Eine Zukunft für meine Kinder

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Eine Zukunft für meine Kinder
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Pacem Kawonga

Eine Zukunft für meine Kinder

Eine mutige Frau

und ihr Kampf gegen Aids

PACEM KAWONGA

Eine Zukunft für meine Kinder

Eine mutige Frau

und ihr Kampf gegen Aids

Aus dem Italienischen übersetzt

von Gabriele Stein


Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Un domani per i miei bambini« bei Edizioni Piemme, Segrate

© 2013 Edizioni Piemme

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de‹ abrufbar.

© für die deutschsprachige Ausgabe : Echter Verlag GmbH, 2015

Genehmigte Lizenzausgabe für den Echter Verlag, 2015

Umschlag : Peter Hellmund

(Umschlagbild : © Zack Pixel, Fotolia)

Satz : Hain-Team (www.hain-team.de) Druck und Bindung : CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-429-03834-2 (Print) 978-3-429-04818-1 (PDF) 978-3-429-06235-4 (ePub)

INHALT

Eine dünne rote Linie

Der Tanz der Ngoni

Jenseits der Mauer

Was habe ich dir getan ?

Ein anderes Lilongwe

Der Vater meiner Kinder

Hunger

HIV

Melinda

Das Ergebnis

Wieder im VCT

Sechs

Der erste Termin

Warum (Dr. Jere)

Allein in der Nacht

Auf der Straße

Eheberater

Befürchtungen und Bestätigungen

6. Januar 2006 : noch eine Veränderung

Das Antenatal Care von Mponela

James

Der erste Lohn

Die Ausbildung

Ich bin nicht allein

Lehrer

Kinder

Jugendliche

Kleine Hoffnungen

I Dream

Mosambik

Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann

Koordinator

Die Macht der Worte

Heute

Manifest der Bewegung I Dream

Dream in Zahlen

EINE DÜNNE ROTE LINIE

Es war ein Tag wie viele andere und die gewaltige Scheibe der Sonne färbte den Himmel rot. Die Regenzeit verspätete sich in jenem Januar des Jahres 2005, und wir konnten nichts tun, als zum Himmel zu schauen und zu warten. Die ersten Monate des Jahres sind hart in Malawi und werden nicht umsonst die »Jahreszeit des Hungers« genannt. Die Vorräte gehen zur Neige, wenn sie nicht schon aufgebraucht sind, und den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und auf die neue Ernte zu warten. Auch wenn wir Mais anbauen, wo es nur geht – Mais ist das Hauptnahrungsmittel des Landes : Wir bereiten daraus einen weißen Brei zu, die Nsima, die wir fast täglich essen ; dazu gibt es Trockenfisch, Gemüse, Ziegenfleisch oder, an Festtagen, Rind oder Hühnchen –, haben wir doch nie genug. Tag für Tag werden die Portionen kleiner und die Teller leerer.

An jenem Morgen war ich früh aufgewacht, und weil die Sonne schien, hatte ich beschlossen zu waschen. Mein Mann war zur Arbeit in Salima und würde die ganze Woche dort bleiben, und weil die Schulen geschlossen waren, war Maupo, mein Ältester, bei meinem Bruder in Kasungu.

Ich hatte eine lange und unruhige Nacht hinter mir. Die x-te. Seit etwa drei Monaten, seit Melindas Geburt, war mein Kopf mit Ängsten und Sorgen angefüllt, die in der Dunkelheit noch tückischer wurden. Eine Mutter spürt, wenn etwas nicht stimmt, und mit Melinda stimmte etwas nicht, da war ich mir sicher. Sie fieberte oft und nahm einfach nicht zu. Seit ihrer Geburt wurde sie in immer kürzeren Abständen von Erbrechen und Durchfall geplagt. Mit Maupo, der inzwischen sechs Jahre alt war, hatte es nie solche Probleme gegeben.

Ich war gerade auf dem Weg, um das Waschwasser zu holen, als mein Entschluss mit einem Mal feststand. Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, aber nun würde ich es wirklich tun. Ich setzte die Schüssel mit der schmutzigen Wäsche ab, ging wieder ins Haus und wühlte in meinen Sachen. Ich steckte die wenigen Münzen ein, die ich beiseitegelegt hatte, nahm die Chitenge, ein langes Tuch aus buntem Stoff, und band mir Melinda auf den Rücken.

Meine Schwägerin, die in der Nähe der Tür ein paar Töpfe sortierte, fragte mich : »Wohin willst du denn so eilig ?«

»Zu meiner Familie, nach Lilongwe«, antwortete ich und ging rasch weiter.

An der Minibus-Haltestelle in Mponela stieg ich in den ersten Kleinbus, den ich fand. Er war überfüllt, wie immer. Die Busse, die in Malawi für den öffentlichen Verkehr eingesetzt werden, haben neun Sitzplätze, befördern aber manchmal bis zu 27 Personen. Die Polizei weiß das, aber sie drückt ein Auge zu. Sonst könnten die Fahrgäste die Fahrt nicht bezahlen und die Fahrzeughalter und Fahrer nichts verdienen. Alle Kleinbusse aus dem Norden des Landes, die in die Hauptstadt Lilongwe fahren, kommen über Mponela. Sie sind nur in den seltensten Fällen leer, zumal sie in der Regel nicht abfahren, ehe sie so viele Fahrgäste eingesammelt haben, dass wenigstens die Benzinkosten gedeckt sind.

Während der Fahrt drängten sich die Gedanken in meinem Kopf genauso dicht wie die Menschen in dem klapprigen Kleinbus, doch tief in meinem Inneren spürte ich, dass ich das Richtige tat. Endlich hatte ich auch ohne die Zustimmung meines Mannes den Mut gefunden, etwas zu tun, mich dem Problem zu stellen und die Antwort auf eine Frage zu suchen, die mich seit Monaten quälte.

Ich stieg in der Nähe der Klinik von Mtenga Wa Ntengha aus, die etwa zehn Kilometer von meinem Dorf entfernt lag. Doch noch während ich durch die Marktstände im Eingangsbereich hindurchschritt, löste sich die Sicherheit, die ich auf der Fahrt gespürt hatte, plötzlich in Nichts auf. Das VCT, die ehrenamtlich betriebene Ambulanz, wo man den HIV-Test machen kann, befand sich gleich hinter dem Haupteingang. Ich war fast da, doch ich konnte diesen letzten Schritt nicht tun. Wollte ich den Test wirklich machen ?

Ich wusste nicht viel über Aids. Ich hatte gehört, dass es Medikamente gab, aber ich war davon überzeugt, dass jemand, der infiziert war, nur noch ein oder zwei Jahre zu leben hatte. Ich hatte so viele Menschen krank werden und sterben sehen : Männer, junge Mädchen und Kinder, die noch ein paar Wochen zuvor scheinbar kerngesund gewesen waren und dann innerhalb weniger Tage dahingerafft wurden. Sonntagnachmittags gab es auf 2FM eine Radiosendung, Der Wind der Hoffnung. Alle meine Informationen stammten von dort. Die Kranken erzählten ihre Geschichte und berichteten von ihren schwierigen Lebenserfahrungen. Ich hörte zu und staunte : »Wenn sie krank sind und überlebt haben, dann gibt es auch für mich noch Hoffnung, wenn ich positiv getestet werde. Ich muss nur den Test machen«, so sagte ich mir, »und diese Bürde hinter mich bringen. Es ist sinnlos, noch länger zu warten.«

Ich ging zwischen den Marktständen und dem Hof der Ambulanz hin und her, ohne auf meine Umgebung zu achten. Ich nahm mir Zeit. Ich traf einige Bekannte, die mich begrüßten. Eine Nachbarin, die ihre Schwester besuchte, fragte mich : »Was tust du hier ?«

 

Ich erfand eine Ausrede. »Ich habe Melinda hergebracht, zu einer Kontrolluntersuchung«, improvisierte ich.

Ich fühlte mich beobachtet, als ob alle Augen auf mich und mein kleines Mädchen gerichtet waren.

Ich näherte mich der Tagesklinik. Jemand vom Reinigungspersonal bemerkte mich : »Mama«, sprach er mich an, »musst du den Test machen ?«

»Nein …«, antwortete ich zögernd. Und nahm meine Runde zwischen Hof und Eingang wieder auf, bis ich mich schließlich immer weiter von der Ambulanz entfernt hatte.

Ich war ratlos. Mein Mann wollte nicht, dass wir uns untersuchen ließen, er sagte, das sei nicht nötig. Er hatte immer versucht mich zu beruhigen. Doch irgendetwas stimmte nicht mit mir. Ich brauchte Gewissheit, ganz gleich, wie das Ergebnis ausfallen würde. Ich wandte mich um, holte tief Luft und trat mit entschlossenem Schritt durch die Tür. »Ich darf nicht länger davonlaufen«, sagte ich mir, »ich muss die Wahrheit wissen.« Ich ging hinein. Niemand war im Raum, nur ich und mein kleines Mädchen, das ich auf dem Rücken trug. Ich wollte schon wieder umkehren, doch es war zu spät : Eine Krankenschwester kam auf mich zu und bat mich hinein.

»Einen Moment«, sagte ich. Ich spürte, dass ich noch nicht bereit, dass ich nicht überzeugt war. Woher sollte ich den Mut nehmen, weiterzugehen ?

Die Frau kam näher und sagte freundlich : »Mach dir keine Gedanken, wenn dir nicht danach ist, kannst du ein andermal wiederkommen …«

»Nein«, sagte ich, »es hat keinen Zweck, länger zu warten. Ich will den Test machen. Jetzt.«

Sie bat mich in ein kleines Zimmer mit sauberen weißen Wänden und ließ mich Platz nehmen. Dann fragte sie mich : »Warum bist du gekommen ?«

Ich wusste nicht, ob ich mich ihr anvertrauen, ob ich ihr eine ehrliche Antwort geben und mit ihr über meine tiefsten Ängste sprechen sollte. Doch wenn ich ihr nicht die Wahrheit sagte, würde sie mir vielleicht nicht alles erklären, was ich wissen musste.

Statt einer Antwort fragte ich sie : »Wie viele von den Leuten, die herkommen, um den Test zu machen, sind positiv ?«

»Warum willst du das wissen ?«

»Ich will es eben wissen. Wie viele ?«

»Viele. In der Regel machen sie den Test, weil sie schon erste Symptome haben oder glauben, sie hätten sich infiziert …«

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich sagte mir : »Wenn sich so viele Kranke ihrer Krankheit stellen, kann ich das auch.« Doch gleichzeitig dachte ich, dass es dumm sei, sich zu ängstigen. »Ich kann nicht HIV-positiv sein, James hat immer gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen, er hätte kein Aids, der Husten würde schon wieder weggehen, das sei noch von der Tuberkulose …«

Dann brach ich zusammen, verlor die Beherrschung. Ich schüttete mein Herz aus und erzählte ihr, dass ich gekommen sei, weil ich so viel Gerede über meinen Mann gehört hätte. Anfangs hätte ich noch gedacht, das sei nur böser Tratsch, doch dann hätten mich mehrere Frauen angerufen, die gesagt hätten, sie seien mit meinem Mann verlobt, und ich hätte es mit der Angst bekommen. Und dann hätte ich mich entschieden : »Wenn das Ergebnis negativ ist, gehe ich nach Hause, nehme meine Sachen und meine Kinder und verschwinde für immer.«

»Warum willst du gehen, wenn du nicht krank bist ?«, fragte sie erstaunt.

»Weil ich sicher bin, dass ich die Kraft habe, ein neues Leben anzufangen, und dass ich auf mich selbst und meine Kinder aufpassen kann. Doch wenn ich positiv bin, dann wird mein Mann sich um uns kümmern müssen.«

Die Frau ließ mich reden und hörte mir zu, während ich meinen Gefühlen Luft machte. Als ich beinahe atemlos zum Ende kam, erklärte sie mir einfach nur, wie der Test funktionierte. Sie würde mir mit einer Lanzette in den Finger stechen, Blut abnehmen und einen Tropfen davon auf jeden der beiden Teststreifen geben, die sie vor sich auf dem Tisch liegen hatte. Dann würde sie einen Tropfen Reagenzflüssigkeit hinzufügen, und nach einigen Minuten hätten wir die Antwort. Wenn eine dünne rote Linie erscheine, sei das Ergebnis negativ, bei einem positiven Ergebnis seien es zwei Linien. Meine Zukunft und die Zukunft meiner Kinder hingen von einer einzigen farbigen Linie ab.

Nach der Blutabnahme ging ich zurück ins Wartezimmer. Es war leer, Melinda und ich waren allein. In diesem Augenblick der Anspannung betete ich mit aller Kraft. Ich war aufgewühlt, ich hatte Angst. Mein Herz klopfte laut, es gelang mir nicht, stillzusitzen. Melinda schlief zum Glück ahnungslos in ihrem Tuch. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand die Krankenschwester wieder in der Tür und rief mich beim Namen. »Pacem«, sagte sie, »komm.«

Ich ging hinein und setzte mich auf den Stuhl.

Sie fragte : »Was hast du für ein Gefühl ?«

Plötzlich wollte ich weglaufen und wünschte mir von ganzem Herzen, ich wäre niemals durch diese Tür gegangen. »Ich will es nicht mehr wissen«, antwortete ich.

Die Frau schüttelte den Kopf. Sie lächelte. Sie sagte mir, ich solle ruhig sein, es sei ja nun geschehen. Sie nahm den Teststreifen und blickte darauf. Sie hob den Blick. Dann senkte sie ihn wieder. Ich konnte nicht mehr, ich hielt es nicht mehr aus : »Los, sag schon !«

»Was hast du für ein Gefühl ?«, fragte sie wieder.

»Das ist mir egal, aber mach schnell. Ich werde es akzeptieren, ganz gleich, wie es ausgeht.«

Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe ; tief in meinem Herzen war es nicht wahr, und doch sagte ich es : »Ich werde es akzeptieren, ganz gleich, wie es ausgeht.«

DER TANZ DER NGONI

In Malawi leben viele ethnische Gruppen friedlich beieinander. Die größte von ihnen sind die Chewa, deren Sprache, das Chichewa, unsere Landessprache ist ; daneben gibt es die Yao, die Lomwe, die Sena, die Tumbuka, die Ngoni und andere. Jede Ethnie hat ihre Traditionen und ihre Wurzeln, doch Umsiedlungen und die zunehmend häufigen Mischehen haben die Unterschiede verwischt. Ich bin eine Tumbuka wie mein Vater, weil sich bei uns – anders als bei den Chewa oder den Lomwe, die in den südlichen Regionen leben – die ethnische Zugehörigkeit über den Vater vererbt. Auch Mzimba, das Dorf meiner Mutter, ist größtenteils von Tumbuka bewohnt, doch dort leben auch viele Ngoni. Meine Großmutter zum Beispiel. Sie war nicht nur eine Ngoni, sondern außerdem Mitglied einer traditionellen Tanzgruppe, die den Präsidenten auf seinen Reisen begleitete.

Hastings Kamuzu Banda wurde der erste Präsident von Malawi, als das Land nach Jahren der englischen Herrschaft 1964 unabhängig wurde. Banda hatte in den Vereinigten Staaten Medizin studiert und in Großbritannien und Ghana gearbeitet. Als er 1958, nach über 40 Jahren, zurückkehrte, wurde er zunächst Vorsitzender des Nyasaland African Congress (NAC) und danach der Malawi Congress Party (MCP). Der Präsident betrachtete sich als Vater der Nation und ließ sich feiern wie ein Familienoberhaupt. Insbesondere die Frauen und die Kinder mussten ihn ehren und ihm zujubeln, und der Tanz, der einen festen Bestandteil unserer Kultur und unseres Alltags darstellte, war eine Möglichkeit, ihm diese Ergebenheit zu zeigen. Für Banda zu tanzen wurde zu einer Pflicht. Jedes Mal, wenn er von einem Auslandsbesuch zurückkam, wurden die Leute in den Dörfern abgeholt und auf Lastwagen zum Empfang ihres Präsidenten und Vaters gebracht. Meine Großmutter gehörte einer Gruppe von etwa 20 Tänzerinnen an und hatte so die Gelegenheit, ihn persönlich kennenzulernen. Und mit Mama Kadzamira zu sprechen, seiner Krankenschwester und Mitarbeiterin, die, weil sie ihm nie von der Seite wich, im Grunde so etwas wie eine First Lady in pectore war. Als wir nach dem Tod meiner Großmutter ihre Sachen durchsahen, fanden wir unzählige Stoffe und Chitenges, die anlässlich der jeweiligen Feiern mit Bandas Bild bedruckt worden waren. Es waren so viele, dass wir sie an unsere Freunde im Dorf und an Verwandte verteilten. Auch ich habe den Präsidenten einmal gesehen und zu seinen Ehren getanzt, als ich noch ein kleines Mädchen war. Nach Schulschluss ließen unsere Lehrerinnen uns auf einen großen Lastwagen aufsteigen und brachten uns zu seiner Residenz im Distrikt 3 von Lilongwe. Nach der Vorführung kam Banda, um uns einzeln zu begrüßen. Er tätschelte mir den Kopf, und ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

Mein Vater sprach nicht gerne über seine Kindheit. Ich wusste nur, dass er aus Chitipa stammte, einem Dorf im Norden, fast an der Grenze zu Tansania ; dass seine Eltern sehr arm gewesen waren und dass er hatte kämpfen müssen, um ein Auskommen zu haben und etwas zu lernen. Er hatte einen starken und entschlossenen Charakter, und das hatte ihm geholfen, so weit zu kommen : aus einem elenden und vergessenen Dorf bis in die Hauptstadt, wo er für die Regierung arbeitete. Manchmal, wenn wir abends zuhause saßen, entspannte er sich und erzählte oder dachte laut nach. Er ermahnte uns und erinnerte uns daran, wie sehr er sich hatte anstrengen müssen, um seine Lage zu verbessern : »Als ich jung war«, sagte er dann, »trug ich nie Schuhe an den Füßen, aber ich habe hart gearbeitet, ich habe mich angestrengt und viel gelernt, und ich bin weit gekommen. Heute«, sagte er zufrieden, »kann ich für euch alle sorgen.« Ich glaube, dass seine Vergangenheit sehr hart gewesen ist. Wie die vieler Menschen, die – manchmal auch heute noch – geboren werden, leben und sterben, ohne jemals ein Paar Schuhe an den Füßen getragen zu haben.

Nach der Heirat und einer ersten Anstellung bei Air Malawi in Lilongwe wurde mein Vater Untersekretär im Außenministerium. Er war viel auf Reisen. Er war wochen- und manchmal sogar monatelang unterwegs und besuchte im Rahmen seiner Arbeit viele fremde Länder. Er kannte den Präsidenten persönlich und arbeitete eng mit Aleke Banda, einem seiner wichtigsten Vertrauten, zusammen. Er war ein zurückhaltender Mann und bestrebt, Arbeit und Privatleben auseinanderzuhalten. Wenn er zum Beispiel im Gottesdienst zufällig einem Kollegen begegnete, grüßte er ihn nur förmlich. Vater redete nicht viel und war stets verschlossen. Wenn wir ihn ansprachen, meine beiden Brüder und ich, waren wir immer ein wenig befangen. Doch als er krank wurde, änderte er sich von Grund auf, und kurz vor seinem Tod wurde mir klar, wie gern er uns hatte.

Dass meine Mutter die Schule besuchen konnte, verdankte sie einem Onkel, der für die ADMARC arbeitete, eine malawische Institution, die für Produktion, Verkauf und Ausfuhr der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zuständig war. Bei uns im Land war es Sitte, dass jeder, der ein Gehalt bezog oder über anderweitige finanzielle Mittel verfügte, den übrigen Familienmitgliedern half. Der Onkel bezahlte ihr die weiterführende Schule und danach auch das Teachers Training College.

Ich weiß nicht genau, wann die beiden einander begegnet und wann sie endgültig in die Hauptstadt gezogen sind. Ich weiß nur, dass sie sich in dem Kleinbus kennengelernt haben, der sie zu ihrer jeweiligen Schule brachte, und dass ihre Eltern ihre Verbindung befürworteten und unterstützten, sobald sie davon erfuhren. Sie heirateten 1976, der erste Sohn wurde 1977 geboren, ich, das einzige Mädchen, kam 1978 und der jüngste Sohn 1984 zur Welt. Eigentlich bekamen sie nach mir noch eine weitere Tochter, doch sie starb gleich nach der Geburt. Obwohl ich damals noch klein war, erinnere ich mich, dass meine Mama geweint hat und dass es ihr schlecht ging. Doch sie kam wieder auf die Beine, wie so viele afrikanische Frauen. Meinen Namen, Pacem, hat mein Vater ausgesucht. Er ist einzigartig : Mir ist in meinem ganzen bisherigen Leben kein zweiter Mensch begegnet, der diesen Namen trägt. Einmal habe ich ihn gefragt, was mein Name bedeute, und er hat mir geantwortet, es sei der Titel eines lateinischen Texts, den er vor meiner Geburt gelesen habe ; später habe ich mir gedacht, dass es sich wohl um die Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII. gehandelt hatte.

Lilongwe, das Präsident Banda 1975 zu seiner Hauptstadt gemacht hatte, war in 50 Viertel unterteilt, die Bezirke genannt wurden. Anfangs, als meine Mutter noch an den weiterführenden Schulen unterrichtete, wohnten wir in Bezirk 15. Danach zogen wir in Bezirk 11, und 1984, als mein Vater die Stelle im Außenministerium bekam, übersiedelten wir in den zehnten Bezirk, einen der schönsten und exklusivsten der Stadt, der mitten im Grünen lag und von Regierungsmitgliedern und Diplomaten bewohnt war.

Mein Vater war häufig auf Reisen und blieb lange fort. Er war in den Vereinigten Staaten, in Deutschland, in Äthiopien. Jedes Mal, wenn er zurückkam, brachte er uns Geschenke mit ; oft war es etwas zum Anziehen. Am Tag seiner Ankunft holten wir ihn in einem Wagen mit Fahrer, den sein Büro zur Verfügung gestellt hatte, am Flugplatz ab. Das war immer ein Fest, und wir genossen die wenigen Minuten, die wir mit ihm hatten. Zuhause sahen wir ihn wenig oder gar nicht. Wenn er in der Stadt war, kam er spät heim, manchmal erst nach Mitternacht. Er sagte dann, dass er im Büro aufgehalten worden sei, dass er so viel zu tun habe. Meine Mutter sagte nichts. Sie vertraute ihm. Wir vertrauten ihm.