Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813

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Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813
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Carl Bertuch (1777–1815)

Wanderung nach dem

Schlachtfelde von Leipzig

im October 1813

Ein Augenzeugenbericht zur Völkerschlacht

von Carl Bertuch


Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen

von Siegfried Seifert und Peter Seifert


Schriftenreihe des Freundeskreises des Goethe-Nationalmuseums e.V. – Band 5

Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung

des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86729-116-3 (Print)

ISBN 978-3-86729-511-6 (EPUB)

ISBN 978-3-86729-512-3 (PDF)

© Sax-Verlag, Beucha • Markkleeberg 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.sax-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Inhalt

Erste Abtheilung

Wanderung nach Leipzig und über das Schlachtfeld


Erster Brief.Abreise von W[eimar]. Naumburg. Zeitz
Zweiter Brief.Fahrt von Zeitz nach Pegau. Das große Lager daselbst. Fortsetzung der Reise bis Leipzig. Schilderung der nächsten Umgebungen
Dritter Brief.Wanderung über das Schlachtfeld. Uebergang der Sachsen. Einzug der siegreichen Monarchen
Vierter Brief.Betrachtungen über die gegenwärtige Zeit
Fünfter Brief.Die Monarchen verlassen Leipzig. Vermischte Bemerkungen

Zweite Abtheilung

Die Schlacht von Leipzig

Aus zuverlässigen Quellen geschildert, und durch zwei Pläne und mehrere Beilagen erläutert

Beilagen


Erste Beilage.Bestand der alliirten Haupt-Armee, unter dem Befehle des Feldmarschalls Fürsten von Schwarzenberg
Zweite Beilage.Uebersicht der Armee-Corps der Französischen Armee an den Tagen der Schlacht von Leipzig. – Bestand des Corps unter dem Marschall Augereau, Herzog von Castiglione
Dritte Beilage.Antheil des Königlich-Preußischen IIten Armee-Corps unter dem General-Lieutenant von Kleist an der Schlacht von Leipzig vom 16ten – 19ten October 1813
Vierte Beilage.Einige Nachrichten über den Antheil der Armee von Polen, oder der Russischen Armee-Abtheilung unter dem General der Cavallerie, Freiherrn von Bennigsen, an der Schlacht von Leipzig
Fünfte Beilage.Ungefähre Berechnung der Gesammtkräfte der beiderseitigen Armeen
Sechste Beilage.Uebersicht der Armee-Abtheilung unter dem General der Cavallerie, Grafen von Wittgenstein


Anhang

Die Kapelle der Eintracht auf dem Schlachtfelde von Leipzig. Ein Versuch

Französische militärische Fachausdrücke

Nachwort. Von Siegfried Seifert und Peter Seifert

Vorbericht des Verfassers


Der Verfasser dieser kleinen Schrift kam unmittelbar nach der glorreichen Schlacht von Leipzig dahin, und hatte Gelegenheit, über dieses große Ereigniß an Ort und Stelle, durch die Bekanntschaft mit mehreren Generalstabs-Officieren der alliirten Armeen, viele, bisher noch nicht bekannte, Bemerkungen und Beiträge zu sammeln.

Diese übergiebt er hiermit anspruchslos seinen Zeitgenossen; sie sollen nichts seyn, als ein bloßer Beitrag zur künftigen ausführlichen Geschichte der Schlacht von Leipzig.

Was wir mit einem Gesammtnamen: die Schlacht von Leipzig, benennen, besteht eigentlich aus dem viertägigen Völkerkampfe vom 16ten bis 19ten October 1813, wo nach und nach fünf Armeen auf dem Wahlplatze erschienen, und wo endlich die gerechte Sache der Menschheit gegen verhaßte Tyrannie siegte. Durch das allmähliche Ineinandergreifen dieser Anfangs von verschiedenen Punkten sich nähernden fünf großen Heeresmassen, ist eine, allen mitkämpfenden Theilen genugthuende, Beschreibung dieser Schlacht eine schwere Aufgabe, deren Auflösung nach gänzlicher Waffenruhe den ausgezeichneten Köpfen des Generalstabs der vereinigten Armeen vorbehalten bleibt.

Gegenwärtige kleine Schrift, nur ein Beitrag zum Ganzen also, zerfällt in zwei Abtheilungen. In der Ersten: Wanderung nach Leipzig und über das Schlachtfeld, giebt der Verfasser die an Ort und Stelle niedergeschriebenen Bemerkungen in Briefen an einen Freund, die bloß dadurch nicht überflüssig erscheinen mögen, daß sie gleichzeitig mit möglichster Umsicht aufgefaßt, einige Localtöne dieses großen, zwar schauderhaften, aber für uns Deutsche doch so herrlichen Gemäldes wiederzugeben bemüht sind.

Alle Nachrichten und Beiträge, die der Verfasser aus officiellen Quellen und von kenntnißreichen Officiers, die der Schlacht beiwohnten, erhalten konnte, hat er nebst Benutzung der bis jetzt erschienenen Bulletins in der 2ten Abtheilung: Die Schlacht von Leipzig überschrieben, nach der Folge der Schlachttage aneinander gereiht, und die erläuternden Belege dazu in den angehängten sechs Beilagen geliefert.

Die eigenthümlichen, bisher noch nicht bekannten, Nachrichten, die in dieser 2ten Abtheilung enthalten sind, beschränken sich auf die Alliirte Haupt-Armee, unter dem Commando des Feldmarschalls Fürsten von Schwarzenberg, so wie auf die Armee von Polen, unter dem General Freiherrn von Bennigsen. Von der Schlesischen, so wie von der Nord-Armee gelang es dem Verfasser nicht, specielle Nachrichten einzuziehen, weswegen er bei diesen Armeen bloß die über ihre Operationen erschienenen officiellen Bulletins benutzen konnte.

 

Was den Schlacht-Plan betrifft, so wurde derselbe nach den vorhandenen besten Charten entworfen, und in Hinsicht des Terrains nach dem flüchtigen Entwurfe, von einem Generalstabs-Officier gütigst mitgetheilt, ergänzt. Der Verfasser bestrebte sich vorzüglichvorzüglich, so weit es die Kleinheit des Maßstabs erlaubte, die Operationen der alliirten Haupt-Armee, über deren Bewegungen er die meisten, bisher noch unbekannten Mittheilungen erhielt, darauf zu verzeichnen. Die Stellungen der Schlesischen, so wie der Nord-Armee sind nur im Allgemeinen angedeutet, da zu genauerer Bezeichnung noch speciellere Angaben erforderlich sind, als die in den beiden oberwähnten Bulletins enthaltenen. Deswegen begreift das Chärtchen auch nach Norden zu einen kleinern Raum als nach Süden.

Der Plan Taf. I. giebt diesemnach die Schlacht am 16ten October, so wie durch zwei allgemeine Linien ausgedrückt, die Stellung der Alliirten Haupt-Armee, so wie der Französischen am 17ten, wo auf dieser Seite Waffenruhe Statt fand.

Der Plan Taf. II. enthält die Schlacht am 18ten October, so wie die Stellungen am 19ten Morgens. — Zur Vergleichung sind die Positionen des 16ten auf dem zweiten Plan mit zwei Farben blaß colorirt, nämlich die Alliirten Stellungen violet, die französischen braun.

Der Verfasser glaubte diese etwas weitläufige Rechenschaft über seine Arbeit geben zu müssen, damit sie nach den verschiedenen Abtheilungen aus dem rechten Gesichtspunkte beurtheilt werden möge.

Noch muß derselbe die Titelvignette erläutern, auf welcher er die Idee zu einer Gedächtniß-Medaille auf die Schlacht von Leipzig aufzustellen wagt. Er dachte sich als Vorderseite: die vereinte Macht der vier verbündeten Monarchen (vier zusammengelegte Ritterhände) sprengt durch ihre geschleuderten Blitze die, Deutschland schmachvoll fesselnde, Kette. Die Unterschrift giebt die Erläuterung:

VINCULIS RUPTIS GERMANIA LIBERATA,

GALLIS LIPSIAE PROFLIGATIS.

(Nach gesprengten Fesseln wurde Deutschland frei, durch die Niederlage der Franzosen bei Leipzig.)

Auf der Kehrseite erblickt man den Genius der Humanität. Er hat in den Hainen von Leipzig an einer deutschen Eiche ein ehernes Schild aufgehängt, welches er kniend hält, und auf welches Klio die gefeierten Namen: Alexander, Franz, Friedrich Wilhelm und Carl Johann, als Weihe der dankbaren Mit- und Nachwelt gräbt.

Die Umschrift giebt das in Wien erschienene passende Chronodistichon 1813:

VICIT CONCCORDIA REGUM.

(Es siegte die Eintracht der Herrscher.)

Der untere Abschnitt enthält die Zeitbestimmung

XVI — XIX OCTBR. MDCCCXIII.

Großes hat die Eintracht der Herrscher bewirkt. Gott erhalte Sie, und segne Ihre fernern Schritte zum Wohl der Menschheit. Dieses wird mit mir jeder Deutsche an diesem Ersten Morgen eines mit den schönsten Hoffnungen beginnenden Jahres ausrufen !

W[eimar] den 1sten Januar 1814

Wanderung

nach

Leipzig und über das Schlachtfeld


Erster Brief

Zeitz, den 19ten October 1813

Ich schreibe hier aus dem Gasthofe zur Traube, wo wir diesen Abend in der Dunkelheit ankamen, Alles im kriegerischen Gewühl fanden, und von dem Wirthe als eine fremde Erscheinung angestaunt wurden, da wir seit sechs Wochen, wie er versicherte, die ersten friedlichen Reisenden waren, die bei ihm Logis nahmen.

Mancherlei Scenen wechselten am heutigen Tage, sie sind vielleicht Vorboten von noch wichtigeren, denen wir Morgen entgegen gehen.

Sie wissen, daß wir gestern in W[eimar] durch sichere Hand die Nachricht erhielten, daß Leipzig schon am 16ten mit Sturm von den siegreichen Alliirten genommen, und die französische Armee sich fliehend nach Magdeburg gewendet habe. Dieses bestimmte uns zur Abreise nach Leipzig. Wir verließen gestern Abend W[eimar] gegen Mitternacht. Die Nacht war schön, die Pferde gut, der Postillon rasch, unsere Phantasie mit dem stolzen Gefühl erfüllt, daß wir nicht mehr Rheinbündner, sondern wieder Deutsche geworden, so vereinte sich Alles, um uns schnell nach Eckartsberge zu bringen, wo das muntere Posthorn die vom Mondenlicht schauerlich beleuchtete alte Ruine frohlockend begrüßte.

In Eckartsberge schon fanden sich aber Schwierigkeiten. Der Postmeister erklärte: die Kösener Brücke sey von den Oesterreichischen Vorposten stark besetzt, und selbst des Nachts gesperrt, so daß Niemand dann passiren könne. Wir mußten daher bis zum Tages Anbruche warten, wo es weiter gieng; doch weder auf der Kösener Höhe, (dieser oft nicht genug beachtete Schlüssel der Saalposition,) noch im Thale an der Brücke, trafen wir Truppen. Diese hatten sich schon am vorigen Abend auf ihr Haupt-Corps nach Naumburg zurückgezogen. In Naumburg lebte Alles in der größten Spannung. Die früher erhaltene Nachricht, daß Leipzig schon am 16ten von den Alliirten genommen worden, bestätigte sich nicht. Im Gegentheil hörten wir bis Mittags gegen 1 Uhr eine heftige Kanonade gegen Leipzig hin. Es waren gestern Abend Meldungen eingegangen, daß sich ein retirirendes französisches Corps von Leipzig nach Weißenfels zöge, und einzelne Versprengte waren schon vorwärts erblickt worden. Deswegen hatte der Commendant von Naumburg, Major Graf Gatterburg, die bis Schulpforte und Kösen vorpoussirten Oesterreichischen Detachements an sich gezogen, und marschirte mit seiner Besatzung, welche aus fünf Compagnien Erzherzog Ludwig Infanterie und etwas Cavallerie, beides von der Division Murray des Giulayschen Corps, (welche Division die Saal-Gegend bei Naumburg und Weißenfels beobachtete,) bestand, sogleich vorwärts zu einer Recognoscirung gegen Weißenfels.

Noch war er nicht zurück, als wir diesen Morgen mit einer großen Volksmenge in Naumburg vor dem Thore nach Weißenfels an der Chaussee standen. Die Gefechte schienen sich zu nähern, denn vor unsern Augen wurden auf der ersten Anhöhe zehn bis zwölf versprengte Franzosen von den Kosaken und Oesterreichischen Dragonern gefangen genommen. Alles harrte mit banger Erwartung auf den Ausgang. Eine heransprengende Ordonnanz kündigte an, die Oesterreicher hätten die Franzosen zurückgedrängt, Graf Gatterburg werde mit den Truppen sogleich zurückkehren. Dieses geschah auch, er kam an der Spitze von leichter Infanterie, und wurde von den biedern Naumburgern, welche in den Oesterreichern, so wie in den Alliirten die längst ersehnten Befreier vom fremden Joche, welches eisern wie auf ganz Deutschland, so ganz vorzüglich auch auf Sachsen gelastet hatte, erblickten, jubelnd empfangen. Graf Gatterburg hatte durch zweckmäßig-genommene Stellungen das weitere Vordringen der Franzosen verhindert, und ihnen glaubend gemacht, daß ein starkes Corps entgegenstünde. Beruhigt kehrten jetzt Alle zur Stadt zurück. Bald darauf zog eine Abtheilung Preußischer Jäger und Kosaken ein. An ihrer Spitze ritt, mit zahlreichem Gefolge, ein Kosakenchef; sein Gepäcke trug ein Kameel, mit bunten Teppichen behangen, und Glöckchen verziert; das Ganze bildete eine malerisch-morgenländische Gruppe.

Entschlossen unsern Weg nach Leipzig fortzusetzen, wählten wir, da Weißenfels noch von den Franzosen besetzt war, nach dem Rathe des Postmeisters, den Weg nach Zeitz. Die Chaussee dahin geht bekanntlich eine Stunde von Naumburg bei dem Dorfe Wethau von der nach Weißenfels führenden Straße Rechts ab. Bis dahin trafen wir noch einzelne Truppen-Abtheilungen der Alliirten, welche noch mehrere Gefangene einbrachten.

Von Wethau bis Zeitz war die Straße vollkommen ruhig. Auf diesem Terrain hatten schon am 10ten October heftige Gefechte Statt. Der Feld-M. Lieut. Fürst Moritz Lichtenstein, welcher mit der ersten leichten Division sich mit dem Streif-Corps des Gen. Lieut. von Thielemann vereinigt hatte, sollte den Marsch des Marschalls Augereau, welcher mit 10,000 Mann Infanterie, und 3000 (aus Spanien kommende) alter Eliten-Cavallerie aus Zwickau durch das Saalthal zur französischen Haupt-Armee eilte, beobachten und möglichst aufhalten. Fürst Lichtenstein ließ deswegen in der Nacht vom 9ten das schon vom Feinde besetzte Dorf Wethau durch das 7te Jäger-Bataillon unter dem Oberst Veyder nehmen, und hielt dadurch den am 10ten mit seinem ganzen Corps von Naumburg in Schlachtordnung anrückenden Marschall Augereau bedeutend auf. Als aber die zahlreiche Cavallerie des Feindes die linke Flanke des Fürsten Lichtenstein umgieng, so zog sich dieser in bester Ordnung zurück, zuerst bis Stößen, dann bis Pretsch. Da entstanden mörderische Cavallerie-Gefechte, wo von beiden Seiten ruhmvoll gekämpft wurde, aber der Verlust auch ansehnlich war. Die Spuren dieser Gefechte waren zu beiden Seiten der Straße noch allenthalben sichtbar.

Die Chaussee endigte ungefähr eine Stunde vor Zeitz, die verdorbenen Wege hielten aber unsere Fahrt auf, und erst in der Dunkelheit kamen wir bei dieser Stadt an. Ringsum brannten die Wachtfeuer des Giulayschen Corps, welches hier größtentheils bivouacquirte. Wir waren an der angeschwollenen Elster, die Fuhrt war nicht zu wagen, doch glücklicherweise fand der Postillon eine militärische Nothbrücke, über die er uns, nicht ohne Gefahr, doch sicher brachte.

Die Brigade des General-Majors von Salins liegt hier in der Stadt, sie rückt noch diese Nacht in die Position von Teuchern, und wird die Franzosen, wenn sie durchbrechen sollten, kräftig empfangen.

Noch kann uns der Oesterreichische Commendant, von dem wir so eben kommen, nicht mit Gewißheit sagen, ob Leipzig in den Händen der Alliirten sey. Unsere Pässe sind weiter auf das Kais[erlich] Oesterr[eichische] Hauptquartier nach Rötha visirt worden, wohin wir Morgen früh abgehen.


Zweiter Brief

Leipzig, den 20sten October

Freuen Sie sich mit mir. Die gute Sache hat nach viertägigem blutigen Kampfe gesiegt. Die Franzosen sind total geschlagen, Napoleon flieht, und die Morgenröthe deutscher Freiheit ist angebrochen. Dank sey es der Eintracht der erhabenen Monarchen, so wie der Tapferkeit Ihrer Heere, welche diese Riesenschlacht ruhmvoll auskämpften. Die alten Fesseln sind zerbrochen, Deutschland wird sich ermannen, und wie ein neuer Phönix aus der Asche hervortreten.

Ich suche mich von den Schreckensbildern, die mich hier so eben umgaben, zu erholen, und mich zu sammeln, um das Tagebuch unserer heutigen Reise fortzuführen. Wir verließen diesen Morgen mit Tagesanbruche Zeitz, um über Pegau nach Rötha ins Oesterreichische Hauptquartier zu fahren. Zeitz und Pegau bilden jetzt die Sustentations-Basis der großen alliirten Armee; in Zeitz sind die Brodmagazine und übrigen Verpflegungen; in Pegau hingegen befinden sich die Reserve-Vorräthe für die Munition. In der ersten Stunde begegneten wir daher vielem Fuhrwerk, welches zwischen beiden Städten wechselte. Eine Stunde vor Pegau eröffnete sich aber ein neues, wirklich imposantes Schauspiel. Zu beiden Seiten der Chaussee lagerten die Russisch-Preußischen Garden und Grenadier-Reserven unter dem Großfürsten Constantin und dem General Miloradowitsch. Hier erfuhren wir zuerst mit Gewißheit die große Nachricht der glorreichen Schlacht. Diese Eliten-Truppen hatten sich gestern gleich vom Schlachtfelde hierher gewendet, um die fliehenden Franzosen in der linken Flanke zu beunruhigen. Während die ganze Gegend umher ein Lustlager der schönsten Truppen zu seyn schien, so kamen uns auf der Heerstraße die ersten Colonnen der Oesterreichischen Armee, das Colloredo’sche Corps, entgegen. Sie verfolgen den geschlagenen Feind, und suchen ihm über Zeitz, Jena und Weimar zuvorzueilen.

Die prächtigen Garde-Regimenter begrüßten aus ihren Bivouacqs die vorüberziehenden Cameraden mit ihren Musikchören, welches die defilirenden Oesterreicher mit schallender Feldmusik erwiederten. Cavallerie und Infanterie waren gleich kernhaft, vorzüglich zeichnete sich die vorüberfahrende russische reitende Artillerie, durch Bespannung und Mannschaft, aus. — Es war ein heiterer schöner Herbstmorgen; so weit das Auge reichte, war Alles mit jubelnden, theils ruhenden, theils vorüberziehenden Truppen bedeckt, es schien ein zusammenhängender Triumphzug zu seyn. Ich hätte das Talent eines Wouverman oder Rugendas haben mögen, um alle diese malerischen Lagerscenen bleibend aufzufassen.

 

In dem kleinen Städtchen Pegau war das Truppengewühl ungemein groß, man erwartete mit jedem Augenblick das große Hauptquartier unter dem Feldmarschall Fürsten Schwarzenberg. Der General von Langenau, welcher unter dem Chef des Generalstabs, dem Feld-M. Lieut. Grafen Radetzky, mit dem General Trapp die Leitung des Ganzen hat, war bereits angekommen. Da bei dem General von Langenau auch alle Pässe vorgezeigt werden müssen, so waren wir erfreuet, nun der Seitentour nach Rötha überhoben zu seyn. Unsere Pässe wurden noch in derselben Stunde visirt, und man hatte selbst die Güte, uns einen Erlaubniß-Schein auf Postpferde zu bewilligen.

Jedermann prophezeite uns zwar, daß wir dessenungeachtet, da wir der ganzen, von Leipzig auf Pegau im Marsch begriffenen, großen Armee entgegenfuhren, wahrscheinlich auf dem Schlachtfelde bivouacquiren müßten. Doch auf gut Glück beschlossen wir weiter zu fahren, und unser Muth wurde belohnt. Nicht weit von Pegau trafen wir eine Wagen-Colonne kais[erlich] russischer Equipagen, welche sich, unter der Bedeckung von Garde-Kosaken, einen Weg durch die Armee bahnten: an diese mußte sich unser Postillon anschließen, und so gelangten wir ohne Aufenthalt, durch alle Truppenmassen hindurch, Nachmittags 2 Uhr bei Leipzig an. Unser Weg führte uns über Gautsch nach der Brücke von Connewitz, wo wir die ersten Scenen des Schlachtfeldes trafen. Hier am linken Ufer der Pleiße kämpften am 16ten die Oesterreicher vom Meerveldtschen Corps gegen die Franzosen. Letztere, durch das Terrain begünstigt, machten es den Oesterreichern unmöglich, mit Erfolg den Uebergang auf das rechte Pleiße-Ufer zu bewerkstelligen. Viele Tode von den braven Regimentern Bellegarde und Strauch lagen noch auf den Waldwiesen längs dem Flusse zerstreut. Die Brücke war wieder hergestellt. In dem Dorfe Connewitz, bekannt durch die schönen Sommerwohnungen der Leipziger Familien, sah man allenthalben Zerstörung. Diese Scenen häuften sich bis zur Stadt. Die Alleen längs der Chaussee waren niedergehauen, die Garten-Mauern durch Schießscharten zur Vertheidigung eingerichtet; das äußere Petersthor hatten die Franzosen durch vorgesetzte starke Pallisaden verschanzt, die man aber eingeschossen und erstürmt hatte.

Auf dem Peters-Steinwege lagen noch allenthalben tode Menschen und Pferde. Schwer Verwundete suchten sich, auf Händen und Füßen kriechend, hart an die Häuser angeschmiegt, gegen das militärische Getümmel, welches die Mitte der Straße füllte, und wo der Menschenstrom über die Toden, wie über Pflastersteine weggieng, zu sichern. So war auch der schöne Platz um die Bildsäule des Kurfürsten jetzt ein scheußlicher Anblick. Am Petersthore sah man an den, aus den architektonischen Steinmassen herausgesprungenen Stücken, wie heftig es beschossen worden war.

Wir gelangten in die innere Stadt. Von der Petersstraße bis zum Markte, und von da durch die übrigen Hauptstraßen, drängte sich Kopf an Kopf; es war eine unabsehbare Krieger-Menge aller verbündeten Heere, die aus ihren Bivouacqs hereinströmend, bei dem großen Mangel an Lebensmitteln hier etwas aufzufinden hofften. In den großen Seitenstraßen, dem alten und neuen Neumarkte, wo das Gedränge geringer war, hatten sich die Plätze mit Verwundeten gefüllt. Die Zahl der Verwundeten und Kranken kam der Population von Leipzig, welche man auf 33,000 Seelen schätzt, fast gleich, da man die Zahl der Erstern gegen 30,000 angiebt. Bei der großen Mildthätigkeit der Leipziger war es jetzt, wo diese unglückliche Stadt durch die Franzosen in den letztern Monaten namenlos gelitten und planmäßig ausgeplündert worden war, nicht möglich, ihre Bedürfnisse schnell zu befriedigen.

Als wir glücklicherweise eine Wohnung für uns bereitet fanden, so ließen wir schnell abpacken, und eilten noch vor einbrechender Nacht die nächsten Umgebungen der Stadt vor dem Peters- und Rannstädter-Thore zu besehen. Als wir zum Petersthore heraustraten, und uns Rechts zur Promenade wendeten, fanden wir diese reizenden Anlagen ganz zerstört, die Barrieren niedergerissen, die Pflanzungen ausländischer Gesträuche, die unser Auge im Frühjahr so oft ergötzt hatten, zertreten, und allenthalben die frischen Spuren eines wüthenden Kampfes. Bei jedem Schritte stießen wir auf Tode, nackend oder bis auf’s Hemde entkleidet. Eben so häufig lagen Pferde umher. Von der Gegend des Barfüßer Pförtchens gegen den Reichelschen Garten und dem Rannstädter Steinwege zu häuften sich die Bilder des gräßlichsten Mordkampfes. Von hier fiengen die Ueberbleibsel der französischen Niederlage an.

Als Napoleon bei seiner Flucht durch das äußere Rannstädter Thor die steinerne Brücke zwischen der kleinen Funkenburg und dem Zollhause hatte sprengen lassen, so geriethen die Colonnen von Artillerie, Bagage, so wie die zurückgebliebenen Truppen in die fürchterlichste Verwirrung. Gedrängt von den nacheilenden siegreichen Truppen, suchte sich Alles über die kleinen hölzernen Brücken, welche über die eigentliche Pleiße in die Gärten führen, zu retten. Die Brücken stürzten unter der Last der Darüberhineilenden zusammen, zahllose Menschen ertranken, die Uebrigen wurden gefangen, Kanonen und Fuhrwesen erbeutet. Als wie von einem Sturmwind auf die Erde hingeschleudert, lagen hier umgestürzt zahllose Wagen und Kanonen über einander, und füllten den ganzen Raum der Promenade bis zum Hallischen Thore an. Man soll hier allein über 100 Kanonen, und gegen 800 Wagen erbeutet haben. Sehr viele dieser Wagen gehörten der Garde, und hatten die Aufschrift: Fourgon de la Garde Imperiale. Vom Place de Repos an, besonders aber auch auf dem sogenannten Fleischerplatze, an dem Richterschen Garten, so wie am Hahnrey-Brückchen, lagen ganze Leichenhügel und hohe Haufen von Gewehren, welche man bereits aus dem Flusse herausgezogen hatte. Nahe der Brücke nach dem Richterschen, sonst Hermannschen Garten lag am Flußrande, neben andern entkleideten Leichnamen, ein Toder von edler Bildung. Die Nachbarn erzählten, wie sie ihn hier im Wasser hätten mit dem Tode kämpfen sehen; es sey ein stattlicher Mann in französischer Generals-Uniform gewesen. Man hielt ihn für Poniatowsky1), von dem die allgemeine Sage gieng, daß er in dieser Gegend ertrunken sey. Mit Wehmuth betrachteten wir den ritterlichen Mann, dessen Verdienste Freund und Feind anerkennen, und der verdient hätte, für eine bessere Sache, als die der französischen Tyrannie, zu fallen.

Hier auf diesem Platze trug noch Alles das Gepräge der gestrigen Zerstörung; es dünkte uns ein ungeheurer Schiffbruch auf festem Lande. Kaum konnten wir durch die Trümmer des zahllosen Fuhrwerks uns hindurchwinden, zwischen denen Sterbende ächzten, und schwer Verwundete, aus Liebe zum Leben, mit den letzten Anstrengungen ihrer Kräfte am Boden fortkrochen. Schon wurde es dämmerig, einzelne Wachfeuer loderten zwischen diesen Leichenhügeln auf, an denen der, gegen menschliche Leiden abgehärtete Krieger ruhig sich sein Abendessen bereitete. Ich fand, daß diese gehäuften fürchterlichen Scenen menschlichen Elends das gewöhnliche Mitleid unterdrücken; sie erzeugen einen dumpfen Ernst, der bei dem ältern Krieger eine Gleichgültigkeit gegen Gefahr und Tod, aber freilich meistens auch gegen die Leiden Anderer, hervorbringt. Wohl dem, der dann noch ein menschlich-theilnehmendes Herz sich erhält !

Wir wollten versuchen, bis zum äußern Rannstädter Thore zu kommen, doch war dieses unmöglich. Es zogen so eben Russische Truppen (ich glaube von der Bennig’schen Armee) zur Verfolgung des Feindes mit klingendem Spiele in gedrängten Reihen den Rannstädter Steinweg hinaus. — Die gesprengte Brücke am Thore ist bereits wieder hergestellt, noch brannten aber rechts über dem Mühlgraben einige Gebäude, welche durch die Sprengung in Brand geriethen.

Diese Brücke wird in der Geschichte Napoleon’s, so wie der Schlacht von Leipzig, ewig denkwürdig bleiben. Billig sollte sie künftig den Namen ihres kaiserlichen Zerstörers2) tragen.

Ueber den Weg, welchen der Kaiser, als er gestern Morgen Leipzig verließ, einschlug, herrschen verschiedene Meinungen, doch ist Folgendes die glaubwürdigste. Napoleon brachte die Nacht vom 18ten auf den 19ten October im Gasthofe, dem Hotel de Prusse, am Petersplatze zu; der König von Neapel und seine Begleitung in den nahgelegenen Häusern. Gestern Morgen, als der Kaiser zu Pferd steigen wollte, erhielt er durch einen Adjudanten des Königs von Sachsen einen Brief dieses Monarchen, er las ihn, und sagte dem Ueberbringer, daß er im Begriff sey, sich selbst zum König zu begeben, welches auch geschah. Er blieb eine halbe Stunde bei dem Könige, im lebhaftesten Gespräch begriffen. Als er ihn verließ, (der König wohnte, wie immer, im Apelschen Hause am Markte,) sagte er dem vor dem Logis aufmarschirten Sächs[ischen] Garde-Grenadier-Bataillon: Adieu, Saxons, gardez bien votre Roi! Der Kaiser setzte sich zu Pferde, neben ihm ritt der König von Neapel, hinter ihm Berthier, Caulaincourt, Marschälle, Generale und Escorte der Garde zu Pferd. Als der Kaiser an das innere Rannstädter Thor kam, war es mit fliehenden französischen Truppen so angefüllt, daß es unmöglich war, durchzudringen. Der Kaiser ritt durch die Fleischergasse und Burgstraße zurück, zum Petersthore hinaus. Hier trieb er seine, auf dem Roßplatze aufgestellten Truppen, welche gegen die eindringenden Russen zu weichen anfiengen, noch einmal vorwärts, und entfloh für seine Person mit der vorigen Begleitung rechts die Allee entlang, wo er auf Nebenwegen das äußere Rannstädter Thor erreichte, und durch Sprengung der Brücke den weiteren Rückzug für den ersten Andrang der siegreichen Alliirten sicherte. —

Ueber den Einzug der alliirten Monarchen hoffe ich noch einige genauere Nachrichten einzuziehen, welche mein nächster Brief enthalten soll.


1)Dieses war falsch. Der Fürst Joseph Poniatowsky, seit dem 16ten October zum französischen Marschall ernannt, war zwar am 19ten October Morgens auf der Flucht ertrunken, aber nicht in der Pleiße, sondern in der Elster.

Spätere Anmerk.

2)Mehrere spätere Nachrichten bestätigen es, daß diese Brücke auf unmittelbaren Befehl Napoleon’s in die Luft flog. Der sachkundige Bericht in den Deutschen Blättern, Nro. 58. sagt : „Der Kaiser Napoleon selbst wiederholte den Befehl zur Sprengung der Brücke, als er am Ende des Saales der großen Funkenburg hielt. Hinter dem Kuhthurme ließ er noch die über den Lindenauer Mühlwehrgraben und die vor dem Gasthofe zu Lindenau über die Luppe gehenden Brücken ebenfalls sprengen, und blieb darauf in Lindenau bis gegen 3 Uhr, ehe er von dannen ritt.“

Spätere Anmerk.