Theologie des Alten Testaments

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Theologie des Alten Testaments
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa


UTB 4973

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar

Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto

facultas · Wien

Wilhelm Fink · Paderborn

A. Francke Verlag · Tübingen

Haupt Verlag · Bern

Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck · Tübingen

Ernst Reinhardt Verlag · München

Ferdinand Schöningh · Paderborn

Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart

UVK Verlag · München

Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen

Waxmann · Münster · New York

wbv Publikation · Bielefeld

Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft

Herausgegeben von Lukas Bormann

Michaela Bauks

Theologie des

Alten Testaments

Religionsgeschichtliche und

bibelhermeneutische Perspektiven

unter Mitarbeit von Lilli Ohliger und Jochen Wagner

Vandenhoeck & Ruprecht

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D‐37073 Göttingen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Hans Burgkmair d. Ä., „Der Sündenfall“, um 1524. © akg-images

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

EPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

UTB‐Band‐Nr. 4973

ISBN 978-3-8463-4973-1

Inhalt

Vorwort

1. Zur Einführung

1.1 Die Entstehung der Theologie des Alten Testaments als Disziplin und die Frage nach seiner Mitte

Literatur

Die einschlägigen Werke der Theologie des Alten Testaments

Weitere Literatur

1.2 Das Verhältnis von Theologie und Religionsgeschichte

Literatur

1.3 Die Rekonstruktion alttestamentlicher Theologie(n) – literarische und materiale Zeugnisse

Literatur

1.4 Der hermeneutische Bezugsrahmen

Literatur

2. Theologische Themen in ihren biblischen Kontexten

2.1 Der Gott Israels offenbart sich in seinen Namen

2.1.1 Die Offenbarung im brennenden Dornbusch (Ex 3)

2.1.2 Die Selbstvorstellung Gottes (Ex 6)

Literatur

2.2 JHWH offenbart sich in der Befreiung aus Ägypten

2.2.1 Plagenzyklus und Auszugsbericht

Literatur

2.2.2 Gott offenbart sich durch sein Rettungshandeln: die Figur des Mose

Literatur

2.3 JHWH offenbart sich in den Verheißungen an die Erzeltern

2.3.1 Der Abrahamzyklus

2.3.2 Der Jakobzyklus

Literatur

2.4 JHWH offenbart sich als Schöpfer und König der Welt

2.4.1 Der erste Schöpfungsbericht

2.4.2 Die zweite Erzählung von Schöpfung und Garten

2.4.3 Schöpfung und Flut im Kontext der Urgeschichte

2.4.4 Schöpfungstraditionen in der Hebräischen Bibel

Literatur

2.5 JHWH offenbart sich als Gott am Sinai/Horeb: Bund und Weisung

2.5.1 Die Vorstellungen von Bund

Literatur

2.5.2 Die Vorstellungen von Weisung und Gesetz

2.5.3 Die Murr-Erzählungen als Paradigma des Bundesbruchs und als Präfigurationen der Krise

Literatur

2.6 JHWH offenbart sich in Gericht und Heil: die prophetische Literatur

Literatur

2.6.1 JHWH, der Richter in der vorexilischen Prophetie 174 Literatur

Literatur

2.6.2 JHWH, der strafende Gott in der exilischen Prophetie

Literatur

2.6.3 JHWH, der erbarmende Gott: die Restauration Israels in nachexilischer Zeit

Literatur

2.6.4 JHWH, der Gott der Apokalyptik

Literatur

2.7 Israels Klage und Lob im Psalter: Spiegelungen der Gottesoffenbarungen

2.7.1 Psalmentheologie und Gattung

2.7.2 Psalmentheologie und stilistische Mittel

2.7.3 Psalmentheologie in Auseinandersetzung mit Themen anderer biblischer Bücher

Literatur

2.8 Traditionelle Weisheit und weisheitliche Skepsis – Kosmotheologie als Gottesoffenbarung

2.8.1 Theologie und Weisheit im Proverbienbuch

Literatur

2.8.2 Hiob und die skeptische Weisheit

Literatur

2.8.3 Die späte Weisheit: Qohelet, Jesus Sirach, Weisheit Salomos

2.8.4 Didaktische Lehrerzählungen in weisheitlichem Kontext

Literatur

 

2.9 Theologische Strömungen in der hebräischen Bibel

Literatur

3. Alttestamentliche Theologie als polyphone Rede von Gott

3.1 Monotheismus

3.1.1 Phase 1: Die Frühgeschichte

3.1.2 Phase 2: Der Weg zum Nationalkult

3.1.3 Phase 3: Die assyrisch-babylonische Zeit

3.1.4 Phase 4: Die exilische und persische Zeit

3.1.5 Phase 5: Die hellenistische Zeit

Literatur

3.2 Bilderverbot

3.2.1 Die historische Entwicklung der Bildlosigkeit JHWHs

3.2.2 Begründungen des Bilderverbots

3.2.3 Tora statt Kultbild (1Makk 3,48)

Literatur

3.3 Bedeutung und Verwendung des Gottesnamens

3.3.1 Der Ursprung der Scheu vor dem Gottesnamen

3.3.2 Maßnahmen zum Schutz des Gottesnamens

3.3.3 Was bedeutet es, den Namen Gottes zu heiligen?

Literatur

3.4 Königtum und Eschatologie

3.4.1 Das irdische Königtum und die Königsideologie

3.4.2 Die Eschatologisierung des gesalbten Königs („Messias“)

3.4.3 Raum- und Zeitdimensionen der göttlichen Herrschaft

3.4.4 Kosmotheologie

Literatur

3.5 Israels Geschick

3.5.1 Israel und sein Land

3.5.2 Israels Zuwendung zu Gott

3.5.3 Israels Hadern mit Gott

Literatur

3.6 Der Bezugsrahmen der „Heiligen Schrift“

3.6.1 Die Entstehung des alttestamentlichen Kanons

3.6.2 Kanonhermeneutik

3.6.3 Die Bezogenheit von Altem und Neuem Testament („Biblische Theologie“)

3.6.4 Gottes Wort in der Schrift

Literatur

Anhang

Anhang 1: Alttestamentliche Themen und Texte in der Perikopenordnung

Anhang 2: Alttestamentliche Themen und Texte in den curricularen Standards der Lehrpläne

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Register

Personen-, Orts- und Sachregister

Stellenregister

Vorwort

Angestoßen durch den neutestamentlichen Kollegen Lukas Bormann, um die Modularisierung der Studiengänge studierendengerecht zu begleiten, nahm dieses Lehrbuch einen langen Weg. In verschiedenen Seminaren an der Universität Koblenz-Landau wurde ein Grundgerüst geschaffen, die Verschriftlichung erfolgte in Auseinandersetzung mit aktuellen Positionen zu den jeweiligen Themen. Einen wichtigen Ausgangspunkt bildete der Grundriß der alttestamentlichen Theologie von Walther Zimmerli im Bezug auf ein seinem Werk implizites Offenbarungsverständnis, das die vorliegende Darstellung begrifflich prägt. Im Sinne der kulturgeschichtlichen Öffnung habe ich das Konzept hermeneutisch geerdet mit Einsichten Paul Ricœurs. Er hat den Begriff der Offenbarung (révélation) aufgenommen, um die Besonderheit biblischer Literatur und ihre Relevanz aufzuzeigen. Ziel des Buches ist es weiterhin, religionsgeschichtliche Einsichten für die Rekonstruktion alttestamentlicher Theologie(n) fruchtbar zu machen, eine in vielen Darstellungen alttestamentlicher Theologie eher stiefmütterlich behandelte Perspektive. Doch fand ich in der 2015 erschienenen Theologie des Alten Testaments von Jörg Jeremias einen hervorragenden imaginären Gesprächspartner.

Dieses Lehrbuch brauchte Erstleser. Da sind an erster Stelle meine Studierenden zu nennen, die insbesondere Teil II über die Semester rezipiert und durch ihr kritisches Fragen und Nachhaken zu dem Buch beigetragen haben. Ihnen sei gedankt! Zu danken ist außerdem einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die Teile des Buchs gelesen und kommentiert haben. Ihnen verdanke ich Rückfragen zu Aufbau und Konzept, zu Begriffen und Detailfragen sowie zur hermeneutischen Zugangsweise, die für meine weitere Arbeit äußerst dienlich waren. An dieser Stelle seien vor allem genannt mein Koblenzer Kollege in der systematischen Theologie, Jürgen Boomgaarden sowie Bernd Janowski (Universität Tübingen), Klaus Koenen (Universität Köln), Daniel Krochmalnik (Universität Potsdam), Annette Schellenberg (Universität Wien), Andreas Schüle (Universität Leipzig) und meine Doktorandin, Martina Weingärtner (Universität Augsburg). Ihnen wie auch weiteren Kollegen, mit denen ich hie und da über mein Projekt sprach, sei sehr herzlich gedankt.

Modularisierung der Studiengänge ist das eine, Praxisorientierung das andere aktuelle Stichwort, um universitäre Lehre, lebenslanges Lernen und die praktische Umsetzung für (zukünftig) lehrende, predigende und liturgisch tätige Menschen miteinander zu verbinden. So entstanden in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter am Institut Ev. Theologie in Koblenz, Pfr. Dr. Jochen Wagner, und der ehemaligen Doktorandin und im Schuldienst tätigen Dr. Lilli Ohliger zwei Anhänge, in denen die beiden den Lehrstoff mit den alttestamentlichen Themenfeldern in den Perikopenreihen bzw. den Curricularen Standards aus verschiedenen Bundesländern zur Darstellung gebracht haben. Für diese sehr aufwändige Arbeit sei Ihnen an dieser Stelle besonders herzlich gedankt.

Last but not least, danke ich Bruno Biermann für die umsichtige Erstellung der Druckformatvorlage und eine Reihe redaktioneller Arbeiten.

Zuletzt geht mein Dank für die gute Kooperation an den Herausgeber der Reihe „Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft“, Lukas Bormann (Universität Marburg), sowie an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, dessen Mitarbeiter Christoph Spill, Dr. Bernhard Kirchmeier, Elisabeth Hernitscheck und Miriam Espenhain verschiedene Stadien des Lehrbuchs zielführend und kompetent begleitet haben.


Koblenz, den 11. März 2018Michaela Bauks

1. Zur Einführung

Dieses Buch ist ein Lehrbuch, das die zentralen theologischen Themen des Alten Testaments/der hebräischen Bibel zusammenstellt. Darin folgt es verschiedenen Voraussetzungen, die an dieser Stelle kurz dargelegt werden.

Der rote Faden einer solchen Darstellung ließe sich entweder – historisch vorgehend – literaturgeschichtlich knüpfen, indem die alttestamentlichen Texte entsprechend ihrer rekonstruierten Entstehungsund Überlieferungsgeschichte zur Darstellung kommen und das chronologische Nacheinander theologischer Strömungen in den Blick kommt. Alternativ dazu ließe sich die Darstellung systematisch ausrichten und z. B. ausgehend von der Frage nach einer theologischen Mitte entwerfen, welche die alttestamentlichen Texte dominiert. Oder aber sie fragt ausgehend von der kanonischen Endgestalt nach den Erzählblöcken, anhand derer eine Erinnerungskultur entstanden ist, die nachhaltig Wirkung entfaltet und die jüdisch-christliche bzw. abendländische Kultur der Gegenwart prägt.

Die vorliegende Darstellung wird die drei möglichen Herangehensweisen berücksichtigen, ohne die Idee einer „theologischen Sach- oder Wirkmitte“1 aufzugeben. Sie verfolgt ihr Anliegen unter besonderer Berücksichtigung der altorientalischen Traditionsgeschichte wie auch bibelhermeneutischer Überlegungen zur Wirkungsgeschichte der biblischen Texte.

1.1 Die Entstehung der Theologie des Alten Testaments als Disziplin und die Frage nach seiner Mitte

Erst das Aufkommen der historischen Bibelkritik (J.G. Eichhorn) sowie die Aufspaltung der theologischen Disziplinen in Dogmatik und Bibelwissenschaft (J.P. Gabler) hat seit dem 18. Jh. die Entstehung der historisch-kritischen sowie im 19. Jh. die religionsgeschichtliche Forschung vorbereitet. Anfangs war die hebräische Bibel (Altes Testament) als theologische Vorstufe des Neuen Testaments begriffen (z. B. B. Stade)2, so dass sich erst allmählich ein Bewusstsein für den Eigenwert ihrer theologischen Themen entwickelt hat. Neben der Literarkritik, die sich der literaturgeschichtlichen Entstehung der Bibel widmet, entsteht gleichzeitig ein Interesse an den genuin alttestamentlichen Formen und Themen der Bibel (J.G. Herder, „Vom Geist der Ebräischen Poesie; 1782/83). Die Historisierung der Forschung führt die Bibelwissenschaft zwar zuerst einmal von theologischen und hermeneutischen Fragen weg und vertieft den Graben zwischen Exegese und Dogmatik. Doch bewirkte die in dieser Zeit einsetzende Erschließung der altorientalischen Nachbarreligionen mit der Entdeckung ihrer archäologischen wie literarischen Quellen, dass die Frage nach der theologischen und kulturellen Bedeutung der biblischen Texte neu kontextualisiert, die Frage nach dem Exklusivitätsanspruch biblischer Literatur erneut gestellt wurde und die Bezogenheit der beiden Testamente aufeinander („Biblische Theologie“) wieder in den Blick kam.3 Lässt sich das Zentrum des Neuen Testaments in der Figur Jesus Christus gut bestimmen, ist die Mitte des Alten Testaments komplizierter zu definieren. Aus der ersten Hälfte des 20. Jh. sind insbesondere zwei wirkungsgeschichtlich wichtige Konzepte zur Mitte des Alten Testaments beispielhaft zu erwähnen (W. Eichrodt, 1933; L. Köhler, 1936), bevor mit dem Entwurf W. Zimmerlis ein Entwurf vorgestellt wird, der noch heute einen gangbaren Ansatz bietet.4

 

Die „Mitte“ des Alten Testaments

Bundesmotiv

Während L. Köhler seinen Entwurf einer Theologie des Alten Testaments an den Topoi der evangelischen systematischen Theologie ausrichtet, versucht W. Eichrodt die diversen alttestamentlichen Texte durch das eine Reihe von Büchern bestimmende Bundesmotiv theologisch zu strukturieren. Somit setzt die Beschäftigung mit der Theologie des Alten Testaments die Frage nach der inhaltlichen Mitte seiner Texte voraus. Während im Neuen Testament Jesus Christus im Mittelpunkt steht5, erweist sich die Konzentration im Alten Testament auf ein Hauptthema oder eine Figur als Sinn- oder Sachmitte als weitaus schwieriger.6 Denn die verschiedenen Bücher sind zu vielgestaltig, um auf ein einziges Konzept oder Motiv hin definiert zu werden. Pentateuch/Tora, Prophetische Bücher und Schriften sind formal wie inhaltlich wenig vergleichbar und verhindern es geradezu, einen Einzelaspekt als zentrales alttestamentliches Thema zu bestimmen.

Gerhard von Rad

Nacherzählung

Deshalb schaut in der Mitte des 20. Jahrhunderts der Heidelberger Alttestamentler G. von Rad kritisch auf die Vorschläge zurück, die Mitte des Alten Testaments z. B. im Bundesmotiv zu sehen. Er betont (Theologie II, 386), dass zahlreiche Texte in ein solches Schema nicht hineinpassen (Hohelied, Ester, Hiob u. a.). Schließlich zieht er es vor, seine Theologie des Alten Testaments als eine Geschichte der alttestamentlichen Literatur zu konzipieren und auf theologische Systematisierung weitgehend zu verzichten: „Die legitimste Form theologischen Redens vom Alten Testament ist die Nacherzählung“ (Theologie I, 134 f.). Allerdings setzt er zugleich einen thematisch-theologisch fundierten Zugang voraus, wenn er feststellt, „daß der Glaube Israels grundsätzlich geschichtstheologisch fundiert ist“ und die alttestamentlichen Literaturwerke sich darauf beschränken, „das Verhältnis Jahwes zu Israel und zur Welt eigentlich nur in einer Hinsicht darzustellen, nämlich als ein fortgesetztes göttliches Wirken in der Geschichte“ (Theologie I, 118). Dass die Identität Israels sich anhand geschichtlicher Wandlungen und Umbrüche konstruieren lässt, ist zwar richtig, lässt aber zugleich weite Teile des dritten Kanonteils (Ketubim) wie die theologisch bedeutsamen Weisheitsschriften Sprüche, Hiob und Kohelet außer Betracht. Ihnen hat von Rad dreiundzwanzig Jahre später eine eigene Untersuchung gewidmet.

Walther Zimmerli

Offenbarungsgeschichte JHWHs als perspektivischer Fluchtpunkt

Seinem Kollegen W. Zimmerli war dieses Vorgehen theologisch zu unbestimmt. Deshalb schlägt er vor, das Alte Testament als eine „Offenbarungsgeschichte JHWHs“ zu beschreiben, die in besonderer Weise in der Selbstvorstellung JHWHs zum Ausdruck kommt und deren Mitte in der inneren, von Israel geglaubten Kontinuität mit seinem Gott JHWH besteht, die über Themen wie Schöpfung, Exodus, Bund, Gericht immer wieder anders artikuliert wird. Es geht ihm also nicht um die Bestimmung eines zentralen theologischen Themas oder Buchs, sondern um die Fixierung eines perspektivischen Fluchtpunkts hinter den Texten.7 Er betont außerdem, „dass es bei dieser ‚Mitte‘ nicht um ein statisch zu erfassendes ‚Gottesbild‘ geht“, in das die Menschen Gott bannen wollen, sondern um ihr anhaltendes Ringen (Grundriß, 11). Charakteristisch ist für seinen Entwurf die Rede vom „Glauben an die Selbigkeit Gottes“ in den alttestamentlichen Schriften, wobei „Selbigkeit“ nicht bedeutet, dass das Gottesbild keinen Wandlungen unterliegt.8 Zwar lassen sich charakteristische Grundzüge in der JHWH-Vorstellung ausmachen (z. B. Schöpfergott). Doch gibt es zugleich auch dynamische Momente (z. B. Gerichtsgott; Retter), eschatologische Züge oder die Tendenz einer zunehmenden Universalisierung des Gottesbildes (s. u. „Monotheismus“). Zu dem Verhältnis von Kontinuität und Wandel tritt zudem die Frage nach den Eigenarten des JHWH-Glaubens, seiner inhaltlichen oder auch literarischen Mitte sowie die nach dem Erbe des Alten Testaments im Neuen. Andere schlugen vor, als literarische Mitte – die unterschieden ist von der Suche nach einer theologischen „Sinnmitte“ wie z. B. Bund oder Heilsgeschichte – die Tora als Gründungsurkunde des Judentums oder auch das Buch Deuteronomium zu bestimmen.9

Rudolf Smend

JHWHs Bund mit Israel

Die Konzentration auf JHWH als „Fluchtpunkt“ oder „Mitte“ des Alten Testaments führte zu der Kritik, dass der Bezugsrahmen Gott-Mensch nicht fehlen dürfe. Deshalb hat R. Smend ein stark an deuteronomistischer Sprache und Theologie orientiertes Konzept entworfen :

„So sehr das in der ‚Selbstvorstellungsformel‘ ‚Ich bin Jahwe (dein Gott)‘ grundlegend Gesagte die ‚bestimmende Kraft für die Gemeinschaft des Alten Testaments‘ bildet [Zimmerli] – es verlangt mit der Notwendigkeit, die dieses Gottes Gabe und Gebot mit sich bringt, die in dem Satz ‚Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein‘ ausgesprochene Fortsetzung. Ist Jahwe der erste Gegenstand des alttestamentlichen Zeugnisses, so ist Israel der zweite, keiner von beiden ist es ohne den anderen.“10

Selbstvorstellungsformel s. u. 2.1

Bundesformel s. u. 2.5.1.2

Smend stellt deshalb anstelle der Selbstvorstellungsformel bei Zimmerli erneut die Bundesformel ins theologische Zentrum. „Gegenstand der Theologie des Alten Testaments wäre danach: Jahwe der Gott Israels in seiner Offenbarung, seinen Handlungen und Setzungen; Israel wie es das Volk Jahwes ist in der Anrufung seines Gottes und im Leben nach seinem Gebot; die große Störung, durch die die beiden Israels auseinandergetreten und Israel gegen Jahwe steht und Jahwe gegen Israel – Sünde und Gericht also, angesagt durch die Propheten; die Versuche, das Scheitern des Verhältnisses zwischen Gott und Volk zu überwinden: Restauration, kultische Konzentration, die theologischen Entwürfe der Exilszeit, die um der Gegenwart willen in die Vergangenheit blicken“ (80). Sein Fazit lautet: Wir können auch als Christen über diesen Partikularismus „Israel als erwähltes, besonders hervorgehobenes Volk“ nicht einfach hinweggehen, indem wir die Inhalte universalisieren. Denn „in der Mitte des Alten Testaments steht nicht der jüdische Weltgott, der die partikularen Bindungen abstreifen kann, sondern dieser eine Gott mit dem fremdartigen Namen und sein ihm gehorsames und nicht gehorsames Volk“ (83). Neuerdings wird wieder auf die vorrangige theologische Bedeutung des Bundesmotivs wenigstens für den Pentateuch hingewiesen. Mit Rekurs auf J. Assmann stellt z. B. M. Konkel fest:

„Die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist nicht einfach eine ‚natürliche‘, durch die Schöpfung gegebene, sondern das Resultat einer Entscheidung – sowohl des Menschen, der sich für oder gegen Gott entscheidet, aber auch einer Entscheidung Gottes, der sich in verlässlicher Weise an den Menschen bindet.“11

Problematisch bleibt an diesem Vorschlag die Zentriertheit auf die deuteronomistische Theologie, die nur in einer begrenzten Anzahl der biblischen Bücher begegnet, wodurch zahlreiche Aspekte, wie z. B. Schöpfungsglaube, Zionstraditionen oder weisheitliches Denken, ausgespart bleiben. Auch lassen sich im Alten Testament durchaus Tendenzen einer Universalisierung des Gottesbildes finden (z. B. Gen 37–50; Hiob; Rut).

Jüdische Reaktionen

Die Bestimmung einer theologischen wie literarischen Mitte der hebräischen Bibel steht im Gegensatz zu jüdischen Auslegungstraditionen, in denen

Unterschiedliches Theologieverständnis

„[n]icht das System, sondern der Kommentar […] die legitime Form [ist], unter der die Wahrheit entwickelt werden kann. […] Die Wahrheit muß an einem Text entfaltet werden, in dem sie vorgegeben ist. […] Ein Blick auf eine Seite des babylonischen Talmud vermittelt […] den wahren Charakter ihres Lehrgesprächs über die Jahrhunderte weg: eine Zeile Text in der Mitte der großen Folienseite, die rechts und links von Kommentaren aus allen Zeiten überrandet ist. Der Möglichkeiten, die Tora zu interpretieren, waren viele, und der Anspruch der Tradition war es, alle auszuschöpfen.“12


Abb. 1: Miqraot Gedolot13

B. Levinson hat herausgestellt, dass die Liebe zum Widerspruch in den Traditionen bereits ein innerbiblisches Phänomen ist: „Der Bruch mit der Tradition drückt sich in der Sprache der Tradition aus“. Es geht also nicht darum, innere Kohärenz und Eindeutigkeit zu schaffen, sondern die Vielstimmigkeit der Traditionen zu bewahren, die auch mit der Kanonisierung nicht etwa zum Abschluss kam, sondern „Tora grundlegend […] umformt durch die Interpretation der Tora“ und sie so für die Gegenwart anwendbar macht.

„In der göttlichen Erzählstimme des biblischen Rechts und der biblischen Prophetie zeigt sich in Wahrheit die menschliche Erzählstimme mit ihrer Kraft zum Wandel: Die Stimme von Autoren, Denkern und Schriftstellern, die sich leidenschaftlich mit der Tradition auseinandersetzen.“14

Das Interesse rabbinischer Theologie („mündliche Tora“) zielt im Rückverweis auf die „schriftliche Tora“ der hebräischen Bibel auf Themen wie die Gottesfrage, Theodizee, Gottesfurcht, Erwählung und Bund, Gottes Offenbarung an Israel und die Propheten, Israel und sein Land, der Tempel, seine Opfer und Rituale, Festkalender, Reinheitsvorschriften, Beschneidung, Judentum und fremde Völker, Exodus und Exil, Eschatologie und Messias.15 Insbesondere die Fest- und Speiseverordnungen sind in der hebräischen Bibel nur kurz behandelt und erhalten erst in den rabbinischen Schriften zahlreiche Halachot. Deutlich wird anhand der Themenliste, dass jüdische und christliche Auslegung mitunter sehr unterschiedliche Aspekte in den Blick nehmen.

Rolf Rendtorff

Zweifache Nachgeschichte

Der jüdische Vorbehalt hat R. Rendtorff veranlasst, das von Rad’sche „literaturgeschichtliche“ Modell als Vorstufe einer „kanonischen Theologie“ anzusehen, die den Verzicht auf zentrale theologisch-systematisierende Begriffe voraussetzt und stattdessen die Nacherzählung in der (hebräischen) Buchreihenfolge bevorzugt (Bd. 1), an die sich dann eine Darstellung der zentralen Themenkomplexe (wie z. B. Schöpfung,; Bund – Erwählung; Land etc.) sowie hermeneutische Überlegungen zur zweifachen Nachgeschichte der hebräischen Bibel in Judenund Christentum anschließen (Bd. 2). Innerhalb der drei Kanonteile gebührt der Tora/dem Pentateuch ein besonderer Rang, auf den sich die beiden anderen Teile (Prophetische Bücher und Weisheitsschriften) rückbeziehen. Zugleich verkörpern diese Teile für ihn drei verschiedene Weisen von und mit Gott zu reden: „Im ersten Kanonteil handelt Gott, im zweiten Kanonteil spricht Gott, im dritten Kanonteil sprechen die Menschen zu Gott und von Gott“ (6; Hervorhebung im Original). Wichtiges Anliegen ist die Vergegenwärtigung dessen, dass die hebräische Bibel den Christen nicht „gehört“, sondern mit der – in vielerlei Hinsicht unterschiedlich verlaufenden – jüdischen Auslegungsgeschichte zu teilen ist. Sie hat Anspruch auf respektvolle Wahrnehmung, und der Dialog mit der jüdischen Auslegungstradition ist zu suchen und für die christliche Auslegung fruchtbar zu machen.

W.H. Schmidt

Historische Vielfalt des Gottesverständnisses

Die vielleicht meistrezipierte theologische Darstellung der letzten Jahrzehnte ist W.H. Schmidts Buch „Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte“ (112011), das die Entwicklung des alttestamentlichen Gottesverständnisses in seinen sachlichen und geschichtlichen Zusammenhängen von der nomadischen Vorzeit bis in die Königszeit nachzeichnet. Der Aufriss ist sowohl an der erzählten Buchreihenfolge orientiert (Tora – Nebi’îm – Ketubîm), als auch und vor allem am literarischen Aufkommen und Alter der jeweiligen Bekenntnisse und Überlieferungen. Im Dialog mit religionsgeschichtlichen Beobachtungen geht es sowohl um die theologischen Einsichten des Alten Testaments (§ 1) als auch um die Verbindungslinien zum Neuen Testament (§ 20 „Biblische Theologie“). Bezüglich der Frage nach der Mitte des Alten Testaments gibt Schmidt angesichts der Beobachtung, dass die meisten vorgelegten Theologien auf das Gottesverständnis abzielen, Folgendes zu bedenken:

„Ein ‚Begriff‘ vermag nicht das Ganze zu erfassen. Entweder verdeckt die systematische Darstellung die historische Vielfalt, oder der systematische Ansatz wird bei der Besprechung der Einzelphänomene in den wechselnden Bereichen recht bald verlassen. Die alttestamentlichen Aussagen lassen sich auf Grund ihrer Verschiedenartigkeit und Geschichts- wie Situationsbezogenheit nicht oder nur höchst behutsam systematisieren.“ (18)

Jörg Jeremias

Denkformen des Glaubens und implizite Theologiebildung

Auch der zuletzt erschienene Entwurf einer Theologie des Alten Testaments (2015) möchte weder eine systematische Gliederung implantieren, die nicht der alttestamentlichen Literatur im Kontext des altorientalischen Erbes entnommen ist, noch sich mit einer Nacherzählung der verschiedenen Überlieferungsblöcke zufrieden geben. Er knüpft an Denkformen des Glaubens Israels an, wie sie Paul Ricœur (s. u.) und Isaak Leo Seligmann unabhängig voneinander beschrieben haben, die sich als erzählende, prophetische, Rechts-, hymnische und weisheitliche Texte definieren lassen. Anhand dieser Denkformen wird eine Art „impliziter Theologisierung“ sichtbar, deren verschiedene Strömungen nicht nur zu beschreiben, sondern auch zueinander in Beziehung zu setzen sind. Ein äußerliches Bezugssystem stellt der kanonische Rahmen dar, aber auch die zahlreichen innerbiblischen Rückverweise, wie sie sich in den (nach-)exilischen Werken zuhauf finden, tragen zur Theologiebildung bei, da sie die älteren Traditionen anhand der genannten Denkformen ausgedeutet bzw. rekontextualisiert haben (5 ff.).16

Bezugsrahmen der „Heiligen Schrift“ s. u. 3.6

Im Rückblick auf die virulente Debatte um eine Mitte des Alten Testaments ist einerseits der Rezeptionsrahmen zu berücksichtigen, in dem vor allem die protestantische, den Traditionsbegriff mitunter reduzierende Theologie steht.17 Andererseits fordert die funktionale Bestimmung der Bibel (Predigt, Katechese, Bibeldidaktik und Religionspädagogik; s. u. Anhang) eine Auseinandersetzung, die über eine rein literargeschichtliche Darstellung hinausgeht und die Überlieferungen bibelhermeneutisch reflektiert. Insofern ist es hilfreich, für die Formulierung einer Mitte „nicht die begriffl. fixierbare Mitte einer pluriformen Textsammlung (AT), sondern die Sachmitte eines Geschehens (JHWH-Israel-Verhältnis)“18 hervorzuheben, und dieses in seiner Bedeutung für die jeweilige Gemeinschaft zu analysieren.

Wichtig ist zugleich, den antiken Texten keine modern gewachsene „systematische“ Theologiebildung aufzustülpen, sondern darauf bedacht zu sein, aus der historisch-kritischen Lektüre heraus in Kombination mit hermeneutischen und rezeptionsgeschichtlichen Überlegungen zu einem theologischen Verständnis zu kommen, das zwischen dem historischen und gegenwärtigen Wahrheitsgehalt unter Berücksichtigung der untereinander divergierenden Glaubensgemeinschaften zu vermitteln sucht.

Literatur

Die einschlägigen Werke der Theologie des Alten Testaments

Brueggemann, Walter: Theology of the Old Testament: Testimony, Dispute, Advocacy, Minneapolis 1997.2012.

Childs, Brevard S.: Die Theologie der einen Bibel. Bd. 1 Grundstrukturen; Bd. 2: Hauptthemen, Freiburg/Basel/Wien 2003.