Labyrinth der Lust

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Labyrinth der Lust
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Antje Ippensen

ist eine Mannheimer Autorin. Sie publiziert seit 1989 und ihre Texte wurde bereits vielfach prämiert (u.a. beim Kurt-Laßwitz-Preis und beim FDA Preis für phantastische Kurzgeschichten). Neben dem Schreiben von phantastischen oder S/M-erotischen Kurzgeschichten (die z.B. im Charon Verlag und in den Magazinen »Böse Geschichten« und »Schlagzeilen« erschienen) verwirklicht sie mit einer Freundin verschiedene künstlerische Projekte.

2010 erschien mit »Fesselndes Geheimnis« ihr erster Roman bei Elysion-Books. 2012 folgten „Nachschlag“ und »BitterSüß«. »Labyrinth der Lust« erscheint 2014.

Neben den Kurzgeschichten Veröffentlichungen in den Elysion-Books-Anthologien »Nuancen der Lust«, »Süßer die Glocken« und »Hartgekocht«, sind weitere Veröffentlichungen – sowohl Kurzgeschichten als auch Romane – beim Verlag geplant.

ANTJE IPPENSEN

LABYRINTH
DER LUST

EROTISCHER

ROMAN


www.Elysion-Books.com

ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH

BAND 4074

1. Auflage: Februar 2014

VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2014 BY ELYSION BOOKS, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert

www.dreamaddiction.de FOTOS: © fotolia/YS LAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwig www.imaginary-world.de Korrektorat und Lektorat: Inka-Gabriela Schmidt

eISBN 978-3-945163-32-0


INHALT

PROLOG

WIDDER

STIER UND KREBS

ZWILLING UND LÖWE

JUNGFRAU

EPILOG AUS DEM COSMIUM

Mehr himmlisch heißen Lesespaß finden Sie auf:

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DANKSAGUNGEN AN

Rüdiger Dahlke und Nicolaus Klein für

»Das senkrechte Weltbild«,

das mich inspiriert hat

Meinen Dominus Mercurius

Louise von Stein


PROLOG

Vergangenheit, 16. September 1978. Irgendwo in den Ardennen, Belgien, nicht weit von Dinant, Bouillon und dem Fluss La Meuse.

Mhm, das gefällt ihr; Madeleine kann es kaum fassen, wie sehr sie es mag und wie prickelnd-wohl sie sich auf einmal fühlt. Die schweren Schalen des Alltags, all die harten Kämpfe und die frustrierenden, aufreibenden Auseinandersetzungen – alles fällt von ihr ab. Allein schon deshalb hat es sich gelohnt, dieses seltsame Abenteuer zu »buchen«. Sich an all die lächerlichen Vorschriften zu halten, die im Vorfeld der Inszenierung zur Sprache kamen, ist ihr allerdings nicht eingefallen. Diese »Regeln« und »Bedingungen«, was für ein Unsinn, sie zahlt dafür, und solche »Vereinbarungen« sind eh dazu da, gebrochen und überschritten zu werden. Grenzüberschreitung – ging es nicht genau darum? Sie muss grinsen, ein mutwilliges Lächeln, das um ihre Augen flirrt und ihren sinnlichen Mund sich ein wenig kräuseln lässt. Leicht verächtlich sogar.

Doch diese Überlegung zittert nur flüchtig durch ihren Geist. Jaa – zum Beispiel hat sie ihr dichtes hellbraunes Haar nicht gelöst, wie »man« es von ihr verlangt hat, sondern sie trägt es weiterhin in einen strengen Zopf geflochten. Mit offenem Haar hätte sie sich – unordentlich und verwahrlost gefühlt. »Man« hat ihr da nichts vorzuschreiben, so weit kommt es noch.

Aber jetzt ist sie entschlossen, zu genießen. Mit elastischen Schritten bewegt sich die große schlanke Frau den verwunschen scheinenden, Pfad am Bach entlang Ein wunderbarer, Blütenduft verströmender Sommerabend breitet sich um sie herum aus. Die Blätter der alten Bäume, die den Bach säumten, rascheln zärtlichleise in einer Brise, die auch sanft über Madeleines Pfirsichhaut streicht und ihren Nacken küsst. Sie trägt ein sandfarbenes, konservatives Kostüm und ist froh, flache Schuhe angezogen zu haben. Mit ihnen bewegt sie sich leichtfüßig.und geschickt.

Auf einmal knackt nicht weit von ihr entfernt ein trockener Zweig. Das Geräusch ist so laut, dass sie im ersten Moment denkt, ein Knallfrosch sei explodiert.

»Was war das?«, ruft Madeleine erschrocken aus, um gleich darauf nervös aufzulachen. Was für ein Kind sie doch ist! Natürlich gibt es solche Geräusche in einem Wald; das Holz arbeitet schließlich, und Tiere leben hier ebenfalls. Gut, sie wandert hier bei hereinbrechender Dämmerung an einem Bach entlang, in freier Wildbahn sozusagen, aber erstens ist ihr Ziel, der Landsitz mitten im Wald, nicht mehr fern, und zweitens hat man ihr zugesagt, sie zu beschützen. Es kann also gar nichts passieren. Sie hat gut dafür bezahlt. Und drittens … ist eben das dieser Schuss Gefahr, wie ein Schluck Champagner. Köstlich auf der Zunge tanzend.


Madeleine Sauvage war 34 Jahre alt und seit mehreren Jahren der führende Kopf der Frauengruppe »Femmes sans Frontières«, die radikal, aber immer im Bereich der Legalität für die Gleichberechtigung der Frau kämpfte. Zäh und beharrlich hatte sich die Soziologin zur Spitze der Bewegung vorgearbeitet, wobei sie eine von mehreren Frauen in leitender Position war. Die Gruppe hatte eine linkssozialistische Ausrichtung und legte großen Wert darauf, dass die meisten Entscheidungen basisdemokratisch und im Kollektiv getroffen wurden. Was in der Praxis für zusätzliche Reibereien, Probleme und Verzögerungen sorgte. Einerlei, das musste so sein, und meistens war sie damit auch einverstanden – wenn der Kampf dadurch nur nicht so verdammt zäh und anstrengend gewesen wäre! Gerade jetzt, wo der Protest auf der Straße eine neue Dimension erreichte, es den »Frauen ohne Grenzen« tatsächlich gelang, mehr und mehr Geschlechtsgenossinnen anzusprechen und für ihre Anliegen zu begeistern. Meistens glühte Madeleine für ihre Aufgabe, sie war beseelt von Idealismus und dem Glauben an die gute Sache – doch manchmal … ja, manchmal fühlte sie sich erschöpft und ausgebrannt. Hinzu kam noch, dass sie kein nennenswertes Privatleben besaß. In ihrer kleinen Bude plärrte ein Radio und sie hämmerte Tag und Nacht in die Tasten einer Reiseschreibmaschine, um Pamphlete zu verfassen. Sie bekam fast immer zu wenig Schlaf und an einen Freund war überhaupt nicht zu denken. Zumal so etwas in Zeiten des Feminismus ohnedies schräg angesehen wurde. Es sei denn, besagter Liebhaber wäre ein vollbärtiger Mann mit weichem Blick und selbstgestricktem Pullover, stets bereit, etwaige Probleme im Bett partnerschaftlich auszudiskutieren.

Oder natürlich … zwei Frauen konnten sich zusammentun und eine lesbische Wohngemeinschaft gründen, in der die violetten Socken gemeinsam gewaschen wurden. Doch dazu verspürte Madeleine gar keine Neigung, sie wollte lieber einen Kerl im Bett.

Allmählich fühlte sie sich emotional ausgehungert – wenn sie sich selbst befriedigte, weinte sie danach manchmal vor innerer Leere, denn auch nach dem Orgasmus blieb ein seelisches Unbefriedigtsein.

Die »Femmes sans Frontières« bereiteten eine Aktion gegen die örtliche Stahlfabrik vor, in der die weiblichen Arbeitskräfte auf geradezu unerträgliche Weise diskriminiert, ausgebeutet und sexuell belästigt wurden. Dafür musste Madeleine in guter Form sein, sie wollte und musste genug Energie tanken, um sich der Aufgabe erfolgreich stellen zu können … und eben deshalb hatte sie einen beträchtlichen Teil ihrer Ersparnisse geopfert, um auf Bernards Angebot eingehen zu können. »Geopfert«. Ein blödes Wort. »Investiert« traf es viel besser. Madeleine hatte im Nebenfach Wirtschaftswissenschaften studiert und sich eine Zeitlang auch vorstellen können, direkt in die Wirtschaft zu gehen, um das System von innen zu verändern. Möglicherweise kam es eines Tages auch dazu.

Bernard, der undurchsichtige Vermittler. Madeleine wurde das Gefühl nicht los, dass er sie schon eine ganze Weile beobachtet hatte, um zu erfahren, welche geheimen Wünsche und Vorstellungen sie vielleicht hegte. Zu Bernard konnte man Vertrauen haben, denn er wusste um den Wert der Diskretion. Er war ein außerordentlich guter Beobachter. Dies hatte sich nach und nach herausgestellt, je mehr sie miteinander redeten.

 

Eine Weggabelung. Hm, und in welche Richtung soll sie sich jetzt wenden? Nach rechts oder nach links? Sie bleibt stehen. Zu ihrer Linken plätschert weiter der eifrig murmelnde Bach. Rechts geht es offenbar tief in dichter werdenden Wald hinein. Aber links ist auch Wald, wenngleich weniger düster.

Damit, dass sie hier ratlos stehen würde, hat Madeleine nicht gerechnet, und sie fängt an, sich ein bisschen zu ärgern.

»Guten Abend, Mademoiselle«, sagt eine warme freundliche Männerstimme, die ihr vage bekannt vorkommt. Ihr fällt aber nicht ein woher.

Sie zuckt zusammen und unterdrückt einen kleinen Laut des Erschreckens, wirbelt nun nach rechts herum, denn dort ist geräuschlos an ihrer Seite ein – verschleierter Mann aufgetaucht. Er trägt die Kleidung eines Tuareg. Das halbe Gesicht bleibt verborgen, von einem dichten blauen Tuch regelrecht vermummt, so dass nur seine dunklen Augen hervorblitzen. Sie wird wohl nicht herausfinden, ob sie ihn wirklich kennt – vielleicht irrt sie sich ja auch. Bernard ist es jedenfalls nicht. Denn der hat eine rauere Stimme und graublaue, meist etwas spöttisch blickende Augen. Ein Spott jedoch, der nicht verletzt und oft ihm selbst gilt.

»Guten Abend, Monsieur. Sind Sie derjenige, der mich … zum Landsitz des Comte begleitet?«, bringt sie nach der ersten Schrecksekunde mit halbwegs fester Stimme hervor. Eigentlich ist es eine dumme Frage. Wer soll er denn sonst sein?

»Der Comte de Bergerac überlässt nichts dem Zufall«, hat Bernard zu ihr gesagt.

»Ja, der bin ich«, antwortet der verkleidete Fremde auch sofort, nimmt fürsorglich ihren Arm und wendet sich mit ihr nach rechts. »Dieser Weg ist ein bisschen holprig«, sagt er. »Außerdem bricht die Dunkelheit allmählich herein …«

Er hat recht. Das letzte Tageslicht taucht die Welt in weiche Silbertöne, die nach und nach verblassen und Platz machen für die nächtliche Finsternis, die verstohlen herankriecht.

Ihr Begleiter ist sehr höflich. Dennoch spürt Madeleine die Seitenblicke, mit denen er sie abtastet. Irgendetwas scheint ihn zu beschäftigen.

Nach einer Weile räuspert er sich und meint: »Verzeihen Sie bitte meinen Vorwitz, aber … sagen Sie, Mademoiselle, sind Sie sicher, dass Sie sich gut genug auf … auf das Ereignis vorbereitet haben?«

Sie lacht verblüfft auf. »Ach so! Sie meinen, ich hätte mich auch verkleiden müssen. Ja, und Absatzschuhe sollte ich tragen und meinen Zopf lösen – lächerlich, wenn Sie mich fragen.« Sie mustert ihn neugierig. »Ihnen hat man es also auch befohlen? Und Sie haben gehorcht?«

Er nickt.

»Weshalb?«

»Es erregt mich, gehorsam zu sein.«

Die Stimme … doch, sie KENNT seine Stimme, hat sie erst vor kurzem gehört, in einem ganz anderen Zusammenhang. Oder?

»Sie nicht, Mademoiselle? Macht es Ihnen kein Vergnügen, zu gehorchen?«

Sie schweigt verwirrt. Als er dies eben gestanden hat, ist etwas einen Moment lang prickelnd durch ihren Unterleib gelaufen. Doch gleich hat die rationale Stimme in ihr mit der Frage: Kennst du diesen Mann? das wieder verdrängt.

Vor ihnen schimmern zwei Lichter, Laternen offenbar, die oben auf Zaunpfählen sitzen. Dazwischen ein schmiedeeisernes Gittertor.

»Wir sind da«, sagt der »Tuareg« an Madeleines Seite.

Wie von Zauberhand öffnet sich das Tor, und sie gehen einen mit weißen Mosaiksteinen belegten Weg entlang, hinreichend erleuchtet durch zahllose Windlichter, die ihn säumen.

Und vor ihnen taucht das cremefarbige Prachtgebäude auf, der Landsitz des Comte Simon de Bergerac. Neugierig betrachtet Madeleine den sagenumwobenen Bau, lässt ihre Blicke über Säulen und Erker schweifen. Ja, prächtig ist er zwar, aber nicht übertrieben, nicht protzig, sondern stilvoll. Flüchtig kommt es ihr trotzdem in den Sinn, dass keine ihrer Genossinnen ihren Besuch hier gutheißen würde. Der feudale Landsitz, beinahe ein Schloss, muss jedem strammen Linkssozialisten ein Dorn im Auge sein.

»Krieg den Palästen, Friede den Hütten.«

Madeleine kräuselt leicht die Lippen. Und noch dazu ist sie jetzt hier, um … ja, was? Ganz kurz blitzt in ihrem Hirn das Wort »pervers« auf. Dicht gefolgt von »krank« und »abartig«. Doch was genau ist eigentlich »pervers«? Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt. So oder ähnlich lautet doch ein berühmter Spruch. Es liegt doch schließlich ganz bei ihr. »Es wird nichts geschehen, was du nicht selbst willst, meine Liebe«, hat Bernard ihr zugesichert.

Ist in dieser verlogenen Gesellschaft jeder pervers, der anders sein möchte?


Während sie die breiten geschwungenen Stufen der Freitreppe hinaufschreitet, mit dem vermummten Unbekannten an ihrer Seite, fragt Madeleine sich trotzdem selbst tadelnd, wie sie es hierzu hat kommen lassen. Sie muss doch ein Stück weit übergeschnappt sein. Absurd ist das Ganze hier und passt überhaupt nicht zu ihrem sonstigen Lebensstil.

Nicht zum ersten Mal suchen diese Selbstzweifel sie heim. Wie oft schon hat sie diese geheime Sehnsucht unterdrückt und die Gedanken daran fortgescheucht? Sie kann es schon nicht mehr zählen. Aber das Verlangen kommt immer wieder. Hartnäckig. Durch die Hintertür. Oder es schlüpft durch den Spalt eines Fensters, das sie zu schließen vergessen hat. Das Verlangen kommt wie ein aufdringlicher Besucher, den man nicht mehr loswird.

Und an jenem Abend musste es so stark in ihren Augen geleuchtet haben, dass Bernard es entziffern konnte. Es war auf einem Volksfest. Madeleine beobachtete da gerade einen schlanken Motorradfahrer in Lederkleidung, dem das lässige Machotum nur so aus allen Poren sprühte. Genau die Sorte Kerl, gegen die sie mit ihren Geschlechtsgenossinnen ankämpfte, und der gerade von ein paar schnatternden Mädchen umgeben war, die ihn anhimmelten. Und hier stand sie und verlangte so heftig nach diesem ihr vollkommen fremden Ledertypen, dass ihre Knie dabei weich wurden. Phantasien explodierten wie ein Feuerwerk in ihrem Hirn. Sie sah sich, wie sie von dem Mann mit fester Hand gepackt und hinter sich auf sein Bike gezerrt wurde, und fühlte, wie sie das genoss. Ihre Arme schlangen sich um ihn und dann – schloss er ihre Handgelenke in eiserne Fesseln. Das war absolut wundervoll, herrlich, und so – erregend verboten! An diesem Punkt ihrer Gedanken angelangt, wandte sie mühsam den Kopf zur Seite – nur um diesmal in Bernards lächelnde blaugraue Augen zu blicken.

Sie kannte ihn flüchtig. Er lud sie auf einen Kaffee ein, fernab vom Lärm des Volksfestes, und sie nahm an. Bald lenkte er das Gespräch geschickt auf … gewisse Dinge. Bernard besaß Niveau. Er benutzte keine schmutzigen Wörter, vorsichtig wie ein Kater ging er um die feurige Glut herum, und es gelang ihm tatsächlich, Madeleine ein wenig ihre Scheu zu nehmen. Von den zwei Seiten einer Medaille sprach er, der dunklen und der hellen. Dass sie zusammengehörten und in jedem Menschen miteinander verschmelzen würden.

»Doch nur wenige machen sich das bewusst und leben es mit Hingabe aus …«

Madeleine fühlte sich bald von ihm verstanden. Ja, er schien zu wissen, welchen quälenden Zwiespalt sie empfand. Er kannte sich offenbar mit solchen Dingen aus.

Eine Weile danach und ein paar Gläser Wein später meinte Bernard, dass sie es ganz sicher nicht bereuen würde, einmal an einer Soirée des Comte de Bergerac teilzunehmen.

Und nun ist sie hier …

Madeleine schaut zu den beiden Eingangssäulen hoch, vor denen zwei uniformierte Diener mit weißen Perücken stehen. Sie atmet tief durch. Das prickelnde Wohlgefühl, das sie beim Aufbruch, zu Beginn ihres Weges hierher gespürt hat, kehrt zurück.

Auf einmal ist sie auch überzeugt davon, dass Bernard recht hat und sie es nicht bereuen wird. Ihre Selbstzweifel schwinden und auch der nagende Verdacht, verrückt zu sein.

Als sie ihren Gastgeber sieht, wird das Prickeln stärker.

Simon de Bergerac ist eine männlich-markante Erscheinung von etwa 35 Jahren. Edle Gesichtszüge, Adlernase, fein geschnittener Mund. Alles an ihm stimmt und noch dazu strahlt er dieses ganz gewisse, unnennbare »Etwas« aus. Das »Je ne sais quoi«.

Er ist konservativ gekleidet im tiefblauen Zweireiher und mit einer silberweißen Paisley-Krawatte. Das Muster schimmert nur sehr dezent durch.

Beinahe ebenso zurückhaltend wirkt sein Lächeln, mit dem er die Gäste begrüßt. Kühl gleiten seine Blicke über die Frau mit dem streng geflochtenen Zopf. Mit tadelloser Höflichkeit empfängt er sie.

»Mademoiselle Madeleine. Herzlich willkommen auf meinem Landsitz.« Er betrachtet ihr keck emporgerecktes Kinn. Registriert er das rebellische Blitzen in ihren nachtblauen Augen?

Den Mann in Tuaregkleidung begrüßt er ebenfalls, und zwar mit ausgewählter, wenngleich ein bisschen herablassender Freundlichkeit (so kommt es Madeleine jedenfalls vor): »Monsieur Jean-Luc, wie schön, dass auch Sie hierher gefunden haben.«

»Es war mir ein inneres Bedürfnis, Monsieur le Comte«, erwidert der Angeredete sanft.

»Eine wunderbare Mondnacht, nicht wahr?«, sagt Simon und weist auf den Vollmond, der soeben aufgegangen ist.

Die beiden drehen sich um und schauen in die angegebene Richtung.

»Aber was für eine eigenartige Färbung er hat!«, ruft Madeleine überrascht aus. Und in der Tat leuchtet der Mond in einem hellen Kupferrot.

Als sie wieder zum Comte de Bergerac blickt, bemerkt sie ein zufriedenes Lächeln, das über dessen Züge huscht.

Er geleitet seine Gäste ins Foyer, wo ein Champagnerbuffet auf sie wartet.

Mhm … was für eine schöne Einstimmung, denkt Madeleine und genießt das Gefühl, in Luxus und Dekadenz zu baden. Denn mehr als nur ein bisschen dekadent ist es hier schon. Sie kichert lautlos in sich hinein, als sie sich vorstellt, was ihre Mitkämpferinnen von Femmes sans Frontières davon halten würden. Ohne Zögern nimmt sie einen tiefen Zug aus ihrem Champagnerglas, das ihr ein aufmerksamer Diener gereicht hat.

Madeleine sieht sich um und stellt fest, dass sie und Jean Luc offenbar die einzigen Gäste sind. Nein, doch nicht ganz. Eine schwarzhaarige junge Frau ist noch da, hochgewachsen, chic in einen schwarzen Lederdress gewandet, und ihr widmet sich der Comte genauso zuvorkommend, wie er es eben gerade bei ihr und dem »Tuareg« gemacht hat.

Drei Gäste also, sinniert Madeleine, drei Gäste für diese ganz besondere Soirée. Immer wieder gleitet ihr Blick zu Simon de Bergerac hin. Ihr erster Eindruck von ihm ist … zwiespältig, doch im Ganzen gefällt er ihr, und sie spürt sogar ein leises Ziehen zwischen ihren Beinen. Die Art und Weise, wie er sie vorhin angesehen hat – dieser strenge Blick! – hat ihr einen süßen Stich in die Lenden gejagt.

Sie lässt sich treiben und spürt, wie sich langsam eine lustvolle Spannung in ihr aufbaut. Sie will mehr. Sie ist nicht hierhergekommen, um sich mit Champagner und Canapés verwöhnen zu lassen.

Gerade als sie das denkt, hört sie, wie ein Löffel gegen ein Glas klirrt.

Alle drei wenden sich dem Comte de Bergerac zu, der den Silberlöffel wieder sinken lässt und gewinnend in die Runde strahlt.

»Madeleine, Marina und Jean-Luc – ihr seid natürlich nicht hier, um meinen vorzüglichen Champagner zu genießen und gefällig zu plaudern«, sagt er mit leichtem Amüsement in der Stimme.

Oha, denkt Madeleine und ihre Hände spielen nervös mit dem Stiel ihrer Champagnerflöte, er kann wohl in meinen Kopf hineinschauen. Sie sieht die beiden anderen erwartungsfroh lächeln. Diese Marina kann sie nicht so recht einschätzen. Wer mag sie sein? Madeleine hat die andere Frau noch nie in Bouillon gesehen. Etwas Geheimnisvolles umgibt sie wie zarter schwarzer Seidenstoff.

»Nicht nur jedenfalls, Simon«, erwidert Marina und stützt lässig eine Hand in die Hüfte.

Der Comte lacht.

»So folgt mir in das Chambre de Préparation, wenn ihr bereit seid, ihr Lieben.«

Diener öffnen die Flügeltüren, und sie treten zu viert in eine andere Welt ein.

Dieser große weitläufige Raum wirkt fast leer, von vornehmer Kargheit, und das Licht ist indirekt, schimmert nur aus einigen Schalen an den Wänden … und in den Ecken des Saales sind große Kerzen aufgestellt. Der Duft nach frischen Rosen und nach Rosenöl breitet sich aus, ohne aufdringlich zu sein. In der Mitte prangen zwei Säulen, und sie sind geschmückt mit … Ketten. Madeleine schluckt, als sie das sieht.

 

Auf einmal verdichtet sich die Atmosphäre, knistert.

Wie durch Zufall bilden Madeleine und Jean-Luc ein »Paar«, während Marina gelassen, aber mit funkelnden Augen, dicht neben Simon de Bergerac steht.

Marina, deren Gesichtszüge etwas Slawisches an sich haben, mit breiten Wangenknochen, trägt einen sehr auffälligen, knalligen Lippenstift in Dunkelrot, der sehr gut zu ihr passt, wie Madeleine findet. Hier sind wir nun also, denkt sie, im Raum der Vorbereitung. Wenn hier nur eine Art ‚Vorspiel‘ stattfindet, was kommt dann noch? Ihre Erregung steigt mehr und mehr an. Wieder saugen sich ihre Blicke an den Säulen fest. Sie erinnern sie an eine Szene in einem Buch, das sie gierig und erregt verschlungen hat, während es eigentlich in einer gestandenen Feministin nichts als Abscheu hervorrufen sollte. Auch wenn es von einer Frau namens Pauline Réage geschrieben wurde. Ausgerechnet von einer Frau.

Ein verpöntes, verbotenes Buch. Hitze durchströmt Madeleine, als ihr bewusst wird, dass mit Sicherheit alle im Raum Anwesenden dieses literarische Werk kennen … Ihre Blicke schweifen von den Säulen über den Comte und Marina hin zu einigen Truhen oder sonstigen Möbelstücken an den Wänden, kaum erkennbar, da sie mit goldfarbenen Tüchern bedeckt sind. Bevor sie einige darauf angeordnete Instrumente richtig identifizieren kann, zieht Simons Stimme, die sich nun verändert hat und dunkler klingt, sie wieder in ihren Bann.

»So«, sagt er auf einmal. »Nun sind wir unter uns und können beginnen. Du, Jean-Luc, hast dich so gekleidet, wie ich es wünschte. Das ist lobenswert.« Wieder lächelt er gönnerhaft, während er langsam auf Jean-Luc und Madeleine zugeht und den vermummten Mann kurz mustert. Als sich seine bronzefarbenen Augen auf Madeleine richten, ist sein Lächeln eisig, und sie erschauert.

»Anders jedoch du, meine Liebe. Du scheinst die Soirée, zu der du geladen wurdest, nicht recht ernst zu nehmen … oder schätze ich dich womöglich falsch ein?« Er schnurrt fast, seine Worte kommen leicht und schnell, wie der Wind, der über einen glatten See fährt und seine Oberfläche kräuselt.

Der Klang seiner Stimme, seine Betonung (die dunkle Seite) – Madeleine beißt sich auf die Zunge, um nicht aufzukeuchen. Denn urplötzlich ist sie feucht geworden, einfach durch diesen Moment, der für sie mit süßer erotischer Energie aufgeladen ist.

Sie steht da wie ein Schulmädchen, mit einer Mischung aus Angst und Lust klopft ihr Herz, und er geht wahrhaftig wie ein strenger Lehrer um sie herum.

»Dein Haar ist geflochten, und von deiner Kleidung wollen wir gar nicht erst reden. Sie ist auf keinen Fall so, wie sie sein sollte. Wolltest du in Erfahrung bringen, was geschieht, wenn du dich meinen Wünschen widersetzt? Ja?«

Das leise Zischen einer Peitsche jagte Madeleine einen prickelnden Schauer über den Rücken. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass sie ihn herausfordern will. Sie erinnert sich, wie Jean-Luc sie vorhin fragte, ob sie nicht gern gehorche, und wie ihr keine Antwort einfiel.

Jetzt hebt sie mutig den Kopf – das süße Pochen zwischen ihren Beinen wird quälender, stärker, köstlicher – und sagt mit fester, stolzer Stimme: »Ja.«

Er grinst. »Es heißt: Ja, Herr«, korrigiert er sie.

Sie starrt ihn an. Dies ist der Wendepunkt. Madeleine öffnet die Lippen, die Spannung steigt und steigt.

»Ja, Herr«, sagt sie dann gehorsam.

Einen Moment lang entsteht im Raum ein Schweigen, das wie mit Gold angefüllt ist. Dann spricht Simon de Bergerac weiter, ruhig und bestimmt.

»Nun gut, Madeleine … deine Bejahung zeigt mir, dass du innerlich womöglich schon weiter bist, als du selbst ahnst. Denn es bedeutet schließlich, dass du bestraft werden willst. Und genau das soll auch geschehen. Dreh dich um, Gesicht zur rechten Säule. Und du auch, Jean-Luc, Gesicht zur linken Säule.«

Wie ferngesteuert tut Madeleine auch das, spürt Lust, leckt sich zugleich nervös über die Lippen.

»Öffne dein Haar, Madeleine.«

Das ist noch leicht. Wieder sagt sie: »Ja, Herr«, und ihre Hände nesteln an ihrem Haar, lösen den Zopf, und die Flut hellbraunen gelockten Haares strömt über ihre Schultern und den Rücken hinab wie ein Wasserfall.

Doch der nächste Befehl des Comte folgt auf der Stelle.

»Jetzt zieh dich nackt aus.«

Sie schluckt. Er scheint aber zu wissen, dass es ihr so, mit dem Rücken zu ihm, leichter fällt, auch dieser Anweisung zu gehorchen.

»Dir, Jean-Luc, ist es nun verboten die Dame anzusehen«, erklingt Marinas ein wenig scharfe Stimme. »Ihr Anblick ist nur für den Comte bestimmt.«

Und für dich, geht es Madeleine flüchtig durch den Kopf. Sie fragt sich, ob dieser Marina womöglich auch Frauen gefallen. Zögernd beginnt sie die Knöpfe ihres Kostüms zu öffnen. Verdammt. Es gefällt ihr einerseits, kostet sie aber andererseits auch Überwindung.

»Mit sinnlichen Bewegungen, wenn dir das möglich ist, und nicht allzu langsam, Madeleine«, hört sie Simon.

Das spornt sie an, und bald darauf steht sie tatsächlich nackt da wie Eva. Glücklicherweise ist ihr warm. Nicht allein deshalb, weil der Raum angenehm temperiert ist, sondern vor allem deshalb, weil ihr Körper von Hitze durchpulst wird.

Der Comte nähert sich ihr und umkreist sie. Anerkennend pfeift er durch die Zähne. »Mhmm, sehr hübsch«, kommentiert er ihr Aussehen, um gleich darauf wieder zu kommandieren. »Geh näher an die Säule, los. Presse dich gegen sie. Umarme sie.«

Die Säule umarmen? Stumm tut sie, was er ihr gesagt hat, und gleich darauf fasst sie mit den Händen auch an die metallisch funkelnden, kalten Ketten, die sich um die Marmorsäule winden wie Schlangen. Ihre nackte Haut berührt den Marmor. Sie seufzt.

Aus dem Augenwinkel beobachtet Madeleine, dass sich auch Jean-Luc derart an der anderen Säule aufstellen muss, und dass er ebenfalls mittlerweile nackt ist. Sie kann das aber nur erahnen, denn »seine« Säule befindet sich zwischen ihm und ihr, so dass sie lediglich einen entblößten Arm und ein behaartes, muskulöses Bein sieht. Sein Gesicht ist ihrem Blick entzogen – so wie er sie gleichfalls nicht betrachten darf.

Im Grunde genommen interessiert sie dies jedoch nicht allzu sehr. Im Moment will sie gar nicht wissen, wie er aussieht und wer er ist. Sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, den fremdartigen Empfindungen nachzuspüren, die durch ihr ganzes Sein fließen.

Simon de Bergerac steht jetzt ganz nah bei ihr. Etwas klirrt in seiner Hand, und sie reißt die Augen auf: Goldfarbene Handfesseln sind es. Seine Brauen gehen ironisch in die Höhe, als er sieht, wie es in ihrem Gesicht arbeitet – sie weiß, gleich wird sie von ihm gefesselt werden, und allein die Vorstellung erregt sie bereits namenlos. Unwillkürlich kneift sie die Schenkel ein wenig zusammen.

Scheinbar ungerührt legt ihr der Comte die Handschellen an, verbindet ihre Gelenke alsdann mit den Ketten an der Säule. Das wirklich zu erleben, ist sogar noch besser. Madeleine erbebt unter den Gefühlen, die die Fesselung in ihr auslösen.

Simon lacht leise. Dann greift er ihr grob und zugleich zärtlich zwischen die Beine, reibt kurz die nassen Schamlippen, spart ihre Klit dabei aus.

»Ja, das gefällt dir offensichtlich, kleine Schlampe«, sagt der Adlige in seinem weichen, vornehmen Tonfall, und dieser Kontrast zu den Worten bereitet Madeleine noch mehr Lust. Sie fasst es kaum, doch es erzeugt ein süßes Pochen in ihr, von ihrem Gastgeber »kleine Schlampe« genannt zu werden!

Sie ist zwischen Scham und Lust gefangen, ihre Wangen glühen. Gleich darauf jedoch überläuft es sie nicht nur heiß, sondern auch eiskalt, denn Simon, der sich wieder entfernt hat, redet mit Marina über sie.

»Sie ist äußerst reizvoll präsentiert und hat einen einladenden Hintern«, meint Marina.

»Hmmja«, stimmt der Comte genüsslich zu, »und ich möchte wetten, sie wartet nur darauf, dass wir beginnen.«

Warten? Worauf? Doch Madeleine ahnt es längst. Ihre Finger umklammern die Ketten. Das Gespräch hinter ihr geht weiter, und sie windet sich vor angstvoller Erwartungslust.

»Was denkst du, Marina? Wie viele hat sie sich verdient?«

»Nun, sieben für ihren Ungehorsam, hier in flachen Schuhen, mit Zopf und in scheußlicher konservativer Kleidung zu erscheinen. Und dann … wie oft hat sie eben gerade vergessen, dir richtig zu antworten?«

»Zweimal«, erwiderte Simon.

»Zweimal drei. Also noch sechs dazu.«

Wieder tritt er nah an die Delinquentin heran und macht sie mit einer elastischen Augenbinde aus Samt blind.

»Ganz ruhig«, besänftigt er die Zitternde, »gib dich völlig dem hin, was du fühlst, meine Süße.«

Madeleine nickt und atmet einmal tief durch. Jetzt ist ihr ein Sinn geraubt worden, und selbst wenn sie sich den Hals verrenkt, kann sie nicht sehen, was da auf sie zukommt.

»Nur noch ein wenig Geduld, dann kommst du an die Reihe«, verkündet ihr »Herr«. »Erst ist Jean-Luc dran, damit er sich nicht vernachlässigt fühlt.« Ein grausames Lachen folgt.

Schon wenige Sekunden später hört Madeleine ihren »Leidensgenossen« zu ihrer Linken schmerzlich aufstöhnen, obwohl sie nichts zuvor vernommen hat, kein sausendes oder pfeifendes Geräusch. Womit sie ihn wohl gerade gepeinigt haben? Jetzt, in diesem Moment, steigert die ängstlich-lustvolle Unwissenheit ihre Erregung noch, ungefragt, ungewollt steigen farbige Bilder in ihr auf von dem, was die herrische schwarzhaarige Frau wohl mit Jean-Luc anstellt.