DER AUFBRUCH

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DER AUFBRUCH
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Michael Wächter

DER AUFBRUCH

Agent Jenis rettet die Sariah-Mission

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 1

Kapitel 2

Impressum neobooks

Kapitel 1

DER AUFBRUCH

Die Sariah-Mission der I.P.O.

Michael Wächter


Impressum

Texte: © Copyright by Michael Wächter

Umschlag: © Copyright by Michael Wächter

Verlag: Michael Wächter

Borsigweg 21a

48153 Münster

waechter.michael@t-online.de

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Jean keuchte. Sein Pulsschlag hätte einen Presslufthammer übertönen können. Ein Tsunami tiefster Verzweiflung rollte auf ihn zu, tief wie ein bodenloser Ozean. Doch es war keine Zeit ihn wahrzunehmen. Er rannte um sein Leben, hinter Güngör her. Sie flogen fast durch den engen Gang des Kellers.

„Hier lang!“, rief Tüngör ihm zu, und Jean folgte ihm, unfähig nachzudenken. Jean und Tüngör hasteten durch einen Seitengang des Gebäudekellers.

Die Uniformierten waren ihnen dicht auf den Fersen. Security-Leute, Polizisten, Gardisten – eine ganze Meute jagte ihnen hinterher. Schreie zerrissen die Stille. Laufschritte hallten durch den Gang. Türen flogen auf. Sie durchsuchte brüllend das ganze Kellergeschoss, Gang für Gang. Gleich würden sie den Seitengang erreicht haben. Tüngör und Jean hetzten weiter, als Jean eine der Türen wiedererkannte. Er öffnete sie, zog Tüngör zu sich in den dahinter liegenden Lagerraum, und knallte die Tür zu.

„Schnell! Versteck dich dahinter“, schrie Jean. „Sie sind gleich hier“. Er deutete auf ein Regal.

„Was ist mit dir? Du passt da doch nicht mit hin?“, rief Tüngör zurück.

„Ich weiß. Runter!“

Er stieß Tüngör hinter das Regal und griff eine Abdeckplane. „Ich halte sie auf! Ablenken! Dann finden sie dich nicht!“

Tüngör sah noch eine Träne, die Jeans Auge verließ und die Wange hinabrollte, bevor er die Plane über Tüngör schmiss und einen Raumteiler vor das Regal schob.

„Ich tu’s für uns. Grüß Jenis von mir“, stieß Jean noch hervor. Alles sah nun aus, als sei er allein im Raum – Tüngör war nicht mehr zu sehen. Jean drehte sich noch zur Tür um, als sie aufgetreten wurde. Dann ging alles sehr schnell. Jean hatte keine Chance mehr. Der kaiserliche Leibgardist hatte seine Waffe im Anschlag. Er schoss sofort. Ohne Vorwarnung. Jean sackte in sich zusammen, ohne auch nur noch einen Piep von sich geben zu können. Blut sickerte aus seinen Wunden. Er war auf der Stelle tot.

„Mistqualle!“, zischte der Sarkarier wütend und trat gegen die Leiche. Dann bespuckte er sie und verließ den Raum.

Tüngör atmete auf, blieb aber still. Würden die Verfolger wiederkommen? Er blieb unter der Plane im Nebenraum. Der Gardist hatte ihn nicht bemerkt, sonst hätte er ihn gleich miterledigt. Aber er kam nicht zurück.

Tüngör wartete. Er erinnerte sich an ihre Stellenausschreibung. Jean, Jenis und er hatten sich damals als Agenten beworben. „Geheimdiensttätigkeit im Regierungsauftrag“, hatte es geheißen, „zur Abwehr der Bedrohung durch sarkarische Militärs – vom Söldner über Leibgardisten und Provinzgouverneure bis hin zum Generalsstab des Kaisers“. Jean war tot. Güngör fühlte kochend heiße Wut in sich aufsteigen. Wie gern hätte er dafür dem Gardisten, dieser sarkarischen Marionette, noch das Genick gebrochen, hinterrücks mit einem Sprung. Jean hatte sich für ihn geopfert. Er war für ihren Auftrag gestorben, den Datenträger zu retten. Er aber hatte sich dem Sarkarier in den Weg gestellt. Die Sarkarier hätten die Bahndaten der Raumschiffe genutzt, um das größte Projekt aller Zeiten zu sabotieren, das Lebenswerk zahlloser Raumfahrergenerationen, einer ganzen Zivilisation. Jetzt aber hatte Tüngör den Datenträger, und er durfte nicht zulassen, dass er in ihre Hände fiel. Er hatte den Sarkarier verschonen müssen. Er musste in seinem Versteck warten, bis die Luft rein war. Erst dann durfte er wieder in Erscheinung treten. Erst dann konnte er seine Rolle als Sarkodot-Mitarbeiter zu Ende spielen und der Schlangengrube entkommen.

 

Tüngör nahm den Lift direkt hoch zur Vorstandsetage. Er musste dort sein, noch bevor man den Sicherheitsalarm dorthin melden würde. Er schwitzte. Die Tür des Liftes sprang auf. Jetzt befand er sich in der Höhle des Löwen. Aber er sah sich aber auch dem Ende seines ersten Einsatzes entgegen. Tüngör Auflingé, Agent der I.P.O., war mit sich zufrieden. Erstmals hatte er im Datenzentrum des Feindes operiert, die Geheimdienst-Datei gesichert, auf dem Firmenserver gelöscht und die Kündigung seines Alibi-Jobs provoziert. Und jetzt stand er da, in der Höhle des Löwen.

„Das liest doch kein Schwanz!“

Vorstandschef Sark Sarkermann wütete. Sein Gesicht war puterrot angelaufen, seine Halsschlagader angeschwollen. Mit grenzenloser Verärgerung starrte er auf Tüngör, den Autor der Texte.

„Das liest doch niemand! Das will absolut niemand lesen!“, tobte er. „Wir haben Sie als Sachbearbeiter in der PR doch nicht eingestellt, damit sie derart belanglosen Mist in unsere Konzernwerbung einarbeiten!“

Sarkermann brüllte den jungen Tüngör an, als wolle er ihn zerfleischen. Tüngör aber war Dschersis Enkel: Er konnte stur sein, ebenso kühl und gelassen wie sein Großvater es war. Tüngör wich dem Blick des Löwen nicht aus. Er stand einfach da und schwieg.

Sark Sarkermann fing sich wieder und holte Luft.

„Es tut mir leid, Monsieur Auflingé! Wir werden ihren Text so niemals verwenden. In Anbetracht der vielen, vielen investierten Arbeitszeit, der Gehälter und Materialien sehen wir uns daher leider gezwungen, sie zu kündigen! Sie sind hiermit entlassen!“

Sarkermann warf Tüngörs Speicherchip auf den Schreibtisch, direkt vor Tüngör.

„Sie haben noch Urlaub. Nehmen sie ihn. Sie können direkt nach Hause fliegen. Sofort. Ihre Papiere schicken wir ihnen nach.“

Sarkermann lehnte sich zurück. „Alles Gute!“, fügte er sarkastisch hinzu.

Tüngör nahm den Chip wortlos auf, drehte sich um und verließ den Raum. Hätte Sarkermann sein Gesicht im Rausgehen sehen können, er hätte sich über das verschmitzte Lächeln Tüngörs gewundert. So aber sah er Tüngör Auflingé nur noch die Bürotür passieren. Sein Blick fiel noch auf das Portraitfoto des Kaisers an der Wand neben der Bürotür, doch dann wandte er sich wieder seiner Quantencomputerkonsole zu und rief die nächste Termindatei auf sein Interfunk-Display. Als Gruppenleiter des mächtigen Netzwerk-Konzerns Sarkodot hatte er schließlich Wichtigeres zu tun. Er ahnte nicht, dass er soeben seine letzte Chance vertat, einen der beiden Agenten aufzuhalten, die sein Leben auslöschen würden, eines Tages, und das seines Kaisers.

Als Tüngör Auflingé das Sarkodot-Gebäude verließ, wurde es Abend. Er atmete auf. Die Security hatte den Sicherheitsalarm, vom Keller- und Erdgeschoss immer noch nicht auf die oberen Stockwerke ausgedehnt. Auch die Inszenierung seiner Kündigung war nach Plan verlaufen. Wie leicht es war, die Bahndaten-Datei „Joséfien“ zu finden, auf seinen Chip zu kopieren und auf dem Server der Sarkarier zu vernichten! Selbst die letzten, ungelöschten und für Wiederherstellungsprogramme eventuell noch verwendbaren Datei-Reste hatte er extrahiert – bis auf das letzte Mikrobit. Und das fingierte, für Sarkodot somit nutzlose Textdokument hatte er auch noch hochgeladen, um die Firma mit diesem Kündigungsgrund schnell und unauffällig verlassen zu können. Leider ohne Jean … Jetzt jedoch hielt ihn nichts mehr. Er war erleichtert. Sein Einsatz war vorbei. Die Sarkarier hatten keine Chance mehr, über die Bahndaten-Datei an die I.P.O.-Raumsonden zu kommen und das Großprojekt zu sabotieren.

Zügig, aber nicht auffällig hastig begab sich Tüngör über die Plaza des Sarkodot-Towers hin zur zweiten Seitenstraße. Niemand beachtete ihn. Er landete auf dem Fußweg und zog seine Flügel ein. Er glättete sein Gefieder und ging dann zu Fuß weiter. Erleichtert erreichte er das Innenstadtviertel und tauchte im Gewimmel der City unter. Eigentlich mochte er solche Einsätze nicht. Er war noch jung, manchmal etwas naiv und suchte oft Nähe zu Anderen, die er als Kind nie gehabt hatte. Daher seine Sehnsucht nach Romantik, Natur und Wärme. Dennoch war er gelegentlich auch kühn und sehr pflichtbewusst – ein guter Agent und trotzdem ein insgesamt eigentlich liebenswerter Kerl. Jetzt, da die politischen Spannungen mit den Sarkariern zugenommen hatten, war er als Arbeit suchender Informationstechniker an den Geheimdienst geraten. Also hatte er sich im Auftrag der I.P.O. mit „korrigiertem“ Lebenslauf als Werbetexter bei Sarkodot beworben, um sich dort in das Intranet der Sarkarier zu hacken.

Kurze Zeit später saß Tüngör im Minishuttle von der City zu Flughafen Vier. Er strahlte vor Zufriedenheit wie die Plutoniumbatterie einer Raumsonde.

Die IPO-Software hatte ganze Arbeit geleistet. Gute Geheimdienst-Arbeit! Sarkermanns Computerspezialisten würden keine Chance mehr haben, die Raumsonden der I.P.O. zu kapern. Nicht einmal mehr den Hauch einer Chance. Und Tüngör würde außer Landes sein. Unerreichbar, wenn die Sarkarier den Drang verspüren sollten, ihn wegen seines Diebstahls von Staatsgeheimnissen hinzurichten.

„Sarkermann, dein Kaiser wird dich dafür köpfen lassen!“, dachte Tüngör.

Die Interplanetarische Puntirjanische Organisation I.P.O. hatte ihren Sitz in Monastair, der Mega-Metropole im Nordosten. Tüngör hatte ab Flughafen Vier den Shuttleflieger nach Clénairville genommen, um möglichst schnell von der Sarkodot wegzukommen. Flug CR341 über die Grenze, von Sarkar über Cisnair.

Jetzt saß er gelassen auf dem Sitzkissen des Passagierraums. Die Grenzkontrollen waren überstanden, der Flieger gewechselt. Der Weiterflug ging über die Meeresbucht von Translair nach Süden, über Tschingaira und dann ostwärts bis nach Monastair. Cisnair – Monastair, eine verflucht umständliche Flugroute. Sie umging das feindliche Sarkarierreich und war zwei Mal länger als der direkte Weg über die Regenwaldregion am Sar-Fluss. Tüngör war sauer.

Es war warm und er spürte seinen großen Durst. Seit dem frühen Morgen hatte er nichts mehr getrunken. Er orderte ein großes Mineralwasser, fasste sich mit der Hand an die Halskette mit dem Speicherchip im Medaillon und dachte daran, wie sie ihn wohl bei der I.P.O. empfangen würden – ihn, der die Raumsonden vor dem Zugriff der Sarkarier gerettet hatte. Ob sie ihn befördern oder ihm einen Orden verleihen würden?

Die Stewardess schwebte mit einer Karaffe Mineralwasser herbei.

„Etwas Wasser, Monsieur?“

Tüngör sah ihre beneidenswerte Figur, schnalzte mit der Zunge und hielt ihr sein Glas hin. Sie schenkte ihm, ein paar freundliche Laute zwitschernd, ein, und er kostete. Es war frisch, kühl und angenehm prickelnd. Tüngör genoss es in vollen Zügen. Ihm war, als hätte allein dieser Schluck Mineralwasser all die Mühen lohnenswert gemacht.

Entspannt lehnte er sich zurück in das Sitzkissen, schloss die Augen und döste, während der Flieger seinen Flug von Cisnair nach Monastair absolvierte. Er schaltete den Interfunk ab und malte sich aus, wie er als Held in Monastair empfangen werden könnte. Was würde ihn erwarten? Er jedenfalls erwartete eine astreine Belohnung. Doch er wollte nicht unverschämt erscheinen und zu viel fordern. Den Ast, auf dem man sitzt, sollte man auch nicht gleich absägen.

Als Tüngör den Monastair-Tower betrat, schien ihn jedoch niemand zu bemerken. In der RAGA herrschte geschäftiges Treiben. Die RAGA, oberste I.P.O.-Abteilung für Raumfahrt, Astronomie und Geheimdienst-Affären, lag im 27. Stock des Monastair-Towers im Nachbarbezirk der Dom-Union. Von der Aula des Towers aus konnte man den Dom von Monastair sehen, den Sitz des hohepriesterlichen Prepstus, der auch die RAGA eingeweiht hatte. Das Foyer wimmelte von geschäftig umherflatternden Mitarbeitern, und niemand grüßte. Doch schon als Tüngör den Raumgleiter in Monastair verlassen hatte, um den Shuttle zum Monastair-Tower zu betreten, hatte er eine Nachricht von Klettmann persönlich bekommen. Klettmann erwartete ihn. Dringend. Tüngör begab sich direkt zum RAGA-Chefbüro.

„Moment! Sie müssen sich erst anmelden!“ Ella Belkis Krächzen erreichte sein Gehör. Als Chefsekretärin wollte sie nicht übergangen werden, wenn jemand zum RAGA-Chef wollte. Tüngör jedoch hatte die Tür schon geöffnet.

„Schon gut, Frau Belki.“

Klettmann eilte Tüngör entgegen und bat ihn herein.

„Tüngör, Retter unserer Dateien!“, rief er ihm entgegen. „Ein vorbildlicher Agenteneinsatz! Sie haben verhindert, dass unsere I.P.O-Raumsonden-Flotten in die Klauen der Sarkarier fallen – die Xenon-Sammelsonden, die Raumsonden-Flotte „Intersystemar“ auf dem Weg zum Altakol, …“

Klettmann begann eine Lobeshymne für seinen erfolgreichen Einsatz, nicht ohne ihn feierlich ausschweifend an die Geschichte der I.P.O.-Raumfahrt zu erinnern. Die I.P.O. habe sich schließlich schon zu Lebzeiten von Tüngörs Großvater Dschersi das große Ziel gesetzt, den Weltraum mit Hilfe neuartiger, interplanetarischer Sonden zu erforschen und orbitale Kolonien im All zu erreichten, Welten im Weltraum. Tüngör schwieg. Er wusste, dass es schon eine ganze Reihe von ihnen gab. Riesige, fliegende Weltraumstädte über Puntirjan. Sie beherbergten autarke Ökosysteme, eingebaut in „Wohnzylindern“ gigantischer, moderner Raumstationen. In diesen Biotopen lebten und forschten ganze Generationen von Raumsiedlern. Und von dort aus ließen sie sich nieder auf den Planeten, Monden und Kometen des Wemursystems – das Großprojekt der Raumsiedler der I.P.O.

„Tüngör, da sind Zigtausende Xenon-Sammelsonden unterwegs, riesige Sonnensegelschiffe, die ihren langen Weg zur Kometenwolke in den Wemuran-Orbit angetreten haben, um aus dem Kometeneis Krypton und Xenon für die RAGA-Ionentriebwerke zu holen! Und all‘ die neuen Intersystemar-Sonden im interstellaren Raum! Nicht auszudenken, wenn die Sarkarier …“. Klettmann suchte nach Worten, rang nach Luft.

„Ich weiß, die hätten das Xenon als Treibstoff für ihre eigenen Zwecke eingesetzt – militärische Zwecke, versteht sich.“, unterbrach ihn Tüngör.

Klettmann stoppte seinen Monolog kurz, blickte seinem Gegenüber in die Augen.

„Sie haben recht.“, bestätigte Klettmann. „Sie hätten unsere Raumstationen angeflogen und gekapert. Und sie wären vor uns im Altakolsystem gewesen. Als Besatzer-Armee statt als friedliche Raumsiedler.“

Tüngör nickte.

„Die Sammelsonden haben übrigens schon den Rücksturz nach Puntirjan angetreten, im swing-by-Orbit, um die Xenon-Tanks im Mondorbit zu deponieren!“, fuhr Klettmann fort und erklärte Tüngör das größte Projekt der Geschichte Puntirjans, die bemannten Reise mehrerer Raumsiedler-Welten zum Planetensystem von Altakol, dem benachbarten Fixstern.

Tüngör hörte geduldig zu. Er kannte die Fakten. Zu seiner Erleichterung kam Klettmann zum Ende seiner Rede. Tüngör genoss, dass sie aus einer fast gesungenen Lobeshymne bestand – auf Tüngör, auf die RAGA, das Altakolia-Projekt und die I.P.O. insgesamt. Da plötzlich piepte Klettmanns Ragarsma 2.0, sein neustes Interfunkgerät, auf das er so stolz war. Außer ihm, dem Geheimdienstchef, hatten das neue RAGA-Armband-smartphone-Modell 2.0 nur drei Minister. Und der Präsident der I.P.O.

„Entschuldigung. Der Parlamentspräsident. Ich muss ran. Wir sehen uns gleich, zur Ordensverleihung!“, endete Klettmann plötzlich. Er deutete Tüngör den Weg zum Foyer an.

„Ob er mich auch beim Präsidenten erwähnen wird?“, fragte sich Tüngör, als er den Weg ins Foyer einschlug.

Jenis, sein Kontaktmann und Freund, empfing ihn auf dem Weg dorthin.

 

„Gute Reise gehabt?“, fragte er.

„Danke, alter Freund! Ich weiß nicht, was besser war: Das Mineralwasser oder die Stewardess!“

„Immer noch der Alte!“, lachte Jenis.

„Nein, nein, ich habe nur das Mineralwasser vernascht, nicht die Lady“, lachte Tüngör zurück. „Ist Gugay schon da?“

„Nein“, antwortete Jenis. „Er ist von Clénairville aus in das Naturreservat aufgebrochen – von zwei Rangern begleitet. Er will dich dort empfangen. Nach der Ordensverleihung, wenn du Heimaturlaub hast. Kennst ihn doch: Er hat von einem großen Fund gesprochen, von einem Überraschungs-Coup – und einem eventuellen Jagdausflug.“

Tüngör staunte, dass Gugay Jenis über so ein Vorhaben informiert hatte, wo Jenis doch Vegetarier war und das Jagen hasste. Jenis aber trennte Arbeit und Privates, und so wechselten sie bald das Thema.

„Ein Abgesandter des Prepstus verleiht mir den Orden?“, fragte Tüngör.

„Ja, Eminenz Lettone. Schon heute Morgen im Tower eingetroffen!“

„Oje“, stöhnte Tüngör, „die ganze Zeremonie?“

„Was dachtest du denn, Tüngör?“, lachte Jenis. „Wir reden vom Groß-Orden „Retter der Völker-Demokratie“! Du hast ihnen schließlich den Hintern gerettet! Sogar die Andock-Raketen, die die Xenon-Sammelsonden zum Gastank geflogen haben, haben sie schon nach dir benannt. Ohne das Xenon hätten sie die Ionentriebwerke der Raumstation schließlich vergessen können!“

„Ich weiß.“

Tüngör stöhnte. Er ahnte, dass viele Hymnen, Gebete und Reden anstanden – nur weil er diese Datei vor den Sarkariern gerettet hatte. Es war doch nur sein Job. Aber der Gedanke, dass im fernen Sarkar auch Sark Sarkermann per Interfunk von Tüngörs Ehrung erfahren würde, bereitete ihm großes Vergnügen. Eine Welle von Wohlgefühl.

Im fernen Reich von Sarkar drohte der nächste Tobsuchtsanfall. Sarkermann hatte die Joséfien-Datei aufrufen wollen, um der Regierung von Sarkar die Bahndaten der I.P.O.-Raumsonden zu übermitteln. Er fand sie nicht. Nicht auf seinem Quantenrechner, und nicht im gesamten Intranet des Konzerns.

„Was zum Quallenmist ist das? Wo sind die verdammten Bahndaten hin?“, schrie er.

„Ich weiß es nicht!“, schluchzte seine Sekretärin. Sie war kreidebleich. „Heute Morgen waren sie noch da!“

In diesem Moment ging der Alarm los. „Sichereitsalarm: Unbefugte Person(en) im Datenraum im Kellergeschoss“, erschien auf den Displays. Sarkermann verstand. „Spionage!“, brüllte er, „Datendiebstahl! Holen Sie den Werksschutz!“, brüllte er die Sekretärin an. „Den Sicherheitsdienst! Alle Wachleute, die heute Dienst hatten! Und unsere IT-Experten!“

Die Sekretärin rief sie über Interfunk herbei. Sark Sarkermann empfing sie mit lautstarken, wütenden Beschimpfungen. Die Experten machten sich sofort an die Arbeit. Sie fanden einen Löschvermerk, mit Uhrzeit und Angabe des benutzten Terminals. Es lag in der PR-Abteilung. Der Werksschutz hastete zur Überwachungsabteilung, sichtete die Überwachungsvideos. Und tatsächlich: Ein Video zeigte, dass es Tüngör war, der die Datei aufrief, auf einen Stick kopierte und vom Server löschte.

„Auflingé!“, brüllte Sarkermann den Werksschutz an. „Den habe ich doch gerade gefeuert. Bringen sie ihn mir zurück. Ich will diese Mistqualle haben! Sofort!“

Die Werksschutzleute stürzten aus dem Gebäude, suchten die Umgebung ab, kontaktierten Polizeistreifen und Flughäfen. Doch es war zu spät. Gastarbeiter Monsieur T. Auflingé war bereits abgeflogen und außer Landes.

„Alarmieren sie die sarkarische Leibgarde, den Geheimdienst, die Armee! Ich will diesen Auflingé – tot oder lebend! Und die Dateien!“, tobte Sarkermann. „Das ist nicht nur Diebstahl von Firmengeheimnissen, eine Straftat. Das sind Staatsgeheimnisse. Informieren sie die Regierung! Das ist Spionage, Verrat!“

Er griff zum Interfunk-Mikro, das der Wachmann vom Werksschutz in die Hand genommen hatte.

„Nein, lassen sie es, ich mach‘ das selbst!“

Sarkermann warf seine Werksschutzleute heraus, rief direkt den militärischen Geheimsienst an, General Fazzuwär persönlich. Er erreichte einen jungen Armeegeneral.

„General Fazzuwär ist in einer wichtigen Lagebesprechung!“, entgegnete ihm sein Adjutant.

„Ich geb‘ ihnen gleich Lagebesprechung!“, trompetete Sarkermann. „Im Sarkodot-Konzern ist Hochverrat begangen worden, ich MUSS den General sprechen! Die Lage hat sich geändert!“

„Einen Moment, Herr Sarkermann, ich stelle durch.“

Qualvoll lange Momente verstrichen. Sarkermann kamen sie wie ein halber Tag vor.

„Fazzuwär.“, meldete sich der General.

„General, endlich!“ Sarkermann schnaufte, holte tief Luft. „General, ein Fall von nationaler Bedeutung für die Sicherheit des Reiches! Unserem Sarkodot-Konzern wurde eine Datei mit Staatsgeheimnissen gestohlen. Die wirtschaftlichen und militärischen Interessen unseres Kaiserreichs sind bedroht! Die kaiserliche Leibgarde muss nach einem IPO-Spion fahnden! Tüngör Auflingé, auf der Flucht über die Cisnair République nach Monastair, Shuttle-Linienflug CR341!“

„Nun mal langsam! Wer ihre Firmendaten klaut, ist doch deshalb nicht gleich ein Spion. Herr Sarkermann, bei aller Liebe! Wir können doch nicht ein ziviles Shuttle aufbringen, nur weil ihr Konzern …“

Sarkermann fluchte. Durfte er diesem General eigentlich verraten, von welcher Bedeutung diese Bahndaten für die Regierung waren? Und dass sie eigentlich der I.P.O. gehörten? Er versuchte es erneut.

„General! Der Kaiser ist verständigt, es geht um nationale Interessen! Wir müssen das Shuttle haben!“

„Sie haben ein Befehl des Kaisers?“

„Nein, wir warten noch auf Antwort! Dieser Spion muss sterben! Wir …“

Fazzuwär unterbrach ihn herablassend. Nun konnte seine Macht gegenüber dem Konzern ausspielen, diesem Daten-süchtigen Zivilistenpack.

„Herr Sarkermann, wenn ihre Diebstahlsanzeige den Kaiser zu einem Haft- oder Exekutionsbefehl an uns führen sollte, wird die Armee dem Begehren von Sarkodot nachkommen. Hier gibt es nur ein Gesetz – unseren Kaiser!“

Sarkermann kochte.

„General! Und wenn der Kaiser sie persönlich dafür verantwortlich machen sollte, dass ihnen ein Spion mitsamt von Staatsgeheimnissen entkommen ist? Wissen sie, was ihnen dann blühen kann?“

Fazzuwär schluckte.

„In Ordnung.“, gab er nach. „Für den Fall, dass der Kaiser es befehlen könnte, beugen wir vor. Ich verständige den zuständigen Provinzgouverneur Aru, dass er eine Fliegerstaffel losschicken soll, um Flug CR341 zu stoppen. Zwecks Routinekontrolle des verdächtigten Passagiers. Wenn es sein muss auch auf fremdem Hoheitsgebiet – dann aber auf ihre Verantwortung!“

General Fazzuwär beendete das Gespräch mit Sarkermann ohne einen Gruß und kontaktierte Gouverneur Arfazzu Aru von Westsarkar. Der Gouverneur war nicht zu erreichen. General Fazzuwär entschloss sich, einen entsprechenden Befehl per Interfunk durchzugeben. Dann ging er wieder seinem Tagesgeschäft nach – auch die Armee von Sarkar hatte viel zu tun.

Tüngör erfuhr von dem Vorfall im Shuttleflieger von Monastair zurück nach Clénairville. Er hatte seinen Heimaturlaub bekommen, und er trat ihn sofort an. Sein Armband-smartphone ging, und er las die Kurznachricht von Klettmann: I.P.O.-Geheimdienst. Haben eine Botschaft abgefangen, von General Fazzuwär an Aru, Provinz-Gouverneur von Westsarkar. Diebstahl der Joséfien-Dateien wurde bemerkt. Dein Shuttleflug nach Monastair soll abgefangen werden. Jäger der sarkarischen Armee sind aufgestiegen.

Jenis schluckte. Er las weiter.

RAGA hat Fazzuwärs Interfunkspruch abgefangen und entschlüsselt. Suchbefehl verfälscht an Aru weitergeleitet.

Jetzt musste Jenis schmunzeln. Vergnügt klapperte er mit dem Schnabel, als er sich Arus Ärger vorstellte. Aru würde Sarkermann am liebsten foltern lassen wegen so einem peinlichen Fehlalarm. Jenis blickte wieder auf sein Display. Der RAGA-Chef informierte ihn über die Folgen seines Tricks: Ein anderer Linienflug wurde stattdessen aufgebracht, und ein vermeintlicher Spion namens Düntör Aumarché gesucht. Als die Sarkarier schließlich merkten, dass es diesen Düntör Aumarché nicht gab, musste Aru den Shuttleflieger wieder freilassen, und Tüngör war sicher in Monastair.

„Das ist Service!“, dachte Tüngör entspannt. „Gute Arbeit. Und jetzt ab in den Urlaub!“

Sein Shuttleflieger erreichte Clénairville ohne Zwischenfall. Nach der Landung rief er Jenis an, abhörsicher natürlich.

„Jenis, hier Tüngör. Bin gut angekommen, danke! Wie geht es dir in Monastair, alter Junge?“

„Gut, ich bin bei meiner Familie, bei Plara, und spiele gerad mit unserem Kleinen. Jenini ist echt klasse. Und du? Bist du nun wieder daheim in Clénairville?“

„Ja. Du weißt, dass Klettmann mich angefunkt hat?“

„Ja, wir haben dich rausgehauen – die Sarkarier haben es gemerkt und waren ein bisschen sauer.“, lachte Jenis. „Aber du weißt ja schon, dass wir sie auf eine falsche Spur gelockt haben. Alles gut soweit - vorerst.“

„Vorerst?“ Tüngör horchte auf.

„Du, die Sarkarier lassen nicht locker. Du solltest aufpassen. Es könnte sein, dass sie sich alle ehemaligen Sarkodot-Gastarbeiter zur Brust nehmen – oder gar doch noch von deiner wahren Identität erfahren. Sie werden dich suchen. Du kennst ja die Leibgarde!“

„Das werden sie nicht wagen, in cisnairsches Hoheitsgebiet einzufallen. Clénairville ist nicht Sarkar!“

„Trotzdem. Sie werden Kopfgeldjäger auf dich ansetzen. Aber pass auf, Klettmann hatte noch eine Idee: Den Sarkariern sind tschingsische Zwangsarbeiter aus Arbeitslager „Sarkakatt“ entkommen. Sie haben sich den Rebellen im Busch angeschlossen. Es könnte nicht schaden, sie über ihre Verwandten in Cisnair zu informieren, dass möglicherweise Kopfgeldjäger im Auftrag der Sarkarier-Leibgarde nach Westsarkar unterwegs sind. Die Rebellen könnten sie abfangen und dir Luft verschaffen!“

„Geniale Idee! Ich werde sie gleich hier in Clénairville kontaktieren!“

Tüngör verabschiedete sich von Jenis. Er verspürte Lust auf etwas zu knabbern. Unternehmungslustig warf er sich ein paar Ravrokyl-Samenkörner in den Schnabel, knackte sie und gurrte zufrieden.