Marktforschung

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Richard Kühn / Michael Kreuzer Marktforschung


Prof. Dr. Richard Kühn

Dr. Michael Kreuzer

Marktforschung

Best Practices

für Marketingverantwortliche

Haupt Verlag

Prof. Richard Kühn, Prof. Dr., ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Freiburg/CH (1979 –1987); ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre und Direktor des Instituts für Marketing und Unternehmungsführung der Universität Bern (1987–2004); seit Herbst 2004 emeri tiert

Dr. Michael Kreuzer, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Marketing und Unternehmungsführung der Universität Bern unter der Leitung von Prof. Dr. R. Kühn (2000 – 2004); seit Herbst 2004 freier wissenschaftlicher Mitarbeiter

1. Auflage: 2006

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-258-46986-7

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2006 by Haupt Berne

Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig

Umschlaggestaltung: Atelier Nicolas Mühlberg, Basel

www.haupt.ch

Vorwort

Einschlägige Marktforschungslehrbücher werden im Allgemeinen von erfahrenen Marktforschern für künftige Marktforscher geschrieben. Sie richten sich damit in erster Linie an Personen, die Spezialkenntnisse über Methoden der Datenerfassung und der Dateninterpretation erwerben möchten. Folgerichtig behandeln derartige Texte schwergewichtig marktforschungstechnische Probleme der verschiedenen Marktforschungsmethoden, der Fragestellung und Skalierung, der Stichprobenauswahl, des Testaufbaus sowie der statistischen Methoden der Datenauswertung. Dagegen werden praktische Fragen des Marktforschungsmanagements wie z.B. Formulierung des Marktforschungsauftrags, Institutswahl, Überwachung der Institutsarbeit oder Beurteilung von Marktforschungsberichten nur am Rande oder gar nicht behandelt, da sie aus Sicht der wissenschaftlichen Marktforschung von untergeordneter Bedeutung sind.

Marketingverantwortliche, deren Hauptaufgabe darin besteht, Marktentwicklungen zu analysieren, Marketingentscheide zu fällen, Marketingmassnahmen zu realisieren und die im Allgemeinen Marktforschungsstudien nicht selbst durchführen, sondern als Auftraggeber durchführen lassen, haben es deshalb nicht leicht, wenn sie das für ihre Aufgaben relevante Marktforschungswissen erwerben möchten. Die klassischen Lehrtexte enthalten zu viele technische Details, welche die Wissensbedürfnisse der Marketingfachleute übersteigen, und zu wenige konkrete Hinweise zu den für sie zentralen Fragen des Marktforschungsmanagements. Besonders deutlich zeigt sich dieses Dilemma im Rahmen von an Berufsprofilen des “General Management” oder des “Marketing-Management” orientierten Studiengängen auf Fachhochschul- und Universitätsstufe sowie im Rahmen entsprechender berufsbegleitender Ausbildungsgänge. Die vorliegende Schrift soll hier Abhilfe schaffen. Ihr Inhalt orientiert sich demgemäss primär an den Ausbildungsbedürfnissen von Marketinggeneralisten im Fach Marktforschung und umfasst im einzelnen drei Teile mit insgesamt zwölf Kapiteln.

Teil I führt ins Thema Marktforschung ein. Kapitel 1 beschäftigt sich mit der Frage, weshalb Marktforschung überhaupt betrieben werden sollte. Im Kapitel 2 werden sodann wichtige Grundbegriffe vorgestellt und aus praktischer Sicht die Möglichkeiten und Grenzen der Marktforschung erläutert. Die im Kapitel 3 vermittelte Grundstruktur von Marktforschungsprozessen bietet einen Raster zur Einordnung der in Teil II vorgestellten spezifischen Instrumente und Methoden der Marktforschung.

Teil II behandelt die Instrumente und Methoden der Marktforschung. Kapitel 4 erläutert die spezifischen Merkmale und Anwendungsbereiche der Grundformen der quantitativen und qualitativen Befragung. Es vermittelt zudem eine Vorstellung von den aus Praxissicht wichtigsten Varianten der Beobachtung, insbesondere der Labor- und Feldtests. In Ergänzung hierzu werden in Kapitel 5 Panelerhebungen, Omnibusumfragen, Delphi-Umfragen und verschiedene Formen der Online-Forschung vorgestellt. Kapitel 6 beschäftigt sich sodann mit den Problemen der Bestimmung der Untersuchungssubjekte, konkret mit der Bestimmung der Grundgesamtheit und der Stichprobe. Kapitel 7 vermittelt Grundkenntnisse zur Frageformulierung und Fragebogenerarbeitung, die auch für Marketinggeneralisten wichtig sind, um die Qualität der von Marktforschungsspezialisten vorgeschlagen oder eventuell auch der unternehmensintern entwickelten Fragebogen zu beurteilen. Zum Abschluss von Teil II werden im Kapitel 8 die bei der Datenaufbereitung anfallenden konkreten Aufgaben und die zur Datenauswertung in der Marktforschungspraxis gebräuchlichsten Methoden in ihren Grundzügen dargestellt.

Teil III befasst sich mit der Planung und Durchführung eines Marktforschungsprojektes. Die Darstellung orientiert sich an der in Kapitel 3 beschriebenen Grundstruktur von Marktforschungsprozessen und erläutert insbesondere die Aufgaben, welche die Marketinggeneralisten im Projektablauf übernehmen sollen. Zunächst werden in Kapitel 9 die Überlegungen erörtert, die mit dem Grundsatzentscheid zur Durchführung einer Marktforschung verbunden sind. Kapitel 10 erläutert die Idee, den Inhalt und das Vorgehen zur Bestimmung von Marktforschungszielen. Kapitel 11 behandelt sodann die Bestimmung des Studiendesigns und des Marktforschungsauftrags. Abgeschlossen wird Teil III mit einer Erörterung der Aufgaben, die der Auftraggeber bei der Durchführung einer Marktforschung übernehmen kann oder übernehmen sollte.

Das hier vorliegende Lehrbuch enthält somit grundlegendes Marktforschungswissen für Marketingverantwortliche. Es richtet sich dagegen bewusst nicht an Marktforschungsspezialisten, was nicht ausschliesst, dass auch diese insbesondere in den Teilen I und III für ihre Kommunikation mit Marketingpraktikern interessierende Argumente und Überlegungen finden. Das Buch erhebt nicht den Anspruch, eine umfassende Einführung in die Marktforschung darzustellen, sollte jedoch einen vertieften Einstieg ins Thema ermöglichen, der Marketingpraktikern den Umgang mit den Marktforschern und Marktforschung erleichtert.

Um das Verständnis des Textes zu fördern, werden wichtige Zusammenhänge durch zahlreiche Abbildungen und Tabellen erläutert. Zur Illustration der Ausführungen findet die Leserin bzw. der Leser zudem zahlreiche (im Text durch eine Randlinie gekennzeichnete) Beispiele.

Das hier vorgelegte Buch hatte einen “Vorgänger”, der unter dem gleichen Titel 1996 ebenfalls vom Verlag Paul Haupt, Bern, publiziert wurde. Beim “Vorläufer” zeichnete Kathrin Fankhauser als Koautorin. Im jetzt mit Michael Kreuzer als Koautor veröffentlichten Buch werden einzelne Passagen des “Vorläufers” übernommen. Der Text wurde jedoch völlig überarbeitet und aktualisiert. Insbesondere enthält er eine ganze Reihe neuer Kapitel und Abschnitte zu Themen, die 1996 weniger wichtig erschienen oder noch nicht aktuell waren. Stark erweitert oder neu dazugekommen sind insbesondere folgende Abschnitte und Kapitel: 4.4 Datenerhebung durch Beobachtung, 5.4 Online-Forschung, 7.1 Grundproblematik der Operationalisierung in der Marktforschungspraxis, 7.2 Fragebogenerarbeitung und -beurteilung, 8. Datenauswertung und 11. Bestimmung des Studiendesigns und Marktforschungsauftrag.

Aus stilistischen Gründen werden Personen grundsätzlich in männlicher Form bezeichnet. Die Autoren hoffen, dass auch die Leserinnen diese Vereinfachung verzeihen, denn sie soll das Lesen erleichtern und ist nicht als Zeichen der Opposition gegen die unterstützenswerten Anliegen der Frauenförderung gedacht.

Der vorliegende Text hätte in seiner jetzigen Form kaum ohne die aktive Unterstützung verschiedener Mitarbeiter des Instituts für Marketing- und Unternehmensführung der Universität Bern entstehen können. Dafür möchten sich die Autoren an dieser Stelle herzlich bedanken. Besonderer Dank gebührt Philip Morger, der den umfangreichen Text in eine lesbare Form gebracht hat und in vorzüglicher Weise die Umsetzung des Textes in eine druckfertige Vorlage realisierte.


Bern, Dezember 2005 Richard Kühn
Michael Kreuzer

Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1-1: Für das Kaufverhalten wichtige Einflussfaktoren

 

Abb. 2-1: Marketinginformationen und Marktforschung

Abb. 2-2: Marketingaufgaben und Marktforschungsstudien

Abb. 2-3: Bedeutung der Studientypen zur Lösung verschiedener methodischer Aufgaben

Abb. 3-1: Idealtypischer Ablauf eines Marktforschungsprozesses

Abb. 4-1: Grundformen der Datenerhebung im Überblick

Abb. 4-2: Merkmale qualitativer und quantitativer Forschung

Abb. 4-3: Hauptvarianten der Grundformen der Befragung

Abb. 4-4: Anwendungsschwerpunkte quantitativer und qualitativer Befragung

Abb. 4-5: Grundtypen von Testdesigns

Abb. 4-6: Hauptvarianten der Beobachtung

Abb. 5-1: Vergleich typischer Daten von Handels- und Verbraucherpanel

Abb. 5-2: Grundformen der Online-Forschung

Abb. 8-1: Die Phasen der Datenauswertung

Abb. 9-1: Aufgaben zur Auslösung des Marktforschungsprozesses

Abb. 9-2: Überlegungsschritte im Entscheid über die Durchführung einer Marktforschung

Abb. 10-1: Aufgaben zur Bestimmung des Marktforschungsziels

Abb. 10-2: Varianten der Formulierung der Untersuchungsthemen

Abb. 10-3: Bedeutung verschiedener Arten von Untersuchungssubjekten für verschiedene Wirtschaftssektoren

Abb. 11-1: Bestimmung des Studiendesigns und Marktforschungsauftrag

Abb. 11-2: Merkpunkte zum Inhalt eines Briefings

Abb. 11-3: Mögliche Beurteilungskriterien für eine Detailevaluation der zur Offertstellung einzuladenden Institute

Abb. 11-4: Normalinhalt einer Marktforschungsofferte

Abb. 12-1: Aufgaben bei der Durchführung der Marktforschung

Beispielverzeichnis

B 1-1: Massnahmen zur Umsatzsteigerung von IceT

B 3-1: Studie zur Beurteilung alternativer Verpackungsdesigns für Tiefkühlprodukte

B 4-1: Beispiel einer qualitativen Befragung

B 4-2: Beispiel einer quantitativen Befragung

B 4-3: Ausschnitte eines Interviewer-Leitfadens einer problemzentrierten Gruppendiskussion zum Thema “Nahrungsmittel mit Zusatznutzen”

B 4-4: Beispiele indirekter Fragestellungen

B 4-5: Blickverlaufsregistrierung mit Hilfe einer Augenkamera am Beispiel eines Versandkatalogs

B 5-1: Beispiel zur Inventur-Methode

B 5-2: Rekrutierung zu einer Internet-Befragung per E-Mail

B 5-3: Online-Diskussionsraum aus Sicht der Teilnehmer

B 6-1: Ergiebigkeitsverlust durch Wahl eines Erhebungs-Universums, das vom Ziel-Universum abweicht

B 7-1: Beispiel eines Instruments zur Erfassung der wahrgenommenen Symbolik von Autos

B 7-2: Programmfragen und Testfragen

B 8-1: Datenkodierung

B 8-2: Verteilung der Antworten auf die Frage V3 aus B 8-2: “Mein Auto hat einen Einfluss auf meinen Ruf (mein Image).”

B 8-3: Kreuztabelle zum Zusammenhang zwischen der Aussage “Mein Auto hat einen Einfluss auf mein Ruf (mein Image)” (V3) und dem Alter (Alterskategorien gebildet aus V6)

B 8-4: Streudiagramm zum Zusammenhang zwischen der Aussage “Mein Auto hat einen Einfluss auf meinen Ruf (mein Image)” des Variablenpaares Image (V3) und dem Alter (V6)

B 8-5: Regressionsgerade zum Zusammenhang zwischen der Aussage “Mein Auto hat einen Einfluss auf meinen Ruf (mein Image)” (V3) und dem Alter (V6)

B 8-6: Streudiagramme unterschiedlicher Zusammenhänge

B 10-1: Beispiel eines Marktforschungsziels für eine komplexe Ausgangssituation

B 10-2: Beispiel zur Illustration der grundsätzlichen Varianten der Formulierung des Untersuchungsgegenstandes

B 10-3: Beispiel einer zweistufigen Hierarchie von Teilfragen zur Präzisierung der Untersuchungsthemen

B 10-4: Beispiel zur Illustration der Anwendung der Fachsprache der Marktforschung zur Präzisierung der Untersuchungsthemen

B 11-1: Beispiel eines Studiendesigns für eine Marktstudie eines Mineralwasserherstellers

Tabellenverzeichnis

Tab. 2-1: Beispiele qualitativer, explorativer gegenüber quantitativer, repräsentativer Untersuchungsthemen

Tab. 4-1: Probleme der Sekundärforschung

Tab. 4-2: Besonderheiten der Hauptvarianten der quantitativen Befragung

Tab. 4-3: Hauptvarianten der qualitativen Befragung

Tab. 4-4: Besonderheiten der Hauptvarianten der qualitativen Befragung

Tab. 5-1: Zusammenhang zwischen Grundformen und ausgewählten Sonderformen

Tab. 5-2: Grundformen und Hauptvarianten der Panelforschung im Überblick

Tab. 5-3: Ablaufschema einer Delphi-Studie

Tab. 6-1: Wichtigste Merkmale der Grundvarianten der Stichprobenauswahl

Tab. 6-2: Wichtigste Verfahren der Stichprobenauswahl im Überblick

Tab. 6-3: Wahrscheinlichkeiten der gebräuchlichsten t-Werte

Tab. 6-4: Einfluss von t, e und p/q auf die Stichprobengrösse

Tab. 7-1: Vorgehen zur Entwicklung von Fragebogen

Tab. 7-2: Fachausdrücke zur Beschreibung von Frageformen

Tab. 10-1: Für die Formulierung von Untersuchungsthemen wichtige Fachausdrücke der Verhaltensforschung

Tab. 11-1: Kriterien zur Beurteilung der Elemente des Studiendesigns

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung

B2B business-to-business

BIP Bruttoinlandprodukt

bzw. beziehungsweise

CAPI Computer Assisted Personal Interviewing

CATI Computer Assisted Telefon Interviewing

CHF Schweizer Franken

d.h. das heisst

etc. et cetera

MF Marktforschung

resp. respektive

spez. spezielle

stat. statistische

Tab. Tabelle

u.a. unter anderem

UP Untersuchungsperson

usw. und so weiter

vgl. vergleiche

z.B. zum Beispiel

z.T. zum Teil

Teil I: Grundlagen

Systematische Marktforschung kostet Zeit und Geld. Deshalb fällen Marketingverantwortliche wichtige Entscheide häufig aufgrund ihres Erfahrungswissens und ihrer Intuition ohne ergänzende Marktforschung. Die in Kapitel 1 zur Einstimmung ins Thema behandelte Frage zur praktischen Relevanz der Marktforschung hat somit einen realen Hintergrund. Ihre Beantwortung soll unter anderem zeigen, dass es auch für den Marketingpraktiker durchaus lohnend ist, sich eingehender mit dem Thema Marktforschung zu befassen und ihr Potential zu nutzen. Kapitel 2 mit dem Titel “Merkmale der Marktforschung” bietet die für eine Auseinandersetzung mit Marktforschung wesentlichen begrifflichen und konzeptionellen Grundlagen. Behandelt werden insbesondere Marktforschung als Instrument (Abschnitt 2.1), der Zusammenhang zwischen Marketingproblemen und Arten von Marktforschungsstudien (Abschnitt 2.2) und die Möglichkeiten sowie Grenzen der Marktforschung (Abschnitt 2.3). Der idealtypische Verlauf einer Marktforschungsstudie wird in Kapitel 3 erläutert. Aus ihm geht die Relevanz des nachfolgenden Inhalts des vorliegenden Buches hervor.

1 Die praktische Bedeutung der Marktforschung

In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass Marketingmassnahmen immer Entscheide vorausgehen. Diese werden auf der Basis von Annahmen oder Wissen gefällt. Die Aufgabe der Marktforschung ist es nun, eine Informationsgrundlage zu schaffen, welche die Qualität des Wissens verbessert, das für Entscheide über das zukünftige Verhalten der Unternehmung benötigt wird.

 

Praktische Marketingaufgaben existieren in jeder Unternehmung, die irgendwelche wirtschaftliche Güter an Personen (an Privatpersonen oder Repräsentanten von Unternehmen und anderen Institutionen) zu verkaufen sucht, welche frei zwischen mehreren Angeboten wählen können. Dies gilt - das sei am Rande bemerkt - unabhängig davon, ob der Ausdruck Marketing im Organigramm einer Unternehmung auftaucht oder nicht. Im Mittelpunkt der Aufgaben jedes Marketingverantwortlichen stehen Entscheide über konkrete Marketingmassnahmen (z.B. über Massnahmen in den Bereichen Produktgestaltung, Verpackung, Preis, Werbung, Kundendienst, Verkäufereinsatz), aber auch über grundsätzliche Marketingstrategien und -ziele und die Marketinginfrastruktur. Um solche Marketingaufgaben wahrnehmen zu können, benötigen die Marketingverantwortlichen möglichst objektive und aussagekräftige Informationen über verschiedene Aspekte des Marktgeschehens.

Die Beziehung zwischen Handeln und Entscheiden sowie die Bedeutung von Informationen in diesem Zusammenhang, wird in einem ersten Schritt theoretisch hergeleitet und anschliessend mit einem Beispiel veranschaulicht.

Jeder Handlung resp. jedem Verhalten, sei es im privaten oder geschäftlichen Umfeld, geht implizit oder explizit ein Entscheid voraus. Er ist die Antwort auf die Frage, wie soll/will ich mich unter den gegebenen Umständen verhalten. Ob ein Entscheid implizit oder explizit ist, hängt davon ab, wie die Antwort zustande kommt. Ein impliziter Entscheid liegt beispielsweise habitualisiertem Verhalten zugrunde. Indem an Gewohntem und Bewährtem festgehalten wird, ist die Frage nach dem zweckmässigsten Verhalten nicht immer wieder von neuem zu diskutieren. Die Antwort ergibt sich aus dem Wissen über das in der Vergangenheit zufrieden stellende Verhalten in vergleichbaren Situationen. Sobald dieses Wissen fehlt oder unzureichend ist, lässt sich die Frage nach dem zweckmässigen Verhalten nicht mehr ohne weiteres beantworten. Zieht das Verhalten zudem bedeutende Konsequenzen nach sich, muss die Antwort auf die Frage wohl überlegt sein. Diese Situation beschreibt ein für die Praxis typisches Entscheidungsproblem, das sich nicht implizit lösen lässt. Die möglichen Konsequenzen zwingen zur Wahl der Verhaltensmöglichkeit mit der besten Zielerreichung unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Gleichzeitig lässt sich dies aufgrund der unvollständigen Informationen nicht abschliessend beurteilen.

Demnach ist bewusstes Entscheiden Bewerten von (Handlungs-) Alternativen.1 Die Bewertung geschieht auf der Basis von mehreren Alternativen und Bewertungskriterien. Bereits die Auswahl der Alternativen und Kriterien benötigt Informationen. Gleiches gilt für die Bewertung selbst.

Entscheidungen zu Marketingmassnahmen erfordern typischerweise Informationen

• über das Marktgeschehen, das durch das Verhalten der Produktverwender2 (z.B. zunehmende Nachfrage), der Konkurrenten (z.B. Lancierung neuer Produkte), des Handels (z.B. zunehmender Preiswettbewerb) und des eigenen Unternehmens (z.B. bisherige Marketingmassnahmen) geprägt wird,

• über mögliche Einflüsse von Umweltfaktoren (z.B. Entwicklung des BIP) und

• über potentielle externe Einflüsse (z.B. Auswirkungen von Warentests), die weder zum Markt noch zu den Umweltfaktoren zählen.

Dabei interessieren nicht nur die bisherigen Entwicklungen und der Ist-Zustand, sondern insbesondere auch Trends oder zu erwartende Reaktionen der Nachfrager auf die Marketingmassnahmen der Unternehmung.

Beispiel B 1-1 illustriert die Bedeutung von Informationen über Wirkungszusammenhänge für Marketingentscheide und Marketingmassnahmen.

B 1-1: Massnahmen zur Umsatzsteigerung von IceT

Ende August stellt die Firmenleitung der Food AG fest, dass aufgrund des nasskalten Sommers die Quartalsumsatzziele beim Ice Tea der Marke IceT weit unterschritten werden. Deshalb erhält die Marketingverantwortliche, Frau Jenni, den Auftrag, mit Hilfe geeigneter Massnahmen zumindest im letzten Quartal überdurchschnittliche Verkaufszahlen zu generieren.

Aus einer vorjährigen Marktforschungsstudie geht hervor, dass der Konsument preissensibel ist. Somit bestünde die Möglichkeit, mit einer Preisaktion den Umsatz anzukurbeln (Alternative 1). Frühere Marketingmassnahmen haben gezeigt, dass sich auch mit Produktpräsentationen und Degustationen im Handel, so genannten POS-Aktionen, kurzfristig der Umsatz steigern lässt (Alternative 2). Wüsste Frau Jenni, dass zumindest der Herbst sommerlich warm wird, könnte sie das Ziel vielleicht sogar ohne besondere Massnahmen erreichen (Alternative 0).

Alle Alternativen leiten sich aus Vorstellungen resp. Informationen über Wirkungszusammenhänge ab.3 Bei Alternative 1 geht Frau Jenni davon aus, dass aufgrund der Preissensibilität die Konsumenten bei kleineren Preisen generell mehr Ice Tea oder häufiger die Marke IceT kaufen. Der frühere Erfolg von Alternative 2 impliziert, dass der Konsument bei der Wahl des Getränks und des Anbieters spontan entscheidet und sich von unmittelbaren Reizen beeinflussen lässt. Alternative 0 beruht auf der Annahme, dass zwischen dem Konsum von Ice Tea und sommerlichen Temperaturen ein positiver Zusammenhang besteht. Auf der Basis dieser Vermutung wurden bereits die schlechten Umsatzzahlen gedeutet.

Alternative 0 scheint Frau Jenni zu riskant. Weil sie das gute Image der Marke IceT nicht mit einer Preisaktion gefährden möchte, entscheidet sich Frau Jenni für die POS-Aktion. Damit lässt sich gleichzeitig das Bild von IceT als aufgeschlossene, kommunikative, qualitativ hoch stehende Marke beim Konsumenten festigen.

Sowohl der Wahl der Kriterien als auch der Beurteilung der einzelnen Alternativen liegen Annahmen resp. Informationen über Wirkungszusammenhänge zugrunde. Das Kriterium Unsicherheit führt zum Ausschluss von Alternative 0. Dagegen wird es bei den Alternativen 1 und 2 implizit als positiv beurteilt, weil davon ausgegangen wird, dass sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit den Umsatz von IceT kurzfristig steigern könnten. Das Kriterium übergeordnete Imageziele spricht gegen Alternative 1, weil angenommen wird, dass sich Preisabschläge negativ auf die Vorstellung des Konsumenten bezüglich der Qualität von IceT auswirken könnten. Das Gegenteil wird von Alternative 2 erwartet.

Allen Marketingentscheiden liegen somit immer mehr oder weniger fundierte Annahmen über die Reaktionen der Käufer und anderer Personen, die Kaufentscheide beeinflussen, zugrunde. Die Gewinnung von Vorstellungen über Käufer- und Konsumentenreaktionen wird dadurch erschwert, dass die einzelnen Käufer bzw. Konsumenten als Individuen aus ihrer speziellen Lebenssituation heraus unterschiedlich denken, fühlen, urteilen und handeln. Komplizierend wirkt weiter der Umstand, dass die Marketingmassnahmen einer bestimmten Unternehmung - wie in Abbildung 1-1 dargestellt - nicht die einzigen Faktoren sind, die von aussen auf die Käufer einwirken. Vorstellungen über eventuell erwartete Verhaltensweisen und Reaktionen der Käufer basieren deshalb ihrerseits auf Annahmen bezüglich der bevorstehenden Marketingmassnahmen des Handels und der Konkurrenz sowie des Einflusses irgendwelcher Umweltfaktoren und weiterer “Beeinflusser”. Diese Unsicherheiten und Informationsdefizite zukunftsgerichteter Entscheide lassen sich bis zu einem gewissen Grad mit einem entsprechenden Aufwand verkleinern, jedoch nie verhindern. Ob und in welchem Ausmass sich ein solcher Aufwand lohnt, kann nur abgeschätzt werden, wenn die vorhandenen und potentiellen Informationen bewertet werden.


Abb. 1-1: Für das Kaufverhalten wichtige Einflussfaktoren

Der Wert einer Information hängt ab von den Konsequenzen der Massnahmen, zu deren Planung diese Information notwendig ist. Weil aufgrund der beschriebenen Komplexität der Entscheidsituation selten eine Information nur einen eindeutig richtigen Entscheid zulässt, kann ihr ökonomischer Nutzen nicht ohne weiteres quantifiziert werden. Entscheidträger können trotzdem einen Eindruck des Nutzens von vorhandenen und potentiellen Informationen erhalten, indem sie diese mit Hilfe der folgenden qualitativen Ersatzkriterien beurteilen:4

1. Objektbezug: Je stärker und direkter sich eine Information genau auf den Sachverhalt bezieht, der für eine konkrete Entscheidsituation interessiert, desto ausgeprägter ist der Objektbezug und damit der praktische Nutzen der Information.

2. Aktualität: In der Regel steigt der Wert einer Information mit ihrer Aktualität, weil veraltetes Wissen häufig nur noch beschränkt gültig ist.

3. Vollständigkeit: Je mehr entscheidungsnotwendiges Wissen (potentiell) zur Verfügung steht, desto vollständiger ist die Informationsbasis und desto grösser ist ihr Nutzen.

4. Richtigkeit: Zweckmässige Entscheide lassen sich nur auf der Basis wahrer, also der Realität entsprechenden Informationen fällen. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen beispielsweise die Bemühungen, Verzerrungen bei der Datenerhebung und Auswertung zu vermeiden.5

Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass im Marketing die Bildung klarer und insbesondere verlässlicher Vorstellungen von den Zusammenhängen zwischen Massnahmen, ihrem Einfluss auf das Käuferverhalten und auf den Erfolg keine leichte Aufgabe darstellt. Um sie zu lösen, können die Marketingverantwortlichen entweder weitgehend auf bereits vorhandene Daten und persönliche Erfahrungen zurückgreifen, oder sie können versuchen, die benötigten Informationen durch Marktforschung systematisch zu beschaffen.

Vorhandene Daten und Erfahrungswissen haben in der Praxis eine grosse Bedeutung, da Marktforschung zusätzliche Kosten verursacht und zeitaufwändig ist. Viele Überlegungen und Entscheide des Tagesgeschäftes basieren deshalb auf persönlicher Erfahrung und Intuition. Das hierfür nötige Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten darf jedoch nicht dazu verleiten, Erfahrung und Intuition als einzige Informationsquellen anzusehen und auf Marktforschung zu verzichten. Eine solche -leider in der Praxis nicht seltene - Einstellung ist aus verschiedenen Gründen problematisch.

Zum einen basiert erfahrungsgestütztes Marktwissen zumeist auf unsystematisch erfassten Fakten und wird deshalb in mehr oder weniger grossem Masse durch subjektive Erlebnisse und Zufälligkeiten verzerrt. Die Gefahr ist gross, dass einige Kunden, die man aus irgendwelchen Gründen häufiger trifft, einzelne Reklamationen, die zufällig gleichzeitig auf dem Schreibtisch landen oder ein an einer Tagung aufgeschnapptes Gerücht über den wichtigsten Konkurrenten ein ungebührlich hohes Gewicht in der Meinungsbildung der Marketingverantwortlichen erhalten. Das bedeutet, solche Informationen sind weder vollständig noch richtig. Zum anderen führen Umweltdynamik und steigender Konkurrenzdruck dazu, dass das Marktgeschehen sich rascher ändert und die Voraussage des künftigen Verhaltens der Marktteilnehmer entsprechend schwieriger bzw. unsicherer wird. Erfahrungen aus früheren Jahren lassen sich unter diesen Umständen nicht mehr ohne weiteres auf die künftige Marktsituation übertragen, weil sie nicht mehr aktuell sind. Zum dritten ist daran zu denken, dass Firmen immer häufiger, z.B. wegen abrupter Änderungen der Umweltfaktoren oder weil sie mit neuen Angeboten in neue Märkte eindringen, Marktsituationen verstehen müssen, die für sie völlig neu sind und zu deren Analyse demgemäss bereits vorhandene Daten und Erfahrungswissen wenig beitragen können, da ihr Objektbezug ungenügend ist.

Alle diese Faktoren führen dazu, dass ein alleiniges Abstützen auf Erfahrungswissen künftig noch gefährlicher wird, als es in der Vergangenheit bereits war. Dies gilt für Marketingverantwortliche, die persönlich ständig in Kontakt mit Kunden und Konkurrenten stehen. Es gilt natürlich noch mehr für Marketingmanager, die aus irgendwelchen Gründen seltener Gelegenheit zu derartigen Kontakten suchen und wegen der Grösse bzw. der Struktur des Marktes nur noch in sehr beschränktem Masse persönliche Kundenkontakte pflegen können.

Die angedeuteten Probleme sollten jedoch keinesfalls zum Schluss verleiten, dass Erfahrungswissen und Intuition im Marketing wertlos seien. Eine solche Folgerung wäre falsch, denn man wird es sich nie leisten können, jede offene Frage durch Marktforschung abzuklären. Die vorgetragenen Überlegungen sollen jedoch dazu führen, dass Erfahrungswissen öfters durch systematische Marktforschung überprüft, ergänzt und korrigiert wird, um das Risiko von subjektiven Fehlschlüssen zu verkleinern. Dies gilt auch für mittlere und kleine Unternehmen, da auch diese risikoreiche Marketingentscheide treffen müssen und durchaus auch weniger aufwändige Marktforschungsmethoden existieren, die bei gezieltem Einsatz interessante, risikovermindernde Marketinginformationen zu liefern vermögen.


1 Diese Definition von Entscheiden basiert auf der Annahme, dass die als beste beurteilte Alternative gewählt wird.

2 Der marktneutrale Ausdruck “Produktverwender” umfasst sowohl die Privatpersonen/Haushalte der Konsumgütermärkte wie auch die in Industriegütermärkten als Nachfrager relevanten Organisationen (Firmen, öffentliche Verwaltungen). Vgl. auch Kühn, R./Vifian, P. (2004), S.29.

3 Ob diese Informationen sicher und zweckmässig sind, ist nicht Gegenstand der Diskussion.

4 Vgl. Berekoven, L. et al. (2004), S. 26ff.