Die drei Geschichten: »Am Rande von Bethlehem«, »Der Rattenfänger« und »Die Chinesische Nachtigall« sind aus dem Spielprogramm des Marionetten-Theaters »Wieslocher Puppenstube«

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Die drei Geschichten: »Am Rande von Bethlehem«, »Der Rattenfänger« und »Die Chinesische Nachtigall« sind aus dem Spielprogramm des Marionetten-Theaters »Wieslocher Puppenstube«
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Peter Schneider ist promovierter Zoologe und Professor an der Universität Heidelberg mit den Fachgebieten Verhaltens- und Bewegungsphysiologie. Seit 1976 schnitzt er in seiner Freizeit Marionetten und erweckt sie zusammen mit seinen drei Mitspielerinnen und drei Mitspielern so oft wie möglich zum Leben.

Nicole Schneider ist Diplom-Grafikerin in Darmstadt

Peter Schneider

Die drei Geschichten:

Am Rande von Bethlehem Der Rattenfänger Die Chinesische Nachtigall

Mit Zeichnungen von Nicole Schneider

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Überarbeitete Neuauflage

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Am Rande von Bethlehem

Der Rattenfänger

Die Chinesische Nachtigall

Peter Schneider

AM RANDE VON BETHLEHEM

Eine Weihnachtsgeschichte für Marionetten

Gedanken und Verhalten der

Randpersonen

Uraufführung 21. 12. 1987

Laurentius Kirche, Wiesloch

Vorwort

Die Idee, eine Weihnachtsgeschichte für Marionetten zu schreiben, in der die Hauptpersonen nicht in Erscheinung treten, und die Randfiguren zu Hauptpersonen werden, wurde geboren, als wir in der Heilig Geist Kirche in Heidelberg Szenen aus dem „Kleinen Prinzen“ von St. Exupéry spielten. Die Stimmung und Atmosphäre in dieser ehrwürdigen Kirche weckte den alten Gedanken wieder, dass früher Marionetten in Kirchen spielen durften, um den leseunkundigen Gläubigen Geschichten zu verdeutlichen. Und noch ein anderer Gedanke spielte bei der Verwirklichung dieses Stückes mit. Die Weihnachtsbotschaft sollte die Liebe im Zentrum haben, nicht die Gnade, nicht die Verzeihung, nicht die Erlösung, sondern die Liebe, die Jesus, wenn man der Bibel glauben darf, derart eindeutig praktizierte, dass es uns unverständlich erscheint, warum unsere Geistlichen diesen Kern meist nicht sehen. Jesus liebte und achtete z. B. die Frauen, er erlaubte sich, mit Tabus zu brechen, die sich fast kein Geistlicher erlauben darf. Und so haben wir dem Widerspruch und der Hoffnung die Liebe übergeordnet, und eine Frau spricht die letzten Worte:

„Die Liebe wird die Welt verändern“

Zur 2. Auflage 2014

Jedes Jahr haben wir dieses Stück einmal vor Weihnachten gespielt, manchmal in Kirchen oder in unserem festen Theater, im „Alten Bahnhof“. Wir waren immer wieder überrascht, wie tief die Wirkung auf die Zuschauer war, vor allem die brutale Szene mit Herodes, gegen den so ein richtiger Hass aufkam. Auch der versöhnliche und hoffnungsvolle Ton der letzten Szene mit der alten Frau, die mit brüchiger Stimme, stark noch ungarisch gefärbt, langsam und voll Zuversicht ihre Ansichten äußert. Ich habe den gesprochenen Text nur wenig geändert; die Zeichnungen wurden neu orientiert. Auf Wunsch vieler Leser wurden die Regieanweisungen in Sätze gefasst, so dass sie mehr einer Erzählform entsprechen.

Wiesloch Dezember 2013


Personen

1. Szene: Gehorsam und Freude

1. Hirte: ein alter Mann, bedächtig, mit einem Stock.

2. Hirte: trägt eine Laterne mit einer kleinen Kerze, spöttisch, aggressiv.

3. Hirte: klein, jung, etwas unreif, spontan und bockig, spielt Flöte.

2. Szene: Die Suche nach Wissen

1. Weiser: ein Heilkundiger aus Ägypten.

2. Weiser: ein Philosoph aus Indien.

3. Weiser: ein Astrologe aus Griechenland.

3. Szene: Die Macht

Herodes: König der Juden, Mann mittleren Alters, brutal und intrigant.

Schriftgelehrter: würdiger alter Herr.

Berater: untertänige, dienernde Person.

4. Szene: Der Glaube

Simeon: ein alter Mann.

Hanna: eine alte und weise Seherin.


Als die Hirten friedlich beim Feuer sitzen, hören sie die Botschaft von der Geburt Jesus und den Befehl nach Bethlehem zu gehen.

Am Rand von Bethlehem

1. Szene: Gehorsam und Freude

Die Bühne ist dunkel, nur schwach erkennt man einen Stern, der rechts außen hängt. Ein Hirte mit einer Laterne kommt langsam suchend herein. In der Mitte der Bühne findet er einen Holzstapel, an den er sich setzt. Er facht die Glut etwas an. Es folgen der erste Hirte, ein schon etwas älterer Mann und der dritte Hirte, ein Knabe noch, der nach kurzer Begrüßung seine Flöte ansetzt und eine leise, einfache Melodie spielt. Der erste Hirte kniet, auf den Stock gestützt, wiegt sich leicht im Rhythmus der Melodie. Der zweite Hirte rutscht nervös hin und her und klopft ungeduldig den Takt mit der Hand, manchmal ruckweise mit dem Kopf. Der flötenspielende dritte Hirte steht in der Mitte hinter dem Holzhaufen.

1. Hirte: „Es ist schön, was er spielt. – So friedlich alles.“

Der 2. Hirte erhebt sich, geht einen Schritt nach hinten und schaut nach den Schafen. Er kommt wieder und wendet sich an die Anderen.

2. Hirte: „Die Schafe schlafen schon. (dreht sich zu dem 1. Hirten) Ein bisschen könnte schon was passieren. (schaut sich um) Es ist wirklich alles sehr still.“

Der 1. Hirte steht auf, neigt den Kopf andächtig lauschend zur Flöte.

1. Hirte: „Ich mag es, wenn die Flöte mit der Stille spielt.“

Johann Sebastian Bachs Kantate „Jesus meine Freude“ erklingt langsam anschwellend von oben und steigert sich zu einem Fortissimo. Ein Stern leuchte an der rechten Seite des Bühne schwach auf und beginnt immer heller werdend zu strahlen. Alle drehen sich ruckartig nach dem Licht, alle halten Arme oder Hände vor die Augen. Plötzlich hört die Musik auf und eine hallende Stimme ertönt vom Himmel. Die drei Hirten waren bei der unerwarteten Musik zusammengefahren und senken tief die Köpfe. Beim Erklingen der himmlischen Stimme kniet der 1. Hirte nieder, bedeckt die Augen mit dem Ärmel. Der 2. Hirte setzt sich, beugt sich während der Botschaft immer tiefer, schaut zwischendurch aber ruckartig nach oben. Der kleine Hirte lässt sich mit Ertönen der Stimme fallen und vergräbt den Kopf zwischen den Armen.

Stimme von oben: „Fürchtet Euch nicht, ich verkünde Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen. Ihr werdet finden, das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.

Auf nach Bethlehem!“

Mit den letzten befehlenden Worten beginnt ein Lobgesang des Engels, der sich leiser werdend entfernt. Das grelle Licht verlöscht und es bleibt der Stern, der hell leuchtet. Der 1. Hirte steht als erster auf, dreht sich schnell zu seinen Gefährten und schüttelt sich.

1. Hirte: „Was war das? Ich kann nichts mehr sehen?“

2. Hirte (blickt auf): „Ich auch nicht. (steht auf) Bin fast blind und taub.“

1. Hirte: „– und diese Stimme.“ (schüttelt sich wieder, wie schaudernd)

3. Hirte (hebt nur den Kopf): „Ich habe Angst!“

1. Hirte (nickt mit dem Kopf): „Mir schlottern jetzt noch die Knie. (3. Hirte steht langsam auf) Hatte sich der Himmel geöffnet? Waren das vielleicht die himmlischen Heerscharen? (zeigt um sich) Schaut unsere Schafe, (alle drehen sich ruckartig nach hinten) wie sie sich ängstlich gegen den Boden drücken. - Man könnte meinen, ein Wolf schliche um die Herde …

 

Nachdenklich schüttelt er dabei den Kopf.

Hm, aber die Stimme hat doch gesagt, fürchtet Euch nicht.“

Er schüttelt wieder den Kopf.

2. Hirte: „Richtig, richtig, richtig! Fürchtet Euch nicht, hat sie gesagt, gut, ja gut, ja gut, auch mir ist angst, aber gehen wir lieber.

Er geht vor dem Feuer vorbei, dreht sich dann zum Publikum und hebt den Finger.

Den Mächtigen soll man nicht widersprechen, nur gehorchen. Egal ob der Befehl von oben, – von unten – oder hier von der Erde kommt.

Er geht zwei Schritte weiter, ist nun rechts vom Feuer, der 1. Hirte hat in die Mitte gewechselt.

Also kommt, auf geht’s – nach Bethlehem. Es liegt dort hinter dem Hügel, dort wo man den (er zeigt nach rechts) Stern hell leuchten sieht. Was warten wir noch, los ab mit Euch!

Solange der Stern leuchtet, sehen wir auch, wohin wir gehen, stolpern nicht über irgend etwas.“

Der 1. Hirte folgt ihm zögernd, dreht sich dann aber um.

1. Hirte: „He, Amos, komm, was wartest Du?“

Der dritte Hirte schüttelt den Kopf.

1. Hirte (geht auf ihn zu, nickt bedächtig mit dem Kopf, klopft ihm auf die Schulter): „Glaub uns, Amos, das war ein göttliches Zeichen, da hat ein Engel gesprochen, oder es war der Herr selbst. Man hat uns den Heiland angekündigt, man hat uns große Freude gemeldet, er soll in Bethlehem geboren worden sein.“

3. Hirte: „Ich habe es auch gehört, aber ich bleibe hier!“

2. Hirte (kommt zurück, steht etwa hinter dem Feuer): „Verstehst Du nicht, es ist uns befohlen worden, man hat es uns gesagt. Also gehen wir, sonst kommt statt Freude vielleicht dicker Ärger – von da oben.“

3. Hirte: „Ich habe auch eine Stimme gehört, aber ich fühle nichts in meinen Herzen.“

2. Hirte (wendet sich zu dem 1. Hirten, hebt die Hände und schüttelt den Kopf): „Sieh an, der kleine Amos, Hirt mit nur zehn Schafen. Er braucht eine besondere Einladung. Gibt es etwas Stärkeres als die göttliche Stimme?“

3. Hirte: „Meine Ohren haben eine laute Stimme vernommen, aber mein Herz hat nichts gehört. Ich möchte etwas im Herzen hören, ein Raunen, ein Murmeln.“

2. Hirte (ironisch): „Und was soll diese Stimme Dir ins Ohr murmeln?“

3. Hirte (geht einen Schritt vor, spricht bestimmt) : „Ich bin auch ein Herr, ich bin auch ein Retter, aber nur für meine Schafe. Schaut, wie sie sich fürchten.“

Alle drehen sich um und schauen zu den Schafen.

„Gott kann gut von Rettern reden und uns nach Bethlehem schicken. Aber wer hütet die Schafe, wer ist ihr Herr, wer ist ihr Retter? -(sehr bestimmt) Ich bleibe hier.“

2. Hirte: „Also hört Euch diesen Lauser an …“

Der 1. Hirte unterbricht ihn schnell.

1. Hirte (zum 2. Hirten): „Vielleicht hat er recht. Vielleicht steht es geschrieben, dass wir den neuen Erlöser, den lang erwarteten Messias sehen sollen, vielleicht den Fuß an Gottes Thron setzen dürfen. Und vielleicht steht es auch geschrieben, (er wendet sich zu dem Kleinen) dass Du Amos, ein anderes Wunder erleben wirst und bei den Schafen bleiben sollst (dreht sich leicht ab und schaut zurück). Bleib hier, wir gehen wie befohlen (die beiden marschieren los, der 1. Hirte schaut sich nach zwei Schritten nochmals um) und passe gut auf die Schafe auf!“

Beide gehen ab. Der kleine Hirte schüttelt den Kopf und winkt ihnen nach. Bedächtig schreitet er vor die Feuerstelle, schaut sich mehrfach nach den Schafen um und spricht zu sich selbst.

3. Hirte: „Für einen kleinen Hirten mit nur zehn Schafen ist kein Platz am Fuße von Gottes Thron. Er hat seinen Platz bei den Schafen. Da ist auch kein Platz in seinem Kopf, wo er sich Gedanken machen müsste, ob nun der neue Retter als Kind geboren worden ist oder nicht.“

Er hebt seine Flöte an die Lippen und spielt leise vor sich hin, recht munter und fröhlich, losgelöst von irgendwelchen schweren oder wichtigen Problemen.

Nun sind sie wieder still. Ich glaube für meine Schafe sind die Engel einfach zu leuchtend. Ein kleiner Hirte ist besser für sie.“

Er spielt noch ein wenig und geht zwei Schritte nach hinten, wo die Schafherde grast (mit dem Rücken zum Publikum). Er nimmt ein frisch geborenes Lämmchen auf, dreht sich wieder herum und streichelt es liebevoll.

Die beiden anderen Hirten kommen eilig wieder und schauen sich suchend um. Als sie ihn entdecken, gehen sie schnell auf ihn zu.

1. Hirte: „He, Amos, wo bist Du? Ah, dort bist Du. Ist alles in Ordnung?“

2. Hirte (drängt sich eilig vor, und stößt den Alten weg): „Wir haben den Retter gesehen, den Messias, den lang Ersehnten. Das hättest Du erleben sollen, das war eine Freude!“

1. Hirte: „Schweig! – (zum 2. Hirten, er schüttelt den Kopf, etwas ratlos) Wir haben ein Kind gesehen, ein ganz normales Kind, eine Mutter und einen Vater, und sie sind sehr arm. So wird kein Held und Retter geboren – und auch kein König. (zum Publikum)

Aber die Stimme hat uns gesagt, es wäre der Heiland, und es wäre eine große Freude für uns – und der Stern stand genau über dem Stall.

Er schüttelt nochmals den Kopf, richtet sich ruckartig auf und spricht zu den beiden anderen Hirten, immer hin und her blickend.

Also, lasst uns freuen und glauben, dass es vielleicht doch der Messias ist. So lange wartet schon das Volk Israel, er müsste es endlich sein.

Und Du, (zu Amos) was hast Du gesehen?“

3. Hirte: „Ich? – Schaut, was hier geschehen ist! Ich habe nun elf Schafe. Es war sehr schwach, aber es lebt – wie Eure Hoffnung – wie eure Freude.“

Alle gehen zu dem neugeborenen Schaf und begutachten es.

Vorhang

Leise beginnt die Gitarre mit Bachs Kantate „Jesus, meine Freude“


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