AUF MESSERS SCHNEIDE (The End 6)

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Aus der Reihe: The End #6
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AUF MESSERS SCHNEIDE (The End 6)
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THE END 6

Auf Messers Schneide

G. Michael Hopf



übersetzt von Andreas Schiffmann








Copyright © 2016 by G. Michael Hopf

 All rights reserved. No part of this book may be used, reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, or by any information storage or retrieval system, without the written permission of the publisher, except where permitted by law, or in the case of brief quotations embodied in critical articles and reviews.



 Dieser Roman ist ein fiktives Werk. Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse entspringen der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit zu tatsächlichen Ereignissen, Schauplätzen oder Personen, lebendig oder tot, ist rein zufällig.








Für alle meine Freunde.

 Ihr wisst, wer ihr seid.





Impressum



Deutsche Erstausgabe

 Originaltitel: THE RAZOR’S EDGE

 Copyright Gesamtausgabe © 2017

LUZIFER-Verlag

  Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.





Cover: Michael Schubert

 Übersetzung: Andreas Schiffmann

 Lektorat: Diana Glöckner





Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2017) lektoriert.





ISBN E-Book: 978-3-95835-264-3





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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.




Inhaltsverzeichnis





THE END 6








Impressum








Prolog







25. Dezember 2015







26. Dezember 2015







27. Dezember 2015







28. Dezember 2015







29. Dezember 2015







30. Dezember 2015







31. Dezember 2015







3. Januar 2016







31. Januar 2016







4. Februar 2016







Epilog








Über den Autor








»Freunde sind die Geschwister, die uns Gott nie gegeben hat.«






Mengzi





Prolog




20. Oktober 2066  McCall, Idaho, Republik Kaskadien





Es gefiel Gordon zwar nicht, jeden Morgen früh aufzustehen, doch er beschloss, etwas Positives darin zu sehen, da er ohnehin seit Jahren nicht mehr durchschlafen konnte.



Als er seine Füße auf den kalten Fliesenboden stellte, lief ihm ein Schauer über den Rücken, und er bekam Gänsehaut an den Armen. Er wollte ins Badezimmer, blieb aber stehen, als ihm das Licht des Vollmonds ins Auge fiel. Er betrachtete ihn versonnen und war dankbar für den Einfluss, den der Trabant auf die Erde ausübte.



Vor dem Totalzusammenbruch hatte Gordon eine Vielzahl an Fernsehserien und Filmen geschaut, besonders Action- und Science-Fiction-Streifen. Seit es wieder Strom gab, gönnte er sich gelegentlich die Freude, jene frühere Angewohnheit wieder aufleben zu lassen. Aktuelle Produktionen begeisterten ihn nicht unbedingt – oder genauer gesagt: Er mochte gar nichts, was dieser Tage aus Olympia kam. Streng genommen war die unfähige Regierung schuld an seinem unruhigen Schlaf.



Nun da alle seine Angehörigen unter einem Dach zusammengefunden hatten, hielt er es für das Beste, die große Ankündigung zu machen, allerdings erst nach seiner gewohnten Tasse Kaffee. Als er sich auf den Weg in die Küche machte, um ihn aufzubrühen, bemerkte er, dass er nicht als Einziger wach war.



»Guten Morgen«, grüßte Haley leise, um Hunter und Sebastian nicht zu wecken.



»Guten Morgen, Schatz«, erwiderte Gordon. Er drückte sie herzlich und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. »Hast du gut geschlafen?«



»Ja, aber ich bin aufgewacht und konnte dann nicht mehr einschlafen«, antwortete sie.



»Geht mir genauso, und zwar schon seit dem 5. Dezember 2014«, sagte er scherzhaft.



Gordon ging langsam in die Küche, wo er feststellte, dass Haley bereits den Teekessel aufgesetzt und Kaffeepulver in die Stempelkanne gefüllt hatte. »Na, du findest dich zweifellos noch in der alten Bude zurecht.«



»Ja. Es ist eine gute alte Bude, in der viele Erinnerungen stecken.« Haley musste schmunzeln.



»Als deine Mutter und ich dieses Haus entdeckten, habe ich gleich gespürt, dass Gutes darin steckt.«



»Du hast es ja auch gut instand gehalten, obwohl du eine Haushälterin gebrauchen könntest. Da drüben auf den Regalböden liegt der Staub drei Zoll dick«, neckte sie ihn.



»Ich bekomme selten Besuch und hatte noch nie viel fürs Saubermachen übrig.«



»Mom hat sich oft darüber beschwert, dass du alles herumliegen lässt.«



»Ich habe nie ständig Unordnung gemacht – nur eben nicht gleich alles weggeräumt. Deine Mutter hingegen war einfach nur streng; sie hat den Laden fest im Griff gehabt.«



»Das ist wahr.«



Der Kessel pfiff.



Gordon und Haley griffen gleichzeitig danach, doch er war schneller.



»Ich mach das, setz du dich mal. Sei mein Gast«, sagte er.



»Nein, Dad. Du solltest dich schonen«, beharrte sie, während er vor ihr stand, wobei ihr auffiel, wie seine Hand am Griff des Kessels zitterte.



»Schonen? Ich bin nicht krank, geschweige denn, dass ich den Löffel abgeben würde, jedenfalls nicht so bald.«



Haley ließ sich nicht beirren. »Nein, bitte lass mich

dich

 bedienen.« Sie hinderte ihn daran, sich umzudrehen.



»Heißes Wasser auszugießen kriege ich noch hin«, entgegnete Gordon gereizt. Er hob den Behälter von der Herdplatte und wartete darauf, dass seine Tochter Platz nahm.



Schließlich trat sie mit verdrossenem Blick zur Seite.



Er gab das dampfende Wasser in die Kanne und ließ es durch das Pulver sickern.



Haley beobachtete ihn beim Zubereiten des Kaffees.



Als er dies bemerkte, fügte er hinzu: »Ich bin alt, darum zittere ich. Alte Leute tun das eben.«



»Komm, ich helfe dir.«



Da hob er eine Hand und stellte klar: »Ich bin bloß alt und kein Dahinsiechender. Außerdem tue ich das schon ziemlich lange allein. Ich weiß, deine Mutter hat mich in der Küche für unfähig gehalten, aber ihre Ansprüche waren auch hoch.«



»Ich vermisse Mom«, seufzte Haley.



Gordon hielt inne. »Ich auch, Schatz. Ich auch.« Er drückte den Stempel hinunter und füllte zwei Tassen. »Milch oder Zucker?«



»Gerne beides.«



Nachdem er ein Kännchen und eine Schale Zucker mit Löffel auf die Küchentheke gestellt hatte, ging er außen herum und setzte sich auf einen Hocker.



Haley nahm neben ihm Platz. Sie trank einen Schluck. »Unheimlich gut«, meinte sie genüsslich.



»Finde ich auch. Während des Krieges hätte ich für eine anständige Tasse Kaffee töten können«, sinnierte er beim Trinken.



»Ich dachte, das hättest du sowieso getan.« Mit dieser Anspielung bezog sich Haley auf die vielen Lügen über seine Vergangenheit, welche die Medien seit einiger Zeit verbreiteten.



»Ha, ich bin mir sicher, die revisionistischen Arschlöcher in Olympia haben sich diese Horrorgeschichten ausgedacht. Sie lassen nichts unversucht, um mich als Monster darzustellen.«

 



»Niemand beschuldigt dich, für Kaffee getötet zu haben, aber dein Ruf und dein Vermächtnis stehen definitiv im Kreuzfeuer.«



Gordon murmelte kopfschüttelnd: »Faule, verwöhnte Bengel, die nie einen Finger krumm gemacht haben, wollen jetzt alles schlechtreden, was wir im Krieg getan haben. Hätten wir keine Verbündeten in Olympia, würden sie alle Denkmäler niederreißen und uns in den Geschichtsbüchern totschweigen.«



»Das lässt sich die Bevölkerung nicht bieten. Viele Menschen erinnern sich noch an die finsteren Tage nach dem Zusammenbruch. Zudem haben sie nicht vergessen, was ihr alle geleistet habt, um dafür zu sorgen, dass wir frei leben können«, betonte Haley, um ihn daran zu erinnern, dass nach wie vor ein Großteil der Bürger von Kaskadien wertschätzte, was er vollbracht und geopfert hatte.



»Es ist nur eine Frage der Zeit. Schließlich fällt stets der nachkommenden Generation die Verantwortung zu, unsere Freiheit zu wahren, und wenn ich an den sozialistischen Unfug denke, der sich im Westen abspielt, befürchte ich, dass wir eine weitere Rebellion werden niederschlagen müssen.«



Die politischen Spannungen aus der Frühzeit der Republik waren weiterhin präsent. Wer in der östlichen Region von Kaskadien lebte, vertrat eher konservative, liberale Werte, wohingegen diejenigen im Westen und vor allem entlang der Küste Mitte links standen, nicht wenige mit einer starken Neigung zu sozialistischem Gedankengut. Die ideologischen Gräben waren nach wie vor die gleichen, bloß hatten sich die Fronten weiter verhärtet.



Die Sozialisten gingen aus Charles' Westkaskadischer Freiheitsbewegung hervor. Bei der heutigen Jugend erfreute er sich sogar neuer Beliebtheit, und dass Gordon ihn getötet hatte, hatte ihn zum Märtyrer gemacht. Auf so manchem College-Campus und in vielen Coffee-Shops oder Cafés in Olympia tauchten nun T-Shirts, Poster und Aufkleber mit seinem Konterfei auf.



Gordon war frustriert von der Politik. Er verachtete sie, musste aber gute Miene zum bösen Spiel machen. Statt sich selbst für einen Politiker zu halten, sah er sich als Rädelsführer und Krieger.



Jetzt schüttelte auch Haley den Kopf. »Ich hätte nie geahnt, dass es möglich wäre … also dass die Leute vergessen, aber mittlerweile sieht man es.«



»Aus dem Grund bin ich froh, dich hier zu haben – und die Jungs auch«, erwiderte Gordon. »Es wird Zeit, etwas zu unternehmen, sonst müssen wir wieder in die Schlacht ziehen.«



»Oh, Dad, so schlimm ist es nicht«, behauptete Haley, ein schwacher Versuch, die Situation herunterzuspielen. Insgeheim beschlich sie das Gefühl, ihr Vater könne recht haben.



»Kaskadien geht vor die Hunde; im Ernst, über kurz oder lang sind diese Bastarde an der Macht und machen alles kaputt, wofür wir gekämpft haben. Es sei denn, wir halten sie auf.«



»Was soll das heißen?«, fragte Haley.



»Genau, was soll das heißen?« Hunter war im Obergeschoss an den Treppenabsatz getreten.



Verdutzt schauten Gordon und Haley zu ihm hoch.



Hunter kam schnell die Stufen herunter und in die Küche. »Wen sollen wir aufhalten?«



Gordon grinste und nippte noch einmal an seiner Tasse.



»Wir haben uns bloß unterhalten«, meinte Haley.



»Nein, sagt's mir.«



Gordon schaute seine Tochter an, grinste erneut und nickte. Sein Blick wanderte zu Hunter hinüber, bevor er anhob: »Im Westen gibt es eine politische Bewegung, die die Regierung stürzen wird, falls man sie gewähren lässt. Wir müssen sie umgehend in ihre Schranken verweisen oder mit ansehen, wie uns das Land genommen wird, für dessen Gründung wir uns so erbittert eingesetzt haben.«



Hunter zog einen Hocker heran und ließ sich darauf nieder. Er war gespannt, was sein Großvater noch zu erzählen hatte.



»Ich schenk dir auch einen Kaffee ein«, bot Haley an.



»Ich brauche dir nicht zu sagen, dass es Stimmen im Osten gibt, die sich vom Westen abspalten wollen«, so Gordon weiter, »aber du weißt vermutlich nicht, wie weit sich diese Meinung in manchen Kreisen ausgebreitet hat.«



»Diese Separatisten halten sich schon seit der Gründung der Republik«, entgegnete Hunter und meinte damit eine kleine Gruppe, die sich für eine Trennung starkgemacht hatte – kurz nach der Einigung, in deren Zuge Gordon zum Präsidenten ernannt worden und in der Lage gewesen war, weitere revolutionäre Bestrebungen zu vereiteln.



»Aber es wird schlimmer«, gab Gordon zu bedenken. »Heute herrschen andere politische Umstände. Die Menschen sind bereit, aufzustehen und zu den Waffen zu greifen; wir haben es bereits getan und werden es wieder tun.«



»Wir?«, hakte Hunter nach.



»Kennst du das Zitat? Ich glaube, es stammt von Thomas Jefferson: Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut der Patrioten und der Tyrannen begossen werden. Dies ist der Freiheit natürlicher Dünger.«



»So schlimm ist es nicht«, wiederholte Haley.



»Also, was schlägst du vor?«, wollte Hunter wissen.



»Im Augenblick sind unsere Verbündeten in Olympia an der Macht«, so Gordon, »aber früher oder später werden der demografische Wandel und die Unfähigkeit unserer eigenen Regierung dazu führen, dass alles, wofür wir sehr hart gearbeitet haben, hinfällig ist.«



Hunter beugte sich ein wenig nach vorn und fragte wieder: »Was schlägst du vor?«



»Eine Revolution«, antwortete Gordon.



»Ach, Dad, jetzt tust du aber arg dramatisch«, warf Haley ein.



Hunter beachtete sie nicht. »Eine Revolution?«



Gordon stand auf und ging zu der Schiebetür, die auf die Terrasse führte. Er hielt sich die Tasse wieder an den Mund und trank einen kräftigen Schluck.



»Mom, was meint er damit?«, insistierte Hunter.



Haley neigte sich ihm zu und flüsterte: »Ich glaube, dein Großvater wird senil.«



Daraufhin lachte Gordon herzhaft auf. »Ich werde nicht senil, ganz im Gegenteil.« Er drehte sich um und fuhr fort: »Als deine Mutter starb, habe ich versprochen, auf dich und die Jungs aufzupassen. Das hat mich vor ein Problem gestellt, weil man mich für tot hielt, aber ich hatte noch meine engen Freunde, die das ganz wunderbar geregelt haben. Jetzt hebt die Tyrannei ihr Haupt aufs Neue, bloß dass sie sich hinter Begriffen wie ›Toleranz‹, ›politische Korrektheit‹ oder ›Einkommensgleichheit‹ versteckt, wofür sich eine große Zentralregierung einsetzen soll. Ich nenne das eine sanfte Gewaltherrschaft, doch einige ihrer Befürworter zeigen sich schon willens, gewaltsam gegen jeden vorzugehen, der nicht ihre Meinung teilt. Erinnert euch nur daran, wie es jenen Bauern mitten im Staat Washington ging: Ihre Ernte wurde zerstört, womit sie auch ihren Lebensunterhalt verloren, weil sie im vergangenen Jahr gegen das Gesetz zur Gleichaufteilung von Ländereien protestiert haben.«



»Dieser Entwurf war nichts als …«, begann Haley leidlich überzeugend, um die strittige Reglung herabzuwürdigen, die man beinahe als Gesetz festgelegt hatte.



»Mein liebes Mädchen, da irrst du dich. Dieser Entwurf weist den Weg in die Zukunft unserer Politik. Ich fürchte, wir haben uns vor Jahren der Ketten eines Unterdrückers entledigt, bloß um uns freiwillig an einen schlimmeren zu binden, indem wir uns auf ein Bündnis mit Charles' Radikalen einließen. Ich habe einen Fehler gemacht – ich habe es förmlich vor meinen eigenen Augen gesehen, war aber erschöpft und wollte nur noch, dass alles vorbei ist. Die Katastrophe und der Krieg haben ihre Spuren bei mir, bei uns allen hinterlassen. Unsere Familie hat stark darunter gelitten, weshalb ich einfach dachte … Ich habe mir zugetraut, mit diesen Leuten umgehen zu können, habe mich aber getäuscht, was mich sozusagen mein Leben gekostet hat.«



»Was ist geschehen?«, fragte Hunter. »Warum musstest du deinen eigenen Tod inszenieren?«



Gordon trat näher, nahm seine Tasse herunter und legte Hunter eine Hand auf die Schulter. »Mein Junge, du wirst alles erfahren. Bald.«



»Das versprichst du nicht zum ersten Mal«, murrte Hunter.



»Hab Geduld«, sagte Haley.



»Schon gut. Er ist auf Draht und neugierig. Diese Eigenschaften mag ich an ihm. Er liebt sein Land, und er liebt seine Familie; das sind bewundernswerte Züge für einen so jungen Mann.«



Haley wechselte das Thema: »Darf ich dir was zum Frühstück machen, Dad?«



»Klar, aber zum Mitnehmen«, bat Gordon.



Das verwunderte sie. »Gehst du aus dem Haus?«



»

Wir

 gehen«, antwortete er, bevor er sich wieder Hunter zuwandte. »Du wolltest meinen Vorschlag hören. Er lautet: Wir holen uns unsere Regierung zurück. Ich habe euch aus zwei Gründen zu mir bestellt. Erstens ging es mir natürlich darum, euch wiederzusehen und alles zu erzählen, was ich über unsere Familie weiß, doch darüber hinaus glaube ich, dass erneut ein Van Zandt den Weg weisen wird, wenn Kaskadien seine Gegner in die Schranken gewiesen hat und wieder Ordnung herrscht.«



»Aber Großvater, ich bin ein Rutledge«, erinnerte Hunter.



»Mein Junge, der Name Rutledge ist ein guter und angesehener, aber du siehst aus und handelst wie ein Van Zandt, zumal auch mein Blut durch deine Adern fließt.«



Haley machte ein besorgtes Gesicht. »Dad, was planst du?« Einen kurzen Moment lang fragte sie sich, weshalb ihre Kontakte in Olympia über die Unruhen geschwiegen hatten. Möglicherweise waren sie dazu angehalten worden.



»Wie gesagt, wir holen uns unsere Regierung zurück«, erwiderte Gordon, wandte sich ab und ging los.



»Wann erzählst du mir den Rest?«, rief Hunter.



Gordon blieb stehen und drehte sich wieder um. »Auf dem Weg nach Olympia. Jetzt zieht euch an, und packt eure Taschen; ich möchte in einer Stunde aufbrechen.«



Damit stieß er Haley vor den Kopf. War das alles von langer Hand geplant gewesen?



Gordon ging aus der Küche und verschwand in sein Schlafzimmer, wo er die Tür hinter sich schloss.



Nun erschien auch Sebastian auf der Treppe. »Hab ich da etwas von Aufbrechen gehört?«, fragte er.



Hunter sprang auf und lief an ihm vorbei nach oben. »Ja, geh packen! Wir fahren nach Olympia.«



Sebastian kratzte sich am Kopf. »Hä?«



Sein Bruder stürzte in sein Zimmer und fing an, Sachen in eine Tasche zu werfen.



Haley schüttelte abermals den Kopf. Sie schenkte Sebastian ein liebliches Lächeln.



»Mom, was ist los?«



»Wir fahren nach Olympia, du hast es gehört.«



»Wer? Wir alle, auch Großvater?«



»Ja.«



»Aber ich dachte, er wird für tot gehalten.«



»Ja, dort glaubt das jeder.«



»Ich verstehe nicht. Was soll das?« Die Verwirrung stand Sebastian ins Gesicht geschrieben. »Ist es nicht gefährlich für ihn, nach Olympia zurückzukehren? Bringen wir uns dabei vielleicht auch in Gefahr? Wie sollen wir vorgehen?«



Haley stellte sich vor Sebastian und streichelte zärtlich seine Wange. »Du wolltest wissen, wie es bei uns zuging, während ich aufwuchs, und nun ja – genau so. Willkommen in meiner Kindheit.«





***





Als Gordon auf der Landebahn die Gulfstream 985 mit der texanischen Flagge am Heck sah, bekam er vor Aufregung Herzklopfen.



Er versetzte John einen leichten Stoß in die Seite. »Scheint neu zu sein«, sagte er.



»Vom Aussehen her auf jeden Fall«, erwiderte John.



Als Hunter das Flugzeug bemerkte, war er gespannt darauf, wer drinsaß.



»Texas hat gut für sich gesorgt«, befand Gordon.



John stimmte zu. »Oh ja, das kannst du laut sagen.«



»Es setzt sich für Kultur und solide Werte ein«, fuhr Gordon fort.



»Identität nicht zu vergessen«, ergänzte John. »Die Menschen dort wissen, wer sie sind und woher sie kommen.«



»Vorübergehend war das auch hier so, aber diese Tugend ist verloren gegangen.«



»Bei manchen, aber nicht bei allen. Doch es ist an der Zeit, wieder klar Schiff zu machen. Um ehrlich zu sein, hätte ich dir vor Jahren einen Rüffel dafür erteilt, dass du das hier tust, aber jetzt … Mensch, nach all dem Elend, das du durchgemacht hast, bin ich davon überzeugt, dass du nicht sterben kannst.« John lachte.



»Und ich für meinen Teil, du Sack, hätte dich angesichts der vielen Leben, die du schon hinter dir hast, glatt für eine Katze gehalten, wenn du nicht auf zwei Beinen laufen und sprechen würdest.«



Hunter schloss in der Hoffnung, etwas von ihrer Unterhaltung aufzuschnappen, hinter den beiden auf.



Als Gordon merkte, dass sein Enkel lauschte, hörte er zu sprechen auf und drehte sich um. »Komm her, Hunter.« Er legte einen Arm um ihn. »Sieh sie dir an.«

 



»Sauber. Wem gehört sie?«, fragte Hunter.



»Autry Lewis, wenn mich nicht alles täuscht«, antwortete Gordon.



»Du meinst

den

 Autry Lewis?« Hunter staunte. Diesen Namen zu hören hätte er nicht erwartet.



»Genau den«, bestätigte sein Großvater mit einem breiten Grinsen, das seinen Zügen schmeichelte.



Hunter stutzte. »Moment mal, falls das sein Jet ist, woher weißt du das?«



»Ich kenne ihn. Unsere Freundschaft reicht weit zurück.«



»Was will er hier?«, bohrte Hunter weiter.



»Erklär's ihm«, verlangte Gordon.



John tat es. »Er stellt uns ein Taxi nach Olympia zur Verfügung. Wir brauchten eins, also habe ich einen alten Freund um einen Gefallen gebeten. Er war so nett, uns den Flieger herzuschicken, damit wir so stilvoll und unauffällig wie möglich reisen können.«



Ein Flughafenangestellter tauchte am Rand der Bahn auf und sagte: »Der Pilot ist bereit, Sie dürfen an Bord gehen.«



»Zeit zum Abflug. Vergesst euer Zeug nicht«, rief John Haley und Sebastian zu.



Während sie auf die Maschine zugingen, blieb Hunter an Gordons Seite. »Großvater, woher kennst du Autry Lewis? Ich habe seinen Namen noch nie in Zusammenhang mit dir gehört, außer anlässlich der üblichen amtlichen Angelegenheiten vor Jahren. Und ich erinnere mich an eine Geschichte aus der Frühzeit der Republik Texas – darin kommt er nicht unbedingt gut weg.«



Gordon zog Hunter zu sich, während die anderen ins Flugzeug stiegen. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und sprach: »Mein Junge, ein Mann ist nichts weiter als die Gesamtheit seiner Taten. Trifft er vor allem gute Entscheidungen, kennt man ihn dafür. Tut er überwiegend Schlechtes … tja, dann ergibt sich sein Ruf eben daraus. Doch wenn er sich einen besonders groben Schnitzer leistet, dann überschattet dieser alles Gute, was er getan haben mag. Wer ihn nicht persönlich kennt, wird ihn nur anhand dessen beurteilen. Diese eine Handlung genügt dann, um ihn abzustempeln, als sei er nichts und sein Leben so gut wie wertlos. Nun ist Gott aber gerecht und stellt guten Menschen tatsächlich ein Mittel anheim, um dies auszugleichen, und dieses Mittel sind Freunde. Ein guter Freund kennt dich; er steht dir zur Seite, geht mit dir durch dick und dünn, wobei es die harten Zeiten sind, die den guten Menschen zu Fall bringen. Freunde helfen dabei, diese durchzustehen, sie lassen einen niemals hängen und hüten sich davor, jemanden nur um des Verdammens willen zu verdammen. Stattdessen ziehen sie ihre Gefährten zur Rechenschaft, damit diese wieder erhobenen Hauptes durchs Leben schreiten können.«



Hunter nickte. Sein Großvater war nicht direkt auf seine Frage eingegangen. »Und ein guter Freund leiht einem auch brandneue Jets.«



»Exakt«, lachte Gordon.



»Ich verstehe schon, was du meinst, glaube ich.«



»Soweit ich weiß, hast du nicht viele Freunde.«



»Das ist nicht wahr«, rechtfertigte sich Hunter.



»Wie ich schon sagte, behalte ich dich seit dem Tag, an dem du geboren wurdest, im Auge. Ich weiß es also.«



»Ich tue mich schwer damit, auf andere zuzugehen, aber es gibt schon ein paar Jungs, mit denen ich regelmäßig was unternehme und einen trinke.«



»Würdest du für sie durchs Feuer gehen? Riefe dich einer von ihnen mitten in der Nacht an, weil er Hilfe dabei bräuchte, eine Leiche zu verscharren, würde deine Antwort lauten: Wo?«



»Ich schätze nein.«



»Ich habe viel erlebt und eine Menge erreicht, oh ja. Weißt du auch, wie ich das geschafft habe?«



»Nein.«



»Durch Entschlossenheit, Arbeit und Konzentration. Ich wollte nicht aufgeben und habe mich nicht davor gescheut, meine Fäuste einzusetzen, wenn es sein musste. Aber mein Erfolg rührt auch daher, dass mich meine Angehörigen und Freunde unterstützt haben. John da drin gehört zu jenen Freunden, und von den anderen hast du bereits gehört – Jimmy, Nelson, Gunny, Brittany. Sie alle waren für mich da, und ich wäre ohne sie nicht imstande gewesen, derjenige zu sein, der ich war. Autry gehört ebenfalls zu jenen Freunden. Ich kenne die unsinnige Geschichte über ihn. Sie ist mir zu Ohren gekommen, aber weißt du was? Wer mit der Frau eines anderen Mannes ins Bett steigt, gibt sich meines Erachtens selbst zum Abschuss frei.«



»Aber er hat direkt im Saal des Regierungsausschusses auf den Mann eingestochen, obwohl er Präsident war«, erinnerte Hunter. Er konnte den diesbezüglichen Bericht immer noch schwerlich glauben.



»Gott, wie gern hätte ic