Tivaro in Gefahr

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Tivaro in Gefahr
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Merlin T. Salzburg

Tivaro in Gefahr

Ein o-vier Jugendkrimi

Ebook-Ausgabe

Zu Beginn der Sommerferien versetzt eine Serie von Banküberfällen den Norden Frankfurts in helle Aufregung. Gesucht werden zwei entflohene Häftlinge, die sich offenbar im Taunus versteckt halten. Als Tivaro Kirchner, der Kopf der frisch gegründeten Detektiv-Gang o-vier, selbst Zeuge eines Bankraubs wird, gerät er ins Visier der Gangster. Damit haben die vier Detektive Tivaro, Otto, Nico und Jojo

ihren ersten Fall auf dem Tisch. Doch noch ahnt niemand, in welcher Gefahr sie alle schweben …

Informationen zum Erstlingswerk des Jungautors

Merlin T. Salzburg finden Sie unter

http://buchwelten-verlag.de

info@jugend.buchwelten-verlag.de

Copyright© 2011 by Merlin Thorkild Salzburg

1. Auflage Dezember 2011

Ebookausgabe November 2014

Imprint

Tivaro in Gefahr

Merlin T. Salzburg

published 2011-2016 by

Bubans Buchwelten-Verlag,

Frankfurt am Main

Germany

Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und

des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die

elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung,

Verbreitung sowie öffentliche Zugänglichmachung.

www.buchwelten-verlag.de

ISBN 978-3-945740-19-4

Inhalt

Der Steckbrief

Schweinkram

Zwischen Ästen und Zweigen

Das Narbengesicht

Im Taunus-Camp

o-vier

Die Gefahr rückt näher

Lagebesprechung

Eine böse Überraschung

Wo ist Otto?

Es geht rund

Der Steckbrief

»Tivaro Kirchner, bitte schön!« Miss Körner, die dicke Klassenlehrerin der 7e, überreichte Tivaro das Zeugnis mit einem gönnerhaften Lächeln. »Gerade noch einmal so durchgerutscht, würde ich sagen.«

Zeugnisausgabe, dritte Stunde. Miss Körner, die eigentlich Frau Korner hieß, hatten sie sonst in Englisch. Heute trug sie einen weißen Jogginganzug, der gerade noch so um ihren Bauchumfang passte. Auf ihrer gelben Jacke, die sie darüber trug, prangte ein ziemlich großer brauner Fleck, und in ihren dunklen, schmuddeligen Haaren hingen kleine Brötchenkrümel. Tivaros Banknachbar Freddy, der Klassenclown, erhielt als nächster sein Zeugnis.

»Alfred Hoffmann, hier ist deine Quittung für Schludrigkeit, Faulheit und mangelnde Aufmerksamkeit. Bei dir sehe ich schwarz, ob du das nächste Jahr in diesem Stil durchhältst.«

»Sie haben da einen Fleck, Miss Körner«, sagte Freddy bloß und zeigte auf ihren Busen. »Was gab’s denn da heute wieder Leckeres zum Frühstück?« Fragend grinste Freddy die Lehrerin an.

»Das muss Pflaumenmus sein«, erwiderte Miss Körner säuerlich und wischte sich mit den übrigen Zeugnissen, die sie noch in der Hand hielt, flüchtig über ihre Jacke. »Ich wüsste aber nicht, was dich das angeht!«

Freddy lachte ihr einfach ins Gesicht, und auch andere Kinder mussten kichern.

Miss Körner verteilte schnell die letzten Zeugnisse an die Schüler. Dann schritt sie zurück zum Lehrerpult und ergriff ihre füllige Handtasche. »Ich bin gleich wieder zurück. Verhaltet euch in der Zwischenzeit bitte ruhig!«

»Jetzt geht sie wieder fressen«, entfuhr es Markus.

»Oder kotzen«, meinte Ina, und die ganze Klasse brüllte vor Lachen.

Als Miss Körner wieder zurück kam, hatte sie sich erneut bekleckert. Zum Glück beendete die Schulglocke nun die dritte Stunde und läutete damit endlich die Sommerferien ein. Johlend stürmten die Kinder aus dem Klassenraum.

»Schöne Ferien, Kinder!«, rief ihnen Miss Körner hinterher. »Für die meisten jedenfalls.«

Draußen an der Bushaltestelle traf Tivaro seinen besten Freund Otto Fröhlich aus der 6a. Otto war zwölf und damit ein Jahr jünger als er.

»Na, wie sieht denn dein Zeugnis aus?«, fragte Tivaro.

»Besser als Vanessas aus meiner Klasse. Da sind ’ne Menge Tränen drüber gelaufen.«

»Meines ist auch nicht so besonders. In Englisch und Mathe gerade mal noch eine Vier. Für mich heißt es nun, dass ich jeden Samstag hierher zur Mathe-Nachhilfe muss. Mann, und das in den Ferien!«

»Ich hab’ in Erdkunde ’ne Fünf gekriegt. Da gibt’s für mich leider keine Hilfe mehr. Ich weiß mal eben, dass die Erde eine Kugel mit Wetter ist. Und das war’s dann auch schon. Aber egal. Hauptsache, ich bin versetzt. Bleibt es bei Morgen Mittag?«

»Klar, Otto! Komm um eins. Dann bin ich von meiner Nachhilfe zurück. Ich habe Fluch der Karibik III zuhause. Den können wir ja gucken. Und das mit deiner Übernachtung bei mir ist mit meiner Mom auch geklärt. Wow, und ich freue mich schon auf das Taunus-Camp nächste Woche.«

»Ich mich auch, Tivaro. Wird bestimmt ’ne coole Zeit.« Dann warf Otto sich seinen Schulranzen über die Schultern. »Fahren wir zusammen bis zu meiner U-Bahn?«, fragte er dann.

»Okay!« Tivaro überlegte nicht lange. Die beiden Freunde besuchten sich häufig und fuhren mal Ottos Route über den Weißen Stein oder die andere Tour mit der Buslinie nach Nieder-Eschbach, wo Tivaro wohnte. Der Bus hielt soeben an.

»Meine Eltern wollen heute mit mir Essen gehen«, erzählte Otto beim Einsteigen.

»Zur Feier des Tages wegen deiner tollen Noten? Was gibt’s denn dafür? Zwiebelsuppe?«

»Nee, ist wegen meinem Dad. Der hat heute Geburtstag.«

Der Weiße Stein war die U-Bahn-Station, an der beide wieder ausstiegen und wo sich ihre Wege trennten. Von hier aus fuhr Tivaro mit der U2 nach Hause. Als er in Bonames Mitte ausstieg, war es ungefähr zwölf und damit Zeit zum Mittagessen. Zwei Straßen weiter lag die Pizzeria Da Angelo. Dort holte er sich drei Mal in der Woche eine Pizza oder ein Pasta-Gericht ab, das seine Mutter regelmäßig im Voraus bezahlte. Tivaros Mutter Elise arbeitete halbtags von zwölf bis vier im Tutti-Frutti, einem Bioladen in Nieder-Eschbach, und mixte dort Fruchtsäfte.

Vor der Pizzeria parkte ein Polizeiwagen. Als er das Da Angelo betrat, bemerkte Tivaro im Lokal zwei Polizisten. Einer von ihnen war gerade damit beschäftigt, einen Zettel von innen an das große Glasfenster zu kleben.

»Hallo Tivaro!«, grüßte ihn Angelo, der Wirt, fröhlich. Tivaro kannte den Wirt schon seit der Grundschule.

»Hi Angelo!«, grüßte Tivaro zurück. »Was ist denn hier los?«

»Es gab hier eine Überfall«, erklärte Angelo in seinem gewohnt gebrochenen Deutsch. »Drüben bei die Volksbanke. Die Polizia mackt hier eine Steckebrief an meine Scheibe.«

Das waren ja aufregende Neuigkeiten. Ein Banküberfall gleich in der Nachbarschaft! So etwas hatte es hier noch nie gegeben. Die beiden Polizeibeamten waren nun offenbar mit ihrer Arbeit fertig, denn sie hoben noch kurz zum Abschied die Hand an ihre Uniformmützen und verließen dann die Pizzeria wieder.

»Was möcktest du heute essen, Tivaro?«, fragte Angelo.

»Pizza Salami mit extra Käse, bitte«, gab Tivaro zurück. »Ich schaue mir derweil mal den Steckbrief an.« Tivaro schritt an das Fenster, und neugierig las er:

Gesucht

Die Frankfurter Kriminalpolizei bittet die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach zwei derzeit Unbekannten, die am Vormittag des 5. Juli eine Filiale der Frankfurter Volksbank überfallen hatten

Die beiden Männer betraten gegen 9:30 Uhr das Bankgebäude im Unteren Kalbacher Weg. Während ein maskierter Täter mit einer Waffe vor dem Tresen wartete, sprang der andere über diesen, legte eine Handgranate auf den Tisch und verlangte Geld. Der Räuber vor dem Tresen gab dabei einen Schuss in Richtung Decke ab. Anschließend flüchtete das Duo mit der Beute in einem elfenbeinfarbenen Taxi. Die Angestellten der Bank blieben unverletzt. Beide Täter werden wie folgt beschrieben:

zirka 25 – 30 Jahre alt, etwa 175 - 180 cm groß, der größere etwas untersetzt. Beide hatten dunkle mittellange Haare, dunkle Augen und waren mit Strumpfmasken bekleidet.

Die Kriminalpolizei fragt: Wer kennt die Täter? Wer kann Hinweise auf den Fluchtwagen oder den Aufenthaltsort der Gesuchten geben? Zeugen werden gebeten, sich beim zuständigen Raubkommissariat der Polizeidirektion des 15. Reviers in der Homburger Landstraße in Bonames unter der Rufnummer (069) 110-4100 oder bei einer anderen Polizeidienststelle zu melden. Für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, ist eine hohe Belohnung in Höhe von € 5000,- ausgesetzt.

»Heute Zeugnis?«, wollte Angelo wissen. Tivaro nickte. »Ja, willst du es sehen?«

»Sehr gerne«, sagte Angelo, und Tivaro kramte sein Zeugnis aus dem Schulranzen. Er legte es verkehrt herum vor sich auf die Theke, sodass es Angelo sehen konnte. Der Wirt betrachtete es neugierig und lobte dann: »Soso, Sport Vier, Englisch Vier, Mathe Vier. Sehr gutte Notten, Tivaro!«, sagte er und nickte respektvoll. Die wirklich guten Noten in Deutsch und Geschichte schien er einfach übersehen zu haben. Tivaro lächelte erst geschmeichelt, doch dann fiel ihm ein, dass in Italien die Noten genau umgekehrt vergeben wurden. Sein Lächeln verschwand wieder.

Dann kam die Pizza. Mario, der Küchenchef, trat durch die Flügeltür und balancierte Tivaros Pizza tänzelnd durch den Raum. Mit einem galanten Schwung beförderte er die Pizza auf einen großen Teller, der bereits auf der Theke stand. Dabei spritzte etwas Tomatensoße auf Tivaros Zeugnis.

 

»So, bitte sehr, der Herr!«

»Mann, Mario, du hast mir mit der Soße mein Zeugnis versaut. Das sieht ja aus wie Blutflecken! Soll meine Mom jetzt etwa mit ihrem Fingerabdruck unterschreiben?«

»Mi scusa, Tivaro! Entschuldigung! Du nächstes Mal Pizza umsonst, okay?«

»Na ja. Vielleicht kriegt man die Flecken ja noch mal weg. Aber trotzdem, danke.« Tivaro ließ es sich nun schmecken. Dabei dachte er die ganze Zeit über den Banküberfall nach.

Als er fertig gegessen hatte, stand er auf und trat noch einmal an das große Glasfenster. Aus seiner Jackentasche holte er sein Handy und hielt es dicht an den Steckbrief. Mit der Kamerataste knipste er dann zwei Fotos und überprüfte die Aufnahmen noch einmal im Display. Sehr gut, freute sich Tivaro. Nun konnte er Otto Morgen die Fahndungsmeldung zeigen. Er verabschiedete sich von Angelo, nahm seinen Schulranzen und machte sich auf den Heimweg. Bis nach Hause waren es noch etwa zehn Minuten zu Fuß.

»Hallo Tivaro!«, begrüßte ihn seine elfjährige Schwester Sabrina an der Haustür. »Ich habe fünf Einser und sonst nur Zweier«, flötete sie und stolzierte zurück in die Küche.

»Kunststück in der vierten Klasse«, meinte Tivaro und verzog gelangweilt seinen Mundwinkel. »Ich hatte in der Grundschule immer nur Einser.«

»Stimmt ja gar nicht!«, widersprach Sabrina. »Und wenn schon. Wie viele Einser hast du jetzt?«

»Gar keine«, gab Tivaro zu. »Gibt’s Nachtisch?«

»Ja, Mama hat uns Schoko-Pudding gekocht. Ich habe extra auf dich gewartet.«

Tivaro schnappte sich eine Schöpfkelle von der Wand, holte zwei Dessert-Schüsseln aus dem Küchenschrank und hob den Deckel des Pudding-Topfs. Als er mit der Kelle eine der Schalen befüllte, rief er angewidert: »Mann, Sabrina! Was für eine Plörre ist das denn?«

»Ich hab’ gar nichts gemacht«, wehrte sich Sabrina.

»Nichts gemacht! Gib zu, du hast genascht und dann deinen Spucke-Löffel wieder in den Pudding gesteckt. Davon kommen dann nämlich die Klümpchen.«

»Gar nicht wahr!«, widersprach Sabrina entrüstet.

»Dann schau mal in den Spiegel! Dein Mund ist doch noch ganz mit Pudding verschmiert.«

»Ah, der große Detektiv!« sagte Sabrina verächtlich. »Na und? Ich war halt hungrig, und ich kann ja nicht ewig warten, bis du mal kommst.«

»Den Pudding kannst du jedenfalls alleine essen. Mir ist der Appetit vergangen«, meinte Tivaro.

»Und was, wenn der Pudding schon vorher so komisch war?«

»Das würde mich auch nicht wundern. Mom kann eben einfach nicht kochen. Ich wünschte, Dad wäre endlich wieder zu Hause.«

»Ich auch. Der kocht nämlich ganz wunderbare Sachen«, schwärmte Sabrina. »Weißt du, wann Papa wiederkommt?«

»Dad ist noch bis Ende des Monats in Skandinavien unterwegs und fliegt von einem Geschäftsessen zum anderen«, erklärte Tivaro.

»Oh, da gibt es sicher jeden Tag Fischgerichte, und Papa bringt wieder leckere Rezepte mit und ...«

»Ich hasse Fisch«, sagte Tivaro angeekelt.

»Heute ist aber Freitag«, beharrte Sabrina. »Und ich hab’ mir vorhin bei den Mackies einen Fish-Burger geholt.«

»Du nervst«, sagte Tivaro und verließ die Küche. »Ich geh’ jetzt chatten.«

»Hallo Kinder!« Tivaros und Sabrinas Mutter Elise kam um halb fünf wie immer. »Habt ihr schön gespielt?«

»Ich habe das dritte Level von Dragon Hunter geschafft«, sagte Tivaro stolz.

»Du solltest dich lieber um deine Level in Mathe und Englisch kümmern und mit deiner Schwester etwas Richtiges spielen. Ständig hängst du am Computer herum!« Die Mutter legte ihre Tasche ab und ließ sich mit einem leichten Seufzer auf dem Sofa im Wohnzimmer nieder.

»Sabrina hat sich den ganzen Nachmittag den Schwammkopf angesehen«, informierte Tivaro seine Mutter, um von sich abzulenken.

In diesem Augenblick betrat Tivaros Schwester die Wohnstube und wedelte aufgeregt mit ihrem Zeugnis. »Mama, alles Einser und Zweier. Guck mal!«, rief sie und setzte sich mit vor Stolz gerötetem Gesicht neben ihre Mutter.

»Sehr schön, Sabrina«, lobte sie und studierte interessiert die Noten ihrer Tochter. »Und wo ist dein Zeugnis, Tivaro?«, wollte sie dann wissen.

»Im Ofen«, sagte Tivaro. »Ist gleich fertig.«

Noch ehe die erstaunte Mutter weitere Fragen stellen konnte, war Tivaro schon in die Küche gerannt und kehrte nach kurzer Zeit wieder zurück. »Hier, Mom!«, sagte er nur und übergab seiner Mutter das Zeugnis.

»Oh Gott, da klebt ja Blut dran! Habt ihr Euch um die Zeugnisse geprügelt?«, fragte Elise entsetzt.

»Ach Mom, das ist nur Tomatensoße und gar nicht meine Schuld«, verteidigte sich Tivaro. »Das war Mario heute Mittag, als er mir die Pizza servierte. Dabei ist Soße drauf gekommen, und ich habe die Flecken eben im Ofen getrocknet.«

»Wirklich toll, Tivaro. Ich habe dir heute Morgen extra eine Folie für das Zeugnis mitgegeben. Das ist doch ein wichtiges Dokument für’s ganze Leben«, tadelte sie.

»Als ob das je einer sehen will«, begehrte Tivaro auf. »Meinen Kindern zeige ich das bestimmt nie.«

»Denk dran, dass du morgen um elf Mathe-Nachhilfe hast. Frau Schneider kann aber leider wegen eines anderen Jobs nicht unterrichten. Sie hat mich vorhin auf dem Handy angerufen.«

»Was?«, rief Tivaro enttäuscht, der Frau Schneider, die Referendarin an seiner Schule war, gerne mochte. »Wer macht denn dann Mathe mit mir?«

»Das wird sich bis Morgen Vormittag schon klären«, antwortete Tivaros Mutter.

»So ein Mist!«, schimpfte Tivaro. Er verschwand für den Rest des Tages oben in seinem Zimmer und spielte weiter Dragon Hunter. Auch nach dem Abendessen war seine Laune noch nicht besser geworden. Er verkrümelte sich in sein Bett und las noch in einem Jugendkrimi, bis es dunkel wurde.

Schweinkram

Brrrrr! Brrrrr! Der Wecker klingelte. Schlaftrunken blickte Tivaro auf den Display und erschrak. Viertel vor acht, und ich muss doch zur Schule. Das schaffe ich ja nie! Doch da fiel ihm plötzlich ein, dass Samstag war. Und ich Idiot stelle mir den Wecker, dachte er verärgert. Müde ließ er sich auf sein Kopfkissen zurücksinken und schlief wieder ein.

»Tivaro, aufstehen! Es ist schon nach zehn.« Elise stand in der Zimmertür. »Um elf musst du den Bus zur Mathe-Nachhilfe bekommen.«

»Und das in den Ferien!«, maulte Tivaro gähnend. »Okay, ich bin ja schon unterwegs.«

»Beeile dich, dann können wir zusammen losgehen«, sagte Elise und stieg die Treppe zum Wohnzimmer hinunter.

Tivaro schlüpfte schnell in seine Sachen und nahm einen Block und sein Mäppchen vom Tisch. Seine Mutter stand am Küchenbuffet und rührte in ihrer Teetasse. Tivaros Schwester Sabrina war schon aus dem Haus zum Klavierunterricht.

»Es gibt übrigens Neuigkeiten, Tivaro.« Elises Stimme klang vergnügt.

»Was denn für Neuigkeiten, Mom?«, wollte Tivaro wissen.

»Du wirst es nicht glauben. Ich war heute früh schon mit Sabrina unterwegs, und da haben wir uns etwas angesehen.«

»Was denn?«, fragte Tivaro etwas gelangweilt.

»Du wirst es nicht erraten«, spannte ihn seine Mutter weiter auf die Folter.

»Mom, was habt ihr euch denn angesehen?«

Tivaros Mutter holte einen kleinen Schlüsselbund aus ihrer Tasche und legte ihn auf den Küchentisch. »Na?«, machte sie auffordernd und nippte an ihrem Tee.

»Was, na? Ein paar Schlüssel halt. Wofür sollen die schon gut sein? Für den Nachhilferaum?«

Elise lachte. »Nein, Tivaro. Dies ist der Schlüssel zu unserem neuen Garten.«

»Das ist ja geil«, freute sich nun auch Tivaro. »Wo ist der denn?«

»Gar nicht weit von hier. Dort wo die anderen Schrebergärten sind. Da war schon die ganze Zeit ein Grundstück frei. Aber es hieß, der Besitzer wollte es nur an kinderreiche Familien verpachten.«

»Wir sind doch bloß zwei«, bemerkte Tivaro.

»Mindestens zwei sollten es auch sein. Außerdem kennt der Besitzer den Roland. Und da waren wir uns schnell einig.«

»Schön, wenn man gute Beziehungen zu seinem eigenen Vater hat«, grinste Tivaro. »Und ist das nun mein Schlüssel?«

»Ich lasse gleich vor der Arbeit welche für uns alle nachmachen«, sagte Elise. »Und weißt du was?«, fügte sie hinzu. »Unser Garten ist wirklich sehr groß.«

»Können wir da auch grillen?«, fragte Tivaro.

»Aber sicher!«, sagte Elise. »Und Gemüse pflanzen und in der Sonne liegen. Es sind einige Bäume auf dem Grundstück, sodass es auch immer genug Schatten gibt.«

»Gibt’s auch eine Wiese? Ich meine einen Platz ohne Bäume oder Büsche, wo man vielleicht Fußball spielen kann oder so?«, fragte Tivaro.

»Ich denke schon, soweit ich das bis jetzt beurteilen kann. Ich weiß nur nicht, ob es auch erlaubt ist«, meinte die Mutter.

»Wieso sollte das nicht erlaubt sein. Es ist doch unser Garten!« sagte Tivaro bestimmt.

»Wir haben aber auch Gartennachbarn, auf die man vielleicht Rücksicht nehmen muss«, wandte Elise ein. »Außerdem will Sabrina Erdbeeren pflanzen, und ...«

»Ja sicher«, unterbrach Tivaro. »Aber dafür ist es ja dieses Jahr wohl leider schon zu spät.« Tivaro hatte sein Honigbrot aufgegessen.

»Wir müssen jetzt los«, drängte Elise.

»Blöde Nachhilfe! Ich würde mir viel lieber gleich den Garten ansehen.«

»Dazu ist auch Morgen noch genug Zeit«, entschied die Mutter. »So, und nun mach schnell, Tivaro. Sonst kommst du noch zu spät.«

Tivaro verabschiedete sich an der Tür und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle, während Elise die Garage öffnete, in der ihr roter Fiat stand.

Obwohl Ferien waren, fanden die Nachhilfestunden in einem Raum seiner Schule statt. Der Nachhilferaum befand sich in einem kleinen flachen Gebäude neben der Turnhalle. Noch bevor Tivaro die Tür öffnete, hätte er sich am liebsten umgedreht und wäre wieder nach Hause gefahren. Doch es war schon zu spät.

»Da ist ja mein Lieblingsschüler Tivaro!« hörte er hinter sich plötzlich eine wohlbekannte Stimme.

Oh nein!, durchfuhr es den Jungen. Was sucht die denn hier? » Wohnen Sie hier vielleicht, Frau Korner?«, murmelte Tivaro leise.

»Für dich immer noch Miss!« Auf ihrem Gesicht hatte die Lehrerin die übliche Überdosis Schminke verteilt.

»Wie toll, dass ich sie als Vertretung habe!«, seufzte Tivaro und setzte ein etwas schiefes Lächeln auf. »Ich wusste gar nicht, dass Sie auch Mathe unterrichten.«

»Schön, dass du dich so freust«, entgegnete die dicke Lehrerin und schob Tivaro in den Nachhilferaum. »Setz dich irgendwo vorne hin, dann können wir gleich anfangen.« Sie nahm ein Stück Kreide und schrieb dann an die Tafel: »Present Perfect Progressive – Past Progressive«.

»Äh, entschuldigen Sie, Frau Korner. Aber das hier ist doch kein Mathe«, stellte Tivaro fest.

»Mathematik?« Miss Körner lächelte spöttisch. »Nein, Tivaro. Wir machen heute Englisch. Englisch ist doch auch viel wichtiger für dich.« Sie reichte Tivaro einen Stapel Blätter. »Hier sind alle Lektionen für die Nachhilfestunden in den Ferien. Wenn du zu Hause fleißig übst, brauchen wir samstags nur noch Tests machen.«

Tivaro seufzte und blickte missmutig auf die vielen Arbeitsblätter.

»Auf dem ersten Übungsblatt geht es um die Verlaufsformen der ‚regular verbs’. Lies dir die Tabellen gut durch. Danach sehen wir weiter.«

»Wie lange vertreten Sie denn Frau Schneider?« fragte Tivaro beiläufig.

»Bis die Ferien zu Ende sind«, gab Miss Körner zurück.

Na, das konnte heiter werden!, stöhnte Tivaro innerlich. »Und wann machen wir dann Mathe?«, wollte er nun wissen.

»Wir machen überhaupt kein Mathe, Tivaro. Ich bin Lehrerin für Englisch und wir machen Englisch, Englisch, Englisch!« Miss Körner klimperte nervös mit den Augenwimpern. Dann wandte sie sich zur Tür. »Ich muss mal eben kurz telefonieren, während du die Tabellen durchgehst.«

Tivaro kannte das schon. Entweder führte sie Endlosgespräche mit ihren Freundinnen oder sie genehmigte sich eine ihrer kleinen Zwischenmahlzeiten. Ja, stopf dich ruhig voll!, dachte Tivaro und beugte sich widerwillig über das Übungsblatt. Es dauerte gut zwanzig Minuten, bis Miss Körner wieder in den Raum zurückkehrte.

»Da bin ich schon wieder«, sagte sie kauend. »Ach, ich liebe diese Fleischbällchen«, schwärmte sie.

Selber Fleischbällchen, dachte Tivaro angewidert.

»Hast du denn kein Pausenbrot dabei?«, fragte Miss Körner.

»Für eine Stunde?«, wunderte sich Tivaro.

 

»Egal«, entschied die Lehrerin und steckte das Handy in ihre Handtasche. »Tja, Akku leer«, erläuterte sie kurz, leckte sich über den Daumen und schritt dann wieder an die Tafel. »Jetzt üben wir noch ein paar Beispielsätze, und in einer Viertelstunde ist auch schon wieder Schluss für heute. So wird das die nächsten sechs Wochen gehen. Ich bin sicher, wir zwei werden noch viel Spaß miteinander haben.«

Nach dem Unterricht machte Tivaro sich schleunigst auf den Heimweg, denn um eins wollte Otto da sein. Tivaro kam gegen halb eins zuhause an, als gerade das Telefon klingelte. Es war Otto. »Ich fahre jetzt los zu euch«, kündigte er sich an.

»Ja, bis gleich«, freute sich Tivaro und legte den Hörer wieder auf.

Sabrina kam in die Diele gehüpft. »Wer war denn dran?«, fragte sie neugierig.

»Das war Otto. Der fährt jetzt los.«

»Aha«, machte Sabrina nur.

»Otto bleibt auch über Nacht«, ließ Tivaro wissen.

»Also, ich finde den Otto ganz nett«, bekannte Sabrina. »Wollen wir dann auch Kniffel oder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielen?«

»Du spielst mal besser mit deinen Freundinnen. Der Otto kommt heute nur mich besuchen. Mich ganz allein«, betonte Tivaro. »Männertreffen, kapiert?«

»Ach übrigens, ich war heute Morgen schon in unserem neuen Garten«, fiel Sabrina plötzlich ein.

»Im Garten«, äffte Tivaro seine Schwester nach. »Und? Erdbeeren gesät?«, fragte er scheinheilig.

»Nö, noch nicht, aber unser Garten ist ganz schön groß«, schwärmte Sabrina.

»Wie groß ist er denn so?«, wollte Tivaro wissen.

»Groß genug für alles. Federball oder Tischtennis oder ...«

»Basketball oder Fußball«, ergänzte Tivaro entzückt.

»Und es gibt auch einen Brunnen und eine coole Hütte. Die hat sogar Beleuchtung.«

»Wasser und Strom – wie geil!«, freute sich Tivaro.

»Und ich darf da auch Teeparties veranstalten«, bemerkte Sabrina.

»Super!«, sagte Tivaro ironisch. Ihm gefiel es gar nicht, dass seine jüngere Schwester so viel mit dem neuen Garten zu tun haben wollte.

»Und den Otto lade ich dann auch ein.« Sabrina lächelte vergnügt.

»Ja, geht’s noch? Jetzt mal nur so unter uns, Schwesterchen. Magst du den Otto vielleicht?«, wollte Tivaro wissen.

»Nun ja, nett ist er schon«, fand Sabrina.

»Findest du ihn jetzt einfach nur ‚nett’?«, bohrte Tivaro weiter.

Sabrina wurde rot. »Das geht dich gar nichts an!«, entschied sie.

»Tja, ich wusste es doch!« frohlockte Tivaro. »Und ich weiß auch schon genau was du willst. Du willst, dass ich den Otto mit dir zusammenbringe, oder dass ich ihn frage, ob er dich auch ‚mag’ und so. Nee, das läuft nicht.« Tivaro machte eine ablehnende Handbewegung. Dann fügte er hinzu: »Außerdem ist Otto zwei Jahre älter als du.«

»Na und, die Frau des Hausmeisters aus unserer Schule ist sogar zehn Jahre jünger als ihr Mann«, entgegnete Sabrina. Als sie gerade ihren Satz beendet hatte, klingelte es an der Haustür. Otto trat ein.

»Hi, Otto!«, riefen Tivaro und Sabrina fast gleichzeitig.

»Hi, Sabrina!« Die beiden konnten sich nur kurz grüßen.

»Na, Kumpel!«, sagte Tivaro und zog Otto sogleich an seiner Schwester vorbei und führte ihn über die Treppe in sein Zimmer.

»Es gibt Neuigkeiten«, sagte Tivaro. Als er die Tür geschlossen hatte, erzählte er seinem Freund von dem Überfall auf die Volksbank und der hohen Belohnung. Dann zeigte er Otto den Steckbrief auf seinem Computerbildschirm.

»Das ist ja spannend, Mann. Und das steht schon im Internet?« fragte Otto interessiert.

»Nein, das Bild kommt von meinem Smartphone. Das habe ich am PC angeschlossen«, sagte Tivaro nicht ganz ohne Stolz und setzte sich auf seinen Computerstuhl.

»Wieso haben die Bankräuber denn ein Taxi genommen?« fragte Otto. »War das ein richtiges Taxi?«

»Gute Frage, Otto«, warf Tivaro ein. »Vielleicht war es ja geklaut? Die Räuber werden damit sicher nicht lange herumfahren. Wahrscheinlich wissen die längst, dass die Polizei nach einem Taxi mit zwei Männern sucht.«

»Schade, dass nicht gestern schon schulfrei war. Dann wären wir vielleicht zur rechten Zeit am richtigen Ort gewesen. Oder wie das heißt«, fügte Otto hinzu.

»Ja, wir zwei wären ein gutes Team gewesen«, pflichtete Tivaro ihm bei. »Wir auf Verbrecherjagd!« Dann stand Tivaro auf und ging zur Tür. »Ich habe die DVD schon eingelegt. Der dritte Teil von Fluch der Karibik läuft gut zweieinhalb Stunden lang.«

»Wie geil! Ist FSK 14, nicht?«, fragte Otto beiläufig.

»Ja«, bestätigte Tivaro. »FSK 14. Was ist?«

»Du weißt aber, dass ich zwöllf bin«, meinte Otto.

»Zwinge ich dich denn, den Film bei mir zu sehen?«, fragte Tivaro listig. »Den guckst du doch sicher ganz freiwillig, und FSK ist doch freiwillige Selbstkontrolle. Das heißt, du kontrollierst selbst, ob du den Film nun sehen willst oder nicht, stimmt’s?«

»Du hast ja Recht«, gab Otto zu. »Ich habe übrigens was zum Knabbern mitgebracht.« Aus seinem Rucksack kramte er zwei Tüten Paprikachips und ein Paket Schoko-Linsen hervor.

»Und zu Trinken haben wir auch noch Cola in meiner Kiste«, fügte Tivaro hinzu.

Im Wohnzimmer lümmelte Sabrina auf dem Sofa und sah sich wieder den Schwammkopf an.

»Geh doch in dein Zimmer Teletubbies gucken!«, schlug Tivaro nicht sehr freundlich vor. »Otto und ich sehen uns jetzt was richtig Starkes an. Was für echte Kerle. FSK ab 16, stimmt’s Otto?«

Otto nickte nur irgendwie bestätigend. »Glaub’ schon«, sagte er einfach.

»Das sage ich Mama, wenn sie wieder da ist«, rief Sabrina.

»Ja, komm du nur in unseren neuen Garten, du Petze! Da haben nämlich nur ich und meine Freunde Platz. Und deine Teeparties kannst du sowieso vergessen«, drohte Tivaro ernst.

Sabrina setzte ein finsteres Gesicht auf und verschwand in ihrem Mädchenzimmer.

»Oh, jetzt schmollt Sie.« Tivaro verzog scheinbar traurig sein Gesicht. »Die sind wir erstmal los«, freute er sich dann, warf sich auf das Sofa und bot Otto den Platz in der Ecke ihm gegenüber an.

»Setz dich doch!« Tivaro griff in eine Getränkekiste, die neben dem Sofa stand und angelte zwei Flaschen Cola heraus. »Hier!«, sagte er und reichte Otto eine davon. Der hatte es sich bereits in der Ecke bequem gemacht.

»Erzähl doch, von was für einem Garten redet Sabrina da?«, fragte Otto.

»Ach, das erkläre ich dir später«, lenkte Tivaro ab. »Hat doch Zeit. Du bist ja noch lange hier.«

»Dann mal Film ab!«, orderte Otto vorfreudig.

Tivaro nahm die Fernbedienung vom Tisch und richtete sie auf den großen, breiten Bildschirm. »Läuft!«, bestätigte er und sogleich startete der Film.

Als Elise vom Tutti-Frutti zurückkehrte, war der Film bereits zu Ende. Doch die Jungen saßen noch immer auf der Wohnzimmercouch und spielten über die Konsole Fußball gegeneinander.

»Hallo, Otto!«, begrüßte Elise den Gast freundlich und nickte auch Tivaro zu. »Was habt ihr Jungs denn heute Nachmittag Schönes gemacht. Nur Spielekonsole? Nicht vielleicht Tischtennis im Keller?« Etwas Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit.

»Wir haben ferngesehen«, erzählte Tivaro.

»Immer nur rumsitzen und glotzen ist doch nichts«, meinte Elise sanft. »Tischtennis macht euch doch auch Spaß. Oder Darts«, schlug sie vor.

Tivaros Gesicht hellte sich auf. »Ja, dann lasst und jetzt Darts spielen. Die ganze Familie mit Otto.« Tivaro hatte wirklich plötzlich Lust dazu.

Die Dartscheibe hing draußen auf der Terrasse an einer hohen Holzwand, die die Terrasse vom Nachbargrundstück abschirmte. Es wurde ein ausgelassener fröhlicher Spätnachmittag, auch wenn Tivaro und Sabrina sich hin und wieder prüfende Blicke zuwarfen. Elise brachte um halb Sieben Käsetoasts mit Ananas und Schinken, und alle setzten sich hungrig zum Essen an einen Tisch, der draußen stand. Plötzlich konnte Sabrina nicht mehr an sich halten: »Die beiden haben sich heute Schweinkram angeguckt«, rief sie in die Runde und rückte mit ihrem Korbstuhl etwas näher an Elise heran.

»Mom, glaub das bloß nicht!«, ereiferte sich Tivaro und prustete los vor Lachen. »Schweinkram!«, wiederholte er.

»Wir haben Fluch der Karibik gesehen. Ehrlich, Frau Kirchner«, gab Otto zu.

»Fluch der Karibik. Soso. Den letzten Teil?«

»Ja, Mom«, bestätigte Tivaro.

»Der war gut, nicht?«, strahlte Elise plötzlich. »Ich weiß, den habe ich nämlich mit Roland schon vor zwei Monaten im Kino gesehen.«

»Der ist zwar erst ab zwölf ...«, informierte Otto brav.

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