einfach unverschämt zuversichtlich

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
einfach unverschämt zuversichtlich
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Monika Egger, Jacqueline Sonego Mettner (Hg.)

einfach

unverschämt

zuversichtlich

FAMA – 30 Jahre feministische Theologie

TVZ

Theologischer Verlag Zürich

Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz sowie der Reformationsstiftung.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung: Simone Ackermann, Zürich, unter Verwendung der Fotografie einer Skulptur von Margot Güttinger

ISBN 978-3-290-17752-2 (Buch)

ISBN 978-3-290-17794-2 (E-Book)

|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf die gedruckte Ausgabe.

© 2014 Theologischer Verlag Zürich

www.tvz-verlag.ch

Alle Rechte vorbehalten

|5|6|

Die mit Tränen säen – mit Jubel

werden sie ernten.

Da gehen sie, sie gehen und weinen

und tragen den Beutel zum Säen.

Da kommen sie, sie kommen mit Jubel

und tragen ihre Garben.

Psalm 126,5.6

|7|

Inhaltsverzeichnis

Jacqueline Sonego Mettner und Moni Egger

einfach unverschämt zuversichtlich

Silvia Strahm Bernet und Doris Strahm

30 Jahre FAMA

Leidenschaft für das Leben

Erkundungen zu Spiritualität

Moni Egger

Fragiler Ball deiner Liebe. Tango mit Gott

Antoinette Brem

«Sei du dein und ich werde dein sein». Zur Spiritualität des Coming-out

Vreni Schneider Biber

Spiritualitätsboom ohne Erotik

Isabelle My Hanh Derungs

Gott ist immer Gott

Esen Leyla Esendal

Nahrung aus der «Quelle des Lebens». Erinnerung an eine Kindheit in der Türkei

Die leere Kammer oder das, was unser Leben offen hält

Zur Frage nach Gott

Dorothee Dietrich

Eigentlich

Li Hangartner

Gott

Doris Strahm

… aber ich glaube daran

Magdalene L. Frettlöh

Gott Gewicht geben

Gisela Matthiae

Beziehungsweise … Einige kritische Anmerkungen zu relationalen Gottesvorstellungen

Jacqueline Sonego Mettner

SternMenschen |8|

Der wundeste Punkt im Christentum

Kreuz und Christologie

Silvia Strahm Berner

Weihnachtsgedanken angesichts meines Kindes

Doris Strahm

Der springende Punkt: Die Göttlichkeit Jesu

Ursula Vock

Die Gekreuzigte

Regula Strobel

Der Beihilfe beschuldigt. Kreuzestheologie auf der Anklagebank

Tania Oldenhage

Die Wehenschmerzen Jesu

Ulrike Büchs

Der Ausgezogene

Funken schlagen aus dem alten Felsen

Die Heilige Schrift

Karin Klemm

Öl lässt sich nicht teilen. Das Gleichnis von den zehn jungen Frauen (Mt 25,1–12)

Ruth Wirz

Gegen den Strom zur Quelle hin

Christine Stark

«Ich will dich vor allen entblössen!». Eine abstossende Bibelstelle

Marianne Wallach-Faller

Mit der Tora ringen, bis sie Antwort gibt. Eine jüdisch-feministische Hermeneutik der Heiligen Schriften

Moni Egger

Schlafende Väter beissen nicht. Noah, Lot und ihre Kinder (Gen 9,18–29 und Gen 19,30–38)

Regula Strobel

Brot, nicht Steine. Elisabeth Schüssler Fiorenzas Hermeneutik in der Pfarreiarbeit

Brigit Keller

Frau Lot, «schnür deinen Schuh»

fragile

Brüche und Hoffnungen |9|

Dorothee Sölle

Gottes Schmerz teilen

Mirjam Neidhart

Meggiy geht zurück in den Kongo

Jacqueline Sonego Mettner

Ganz brüchig. Ein behutsames Lob der Brüchigkeit

Helga Kuhlmann

Abschied von der Perfektion. Zur gegenwärtigen Bedeutung von Rechtfertigungstheologie

Li Hangartner

Gotteskindschaft. Liebe macht bedürftig, aber nicht unerwachsen

Jacqueline Sonego Mettner

Das ganze Leben – vor und nach dem Tod

«Damit es anders anfängt zwischen uns allen» (Hilde Domin)

Feministische Landung in Alltag und Politik

Barbara Seiler

C. B. – eine Heldin entsteht

Béatrice Bowald

Nachdenkliche Marktgängerin. Überlegungen zum bedingungslosen Grundeinkommen

Christa Schnabel

Gerecht sorgen. Zur Fürsorge als Schlüsselbegriff feministischer Ethik

Anna Gogl

Das Intime in der Pflege

Tania Oldenhage

Feministisches zum Ultraschall

Stoff

Verwobene Identität

Emel Zeynelabidin

Der Aufstand der Locken. Gedanken zur Enthüllung

Kerstin Rödiger

Im Verborgenen werden wir bekleidet. Spinntabu und Arbeitsfleiss

Monika Hungerbühler

Meine Liebe zum Stoff. Gedankenfäden zu Textilien und Text

Aufeinander zugehen, um zu verstehen

Schwestern über Kontinente |10|

Zeedah Meierhofer-Mangeli

Ich möchte etwas anderes erzählen. Gedanken zu Rassismus, Kolumbus und mir

Reinhild Traitler

Schwestern über Kontinente. Tagebuchnotizen zur EATWOT Frauenkonferenz in Costa Rica

Rebekka Grogg

«Die Anderen» anders sehen. Das Europäische Projekt für Interreligiöses Lernen (EPIL)

Immer noch und immer wieder anders

Feminismus in Theologie und Gesellschaft

Antje Schrupp

Backlash? Feminismus in Zeiten der Emanzipation

 

Doris Strahm

«Damit es anders wird zwischen uns». Frauen im interreligiösen Dialog

Ina Prätorius

Wie kriege ich gnädige Mitstreiterinnen?

Katherina von Kellenbach

Volle Ernte oder leerer Krug? Feministische Theologie im Wandel

Christina Thürmer-Rohr

Albtraum Utopie

Silvia Strahm Bernet

Auf Stelzen gehen

Margrit Marberger

Feministische Theologie auf dem Land

Luzia Sutter Rehmann

Landnahme. Reflexionen einer Übersetzerin der «Bibel in gerechter Sprache»

Autorinnen

Fussnoten

Seitenverzeichnis

|11|

einfach unverschämt zuversichtlich

Deshalb sind wir davon überzeugt, dass die feministische Theologie, auch wenn sie vielfältig und uneinheitlich ist, in ihrem Suchen und Fragen eine Glaubwürdigkeit aufweist, die kritische und denkfreudige Menschen in traditioneller Theologie und Kirchlichkeit nicht mehr finden.

Die «Hoch-Zeit» der frauenkirchlichen Bewegung ist vorbei. Als FAMA-Redaktorinnen liegt uns das Klagen darüber fern. Wir sehen das neue Interesse an Religion und meinen, dass all diejenigen, die sich weder von fundamentalistischen noch von esoterischen Angeboten beeindrucken lassen, sich mit Gewinn mit der feministischen Theologie auseinandersetzen. Dieses Buch lädt dazu ein.

Es ist nur eine kleine Auswahl aus möglichen, immer noch anregenden und wichtigen Beiträgen in diesem Buch versammelt. Die Auswahl kam in einem zweistufigen Verfahren zustande. Zunächst lasen je zwei Kolleginnen jeweils fünf FAMA-Jahrgänge und markierten die Beiträge, welche sie gerne noch einmal veröffentlicht gesehen hätten. In einem zweiten Durchgang dann war es an uns Herausgeberinnen, die definitive Auswahl für diesen Band zu treffen. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei unseren aktuellen FAMA-Kolleginnen in der Redaktion, Jeannette Behringer, |12| Béatrice Bowald, Esther Kobel, Tania Oldenhage, Simone Rudiger, Christine Stark und Ursula Vock für diese Mitarbeit im Besonderen und für die wunderbare Zusammenarbeit im Allgemeinen in der FAMA-Redaktion. Unser Dank gilt auch Kerstin Rödiger, Sabine Scheuter, Susanne Wick und Katja Wißmiller, die als «zugewandte Orte» bei der Auswahl beteiligt waren.

Leitend für die Auswahl war weniger die Bedeutung der Texte als historische Zeugnisse der Frauenkirche oder kirchlichen Frauenbewegung. Die FAMA-Geschichte ist reich an Stellungnahmen zu diesbezüglichen frauendiskriminierenden Entscheiden, vor allem seitens der römisch-katholischen Kirche. Entscheidend war für uns die Relevanz für heutiges Fragen und Weiterdenken. Weder die tausendste Begründung für die Biblizität des Priesteramtes für Frauen noch eine Auseinandersetzung mit den Ängsten vor einer sogenannten «Feminisierung» der Kirche haben uns für das Buch interessiert. Wir möchten zeigen, was feministisch-theologisches Denken und Fragen heute weit über die Ränder der Kirchen hinaus zu sagen hat.

Ein grosser Dank gilt unseren Autorinnen, die einer nochmaligen Veröffentlichung ihrer Beiträge, teilweise gekürzt, zugestimmt haben. Ihnen verdanken wir eine wunderbare Mischung aus sehr persönlichen und grundsätzlichen systematisch-theologischen Beiträgen, beispielhafte Miniaturen biblischer Textarbeit, Nachdenkliches zu gesellschaftlichen Fragen, Bedeutsames aus jüdischer und islamischer Perspektive, nicht-theologische Beiträge und vieles mehr.

Es hätte leicht zwei Bände geben können. Neugierige verweisen wir auf unsere Homepage www.fama.ch. Die meisten FAMAs können als Einzelhefte noch bestellt werden.

Danken möchten wir an dieser Stelle den Gründerinnen der FAMA: Monika Berger, Monika Hungerbühler, Cornelia Jacomet, Carmen Jud, Silvia Strahm Bernet, Doris Strahm und Regula Strobel. An ihren Tischen und in ihren Köpfen entstanden – einfach unverschämt zuversichtlich – die Idee und das Projekt FAMA, mitsamt dem lateinischen Namen vom Gerücht, das aufhorchen und fragen lässt: Gibt es das, Gerechtigkeit für alle Menschen, Frauen und Männer, Frieden, der mehr ist als Abwesenheit von Gewalt, Liebe, die gross macht? Und was kann ich, was können wir dafür tun?

Wir danken Marianne Stauffacher vom TVZ, die dieses Buch leider nicht bis zu seiner Veröffentlichung begleiten konnte, und Lisa Briner, ihrer Nachfolgerin, die uns mit Rat und Tat, vor allem auch mit einem hervorragenden Lektorat zur Seite stand. Glücklich sind wir über die Plastik der Künstlerin Margot Güttinger, die sie uns für die Gestaltung des Buches zur Verfügung gestellt hat und die treffender nicht sein könnte für unseren Titel «einfach unverschämt zuversichtlich».

Jacqueline Sonego Mettner und Moni Egger

Meilen und Thalwil, 19. Januar 2014

|13|

30 Jahre FAMA

Stellen Sie sich vor: Eine autonome feministisch-theologische Zeitschrift, allein durch Abonnemente und Spenden finanziert, weitgehend ehrenamtlich produziert, ökumenisch und interreligiös ausgerichtet, die aktuelle Themen aufgreift mit ungewohnten Blickwinkeln. Sie existiert noch immer, fast 30 Jahre nach ihrer Gründung, und hat sogar einen Generationenwechsel geschafft. Eigentlich nicht möglich, oder? Und doch ist es so: Es gibt sie noch, und sie ist höchst lebendig! Das muss einen unverschämt zuversichtlich stimmen.

Mehr noch, die FAMA hat es nicht einfach geschafft, die Jahrzehnte zu überdauern, nein: Sie hat ihre Frische behalten, ihren Elan und ihre Neugier und stellt weiterhin – nun in den Händen einer jüngeren Generation – unbequeme, anregende und uns alle umtreibende Fragen und sucht nach vorläufigen Antworten.

Die FAMA – sie hat etwas Famoses und sie ist ein etwas verrücktes Projekt, so verrückt wie vor dreissig Jahren die Idee dreier katholischer feministischer Theologinnen, eine Gewerkschaft zu gründen. Ihr Ziel: die Interessen und Forderungen feministischer Frauen gegenüber der patriarchalen römisch-katholischen Kirche zu vertreten und durchzusetzen. Was von dieser Idee übrig blieb, wir sagen es heute etwas verschämt, war das «Bulletin der theologischen Frauen-Web- und Werkstatt», das von 1983–1985 viermal jährlich in einer Auflage von 300 Exemplaren erschien.

Gut, der Name ist (uns) vielleicht heute etwas peinlich. Nicht jedoch das, was wir taten. Wir haben gewoben, Netze unter Frauen, tragfähige Gedanken, um nicht ganz den Boden unter den Füssen zu verlieren, und noch viel mehr haben wir gesponnen: «grössenwahnsinnige» Ideen und weltverändernde Theorien entwickelt, Traditionen in Frage gestellt, Utopien entworfen, gemäss der Maxime von Christa Wolf, «einmal im Leben, zur rechten Zeit, sollte man an Unmögliches geglaubt haben». Scheinbar Unmögliches möglich gemacht haben wir, indem wir ohne finanzielle Sicherheit den Schritt vom hektografierten Web- und Werkstatt-Blättchen zu einer richtigen gedruckten Zeitschrift wagten. Der dafür gewählte Name FAMA – lateinisch «Gerücht, öffentliche Meinung, guter oder schlechter Ruf, Ruhm» – war Programm: Wir wollten uns einmischen in die öffentliche Diskussion, Themen aufgreifen, die in der kirchlich-theologischen Männerpresse keinen Platz hatten, feministische Positionen formulieren und verbreite(r)n.

Acht junge Frauen um die Dreissig haben das feministisch-theologische Zeitungsprojekt 1985 mit viel Begeisterung gestartet. Redaktionssitzungen bei den einzelnen zu Hause, Befindlichkeitsrunden mit persönlichem Auf und Ab, Wochenenden zur Themenfindung und Teambildung, spannende und auch kontroverse inhaltliche Debatten, aufwendige Redaktionsarbeit und Korrekturlesen – all dies war für Jahrzehnte ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. In diesen Jahren wurden Kinder geboren |14| und grossgezogen, Ehen geschlossen, andere geschieden, unterschiedliche berufliche Laufbahnen eingeschlagen, Weiterbildungen gemacht und Dissertationen geschrieben. Bei allen Veränderungen beruflicher und persönlicher Art blieb die FAMA eine Konstante in unseren Leben. FAMA – das hiess nicht nur viel ehrenamtliche Arbeit, sondern bedeutete vor allem: intellektuelles Vergnügen und lustvolles Debattieren. Und es hiess auch, in der Zeit zwischen den Sitzungen all das zu sammeln, was uns aufmerksam werden liess und aus unserer feministischen Optik analysiert werden wollte. Das schärfte unsere Aufmerksamkeit auch während den Sitzungspausen und liess ungewohnte und überraschende Zugänge zu Themen entstehen. Nie hatten wir zu wenig Denk-Stoff, und nie ist uns bei aller ernsthaften Analyse bedrückender Realitäten das Lachen vergangen. So war das vernünftige Argument zwar immer zentraler Inhalt der FAMA, aber wenn immer möglich gewürzt mit Witz und Ironie.

Bald war die FAMA mehr als ein Gerücht und hatte sich einen guten Ruf und einen gewissen Ruhm erarbeitet, scheidende Redaktorinnen konnten problemlos ersetzt werden, reformierte Theologinnen kamen hinzu, die Administration wurde ausgelagert und bezahlt, das Layout nicht mehr selbst von Hand geklebt, sondern von einer professionellen Layouterin gestaltet, und den Autorinnen konnte ein kleines Honorar ausbezahlt werden.

Während die Zeitschrift immer eher an einem Mangel an Geld litt, hatten wir stets Ideen im Überschuss. Für die Planung der vier Themenhefte im Jahr kamen wir mit 80 Ideen an. An Phantasie fehlte es den Redaktorinnen damals wie heute nicht. Die unterschiedlichen beruflichen Umfelder und die verschiedenen Temperamente und Charaktere der Redaktorinnen kreierten eine Bandbreite vielfältigster Themen: Schwesternstreit (1985), Keuschheit (1985), Antijudaismus (1991), Conquista (1992), Fatimas Töchter (1994), Lieber barbusig als barfüssig (1996), Hurra, wir leben noch (2000), Loch (2001), Männer (2007), Verwöhnt (2011), in_out (2013), um nur ein paar der bald 120 Themenhefte zu nennen.

Die FAMA hat originelle und überraschende Themen aufgegriffen, sich aber immer auch mit feministisch-theologischen Themen im engeren Sinne befasst wie etwa Pfingsten (1987), Kreuz (1988), Heiliges Feuer (1995), Inkarnation im Frauenleib (1997), Religion – Gewalt – Politik (2002), Kanon (2003), Trinität (2012) und so weiter.

Etwas von dieser Fülle der vergangenen dreissig Jahre wird in diesem Buch in neun Kapiteln vorgestellt. Sie geben Einblick in Stationen, Entwicklungen und Facetten feministisch-theologischer Denkarbeit und konkreter Handlungsfelder. Wir hoffen, dass beim Lesen der ausgewählten Beiträge aus 30 Jahren FAMA mehr deutlich wird, als die Zeit, die vergangen ist – aha, das hat die Frauen damals beschäftigt: wie interessant, kurios, eigenartig … na ja, da sind wir heute doch an einem ganz anderen Ort. Sicher, es hat sich vieles verändert, aber so vieles denn leider auch wieder nicht. Feministische Theologie fristet noch immer ein Mauerblümchendasein an den theologischen |15| Lehranstalten, von feministischer Aufbruchsstimmung und Frauenpower ist nicht mehr viel zu spüren, und manches, wofür wir gekämpft haben, ist schon wieder verschwunden wie etwa kirchliche Frauenstellen, die allenthalben abgeschafft werden.

So ist zu hoffen und zu wünschen, dass die FAMA weiterhin ein gutes Gerücht bleibt, dass sie zu denken und zu reden und weiterzuerzählen gibt. Wie die geflügelte Göttin, als die sie in der darstellenden Kunst erscheint, möge sie sich ihre Flügel nicht durch den scharfen Gegenwind und durch das nur schwer zu überwindende gesellschaftlich-kirchliche Desinteresse an feministisch-theologischen Fragen stutzen lassen. Aber die FAMA ist ja noch jung. Erst 30 Jahre alt. Und das stimmt uns unverschämt zuversichtlich!

Silvia Strahm Bernet und Doris Strahm

|16|

 

Leidenschaft für das Leben

Erkundungen zu Spiritualität

«Mich macht die Musik und die

Atmosphäre an bestimmten Orten,

wo Spiritualität vermarktet und

feilgeboten wird, kribblig.»

Barbara Lehner

in FAMA 3/1999: «Erkundungen zu Spiritualität» |17|

|18|

|19|

Fragiler Ball deiner Liebe

Tango mit Gott

Moni Egger

Schon wieder bist du mir abhanden gekommen. Klammheimlich. Erst jetzt bin ich aufgeschreckt und suche dich. Dabei erzähle oder schreibe ich fast täglich von dir. Aber ach, ich kann dich nicht halten. Und ich verliere mich ohne dich. Das hab ich mir anders vorgestellt – wenn doch jetzt Tag für Tag du mein Thema bist, hab ich gehofft, dass unsere Beziehung stabiler würde, weniger flüchtig. Aber es geht wohl nicht nebenbei, en passant. Ich muss mich von innen her und ganz bewusst um dich in mir kümmern, damit ich uns beide nicht verliere. Muss meine Füsse fühlen, wie sie den Boden tasten. Muss mein Zentrum fühlen, in meiner eigenen Achse bleiben, selbst stehen, damit ich mich führen lassen kann von dir. Ich halte, so gut es geht, das Gleichgewicht, Stabilität trotz hohen Absätzen. Du! Tanz mit mir. Tanz wieder! Ich bin bereit. Meine Schuhe glitzern, mein Herz – bitte, wart nicht so lang, komm auf mich zu! Schau mich an, nimm mich in den Arm, tanz mit mir! Und ich will auf dich lauschen. Will und werde fühlen, wo du mich hinführst. Werde meine Schritte setzen, selbst und stark und stabil. Werde nicht wanken. Werde in meiner Achse bleiben oder, wenn’s die Musik erlaubt, mein Zentrum aufgeben und mich auf unsere gemeinsame Mitte verlassen. Wenn wir uns finden, wird der Tanz schwerelos. Voll Energie, lebendig bis ins Innerste, lebendig bis in die äusserste Faser. Unser Tanz, ein «lustiger Ball deiner Liebe» (Madeleine Delbrel):

Will einer ein guter Tänzer sein, mit dir oder sonstwie, darf er nicht wissen, wohin es führt. Nur folgen muss man, aufgelegt sein und schwerelos, und vor allem sich nicht versteifen. Man soll dir keine Erklärungen abverlangen über die Schritte, die du zu tun beliebst, sondern sein wie eine Verlängerung deiner, behende und wendig, und durch dich hindurch den Takt des Orchesters aufnehmen. Man darf nicht um jeden Preis vorankommen wollen, sondern soll zufrieden sein, sich zu drehen, seitwärts zu steppen, anzuhalten, wenn nötig, und zu gleiten, anstatt zu schreiten. Und all das wären nur idiotische Schritte, machte nicht die Musik daraus eine Harmonie. Wir hingegen vergessen die Musik deines Geistes, und machen aus unserem Leben eine Turnübung; wir vergessen, dass es in deinen Armen getanzt wird, dass dein |20| Heiliger Wille von unvorstellbarer Phantasie ist, dass es monoton und langweilig nur für ältliche Seelen zugeht, die als Mauerblümchen sitzen am Rand des lustigen Balls deiner Liebe.1

Tango ist Seiltanz zwischen Folgen und Selbstbestimmung. Tango verlangt, genau wie du, ganze Hingabe bei vollkommenem Bei-mir-Sein. Leichtigkeit und Bodenhaftung. Ich lasse mich führen. Und ich tanze selbst. Grundbedingung 1: der Boden. Ich muss mich auf den Boden einlassen, mich seiner Beschaffenheit anpassen. Oder vielleicht die Schuhe wechseln. Oder aufhören zu tanzen. Grundbedingung 2: die Musik. Ganz ähnlich, aber emotionaler und darum noch schwieriger damit umzugehen. Manchmal genügt es, einen Tanz auszulassen. Manchmal aber gibt es lange Phasen, da erreicht die Musik mich nicht und ich kann mich zu keinem eigenen Schritt aufraffen. Grundbedingung 3: das Gegenüber. Ich bin zunächst Geführte, Empfangende, aber Führen und Folgen verschwimmen. Meine allerwichtigste Aufgabe ist, in meiner eigenen Achse zu bleiben, fest auf meinen Füssen zu stehen. Dabei die Impulse von Musik und Gegenüber als Bewegungen aufnehmen, leicht werden und standfest zugleich, mich in die Fliehkraft angstlos hineingeben, Nähe nicht scheuen. Grundbedingung 4: die anderen. Für den perfekten Tanz gehören die anderen mit dazu. Alle Paare auf der Fläche tanzen nicht nur den eigenen, sondern auch den gemeinsamen Tanz.

Manchmal stimmt alles zusammen und die Zeit setzt aus. Aber wie oft … seufz. Verletzlich bin ich. Mir ausgesetzt. Den Blicken ausgesetzt. Den Energien. Den Männern, die die Nähe ausnutzen, deren Arme wie Schraubstöcke sind. Verwundungsgefahr. Ich bin offen, ganz da und so leicht zu verletzen. Eine härtere Schale aber will ich nicht. Das macht Mauerblümchen. Ich aber will nicht zuschauen, ich will tanzen. Komm! Rühre mich an, fordere mich auf, nimm meine Einladung an!

Nun habe ich mich wieder ein Stücklein an dich herangeschrieben. Du, du, du. Mein Boden, meine Musik, meine Führung. Du, die du mir Raum lässt, die du mich auf die Füsse stellst. Tanz mit mir.

Erschienen in FAMA 4/2012: «fragil»

|21|