Johannes Christian Lenz

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Johannes Christian Lenz
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Das Buch

Am 19. Januar 1790 wird der Schlächter Geselle Johannes Christian Lenz in Berlin auf der Richtstätte des Königl. Hofgerichts, dem Rabenstein, weit vor dem Oranienburger Tor von unter gerädert und aufs Rad geflochten. Diese drakonische Strafe wurde in Berlin zum vorletzten mal ausgeführt. 50 bis 60 Tausend Menschen sollen nach Augenzeugenberichten der Hinrichtung beigewohnt haben. Die größte bisher beobachtete Menschenmenge bei so einem Ereignis.

Johannes Christion Lenz hatte um die Geisterstunde vom 13. auf den 14. Juni 1789 die schwer mit Geld beladene Stettiner Post auf ihrem Wege von Oranienburgs nach Berlin bei Birkenwerder beraubt und hierzu alle drei Begleiter ohne Gegenwehr ermorden können. Wie konnte das geschehen? - Leo Kaceem wiedererzählt und ergänzt die Geschichte auf der Basis der damaliger Berichterstattung, analysiert die Gerichtsaussagen und rekonstruiert den Weg des Mörders für die acht Wochen, die zwischen Tat und Gefangennahme lagen. Hierzu schlüpft er in die Rolle des ungewöhnlichen Volksschreibers Tlantlaquatlapatli. Er enthüllt nebenbei auch eine mögliche Bedeutung dieses nahezu unaussprechlichen Pseudonyms und lässt im Abschlusskapitel den Volksschreiber mit seiner selbstgeschriebenen Vita zu Wort kommen.

Der Autor

Leo Kaceem, 1944 in Danzig geboren, ist analytischer Chemiker und lebt in Köln und Berlin. „Den Dingen auf den Grund zu gehen“, eine freie Übersetzung der auf Vergil zurückgehende Redewendung: „... rerum cognoscere causas ...“, war sein tägliches Streben im Berufsleben. Nun, im Unruhestand, hat er mit diesem Sachbuch seine Profession auf ein historisches Kapitalverbrechen gelenkt. Sein Erstlingswerk.

Johannes Christian Lenz

Mörder und Straßen-Räuber

leo kaceem


Johannes Christian Lenz

Leo Kaceem

Copyright: © 2012 Leo Kaceem

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-3950-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Meine Frau

zum Dank für ihre

unendliche Geduld

Wahrheit zeuget immer Feinde;

Heucheln' niemahls echte Freunde.

Tlantlaquatlapatli

Inhalt

Vorwort 9

Einleitung 12

Das Rätsel des Pseudonyms 15

Endlich 17

Monsieur Nebenstaub 24

Traiteur Ollmütz 27

In der Hausvoigtei 29

Volks-Urtheile 34

Leben und Taten 37

Mord und Totschlag 40

Ausspähung 44

Gefangennehmung 48

Untersuchung 53

Die wahre Tat 67

Bewegungsprofil 71

Der Fluchtweg 74

Eine Analyse 81

Lenz singt 88

Ein Mittäter? 91

Das Urteil 93

Lenz macht sein Testament 96

Das Ende naht 96

Tag der Vergeltung 98

Der Schinderweg 100

Voyeure & Geschäftemacher 105

Die Hinrichtung 107

Volksgedränge 108

Schlechte Sicht & Lange Finger 110

Volksaberglauben 111

Lenz auf dem Rade 116

Arme Sünder Liedlein 118

Moritaten Lied 121

Weitere Sünder Liedlein 127

Andere Schriften 132

Lenz war kein verhärteter Bösewicht 140

Der Endzweck öffentlicher Strafen 142

Das Testament 148

Redouten Späße mit Lenz 149

Der Nächste bitte! 153

Der runde Hut 158

Späte Besuche 166

Die Ende der Geschichte 168

Das Ende des Rabensteins 169

Tlantlaquatlapatli 171

Heinrich Wilhelm Seyfried 174

Pflichten eines Schriftstellers 179

Papagei mag ich nie seyn 194

Zu guter Lenzt 202

Verzeichnis der verwendeten Artikel 207

Vorwort
Tlantlaquatlapatli

unter diesem Pseudonym verbirgt sich Ende des 18. Jahrhunderts Heinrich Wilhelm Seyfried (1755-1800), ein literarisches Universalgenie. Er ist auch eine kritische spöttische Schreiberseele, die als Autor und Herausgeber in der periodisch erschienenen Zeitung, der Chronic von Berlin, Klatsch, Kultur- und Tages-Nachrichten aus Berlin vermeldet. Heute würden wir sie als kulturelle Wochenzeitschrift mit aktuellen Beiträgen aus dem Berliner Leben bezeichnen. So manche merkwürdige Geschichte hat er aufgespießt, veröffentlicht und kommentiert, aber auch rein journalistische Berichterstattung betrieben. Nur um diese geht es (meistens) in diesem Buch!

Der Schreiber bewahrt sich immer eine gehörige Distanz zur gerade gängigen öffentlichen Meinung. Seine kritisch moralisierenden Bemerkungen fixieren sich nicht zu selten auch auf seine schreibende Konkurrenz, der er hin und wieder ein bisschen nervend Wahrheitsverfälschung bzw. ungenaue Berichterstattung vorwirft. Davon ist er aber an manchen Stellen auch nicht ganz frei. Seine Person erschien mir so interessant, dass ich sie am Schluss dieses Buches, sozusagen als Buch am Buch, gesondert beleuchte. Hier ist Raum für Anmerkungen und Analysen zu seiner Berliner Schaffensperiode. Der schon über 120 Jahre alten Biografie von E. Mentzel (1892) stelle ich seine Selbstbetrachtungen gegenüber, die er von Zeit zu Zeit in seiner Zeitung veröffentlicht hat.

Die Person Seyfried hat weit mehr geleistet, als hier kurz abgerissen wird. Das über sie nicht mehr bekannt ist, mag auch an seinen Artikeln aus dem Berliner Alltag liegen, die von entsprechender Seite heute sicher als ausländerfeindlich und antisemitisch charakterisiert werden würden. „Pollaken“ und Juden sind häufiger, auch zusammen, in mehr oder weniger kritischen oder spaßig gemeinten Glossen abgehandelt. Wer kann sich heute noch in die damaligen Verhältnisse einer schnell wachsenden Großstadt wie Berlin versetzen, geschweige denn in die Lebensbedingungen dieser Zeit.

Mit einem ersten Bericht über die Verhaftung des Straßenräubers und Mörders Johannes Christian Lenz, zehn Wochen nach der Tat, beginnt eine realitätsnahe Fortsetzungsgeschichte. Sie enthält neben der Schilderung des Tathergangs wörtliche Wiedergaben seiner Aussagen aus Vernehmungsprotokollen. Sie erzählt von seinen Ausreden und Ablenkungsmanövern bei der Schuldzuweisung und beleuchtet auch die Person des Mörders in seinem Umfeld. Die Berichterstattung endet im April des Folgejahres, also drei Monate nach der unter fast chaotischen Randbedingungen erfolgten Hinrichtung des Mörders.

Solange hat dieser Kriminalfall die Berliner in Aufregung gehalten, solange konnte man die auf das Rad geflochtenen Reste des Johannes Christian Lenz auf der „Hoch“-Gerichtsplatz noch besichtigen. Sein Mordtaten waren seinerzeit weit über die Stadt Berlin und die Landesgrenzen Preußens hinaus bekannt geworden und Chronisten aus der Mitte der letzten dreißiger Jahre berichten, dass der Fall noch bis Ende des 19. Jahrhunderts mehrfach Erwähnung fand.

Von Tlantlaquatlapatlis Zeitung sind die Bände, die mir hier als Vorlage dienten, gelegentlich und vereinzelt auf dem antiquarischen Buchmarkt zu finden, das Exemplar für etwa 250 €! Zitat aus dem Internet: … Die komplett wohl nie aufzufindende Zeitschrift erschien in 12 Bänden bis 1792. Der Herausgeber und Verfasser Heinrich Wilhelm Seyfried, aus Frankfurt stammender Schauspieler und Vielschreiber, bietet hier ein klassisches Beispiel für die "Winkelblätterliteratur", mit hämisch vorgetragenen Klatschgeschichten und entsprechenden Theaternachrichten …

Gut charakterisiert!

Einleitung

Das Extrabuch

Bei meinen Recherchen zu einem umfangreichen historischen Roman zitierte ich gerade aus einer privaten Ortschronik von 1936 einen Hinweis auf einen schrecklichen Mordfall, der sich 1789 zwischen Oranienburg und Birkenwerder, nahe der nördlichen Berlin Stadtgrenze im sog. Barnimer Land ereignet hatte.

Berichtet wurde, dass die Postkutsche auf ihrem Wege von Spandau nach Oranienburg, mit sechs Pferden bespannt war, um vom Havelufer bei Henningsdorf den Sandberg nach Stolpe hinaufzukommen. Sie wurde mit vier Mann Besatzung schwer bewacht. (Leo Kaceem, Stolpe-2, Der Tod des Försters, epubli, ISBN 978-3-8442-3588-3)

Diese Bewachung war eine direkte Folge eines damaligen Post-Straßenraubes, der etwa um Mitternacht von Sonnabend auf Sonntag zwischen dem 13. zum 14. Juni, 1789 nördlich von Berlin zwischen Oranienburg und der Berliner Stadtgrenze geschah. Die drei Postbegleiter starben. Der Täter und Mörder wurde später gefangen und in Berlin gerädert.

Am Tage der Tat rettete sich Captain Bligh von der Bounty nach 48 Tagen Irrfahrt mit 18 Getreuen in der Südsee an Land. Er hatte rund 5800 km auf dem Wasser zurückgelegt. Der zweifelhafte Akteur meiner Geschichte legte nach seiner Mordtat bis zu seiner Gefangennehmung in vergleichbarer Zeit vielleicht 470 km zurück, allerdings allein und weitgehend zu Fuß. Während die Einen gerettet ins Leben zurückkehrten, führte der Weg für den Anderen in den Tod, zur Seelenrettung! ? ...

Wie es sich heute geziemt, recherchiert man zu solchen Zufallsfunden im Internet. „Geziemt“, ist nur ein Beispiel altmodischer Sprachformulierungen. Diese gefallen mir zusehends nach der wochenlangen Beschäftigung mit alten Texten. Sie schleichen sich nun gerne, von mir auch befördert, in meinen Schreibstil ein. Letztens fing ich in einer Grußkarte an „thun“ und „That“ in alter Schreibweise zu verwenden ohne diesen Irrthum zu bemerken!

 

Ich bin vom Internet begeistert, das ein Universum an Informations- und mittelbaren Aktions-Möglichkeiten geschaffen hat. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste all die gelesene Literatur mit Postkutschen-Reisen durch verschiedene deutsche Staaten, Bibliotheken und Universitäten sichten, ggf. sogar einen bayrischen Grenzübergang nehmen...

Für die Textaufarbeitung wurde übrigens die Originalliteratur eingescannt und mittels der russischen Texterkennungssoftware ABBYY FineReader®online, unter Nutzung der sehr guten Frakturschrift-Variante transkribiert.

Der Eingangs erwähnte Autor mit dem unaussprechlichen Namen sprengte mit seinem Fleißwerk schnell den Rahmen des kurzen Zitats, das in meinem historischen Roman „Stolpe-2“ vorgesehen war. Durch die intensive Beschäftigung mit seinen Berichten tat sich für mich eine neue Welt auf: das 19. Jahrhundert nach Friedrich dem Großen, die Romantik, das Biedermeier, die Restauration und die Ankündigung einer neuen, in anderer Weise schrecklichen Zeit.

Ich selbst war beim Lesen der alten Nachrichten und der hautnahen Schilderungen von H.W. Seyfried alias Tlantlaquatlapatli aufgerüttelt. War doch der Mörder damals dicht vor meinem derzeitigen Domizil vorbeigegangen. Die ganze Mordgeschichte ereignete sich also praktisch vor meiner Berliner Haustür, wie man Geschehnisse in der Nähe des Wohnorts umgangssprachlich beschreibt. Ich war an vielen Stellen, an denen der Täter Johannes Christian Lenz gegangen ist, ja auch gemordet hatte, schon gewesen – ohne – das dessen böser Geist über mich gekommen wäre.

Jetzt aber, beim Lesen, war es passiert. Meine inzwischen angeeigneten Kenntnisse und das analytische Interesse an diesem Kapitalverbrechen zwingen mich gerade dazu, dieses Wissen den Menschen unseres Jahrhunderts weiterzuvermitteln, die Geschichte aus den alten Quellen hervorzuholen, noch einmal aufleben zu lassen. Und so ist aus dem anfänglich kurzen Zitat nun eine Mordgeschichte als eigenständiges Druckwerk erwachsen. Es wird seine Leser finden, denn Mord und Totschlag haben schon immer einen besonderen Reiz ausgeübt. Um dem Leser den Abstand zu den damaligen Ereignissen etwas überwinden zu helfen, nein, eigentlich, um nicht immer diesen unaussprechlichen Namen selbst aussprechen zu müssen, habe ich die Schilderungen in Ich-Form abgefasst.

Auf mich hat es vorab einen besonderen Reiz ausgeübt zu erfahren, wie Seyfried sein ungewöhnliches Pseudonym Tlantlaquatlapatli konstruiert haben könnte. Was es bedeuten möge. Er muss es mit Hintergedanken entworfen haben, sonst käme er nicht auf solch einen Zungenbrecher. Natürlich wollte er auffallen. Klappern gehört zum Handwerk

Lehnen Sie sich also zurück und folgen Sie meinen verschrobenen Gedanken und Analysen - die Moritat kann noch ein bisschen warten:

Das Rätsel des Pseudonyms

Die B-Sprache und ein paar L's zuviel?

Als kleiner Junge besuchten meine Schwester und ich einmal Bekannte meines Vaters aus der Kriegszeit. Diese hatten drei Kinder, die sich einen Spaß daraus machten, sich untereinander in der sog. B-Sprache zu unterhalten, d.h. beim Sprechen in die Worte zusätzliche B-Laute einzufügen. Wir kannten das nicht, und waren über die blöden Kinder verärgert. Untereinander verständigten sie sich sicher und schnell in dieser Geheimsprache. Beispiel: Ich habe einen Ball – Ibich hababebe abeineben Baball.

Die auffallend vielen L-Laute in dem Pseudonym könnte man am Kinderspiel orientiert, jedoch nicht konsequent folgend, wie folgt entschlüsseln (natürlich kann hier jeder spielen, wie er möchte, aber das ist meine Lösung):

aus Tlantlaquatlapatli

würde T(l)ant(l)aquat(l)apat(l)i

oder Tanta aquata pati(-o),

das klingt zumindest lateinisch

tanta: Nomin.fem.: so groß, so viel

aquata: Nomin.fem.: mit Wasser vermischt, wässerig

pati: Infin.,Praes.: zulassen, erdulden, ertragen etc.

Ich möchte nicht über grammatikalischen Unsinn reden, denn dieser spielt für das angestrebte Ziel keine Rolle. Es handelt sich um eine nichtbeweisbare Wortspielerei bei meiner Analyse. Frei interpretiert könnte danach der abgeleitete Worthintergrund etwa heißen: „Soviel wässeriges Zeug ertragen“, oder als Weintrinker: „(Was muss ich doch)-soviel gepanschten Wein trinken!“.

„Soviel verfälsche oder wortreich verbrämte Nachrichten, Informationen muss ich mir anhören.“, wäre für einen Journalisten eine interessante Interpretation seiner Arbeit, bezogen auf den Informations-Inhalt von Nachrichten. Aus dem Gehörten muss er das wortreiche Wasser herausdestillieren, um das Wichtige aufzukonzentrieren.

Latein ist doch zu Vielem gut!

Für die Wiedergabe (oder sollte man Wiedergeburt sagen?) der Geschichte habe ich die originale Schreibweise verwendet und nur allzu langweilige Passagen gekürzt, die sich im Wesentlichen auf Beiträge kritisierter Kollegen beziehen, die heute nicht mehr verfügbar sind. Stoßen Sie sich also nicht an der Rechtschreibung, nicht in diesem Buch. Die Titel und meine Textbeiträge sind aber nach meiner Auffassung der letzten Rechtschreibreform abgefasst. Es geht also herrlich durcheinander. Ich hatte so meine Probleme beim Korrekturlesen.

Endlich

Berlin, den 5. September 1789

In meiner „Chronic von Berlin“, in Tlantlaquatlapatlis Zeitung, berichte ich an diesem Tage erstmahls, ohne näher darauf einzugehen von Johannes Christian Lenz: „Der Schlächter-Knecht Lenz hat bekannt!“ - Ich schrieb:

Die Mordtaten, solche im Junio des Jahres bei Oranienburg geschehen, sind dem Publico als solche durch vielerlei Geschwätz und Wische bekannt. Ich habe bisher darüber nicht berichtet. Eher würde ich keine Zeilen auf die Bögen pressen lassen, als dem geschätzten Leser meiner Blätter einer falschen Nachricht noch weitere folgen zu lassen. Nun ist es jedoch an der Zeit, das Publicum über den weiteren Fortgang der Geschichte in Kenntnis zu setzen. Obwohl es mir bis dato nicht gelungen alle Detailles der Mordthat zu erfahren, erbitte ich Nachsicht, wenn hier falsches Zeugnis berichtet würde. Ich bin nicht verlegen, dieses zu gegebener Zeit zu corrigieren. Wenn der geneigte Leser dieses lieset, möge er meine Situation berücksichtigen.

In den folgenden Blättern jedoch berichte ich regelmäßig über neue Erkenntnisse und den Fortgang der Geschichte.:

In der Nacht zwischen dem 13 und 14ten Junius wurde der Beiwagen der ordinairen Stettinschen Post diesseits Oranienburg bei dem Dorfe Pinnow auf die gewaltsamste Art beraubt und der dabei befindliche Schirrmeister, nebst dem Postillon mit vielen Wunden ermordet, desgleichen ein Bursche von 15 Jahren tödtlich verwundet.

Das Königl. Preussische General-Postamt traf sogleich zur Entdeckung dieser Räuber und Mörder-Bande die zweckmäßigsten Anstalten und bestimmte dem, welcher im Stande ist, wenigstens einen dieser Unmenschen anzuzeigen, nach Beschaffenheit der Umstände, eine Belohnung von 50-100 Rthlr. auch dem Befinden nach noch ein mehreres.

Hier merkt der Chronist L.K. an: Der Preußische Reichtaler(Rthlr.) = 36 Silbergroschen (Sgr.) hätte heute einen Gegenwert von etwa 60 bis 100 Euro, bzw. der Silbergroschen von etwa 2 €!, d.h. es geht hier um eine Summe von rund 200-Tausend Euro, die man nachts heimlich und schwach bewacht transportierte. Welch ein Leichtsinn!

Nach dem dieser scheußliche Mord und Post-Straßenraub genauer untersucht wurde, so entstand vorzüglich gegen einen aus Oranienburg gebürtigen Schlachter-Burschen, Christian Lenz, Verdacht. Dieser verstärkte sich durch seine Entweichung in dem höchsten Grade. Das Königl. Preuß. General-Postamt ließ ihn augenblicklich mit Steck-Briefen verfolgen, seinen ganzen Anzug beschreiben, und zu dessen Habhaftwerdung ebenfalls die gehörigen Befehle ertheilen. Ob nun gleich nach genauerer und sorgfältigsten Untersuchung, noch nichts weiter ausgemittelt werden konnte, die Wahrscheinlichkeit aber immer größer wurde, daß bei dieser unmenschlichen That mehrere concurrirten auch ein Theil derselben und des geraubten Geldes, welches in 2000 Rthlr. (in) Zweigroschen Stücken und 800 Rthlr. (in) Groschen bestanden, sich vielleicht noch im Lande befinden möchten, so ließ der Herr Minister von Werder Excellenz als Präses des Königl. Preuß. General-Postamts öffentlich jedermann erinnern und warnen: den Aufenthalt und Schlupfwinkel dieser verruchten Menschen, wenn ihm solcher wissend , oder doch sonst etwa bekannt wäre, der nächsten Gerichts-Obrigkeit so fort genau anzuzeigen, oder zu gewärtigen, daß derjenige, welcher hiernächst als Diebeshehler oder Mitwissender ausgemittelt würde, auf das schärfste und nachdrücklichste bestraft werden sollte.

Da vorher auf die Entdecker dieser Mörder und Post-Straßenräuber eine Belohnung von 100 Rthlr. und darüber versprochen worden, so wurde diese zur äußersten Betriebsamkeit auf 500 Rthlr. erhöht.

Aller dieser vortrefflichen Anstalten ungeachtet blieben diese scheußliche Thaten mehrere Wochen verborgen. Der Bursche, welcher ein Bruder des ermordeten Postillons seyn soll, starb einige Tage nachher an seinen Wunden. Man wünschte sehnlichst, den jungen Unglücklichen zur Sprache zu bringen. Aber umsonst, die verruchten Bösewichter hatten ihn zu unmenschlich behandelt.

Durch alle diese Mord-Geschichten bekam das Publicum den besten Stoff. Bald hieß es, man hätte seine Spieß-Gesellen u.s.f. Indessen säumte der Oranienburger Magistrat gar nicht. Alles, was verdächtig schien, wurde abgehört. Darüber maulten einige und sagten, daß mancher Unschuldige dabei wäre und um seine Ehre käme - Ganz und gar nicht meine ich, denn der ehrliche Mann hat nichts zu fürchten. Auch leidet in solchen critischen Fällen die Ehre des Unschuldigen niemahls.

Gegen 9 Wochen verstrichen, ohne die geringsten und gewissen Nachrichten von dem Mord- und Räuber-Gesindel einzuziehen.

Endlich entstand am Dienstag, den 18ten August, ein allgemeines Gerücht: man hätte den Christian Lenz. Der Scharfschütze Zimmermann von dem Lichnowskyschen Regiments hätte ihn aufgebracht. Viele glaubten es, viele auch nicht, weil die Sage: man hätte ihn!, schon oft gegangen und allezeit ungegründet war. Dieses mahl aber erfolgte das Gegentheil. Schon des Morgens früh liefen die Leute und ungeachtet der Tag sehr schwülend heiß war, so ertrugen doch viele lieber die starke Sonnen-Hitze, als den berüchtigten Christian Lenz nicht zu sehen.

Abends um halb fünf kam er auf einem Wagen geschlossen nach Berlin. Das Volk erwartete ihn theils vor, theils in der Stadt mit der größten Sehnsucht. Indem er hereingefahren wurde, so drängte sich einer aus dem Volke näher zu dem Wagen und rief:

»Du Racker, du Schinderknecht, wo hat dich denn der Teufel so lange gehabt ?«

Philosophisch saß Christian Lenz auf seinem Wagen und antwortete in dem ruhigsten Tone: er wär's nicht.

»Wart' nur!«, schrie ersterer nach, »werden's dir schon weisen!« Der Wagen fuhr weiter. Ein Haufen Jungen, Lehrburschen und Mädchen liefen voraus und riefen:

»Sie bringen ihn! Sie bringen ihn!«

»Wen?«

»Den Christian Lenz! den Mörder!«

Nun stürzte gleichsam alles heraus, Fenster und Thüren wurden aufgerissen. Schnell wimmelte der Weg, woher er kam und wohin er sollte, von Menschen!

»Das ist er, der Bösewicht«, rief eine betagte Frau, »O pfui, du allerwelter schlechter Kerl!«, und spie aus.

»Nu, nu«, erwiederte eine junge Dirne, welche Lenz sehr in das Gesicht gefaßt hatte, »er bleibt doch immer ein hübscher Kerl! Er ist so rothbäckicht, so voll, so fleischicht, schade für ihn!«

Der Wagen mußte sehr langsam fahren, weil die Menschen ihn umringt hatten. Viele begleiteten ihn bis nach der Hausvoigtei. Hier wurde Lenz abgesetzt und nach seinem bestimmten Gefängnisse gebracht.

Den folgenden Tag konnte man ihn für zwei Groschen sehen. Natürlich wurde manches zwei Groschen Stück geopfert. Daß es Unrecht war, einen solchen verdächtigen Menschen und noch dazu für Geld zu zeigen, bleibt ausgemacht. Denn bei solchen wichtigen und bis jetzt noch so kritischen Gegenständen muß das allerstrengste Inkognito herrschen.

Kaum erfuhren die Obern, daß man Lenz wie ein ausländisches Wunderthier für das Geld sehen ließe, so wurde es auf der Stelle und zwar mit allem Rechte verboten. Ob nun gleich diese Volks-Neugierde auf einmahl gelegt wurde, so erlosch sie doch bei vielen noch nicht ganz. Jetzt begaben sich mehrere erst nach der Hausvoigtei und sahen - wenigstens das Gebäude an. Ebendasselbe geschah die folgenden Tage. Ein Hausvater ging mit seinem schon etwas erwachsenen Sohne auch vorbei:

 

»Ach Papa«, rief der angehende Mitbürger. »Warum stehen denn hier so viele Leute?«

»Da haben sie den Christian Lenz eingesperrt.«

»Gewiß den Mörder Papa?«

»Ja mein Sohn! Fürchte Gott, folge deinem Vater und Mutter, so kannst Du kein so Bösewicht werden!«

Ich freute mich über diese väterliche Lehre. Wohl, wohl dachte ich: Ihr andern Väter thut ein gleiches!

Montags, den 30ten September, erscholl gegen Mittag das Gerücht:

»Christian Lenz hat endlich gestanden!«,

»Wirklich?«

»Ganz gewiß!«

»Und was?«

...Davon werdet ihr jetzt erfahren!.......