Pfeffer, Minze und die Schule

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Pfeffer, Minze und die Schule
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1. Von der Forschung


Pfeffer hatte keine Angst. Vor nichts.

Und vor der Schule schon gar nicht.

„So weit kommt’s noch“, sagte er. Er und Angst vor der Schule.

Er hatte nicht mal Angst davor, im Dunkeln einzuschlafen. Jeden Abend, wenn ihn seine Mama fragte, ob sie die Tür einen Spalt auflassen solle, sagte er: „Wegen mir bestimmt nicht.“ Dann kramte er sein lila Monster unter der Bettdecke hervor. Es roch nach Schokoladenpudding und zitterte am ganzen Leib. „Aber dem lila Monster würdest du einen großen Gefallen tun.“ Pfeffer hielt das Monster aus dem Bett, so weit, bis sie beide fast aus dem Bett purzelten. Jetzt konnten sie durch den Türspalt in die Küche am Ende des Flurs sehen, wo seine Mama Geschirr in die Spülmaschine räumte.

„Siehst du“, sagte Pfeffer zum Monster und patschte seinen lila Kopf. „Dort ist unsere Mama. Du brauchst also keine Angst zu haben.“

Angst hat man nämlich nur vor Dingen, die man nicht kennt. Und Pfeffer kannte die Dunkelheit. Er hatte sie erforscht. Er wusste, dass die vorbeihuschenden Schatten an der Wand keine Gespenster waren, sondern die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos. Das Glucksen in der Wand kam von einer verstopften Wasserleitung. Und wenn draußen ein Kind laut und scheußlich schrie, war das gar kein Kind, sondern nur Muschel, die Katze von seinem besten Freund Olli, die sich mit Buschel stritt, der Katze von seiner besten Freundin Paula.

Pfeffer und Paula wohnten in einem Doppelhaus. Pfeffer wohnte rechts. Paula wohnte links. Das war praktisch. Es gab eine große Terrasse und eine große Wiese für beide Familien, und damit alles ganz gerecht zuging, wuchs genau zwischendrin auf der Grenze eine Hecke. Pfeffer und Paula hatten einen Tunnel hindurchgegraben, damit sie immer in den anderen Teil des Gartens kriechen konnten.



Meistens kroch Pfeffer in Paulas Gartenhälfte, denn dort gab es alles, was man brauchte: ein Baumhaus in einem Nussbaum, der seine Äste über die Terrasse streckte, ein Trampolin, eine Schaukel und eine Rutschbahn, von der aus man in die Sandkiste rutschen konnte. Ach ja, und ein Holzpferd, das Rocki hieß. Pfeffer hätte Rocki nicht unbedingt gebraucht, aber Paula konnte ohne das Pferd nicht leben.



Der Garten grenzte an einen Zaun. Dahinter war die Siedlung, in der viele Kinder in mehreren Blocks wohnten. In dem Block, der ihnen am nächsten war, wohnte ihr bester Freund Olli. Wenn Olli aus dem Küchenfenster winkte, konnten Pfeffer und Paula ihn sehen. Und umgekehrt. Leider wohnte genau über Olli der Blödmann Jasper. Mit Jasper waren sie schon ewig im Krieg. Sie waren alle in einen Kindergarten gegangen. In die Rabenkinder-Gruppe.



„Du, Mama“, fragte Pfeffer am Abend, „glaubst du, dass Jasper in meine Klasse kommt?“

„Viel wichtiger ist, dass du eine gute Lehrerin kriegst. Die kann Jasper dann sagen, wie er sich zu benehmen hat.“ Pfeffers Mutter war ziemlich hübsch, aber nicht, wenn sie zwischen ihren Augen diese dicke Falte bekam wie jetzt. „Ich verstehe nicht, warum wir immer noch keinen Bescheid bekommen haben, wer deine Lehrerin wird. Eine Woche vor Schulbeginn! Wenn der Brief nicht bald eintrudelt, geh ich in die Schule und hau so fest auf den Tisch, dass denen Hören und Sehen vergeht“, schimpfte sie. Sie drückte Pfeffer noch einen Kuss auf die Stirn und knipste dann das Licht aus.

Pfeffer kroch unter die Bettdecke und kraulte das lila Monster hinter dem Ohr. Es kam ihm so vor, als hätte seine Mama Angst. „Da werde ich mich wieder mal drum kümmern müssen“, sagte Pfeffer zum lila Monster. „Sonst tut’s ja keiner.“

Und eine Idee, wie er das anstellen wollte, hatte er auch schon. Er wollte herausfinden, was für Lehrerinnen zur Auswahl standen. Denn Angst hat man nur vor Dingen, die man nicht kennt. Und er wollte nicht, dass seine Mama Angst hatte.


2. Handschellen, Socken und Zombierülpser


Ich geh zu Paula!“, rief Pfeffer am nächsten Morgen nach dem Frühstück, und war bereit, in den Garten zu stürmen.

„Moment!“, rief seine Mama und kam die Treppe herunter. Sie trug einen weißen Kittel und hielt eine Feile in der Hand. Oben wartete eine Kundin, die sich von der Mama die Fingernägel machen ließ.

„Was willst du denn damit?“, fragte seine Mama verwundert und zeigte auf den Ski-Helm auf seinem Kopf und den Rucksack.



„Brauch ich“, sagte Pfeffer. „Für die Forschung.“

„Ach so“, sagte Mama und ging hinaus auf die Terrasse. Über die Hecke hinweg besprach sie sich mit Paulas Mama. Die wollte am Vormittag auf die Kinder aufpassen.

Paulas Mama saß den ganzen Sommer mit ihrem Computer auf der Terrasse unter dem Nussbaum und lächelte die Kinder an, während sie Millionen Geld in den Computer tippte. Sie war Buchhalterin für eine Firma, die Hupenkröten hieß oder so ähnlich. Die verkauften Kräne und Kühlschränke. Meistens merkte die Paula-Mama gar nicht, wenn plötzlich drei andere Kinder im Garten waren oder wenn der Kinderlärm nicht mehr aus dem eigenen Garten, sondern aus der Siedlung kam. Solange sie irgendwelche Kinder hörte, war sie beruhigt.



Paula war auch schon draußen. Sie balancierte mit einem Bein auf Rocki und reckte ihre Arme zur Seite wie eine Seiltänzerin. Dann kniete sie sich hin und streckte ein Bein nach hinten. Pfeffer schleppte seinen schweren Rucksack an ihr vorbei zur Leiter und winkte Olli, der schon am Küchenfenster auf ein Zeichen wartete. Pfeffer hatte vorhin mit Olli telefoniert und ihm von seinem Plan erzählt.



Paula machte eine Verbeugung wie vor Publikum und glitt von Rockis Pferderücken. „Wir sind im Baumhaus!“, rief sie ihrer Mama zu.

„Ist guuhuut“, flötete die Mama und starrte auf den Bildschirm.

Hintereinander kletterten die Kinder ins Baumhaus. Da sauste auch schon Olli heran. Auf dem Kopf trug er einen Fahrradhelm. Er schleppte einen Aktenkoffer von seinem Papa mit, den er sich mit einer Handschelle an sein Handgelenk gebunden hatte. Um seinen Hals hing ein Lederband mit einem Schlüssel. Damit sperrte er erst mal die Handschelle auf. „Das machen die vom SEK auch.“



Paula und Pfeffer waren ziemlich beeindruckt. Auch wenn Pfeffer nicht sicher war, ob die vom Sondereinsatzkommando so was wirklich machten.

Im Aktenkoffer waren Gummibärchen, Gummischlangen, Salzstangen, Schokokekse und alte Socken.

Pfeffer schnupperte an den Socken. „Pfui Kotzkacke. Was ist das denn?“

„Socken“, sagte Olli.

„Und wofür sollen die sein?“, fragte Paula.

„Für die Schule“, erwiderte Olli wichtig. „Weil wir die erforschen wollen.“

Paula schaute erstaunt und da weihte Pfeffer sie in seinen Plan ein. Aber wozu Olli Socken brauchte, verstand auch er nicht.



„Falls uns Lehrer Katzenmeier einsperren will, stopfen wir ihm die in den Mund, dann muss er kotzen und wir können flüchten.“

Das leuchtete Pfeffer und Paula ein.

Katzenmeier war der Lehrer von Pfeffers Opa gewesen. Pfeffers Opa liebte es, wilde Geschichten von ihm zu erzählen. Wie er die Kinder zum Nachsitzen eingesperrt hatte, wie er über den ganzen Schulhof gebrüllt und Pfeffers Opa den Schlüsselbund nachgeworfen hatte. Pfeffer und seine Freunde wussten nicht genau, ob Lehrer das heute noch machten, aber sicher war sicher.

„Und warum stinken die Socken wie Zombierülpser?“, fragte Pfeffer.

„Ich hab sie im Katzenklo gewälzt.“

„Krass.“ Pfeffer klopfte seinem Freund anerkennend auf die Schulter. Dann packte er seine Schätze aus.



In seinem Rucksack waren: eine Wasserflasche, eine Stirnlampe, ein Schnitzmesser, ein Wäscheseil, ein Karabiner, das alte Funkgerät von Opa Leopold, eine Dose Ravioli in pikanter Soße, eine Packung Chili-Beißer und Uno-Karten.



Paula hatte noch nichts eingepackt, schließlich wusste sie ja erst seit eben von ihrem Plan. Aber sie flitzte ins Haus und kam bald mit ihrem Turnbeutel zurück. Sie hatte eingepackt: Bilderbücher, Unterwäsche, einen rosaroten Fotoapparat, Papier, Stifte und eine leere Flasche.

„Für eine Flaschenpost“, erklärte sie. „Die können wir aus dem Kellerfenster rollen oder ins Meer werfen.“

„Nicht schlecht!“, rief Pfeffer und überprüfte zuletzt seine Überlebens-Armbanduhr, indem er das Zifferblatt aufklappte, dann den Kompass, den Spiegel und die Lupe. Alle Systeme liefen einwandfrei. Dann zurrte er seinen Ski-Helm fest.

 

Sie kletterten aus dem Baumhausfenster und verließen den Baum nicht über die Leiter, sondern über ein Seil, das am Ende eines langen Astes hing. Von dort erreichten sie die Rutschbahn und landeten schließlich im Sandkasten, in den Buschel oder Muschel schon wieder einen Haufen gemacht hatte. Sie schauten zu Paulas Mama, aber die war über den Computer gebeugt und merkte nichts.

Zu dritt rannten sie aus dem Garten hinunter in die Spielstraße, wo Kinder aus der Siedlung mit allem fuhren, was Räder hatte. Mit Rutschautos und Rollern und Fahrrädern und Skateboards und Inlinern. Nur echte Autos durften hier nicht fahren, was ziemlich praktisch war.

Blödmann Jasper lehnte griesgrämig an einem Mülleimer vor Ollis Haus und spielte mit seinem Handy.

„Der darf uns nicht sehen“, flüsterte Pfeffer. Sie schlichen hinter der Mülltonne vorbei und rannten weiter. Den Weg kannten sie genau, denn die Schule war neben dem Kindergarten. Und mit ihren Eltern waren sie dort bei der Schulanmeldung gewesen.



Es war nicht weit, trotzdem schwitzte Pfeffer unter dem Ski-Helm.

Vor der Schule war alles größer als vor dem Kindergarten – die Bäume, der Schulhof, die vielen Fenster, das Haus.

„Was jetzt?“, fragte Olli.

„Tarnen und beobachten“, antwortete Pfeffer.

Das war Pfeffers Plan. Die Schule zu erforschen. Und vor allem ihre neue Lehrerin. Damit die dicke Falte auf Mamas Stirn verschwand. Und die Angst auch.


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