Vreneli's Gärtli

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Vreneli's Gärtli
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1895 erscheint Panizzas Theaterstück «Das Liebeskonzil» und bringt ihm in München ein Jahr Gefängnis wegen «Gotteslästerung» ein. Nach Verbüßung der Strafe geht er 1896 nach Zürich ins Exil, wo er 1898 wieder ausgewiesen wird. Er wäre gerne geblieben. In «Vreneli’s Gärtli» verar­beitet Panizza seine ungemütliche Situation als Flüchtling in der Schweiz mit unbändigem Humor und ironischer Übersteigerung in ein Schicksal von antikischem Ausmaß in klein-bürgerlicher Umgebung.

«Vreneli’s Gärtli» heißt ein Gasthaus im Wald bei Zürich, und als er davon hört, ist dem Mann sofort klar: Vreneli ist die eidgenössische Variante der Venus, der Vrenesberg ist der Venusberg, da muss er hin. Und so macht er sich auf zu diesem anmutigen Ort, wo er tatsächlich auf Venus trifft, eine bodenständig-pragmatische Venus helvetischer Prägung, die ihm tief in die Augen blickt und fragt: «Was trinkt der Herr füren Wi?»

Und so lässt er Eglisauer, Stammheimer und Herrliberger auftragen und jauchzt innerlich, mit jedem Glas wachsen sein Glück über die Freiheit in der Schweiz mit ihren ‹griechischen› Hirtenmädchen und sein Groll auf den deutschen Polizeistaat, die Hirtenmädchen tragen auf, das Gelage nimmt seinen Gang, und der Flüchtling freut sich auf die Nacht in den weichen Armen der Freiheit …

Panizzas «Vreneli’s Gärtli» ist das Psychogramm eines Flüchtlings ebenso wie jenes der Schweiz als Exilland, und beide bleiben in ihrer Ambivalenz aktuell.


Oskar Panizza, 1853 geboren in Bad Kissingen, ausgebildet zum Nervenarzt, war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und Publizist. Er griff den autoritären wilhelminischen Staat scharf an und war ein dezidierter Antikatholik, seine Bücher wurden meist sofort verboten, er selbst polizeilich verfolgt. 1896 bis 1898 lebte er in Zürich, nach seiner Ausweisung in Paris. International steckbrieflich gesucht, ging er nach Deutschland zurück, er starb 1921 in einem Sanatorium in Bayreuth.

Ute Kröger, Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte, Doktorat. Lehrtätigkeit an Gymnasien und in der Erwachsenenbildung in Deutschland; wissenschaftliche und publizistische Arbeiten. Lebt als freie Publizistin in Kilchberg.

Oscar Panizza

Vreneli’s Gärtli

Eine Zürcher Begebenheit

Nebst ausführlicher Darlegung der Umstände ­gelegentlich der Ausweisung des Herausgebers der «Zürcher Diskußjonen» aus Zürich

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Ute Kröger

Limmat Verlag

Zürich


Titelblatt der Ausgabe 1899, in der «Vreneli’s Gärtli» erschien.

Vreneli’s Gärtli
Eine Zürcher Begebenheit

von Oskar Panizza (Paris).1

1 Dieser Aufsaz stamt aus dem Frühjahr 1898, wie ich zur Orjentirung meiner Freunde und der Leser der Diskußjonen bemerken will.

Zum «Vreneli’s Gärtli» — so hatte ich jüngst un­zweifelhaft auf einem ehrlichen Schweizerischen Wegweiser in der Umgegend von Zürich gelesen, nicht weit oberhalb der Stelle, wo der junge Georg Büchner, der Verfasser von «Danton’s Tot» sein Grabmal hat, und nicht sehr weit von der Stelle, wo einst der wunderliche Johannes Scherr an den Abhängen des Zürichbergs seine grausigen Gestalten beschwor.

«Vreneli’s Gärtli» — das klang so anmutig, so poetisch, so urlieblich und so urdeutsch — das mußte ein gutes Restaurant sein, wenn es eines war; dort mußte es einen guten Wein geben; das mußte ein lokender Berg sein, oder ein zauberisches Tal, wenn es ein Berg oder ein Tal war .....

Aber ich war auch filologisch gebildet genug, um hinter diesem geheimnisvoll andeutenden Wort mancherlei Ur-Alemannisches und Schwäbisch-Singsangliches und Schweizerisch-Schalkhaftes zu vermuten. «Vreneli», das war kein modernes Wirtshausschild, das war auch keine Wirtin aus dem Kanton, das war überhaupt nichts Polizeilich-Angemeldetes …..

«Vreneli’s Gärtli» — ein Wegweiser auf of­fenem Waldweg, auf der Höhe des Zürichberges, und über diesem hinweg nach Norden weisend, durch Wald und Dikicht — — mir war, als stünden die Gebrüder Grimm hinter diesem Wegweiser, und erhöben drohend ihre Arme, quer hinausstrekend wie Wegweiser, und riefen mir zu: Dort geht’s in’s Heidentum!

Ich hatte weder Zeit noch Mut, zu so vorgeschrittener Nachmittagsstunde einen so weiten und gefährlichen Weg einzuschlagen, aber ich war fest entschlossen, diesem germanistischen Wegweiser in tunlichster Bälde nachzugehen: etwas Heidnisches, etwas Literarisches und etwas Filologisches mußte hinter diesem Wegweiser steken.

Am nächsten Tag ging ich zu Papa Schabelitz, der Alles weiß, was im Kanton Heidnisches, Filologisches oder Literarisches paßirt, oder früher einmal paßirt ist, und trug ihm mein Anliegen vor. Er hörte mir lange zu, dann sagte er in seiner troknen, skeptischen Art, mit der er stets den allzu fantastischen ­Anwandlungen bei seinen Autoren zu begegnen wußte: «Alles ist mir nicht klar. Aber sehen Sie doch einmal in den «Schweizerischen Volks­lie­dern» von Tobler nach, die mein Freund Huber in Frauenfeld herausgegeben hat. Vielleicht finden Sie dort Etwas. Wein gibt es dort jedenfalls keinen besonderen, sonst wär’ mir das Wirtshaus bekant.»

Ich las im Tobler, und las:

«Danuser war ein wundrige Knab,

groß Wunder got er go schaue;

er got wohl uf der Frau Vrenes Berg

zu dene dri schöne Jungfraue.

*

«Er schaut zu einem Fensterli i,

groß Wunder kann er da schaue;

drum got er zu dem Frau-Vrenesberg

zu dene dri schöne Jungfraue.

*

«Die sind die ganze Wuche gar schö

mit Gold und mit Side behange,

händ Halsschmeid a und Maiekrö

— — — — — — — — — — — — »2

2 Schweizerische Volkslieder hrsg. von L. Tobler. Frauen­feld, J. Huber 1882. Bd. I. S. 102.

mir ging das Herz auf; ich wußte, daß ich an eine der zauberischsten Stellen des ganzen südwestlichen Deutschlands gelangt war; noch deutlicheren Beweis brachte das folgende Lied:

«Tannhäuser war ein junges Bluet;

der wolt groß Wunder g’schaue;

er gieng wol auf Frau Vreneli’s Berg

zu selbige schöne Jungfraue.

*

«Wo er auf Frau Vreneli’s Berg ist cho,

chlopft er an a d’ Pforte:

‹Frau Vrene, wend er mi ine lo?

will halten eure Orde.›

*

«‹Tannhäuser, i will d’r mi G’spile ge

zu-m-ene ehliche Wibe.›

‹Diner G’spilinne begehr ich nit,

min Leben ist mer z’liebe.›

*

‹Diner G’spilinne darf ich nüt,

es ist mir gar hoch verbote;

si ist ob’ em Gürtel Milch und Bluet

und drunter wie Schlangen und Chrote.›»3

3 ebenda Bd. II. S. 159.

Die Sache war richtig; ich war auf dem Weg zum ­Venusberg; ausdrüklich war noch in einer Anmerkung darauf hingewiesen, daß «Vreneli» ebenso zu der altdeutschen Freia, der Göttin des Liebreizes und der Minne, wie zu der römischen Venus hinweise, also eine lezte Schweizerische Wirtin Wunderhold, die in dieser Zeit der trostlosen Oede und Herzensqual noch freundliche Stuben ihren ­Besuchern zur Verfügung stelt …..

Donnerwetter! — sagte ich mir — die Sache komt mir gelegen. Die ganze Geschichte erschien mir nun von der äußersten Wahrscheinlichkeit. Denn daß es in diesem Lande noch andere Schweize­rinnen gebe, als jene, die in Zürich auf der Bahnhofstraße dem schüchtern mit zärtlicher Werbung sich nahenden Fremden im resolutesten Zwingli-Deutsch antworten: «Nai, gönd Si eweg! I will nüd wüße vo Ihne …..» das war wol mit Sicherheit ­anzunehmen. Daß es im Lande Böcklin’s noch an­de­re Huldinnen geben werde, als jene 10,000 Jungfrauen, welche schon im Jahre 1888 die Unterdrükung jeder Freistätte der Liebe, das Umstürzen aller Altäre der Venus und resolute Bestrafung jedes außerhalb der Ehe sich bemerklich machenden Liebes-Verlangens für den Kanton Zürich verlangt, und im Jahre 1897 auch durchgesezt hatten4, das war wol mit Sicherheit zu erwarten. — Ja ja, die Sache war in Ordnung. Noch einmal hatte das Mittelalter helfend und fördernd in die trostlose Dürre unserer heutigen Herzensangelegenheiten, in die Verarmung unseres Gemüts, in die administrativeheliche Polizei-Konstrukzjon der «Liebe» eingegriffen und wenigstens einige seiner Sontagskinder gerettet. «Vreneli’s Gärtli» — Garten der Freia — Garten der Venus — den lezten Venus-Berg auf deutsch-administrativer Erde, ich hatte ihn entdekt.

4 Durch Volksabstimmung wurden am 27 ten Juni 1897 alle «Häuser» im Kanton Zürich aufgehoben, und außerdem, durch Neuaufnahme eines Paragrafen in das Straf-­Gesezbuch, der Versuch, auf öffentlicher Straße die Zuneigung eines Mädchens zu gewinnen, unter Strafe gestelt. Siehe: Strafgesezbuch für den Kanton Zürich. Neudruk 1897. § 127.

Sogleich machte ich mich am nächsten Tag in ­al­ler Frühe auf und tat Geld in meinen Beutel. — Natürlich jubelten mir alle Nachtigallen entgegen, die Gräser hauchten mir ihre wollüstigsten Parfüme ­zu und mir selbst fielen die lustigsten Melodien aus Brentano’s Wunderhorn und Broceliandes Zauberwäldern ein:

 

«Da droben auf dem Berge,

da steht ein goldnes Haus,

da schauen alle Frühmorgen

drei schöne Mädchen heraus,

die eine heißt Elisabeta,

die andre Juljettchen mein,

die dritte tu’ ich nicht nennen …..»

Offen gestanden, ich habe immer diese fantastischen Schilderungen, welche man zuweilen bei Dichtern liest, dieses Winken und Sprechen der Blumen, das Auftauchen von Schlößern, wo sich plözlich die Fenster öffnen, und die schönsten Mädchen Einen einladen, zu ihnen zu kommen, für grobe Täuschungen des Lesers, jedenfalls für starke Uebertreibungen gehalten. Gar im modernen Polizeistaat wäre doch die Existenz besagter Schlößer eine pure Unmöglichkeit, und abgesehen von der Schwierigkeit der Ueberwachung schon nach § 180 RStGB., Straf­gesezbuch für den Kanton Zürich § 119-120,5 kaum als im Bereich der Wahrscheinlichkeit gelegen ­anzunehmen, selbst wenn die Bürgerinnen der nächstgelegenen Gemeinden nicht wegen unlau­teren Wettbewerbs klagen solten.

5 Duldung, Zimmervermietung: Stenglein’s Zeitschrift für Gerichtspraxis in Deutschland Bd. II. 273, III. 185; ­Verleitung zum Eintritt in ein unsitliches Haus: ebenda Bd. II. 234.

Aber nein! Dergleichen existirt. Wirklich war ich in eine ganz merkwürdige, ganz abnormale Gegend gekommen, wo es keine Strafgesezbücher zu geben schien, oder ­dieselben den Spazen und Finken zum Nesterbau überlaßen wurden. Wirklich tauchten hier ganz selt­same — dieses Wort gebrauche ich in meinen kritischen Schriften nie! — ganz seltsame Blumenformen und wunderliche Gesteinsmaßen auf. Die Weg­weiser wurden anders, nahmen höhnische oder ­vertrakte Formen, Grimaßen und Embleme, Boks­füße und Pansköpfe, in ihre Devisen auf, deuteten alle in einer Richtung, die Schweizer Verordnungen verschwanden auf den Wegtafeln, Blumen und ­Gräser lachten mich mit einer sicheren, stichelnden Lustbarkeit an, nirgends ein Schandarm, nirgends ein Feldhüter, kein Untersuchungsrichter, kein Staatsanwalt, die Welt schien wie umgewandelt, heitere Züge von lakrotfüßigen Störchen zogen durch die Luft und in der Ferne erglänzte ein schönes Schloß:

«Da droben auf hohem Berge,

da steht ein feines Haus,

da schauen des Abends und Morgens

drei schöne Jungfern heraus.

*

«Die Eine, die heißet Susanne,

die Andere Anna-Marein,

die Dritte, die will ich mir nehmen ….»

Aber nicht nur die Natur hatte sich verändert, mir selbst wurde ganz jugendlich, ganz leichtfertig zu Mut, die Furcht vor dem Preßgesez, die Angst vor Majestätsbeleidigungen, vor Gedanken-Sünden, und besonders die Furcht vor der Sünde wider den heiligen Geist, waren verschwunden, ich fühlte mein Herz wieder froher schlagen, hatte wieder gesunde, muntere Einfälle, glükliche Ideen, mir wurde ganz leicht, tänzelnd glitt ich über den Boden, ich fühlte mich frei wie ein Vogel, ja, ganz vogelfrei …..

Hier muß ich eine kleine Bemerkung, eine kleine staatsrechtliche Erwägung, einschieben, welche vielleicht zur Erklärung dieser merkwürdigen Gegend und meines noch merkwürdigeren Zustandes beitragen kann. Ich hatte nämlich vor geraumer Zeit mein deutsches Staatsbürger-Recht aufgegeben, und das Schweizerische noch nicht erworben; ich war also weder Deutscher noch Schweizer, weder Baier noch Franzos, ich war nichts, rein nichts, gar nichts, absolument rien! also vogelfrei. — Vielleicht merkten diese Störche und diese Wolken, diese Blumen und diese Bäume meinen Zustand, und illuminirten und verzauberten aus närrischer Freude über diese ungeheure Seltenheit die Gegend und mich selber, und gaben mir diese federleichten Gedanken, diese tüchtigen Illusionismen ein. — Wenn der Leser etwa ebenfalls dieser Ansicht ist, und et­wa meine dichterischen Kollegen in Berlin der ­Meinung sein solten, daß eine derartige, zeitweilige Aenderung des Geistes ein Vorteil für das dichte­rische Gemüt ist, dann möchte ich ihnen ebenfalls raten, ihr deutsches Staatsbürgerrecht aufzugeben, ihr Deutschtum hinter sich zu lassen, bevor ihnen das Polizeiregiment den lezten Hirnsaft auspreßt, das Majestätsfeuer ihre lezte Herzensfaser ausdört und die Anwen­dung des Preßgesezes ihnen den letzten Schädelknochen auseinandertreibt, und hieher an die Schweizer-Grenze zu kommen, und eine Zeit lang lieber «Nichts» zu sein, als in diesem Staate Etwas, und in Frau «Vreneli’s Gärtli» die kommenden Schreken einer trostlosen, jammervollen Reakzjon zu verschlafen.

Ich aber schritt rüstig vorwärts auf dem Weg meiner Polizeiverlaßenheit, glüklich, hier in dieser gesezlosen Gegend statt des hohlen, bleiernen Geschwäzes von Strafgesezbuch-Paragrafen, das glükliche Gepipse und Zwitschern von aufgeregten Amseln und vehementen Staaren zu vernehmen:

«Wißt Ihr, Ihr kleinen Vögelein,

vielleicht den Weg zum Schloß?

die Zinne glänzt im Abendschein,

hoch dehnt sich das Geschoß.

*

«Frau Venus steht am Fenster dort

im güld’nen Rosenkleid,

die lacht Dich an und spricht kein Wort,

dann schwindet all’ Dein Leid.

*

«Frau Venus hat ein Händchen klein

so sanft wie Milch und Blut …..»

schön! sagte ich mir, ich bin begierig, wie sie aus­­sehen wird, diese Madame Venus, von der so viel ge­sprochen wird, die alle Maler malen, die alle Zeichner zeichnen, alle Dichter besingen, alle Schriftsteller beschreiben, und von der uns noch Kornmann im vorvorigen Jahrhundert eine so bewegliche Schil­­derung gegeben hat6, diese merkwürdige Dame, die schon vor 2000 Jahren zu Kypris in blendender Schönheit aus dem blauen Meer emporzusteigen pflegte und die vorbeifahrenden Fönizjer an ihre Insel feßelte. Hoffentlich hat sie kleine Füße …..

6 Kornmann, Henricus, Mons Veneris, Fraw Veneris Berg, d. i. Wunderbare und eigentliche Beschreibung der alten Heydnischen und Newen Scribenten Meynung von der Göttin Venere, ihrem Ursprung, Verehrung und Königlicher Wohnung ec. Franckfurt 1614.

Die Sonne war unversehens hochgekommen. In der Aufregung des Außerordentlichen, das mich erwartete, war ich schnell und heiß gegangen. Ich war mitten im Wald. Ein Haufen von summenden, lärmenden Stimmen umbrauste mich. Vor meinen Augen gaukelten goldgeschwänzte Fasanen, und jene Märchenstimmung, die uns bei solcher Gelegenheit erfaßt, halb Furcht, halb Grausen, ließ mich vielleicht Dinge sehen, die gar nicht da waren. — Es konte nicht mehr weit sein. Einen Wegweiser hatte ich nicht übersehen. In der Ferne zeigte sich mitten durch das Gebüsch hindurch ein lichter Punkt. Ich ging eilend darauf zu, um von hier aus eine Uebersicht zu gewinnen, und siehe: vor mir, auf prächtigem Wiesenplan, lag ein reizendes Schweizerhaus, in dem schweren Holzstil, wie sie hier allgemein bekant sind, mit schwer vorragendem Gebälk, das Dach mit großen Felsbroken zur Festigung gegen die Stürme beladen, die aufstrebenden Pfeiler, welche die HolzGallerie trugen, mit Epheu und blauem Clematis umwunden; in der Vorhalle, die hochgelegen, lauschig und kühl, standen gedekte Tischchen mit blumigen Tüchern, auf denen goldiger Honig erglänzte, einladend, speisebereit, und unter der Vorhalle, am Eingang, drei Stufen hoch, stand Frau Venus — oder war es die Göttin Freia? — in blendend-weißem Brust-Hemd, die Aermel bauschig gekröpft, knusprig gestärkt, die Brüste prachtvoll vor­ge­laden, Alles über und über mit hellen silbernen langen Ketten behängt, unter der Talje im gedie­genen schwarzen Samtrok, die nicht ganz kleinen Füße in matten, schwarzen Lederschuhen, über de­nen die weißen Strümpfe blizend sichtbar wurden, die ganze Figur hoch, gewaltig, prachtvoll, sicher, imponirend …..

Offen gestanden, ich war einigermasen erstaunt — ich hatte etwas à la Richard Wagner, «Tann­häu­­ser» 1. Akt, erwartet: Rosa gaze-Schleier, Tigerfelle, goldene Schlangen auf geschminkten Haut­flächen, und — das war das Berner Kostüm. — Sie lächelte mich mit ihren blizenden Augen vergnüglich an, und gab mir wieder Vertrauen. Sie schien meine Beklommenheit zu bemerken und schien ­sagen zu wollen: Wir sind ja nicht in Kipris, und Du bist kein Fönizjer. Ich kann ja hier nicht aus den Wellen steigen, und Du trägst ja nicht den roten Schiffermantel des Kiprjoten. Man muß mit den Zeiten und mit der Mode gehen, mein Haus steht Dir offen.

Ich begriff das Alles, ich war wieder orjentirt — aber eine neue Besorgnis lähmte meine Schritte. Ich fürchtete, sie werde mich Griechisch anreden, und ich — ich muß es offen gestehen — hatte fast All’ mein Griechisch vergeßen; ja, ich darf es nicht verhehlen, ich wußte sozusagen gar kein Griechisch mehr. Ich wußte noch ἀλήθεια, die Wahrheit, und θάλαττα! θάλαττα!, das Meer — aber von Meer war ja hier gar keine Rede — wir waren ja mitten in den Bergen — ich konte sie also mit diesem Gruß nimmermehr anreden …..

Sie aber lachte, herzig und innig, und sagte: «Grüetsi!»7

7 Die Schriftleitung muß es sich versagen, hier auf die merk­würdige Sprachmischung einzugehen, welche das Eindringen des Griechischen in das Alemannische der Schweizer Berge schon während der lezten Jahrhunderte vor Christus, von Süd-Gallien, besonders von dem alten Marsilia, dem heutigen Marseille aus, welches eine reingriechische Kolonie war, erzeugte. Der Verfaßer der obigen Erzählung scheint selbst bei seiner fast gänzlichen Unkentnis des Griechischen dieses seltene Idjom, wie es noch in ­einigen entlegenen der Polizei nicht zugänglichen Schlupfwinkeln und Kultstätten gesprochen wird, nicht zu ver­stehen, woraus sich einige komische Verwiklungen und ­Situazjonen ergeben. Ein Idjotikon des hellenischen Schwizer-Dütsch ist von den fleißigen Herausgebern des Schweizerischen Idjotikon, Staub und Schoch, in Aussicht genommen. Das eine Wort hier können wir ja übersetzen: «Grüetsi!» heißt: «Welchen Wein trinken Sie?»

Dem Himmel Dank! — antwortete ich — daß ich Sie treffe, Sie götliches Wesen — ich hätte Sie mir nicht so groß vorgestelt ….

«Ja, das ischt ja nüd groß ….»

Doch doch — ganz überwältigend — voller Pracht und Schönheit! …. und ich nahm ihre Hände, die nicht sehr klein waren, und bedeckte sie über und über mit heißen Küßen.

«Ja, was mached Si da jezt fur dumms Züg ….. lönd Si das blibe!»

Und diese Talje! — rief ich — beim Herkules! — Juno hatte keine gewaltigere — und diese keusche Fülle — Alles frisch vom Morgentau umglänzt —

von Selene gewaschen — vom Sol gestärkt ….. ich nahm dieses übergewaltige Wesen mit den pochenden Brüsten in meine Arme und preßte es an mich, wie Venus vielleicht nie in ihrem Leben umschlungen worden ist ….. es dauerte eine Weile übermenschlichster Anstrengung, dann hörte man einen Schrei, so furchtbar und stimmbandzer­reißend, daß man glaubte, Pallas Athene sei mit der flammenden Aegis vom Olymp heruntergefahren, um die Tro­­ja­ner von den Schiffen zu vertreiben — ein sieben­faches Echo umflamte uns von allen Seiten, eines von St. Gallen, eines von Einsiedeln, eines vom Bodensee, eines von Zürich, eines von Winterthur, eines von Schwyz ….. dann ließ ich die Maid los, sezte sie vor mich hin, und trat einen Schritt zurük, um mir die gewaltige Gestalt zu betrachten …..

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