Der Televisionär

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Der Televisionär
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Über das Buch

Wolfgang Menge (1924-2012) war einer der wichtigsten Drehbuchautoren der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Fernsehspiele wie »Die Dubrow-Krise«, »Das Millionenspiel« oder »Smog« schrieben TV-Geschichte, Serien wie »Stahlnetz«, »Ein Herz und eine Seele« oder »Motzki« begeisterten und provozierten ein Millionenpublikum. Als Talkshow-Gastgeber wurde Menge zu einem der prominentesten Köpfe des Fernsehens – als Verfasser von Hörspielen, Theaterstücken und Kinofilmen, Romanen und Sachbüchern erprobte er transmediales Schreiben.

Dieser Band verbindet kritische mit dokumentarischen Perspektiven und versammelt Analysen seines Werks, Zeugnisse von Weggefährten sowie historische Schlüsseltexte über und von Wolfgang Menge.

Herausgegeben von

Gundolf S. Freyermuth (Prof. Dr. phil.) ist Gründungsdirektor des Cologne Game Lab der TH Köln. Er lehrt dort Media and Game Studies sowie Comparative Media Studies an der ifs internationale filmschule köln.

Lisa Gotto (Prof. Dr. phil.) ist Professorin für Filmgeschichte und Filmanalyse an der ifs internationale filmschule köln sowie für Media and Game Studies am Cologne Game Lab der TH Köln.

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung von Fuego oder den Autoren in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2016 by Gundolf S. Freyermuth

Eine gedruckte Ausgabe sowie eine PDF-Version dieses Buchs sind im transcript Verlag (Bielefeld) erhältlich (http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3178-4/der-televisionaer).

Für die vorliegende ePub-Edition

© 2016 FUEGO

www.fuego.de

eISBN 978-3-86287-197-1

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Inhalt

Vorwort

Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto

I Leben und Werk

Wolfgang Menge: Authentizität und Autorschaft

Gundolf S. Freyermuth

II Kritische Perspektiven: Literatur, Radio, Film, Fernsehen

Wolfgang Menge – in seinen Büchern

Barbara Naumann

»Rednaxela dnu Nairda«

Wolfgang Hagen

Modulation und Hybridität

Ivo Ritzer

Was der Fall sein könnte

Lisa Gotto

Kollektive Zivilisationsängste

Klaudia Wick

Experimentelles Fernsehen

Lorenz Engell

Subversion durch Transparenz

Stefan Münker

Komplexes Fernsehen 1974

Jens Ruchatz

III Dokumentarische Perspektiven: Texte, Porträts, Gespräche, Erinnerungen

»Nun steigen Sie doch endlich ein!«

Sabine Hering

Land des müden Lächelns

Wolfgang Menge

Das Wiedersehen

Wolfgang Menge

Halloh Nachbarn!

Wolfgang Menge

Zeitvertreib

Wolfgang Menge

Die Stimme der Kritik

Friedrich Luft

Mein Mann

Marlies Menge

So isst die Rote Garde

Wolfgang Menge

»Wolfgang Menge war mein erster Autor«

Günter Rohrbach im Gespräch mit Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto

Der verkaufte Käufer

Wolfgang Menge

»Das mit der Familie ist nun mal passiert«

Hermann Schreiber

»Menge war ein Visionär«

Gunther Witte im Gespräch mit Lisa Gotto und Wolfgang Hagen

Antworten auf den FAZ-Fragebogen

Wolfgang Menge

Der Würfel

Gottfried Boettger

»... weil das Risiko Spaß macht«

Wolfgang Menge

»Da haben wir zusammen geweint ...«

Gisela Marx im Gespräch mit Gundolf S. Freyermuth und Stefan Münker

Knopf an der Backe

Wolfgang Menge

Der Geschichte(n)erzähler

Gundolf S. Freyermuth

Sie tanzten nur einen Abend

Michael Schmid-Ospach

Schiller

Wolfgang Menge

Schalom

Wolfgang Menge

Beschäftigt mit dem Gang der Welt

Regine Sylvester

»Hauptsache, ich bin nicht zu Hause«

Wolfgang Menge im Gespräch mit Günter Gaus

Das letzte Foto

Hans Janke

Werkverzeichnis

Carmen Schneidereit

Autorinnen und Autoren

Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto

Wolfgang Menge (1924-2012) war einer der einflussreichsten Drehbuchautoren der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Fernsehspiele wie Die Dubrow-Krise (1969), Das Millionenspiel (1970) oder Smog (1972) schrieben TV-Geschichte, Serien wie Stahlnetz (1958-1968), Ein Herz und eine Seele (1973-1976) oder Motzki (1993) begeisterten und provozierten ein Millionenpublikum. Im Titel und Untertitel dieses Bandes wird Menge nun zum einen als Televisionär und zum anderen als transmedialer Autor charakterisiert. Beide Behauptungen bedürfen einer Begründung.

 

Television bedeutet Weitsicht. Von ihr zeugt Wolfgang Menges umfangreiches Werk. Denn es verbindet realistische, weil recherchierte und faktisch begründete Ein- und Hellsicht mit einem erzählerisch-imaginierenden Blick, der in der Gegenwart die Vorausandeutungen der Zukunft zu erspüren vermag. Solch televisionäre Qualitäten bewies Menge zudem in einer Vielzahl von Medien: als Autor journalistischer Berichte und literarischer Reportagen, als Romancier, als Verfasser von Sach- und Kochbüchern, als Hörspielautor und Dramatiker, als Autor von Drehbüchern für Kinofilme, Fernsehspiele und Fernsehserien und last but not least als souverän auftretender Talkshow-Gastgeber. Seine nicht nur außerordentlich erfolgreiche, sondern im zeitgenössischen Vergleich höchst ungewöhnliche Autorschaft zeichnete aus, dass sie die in der professionellen Produktion etablierten Me­diengrenzen nicht akzeptierte und wenn nicht dieselben, dann ähnliche und vergleichbare Interessen über eine Vielzahl medialer Ausdrucksformen hinweg verfolgte. Damit operierte Menge – im Rückblick aus der digitalen Gegenwart betrachtet – als transmedialer Autor avant la lettre.

Seine Werke, tief in den Zeiten ihres jeweiligen Entstehens verhaftet, bieten so einerseits einen Schlüssel zur Medien- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Andererseits weisen sie televisionär auf gesellschaftliche Themen und mediale Entwicklungen voraus, die sich erst Jahrzehnte später realisieren sollten und zum Teil erst in unserer Gegenwart realisieren.

*

Der Band gliedert sich in drei Kapitel: »Leben und Werk«, »Kritische Perspektiven: Literatur, Radio, Film, Fernsehen« sowie »Dokumentarische Perspektiven: Texte, Porträts, Gespräche, Erinnerungen«. Den Auftakt macht Gundolf S. Freyermuths programmatischer Beitrag, der Wolfgang Menges Biographie medienhistorisch kontextualisiert und medientheoretisch reflektiert. Er gibt die Leitlinie der Publikation vor, indem er die Stationen von Wolfgang Menges Lebensweg mit den Entwicklungsstadien seines Medienschaffens verbindet und dabei die komplexen Relationen von gesellschaftlichen Verhältnissen und medialen Verständnissen auffächert und entfaltet.

Der große Bogen des ersten Teils wird im zweiten ergänzt durch acht Beiträge, die sich auf Wolfgang Menges Wirken in den Einzelmedien konzentrieren. Das Kapitel ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit Barbara Naumanns Untersuchung von Menges Beziehung zu Literaturen und Lektüren. Daran anschließend spürt Wolfgang Hagen den Hörfunkanfängen Wolfgang Menges nach, und Ivo Ritzer befasst sich mit den medienkulturellen Implikationen von Menges Edgar-Wallace-Filmen. Die darauf folgenden fünf Beiträge beschäftigen sich mit Wolfgang Menges Arbeiten im und für das Fernsehen. Lisa Gotto betrachtet Wolfgang Menges Fernsehspiele als spekulative Anordnungen, Klaudia Wick analysiert sie als frühe Formen des Reality-TV. Lorenz Engell setzt sich mit experimentellen Verfahren der Television auseinander und richtet den Blick dabei auf Wolfgang Menges erfolgreichste Fernsehserie Ein Herz und eine Seele. Abschließend widmen sich die letzten beiden Beiträge der TV-Talkshow III nach 9: Stefan Münker diskutiert sie als innovativen Ausbruch aus der Sende-Routine, und Jens Ruchatz betrachtet ihre Komplexität aus der ihr zugrunde liegenden und durch sie zum Ausdruck gebrachten Liveness des Fernsehens.

Das dritte Kapitel versammelt, einem Album gleich, Texte von und über Wolfgang Menge. Die Zusammen- und Gegenüberstellung von Originalbeiträgen und Wiederabdrucken umfasst Wolfgang Menges gesamtes Schaffen und bietet eine vielstimmige Dokumentation seines Wirkens mit anderen und seiner Wirkung auf andere. Neben zwei Autoren-Porträts aus Spiegel und Stern sowie den Erinnerungen von und Gesprächen mit Weggefährten – Kollegen, Freunden, Familienmitgliedern – präsentiert das Kapitel ausgewählte Texte Wolfgang Menges: eine Reportage, ein Hörspiel, das Manuskript zu einer Radiosendung, Auszüge aus einem Theaterstück, einem Kochbuch und einem Sachbuch, die erste Episode einer nicht mehr realisierten Sitcom, zudem zwei Reden und ein Interview. So, wie Wolfgang Menge als Autor seine Sujets umkreiste, um zu neuen Erzählweisen zu gelangen, so kann der Leser hier aus den unterschiedlichen Blickwinkeln eine neue Sicht auf vermeintlich Bekanntes gewinnen.

*

Den Nukleus des vorliegenden Bandes bildete eine Forschungskonferenz, die am 10. April 2014 – dem 90. Geburtstag Wolfgang Menges – am Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln stattfand. Sie wurde von Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto geleitet und gemeinsam mit der ifs internationale filmschule köln veranstaltet. Deren Geschäftsführerin Simone Stewens sowie dem Presseteam, insbesondere Miriam Edinger und Uljana Thaetner, danken wir für ihre Unterstützung. Die Plakate und Einladungen entwarf Julia Ziolkowski. Bei der Organisation und Durchführung der Konferenz haben uns Fabian Wallenfels mit organisatorischem Geschick und Holger Buff durch die Erstellung eines Filmtrailers mit Ausschnitten aus Wolfgang Menges Arbeiten tatkräftig geholfen. Der Geschäftsführerin der Film und Medienstiftung NRW Petra Müller, die schon im Jahre 2002 für die erste große Werkschau der Filme Wolfgang Menges im Rahmen der Cologne Conference mitverantwortlich war, haben wir für ihre ideelle und finanzielle Förderung der Konferenz zu danken.


In besonderer Weise verpflichtet sind wir zudem den Zeitzeugen Gisela Marx, Günter Rohrbach, Gunther Witte und Jakob Menge, die wichtige historisch-biographische Informationen beisteuerten. Ihnen und allen Teilnehmern der Konferenz danken wir für ihre Beiträge. Erst auf deren Basis wurde es möglich, das stark erweiterte Konzept dieses wissenschaftlich-dokumentarischen Bandes zu entwerfen.

Realisieren ließ es sich wiederum allein durch das Entgegenkommen einer Reihe von Personen und Institutionen. Erika und Bettina Gaus waren so freundlich, uns den honorarfreien Nachdruck des Fernseh-Gesprächs zwischen Günter Gaus und Wolfgang Menge zu erlauben. Ebenso genehmigten Bloch Erben den Abdruck der ersten Szenen des Theaterstücks Zeitvertreib und das Deutschlandradio den Abdruck des Manuskripts von Friedrich Lufts Sendung Stimme der Kritik vom 17. November 1962 sowie des dazustehenden Fotos. Sabine Hering, Günter Rohrbach, Regine Sylvester und Hans Janke stellten Fotografien aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung, Bertrand Freiesleben Aufnahmen der Büste, die er 2010 von Wolfgang Menge anfertigte, und Karin Rocholl Fotografien, die sie 1987 machte.

Vor allem und vor allen anderen aber gilt unser Dank der Familie Wolfgang Menges, ohne deren großzügige Unterstützung dieser Band so nicht hätte entstehen können. Marlies, Amelie und Jakob Menge halfen uns in vielfältiger Weise, indem sie uns Zugang zum Nachlass ge­währten, zahlreiche Texte Wolfgang Menges und Fotografien für diesen Band bereitstellten und sich immer wieder Zeit für biographische Auskünfte und Recherchen nahmen.

Allen Autoren danken wir für die Textarbeit und die Geduld, die sie angesichts des langwierigen Herstellungsprozesses bewiesen. Unsere studentischen Mitarbeiter David Kade, Sonja Keßler, Daniel Kunkel und Carmen Schneidereit wirkten mit großem Einsatz an der Aufbereitung der Texte für die Druckvorlage sowie an der Bildrecherche mit und haben das Manuskript sehr umsichtig auf Fehler geprüft; das Layout der Druckausgabe ventwarf und besorgte Alexa Wernery. Die vorliegende E-Book-Ausgabe erstellte Leon S. Freyermuth. Die komplexe organisatorische Abwicklung des Forschungsprojekts am Cologne Game Lab leisteten Katharina Tillmanns und Katharina Klimek. Die Film und Medienstiftung NRW förderte die Drucklegung dieses Bandes. Ihnen allen danken wir sehr herzlich.

Weitere Informationen finden sich unter www.dertelevisionaer.com

I Leben und Werk

Wolfgang Menge: Authentizität und Autorschaft

Fragmente einer bundesdeutschen Medienbiographie

Gundolf S. Freyermuth

Als Wolfgang Menge am 10. April 1924 in Berlin geboren wurde, galt der Stummfilm als eine Novität, die noch um ihre kulturelle Anerkennung zu kämpfen hatte, öffentliches Radio war ein gerade sechs Monate altes soziales Experiment, und das Fernsehen existierte nur in Laboren. 88 Jahre später, als er am 17. Oktober 2012 starb, ebenfalls in Berlin, waren weltweit über zwei Milliarden Menschen online und in den fortgeschrittensten Regionen des Planeten überholte die Nutzung des Internets die aller anderen Telekommunikationsmedien. Dazwischen aber – zwischen seiner Kindheit und seinem Alter – dominierten die industrielle Kultur zwei neue Audiovisionen, deren Popularisierung er miterlebte: seit den frühen 1930er Jahren der Tonfilm, seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts dann das Fernsehen.

Dessen Anfänge datieren in der Bundesrepublik Deutschland auf Weihnachten 1952. Mit seiner innovativen Kombination von Fakten und Fiktionen formte die Television wie kein anderes Massenmedium die westdeutsche Gesellschaft, ihre Kultur und Politik. Spätestens in den 1960er Jahren hatte das Fernsehen, in seiner besonderen öffentlich-rechtlichen Verfasstheit, ein gänzlich neues Publikum geschaffen: die Fernsehnation, ein anonymes Millionenkollektiv, das wesentliche Teile seines Tagesablaufs wie auch die Themen privater und öffentlicher Diskurse den Programmen von ARD und ZDF abgewann. Ob nun das erste und einzige Programm lief oder ab 1963 auch das zweite: Die Mattscheibe der frühen Jahre zeigte die Welt aus recht gleicher, aus westlicher Sicht. Sie vermittelte demokratische Werte und stiftete bundesdeutsche Identität. Zu dieser allmählich vergehenden Epoche liefert die Television als Medium daher einen zentralen Schlüssel, nicht zuletzt auch, weil die zeitgenössischen Macher das TV-Programm, das sie produzierten und verantworteten, durchaus auch als Programm im emphatischen Sinne begriffen.

Prominentester und einflussreichster Autor dieser Fernsehnation wurde seit Ende der 1950er Jahre Wolfgang Menge – durch eine Vielzahl kreativer und zugleich populärer Drehbücher zu Fernsehspielen und Fernsehserien, aber auch durch spektakuläre Auftritte als Talkshow-Gastgeber. Dass Menge von dem neuen Massenmedium angezogen und dann in ihm zum Star wurde, scheint mehr als zufällig. Denn er war, was man technikaffin nennt. Schon das erste Geld, das er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Journalist verdiente, gab er – zu einer Zeit, in der die meisten deutschen Autoren mit der Hand schrieben und zu Fuß gingen – für Schreibmaschinen und Autos aus. Vor allem aber liebte er die industriellen Massenmedien. Seine Karriere zeichnete gewissermaßen die Geschichte ihrer technischen Entwicklung nach: Er begann als Printjournalist und arbeitete sich über Radio und Film zum Fernsehen vor, dem damals jüngsten, technisch fortgeschrittensten und organisatorisch offensten, deshalb für ihn spannendsten Medium.

Siegfried Kracauer beschrieb einmal die tiefreichende Interdependenz einer besonderen künstlerischen Begabung mit einerseits zeitgenössischen medialen Fortschritten und andererseits gesellschaftlichen und kulturellen Tendenzen: Der Aufstieg des Komponisten und Impresarios Jacques Offenbach zum zeitgenössischen Medienstar habe erst begonnen, als »sämtliche Voraussetzungen für die Heraufkunft der Operette gegeben« waren.1 In der Konsequenz sei er gleichermaßen von seiner Gesellschaft, der des kurzlebigen Zweiten Kaiserreichs, bewegt worden, wie er diese bewegt habe. Seine Operetten seien »nicht allein der repräsentativste Ausdruck der kaiserlichen Ära, sondern greifen zugleich mit verwandelnder Kraft in das Regime ein. Sie spiegeln ihre Epoche und helfen sie sprengen – zweideutige Projekte eines Künstlers, der auch durch seine Person die Phantasie der Zeitgenossen erregt.«2


Ähnliches lässt sich von Wolfgang Menge sagen. Sein Aufstieg knüpfte sich an ein neues Medium, und auch er war »von einer überaus großen Empfindlichkeit gegen die Struktur der Gesellschaft.«3 In seinem vielfältigen Werk und insbesondere in den Arbeiten für das öffentlich-rechtliche Fernsehen verdichtete er wie in einem Brennspiegel die westdeutsche Gesellschaft und Kultur seiner Zeit. Dabei initiierte er größere politische Auseinandersetzungen und intervenierte in existierenden nationalen Debatten. Die Darstellung seiner Biografie und seines Schaffens werde ich daher mit zweierlei verschränken: mit Skizzen der Medien- und Kulturgeschichte und insbesondere der Geschichte des Fernsehens sowie mit Reflexionen auf thematische Schwerpunkte, um die seine künstlerische Existenz kreiste, insbesondere Fragen von Authentizität und Autorschaft. Die Darstellung seines Lebens und seines Werks teilt sich in fünf Abschnitte:

 

 I Vor dem Fernsehen schildert Wolfgang Menges Kindheit, Jugend und seinen frühen Werdegang als Journalist für Print und Radio sowie als Drehbuchautor für den Film. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte der junge Autor zunächst von Gedichten zu Nachrichten, von Erfundenem zu Gefundenem. Seine damaligen Erfahrungen mit dem ›britischen Stil‹ journalistischer Berichterstattung – verkürzt gesagt: mit der Insistenz auf Faktenrecherche statt Meinungsmache – sollten bis zuletzt sein künstlerisches Werk prägen. Zu dessen wichtigstem formalen Moment wurde die Konzentration auf semi-dokumentarische Formen und damit verbunden die Produktion von Authentizität beziehungsweise das mediale Spiel mit ihr.

 II Im Fernsehen der 1950er und 1960er Jahre verfolgt Menges Wechsel vom – damals kulturell noch angeseheneren – Film zum Fernsehen und seine zweigleisige Karriere in dem neuen Medium: zum Ersten als Autor der ersten bundesdeutschen Kriminalserie und anderer erfolgreicher Kriminalspiele, zum Zweiten als Autor kritischer und formal innovativer Fernsehspiele zu aktuellen politischen Fragen.

 III Im Fernsehen der 1960er und 1970er Jahre analysiert, wie Menge zwischen 1968 und 1973 TV-spezifische Formate wie Magazin oder Show narrativ für das Fernsehspiel nutzbar machte. Inhaltlich versuchte er damit gegenwärtige Zustände in denkbare Zukünfte fortzuschreiben. Zentral für den Erfolg dieser Fernsehspiele bei Kritik wie Publikum aber war der Rekurs auf mediale Mischformen aus Fakten und Fiktionen, wie sie bis dahin nur im angelsächsischen Radio, Film und auch Fernsehen existiert hatten.

 IV Im Fernsehen der 1970er und 1980er Jahre beschreibt, wie Wolfgang Menges Interesse an liveness als besonderer Qualität des Mediums Fernsehen ihn in den frühen siebziger Jahren zu dreierlei Innovationen veranlasste. Zunächst importierte und adaptierte er das angelsächsische TV-Format der Talkshow und wurde damit zwischen 1973 und 1986 als Talkshow-Gastgeber selbst zum Fernsehstar. Nahezu zeitgleich importierte und adaptierte er auch die Form der vor Publikum live produzierten Sitcom – situation comedy –, um in ihr den sozialen und kulturellen Wandel so aktuell begleiten und satirisch kommentieren zu können, wie es sonst nur dem Kabarett möglich war. Gegen Ende der siebziger Jahre schließlich wendete er sich Themen der deutschen Geschichte zu und entwickelte dafür innovative Darstellungsformen, in denen sich wiederum Dokumentarisches und Inszeniertes mosaikhaft zu einer nicht mehr linearen Narration mischten.

 V Jenseits des Fernsehens versucht, die Charakteristika von Menges Autorschaft zu bestimmen. Von entscheidender Bedeutung für seinen künstlerischen Erfolg scheint die Möglichkeit, im audiovisuellen Medium der Television eine Autorenrolle behaupten zu können, wie er sie aus den älteren Medien Print und Radio gewohnt war. Auf dieser souveränen Autorschaft basierte Menges Schaffen als Fernsehautor. Insofern war das Ende seiner TV-Karriere eng verbunden mit dem institutionellen Wandel und schleichenden Niedergang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens selbst. Menges Kritik an der Selbstzerstörung des Fernsehens, wie er es kannte, begann in den späten 1970er Jahren und eskalierte sukzessive, bis ihm um das Jahr 2000 gewissermaßen das Medium abhanden kam, das seine künstlerische Karriere für fast vier Jahrzehnte bestimmt hatte.

1 Kracauer, Siegfried: Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, Werke, Bd. 8, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005 (*1937), S. 11.

2 Ebd., S. 12.

3 Ebd., S. 10.