffentlich erreiche ich den Anschluss in Dresden Hauptbahnhof.“ – „Die S-Bahnen zum Flughafen fahren öfter“, beruhigte ich sie. Unter der Tafel ist ein Informationstresen, dahinter der einst attraktive Blickfang der Halle, eine breite Freitreppe. In dem jetzt dort eingebauten Fahrstuhl, der die Treppe unbarmherzig teilt, verschwand die Frau. Geblieben sind zwei große auf Säulen platzierte Figuren, ein Bergarbeiter rechts und ein Metallarbeiter links, welche zu mahnen scheinen: „Verstümmelt diese Bahnhofshalle nicht noch mehr!“ Mit den hohen bis an die Decke reichenden Fenstern ähnelt sie einem sakralen Raum. Von den dunklen Deckenbalken hängen symmetrisch angeordnete weiße Laternenlampen herunter, welche die Höhe optisch reduzieren.

„Erhaltet die braun geflammten quer gefliesten Wände und die noch vorhandenen Fahrkartenschalter!“ Ja, sie haben recht, die beiden Gesellen, aber ohne Fahrstuhl müsste die Frau ihren schweren Koffer in die untere Ebene und wieder nach oben zu den Bahnsteigen schleppen. Zweckmäßigkeit und Architektur lassen sich offenbar nicht immer in Einklang bringen.

Ich stellte meine Tasche auf eine der ovalen Marmorplatten, welche die gefliesten Säulen vor den ehemaligen Schaltern abschließen. Die Fenster sind mit Lamellenvorhängen zugezogen. Sie erinnerten mich an die vor Jahren hier tätigen Bahnangestellten an den großen ratternden Maschinen, welche ein drei mal fünf Zentimeter großes Stück bedruckte Pappe hervorbrachten; mit dem ich für sechs Mark in der 2.Klasse im Schnellzug von Zwickau nach Leipzig fahren konnte.

Zwei Schalter weiter hatte sich ein junges Mädchen auf einem Sims hingesetzt und die schmutzigen Turnschuhe auf die Marmorplatte hochgelegt, wobei sie flink die Tasten ihres Handys drückte. Es waren nicht viele Leute in der großen Halle. Der Bahnhof war in den dreißiger Jahren für mehr Fahrgäste erbaut worden. Wer hätte damals gedacht, dass jetzt die meisten Pendler mit ihren eigenen Autos zur Arbeit fahren? Mein Blick fiel wieder auf die Anzeigetafel: VGB nach Sokolov, 10 Uhr 11. Die Vogtlandbahn war pünktlich. Ich schlenderte zum Zeitungsladen, der jetzt „Press P & B Books“ heißt. Ein kleines Mädchen zerrte eine Frau mittleren Alters zu der Pixi – Jungenfigur hin, die vor der Eingangstür auf einer Schale die bunten kleinen Bücher anbietet. Natürlich hatte das Kind bei seiner Oma Erfolg. Mit zwei Büchlein in der Hand ging es strahlend zur Kasse. Die Oma bezahlte. Beim Hinausgehen fiel mein Blick auf eine Metalltafel im Inneren des Geschäftes neben der Wand.

Erbauer

Reichsbahnoberrat Otto Falck

geb. 1871 in Zwickau

Ich bezweifelte, dass das ein angemessener Platz für eine Erinnerungstafel ist. Die Tafel steht in keinerlei Zusammenhang mit den darunter liegenden Tageszeitungen und Magazinen. In der anderen Ecke gegenüber dem Zeitungsladen leuchtet in Intervallen ein roter Punkt, der Punkt über dem „i“ des Wortes Point, auf. Darunter steht über der Eingangstür „Supermarkt“. Hier kann man noch eine Bockwurst für 1,20 Euro kaufen. Die zwei Tische mit Stühlen und den Stehtisch nutzen nicht nur Reisende, um bei einem Imbiss die Zeit zu verkürzen, sondern auch diejenigen, welche in gleichgesinnter Gesellschaft in einem trockenen warmen Raum ein billiges Bier trinken wollen.

Daneben steht der Fahrkartenautomat, an dem eine Frau vergebens Tasten drückte, um zu einer Fahrkarte zu kommen. „Wenn ich die Karte im Reisezentrum kaufe, kostet sie 2 Euro mehr. Es ist so schon teuer genug“, sprach sie mich hilfesuchend an. Es wurde knapp für mich, denn der Zeiger hatte die Zehn überschritten. In diesem Augenblick kam ein sportlich gekleidetes Mädchen mit Rucksack angerannt. Sie schaffte es in Windeseile, dem Automaten für sich und die alte Frau die gewünschten Karten zu entnehmen. Dann eilte sie die Treppen hinunter und verschwand in der unteren Ebene des Bahnhofes.

Ich folgte etwas langsamer und bemerkte, dass sich hinter mir eine Gruppe Leute in Wanderkleidung bewegte. Sicher wollten sie auch mit der Vogtlandbahn fahren. Seit 1994 fährt diese Bahn in die südliche Region von Zwickau und inzwischen sogar bis nach Oberfranken und in das benachbarte Tschechien. So unkompliziert ins Nachbarland reisen zu können, war vor Jahren nicht möglich. Dafür konnte man mit dem „Sachsenringexpress“ direkt nach Ostberlin fahren. Jetzt sind Leipzig und Halle den Zwickauern wieder näher gerückt, denn im Stundentakt bringt die S-Bahn die Zwickauer in die Messestadt und zum Flughafen.

Bei allen Veränderungen ist die Bahnhofsatmosphäre durch die auf Autobahnen nicht zu ersetzen. Es rührt mich jedes Mal an, wenn nach Ankommen eines Zuges Menschen die Treppen hinaufströmen und dann Verwandte oder Freunde erwartungsvoll Ausschau halten, vielleicht ein älteres Ehepaar die Tochter mit Enkelkindern begrüßt, ein junger Mann seine Freundin küsst oder eine alte Frau von ihrer Schwester umarmt wird. Diese Szenen kann man nur auf einem Bahnhof erleben.

Für mich ist Bahnreisen selbstverständlich und interessant, obwohl ich da manchmal auf verwunderte Blicke stoße, wenn ich das begeisterten Autofahrern erzähle. Ob ich zum Verwandtenbesuch nach Dresden, ins Theater nach Chemnitz, nach Thüringen oder mit der Erzgebirgsbahn zum Wandern fahre, jedes Mal freue ich mich auf die Rückkehr zum „Tor“ zu meiner Stadt!

Eveline Hoffmann

Vertraute Klänge

Auch an der Ecke

zwischen Rosengässchen und Hauptstraße

hört man Straßenmusikanten

Akkordeon spielen.

Paris ist gar nicht so weit.

Annerose Kolbe
An der Katharinenkirche

Für mich ist die Katharinenkirche die schönste Kirche in Zwickau. Sie wurde Anfang des 13. Jahrhunderts errichtet und soll sogar noch älter als der ehrwürdige Mariendom sein.

Wenn ich aus Richtung der Paradiesbrücke komme, vor dem historischen Dünnebierhaus stehe und die schnurgerade Katharinenstraße entlang zur Kirche blicke, scheint allerdings hier gar nichts zusammenzupassen. Will ich die Kirche betrachten, wirkt der Supermarkt selbst aus der Ferne übergroß, da stören sogar die unschuldigen Wohnungsneubauten rechts. Aber ich werde magisch angezogen von dem Kontrast, den die neueren, hellen Gebäude mit der dunkel wirkenden Kirche bilden. Wenn ich näher komme, beherrscht sie immer mehr das Bild. Und plötzlich passt alles. Ich habe die Alte Posthalterei zur Linken und das Schloss Osterstein im Hintergrund.

Nun kann ich endlich herantreten und die alten Mauersteine berühren. Es ist schön zu wissen, dass die Kirche schon so alt und immer noch vorhanden ist. Wie sie wohl ursprünglich ausgesehen haben mag? Die Mulde ist nur 250 Meter entfernt, es gab wiederholt Überschwemmungsschäden und auch von Stadtbränden blieb die Kirche nicht verschont. So wurde repariert, umgebaut und modernisiert, dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend. Einstmals als romanische Kirche gebaut, gilt sie heute als spätgotisch. Auf jeden Fall gehört sie zu den ältesten Gebäuden Zwickaus und ist Zeuge der wechselvollen Geschichte der Stadt.

Ich schließe die Augen und versuche, mich ein wenig in vergangene Zeiten zurückzuversetzen. Gar nicht so einfach. Um mich herum brummt der nachmittägliche Verkehr. Gespräche sind keine zu hören, die Leute sitzen in ihren Autos und brausen vorbei. Eine laute Hupe dröhnt. Ich nehme erschrocken die Hand von den Steinen und öffne die Augen. Nein, ich bin nicht gemeint.

Ich gehe ein paar Schritte weiter nach hinten, bemüht, mir die Geräusche von damals vorzustellen. Das kennt man ja aus alten Filmen: Pferdegetrappel, das Holpern von Wagen, lautes Rufen. Aber vielleicht war es auch ganz ruhig hier. Es existieren alte Stiche, da sind nahe bei der Katharinenkirche Häuser und Gärten zu sehen und die Gegend hatte sehr ländlichen Charakter. Da hatte Zwickau noch nicht so viele Einwohner. 1530 waren es beispielsweise 7700 Menschen, die hier lebten. Da kann es wohl sein, dass die meisten sich untereinander recht gut kannten. Und so werden sich Neuigkeiten ganz schnell herumgesprochen haben, ausgetauscht vielleicht beim sonntäglichen Kirchgang.

Inzwischen bin ich beim Thomas-Müntzer-Denkmal angekommen. Die Figur hier wurde 1989 anlässlich seines 500. Geburtstages aufgestellt und hat mir schon immer gefallen. Überhaupt mochte ich früher Thomas Müntzer viel lieber als Martin Luther. Aber das kann am Geschichtsunterricht in der DDR gelegen haben. Jedenfalls sind sie beide zur damaligen Zeit in Zwickau gewesen. Ob sich die beiden über die weitreichenden Folgen ihres Tuns klar gewesen sind? Sicher nicht. Denn wer ist das schon?

Thomas Müntzer kam 1520 für ein halbes Jahr in die Marien- und danach in die Katharinenkirche. Es war ein kurzes, aber heftiges Gastspiel und wenn ich diese Skulptur hier so ansehe, ein sanfter Prediger war er bestimmt nicht. Er geriet mit den Stadtherren in Konflikte, da er Umgang mit den sogenannten Zwickauer Propheten und ihren urchristlichen Überzeugungen hatte. Er predigte vor den einfachen Leuten und es wird bestimmt sehr aufregend und so gar nicht andächtig gewesen sein. 1521 mußte Müntzer die Stadt wieder verlassen. Er hat gewiss nicht von vornherein gewaltsame Auseinandersetzungen, wie sie vom Bauernkrieg bis zu den Refomationskriegen auftraten, gewollt.

Beim Stichwort „Krieg“ muss ich plötzlich an Tschingis Aitmatow denken. War es 1992 oder 1993? Er war hier in der Kirche zu einer Buchlesung. Der Andrang war groß, die Kirche voller Menschen. In der DDR hatten viele Leser immer schon auf jeden neuen Roman von ihm gewartet, wohl auch in der Hoffnung, Antworten auf die Fragen der Zeit zu erhalten. Ich kaufte damals den kleinen Erzählband „Aug`in Auge“ und ließ ihn mir von ihm signieren. Daran erinnere ich mich noch sehr gut, ebenso an das ernste und würdevolle Auftreten des kirgisischen Schriftstellers, an andere Einzelheiten leider nicht mehr.

 

Aitmatow hat bis zu seinem Tod 2008 nicht mehr viel veröffentlicht, wohl auch, weil er seit 1990 sowjetischer Botschafter in Luxemburg, ab 1995 bis zu seinem Tod Botschafter für Kirgisien in Brüssel war. Man könnte an der Kirche eine Gedenktafel für ihn anbringen. Aber würde man jede Persönlichkeit, die hier war, so ehren, würde ich wohl vor lauter Tafeln das schöne Bauwerk nicht mehr erkennen. Und so verweile ich noch einen Moment in Gedanken und ohne Gedenktafel hier. Aber ich nehme mir vor, Aitmatows letzten Roman „Der Schneeleopard“ doch bald einmal zu lesen.

Wie schnell doch die Zeit vergeht. Ich gehe ein paar Schritte und die katholische Kirche St. Nepomuk kommt in mein Blickfeld. Sie steht ziemlich im Schatten der Katharinenkirche. Wenn man von hinten, also aus Richtung Mulde auf die beiden Kirchen schaut, gibt das ein sehr schönes Bild. So verschieden sie sind, bilden sie doch ein interessantes Ensemble. Hier war ich das letzte Mal zur Schloßweihnacht. Das war sehr romantisch und das übliche Weihnachtsgedudel, was mich immer so abschreckt, erklang nur auf der anderen Schlossseite.

Nun bin ich einmal um die Kirche herumgegangen und mein letzter Blick fällt noch auf den zweiten Supermarkt. Warum musste der ausgerechnet hierher? Irgendwie passt auch er nicht in diese historische Umgebung. Das wird mir besonders jetzt bewusst, nachdem das Kornhaus mit seinen hohen Giebeln endlich so schön saniert wurde. Aber was würde denn hierher überhaupt passen? Eine Moschee? Früher war auch noch ein jüdischer Gebetssaal hier in der Nähe. Und so wären verschiedene Religionen an einem Ort versammelt, denn Gott ist ja wohl doch immer ein und derselbe.

Aber was das wohl wieder für Konsequenzen hätte? Gut, dass ich nicht im Stadtrat sitze und über so komplizierte Dinge entscheiden muss …

Ein Blick auf die Uhr reißt mich aus meinen Betrachtungen. Ich muss jetzt wirklich gehen. Bedauernd drehe ich mich noch einmal zur Kirche um und schaue auf das schöne elegante Türmchen seitlich vom Eingang. Noch ganz in Gedanken lenke ich meine Schritte in Richtung Supermarkt. Jetzt bin ich doch ein bisschen froh, dass er gleich in der Nähe ist. Schließlich leben Menschen hier und müssen einkaufen.

Nach dem Einkauf steige ich ins Auto und schaue beim Fahren noch einmal nach der Katharinenkirche. Bald komme ich wieder, denke ich zum Abschied.

Verzweifelt hupt es aus dem Auto hinter mir. Nun bin ich anscheinend wieder viel zu langsam für den eiligen Zwickauer Straßenverkehr.

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