Besser führen

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Besser führen
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©Benjamin Klingebiel

Miriam Engel ist Kommunikationswirtin, Führungstrainerin und zertifizierte Personalentwicklerin. Fokus ihrer Arbeit ist Führungsentwicklung und Mitarbeiterkommunikation. Mit der Managementberatung loyalworks® berät und betreut sie Betriebe, die ihre Mitarbeiter nachhaltig binden und passende Kandidaten fürs Unternehmenswachstum gewinnen wollen. Die Expertin für loyale Führung und Zusammenarbeit bietet Mentoring und Leadership-Programme mit Zertifizierung in der gesamten D-A-CH-Region an. Ihr Podcast 7-Minuten-loyaler stürmte im Januar 2019 die iTunes Wirtschafts-Charts.

Miriam Engel

Besser führen

Mit Haltung und Vertrauen zu Loyalität


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.dnb.de> abrufbar.

1. Auflage 2021

© UVK Verlag München 2021

– ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover-Illustration: © iStockphoto, Vladimir Cetinski

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Internet: www.narr.de

eMail: info@narr.de

ISBN 978-3-7398-3072-8 (Print)

ISBN 978-3-7398-8072-3 (ePDF)

ISBN 978-3-7398-0116-2 (ePUB)

Geleitwort

Wer Menschen für sich und für seine Sache gewinnen will, tut gut daran, wie ein Psychologe vorab eine Diagnose zu stellen, um die tatsächlichen Bedürfnisse der anderen mit den eigenen Zielen und Vorhaben zu verknüpfen. Eine Grunderkenntnis ist dabei wichtig: Menschen haben eine große innere Sehnsucht danach, wahrgenommen zu werden. Gefühlt war dieses Verlangen noch nie so groß wie heute.

Zeiten heraufziehender Gefahren, Krisen, fordern die menschliche Kommunikation besonders heraus. Je mehr sich unsere Welt verändert, desto verletzlicher empfinden wir sie. Das erzeugt Ängste, unwillkommene Gefühle; und wer nicht gelernt hat, konstruktiv mit ihnen umzugehen, läuft Gefahr, durch angstgeleitetes Handeln falsche, ungewünschte Wirkungen zu erzielen. Denn je größer die Angst ist, desto höher steigt beispielsweise die Bereitschaft, Fehler zu bestrafen.

Auf Führungskräfte treffen daher Anforderungen von zwei Seiten: einerseits, die eigene „Ohnmacht“ anzuerkennen und mit ihr umzugehen als auch, die ihnen anvertrauten Mitarbeiter auf einen Zukunftskurs zu lenken, der ihnen Orientierung und Sicherheit bietet und darüber hinaus motivierend wirkt. Und obwohl wir aus wissenschaftlicher Sicht andere Menschen nicht motivieren können, so können wir doch Motive schaffen, eine gemeinsame Vision entwickeln und aufrechterhalten, auch wenn es um uns herum turbulent wird.

Mit ihrem Fokus auf die Haltung einer Führungskraft als zentrale Bedingung und Auswirkung auf die Loyalität im Team legt Miriam Engel bestehende Erkenntnisse zugrunde und baut das Fundament einer Arbeitsgemeinschaft über das Vertrauen hin zu einer loyalen Unternehmenskultur, in der echtes Miteinander für gemeinsamen Erfolg gelebt wird.

Ich lege allen Menschen in Führung und Verantwortung ans Herz, sich mit diesen Grundbestandteilen für Zukunftsfähigkeit in agilen Unternehmen auseinanderzusetzen, um die Bedürfnisse nach Anerkennung und Berechtigung in einem Team zu stillen und nachhaltigen Erfolg zu ermöglichen.


Rolf Schmiel

Diplom-Psychologe und TV-Experte

Oktober 2020

Widmung

Für alle, die an eine Zukunft glauben, die wir gemeinsam gestalten können.

Danksagung

Mein Dank gilt all den Mentoren, Autoren, Forschern, Lehrern und Denkern, auf deren Schultern ich stehe und die mich bei diesem Buch inspiriert und unterstützt haben. Während ich dieses Buch schrieb, ist mir einmal mehr klar geworden, in welch einem großen Netzwerk an Beziehungen, Ideen und Begegnungen ich mich bewege. Insofern war ich beim Schreiben nie allein. Ich fühle mich getragen von Menschen und Anekdoten, die mich gehalten und weitergetrieben haben. Das gesammelte Wissen, das sich nun in diesem Buch befindet, wäre möglicherweise wieder in Vergessenheit geraten, wenn ich nicht die Chance genutzt hätte, es in die Praxis umzusetzen und hier festzuhalten. Ich danke auch allen meinen Auftraggebern, die mir immer wieder gezeigt haben, dass es heute keine pauschalen Antworten mehr gibt; schon gar nicht für Führung. Ich lerne und entwickele mich mit ihnen.

Ein besonderer Begleiter ist für mich mein Lebensgefährte Dr. Tim Schneider geworden, der als Verhaltensökonom und Führungsmensch über einen unschätzbaren wissenschaftlichen Hintergrund verfügt und mir im Austausch immer wieder sehr geholfen hat, tiefer zu schauen, noch weiter zu hinterfragen, Führungspsychologie und letztlich mich selbst besser zu verstehen. Meiner Tochter Ida Marleen danke ich, weil sie mir in ihrer Art und Entwicklung zeigt, dass es eine neue Generation gibt, die bereit ist, die Welt balancierter zu gestalten als wir es bis hierhin konnten. Und mein Dank gilt meinen Trainerpartnern, mit denen ich Leadership-Programme zu Loyaler Führung und Zusammenarbeit entwickele und immer flächendeckender ausrolle. Ich bin überzeugt: Mehr Loyalität, mehr Miteinander, mehr Wachstum.

Miriam Engel, November 2020

Vorwort

Schon in meinem ersten Buch Royal führen, loyal handeln – Nachhaltige Wertschöpfung für Ihr Unternehmen mache ich deutlich, wie bedeutsam die Eigenschaften, die Vorbildfunktion und das Erleben von Führungskräften in einem Unternehmen sind. Wir alle wissen, wie viel von dem übrig bleibt, was wir jeden Tag sagen und von anderen fordern. Menschen wollen nicht gehorchen, sie wollen sich entfalten. Sie machen nicht unbedingt das, was von ihnen verlangt wird, sondern ahmen vielmehr die Verhaltensweisen ihrer Idole, ihrer Vorbilder nach. Werden und seien Sie ein solches Vorbild – und Ihr gesamtes Unternehmen wird aufblühen.

Gerade wenn es um Menschenführung geht, ist es so wichtig, ein stabiles Fundament zu schaffen, das es den Führungskräften erleichtert, ihrer vornehmlichen Aufgabe nachzukommen: die Arbeitszufriedenheit und Performance der Mitarbeiter zu steigern bzw. auf einem hohen Level zu halten. Stellt sich die Frage, wie erfolgreiches Leadership im Sinne einer loyalen Führung machbar und messbar ist: Einerseits drückt sich ein Führungsstil in einem konkreten Verhalten aus, das beobachtet, beschrieben und somit gemessen werden kann. Und es gibt Variablen, die zeigen, ob ein Führungsstil besser, schlechter oder gleich gut wie ein anderer Führungsansatz ist. Neben der Mitarbeiterzufriedenheit gehören Leistung, Fluktuation, Abwesenheitszeiten, Fehlerhäufigkeiten, das Ausmaß an selbstständigem Engagement und natürlich die Loyalität zum Unternehmen, zum Team und zur Führungskraft zu den aus meiner Sicht wichtigen Variablen und Indizien für ein gut geführtes Unternehmen. Wirkt sich ein Führungsstil auf einen oder mehrere dieser Faktoren positiv aus, ohne gleichzeitig andere Faktoren zu vermindern, ist er somit erfolgreich und besser als bisherige Führungsansätze. Und die Zusammenhänge verschiedener Ausprägungen innerhalb der Faktoren lassen sich evidenzbasiert und wissenschaftlich korrekt messen.

Solange ich mich mit Führung beschäftige, finde ich alle Untersuchungen eng verzahnt mit der Motivationsforschung vor – die enge Wechselbeziehung bestätigen etliche Studien. Tausende Annahmen werden in den Raum gestellt, bestätigt oder eben nicht. Ich möchte Sie nicht demotivieren, wenn bei Ihnen der Eindruck entsteht, ein klares Führungsbild zu entwickeln wäre aussichtlos. Das ist es nicht! Jedoch möchte ich allen Anhängern eindeutiger Antworten aus der Wissenschaft schon hier den schmerzenden Zahn ziehen. Diese Erwartungshaltung widerspricht nämlich allem, was mir meine Lebenserfahrung zeigt. Nur selten ist etwas für jede Situation eindeutig und generalisierbar gut oder schlecht, richtig oder falsch. Die Welt der Menschen, in der ich lebe, ist divers und komplex. Und dafür bin ich dankbar, das macht ihren Wert aus. Das macht uns aus.

Aus diesem Grund will und werde ich mich nicht den Urhebern vermeintlich einfacher und allgemeingültiger Führungsrezepte anschließen. Und das in Ihrem Sinne: Ich werde nicht in die Falle tappen, ein wohlklingendes, aber falsches Rezept zu verbreiten. Ich ergründe, hinterfrage, sammele Indizien, ziehe in Teilen klare Aussagen und differenziere alles, was im größeren Kontext steht. Doch in einem bin ich mit der Wissenschaft auf einer Wellenlänge: Ich rechne in Wahrscheinlichkeiten und nicht in Wahrheiten. Ich arbeite mit Menschen, eruiere den Grad ihrer Kooperationsbereitschaft und ermesse so ihre Haltung zu lösungsorientiertem und loyalem Verhalten.

 

Eine Gruppe Menschen zu führen, bedeutet in jedem Fall, unterschiedliche Individuen zu führen, coachend anzuleiten und deren Wertesysteme, kulturelle Hintergründe, Bedürfnisse, ihre aktuelle Verfassung und Situation zu berücksichtigen. Natürlich sind die Organisation selbst, die Unternehmensziele und weitere Rahmenbedingungen ebenso einzubeziehen. Diese Herangehensweise ist als ‚situatives Führen bekannt geworden. Ich finde diesen Ansatz richtig und wichtig; nicht um den Führungskräften hohe An- und Herausforderungen zu stellen, sondern um die grundsätzliche Fähigkeit als Führungspersönlichkeit zu führen, unabhängig von Fachkompetenzen. In Kombination mit meinem Ansatz einer loyalen Führungshaltung steht das Ziel, dass Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz ihre eigenen Potenziale und Stärken erkennen, entwickeln und einbringen können. Um dies zu erreichen, ist ein Umfeld maßgeblich, welches diese Potenzialentfaltung erlaubt und Führungskräfte einschließt, die verstanden haben, dass ihr gelebtes Führungsverhalten Ausschlag gebend ist für die gesamte Arbeitskultur in ihrem Bereich. Die Führung schafft also immer den Nährboden.

Ein schönes Bild, das ich mir von Dr. Matthias Nöllke ausleihe, ist die Betrachtung des Unternehmens als einen Garten. So lassen sich viele Grundannahmen übertragen, die die Gartenliebhaber unter uns schnell verstehen werden. Dazu gehört die Einsicht, dass ein schöner und ertragreicher Garten dem jahreszeitlichen Rhythmus unterliegt. Es liegt auf der Hand, dass ein Garten nicht an 365 Tagen gleichermaßen blühen kann. Im Garten wird der Jahreszeitenwechsel mit seinen Folgen als selbstverständlich hingenommen: Im Winter die Ruhezeit, Abgestorbenes wird abgestoßen, neue Triebe können entstehen. Im Frühling die Knospen und Blütezeit, wenn die Wärme und das Sonnenlicht dieses als äußere Faktoren begünstigen. Im Sommer, die Blütezeit und die erste Ernte und im Herbst die weitere Ernte sowie das Zurückziehen, der Verfall ab- und ausgenutzter Pflanzenteile und Flächen, um wieder neu in die Transformation zu gehen.

So verfolgt auch kein Gärtner dauerhaft das Ziel, seinen Garten perfekt haben zu wollen. Wer dem natürlichen Unkraut nicht nachgibt, kommt um Pestizide nicht herum. Oder andersherum: Ein wenig darf sich die echte Natur im Garten zeigen und wir nehmen die Gegebenheiten an.

Wir alle wissen, dass vor der Ernte die Blütezeit kommt. Selbstverständlich muss der Apfelbaum erst blühen, bevor wir die Frucht genießen können. Alles in der Natur hat seine Reihenfolge, eine Abkürzung gibt es nicht.

Und wer sich über einen längeren Zeitraum mit dem Garten- und Landschaftsbau beschäftigt, weiß Artenvielfalt zu schätzen. Denn erst die unterschiedliche oder abwechselnde Bestellung des Ackers schafft eine ausgeglichene Bodenkultur.

Der Natur gestehen wir den biologischen Rhythmus zu. Ganz selbstverständlich nehmen wir die Tatsachen an und kritisieren sie nicht. Nur leider ist uns diese natürliche Haltung zwischenmenschlich, spätestens in der Zusammenarbeit, in vielerlei Hinsicht verloren gegangen. Spätestens im Arbeitsleben wird Perfektion angestrebt, oft werden Erholungszeiten Schlappschwänzen zugeschrieben und hinter Diversity steckt in vielen Unternehmen der bunt bedruckte Mantel, unter dem sich dann doch Gleichmacherei verbirgt.

Wir Menschen sind Teil der Natur. Und meiner Meinung nach sollten wir uns schnellstens selbst diese Einsicht, diese wohlwollende Grundhaltung und die nicht permanent fordernde, sondern auch schonende Behandlung wieder zukommen zu lassen. Das verstehe ich unter Loyalität.

In meinem Buch Royal führen, loyal handeln beschreibe ich einige bittere Erfahrungen und kann Ihnen mit Blick auf mein gesamtes bisheriges Leben sagen: Es gibt schwarze Schafe – auf beiden Seiten des Tisches. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer können echte Entwicklungsbremsen sein. Ich habe mir trotz mancher Tiefschläge mein positives Weltbild erhalten bzw. wiederaufgebaut. Lassen Sie uns Menschfreunde sein. Das macht so Vieles leichter, ganz besonders unseren Umgang miteinander und damit unsere Möglichkeiten.

Ich glaube, dass im Grunde genommen alle Menschen einen guten Kern haben. So habe ich für mein Menschenbild ein paar Grundannahmen aus dem Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP) übernommen (mehr dazu in Kapitel 3.3, Seite 88):

Jeder Mensch handelt aus einer positiven Absicht.

Jeder Mensch trägt alle sozialen Fähigkeiten als Ressourcen in sich zur Verfügung.

Es gibt keine Fehler, nur Feedback.

Die Reaktion ist Zeugnis der Kommunikation.

Das flexibelste Element kontrolliert das System.

Wir alle sind mit einem Blumenstrauß an sozialen Eigenschaften auf die Welt gekommen. Durch Erziehung, Prägung und unsere Erfahrungen haben wir gelernt, was in unserem Umfeld erwünscht und was versagt ist. Dadurch haben wir uns bestimmte Verhaltensweisen antrainiert, mit dem Ziel, gut durchs Leben zu kommen. Auch heute bedienen wir uns täglich dieser antrainierten Verhaltensweisen, oft unbemerkt, weil unbewusst. Erst durch das regelmäßige Reflektieren werden wir aufmerksam auf die vielen ‚Geschenke‘, die wir im Laufe des Lebens angesammelt haben und heute kritisch hinterfragen dürfen, ob sie uns dienen, zu unseren Zielen und zu unserem Lebensweg passen.

Inhalt

Geleitwort

Widmung

Danksagung

Vorwort

1Herausforderungen – Das Fundament für Führung

1.1Neue Führung entsteht beim Führen

1.2Vertrauen als Basis loyaler Führung

1.3Was ist Loyalität? – Eine Annäherung

1.4Vertrauen im digitalen Zeitalter

1.5Grenzen des Vertrauens

1.6Das Warum des Vertrauens in der Führung

1.7Vergiftete Führung durch Misstrauen

1.8Neun Tipps für mehr Vertrauen

2Stetiger Führungswandel

2.1Führung trotz Ungewissheit – die Kraft von Experimenten

2.2Authentizität in der Führung

2.3Die Relevanz von psychologischer Sicherheit

2.4Der Wandel unserer Haltung ist Teil unserer Reifung

2.5Die Haltung von Mitarbeitern

3Führungskompetenz braucht Loyalität

3.1Verständnis von Loyalität – Interview mit Führungstrainern

3.2Loyale Führung und Motivation

3.3Kommunikative Grundannahmen zur Erleichterung einer loyalen Kultur

3.4Die Rolle der Führungskraft zur Erzielung von Mitarbeiterloyalität und -bindung

3.4.1Auswirkungen loyaler Mitarbeiter für Unternehmen

3.5Loyale und zufriedenstellende Arbeitsbeziehungen

3.6Feedback in einer loyalen Unternehmenskultur

3.7Säulen einer loyalen Feedback-Kultur

3.8Der loyale Umgang mit Stärken und Schwächen

3.9Coaching als Aufgabe der Führungskraft

4Loyale Mitarbeiter als Botschafter fürs Arbeitgeberimage

4.1Erfolgsgeschichten aus Mitarbeitersicht

4.2Loyale Unternehmenskultur

4.3loyalworks® – Haltung und Handlungsgrundlage

4.4Aussichten: Mit Loyalität der Angst begegnen und motivieren

5Literaturhinweise

1Herausforderungen – Das Fundament für Führung

Die ständigen äußeren Einflüsse stellen alle Menschen auf die Probe. Fühlen sich Menschen bedrängt, neigen sie dazu, ihre Eigenschaften noch stärker auszuleben als üblich. Die Folge: Alle Charaktermerkmale potenzieren sich. Wer normalerweise ängstlich ist, gerät in Panik. Wer allem mit einem ausgeprägten Maß an Gelassenheit begegnet, dem gehen jetzt erst recht die Bedürfnisse der anderen am Allerwertesten vorbei. Und wer üblicherweise hektisch ist, gerät in wilden Aktionismus. So beobachte ich vielerorts eine blinde Betriebsamkeit in Unternehmen, die bei näherem Hinsehen zu nichts führt. Und lediglich mit Produktivität verwechselt wird. Wieder andere geraten in Schockstarre und bleiben für geraume Zeit reglos. Doch um sinnvolle Veränderungen anzutreiben, braucht es Bewusstheit. Wir brauchen keine höhere Drehzahl, sondern mehr Reflexion.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es sein kann, dass Sie wissen, dass sich etwas verändern muss und womöglich ziemlich genau, was sich verändern soll – und dennoch hält Sie etwas davon ab?

Im Wirtschaftsleben wissen wir schon längst, dass grundlegende Veränderungen für Unternehmen dringend und unausweichlich sind. Möglicherweise haben Sie auch schon Initiativen ergriffen, um diese anzustoßen, doch irgendwie werden Sie das Gefühl nicht los, dass es sich hierbei um bloße Kosmetik handelt, statt radikal dort anzusetzen, wo es wirksam ist. Ich sehe die Problematik darin, dass viele Menschen immun gegenüber Veränderung (geworden) sind und möchte in diesem Buch darauf eingehen, wie wir – jeder von uns – es uns leichter machen können, auf die Komplexität unserer Welt von heute und morgen zu reagieren – und zu einem gewissen Teil auch pro-aktiv vorzugehen, zu agieren, um die Welt von morgen zu gestalten.

In meiner Arbeit mit zahlreichen Führungskräften, Teams und Unternehmen stelle ich eine Dynamik fest, wie eine Art „Metamotiv“, die in uns allen aktiv ist und versucht, uns auf dem aktuellen Entwicklungsstand festzuhalten und uns vor Veränderungen zu „schützen“. Vielerorts erkenne ich eine Art Immunreaktion gegenüber Veränderungen, die unsere bisherige Art der Weltsicht erhält und gleichzeitig verhindert, uns zu verändern, wie wir wollen – wenn wir dieser „Autoimmunreaktion“ nicht selbst auf die Schliche gekommen sind und sehr bewusst damit umzugehen gelernt haben.

 

Wir erschaffen unsere Zukunft selbst, indem wir heute eine bestimmte Denkweise einnehmen, darauf basierend handeln und so die Zukunft formen.

In seinem Buch Die Zukunft nach Corona plädiert Matthias Horx für langfristige Veränderungen, die keine Rückkehr zur alten Normalität zulassen, weil die Krise uns erstens unmittelbar als Erfahrung berührt – und nicht in irgendeiner Ferne stattfindet. Zweitens widerspreche die Idee, dass wir demnächst zur alten Welt zurückkehren könnten, in vielerlei Hinsicht den Naturgesetzen und damit den Regeln der Komplexität, die ich in diesem Buch noch aufgreifen werde.

Da sich die Corona-Krise, mehr als uns lieb ist, auf unsere Berufs- und Geschäftswelt auswirkt, mögen zu ihr an dieser Stelle ein paar weitere Zeilen gestattet sein. Diese Krise hat ein spezifisches Wesen an sich, die uns zwar einschränkt, uns aber nicht vollkommen hilflos macht, wie etwa ein Krieg, bei dem unser Leben an sich auf dem Spiel steht. Ja, es sind Menschen vom Tode bedroht. Ja, wir verlieren über Vieles die Kontrolle. Gleichzeitig setzt diese Krise einen neuen Impuls: eine Offenbarung über uns selbst, ein Stück weit ein Impuls zur Selbstbefreiung. Sie bringt uns ins Handeln und zwingt uns, neu zu denken. Und mit dem neuen Denken wird neu bewertet, zum Beispiel die Gesprächskultur, sich wieder wirklich zuzuhören, wirklich Anteil zu nehmen am Leben des anderen. Es entsteht eine neue Kultur der Erreichbarkeit und damit ein neues Level der Verbindlichkeit. Wir haben gelernt, dass nicht so sehr die Technik, sondern die Veränderung sozialer Verhaltensweisen einen Unterschied machen. Wir haben erfahren, dass Menschen untereinander solidarisch und konstruktiv wurden, mental wieder dichter zusammenrückten. Wir haben gelernt, dass Angst nicht zwingend ohnmächtig macht. Sondern, dass wir (oft erst) aus der Angst heraus mutig und damit wieder handlungsfähig werden. Auf die Reise dieses bewussten Wandels, aus dem passiven Kontrollverlust heraus und in eine (selbst-) verantwortliche Fürsorge hinein, möchte ich Sie in diesem Buch einladen, für Sie selbst und für Ihre Mitarbeiter und Teams.

Die Entdeckung der „Immunität gegenüber Veränderungen“ führte uns bei loyalworks® zur Entwicklung einer strukturierten Methodik, um Ihre Motivationen und Überzeugungen aufzudecken, die Sie unter Umständen daran hindern, genau diejenigen Veränderungen vorzunehmen, von denen Sie genau wissen, dass ihre Zeit gekommen ist und die Sie auch wollen. Damit das möglich wird, sollten wir uns Folgendes klar machen: Erstens – Ihre Herausforderungen sind nicht durch Lernen zu bewältigen. Sie erfordern eine tiefgreifende Entwicklung. Zweitens: Um wirksam mit der Komplexität im Außen umzugehen, ist es für Sie wichtig, die eigene Komplexität zu erhöhen.

Damit Sie wirklich Ihre Potenziale heben können, lassen Sie uns einen Blick auf die fünf typischen Herausforderungen im heutigen Führungsleben werfen, um Alternativen zu erkennen, die neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten eröffnen.

Herausforderung 1: Überall Alleswisser?

Ich nehme an, dass Sie viele Experten im Unternehmen haben und wahrscheinlich selbst ein Experte sind. Also jemand, der sagt, wo es langgeht. Sie wissen andere von Ihrer Meinung zu überzeugen, weil Sie über Wissen und Erfahrung verfügen. Sie formulieren Ihre Schlussfolgerungen als Fakten und fragen eher selten nach, um die kontroversen Meinungen der Anderen zu verstehen, denn das kostet Zeit. Das klingt für Sie eher nach einer gängigen Führungslegitimation als nach einer Herausforderung? Doch wenn es darum geht, mit Veränderungen umzugehen und sich einer komplexer werdenden Welt entwicklungsgerecht anzupassen, dann sind es oft gerade die in der Vergangenheit bewährten Meinungen, die Ihnen heute die Sicht versperren. Denken Sie mal darüber nach!

Die Weiterentwicklung Ihrer Führung hilft Ihnen, ein ‚Experte für Führung trotz Ungewissheit‘ zu werden. In diesem Mindset verankert, erkunden Sie Meinungsverschiedenheiten mit dem Blick auf gemeinsame Interessen, äußern Ihre Sichtweise als Meinung und nicht als Fakt. Sie offenbaren Ihre Argumentation und Denkweise. Sie sind aufrichtig interessiert, fragen nach und hören zu. Sie sind offen für Gegenargumente, loten deren Auswirkungen aus und respektieren die Entscheidungen anderer. So tragen Sie zu echter Entwicklung und Entscheidungen auf der Basis kollektiver Intelligenz bei und fördern gleichzeitig konstruktiven Dissens und Innovation.

Herausforderung 2: Verantwortungsabgabe und informeller Informationsfluss

Wer kennt das nicht? Flurfunk, politisches Taktieren und Absicherung nach allen Seiten, wenn etwas schiefgeht oder das Risiko zu groß ist. Leider oft als Reflex gelebt, ist diese Tendenz schwierig, weil sie externe Faktoren oder andere Menschen für das Ergebnis verantwortlich macht. Doch ist das loyal und hilft es weiter? Erst wenn Sie sich als Teil dieser Dynamik begreifen, können Sie aktiv zu einer Lösung beitragen.

Mit einem reiferen Führungsverständnis durchbrechen Sie dieses typische Selbstschutz- und Abwehrmuster. Mit Ihrer neuen Sicht fokussieren Sie sich unmittelbar auf Ihre Wahlfreiheit, Ihre Eigenverantwortung und Ihren Einflussbereich.

Herausforderung 3: Toxische, gekünstelte Kommunikation

‚Man‘ hat sich angewöhnt, nicht zu sagen, was man wirklich denkt. Das Ergebnis ist toxische Kommunikation. Obwohl Sie möglicherweise denken: „So eine blöde Idee wird nie funktionieren“ sagen Sie wahrscheinlich eher: „Hm, interessant.“ Diese ‚kosmetische Wahrheit‘ wenden Sie vermutlich hier und da an, weil Sie hin- und hergerissen sind: Sollen Sie ehrlich oder respektvoll oder doch lieber rein sachlich-faktenorientiert sein, weil das für Sie von Professionalität zeugt? Wundern Sie sich in solch einem Fall bitte nicht, wenn Ihre Botschaft trotz aller Dringlichkeit emotional nicht bei Ihrem Gegenüber ankommt und dieser sich Ihnen gegenüber wenig verpflichtet fühlt.

Ihre Gedanken offenbaren Ihr Dilemma: Wenn Sie genau sagen, was Sie denken, riskieren Sie einerseits einen Konflikt, schaden vielleicht der Beziehung oder Sie fühlen sich schlecht. Andererseits, wenn Sie nicht sagen, was Sie denken, wird das tatsächliche Problem nicht formuliert, Sie untergraben die Beziehung und „vergiften“ sich selbst, weil Sie es für sich behalten und diese Gedanken weiterhin in Ihnen arbeiten. Glauben Sie, dass Ihre wahren Gedanken vom anderen nicht bemerkt werden – obwohl Sie selbst überzeugt sind, diese sehr wohl bei anderen durchschauen zu können…?

Mit einem löyalen Führungsbewusstsein lernen Sie, Ihre Abwehrmechanismen emotional intelligent zu steuern und Ihre Gedanken effektiv zu „entgiften“. Wie? Indem Sie Klarheit darüber gewinnen, dass ein interner, toxischer Dialog reflexhaft „passiert“ und Sie einen Konflikt im Außen befürchten, wenn es darum geht, zu sagen, was Sie denken. Sie erkennen, dass ein zusätzlicher innerer Konflikt entsteht, wenn Sie eine „kosmetische Wahrheit“ formulieren, die weder authentisch noch effektiv ist. Darüber hinaus ist Ihr innerer Konflikt nach außen sichtbar und erzeugt eine Wirkung, die Sie nun antizipieren (vorwegnehmen) und steuern können. So können Sie sagen, was Sie wirklich denken und wollen – und sind dabei authentisch, effektiv und respektvoll.

Herausforderung 4: Alles wissen müssen

Wenn wir glauben, den Erfolg einer Sache garantieren zu müssen oder gar zu können, entsteht polares Entweder-Oder-Denken. Machen Sie sich nichts vor: Der Erfolg Ihrer Projekte liegt nur zu einem Teil in Ihrem Einflussbereich. Denn Krisen, fehlerhafte Technik, lückenhafte Kommunikation und Marktveränderungen liegen oft jenseits Ihrer Macht und Kontrolle. Das wissen Sie zwar, jedoch befinden Sie sich in einer Umgebung, in der von Ihnen als Experte und Führungskraft erwartet wird, dass Sie wissen, wo es langgeht. Oder?

Allerdings: Wann haben Sie das letzte Mal überprüft, inwiefern ihre Umgebung tatsächlich diesen Anspruch an Sie in Ihrer Führungsrolle gestellt hat? Ist das wirklich wahr? Oder handelt es sich nur um eine alte Gewohnheit, die jetzt ein Update verdient?

Ihre eigenen Wahrnehmungs- und Denkmuster zu kennen, ermöglicht Ihnen, wirklich das zu tun, was von Ihnen gefragt ist. Und im zweiten Schritt Verantwortung für genau das zu übernehmen, auf das Sie wirklich Einfluss haben. Ihre Umgebung erwartet zunehmend, dass Sie authentisch sind, Ihre eigenen Grenzen anerkennen und bestimmte Führungsaufgaben loslassen. Und es wird erwartet, dass Sie konsequent verkörpern, woran Sie glauben – ganz besonders dann, wenn Sie unter Druck stehen. Wie Sie auf Misserfolge, Fehler oder Scheitern reagieren und wie Sie damit umgehen: das ist es, worauf es Ihren Mitarbeitern immer mehr ankommt. Wenn Sie sich jetzt auf den ‚Erfolg jenseits von Erfolg‘ fokussieren, führt Sie dies zu kraftvoller Integrität, zu Führung ‚von innen‘ und maximiert Ihre Selbstwirksamkeit. Mit anderen Worten: Sie sind sich bewusst, worum es Ihnen im Kern Ihres gesamten Tuns wirklich geht und erschließen sich damit eine der wichtigsten inneren Ressourcen. Wenn Sie von dort aus mutige Entscheidungen treffen, sind Sie authentisch, resilient und sich selbst gegenüber loyal.

Herausforderung 5: Zuordnung der Komplexität

Adaptiv oder technisch, das ist Frage, die Sie sich im Angesicht von Herausforderungen stellen dürfen. Adaptive Herausforderungen sind nicht einfach zu lösen, weil es keinen klaren Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung gibt; die Auswirkung wird erst im Nachhinein erkennbar (Beispiel: Corona). Und selbst das nicht immer. Bei vielen heutigen Herausforderungen ist nicht mehr planbar, was das Ergebnis sein wird. Sie müssen sich notgedrungen auf Unsicherheiten und eine gewisse Unvorhersagbarkeit einlassen, um handlungsfähig zu bleiben. Adaptive Herausforderungen sind schwer zu erkennen und leicht zu leugnen. Sie erfordern tiefgreifende Reflexion und Entwicklung in den Bereichen Werte, Überzeugungen, Rollen, Beziehungen, Kommunikation und Zusammenarbeit. Der Entwicklungsbedarf tritt an vielen Stellen auf – nicht selten über Unternehmensgrenzen hinweg. Häufig sträuben sich Menschen, die anpassungsbedürftigen Themen anzuerkennen. Die Lösungen erfordern nämlich, aus der Komfortzone herauszutreten, Experimente und neue Entdeckungen zu machen. Die Umsetzung ist anders als gewohnt, oft verbunden mit erhöhtem Zeiteinsatz, und kann nicht auf Anweisung eingefordert werden.

Je schneller Sie Ihre Herausforderungen im Rahmen von Veränderung als adaptiv erkennen, desto klarer wird Ihnen ersichtlich, dass es nicht sinnvoll ist, noch mehr zu lernen, um diese zu lösen, sich weiteres Expertenwissen anzueignen und den Markt noch optimaler zu prognostizieren. Es ist Zeit für ein tiefenwirksames Führungs-Update und für interpersonelle Entwicklung.