Aus, Äpfel, Amen! Mia, die Feder

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Aus, Äpfel, Amen! Mia, die Feder
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Mia May

AUS, ÄPFEL, AMEN!

Mia, die Feder


Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte bei der Autorin

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

www.engelsdorfer-verlag.de

12. 04. 09 Beginn der Aufzeichnungen

VORWORT

Dieser Roman enthält zum großen Teil meine persönlichen Lebenserinnerungen.

Ich bin Jahrgang 1939 und habe daher alle Zeitabschnitte erlebt – den Krieg – das Kriegsende – den Aufschwung – das Wirtschaftswunder – neue weltweite Finanzkrise – bis jetzt der angekündigte neue Aufschwung. Meine Aufzeichnungen erheben keinen Anspruch auf politische, zeitliche oder allgemein gültige Richtigkeit, sondern einfach, wie das Frauen in meiner Familie, mit Rückblick auf meine Urgroßmutter, meine Großmutter (Mama), meine Mutter (Mutti), meine Tante, meine Cousine Beate und schließlich mein Leben. Wie ich das alles erlebt, empfunden oder von anderen gehört habe.

Mein Leben ist nicht spektakulär verlaufen. Ein Leben ganz einfach, mit Höhen und Tiefen, das fette Leben einer Dicken, ein Leben in Deutschland, das viele andere Frauen genauso gelebt haben.

Meine Cousine Beate meint, der Titel

„Dicke Mary, dumme Kuh“ ist zu drastisch.

Der erste Band trägt den Titel:

Mia, die Feder

Nun habe ich noch einen Titel im Kopf:

Schattentage und Abendrot

Dieser Titel ergibt sich aus meinem Leben.

Ich bin eine Rothaarige mit einer sehr empfindlichen Haut.

Wegen dieser kann ich die Sonne kaum genießen.

Auch im Leben ergeht es mir so.

Wenn ich mich zur Sonne des Lebens durchkämpfe, erleide ich Verbrennungen.

Jetzt am Abend des Lebens kann ich wenigstens die milde Abendsonne genießen.

Aber jetzt habe ich den passenden Titel:

Aus, Äpfel, Amen!

Dieser Ausspruch gilt in Bayern und auch in meiner Familie für etwas, was feststeht und wenn an einer Sache nicht mehr zu rütteln ist.

Mia, die Feder

Von Anno dazumal bis 1947

RUNDER GEBURTSTAG 8. 3. 2009

Ein stechender Schmerz fährt durch meine Schulter und zwingt mich zum Wachwerden.

Ich schlage die Augen auf. Das Licht fällt hell durch die Ritzen der Jalousien. Langsam kann ich meine Gedanken sammeln. Heute ist ja ein besonderer Tag mit drei relevanten Ereignissen.

1. Es ist Sonntag.

Ich mag Sonntage, weil normal niemand kommt, keine Post, kein außerprivater Telefonanruf, kein Vertreter usw.

2. Heute ist Internationaler Frauentag.

Frauen, das starke Geschlecht. Frauen waren in meiner Familie meist stark. Nein, keine prominenten Frauen, keine Frauen, die in der Öffentlichkeit standen, keine studierten oder politisch organisierten Frauen. Sie sind eigentlich niemandem aufgefallen, aber sie waren stark. In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele starke Frauen. Sie überlegten sich nicht, ob sie stark waren oder nicht. Sie kannten den Frauentag nicht mal und doch waren sie diese kraftvollen Frauen, für die der Frauentag geschaffen wurde. Natürlich gibt es diese Frauen auch heute noch und es wird sie immer geben.

Und …

3. Ich habe heute Geburtstag.

Einen runden. Die Jahre sind so schnell verflogen! Ich komme mit dem Zählen nicht nach.

Ich denke, es sind 60 Jahre.

Wenn mir aber meine gesundheitliche Situation bewusst wird, dann fühle ich 80.

Wie bei der Wettervorhersage: „Gefühlte Temperatur“.

Ja, ich bin gefühlte 80, aber dem Kalender nach bin ich heute 70.

Ich drehe mich um und quäle meinen übergewichtigen Körper aus dem Bett. Nun spüre ich auch den Schmerz, den meine Gleitwirbel verursachen. Während ich mich erhebe, macht sich ebenfalls mein kaputtes Kniegelenk bemerkbar.

Ich setze mich wieder auf die Bettkante zurück, schließe die Augen und bete mein Morgengebet. Heute dauert es etwas länger, weil ich mich für die vergangenen 70 Jahre beim Herrgott bedanke.

Ja, ich bin gläubig. Keine gläubige Katholikin, keine gläubige Protestantin, keine gläubige Muslima, nein, einfach eine gläubige Frau, die an einen Gott glaubt. Ich bin zwar katholisch getauft und in einem katholischen Dorf aufgewachsen.

Ich mag den wulstigen, barocken Kult der katholischen Kirche, mag ein mit Weihrauch geschwängertes Hochamt mit viel Orgelmusik. Dies bedeutet aber nicht, dass es meinen Glauben in eine Richtung festlegt.

Mein fetter Kater Bazzi (wie der Herr, so sein Gscherr), jammert, denn er will sein Frühstück haben. Er lässt sich nicht besänftigen. Er jammert und klagt. Er will mir weismachen, dass er kurz vor dem Verhungern steht. Also wird erstmal er versorgt.

Ich schleppe mich zum Fenster und ziehe die Jalousien hoch. Das Wetter scheint nicht so besonders zu werden. Dieses Jahr, der lange Winter, von dem ich nun wirklich die Nase voll habe.

Mein Blick fällt in den Spiegel. Ein graues, fahles Gesicht, von ungekämmten Haaren umgeben, schaut mich an. Ich ziehe die Mundwinkel hoch, es soll ein Lächeln werden. Mit dieser Übung werden siebzehn Muskeln in Bewegung gesetzt. Dies soll sich auch positiv auf die Laune auswirken.

Ich begebe mich in das kleine Bad und zwänge mich in die enge Dusche. Das sprühende Wasser wirkt sich belebend auf mich aus. Erfrischt und wach „springe“ ich aus der Kabine. Ha … ha … ha … „springen!!“ Wer hat schon eine alte lahme Ente springen sehen?

Ich bin froh, dass ich es schaffe, meine Beine über den Beckenrand zu heben. Aber um das zu verbessern, mache ich meine morgendliche Tele-Gymnastik. Das beruhigt auch mein unsportliches Gewissen etwas. Ich pflücke imaginäre Bananen, die ganz hoch oben hängen, trainiere meine Schultern usw. Ich bin froh, als ich mein Pensum erfüllt habe.

Gerade als ich mit der Morgengymnastik und Toilette fertig bin, das Bad verlasse, mich entsprechend angezogen und den Kater gefüttert habe, läutet auch schon das Telefon.

Ich werfe einen Blick auf meine Pseudo-Rolex. Die hat ein großes Zifferblatt, so sehe ich die Uhrzeit auch ohne Brille. Es ist 7 : 30 Uhr.

Ich plumpse auf meinen Bürostuhl und hebe das Telefon ab. „Hallo“ melde ich mich. Natürlich weiß ich, es ist unhöflich, sich nicht mit dem Namen zu melden. Im Büro machte ich dies natürlich „richtig“. Privat ist das wieder anders. Außerdem kennen alle meine Stimme, die nach Jahrzehnten Leben in Franken immer noch eine starke bayerische Färbung hat.

Am Telefon ist Hans, der Mann meiner Cousine. Er ist ein früher Vogel, der immer den Wurm findet. Er hat in seinem Leben viele Würmer gefunden. Obwohl er schon sechs Jahre in Pension ist, sucht er immer noch nach den frühen Würmern.

Jetzt aber gratuliert er mir. Auch ich spreche ihm meine Glückwünsche aus, denn auch er hat heute Geburtstag, aber er ist ein Jahr älter. Nach ein paar heiteren Sätzen, dass ich ihn trotz aller Bemühungen nicht einholen kann, übergibt er das Telefon an meine Cousine Beate.

Ihr Atem hört sich kurz und ihre Stimme etwas hektisch an.

„Bist du schon auf? Ich habe dem Hans gesagt, so früh kannst du nicht anrufen. Aber du kennst ihn ja.“ Nun folgen liebe Glück- und Segenswünsche.

Meine Cousine, mehr meine Schwester, ist ein Jahr jünger. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben ein herzliches Verhältnis zu einander. Obwohl wir nicht immer einer Meinung sind, machen wir uns gegenseitig nichts vor, aber das wirkt sich nie störend aus. Wir ratschen etwas und besprechen kurz auch meine Geburtstagsfeier, die erst am kommenden Samstag stattfinden soll, bis das zweite Telefon läutet.

Es ist meine allerbeste Freundin Melitta.

Ich habe Freundinnen, gute Freundinnen und mehrere beste Freundinnen. Melitta ist meine allerbeste. Sie hat mir im letzten Jahr in jeder Beziehung sehr viel geholfen, d. h. mit Rat und Tat, eigentlich mehr mit Tat als Rat. Ratschläge bekommt man im Leben viele, Ratschläge, brauchbare und unbrauchbare, manchmal wird einfach nur der Senf dazu gegeben.

Es geht um Ratschläge, wie man den schweren Koffer des Lebens leichter tragen kann. Aber Melitta hilft tragen, das ist der gravierende Unterschied.

Auch ihre Tochter Nina übermittelt mir ihre Glückwünsche.

Nun brauche ich erst mal eine Tasse Kaffee. Ich gieße mir einen Schnellkaffee auf. Kuchen habe ich auch nicht da. Den wird mein Sohn bringen. Vorerst tut es ein altes Brötchen. Andy, mein Sohn, wird aber erst später kommen. Er ist am Wochenende im Osten bei seiner Freundin Marion, die in der Nähe von Magdeburg wohnt.

 

Gerade tauche ich meine alte Semmel in den Kaffee – ein Relikt aus der Kindheit (damals jedoch Brot) – als das Telefon erneut läutet. Es ist Andy, mein Sohn.

„Bist du schon auf dem Weg?“, frage ich ihn.

„Nein, ich bin schon in Nürnberg. Ich bin schon um fünf Uhr weggefahren.“

Seine Glückwünsche freuen mich besonders. Andy will Essen vom „Mongolen“ holen, Torte in der Konditorei kaufen, dann kommen. Ich habe einen sehr lieben Sohn. Was würde ich ohne ihn machen? Er hat zwar manchmal auch seine Mucken und Launen, aber welcher Mann hat die nicht?

Er ist ein lieber, intelligenter, sehr fleißiger Bub. Er ist nun fünfundvierzig Jahre alt, aber er schaut noch viel jünger aus. Auf Wunsch von Marion trägt er sein Haar lang. Er hat äußerlich nicht viel Ähnlichkeit mit mir. Gott hat ihn davon bewahrt. Außer meinen Sohn habe ich noch zwei Neffen.

Robert, der wie ich auch ziemlich übergewichtig und Ludwig, der zwar rank und schlank ist, aber rote Haare wie ich hab, d. h. wie ich hatte.

Wenn diese drei jungen Männer bei mir stehen und ich frage, welcher von ihnen mein Sohn ist, dann tippen alle entweder auf Robert oder auf Ludwig, aber niemand kommt auf die Idee, Andy für meinen Sohn zu halten.

Er schaut auch seinem Vater nicht sehr ähnlich, sondern mehr meiner Mutter.

Das Telefon läutet wieder und reißt mich aus meinen Gedanken.

Es ist Marion, meine Schwiegertochter. Ihre Glückwünsche sind sehr herzlich. Sie ist eine ganz Liebe. Sie ist ein kleines, zierliches, hübsches Persönchen, voller Kraft und Energie, eine Powerfrau. Sie hat sich ein sehr jugendliches Aussehen bewahrt.

Der nächste Anruf kommt von meiner Freundin Hermine.

Seit 1955 sind wir befreundet. Ihre gesundheitliche Lage ist meiner sehr ähnlich und wir tauschen uns fast täglich aus.

Nun läutet es. Ich erschrecke und fahre in die Höhe. An dieses schrille Läuten kann ich mich einfach nicht gewöhnen.

Andy kommt. Die Tortenstücke – aber bitte mit Sahne – hat er schon dabei. Gleich fährt er nochmals los und kommt kurz darauf mit den mongolischen Gerichten zurück.

Das Essen schmeckt; wir lassen es uns gut gehen.

Nach dem wir unsere Portionen verzehrt haben, wollen wir noch einen Kaffee trinken. Diesmal gefilterten.

Zu einer gemütlichen Unterhaltung kommen wir nicht, denn dauernd klingelt das Telefon. Unser Gespräch wird ständig unterbrochen.

Andy sitzt auf dem kleinen Sofa. Er wirkt müde. Er ist in der Früh um fünf Uhr wegfahren, das ist schon anstrengend. Unterhalten können wir uns wegen der laufenden Gratulationsanrufe sowieso nicht.

„Na ja“, meint Andy, „ich geh dann.“

„Ja, hast recht. Du siehst ja, dass ich dauernd am Telefon bin.“

Die telefonischen Glückwünsche dauern noch bis zum Abend um neun an. Jetzt mache ich mich aber schnell „bettfein“ (von Marion gehört) und falle erschöpft in die Kissen.

Endlich kann ich meinen Gedanken freien Lauf lassen.

Wenn all die heutigen Glückwünsche in Erfüllung gehen, dann werde ich glücklich, in bester Gesundheit, schlank und rank, mindestens 100 Jahre alt, ein vitaler, liebenswürdiger Lebensgefährte wird mich durch das Leben und auf Reisen begleiten, Andy und Marion werden liebevoll um mich rumwuseln, meine Finanzen werden bestens sein. Wenn ich wirklich einmal sterben muss, dann bei bester Gesundheit und auf Grund meiner Gutheit werde ich sofort ins Paradies eingehen.

Hoffentlich hat der liebe Gott alle Anrufe mitgehört und wird seinen Engeln entsprechende Anweisungen erteilen.

DIE HEUTIGE DURCHSCHNITTLICH 70-JÄHRIGE

Ich denke über all die guten Wünsche nach. Eine „normale“ 70-jährige bin ich nicht. Wie ist denn in der heutigen Zeit die „durchschnittliche“ 70jährige Frau, die in der „Norm“ ist? Na ja, demnach müsste ich eine „glückliche“ Witwe sein, deren Mann sich für die Familie geopfert und mit einem Herzinfarkt das Zeitliche gesegnet hat.

Statistiken belegen, dass auf drei Frauen in meinem Alter ein Mann trifft.

Als Normfrau würden mir die Witwenrente, die Betriebsrente des Verblichenen und meine Altersrente mein Dasein großzügig finanzieren. Ich lebe alleine in einem viel zu großen Haus, Eigentumswohnung oder zumindest in einer geräumigen Mietwohnung. Die Kinder sind schon lange ausgezogen, sind verheiratet. Sie haben ihr eigenes Heim nach ihrem Geschmack.

Ich halte mich mit „nordic walking“ fit, übe im Fitnesscenter am Crossover-Gerät (lt. Melitta), gehe mindestens einmal in der Woche zum Schwimmen, in die Sauna und ins Sonnenstudio.

Natürlich gehören zwischendurch auch aufbauende Wellness-weekends dazu.

Ich nehme am Morgen meine Tabletten gegen Bluthochdruck ein; achte auf meinen Cholesterin- und Blutzuckerspiegel, damit es mir eines Tages nicht so ergeht, wie meinem verstorbenen Ehemann.

Selbstverständlich gehören auch Antiaging sowie 50plus-Produkte zu meinem Programm.

Einmal in der Woche fahre ich zum Friedhof, denn das muss sein. Was würden wohl die Leute sagen, wenn nicht immer frische Blumen auf dem Grab liegen würden?

Außerdem treffe ich mich einmal in der Woche mit meinen Freundinnen zum Kaffeeklatsch.

Da werden bei Kaffee Latte Macchiato (der ist nach Espresso und Cappuccino einfach „trendy“) und Sahnetorte alle Neuigkeiten und jeder Tritsch und Tratsch besprochen. Natürlich wird viel über ungelegte Eier gegackert (lt. Melitta) „Frau“ ist doch in!

Zuerst geht es um die, welche heute nicht kommen konnten.

„Was sagt ihr zu dem Rock, den Gaby das letzte Mal an hatte? Doch viel zu kurz! In deeem Alter soll man doch nicht mehr sooo auf jung machen!

Vielleicht hat sie mal wieder einen jüngeren Verehrer an der Angel.

Und Jutta, die will heuer wieder in die Dominikanische Republik fliegen.

Die war doch schon in der Schule eine ganz ‚Gspinnerte‘.

Und die Martha, die sitzt jetzt alleine da! Ihr Mann hat sie nach vierzig Jahren Ehe wegen einer jungen Russendeutschen hocken lassen. Vielleicht trägt sie auch etwas Schuld. Sie hat ja wenig auf ihr Äußeres geschaut.

Aber dann die Gerdi. Meine Güte, die pflegt ihre neunzigjährige, bettlägerige Mutter zu Hause.

Wie kann man sich nur so was antun!“

Als Nächstes geht es um die erfolgreichen Kinder. Sie sind verheiratet, leben in gesicherten, gehobenen Positionen und bieten ihrer Familie ein sorgenfreies Leben.

Billig ist das nicht! Besonders die Enkelkinder sind überaus teuer und wichtig. Jetzt werden Fotos ausgetauscht. Oh, wie hübsch, wie süß, wie lieb, wie gescheit die heute alle sind.

Ich mag Kinder, leuchtende Kinderaugen, und Kinderlachen, solange diese Kinder nicht verzogen sind.

Heute ist die Erziehung antiautoritär. Man hat keine dressierten Affen mehr, die Gedichte vortragen oder „Danke“ sagen, wenn sie etwas bekommen.

Für was auch bedanken? Das steht ihnen doch zu!

Nur wollen, wollen, bekommen, bekommen, haben, haben! Aber „Geben“ Fremdwort!

Nein, die wissen selbst alle, was sie wollen. Sachen von C&A! Um Gottes Willen!!! Das kann man doch den Kindern heute nicht mehr zumuten! Das müssen schon Designer-Klamotten sein, Schuhe von Adidas oder Nike. Sie haben farbige, gegelte Haare und die Mädchen kennen sich mit Make-up aus. Gegessen wird nur, was die Werbung vorgibt. Ein Gang zu McDonald gehört zu den Gepflogenheiten.

Bereits im Kindergarten wissen sie alles über Sex und Kinderkriegen. Ich wundere mich da nur, wie sich die Menschheit ohne diese Frühaufklärung oder überhaupt ohne Aufklärung bisher fortpflanzen konnte.

Die Kinder werden von den Müttern hin und her geschleppt.

Zum Tennis, Fußball, Ballett, Eisläufen, zum Singen (sie haben ja schon mal beim Karaoke-Auftritt so erfolgreich abgeschnitten), zum Proben von Theateraufführungen und zum Musikunterricht.

Es gefällt auch mir, wenn Kinder ein Instrument spielen lernen. Aber hier sollen nur Wunderkinder heranwachsen, kleine Mozarts, Lang Langs oder zumindest Konkurrenten für David Garrett. Wenn es dazu nicht reicht, dann gibt es doch auch noch den Dieter Bohlen, der das Supertalent sucht. Ein TV-Auftritt gehört einfach dazu.

Ja, die Enkelkinder sind alle „siebengescheit“, beherrschen alles, können alles, wissen wirklich über alles Bescheid. Über Computer, Fernsehen, Gameboy, Handy und was es noch alles an Neuigkeiten in der heutigen Zeit gibt.

Aber frag doch mal einen Zehnjährigen wieviel 6 x 7 ist, dann erfolgt erstmal der Griff zum Taschenrechner, der auch auf dem Handy installiert ist.

Aber wenn ich ehrlich bin, ist da bei mir nicht ein bisschen Neid dabei, wenn ich so kritisch über die heutigen Kinder schreibe?

Wenn ich also ganz, ganz, ganz ehrlich bin, hätte ich doch auch gerne so einen Wunderkind-Enkel oder -Enkelin, die bei einem Fernsehauftritt in die Kamera winken und sagen: „Ich will meine Omi grüßen, denn sie ist die beste Omi der Welt“.

Mich stört es auch nicht, wenn die Kids Strähnchen in den Haaren haben, die Mädchen die Fingernägel lackieren und Lippenstift benutzen.

Warum sollen sie diese harmlosen Freuden nicht genießen?

Wenn ich genau überlege, sind diese Kinder nicht auch zu bedauern?

Wird ihnen nicht eine unbeschwerte Kindheit gestohlen?

Diese stressigen Tage mit Terminen vollgestopft!

Was helfen da Computerspiele, wenn man nicht mal unbeschwert auf die Dorfstraße laufen, sich in den Staub setzen und mit anderen Kindern „schussern“ „Häusl oder Strick hüpfen“ „Reifen- oder Kreiseltreiben“ (diese Spiele waren wenigsten in meiner Kindheit angesagt) kann, ohne dass sich ein alter Mann über das Kinderlachen beschwert oder darüber, dass ein Ball auf den gepflegten Rasen, dessen Betreten verboten ist, gefallen ist, oder ohne dass ein Kind von einem vorbei rasenden Auto verletzt oder gar von einem Verrückten entführt wird?

ICH BIN NICHT IN DER NORM 2009

Wohin haben sich nun meine Gedanken wieder verirrt? Ach ja, über die „Normfrau“ bin ich mal wieder vom Hundertsten ins Tausendste gekommen.

Wirklich, in der Norm bin ich nicht.

Bereits bei meiner Geburt hat mich das Leben dazu verurteilt, nicht zur Norm zu gehören.

Ich habe mich daher schon frühzeitig entschlossen, dass ich einfach nicht zur Norm gehören will.

Und so ist mein Leben auch verlaufen. Außer der Norm … außer der Form …

Ja, das habe ich nun von meinem ungenormten Leben! Ich kann nicht mehr angepasst, nicht mehr eingepasst, nicht mehr brauchbar gemacht werden.

Verfallsdatum schon lange abgelaufen! Für mich ist auch keine Abwrackprämie mehr zu beanspruchen. Zu erwarten? Nichts … nichts … nichts! Nur noch Entsorgung!

Ich dreh mich im Bett hin und her. Jetzt habe ich mir genug Gedanken über meine norm- und formlose Gegenwart gemacht.

Recht erfreulich fällt diese Bestandsaufnahme meines Lebens nicht aus. Das Ergebnis ist ziemlich desolat.

An so einem Tag, wie es der 70. Geburtstag nun mal ist, soll man aber vorwärts blicken.

Was heißt vorwärts?

Es ist doch nichts mehr zu erwarten. Was soll denn da noch kommen?

Auch eine sehr positive Lebenseinstellung lässt, wie schon erwähnt, im Moment keine großen Erwartungen zu.

Vor mir steht nur eine undurchsichtige Nebelwand.

Vorwärts sehe ich nichts.

Ein Rückblick fällt mir schon leichter. Wie ist denn mein Lebensweg verlaufen, welche Stationen hat es gegeben, bis ich nun zwar noch nicht an der Endstation angekommen bin, aber knapp davor stehe?