Glücklich wollen wir mit Sicherheit sein

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Michael Klaus Wernicke

Glücklich wollen wir mit Sicherheit sein

Augustinus’ Suchen nach dem Glauben

Michael Klaus Wernicke

Glücklich wollen wir
mit Sicherheit sein

Augustinus’ Suchen

nach dem Glauben


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2015

© 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de

Umschlag: Peter Hellmund

(Bild: The Bridgeman Art Library / Getty Images)

Satz: Hain-Team (www.hain-team.de) Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-429-03821-2 (Print) 978-3-429-04804-4 (PDF) 978-3-429-06220-0 (ePub)

Inhalt

Versuch eines Vorworts

Kindheit und Jugend

Der Student

Die Lektüre von Ciceros „Hortensius“

Manichäer

Lehrer der Rhetorik

Wieder in Karthago

In Rom

In Mailand

Nachdenken über Gott

Die Bekehrung

Cassiciacum

Taufe und Rückkehr nach Afrika

Zurück in Afrika

Kloster in Thagaste

Priester

Das Gartenkloster

Der Bischof

Monasterium clericorum

Der Kampf für die katholische Kirche und ihre Lehre

Der Prediger

Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan

Gegen Fallensteller und Menschenhändler

Die Sehnsucht betet immer

Die Goten nehmen Rom ein

Lebensende

Verfolgung durch die Vandalen

Quellen und Literatur

Versuch eines Vorworts

Ich bin wohl das, was man einen Milieukatholiken nennt. Hineingeboren, getauft und aufgewachsen in einer Berliner, von Augustinermönchen betreuten Pfarrei bot man mir dort alles, was ich brauchte: nette Freunde und – in erster zaghafter Annäherung – auch Freundinnen, uns jungen Menschen durchaus ansprechende Gottesdienste, Spiel und Spaß. Die älteren Jugendlichen vergnügten sich beim „Schwofen“, wie sie es nannten, bei in unserem Gemeindesaal stattfindenden Tanzveranstaltungen. Mancher junge Mann, manche junge Frau fanden dort ihre Ehepartner. Ich bin ein Milieukatholik, und das ist gut so.

Und doch war Religion für mich in erster Linie Moral, ein „Du darfst nicht!“ und „Du sollst!“ Es schlug mir das Gewissen, dass ich gelogen, dass ich Bücher ausgeliehen und nicht zurückgegeben hatte, und es plagten mich erste erotische Phantasien. Sünden müssen im Fegefeuer abgebüßt werden, auf den Todsünder warten gar ewige Höllenstrafen, lernte ich im Religionsunterricht. Trotz schöner Erlebnisse im Kreis der Freunde und der Patres, die viel Geduld und Verständnis für uns aufbrachten, lauerte immer in einem dunklen Seelenwinkel die Angst.

Ich wurde dann selber Augustiner und Priester, und während des Studiums der Moraltheologie musste ich noch gründlicher lernen, welche Sünden zum Verlust der Heiligmachenden Gnade führten, zur Kündigung der Gottesfreundschaft. Und das waren viele.

Als ich im Sommer 1962 in meiner Heimatpfarrei St. Rita in Berlin Primiz feierte und einige Wochen dort verweilte, wurde ich aufgefordert, die Predigt am Fest des hl. Augustinus am 28. August zu halten. Es war ein warmer Sommer. Eines Abends sah und hörte ich einen Mann, der – es war ein Freitag – seinen Arbeitslohn, wie damals üblich, bar „auf die Kralle“ erhalten und einen Teil davon in Alkohol umgesetzt hatte, leicht taumelnd beständig laut vor sich hinreden: „Mensch, bin ick glücklich! Mensch, bin ick heute glücklich!“ Ich hatte den Einstieg in meine Predigt gefunden; denn ich hatte in den „Confessiones“, den „Bekenntnissen“, die Stelle entdeckt von dem Bettler in Mailand, der betrunken seine Scherze machte. Augustinus sagte zu seinen Freunden: „Seht euch den an. Er ist glücklich, ist in einem Zustand, den wir mit all unserer Plackerei zu erreichen suchen und doch nicht erreichen.“ Ich begriff, dass Augustins Suchen nach dem Glauben die Suche nach Glück war: denn der Besitz Gottes ist das Glück, wie die Diskutanten in dem Cassiciacum-Dialog über das glückliche Leben herausfinden. Ich verstand, dass es nicht zunächst um die Moral geht, sondern um das Glück im Glauben, das sich vollenden soll im Schauen.

Auf das Glück, auf das selige Leben kommt Augustinus immer wieder zu sprechen, und deswegen habe auch ich in meinem sicher sehr defizitären Versuch, sein Leben zu beschreiben, immer wieder auf diese Glückssuche hingewiesen.

Bin ich glücklich? Nicht immer und nicht bis in die tiefste Tiefe meiner Seele. Augustinus möge mir ein Führer zum wahren und vollkommenen Glück sein, Augustinus, der von manchen Philosophen und Theologen als Erfinder des willkürlich strafenden Gottes hingestellt wird, als einer, der in seiner Theologie eine Logik des Schreckens entwickelt hat. Für mich soll er der große Glückssucher bleiben, der die ihm Anvertrauten zum seligen Leben führen wollte, das er auch für sich ersehnte.

P. Michael Klaus Wernicke OSA

Kindheit und Jugend

Ein niedliches Baby war er, das lächelte, zuerst im Schlaf, dann im Wachen; ein Schreihals, der durch lautes Weinen sein Begehren kundzugeben versuchte und der, wenn ihn die Erwachsenen nicht gleich verstehen konnten oder wollten, durch lautes Geheul an ihnen Rache nahm. So schildert Augustinus seine Säuglingszeit, an die er sich nicht erinnerte, von der ihm aber Eltern und Ammen erzählten. Später beobachtete er auch, um die eigene Kindheit zu rekonstruieren, Säuglinge, den Knaben zum Beispiel, der bleich, mit bitterbösen Blicken auf seinen Milchbruder starrte, dem gerade die Brust gereicht wurde, während er, der Neidische, zunächst leer ausging. Der erwachsene Augustinus zieht aus solchen und anderen unleidlichen Verhaltensweisen kleiner Kinder den Schluss: „Ist vor Dir, Gott, doch keiner rein, auch das Kind nicht, das nur einen Tag auf der Welt ist.“

Er glaubt nicht an kindliche Unschuld, wird aber ganz und gar nicht zum Rabenvater, als seine Freundin ihm nach höchst unwillkommener Schwangerschaft einen Sohn gebiert, „Nachkommenschaft wider Wunsch und Willen“, der doch, einmal geboren, sich die Liebe der Eltern zu gewinnen wusste. Aber davon später.

So schildert Augustinus seine Kindheit in den „Confessiones“, den „Bekenntnissen“, dem berühmtesten und am meisten gelesenen Buch seiner 107 Werke, das er wohl Ende 397 begonnen hat. Da die hier gebotene Lebensbeschreibung bis zum Tod der hl. Monnica, der Mutter Augustins, dieser Schrift folgen wird, sei dargelegt, was der Verfasser mit seinen Bekenntnissen beabsichtigte, was er mit ihnen sagen wollte und was er offensichtlich nicht sagen wollte.

„Confiteri“, das Verb, von dem sich das Substantiv „Confessiones“ ableitet, kann „bekennen“ heißen, aber auch „lobpreisen“. Der Wortbedeutung entsprechend, ist das Buch Sündengeständnis, Glaubensbekenntnis und Lobpreis der Barmherzigkeit Gottes. Warum nun breitete Augustinus seine Sünden und Irrwege vor der Öffentlichkeit aus? Er selbst stellte sich diese Frage und antwortete: „Damit wir, ich und jeder, der das liest, bedenken, aus welcher Tiefe man zu Dir, Gott, rufen darf.“ Es sollen also die ermuntert werden, die das Gewissen drückt und die unter der Last ihrer Schuld mutlos zu werden drohen.

Dem Glaubensbekenntnis, oft verbunden mit dem Lobpreis, begegnet der Leser auf vielen Seiten, ja schon im ersten Satz: „Groß bist Du, Herr, und hoch zu preisen, und groß ist Deine Macht und Deine Weisheit unermesslich. Und preisen will Dich der Mensch …“ Unser Gott, neben dem es keinen anderen gibt, wird angerufen als „Höchster, Bester, Mächtigster! Ganz allmächtig, ganz barmherzig und gerecht, ganz verborgen …“

 

Ein Mutmacher für die Mutlosen, eine Werbeschrift für den Glauben wollen die „Confessiones“ sein und nicht so etwas wie Memoiren, die Politiker nach dem Rückzug aus der Öffentlichkeit schreiben oder schreiben lassen. Von der schweren Staatskrise, die 383 mit dem Einmarsch des Usurpators Magnus Maximus in Gallien begann und 389 mit dessen Übergang über die Alpen ihren Höhepunkt fand, liest man in den „Bekenntnissen“ kein Wort, obwohl Augustinus, der sich in Mailand als Sprecher der Regierung auf politischem Parkett bewegte, ganz sicher davon erfahren hat, von der er in Ostia sogar direkt betroffen war. Davon soll später noch die Rede sein.

Auch von der Geschichte der Liaison mit einer Frau, die ihm sogar einen Sohn geboren hat, erzählt Augustinus kaum etwas. Er nennt nicht einmal ihren Namen. Es ist für den modernen Leser befremdlich, dass er die Geliebte nur an zwei Stellen der „Bekenntnisse“ erwähnt: Kurz erzählt er vom Beginn ihres Zusammenlebens und vom Ende. Monströs nennt der Philosoph Kurt Flasch, der freilich dem Augustinus wenig bis gar keine Sympathie entgegenbringt, dass die Selbstanklage wegen eines Birnendiebstahls Seite um Seite füllt, das Zurückschicken der Frau nach Afrika, der Frau, mit der er immerhin 15 Jahre lang zusammengelebt hat und „deren Trennung von dem gemeinsamen Sohn … für ihn kein moralisches Problem“ bildet. Man könnte bei der Zurückhaltung Augustins, mit der er sein Verhältnis zu der Frau behandelt oder eben nicht behandelt, auch an Diskretion denken.

An Augustinus scheiden sich bis heute die Geister. Während Kurt Flasch ihn ganz entschieden nicht mag, begeisterte sich Etty Hillesum, eine junge, gescheite, gebildete holländische Jüdin, die am 7. September 1943 „auf Transport“ geschickt wurde und wenige Wochen später, am 30. November, in Auschwitz starb, für ihn. Sie schrieb in ihr Tagebuch: „Ich werde wieder den hl. Augustinus lesen. Er ist so streng und so feurig. Und so leidenschaftlich und voller Hingabe in seinen Liebesbriefen an Gott.“ Wahrscheinlich las sie die „Bekenntnisse“ und darin diesen klagenden und sehnsüchtigen „Liebesbrief“: „Spät habe ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät habe ich Dich geliebt. Und siehe, Du warst innen und ich war draußen, und da suchte ich nach Dir, und auf das Schöngestaltete, das Du geschaffen, warf ich mich, selber eine Missgestalt. Du warst bei mir, ich war nicht bei Dir. Was doch nicht wäre, wär’ es nicht in Dir: das eben zog mich weit von Dir. Du hast gerufen und geschrien und meine Taubheit zerrissen; Du hast geblitzt, geleuchtet und meine Blindheit verscheucht; Du hast Duft verbreitet, und ich sog den Hauch und schnaube jetzt nach Dir; ich habe gekostet, nun hungere ich und dürste; Du hast mich berührt, und ich brenne nach dem Frieden in Dir.“

Es wird nun Zeit, den Faden der Erzählung wieder aufzunehmen. Es bleibt noch zu erwähnen, dass auch, nachdem Augustinus die Erzählung von seinem Weg zum Glauben mit dem Tod seiner Mutter abschließt, es an biographischem Material nicht fehlt: Possidius übernimmt die weitere Berichterstattung, ein bewundernder Freund, Mitbruder im Klerikerkloster zu Hippo, später Bischof von Calama. Er beschreibt das Leben seines und unseres Helden von dessen Priesterweihe bis zum Tod.

Das lächelnde, das gesättigte, wohlig zufriedene, zuweilen hungrig plärrende, manchmal zornig heulende Baby, das Augustinus einst war, ist – wie er selbst uns verrät – am 13. November 354 geboren, zu Thagaste, einer kleinen Stadt in Numidien im römischen Afrika, das heutige Soukh Arras in Algerien. Der Vater, Patritius, zwar ein Bürger mit bescheidenen Mitteln, doch Mitglied der städtischen Curia, ein Ratsherr also, war noch Heide, ließ sich erst ins Katechumenat aufnehmen, als Augustinus 16 Jahre alt war, und empfing die Taufe kurz vor seinem Tod. Die Mutter dagegen, Monnica, war Christin, katholisch, „keusch und nüchtern“, wie der Sohn später bezeugt. Zweimal am Tag ging sie in die Kirche, „damit sie Dich, Gott, hörte in Deinen Predigten und Du sie in ihren Gebeten“. Augustin hatte noch einen Bruder, Navigius, der später mit ihm die Zeit in Cassiciacum verbrachte, diese Tage der besinnlichen Vorbereitung auf die Taufe. Nach Possidius, dem Freund, gab es auch eine Schwester, deren Name nicht bekannt ist und die nach dem Tod ihres Gatten ein Frauenkloster in Hippo leitete, in der Stadt, in der Augustinus Bischof war.

Augustins Muttersprache, die er wie jedes Kind im Spiel lernte, war das Lateinische, seine Welt das Römische Reich, dessen westliche Hälfte Kaiser Constantius II., der Sohn des großen Konstantin, regierte.

Der kleine Augustinus wurde nicht getauft, obwohl es die Kindertaufe zu seiner Zeit schon gab, wurde aber bezeichnet mit dem Zeichen des Kreuzes und mit dem Salz dessen gewürzt, der sich in Demut „herabließ zu unserem Hochmut“. Das Kreuz und das Salz bezeichneten die liturgischen Akte, mit denen der Mensch ins Katechumenat aufgenommen wurde, angegliedert wurde an Christi mystischen Leib. Einmal, als er sehr krank war, wünschte er sich, obwohl noch ein Kind, die Taufe, vergaß sein Begehren aber, als das Fieber vorüber war und er sich wieder heil und gesund fühlte.

Sehr bald erkannten die Eltern, dass ihr Sohn einen schnellen und hellen Verstand hatte, und sie hegten ehrgeizige Pläne für ihn, wollten, was Väter und Mütter immer wollen: Unser Sohn soll es einmal besser haben als wir, soll durch Bildung beruflich Erfolg haben und gesellschaftliches Ansehen gewinnen. „So gab man mich zur Schule“, erinnert sich Augustinus, „damit ich lesen und schreiben lernte, wovon ich Armer nicht einsah, was das nützen sollte“.

Lieber, als sich mit dem ABC zu beschäftigen, gab er sich mit anderen Kindern dem Ballspiel hin. Wenn er aber, weil er seine Zeit spielend verbracht und deshalb seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, hinter den Erwartungen des Lehrers zurückblieb, bekam er Schläge, die so schmerzhaft waren, dass er große Angst vor der Bestrafung hatte. Und so betete er, der Kleine, mit nicht kleiner Inbrunst, er möge doch in der Schule nicht geschlagen werden. Später sah Augustinus in diesem kindlichen Flehen den Keim des Glaubens, der schon früh von der Mutter in sein Herz gepflanzt worden war, des Glaubens, „dass Du, Gott, jemand Großer seist, der uns … erhören und uns helfen könne“.

Mit der Zeit aber gewann er das Lateinische lieb, freilich nicht das der untersten Stufe, sondern wie es die sogenannten Grammatiker lehrten, die mit ihren Schülern eine intensive Dichterlektüre betrieben und eine darauf beruhende Einführung in Grammatik und Stil. Die Anfangsgründe mit Lesen und Schreiben und Rechnen seien ihm lästig gewesen und qualvoll, erzählt er. Die schöne Literatur dagegen begeisterte ihn. Zwar blickt er später als Christ, als Bischof skeptisch selbst auf den großen Publius Vergilius Maro, den „die Knaben lesen“, den großen Dichter, „von allen der berühmteste und beste“, dessen Verse über die Irrfahrten des Aeneas er auswendig lernen musste, „der eigenen Irrwege vergessend“. Er las ihn jedoch weiterhin zusammen mit seinen Studenten in Cassiciacum und zitierte ihn eifrig in seinem gewaltigen Werk vom Gottesstaat. Die schlüpfrige Komödie „Der Eunuch“ von Terentius Afer aber fand er vom Standpunkt des christlichen Moralisten gesehen völlig unakzeptabel. Aber auch von diesem Dichter finden sich Sprüche in Augustins Werken. Die Briefe des Horaz, mit Vergil einer der großen Dichter des Augusteischen Zeitalters, kannte er. Er erwähnt die Fasti, den römischen Festtagskalender des Ovid. In die bedeutende römische Literatur ist er aber nicht mehr in der Schule zu Thagaste, sondern in Madaura eingeführt worden, das etwa 30 Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt war.

Als Augustinus 16 Jahre alt war, musste er seine Studien unterbrechen. Die Eltern konnten das Schulgeld nicht mehr aufbringen, das für den Unterricht in der Literatur zu zahlen war. Also sah sich der Vater nach einem Sponsor um; denn beide, Vater und fromme Mutter, waren darauf aus, dass der Sohn „einen möglichst guten Stil sich aneigne und durch die Kunst des Wortes zu überreden lerne“ als Anwalt oder Lehrer. Bildung war der einzige Weg, herauszukommen aus der Armut des Elternhauses und der Enge der kleinen afrikanischen Stadt.

Augustinus hatte Ferien, unfreiwillig. Und er, der Sechzehnjährige, der sich in der Pubertät befand, spürte heftige Regungen des Triebes, Regungen, von denen er nicht durch die Anstrengungen des Studiums abgelenkt wurde. Das Dorngestrüpp der Sinnlichkeit sei ihm über den Kopf gewachsen, klagt er in den „Bekenntnissen“, „und es war keine Hand da, es auszureißen. Im Gegenteil, mein Vater, wie er nun einmal war, erzählte, als er beim Bäderbesuch die Zeichen durchbrechender Mannesreife und den Drang meines jungen Leibes bemerkt hatte, voll Vergnügen der Mutter davon, als trüge er bereits auf Enkel an …“

Luther zitiert diese Stelle in der Widmung an seinen Vater, die er seinem Buch über die Mönchsgelübde voranstellt: „Du warst mit väterlicher Liebe besorgt wegen meiner Haltlosigkeit, als ich schon ein Jüngling war, gerade mein 22. Lebensjahr begonnen hatte, das meint, um ein Wort Augustins zu gebrauchen, mit hitziger Jugendkraft bekleidet war. Weil du an vielen Beispielen gesehen hattest, dass ein solches Leben gewissen Leuten zum Unglück ausgeschlagen war, bestimmtest du, mich mit dem Band einer ehrenhaften Ehe zu binden.“ Mit unruhiger, Luther liest: hitziger Jugendkraft bekleidet; inquieta indutus adolenscentia übersetzt Bernhart: Der Vater bemerkte „den Drang meines jungen Leibes“. Augustinus beklagte, dass das, was Luthers Vater plante, um die überschießende Sexualität in geordnete Bahnen zu lenken, selbst von seiner frommen Mutter nicht versucht wurde: „Es lag ihr nicht am Herzen, meinen Zustand, den sie aus der Erzählung ihres Mannes kannte und als Verderbnis und kommendes Unheil empfand, wenigstens in die Schranken ehelicher Liebe zu bannen.“

Aber entsetzt war die Mutter schon über das, was sie von ihrem Gatten gehört hatte. Es überfiel sie die Angst, dass der Sohn auf krumme Wege geriete, „wie diejenigen sie wandeln, die Dir, o Gott, den Rücken kehren, nicht das Angesicht“ zuwenden.

Monnica mahnte den Sohn eindringlich unter vier Augen, doch er tat, was Sechzehnjährige, die von ihren Müttern ermahnt werden, zu tun pflegen: Er lachte, hielt er doch solche Mahnungen für weibisch, und sie in den Wind schlagend, trieb er es „bis zum Verwildern im Wechsel tagscheuer Liebesfreuden“. Seinen Kumpanen gegenüber, einer „Bande von Taugenichtsen“, rühmte er sich seiner Abenteuer, und wenn er gar keine bestanden hatte, dann log er sie sich zusammen, der Angeber.

Mit diesen Kameraden zog er eines Nachts los, um Birnen zu stehlen, Früchte, die „nichts Verlockendes hatten, weder nach Aussehen noch Geschmack“. Sie aßen sie nicht, sondern warfen sie den Schweinen hin. Sie fanden die Tat lustig, weil sie nicht erlaubt war. Es gab keinen Grund für den Diebstahl, die Bosheit hatte eben nur die Bosheit zum Grunde. „Ich liebte es, zu verkommen, ich liebte meine Sünde: nicht das, wonach ich in der Sünde griff, sondern mein Sündigen selbst“, so klagte er später, als er erkannte, dass er mit diesem grundlosen Birnendiebstahl auf dem Grund der moralischen Verkommenheit angekommen war.

Der Student

Der Vater fand schließlich einen Gönner, der bereit war, das Studium des Sohnes zu bezahlen: Romanianus, einen reichen Grundbesitzer, einen Bürger Thagastes. Augustinus blieb ihm in Dankbarkeit verbunden: „Du hast mir armen Jungen, der studieren wollte, dein Haus geöffnet, dein Vermögen und, was mehr ist, dein Herz, hast mir nach dem Tod meines Vaters Trost gegeben …“

So kam er denn nach Karthago als Neunzehnjähriger und begann „mit jenen Studien, die man die höheren nennt“, den Studien der Rhetorik, die abzielten auf „die kampferfüllten Gerichtshallen“; „dort wollte ich glänzen“ als Verteidiger oder Ankläger, „um so ruhmreicher, je gewandter ich das Recht verdrehen würde“, gesteht er in den Bekenntnissen.

Außerhalb der Hörsäle gab er sich als Mann von Welt – elegans et urbanus –, wurde leidenschaftlicher Theaterbesucher und hatte seine Liebschaften. Die aber mündeten schließlich im Jahr 372 in eine feste Beziehung. Heiraten wollte er allerdings seine Freundin nicht; denn er strebte nach einem ehrenvollen Posten „und dazu noch eine Ehefrau mit etwas Vermögen, um unsere Ausgaben nicht zu sehr zu belasten“. Er blieb aber der jungen Frau, deren Namen er nicht preisgibt, treu, hatte keine Affären mehr, bis es etwa 385 zur von Monnica betriebenen Trennung kam, worüber noch zu reden sein wird.

 

In Karthago gebar ihm die Freundin einen Sohn: Adeodatus, der von Gott Geschenkte. Das ist der ins Lateinische gewendete punische Name Iatanabaal, der beliebt war bei Karthagos Christen. Der Junge wuchs heran und entwickelte sich zu einem Hochbegabten. Ein Zwiegespräch mit ihm zeichnete Augustinus auf in dem Buch „Über den Lehrer“. In den „Bekenntnissen“ erinnert er sich dieses Dialogs: „Es ist da mein Buch, welches den Titel hat ‚Der Lehrer‘. Er, mein Sohn Adeodat selbst, führt dort mit mir ein Gespräch. Du weißt, mein Gott, dass alle Probleme, die dort von meinem Partner in das Gespräch gebracht werden, seine eigenen Empfindungen waren, als er im sechzehnten Lebensjahr stand. Andere bewundernswerte Dinge habe ich reichlich von ihm erfahren. Diese Begabung erweckte in mir Schauder.“