Kritias

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Kritias
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa


Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar

Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto

facultas.wuv · Wien

Wilhelm Fink · Paderborn

A. Francke Verlag · Tübingen

Haupt Verlag · Bern

Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck · Tübingen

Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden

Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel

Ferdinand Schöningh · Paderborn

Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart

UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München

Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol

vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

Platon

Kritias

Übersetzung von Heinz-Günther Nesselrath

Vandenhoeck & Ruprecht

Dr. Heinz-Günther Nesselrath ist ordentlicher Professor für Klassische Philologie an der Universität Göttingen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Printed in Germany.

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

UTB-Nr. 4150

ISBN 978-3-8463-4150-6 (UTB-Bestellnummer)

Inhalt

Platon, Kritias oder die Geschichte von Atlantis

Platon, Kritias oder die Geschichte von Atlantis

TIMAIOS: Wie erleichtert bin ich, Sokrates, wie bei erreichter Rast nach [106a] einem langen Weg, so jetzt aus der Durchwanderung meines Logos endlich entlassen zu sein! Und zu dem in Wirklichkeit bereits in einer lange zurückliegenden Zeit, jetzt aber soeben auch in meinen Worten entstandenen Gott bete ich: Möge er von allem, was vorgetragen wurde, soweit es in rechter Weise vorgetragen wurde, mir dessen Erhaltung gewähren; [106b] wenn ich aber über diese Dinge – ohne es zu wollen – etwas unstimmig gesagt habe, so möge er mir eine Strafe auferlegen, die angemessen ist. Richtig aber ist eine Strafe, wenn sie den aus der Melodie fallenden wieder in sie hineinbringt; um folglich in Zukunft die Darlegungen über die Entstehung der Götter in zutreffender Weise vortragen zu können, bete ich, er möge mir als Arznei die vollkommenste und beste der Arzneien schenken, fundiertes Wissen; und nach diesem Gebet übergebe ich gemäß unserer Übereinkunft die weiteren Ausführungen an Kritias.

KRITIAS: Wohlan, Timaios, ich übernehme; was jedoch auch du am Anfang für dich in Anspruch nahmst – du batest um wohlwollendes Verständnis, [106c] da du im Begriff seist, über große Dinge zu sprechen –, genau darum möchte auch ich jetzt bitten; und ich halte es für noch mehr recht [107a] und billig, dieses Verständnis in noch höherem Maße zu erlangen, mit Hinsicht auf die Dinge, die vorgetragen werden sollen. Dabei bin ich mir durchaus bewußt, daß ich im Begriff bin, eine Bitte auszusprechen, die reichlich anspruchsvoll ist und grobschlächtiger, als sie sein sollte; dennoch muß sie vorgetragen werden.

Deine Ausführungen sind sicherlich vorzüglich gewesen – wer würde bei klarem Verstand das Gegenteil behaupten? Daß jedoch das, was nun ausgeführt werden soll, eines noch größeren Verständnisses bedarf, weil es mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist – dies muß ich versuchen, noch etwas zu erläutern. Wenn man nämlich über Götter etwas vor Menschen vorträgt, Timaios, kann man leichter als ein kompetenter Redner erscheinen, als wenn man dies über Sterbliche vor uns tun möchte. Mangelnde [107b] Erfahrung nämlich und große Unwissenheit der Zuhörer sorgen bei allen Themen, bei denen diese Voraussetzungen auf das Publikum zutreffen, dafür, daß derjenige leichtes Spiel hat, der über diese Themen etwas sagen will; und hinsichtlich der Götter wissen wir ja doch, auf welchem Kenntnisstand wir uns befinden. Um aber noch klarer zu erläutern, was ich meine, bitte ich euch, mich bei folgender Überlegung gemeinsam zu begleiten:

Eine Nachahmung und eine nachbildende Darstellung – darauf läuft das von uns allen Vorgetragene doch wohl notwendigerweise hinaus. Was nun die Abbildungskunst der Maler betrifft, die sich mit den göttlichen und den menschlichen Körpern beschäftigt, so wollen wir sie einmal in [107c] Hinsicht darauf betrachten, wie leicht oder wie schwierig es zu erreichen ist, daß diese Körper den Betrachtenden hinreichend gut nachgebildet zu sein scheinen, und wir werden feststellen: Bei Erde und Bergen und Flüssen und Wald, auch beim ganzen Himmel, und was in seiner Sphäre vorhanden ist und sich dort bewegt, da sind wir erstens einmal zufrieden, wenn jemand auch nur mäßig in der Lage ist, etwas der Ähnlichkeit dieser Dinge angenähert darzustellen; und da wir zweitens über solche Dinge nicht genau Bescheid wissen, unterziehen wir das Gemalte weder einer näheren Prüfung noch einer Kritik, sondern wir begnügen uns in seiner [107d] Hinsicht mit einer vagen und trügerischen Schattenmalerei. Sooft aber jemand es unternimmt, unsere Körper abzubilden, da bemerken wir scharfäugig, was ausgelassen wird, weil uns diese Wahrnehmung stets begleitet, und werden zu strengen Richtern für jeden (Künstler), der nicht in jeder Hinsicht die Entsprechungen vollständig herstellt. Und das Gleiche tritt eben auch – dies muß man sehen – bei sprachlichen Darstellungen ein: Bei dem, was mit Himmel und Göttern zu tun hat, sind wir schon zufrieden, wenn deren sprachliche Wiedergabe auch (nur) in geringfügiger Weise der Wahrscheinlichkeit entsprechend ist; bei (Ausführungen zu) sterblichen Lebewesen und zum Menschen aber stellen wir genaue Prüfungen an. Wenn ich deshalb eben bei diesen jetzigen improvisierten [107e] Ausführungen nicht in der Lage bin, in jeder Hinsicht eine angemessene Wiedergabe zu liefern, so sollte man ihnen gegenüber nachsichtig sein; denn nicht als seien die sterblichen Erscheinungen leicht, sondern schwierig in Hinblick auf (unsere) Erwartung nachzubilden, so muß man sich (die Dinge) vorstellen.

Um euch an diese Sachverhalte zu erinnern, und weil ich, was verständnisvolle [108a] Nachsicht angeht, nicht ein geringeres, sondern ein größeres Maß fordern muß hinsichtlich dessen, was ich vortragen will, habe ich alle diese Bemerkungen gemacht, Sokrates. Und wenn ich denn zu Recht diese Gunst zu fordern scheine, so gewährt sie mir aus freien Stücken.

SOKRATES: Und warum sollten wir sie dir nicht gewähren, Kritias? Und noch zusätzlich dazu soll als drittem diese gleiche Gunst auch dem Hermokrates von uns gewährt sein; denn es ist klar, daß nur kurze Zeit später er, wenn er (seinerseits) vortragen soll, diese Bitte ebenso äußern wird, wie ihr es getan habt. Damit er also sich einen anderen Beginn (für [108b] seine Ausführungen) zurechtlegt und nicht gezwungen ist, den gleichen vorzutragen, soll er unter der Vorausssetzung sprechen, daß ihm verständnisvolle Nachsicht sicher ist, wenn die Reihe an ihn kommt. Allerdings will ich dir, mein lieber Kritias, (auch) die Haltung deines Publikums zum Voraus kundtun: Der Dichter vor dir hat bei ihm wundersamen Anklang gefunden – daher wirst du schon eines ganz beträchtlichen Ausmaßes an verständnisvoller Nachsicht bedürfen, wenn du in die Lage kommen willst, daran (ebenbürtig) anzuknüpfen.

HERMOKRATES: Damit freilich, Sokrates, drohst du auch mir das Gleiche an wie unserem Freund hier. Doch andererseits, Kritias: Männer [108c] ohne Mut haben noch nie ein Siegeszeichen errichtet; also heißt es nun tapfer auf die Darstellung losgehen, den Paion und die Musen zum Beistand anrufen und die Bürger der Urzeit als tüchtige Männer aufzeigen und (als solche) preisen.

KRITIAS: Mein lieber Hermokrates, da du weiter hinten aufgestellt bist und einen anderen vor dir hast, bist du noch zuversichtlich. Welcher Art dieses Unterfangen tatsächlich ist, wird es selbst dir in Kürze klarmachen; deinem Zuspruch freilich und deiner Ermunterung muß ich Folge leisten und zusätzlich zu den Göttern, die du nanntest, auch noch die anderen [108d] anrufen und unter ihnen vor allem die Göttin der Erinnerung; denn geradezu die gewichtigsten Anteile meiner Ausführungen liegen sämtlich bei dieser Göttin. Wenn ich mir nämlich in hinreichender Weise das ins Gedächtnis zurückrufe und wiedergebe, was einst von den Priestern erzählt und dann von Solon hierher gebracht wurde, dann bin ich mir einigermaßen sicher, daß ich in den Augen dieses Publikums die mir zukommende Aufgabe in rechter Weise erfüllt haben werde. Und genau dies soll nun auch endlich geschehen und keineswegs mehr aufgeschoben werden.

Als erstes von allem wollen wir uns daher ins Gedächtnis zurückrufen, [108e] daß es insgesamt 9000 Jahre waren, seit es, wie angegeben wurde, zum Krieg zwischen den jenseits der Säulen des Herakles im Außeren Meer Wohnenden und denen am Inneren Meer allen gekommen war; diesen Krieg gilt es jetzt von Anfang bis Ende darzustellen. Die Führung der einen Seite übernahm dabei, wie schon erzählt wurde, unsere Stadt – und sie hielt den ganzen Krieg bis an sein Ende erfolgreich durch –, die Führung der anderen die Könige der Insel Atlantis; von dieser sagten wir ja (schon), daß sie einst eine Libyen und Asien an Größe übertreffende Insel war, dann aber infolge von Erdbeben versank und jetzt unwegsamen Schlamm denjenigen, die von hier aus auf das weite Weltmeer hinausfahren wollen, als Hindernis entgegensetzt, so daß sie diese Reise nicht mehr [109a] unternehmen können.

 
Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?