GegenStandpunkt 4-16

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GegenStandpunkt 4-16
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Impressum

GegenStandpunkt – Politische Vierteljahreszeitschrift

erscheint in der Gegenstandpunkt Verlagsgesellschaft mbH

Kirchenstr. 88, 81675 München

Tel. (089) 272 16 04; Fax (089) 272 16 05

E-Mail: gegenstandpunkt@t-online.de

Internet: www.gegenstandpunkt.com

Redaktion: Dr. Peter Decker (verantwortlicher Redakteur),

Dr. H. L. Fertl, H. Kuhn, W. Möhl, Dr. S. Predehl, H. Scholler, U. Taraben

Anschrift der Redaktion und des verantw. Redakteurs: siehe Verlagsanschrift

© 2016 by Gegenstandpunkt Verlag, München. Alle Rechte vorbehalten.

GegenStandpunkt erscheint viermal im Jahr und ist zu beziehen über den Verlag

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ISSN der Druckausgabe: 0941-5831.

ISSN-L 0941-5831

ISSN 2198-5782

EPUB ISBN 978-3-929211-90-0

GegenStandpunkt 4-16

GegenStandpunkt 4-16

Inhaltsverzeichnis

Merkels Land III. Der deutsche Imperialismus

1. Unser Euro und unser Europa

2. Handelspolitik für uns und den Rest der Welt

3. Die Rettung unserer (Um)Welt

4. Unsere Ukraine

5. Unsere weltweite politische Verantwortung

6. Unsere Flüchtlinge

Chronik (1) Der Steuerstreit zwischen Apple und der EU-Kommission: Ein Branchenführer kämpft um sein Erfolgsmodell – Irland um seine ökonomische Räson in der EU – die EU gegen die USA um ihre Regelungskompetenz

Das Geschäftsmodell eines marktbeherrschenden Global Players

Die Grundlage: Die hoheitliche Freisetzung und Konkurrenz um den nationalen Nutzen des Weltgeschäfts

Der Angriff auf Irlands ökonomisches Erfolgsmodell in der EU und seine weiterreichenden Perspektiven

Vom innereuropäischen Rechtsstreit zur imperialistischen Affäre zwischen den USA und der EU

Chronik (2) ‚VW versus Prevent‘: Klarstellungen zum Outsourcing-Geschäftsmodell der Automobilbranche

Outsourcing als Mittel der Kostpreissenkung

Konkurrenz um den Nutzen aus der Lohndrückerei

Belegschaften als Kampfmittel

Chronik (3) Deutsche Leitkultur auf dem Prüfstand: Müssen wir die Burka aushalten?

Chronik (4) Neues aus Brüssel über die Afghanistan-Geberkonferenz Vorbild Deutschland: Endlich mal ein guter Deal mit der Regierung Ghani

Chronik (5) Nobelpreiswürdiges Friedensabkommen mit den FARC in Kolumbien: Kolumbiens herrschende Klasse streitet über die Kosten des Friedens

I. Kolumbiens Projekt „Modernisierung“

II. Ein Friedensvertrag mit erledigten Staatsgegnern als Standortfaktor

III. Der Streit im Land: Wie viel Zugeständnis an die Staatsfeinde erträgt die Nation?

Chronik (6) Der Kampf der Linken gegen Rechts – heute: Die Betreuung der sozialen Unzufriedenheit nicht der AfD überlassen!

Der Co-Vorsitzende Riexinger besichtigt einen Nährboden

Frau Wagenknecht hat Verständnis für die nationalistischen Übergänge, die sie bekämpft

Ramelow hat das beste Argument gegen Ausländerhass: Wir brauchen die!

Wagenknecht weiß für den starken Staat einen guten Zweck.

Chronik (7) Literaturnobelpreis für Bob Dylan

Leserbrief: Fragen zu BIP, Wachstum, Arbeitszeit und Produktivität Antwort der Redaktion

Zu 1.

Zu 2.

Zu 3.

Lotta continua im Krisenstaat Italien Von den Fortschritten der Gewerkschaftsbewegung im Zeitalter des Kampfes um ArbeitsplätzeI. Neue Sitten des Kapitals im Umgang mit Arbeit und Lohn

1. Das „Projekt“ Fiat

2. Die Kapitalistenklasse hört die Signale

II. Der italienische Staat bestätigt und ergänzt den Klassenkampf von oben 1. Der Staat spart

– an seinen Kosten und auf Kosten seiner Bediensteten

– beim Umbau des Sozialstaats

2. Die Politik setzt die „Jobmaschine“ frei

3. Antisindacalità

III. Wie die Gewerkschaften mit ihrer Entmachtung umgehen

1. Aus Entmachtung wird eine konstruktive Strategie

2. Die gespaltene gewerkschaftliche Bewegung findet zu neuer Einheit

3. Gegen die Konkurrenz der Arbeiter: solidarietà – im Verzicht

4. Der Kampf geht weiter: für die verlorene Ehre der Arbeit

Unsere Ukraine – ein einziger großer Fall von „Korruption“ Friktionen bei der Herrichtung eines failed state zum Frontstaat

1. Amerika beklagt die Korrumpierung der Ukraine durch Russland

2. Das Leiden Amerikas an der Unzuverlässigkeit seiner Eroberung

Wirtschaftlicher Ruin als Preis der neuen Freiheit

Der amerikanische Standpunkt: die Ukraine ist ihren Befreiern den success einfach schuldig

3. Der Maßstab „Korruption“: ein Delikt, das aus dem Rechtsbestand der erfolgreichen kapitalistischen Staaten entlehnt ist und angewandt auf die Ukraine nur zersetzend wirkt

Das Verhältnis von politischer Gewalt und ökonomischer Privatmacht in der Ukraine: Kapitalismus als Oligarchenwirtschaft

Der Feldzug der Aufsichtsmächte gegen die „Korruption“ verlangt eine komplette Umwälzung der ukrainischen Verhältnisse

Die Entfesselung eines neuen Machtkampfs

Die Ausübung ökonomischer und politischer Machtfunktionen in der Ukraine muss outgesourct werden

„Ukraine has every reason to succeed“

Merkels Land
III. Der deutsche Imperialismus

Für ihr „freundliches Gesicht“ gegenüber den Flüchtlingen hat Merkels Land viel Lob und Dank geerntet – nicht nur von Merkel selbst oder von den Flüchtlingen, die froh sein können, ihre Flucht überlebt zu haben, sondern auch von der höchsten irdischen Instanz, vom Chef der amerikanischen Supermacht. Vor der in New York versammelten Staatenwelt ehrt Obama die Deutschen und Merkel persönlich für ihre „außerordentliche Unterstützung für die Flüchtlinge“ und für ihre „andauernde Führung“ in der Flüchtlingsfrage. Zumal „eine solche Politik zwar schwierig, aber richtig ist.“ Die deutsche Regierung fühlt sich bei solchen Komplimenten bestens verstanden. Überhaupt meinen deutsche Politiker, dass es einem Land wie dem ihren durchaus angemessen ist, wenn es vorangeht; und dass alle anderen gute Gründe haben, ihm hinterher und in den ihnen vorgezeichneten Bahnen zu laufen, auch wenn sie das nicht gleich einsehen. Deutschland will nicht nur, sein Erfolg verpflichtet es auch dazu, zukünftig „mehr Verantwortung in der Welt“ zu übernehmen. Was diese Phrase für seine regierenden Verantwortungsträger eigentlich bedeutet – davon legen sie schon heute täglich Zeugnis ab, und zwar gar nicht erst und gar nicht nur in der Flüchtlingsfrage.

 

1. Unser Euro und unser Europa

Die Verantwortung, die sie meinen, fängt jedenfalls nicht mit dem Elend der Welt, sondern mit dem Reichtum der deutschen Nation an. Weil der sich seit einiger Zeit in einem Geld beziffert, das nicht mehr nur deutsch, sondern europäisch ist, steht für Deutschland fest, dass es für dieses Geld mehr Verantwortung tragen muss, als bloß auf den Erfolg seiner Wirtschaft und die Schulden seines Haushalts zu achten. Deutsche Politiker pflegen von Haus aus das Bewusstsein, dass der Euro ihr Geld ist, das ihre Euro-Partner auch gebrauchen dürfen; dass die gemeinsame Währung Mittel und Ausdruck deutscher Stärke zu sein hat, die die anderen mindestens nicht belasten dürfen. Ebenso klar ist ihnen, dass mit genau diesem Anspruch auch den Eigeninteressen – den ‚wohlverstandenen‘ – der Partner am besten gedient ist, und gerade in letzter Zeit haben sie reichlich Gelegenheit gefunden, ihnen genau das zu versichern: Wenn das Geld, in dem alle gemeinsam wirtschaften, von einer Krise heimgesucht wird und eine Reihe von Euro-Mitgliedern zahlungsunfähig werden, dann begleiten deutsche Euro-Politiker ihr ‚Rettungsprogramm‘ und dessen milliardenschwere Kreditpakete mit viel Gerede über die ‚Solidarität‘, die die anderen, schwächeren Mitglieder der Eurozone brauchen und die das starke Deutschland ihnen in der Stunde der Not schuldet. Sie machen allerdings kein Geheimnis daraus, dass es dabei in erster Linie und in letzter Instanz um den deutschen Retter selber geht. Das erste Gebot deutscher Außenpolitik ist die Befriedigung unserer Interessen – und das erfordert, dass man zahlungsunfähigen Partnern unter die Arme greift, wenn ihre Zahlungsnot das gemeinsame Geld gefährdet. Denn „wir profitieren vom Euro am meisten!“

Mit ‚Wir‘ ist zunächst ‚die Wirtschaft‘ gemeint, das Kollektiv deutscher Kapitalisten, die in der ganzen Währungsunion durchschlagende Erfolge im Euro bilanzieren. Und in einer freien marktwirtschaftlichen Konkurrenz bedeutet das, Währungs- und Wertegemeinschaft hin oder her, dass sie das nicht nur mittels, sondern auch auf Kosten ihrer Partner tun. Mit Verkaufsschlagern ‚made in Germany‘ für industrielle, kommerzielle und staatliche Großkunden wie für Otto Normalverbraucher und mit eigenen Handelsketten bedienen deutsche Kapitalisten Kunden aller Art und Größe, bedienen sich also umgekehrt auf allen erdenklichen Märkten an deren Zahlungsfähigkeit. Überall in der Eurozone und in stets wachsendem Maße stecken unsere europäischen Brudervölker gutes, europäisches Geld in die Taschen deutscher Kapitalisten statt in die der anderen. Auf diese erfolgreichen Geschäfte haben auch deutsche Banken ihre eigenen in großem Stil draufgesattelt: Lauter Geschäfte mit Kredit, den sie den Handelspartnern auch und gerade in den heutigen ‚Krisenländern‘ großzügig gewährt haben. Sie streichen nicht einfach Zins und Tilgung ein, sondern tragen mit ihren Kreditgeschäften ihren Teil dazu bei, dass ganze europäische Volkswirtschaften derart ‚über ihre Verhältnisse‘ leben können, dass deutsche Kapitalisten aller Art an ihnen nachhaltig und unverhältnismäßig gut verdienen. Das Gefälle zwischen Deutschlands ökonomischen Resultaten und denen seiner Partner sollen diese zwar so interpretieren, als würde eine deutsche Lokomotive sie kräftig nach vorne ziehen, aber das macht die Sache auch nicht wahr. Und wenn diesen Ländern in der Krise die Schulden über den Kopf wachsen und Staaten vor dem Bankrott stehen, sind natürlich weder die deutschen Exporteure noch die Kreditgeber, sondern allein sie selbst schuld an ihrer Misere: Schließlich haben sie ja über ihre Verhältnisse gelebt...

Der für die Deutschen wenig erfreulichen Nachricht, dass die Fortsetzung dieser Erfolgsstory von der finanziellen Gesundheit ihrer weniger erfolgreichen Partner und Konkurrenten abhängt, steht eine viel bessere gegenüber: Eben diese Erfolgsstory hat auch dafür gesorgt, dass die andere maßgebliche Abteilung des deutschen ‚Wir‘, die deutsche Staatsgewalt, mehr als alle anderen vom gemeinsamen Geld profitiert hat. Die genießt eine Kreditwürdigkeit und Finanzmacht im Euro, die ihren unterlegenen Konkurrenten, die von der Gemeinschaftswährung weit weniger profitiert haben, eindeutig abgeht. Und in der schönen europäischen Wertegemeinschaft bedeutet das eben, dass Deutschland enorm viel politische Macht über seine Partner besitzt, mit der es die Verantwortung für ihre Genesung übernimmt. Merkel und Schäuble müssen es deshalb gar nicht dabei belassen, bei ihrem ‚Rettungsprogramm‘ an die Solidarität ihrer besser gestellten Partner bloß zu appellieren. Sie müssen auch keine Rücksicht darauf nehmen, welche Solidarität die rettungsbedürftigen Partner erwartet hätten und die mit-rettenden Partner zu zeigen bereit gewesen wären. Sie drängen letztere einfach zum Bereithalten von Finanzmitteln mit einer Unerschütterlichkeit, die nur von der Heftigkeit übertroffen wird, mit der sie erstere dazu anhalten, ihren Völkern unter dem Titel ‚Austerität‘ eine epochemachende Verarmung aufzuzwingen. So erfahren alle europäischen Partner von ihrer Führungsmacht, dass es nicht weit her ist mit ihrer Souveränität, autonom zu entscheiden, wie sie ihren Reichtum bewirtschaften, wie und wofür sie ihre Bevölkerung dafür in Anspruch nehmen.

Die Beschwerden europäischer Völker und ihrer Führungen auf beiden Seiten der Rettungsaktion lassen Deutschlands führende Verantwortungsträger kalt. Sie wärmen sich stattdessen an dem guten Gewissen, bloß für die Regeln des Clubs einzutreten, die alle längst unterschrieben haben. Was auch immer die Euroländer jetzt von den Regeln halten, die sie als gleichberechtigte Mitglieder einmal mit verabschiedet haben, und was auch immer deren Befolgung ihnen jetzt abverlangt: Es sind nun einmal die Regeln ihres Vereins. Und das bedeutet gemäß deutscher Auffassung nicht, dass sie diese Regeln weiterhin mit-, also auch umdefinieren können, sondern in der Hauptsache, dass sie ihnen ein für allemal unterworfen sind und dies auch zu bleiben haben – nicht wegen ihrer damaligen Unterschrift, sondern allein wegen der ökonomischen Erpressungsmacht, die Deutschland jetzt über sie ausübt. Dass die Rettungskandidaten nicht mehr souverän über ihren Haushalt entscheiden, heißt für Deutschland allerdings überhaupt nicht, dass ihre Hoheit über Land und Leute bedeutungslos geworden wäre – im Gegenteil: Die verordnete Austerität will ja auch vollstreckt sein, und das ist eine genuine Aufgabe für souveräne Gewalten. Die brauchen auch gar nicht erst damit zu kommen, dass die verlangten Reformen ihre Völker ins Elend treiben. Mit Härten für die lohnabhängigen Massen – die letzte und unmaßgebliche Komponente des nationalen ‚Wir‘ – profilieren sich deutsche Politiker, egal ob schwarz, rot, gelb oder grün. Das sind genau die ‚Hausaufgaben‘, auf deren rechtzeitige Erledigung sie nicht stolz genug sein können – die Armut der Massen erklären sie zu ihrem Erfolgsrezept! Und wenn alle anderen Euro-Partner bei sich die nötigen ‚Reformen‘ mit aller Macht und gegen einige Widerstände durchsetzen, dann ist es nur gerecht, dass auch die geretteten Verlierer der innereuropäischen Konkurrenz, je nachdem, ein bisschen mehr Härte gegen ihre Bevölkerung oder ein bisschen mehr Verzichtsbereitschaft an den Tag legen. Außerdem sollten die Griechen und ihre Kollegen eines endlich einsehen:Wenn Deutschland sich so unerbittlich für sein Geld einsetzt, dann macht das auch ihr Geld stark, und das fällt viel mehr ins Gewicht als der Umstand, dass man ihnen die souveräne Verfügung über dieses gute Geld entzogen hat! An Deutschland können sie ja schließlich studieren, wie sehr man von eiserner Haushaltsdisziplin und einem starken Geld profitieren kann, wenn man nur so konkurrenzstark ist wie Europas Vormacht – womit der wirklich entscheidende Dienst der deutschen Rettungspolitik an ihren Partnern angesprochen wäre: Alle Reformen in all ihrer Härte sind kein Selbstzweck, auch nicht einfach ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern dienen der Stärkung der ‚Wettbewerbsfähigkeit‘ der Konkurrenzverlierer, womit an sie der weise Rat ergeht, sich die ökonomische Potenz zuzulegen, andere zu Verlierern zu machen. Es mag sein, dass das, was unter diesem Titel läuft, in den geretteten Ländern auf nichts als ein nachhaltiges Schrumpfen ihrer Wirtschaft hinausläuft, weil zum Erfolg im marktwirtschaftlichen Wettbewerb schon ein wenig mehr gehört als die Armut der Massen – schlagkräftige Kapitale z.B., die mit der Armut etwas für sich anzufangen wissen. Aber dann sind immerhin die Geschäfte, die es dort allenfalls noch gibt, marktwirtschaftlich solide – so solide wie der Haushalt, der sich auf die Erträge radikal zusammenkürzt, die die gesundgeschrumpfte Wirtschaft allenfalls noch abwirft, und so solide wie die Position dieser Länder an der Peripherie des europäischen Wirtschaftsraums, dessen Zentrum in Deutschland liegt. Dann nutzt ihnen der Euro zwar immer noch nichts, aber immerhin gefährden sie dann nicht mehr den Nutzen, den Deutschland eben „mehr als alle anderen“ aus der Gemeinschaftswährung zieht.

Doch beim Euro geht es den Deutschen nicht bloß ums Geld, was die Kanzlerin immer wieder mit dem Hinweis beteuert, er sei „mehr als eine Währung“ und stünde auch für „die Einigungsidee Europas“. Deutschland buchstabiert seinen Nutzen aus dem Euro eben etwas anspruchsvoller. Merkel schätzt nämlich die „große Bedeutung“, die dem Land in der Welt zukommt, „das Gewicht“, das es in der Weltpolitik besitzt, wenn es über ein Geld wie den Euro verfügt. Dass ökonomische Siege über seine Partner politische Macht über sie begründen, ist eine Gleichung, die Deutschland nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt realisieren will – und auch dafür braucht Deutschland alle seine Partner. Die geben dem Markt und dem Geschäft mit dem Euro erst die kritische Masse, die es braucht, um Deutschlands Nutzen aus ihm komplett zu machen. Denn Deutschland will in seinem Geld nicht bloß seine außerordentlichen Erfolge beim Verdienen der Gelder der Welt bilanzieren und mit diesem starken Geld über seine Euro-Partner bestimmen. Es misst den Nutzen dieses Geldes an dem, was die amerikanische Supermacht mit ihrem Weltgeld Dollar alles kann und tut. Das europäische Geld muss das der Weltmacht sein, die Deutschland mit Europa werden will. Wenn also Merkel die Bedeutung der Gemeinschaftswährung mit einem Hinweis auf die Gefahr eines irreversiblen „Bedeutungsverlusts“ von Europa in der Welt beschwört, die mit dem Scheitern des Euro verbunden wäre, dann nicht, damit ihre Partner wissen, was für ein wichtiges ökonomisches Mittel ihnen zur Verfügung steht, wenn sie über ein Weltgeld Euro verfügen. Es ist genau andersherum: Deutschlands Partnern wird damit bedeutet, dass Alternativen zur Eurogemeinschaft ihnen genau deswegen nie wieder zur Verfügung stehen. Sie dürfen aus dieser Gemeinschaft weder andere entlassen, bloß weil sie in deren Verbleib eine unerträgliche Belastung sehen, noch dürfen sie selbst aus ihr entlassen werden, bloß weil sie in ihr nichts mehr zu bestellen haben. Deutschland hat sich mit Haut und Haar der europäischen Einheit verschrieben, weil es in der Welt eben nicht bloß als Deutschland, sondern als europäische Führungsmacht auftreten will, als Anführer eines Staatenblocks, der den ganzen Kontinent abdeckt, den weltgrößten Markt und ein Weltgeld wie den Dollar beherbergt. Also sind auch die Partner mit Haut und Haaren drin. Sie haben immerhin auch etwas davon, eben eine Mitgliedschaft in einem großartigen, mächtigen Club, den Deutschland anführt, und falls ihnen das nicht einleuchtet, weil die Ziele und Notwendigkeiten dieses Clubs maßgeblich in Berlin bestimmt werden, dann haben sie immer noch den ‚Frieden in Europa‘. Der ist offenbar keine Selbstverständlichkeit in dieser Wertegemeinschaft, doch immerhin sind damit alle Fragen danach, was die Partner in und von diesem Frieden haben, vollumfänglich beantwortet.

 

Und Deutschland lässt weder sie noch den Rest der Welt eine Sekunde lang im Unklaren darüber, welche Verantwortung es mit einem friedlich vereinigten Europa in der Welt übernehmen will.

2. Handelspolitik für uns und den Rest der Welt

Deutschland will mehr Freiheit auf dem Globus: für Handel und Investitionen, die europäische Kapitale in größerem Maße machen können sollen. Es will mehr Wachstum für europäische Standorthüter, die daraus ihre Machtmittel beziehen, und von dem sich auch die normalen, lohnabhängigen Leute einige Arbeitsplätze versprechen dürfen – die brauchen sie laut ihrer Führung so sehr, dass sich jede Frage von selbst verbietet, was sie davon haben. Mehr Freiheit sollen Europas Kapitalisten zunächst in Amerika finden, wo auch und gerade der Markt von einzigartiger Größe ist. Dass dieses Mehr an Freiheit mit einem Mehr an Konkurrenz einhergeht, scheint deutschen Verantwortungsträgern keine Sorgen zu bereiten, was angesichts der überragenden Wettbewerbsfähigkeit, von der schon die Rede war, nicht zu überraschen braucht. Der deutsche Standorthüter ist sich der Größe und der Schlagkraft seiner Kapitale, ihrer Freiheit im Umgang mit der deutschen Arbeiterklasse so sicher, dass er die gewachsene Freiheit der Konkurrenz um Marktanteile mit mehr Marktanteilen für deutsche Kapitale einfach gleichsetzt. So überzeugt sind deutsche Politiker von der Erfolgstüchtigkeit ihrer Kapitalisten, dass ihnen tendenziell alles, was die USA und auch sie selber über die Jahre an Regulierungen und ‚Standards‘ geschaffen haben, wie ein Haufen potenzieller Hindernisse für mehr Erfolg erscheint.

Die Bewohner von Merkels Land mögen beim TTIP vor allem an die Freiheiten denken, die den USA und ihren Kapitalisten eingeräumt werden; sie mögen sich in Vorstellungen darüber ergehen, was ihnen demnächst alles auf dem Teller landet, und bei ihrer politischen Führung auf Schutz der europäischen ‚Standards‘ beharren, deren Güte in dem Maße zu wachsen scheint, wie sie abgebaut zu werden drohen. Die politische Führung selbst schaut jedenfalls weit über die Tellerränder ihrer Schützlinge hinaus: Das Abkommen trägt zwar das Wort ‚transatlantisch‘ im Titel, aber Deutschlands Verantwortungsträger nehmen dabei längst den ganzen Weltmarkt ins Visier. Das Abkommen selbst mag nach Auskunft des Wirtschaftsministers sogar inzwischen ‚tot‘ sein, sehr lebendig bleibt dagegen die Absicht, den Handel und Wandel auf dem ganzen Globus mit einem Regelwerk zu überziehen, das eine eindeutig deutsch-europäische Handschrift trägt. TTIP, CETA etc. sind nur Schritte zum Ziel, über dessen Notwendigkeit deutsche Handelspolitiker keinen Zweifel aufkommen lassen. Sie wissen nämlich und sagen es ihren Bürgern auch laut und deutlich, dass ohnehin alles, was auf den Feldern blüht, auf die Esstische der Nation kommt und an Arbeit und Verdienst im Lande überhaupt stattfindet, durch die Konkurrenz der Kapitale auf dem Weltmarkt bestimmt wird. Zum Erfolg in der gehört offenbar mehr als ein entsprechender Umgang mit der heimischen Arbeiterklasse, von wegen ‚Hausaufgaben‘ und so. Wenn der deutsche Wirtschaftsminister angesichts der nach seinem Geschmack zu zahlreichen Anti-TTIP-Demonstranten über die nach seinem Geschmack zu kleine europäische Bevölkerung seufzt und so prägnante Sätze von sich gibt wie: „Der Welthandel wächst, wir schrumpfen!“, dann drückt er entsprechend volkstümlich aus, wofür die deutsch-europäische Bevölkerung überhaupt da ist: Sie ist Verfügungsmasse – dazu da, ihren Staaten das nötige ‚Gewicht‘ zu verleihen, das sie für ihre ökonomischen Zwecke in aller Welt brauchen. In seinem einfachen Satz bringt Gabriel den Dreischritt unter, der die gesamte deutsche Handelspolitik leitet: Die Größe der Bevölkerung steht für die Größe des Markts, der größer werden muss; je größer der Markt, desto wuchtiger unsere Kapitale, die sich in dem durchsetzen und durchzusetzen haben; desto größer auch die Erpressungsmacht, mit der Deutschland allen anderen Staaten auf der Welt gegenübertreten kann. Denn dann lassen sich Handelsbedingungen durchsetzen, die unseren Erfolg garantieren, damit die anderen uns nicht zuvorkommen. In einem Freihandelsbündnis mit den Amerikanern ließen sich nämlich gewisse aufstrebende fernöstliche Länder, die uns bei unserem Programm seit Längerem in die Quere kommen, ein ganzes Stück kleiner machen. Doch so sicher deutsche Handelspolitiker sind, dass in der weltweiten Konkurrenz nun einmal das Prinzip ‚fressen oder gefressen werden‘ gilt, so sicher sind sie sich auch, dass eine weltweite Handelsordnung in europäischer Verantwortung nicht nur Europas Kapitalisten und Lohnabhängigen gut tut, sondern auch den Verbrauchern und Menschen der ganzen Welt: Die wären ja sonst den Standards der anderen ausgesetzt. Für diesen Dienst an der Welt muss natürlich eine Bedingung erfüllt werden, und auf der dürfen Deutschlands besorgte Bürger ihrer politischen Führung gegenüber in welcher volkstümlichen Übersetzung auch immer beharren: Die vereinbarten Standards müssen wirklich unseren Erfolg gewährleisten, nicht den der anderen.

Schließlich haben wir mit unserem Erfolg auch noch die Welt zu retten.