Methodenlehre in der Sozialen Arbeit

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Methodenlehre in der Sozialen Arbeit
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

utb 3370

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag • Wien • Köln • Weimar

Verlag Barbara Budrich • Opladen • Toronto

facultas • Wien

Wilhelm Fink • Paderborn

Narr Francke Attempto Verlag • Tübingen

Haupt Verlag • Bern

Verlag Julius Klinkhardt • Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck • Tübingen

Ernst Reinhardt Verlag • München

Ferdinand Schöningh • Paderborn

Eugen Ulmer Verlag • Stuttgart

UVK Verlag • München

Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen

Waxmann • Münster • New York

wbv Publikation • Bielefeld


Prof. Dieter Kreft, Verwaltungs- und Erziehungswissenschaftler, Staatssekretär a. D., ist Honorarprofessor der Leuphana Universität in Lüneburg.

Prof. Dr. Dr. h.c. C. Wolfgang Müller ist emeritierter Professor der Technischen Universität Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 3370

ISBN 978-3-8252-5290-8

3., überarbeitete Auflage

© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Einbandgestaltung: Cover unter Verwendung eines Fotos von © istock.com/lushik

Satz: ew print & medien service GmbH, Würzburg

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Einführung der Herausgeber

1 Grundlagen für das methodische Handeln

1.1 Konzepte, Methoden, Verfahren und Techniken in der Sozialen Arbeit

Von Dieter Kreft und C. Wolfgang Müller

1.2 Beobachten, Beurteilen, Handeln

Von Stephan Maykus

1.3 Handlungskompetenz in der Sozialen Arbeit

Von Dieter Kreft

1.4 Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit

Von Hiltrud von Spiegel

2 Die drei klassischen Methoden und ihre aktuellen Entwicklungen

2.1 Von der Einzelfallhilfe zum Case-Management

Von Wolf Rainer Wendt

2.2 Gruppenpädagogik (Social Group Work) und die Folgen

Von C. Wolfgang Müller

2.3 Von der Gemeinwesenarbeit zum sozialräumlichen Handeln

Von Wolfgang Hinte

3 Verfahren (eine exemplarische Auswahl)

3.1 Sozialpädagogische Beratung

Von Nando Belardi

3.2 Gruppendynamik

Von C. Wolfgang Müller

3.3 Supervision

Von Nando Belardi

3.4 Coaching

Von Nando Belardi

3.5 Mediation

Von Nando Belardi

3.6 Jugendhilfeplanung

Von Dieter Kreft

3.7 Erlebnispädagogik

Von Werner Michl

3.8 Kinderschutz und Kinderschutzauftrag

Von Dieter Maly

3.9 Der Hausbesuch

Von Dieter Maly

3.10 Straßensozialarbeit

Von Michael Galuske (seit der 2. Auflage durchgesehen von Dieter Kreft)

3.11 Quartiermanagement

Von Reinhard Thies

3.12 Qualitätsmanagement und Qualitätsentwicklung

Von Joachim Merchel

3.13 Sozialmanagement

Von Joachim Merchel

3.14 Evaluation und Selbstevaluation

Von C. Wolfgang Müller

3.15 Öffentlichkeitsarbeit

Von Ria Puhl

4 Techniken (eine exemplarische Auswahl)

4.1 Fragen, Nachfragen, Zuhören

Von C. Wolfgang Müller

4.2 Oral History: Erzähltes Leben

Von Sabine Gieschler

4.3 Genogrammarbeit

Von Nando Belardi

4.4 Spielen und Spiele

Von C. Wolfgang Müller

4.5 Rollenspiel

Von C. Wolfgang Müller

4.6 Tetralemma – Handeln bei Vieldeutigkeiten

Von Heiko Kleve

Herausgeber und AutorInnen

Literatur

Sachregister

Abkürzungsverzeichnis

a. a. O. am angegebenen Ort

Abs. Absatz

Art. Artikel

AG Arbeitsgruppe / Ausführungsgesetz

AK Arbeitskreis

AKJStat s. KomDat

ASD Allgemeiner Sozialer Dienst

BA Bachelor of Arts

BAG Bundesarbeitsgemeinschaft

 

Bd. / Bde. Band / Bände

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

BJK Bundesjugendkuratorium

BKSchG Bundeskinderschutzgesetz

BMUB Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

BRD Bundesrepublik Deutschland

BT Bundestag

DAGG Deutscher Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik

DGSA Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit

DGSv Deutsche Gesellschaft für Supervision

Drs. Drucksache

DBSH Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit

DKSB Deutscher Kinderschutzbund

DV Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Berlin

d. V. / d. d. V. der Verfasser / durch die Verfasser

ebd. ebenda

et al. und andere

EQR Europäischer Qualifikationsrahmen

EU Europäische Union

GG Grundgesetz

GWA Gemeinwesenarbeit

i. d. R. in der Regel

i. E. im Erscheinen

ISA Institut für soziale Arbeit, Münster

ISS Institut für Sozialpädagogik und Sozialarbeit, Frankfurt / M.

ISSAB Institut für Stadteilbezogenen Soziale Arbeit und Beratung, Essen

i. S. v. im Sinne von

i. V. m. in Verbindung mit

JA / JÄ Jugendamt / Jugendämter

Jh. Jahrhundert

JHA Jugendhilfeausschuss

JHP Jugendhilfeplanung

JWG Gesetz für Jugendwohlfahrt

KMK Kultusministerkonferenz

KomDat Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe

LJA / LJÄ Landesjugendamt / Landesjugendämter

np neue praxis

NDV Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

o. Ä. oder Ähnliches

o. g. oben genannt

o. J. ohne Jahr

Rz. Randziffer

SGB Sozialgesetzbuch (mit den im Text genannten Büchern)

SPFH Sozialpädagogische Familienhilfe

SPI Stiftung Sozialpädagogisches Institut, Berlin

s. w. u. siehe weiter unten

TuP Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit

TZI Themenzentrierte Interaktion

uj unsere jugend

u. U. unter Umständen

VA Verwaltungsakt

vs. versus

Einführung der Herausgeber

Dieses Buch ist als Studienbuch im Rahmen eines berufsqualifizierenden Studiums der Sozialen Arbeit entwickelt worden. Bei seiner Herausgabe haben wir uns an unseren eigenen langjährigen Erfahrungen in Berufstätigkeit, Lehre und Forschung orientiert. Wir haben dabei immer versucht, dem doppelten Anspruch der Ausbildung zur Sozialen Arbeit zu entsprechen: relevante Beiträge zeitgenössischer Human- und Sozialwissenschaften zu kennen, einzuschätzen und in ihrem jeweiligen wissenschaftstheoretischen Bezugsrahmen ernst zu nehmen und gleichzeitig jenes Handwerkszeug lehrend, erprobend und übend zu vermitteln, das wir zur Ausübung von Berufen der Sozialen Arbeit für unabdingbar halten. Denn die Berufe, zu denen wir ausbilden, sind personenbezogene Dienstleistungsberufe mit einem prägenden anwendungsorientierten Anteil, der auf handwerklichem Können beruht. Wir verwenden deshalb gern und in Erinnerung an alte Handwerker-Traditionen den Untertitel: „Handeln nach den Regeln der Kunst“. Denn Kunst hat viel mit Können zu tun und nicht unbedingt mit Wollen. Und eine Sache ‚begreifen‘ heißt nicht nur, sie zu ‚verstehen‘, sondern auch, sie handelnd ‚angegriffen‘ zu haben.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben wir 2008 versucht, in einem gemeinsamen Beitrag für die Fachzeitschrift „Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit“ – „Konzepte, Methoden, Verfahren und Techniken. Ein praxisorientierter Ordnungsversuch für das Handeln nach den Regeln der Kunst“ (TuP 2 / 2008, 134–143) – eine Lernende und Lehrende orientierende ,Schneise‘ in den kaum noch zu durchblickenden Dschungel der Methodenliteratur unserer Zunft zu schlagen.

Wir waren erstaunt, wie viel Zustimmung unser – noch sehr allgemeiner und struktureller – Ordnungsversuch gefunden hat, und wir haben schließlich die wiederholt ausgesprochene Anregung, diese Idee in einem Basis-Studienbuch weiterzuentwickeln, aufgegriffen und konkretisiert:

Dieser Titel will und kann kein ausbildungsbegleitendes Lehr- und Trainingsbuch zur Einführung in ‚methodisches Arbeiten‘ ersetzen. Es will und soll vielmehr vor allem für Studierende und Praktizierende die Vielfalt von Begriffen ordnen, die sich inzwischen unter dem Sammelbegriff ‚Methoden der Sozialen Arbeit‘ tummeln.

Der Methodenbegriff sollte nach unserer Auffassung künftig nur noch für die drei klassischen Methoden benutzt werden, alle anderen Versuche planvollen Handelns seien ‚Verfahren‘ für das Handeln nach den Regeln der Kunst, die durchaus wirksam durch die Kenntnis von ‚Techniken‘ unterstützt werden können. Weil es im ‚realen Sozialarbeiter-Alltag‘ darauf ankommt – zudem häufig in kürzester Zeit –, wissensbasierte Dienstleistungen zu organisieren und / oder anzubieten, rücken wir weiter das angemessene ‚methodische Handeln‘ in den Mittelpunkt dieses Buches. Wie kann an den vielen unterschiedlichen Arbeitsplätzen der Sozialen Arbeit fachlich angemessen planvoll gehandelt werden, aufgrund welcher Informationen und wie? Im Allgemeinen Sozialen Dienst etwa, in der Beratung, beim Hausbesuch, im Quartiermanagement, der Planung, Erlebnispädagogik oder der Öffentlichkeitsarbeit usw.

Auf diese zentralen Fragen der Sozialen Arbeit versuchen wir in diesem Buch orientierende Antworten zu geben.

Idealtypisch gibt diese Anlage Lernenden und Lehrenden die Möglichkeit, das so schwierige professionelle Handeln im Einzelfall zu ordnen und inhaltlich zu justieren: über Konzepte / Konzeptionen, über die Wahl der grundsätzlich angemessenen Vorgehensweise (da bieten die drei klassischen Methoden erste und grundsätzliche Orientierungen), durch Rückgriff auf inzwischen erarbeitete, beschriebene und bewährte Verfahren des standardgeleiteten Vorgehens sowie die Nutzung eines breiten Technikrepertoires. Sie umfassen nicht alle zeitgenössischen Beispiele, die häufig in ihrer verwirrenden Vielfalt eher dem Ruf nach marktgängigen Neuigkeiten folgen als tatsächlich einen neuen Zugang zu alten und neuen Problemen und Hilfen zu eröffnen, mit denen die Soziale Arbeit seit eh und je befasst war. Alles zu dem alleinigen Zweck, in der je konkreten Arbeitssituation eines Arbeitsplatzes ‚Arbeitshilfen für die Gestaltung von Situationen‘ zu entwickeln (nach v. Spiegel 2018 – in ihrem ‚Werkzeugkasten für methodisches Handeln‘, 139 ff.; vgl. auch Kap. 1.4).

Also kein Streit mehr, was alles ‚Methoden‘ sind und warum, sondern Lern- und Lehrhilfen für angemessenes, planvolles fachliches Handeln.

Wir hoffen, diese hier vorgestellte ‚Ordnung‘ hilft dabei.

Die 1. Auflage 2010 hat viel Interesse gefunden, es gab zahlreiche Rezensionen, die überwiegend positiv waren und deren Anregungen wir übernommen haben. Die meisten begrüßten unseren Versuch einer kleinen, gut lesbaren Erstinformation in die so komplexe Methodenlehre der Sozialen Arbeit und stuften ihn als insgesamt gelungen ein.

Deshalb haben wir bereits für die 2. Auflage die Gliederung nur wenig verändert:

In Kapitel 1 – Grundlagen für methodisches Handeln – sind jetzt alle Beiträge gebündelt, die einführend oder von grundsätzlicher Bedeutung sind:

■ Konzepte, Methoden, Verfahren und Techniken in der Sozialen Arbeit (eine fachliche Einführung von D. Kreft und C. W. Müller);

■ Beobachten, Beurteilen, Handeln (eine grundsätzliche Betrachtung sozialarbeiterischen Arbeitens von St. Maykus);

■ Handlungskompetenz (ein Versuch von D. Kreft zu klären, was heute darunter subsumiert wird) und

■ Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (neu für die 2. Auflage von H. von Spiegel geschrieben, vor allem mit dem Ziel zu erläutern, wie die operative Handlungsebene der Sozialen Arbeit wirksam gestützt werden kann).

Das Kapitel 2 behandelt dann die drei klassischen Methoden in ihrer Entwicklung und ihrer aktuellen Bedeutung, in Kapitel 3 werden in einer exemplarischen Auswahl Verfahren vorgestellt, in Kapitel 4 ausgewählte Techniken beschrieben.

Für diese 3. Auflage hat es bei dem Beitrag „Von der Einzelfallhilfe zum Case Management“ einen Autorenwechsel gegeben. Wolf Rainer Wendt hat dieses Kapitel (Kap. 2.1) vollständig neu geschrieben.

Im Übrigen sind wieder alle Beiträge von uns sorgfältig durchgesehen, ggf. verändert / erweitert und aktualisiert worden.

Wir hoffen, dass unser ‚Ordnungsversuch‘ weiterhin Studierenden, Lehrenden und ParktikerInnen hilft, sich besser in den ‚Methodendschungel‘ einzuarbeiten und / oder sich darin zurechtzufinden.

Nürnberg und Berlin, im Juli 2019

Dieter Kreft und C. Wolfgang Müller

1 Grundlagen für das methodische Handeln

1.1 Konzepte, Methoden, Verfahren und Techniken in der Sozialen Arbeit: Ein Ordnungsversuch für das Handeln nach den Regeln der Kunst

Von Dieter Kreft und C. Wolfgang Müller

Vorbemerkung

Die Zahl der Veröffentlichungen zu ‚Methoden der Sozialen Arbeit‘ ist für Studierende und Praktiker kaum noch zu überblicken mit ihrer Vielfalt unterschiedlicher Definitionen, häufig wenig strukturiert, statt hilfreich zu sein eher verwirrend.

Man hat inzwischen den Eindruck, alles, was etwas mit geordnetem, planmäßigem Handeln zu tun hat, werde unter den Oberbegriff ‚Methoden‘ gestellt (also z. B. auch Öffentlichkeitsarbeit und Jugendhilfeplanung, beides sind aber gewiss keine ,Methoden‘, sondern ‚Verfahren‘). In den verschiedensten Definitionsversuchen werden neben- und durcheinander die Begriffe Methoden, Konzepte und Verfahren gebraucht, inzwischen wird auch immer wieder von ‚methodischem Handeln‘ gesprochen – eine fast babylonische Erklärungsverwirrung.

Wir versuchen in diesem Buch, diese Verwirrung in einer begrifflichen Ordnung aufzulösen: Was ist eigentlich ein / eine Konzeption / Konzept, eine Methode, ein Verfahren, was (nur) eine methodisches Handeln unterstützende Technik? Wir möchten dadurch zu einer Klärung beitragen, die sowohl Studierenden und Lehrenden als auch Praktikern der Sozialen Arbeit beim Lehren, Lernen und Handeln hilft.

Dabei lassen wir uns von folgenden zentralen Überlegungen leiten:

Soziale Arbeit findet auf verschiedenen Ebenen unseres gesellschaftlichen Lebens statt: auf der Ebene der Gesamtgesellschaft mit ihren Traditionen, Gesetzen, Regeln, Ordnungsvorstellungen und Innovationen; auf der Ebene der Länder und der Kommunen, in denen wir arbeiten; auf der Ebene der Netzwerke von Menschen, mit denen wir verwandt, befreundet, benachbart sind; auf der Ebene unseres je individuellen Lebens, seiner Herausforderungen, Risiken und Chancen.

Auf jeder dieser Ebenen benötigen wir allgemeine und besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, um Soziale Arbeit professionell zu betreiben. Und dieses professionelle Arbeiten bedeutet ein Dreifaches:

(1) Erkenntnisse aus verschiedenen Human- und Sozialwissenschaften helfen uns, anderen zu helfen, sich selbst zu helfen und zu entwickeln;

(2) Kenntnisse von Regeln, Ordnungen und Gesetzen, die unserem Zusammenleben Struktur und Richtung geben, helfen uns bei der Planung und Durchführung von Erziehungs-, Entwicklungs- und Hilfeprozessen;

(3) Vorgehensweisen der Zusammenarbeit mit Klienten, Netzwerken und Zielgruppen helfen uns, diese Arbeit human, wirkungsvoll und auf Dauer gerichtet zu betreiben;

Diese Zusammenarbeit nannten wir früher ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘. Heute nennen wir sie im Zusammenhang mit einem europaweit erweiterten Begriff von ‚Bildung und Erziehung‘: ‚Lehren und Lernen‘.

Insbesondere die Ebene der direkten Arbeit mit Menschen beruht auf langjährigen handwerklichen Traditionen, die man kennen, anwenden und beherrschen muss, um seine Arbeit ‚nach den Regeln der Kunst‘ zu verrichten.

Qualität der Arbeit: Seit in den 1990er Jahren die Qualitätsdebatte auch die Soziale Arbeit erreichte, kann immer weniger der Verpflichtung ausgewichen werden, genau(er) Auskunft über das zu geben, ‚was man wie und warum tut‘: Zuerst erreichte diese Entwicklung die Krankenversicherung (SGB V), dann die Sozialhilfe (zunächst das Bundessozialhilfegesetz, jetzt das SGB XII) und die Soziale Pflegeversicherung (SGB XI), 1999 schließlich auch die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII): Dort sollen nun bei den teilstationären und stationären Leistungen nur noch Anbieter / Träger in Anspruch genommen werden, mit denen zuvor Vereinbarungen über Inhalt, Umfang und Qualität der angebotenen Leistung, über das zu zahlende Entgelt sowie zur Qualitätsentwicklung und -sicherung abgeschlossen wurden (§§ 78a ff. SGB VIII). Man muss also jetzt vorher sagen können, was genau, für wen und mit welchen Zielen angeboten wird, was diese Leistungen kosten und wie die einmal versprochene Qualität der Leistungen fortentwickelt und geprüft werden kann / soll (dazu aktuell zusammenfassend Merchel 2013 und Kap. 3.12 sowie Schindler / Münder in: Münder et al. 2019 zu 478a).

 

Verantwortung für ‚Kunstfehler‘: Verschärft wurde diese Tendenz dadurch, dass aufgrund von Strafverfahren gegen SozialarbeiterInnen für alle Beschäftigten sehr deutlich wurde, dass ‚unsachgemäßes Handeln‘ auch in der Sozialen Arbeit Folgen für sie haben kann. Diese möglichen Rechtsfolgen bei Verletzung fachlicher Standards können sich gegen den Anstellungsträger und / oder gegen die Beschäftigten richten, sie können zivil- und / oder strafrechtliche Folgen haben (genauer bei Meysen in: Münder et al. 2019, Anhang II, Rz 9 ff., insbes. Rz 11 und 12). Wichtig ist – insbesondere für die möglichen strafrechtlichen Folgen –, dass der / die Beschäftigte im Strafverfahren geltend machen kann, er / sie habe sowohl ‚nach den aktuellen, anerkannten Regeln der Kunst gehandelt‘ als auch ‚die Besonderheiten des Einzelfalles‘ angemessen berücksichtigt und sei somit nicht in die Verantwortung zu nehmen. Man denke an die Fälle von Kindesmisshandlung und Kindestötung der letzten Jahre, in denen sich auch MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes verantworten mussten bzw. müssen (Deutscher Verein 2009, ISS 2012, zuletzt Meysen in: Münder et al. 2019, Anhang II).

Es geht also auch darum, dass sich Beschäftigte mit dem Hinweis, sie hätten nach den Regeln der Kunst gehandelt, u. U. gegenüber zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen exkulpieren können (i. S. von rechtfertigen, entschuldigen, von einer Schuld befreien) (dazu fachlich und rechtlich bereits Jordan und Münder jeweils 2001, dazu auch Kreft 2015).

Aber: Diese ‚fachlichen Regeln‘ müssen entwickelt worden sein, sie müssen den Beschäftigten bekannt sein und diese müssen danach handeln.

Was meint ‚geordnetes fachliches Handeln‘?

Die fachlichen Regeln, die ‚Regeln der Kunst‘ also, werden in der (allgemeinen) Fachliteratur unterschiedlich beschrieben und bewertet. Etwa: „Systematische Handlungsformen für den zielgerichteten beruflichen Umgang mit sozialen Problemen“ (Krauß 2017, 651), „(Handlungs-)Methoden (…), die auf eine planvolle, nachvollziehbare, überprüfbare und damit kontrollierbare Gestaltung von Hilfeprozessen abzielen“ (Galuske / Müller 2012, 593).

Bereits diese wenigen, aus aktuellen Texten bzw. Textzusammenfassungen zum Erkenntnisstand der Methoden-Literatur stammenden Zitate zeigen, dass diese Literatur nicht ‚eindeutig‘ ist. So werden immer wieder Begriffe verwendet, ohne dass ihre Trennschärfe deutlich wird: Konzeptionen / Konzepte, Techniken, Strategien, Verfahren, Handlungsmethoden / -formen, die Aufteilung in direkt / indirekt interventionsbezogene, struktur– und organisationsbezogene Konzepte und Methoden (so bei Galuske 2013, 168 unter der Überschrift „Handlungskonzepte und Methoden der Sozialen Arbeit“, ohne dass dann genauer Auskunft darüber gegeben wird, was ein ‚Konzept‘, was eine ‚Methode‘ ist), und schließlich ganz allgemein, methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (bei v. Spiegel 2018 heruntergebrochen bis zu „Arbeitshilfen für die Gestaltung von Situationen“ im Kap. II ab S. 139 ff.; ausführlich dazu auch Wendt, P.-U. 2017, Kap. 2).

Für eine ‚Ordnung‘, die das Lehren, Lernen und Handeln zu erleichtern vermag, schlagen wir stattdessen vor, nur noch zwischen Konzepten, Methoden, Verfahren und Techniken zu unterscheiden, weil nach unserer Auffassung darunter alle Formen methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit einigermaßen trennscharf gefasst werden können.

Ohne Erinnerung keine Zukunft: Die Anfänge methodischen Arbeitens in der Berufsausbildung zur Sozialarbeit

Tätigkeiten Sozialer Arbeit haben eine lange Geschichte in Glaubensgemeinschaften und Kommunalverbänden. Aber erst spät wurden sie als Beruf gegen Kontrakteinkommen ausgeübt. Und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sie als Berufsausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage installiert. Beim Übergang von der Tätigkeit zum Beruf und danach zum Lehr- und Ausbildungsberuf spielte die ‚Methodenfrage‘ eine gewichtige Rolle. Denn SozialarbeiterInnen / SozialpädagogInnen sollten nicht nur über ein bestimmtes Wissen verfügen, sie sollten auch eine bestimmte weltanschaulich geprägte Sichtweise auf Menschen und Gesellschaften besitzen, und sie sollten Fertigkeiten erwerben, andere Menschen anzuleiten, zu beeinflussen, zu verändern. Alice Salomon, die Gründerin der ersten Berliner Frauenschule für die Soziale Arbeit, hat in ihrem Lehrbuch „Soziale Diagnose“ die doppelte Aufgabe von Fürsorgerinnen so beschrieben: Einerseits sollten sie Notleidenden und Hilfesuchenden materielle und ideelle Unterstützung geben und an andere unterstützungsfähige Personen und Institutionen verweisen. Zum anderen aber sei es ihre Aufgabe, die Haltung des Klienten zu beeinflussen, auf seinen Willen einzuwirken, „seine Haltung, seine Einstellung zu verändern. Damit erst entsteht die methodische Frage“ (Salomon 1926, 61).

Salomons methodische Vorschläge lehnten sich an den methodischen Dreischritt an, der schon von Mary Richmond in ihrem Forschungsbericht „Social Diagnosis“ (1917) und in dem Lehrbuch „What is Social Casework?“ (1922) vorgegeben worden war und der sich an den Tätigkeitsprofilen von Krankenhausärzten orientiert hatte: Diagnose und Anamnese, Behandlungs- (hier: Hilfe-)Plan und schrittweise Evaluation der jeweils erzielten Wirkungen.

Diese vergleichsweise entwickelte und differenzierte Sichtweise auf die Methodenfrage in der Sozialen Arbeit (zunächst vor allem: in der Wohlfahrtspflege) wurde von den Nationalsozialisten abgebrochen. Sie ersetzten sozialwissenschaftliche, milieutheoretische und psychoanalytische Sichtweisen durch erbbiologische und rassenhygienische Kampfbegriffe. Sie ersetzten die Leitfigur der Republik von Weimar, das Jugendamt, durch ein Gesundheitsamt, dessen Hauptaufgabe es war, Beiträge zu einem neuen methodischen Dreischritt zu leisten, um ‚Erbkranke‘, ‚Fremdrassige‘ und ‚Asoziale‘ ‚auszusuchen‘, ‚auszusondern‘ und ‚auszumerzen‘.

Nach dem vollständigen militärischen Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘ sahen die US-amerikanischen Besatzungstruppen und ihre Erziehungsoffiziere eine Hauptaufgabe darin, die deutsche Bevölkerung und vor allem die in der Sozialen Arbeit tätigen Fürsorger, außerschulischen Jugenderzieher und in der Erwachsenenpädagogik Tätigen ‚umzuerziehen‘ (die Briten sagten ‚umzuorientieren‘). Dazu organisierten sie ein internationales Austauschprogramm zwischen deutschen Fachkräften, anglo-amerikanischen Experten und deutschen Antifaschisten, die emigrieren mussten und nun als Fachkräfte besuchsweise in die alte Heimat zurückkehrten (genauer bei C. W. Müller 2013 die Kap. 8 und 9 und bei Wieler / Zeller 1995).

So festigte sich in den 1950er und 1960er Jahren auch in Westdeutschland das Bild von den ,drei klassischen Methoden der Sozialen Arbeit‘: der Einzelhilfe, der Gruppenpädagogik und der Gemeinwesenarbeit. Sie unterschieden sich durch die soziale Situation, in der Entwicklungshilfe geleistet wurde: Sie geschah einmal im Vier-Augen- Gespräch mit einer Hilfe suchenden Person – später auch mit allen Angehörigen einer Lebensgemeinschaft oder Familie; sie geschah zum anderen mit einer überschaubaren Gruppe, die Arbeit, Freundschaft oder gemeinsame Interessen zusammengeführt hatte; und sie geschah in einem größeren lokalen Wohn- und Lebensbereich mit Möglich- keiten der interpersonalen Verbesserung der Lebensqualität aller Be-wohner. Es mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, dass die klassischen Methoden nicht nach dem jeweiligen Anlass für Hilfe und Entwicklung geordnet worden sind, sondern nach der Sozialform der notwendigen Kommunikation. Erst spät entdeckten internationale Kommunikationsforscher, dass es die Sozialformen der zwischenmensch- lichen Kommunikation sind, welche einen entscheidenden Einfluss auf den Charakter der Hilfeleistung ausüben. Die sozialen Orte dieser bildenden Kommunikation, die wir heute ‚Lehren und Lernen‘ nennen, spielen inzwischen eine strukturbestimmende Rolle und sind über die traditionellen Bildungseinrichtungen hinaus neben Orten der ‚formalen Bildung‘ um Orte und Situationen ‚informeller‘ und ‚non-formaler‘ Bildung erweitert worden (BJK 2001, insbes. 22 ff.).

Gemeinsam war den drei Methoden, dass der Prozess des Helfens über drei wiederkehrende Phasen verlief: Er begann mit einer ersten Kontaktphase, in der eine tragfähige zwischenmenschliche Beziehung zwischen Sozialarbeitern / Sozialpädagogen und ihren Klienten aufgebaut und Informationen über den Anlass der notwendig erscheinenden Hilfe gesammelt werden sollten, die zu einer ersten vorsichtigen Diagnose der Situation und ihrer Geschichte (Anamnese) führen würde. In der zweiten Phase sollte gemeinsam ein Hilfeplan entwickelt werden, der in kleinen, erkennbar weiterführenden Schritten zu einem definierten Ziel führen könnte. Für das Erreichen des Zieles wird ein Arbeitsbündnis geschlossen: Das Erreichen einzelner Teilziele markiert kleine Erfolge, das Verfehlen einzelner Teilziele zwingt zu Korrekturen im Vorgehen. Ist die im Arbeitsbündnis vereinbarte Zeitspanne abgelaufen, wird der gesamte Prozess gemeinsam evaluiert und die Verbindung gelöst oder bei Bedarf in ein neues Hilfe-Arrangement mit anderen Personen überführt.

Es hat Kritik an diesem Methodenbegriff gegeben. Diese Kritik an den Methoden scheint uns heute kurzatmig und uninformiert. Diejenigen, die am Methodenbegriff die scheinbar technokratisch-funktionalistische Verengung kritisierten, waren offensichtlich an der alten bildungswissenschaftlichen Trennung in ‚Didaktik‘ als Lehre von den zu lehrenden Bildungsgehalten und ‚Methodik‘ als Lehre von den zu wählenden, möglichst effektiven Lehr-Lern-Formen orientiert. Sie wussten nicht oder konnten nicht wissen, dass für den anglo-amerikanischen Pragmatismus nicht die Trennung in ‚Theorie‘ und ‚Praxis‘ maßgebend war, sondern der möglichst innige Zusammenhang von Wegen und Zielen, von Werten und Normen. Und sie wussten nicht, konnten es nicht wissen oder hatten es vergessen, dass die klassischen Methoden der Sozialen Arbeit Ergebnis der experimentellen Praxis von Sozialen Bewegungen gewesen waren. Diese Bewegungen zeichneten sich durch je erkennbare und spezifische Gesellschaftsbilder, Menschenbilder und Wertehierarchien aus. Das galt für die Frauenbewegungen und die soziale Einzelfallhilfe, für die Jugendbewegungen und die Gruppenpädagogik sowie für die Bodenreformer, die Lebensreformer und die Sozialreformer im Zusammenhang mit der Gemeinwesenarbeit (Zusammenfassungen bei C. W. Müller 2013).

Eines der wichtigsten Werke zum Verständnis der ‚klassischen Methoden‘ ist bis heute der Friedländer / Pfaffenberger (deutsch erstmalig 1966, die amerikanische Originalfassung stammt von 1958). Beide Autoren waren aktive Mitglieder der Arbeiterwohlfahrt und Hochschullehrer.

Die von der deutschen Fachliteratur dann später so genannten ‚klassischen Methoden‘ waren jedoch in dem Jahre, als die Konferenz der (west)deutschen Wohlfahrtsschulen beschloss, sie als verbindliches Vertiefungsfach in ihre Kern-Curricula aufzunehmen (Oktober 1954), alles andere als ‚klassisch‘. Lediglich die Soziale Einzelfallhilfe hatte eine damals vierzigjährige Forschungs- und Lehrgeschichte. Die Gruppenpädagogik war gerade erst von der US-Konferenz der Schulen für Soziale Arbeit akzeptiert worden, Gemeinwesenarbeit und Gemeinde-Entwicklung standen noch diesseits akademischer Akzeptanz.

15 Jahre später gerieten diese drei ‚klassischen Methoden‘ in die massive und fundamentale Kritik der Studenten- und Sozialarbeiterbewegung (dazu C. W. Müller 2013, 236–270). Die Systematisierung der verschiedenen Berufsfelder nach den Sozialformen der Kommunikation zwischen Sozialarbeiter und Klient (also eben die ‚Methoden‘) wurde durch Fundamentalkritik des Bürgerlichen Staates als ideeller Gesamtkapitalist und durch die Vorbereitung der Studierenden auf die verschiedenen Arbeitssegmente Sozialer Arbeit ersetzt (genauer bei C. W. Müller 2013).

Damit wurde die Weiterentwicklung methodischen Arbeitens in Lehre und Forschung unterbrochen. Neuere Praktiken der Arbeit im internationalen Rahmen wurden nicht als Teil einer methodischen Kontinuität begriffen, sondern als ‚Innovationen‘. Und die neuen sozialen Bewegungen erfanden in ihrer Kommunikation mit einzelnen, mit sozialen Gruppen und in Kommune und Stadtteil die klassischen Methoden jeweils neu, also ohne die Vorläufer zu kennen oder ernst zu nehmen. Es fiel ihnen dadurch leichter, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und neue praktische Verfahren zu integrieren. Aber sie konnten einige der alten Fehler nicht vermeiden, weil sie sie nicht kannten. Bei dieser Neuentdeckung von ‚Beratung‘, ‚Gruppenarbeit‘ und ‚Gemeinwesenarbeit‘ in den neuen Selbsthilfegruppen der späten 1970er und der 1980er Jahre gelang es manchen in der Generation der ‚neuen Freiwilligen‘ (die auch zur Entdeckung eines ‚neuen Ehrenamtes‘ herhalten mussten), wichtige Schritte über die paternale Begrenztheit der alten Methodenlehre hinauszugehen. Ein gutes Beispiel scheint uns die Anleitung zum gruppenpädagogischen Handeln unter neuen Voraussetzungen von Andrea Gerth und Elmar Sing zu sein („Knatsch, Zoff und Keilerei“ 1992).