Max Geißler
Tausend und eine Nacht
Der Jugend erzählt
Max Geißler
Tausend und eine Nacht
Der Jugend erzählt
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021
Illustrationen: Felix Schulze
EV: Enßlin & Laiblin's Verlagsbuchhandlung, o.J.
1. Auflage, ISBN 978-3-962818-64-7
null-papier.de/717
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Sindbad der Seefahrer
Asem und die Königin der fliegenden Inseln
Aladin oder Die Wunderlampe
Dschanscha
Der Weg der Nimmerwiederkehr
Belohnte Freundschaft
Abu der Faulpelz
Das Zauberpferd
Abu Nije und Abu Nijetein
Der Sultan von Kairo
Die neidischen Schwestern
König für einen Tag
Der Riese im Topf
Prinz Achmed und die Fee Paribanu
Prinz Aschenputtel
Der Fischersohn und die treuen Tiere
Der Mann mit dem kalten Blute
Das Vogelkraut
Wie Hassan, der Schuhflicker, Richter wurde
Die drei Königssöhne und der Vogel Schreihals
Der Richter, der von seiner Frau belehrt wurde
Der undankbare König
Der Strolch und der Koch
Der habgierige Kaufmann
Der geduldige Dorfschulze
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Im Morgenlande lebte einst ein König, den hatte das Glück verlassen; darüber verfiel er in eine schwere Krankheit des Geistes. Sieben Jahre hatte er nicht mehr gelacht, und selbst als seine Heere wieder siegreich, sein Land wieder reich, seine Schiffe wieder seetüchtig waren, konnte er den Frohsinn von einst doch nicht finden.
Er berief alle Ärzte von Ruhm an seinen Hof; sie halfen ihm nicht.
Da kam nach Jahren ein junger Gelehrter und sagte: »Herr König, Ihr müsst Euch durch tausend und eine Nacht Geschichten und Märchen erzählen lassen, und zwar aus einem einzigen Munde, so wird es besser mit Euch werden.«
Da war freilich guter Rat teuer; denn wer sollte tausend Nächte lang Geschichten erzählen?
Zum Glücke hörte eine alte Frau von diesem Rate, die kam zum König und sagte: »Ich weiß eine Sklavin am Hofe des Königs von Schiras; die weiß alle Märchen der Welt.«
Da wurde die Sklavin geholt, und sie erbot sich, dem kranken Sultan durch tausend und eine Nacht hindurch zu erzählen. Der Sultan aber war sehr froh darüber, belohnte die Alte und versprach, die schöne junge Sklavin zu seiner Königin zu erheben, wenn sie ihn durch ihre Erzählungen gesund mache.
Und der Sultan hat sein Wort gehalten.
Seine Schreiber aber haben die Märchen in dicke Bücher geschrieben, und etliche von ihnen sind neu erzählt in diesen Band aufgenommen worden.
Und zur Erinnerung daran, dass sie vor vielen hundert Jahren in tausend und einer Nacht erzählt wurden, tragen sie noch heute ihren Titel.
Im Morgenlande lebte vor langer Zeit ein junger Mann namens Sindbad. Der hatte von seinen Eltern ein beträchtliches Vermögen geerbt, geriet aber in schlechte Gesellschaft und verschwendete das Geld bis auf einen unbeträchtlichen Rest. Und weil die Reue über eine verblendete Tat immer erst kommt, wenn’s zu spät ist, so änderte sie auch in diesem Falle nichts; aber die Erkenntnis seiner Torheit besaß der arme Sindbad in vollem Maße, und in vollem Maße auch den guten Willen, ein braver Mensch zu werden und womöglich mit dem wenigen, was er noch hatte, sich sein früheres großes Vermögen zurückzuerwerben.
Eines Tages verkaufte er alles, was er an beweglichen und unbeweglichen Gütern noch besaß, begab sich auf ein Schiff, das gerade nach Ostindien segeln wollte, und begann den Handel. Während der Seereise landete das Schiff an mehreren Inseln, auf denen Sindbad seine Waren mit Nutzen verkaufte oder dafür wertvolle Gegenstände einhandelte, und einmal überfiel sie eine so tiefe Windstille, dass die Segel schlaff von den Masten herabhingen und an ein Vorwärtskommen nicht zu denken war.
Es war gerade ein kleines Eiland in der Nähe, das sich nur wenig über den Spiegel des Meeres erhob und dalag wie eine schöne grüne Wiese.
Der Kapitän ließ die Segel einziehen und erlaubte der Mannschaft, an Land zu gehen. Auch Sindbad fand daran Vergnügen; aber während die Leute von den Beschwerden der langen Seefahrt sich ausruhten, erzitterte die Insel plötzlich und begann pfeilschnell durch die sonnige Flut zu gleiten. Die Matrosen sprangen, so rasch sie konnten, ins Wasser; etliche retteten sich in das Boot, das der Kapitän ihnen zusandte, etliche fanden ihren Tod in den Wellen. Und dies wäre auch Sindbads Schicksal gewesen, wenn er nicht im letzten Augenblicke ein Stück Holz erfasst hätte, das die Matrosen für ein Feuer zum Kochen ihres Mahles mit auf das Eiland gebracht hatten; denn auf einmal sank das grünlich schimmernde Land tief und tiefer und war auch schon viele Seemeilen von dem Schiffe entfernt, als Sindbad erkannte: es war ein riesiger Walfisch, der sich an der Oberfläche des Meeres gesonnt hatte. Der arme Sindbad trieb nun mit seinem Holz auf dem offenen Meere und erkannte, dass er die Beschwerden dieser seltsamen Fahrt nicht länger als bis zu Sonnenuntergang würde ertragen können; und so befahl er sich seinem Gotte und sah tiefe Finsternis über sein Auge sinken.
Es war aber nicht der Tod, sondern es war die Nacht, und ein sanfter Wind trieb ihn alsbald an den Strand einer Insel. Dort versank er in einen todähnlichen Schlaf, und als er am anderen Morgen erwachte, war weder von seinem noch von einem anderen Schiffe etwas zu sehen. Mühsam schleppte er sich durch das Strauchwerk, um etliche genießbare Kräuter zu suchen; und wie er gegessen hatte, kam er auf ein fruchtbares Stück Land mit köstlichem Graswuchs, darauf weidete ein Fohlen, dessen stolze Schönheit es eines Königs wert erscheinen ließ.
Nicht lange, so vernahm der Seefahrer auch die Stimme eines Mannes, der aus einer grabähnlichen Vertiefung trat und den Verirrten fragte, wer er wäre. Sindbad erzählte ihm sein Abenteuer, und der Mann führte ihn in eine Höhle, in welcher sich mehrere Knechte befanden. Die gaben ihm zu essen und erzählten, dass sie alljährlich um diese Zeit des Königs Stuten in der Einsamkeit dieser Insel auf die Weide führen müssten.
Am anderen Tage reisten die Knechte mit ihren Rossen heim, und Sindbad fuhr mit ihnen; ihr König aber war Maharadjah von Indien.
So kam Sindbad in das Land seiner Sehnsucht, und als er eines Tages im Hafen spazierte, landete gerade ein Schiff – und siehe da, es war jenes, das er einst hatte unfreiwillig verlassen müssen. Er gelangte also wieder in den Besitz seiner Güter, begann sofort seinen Handel aufzunehmen, und als er genügend verdient hatte, schiffte er sich mit neuen Waren wieder ein; er nahm Aloe, Sandelholz, Kampfer, Muskatnüsse, Gewürznäglein,1 Pfeffer und Ingwer in großen Vorräten mit, landete auf dem Seewege an mehreren Inseln und vermehrte sein Vermögen durch Kauf und Verkauf, sodass er schon von dieser Reise als ein leidlich wohlhabender Mann wieder in Bagdad eintraf. Dort wollte er nun leben; aber die Müßigkeit seiner Tage behagte ihm nicht lange, sondern er bekam wieder Lust, aufs neue übers Meer zu reisen und zu handeln.
Er ersah sich also ein gutes Fahrzeug und stach in See.
Eines Tages landete das Schiff an einer öden Insel, die zwar einigen Baumwuchs zeigte, aber weder Häuser noch Bewohner zu haben schien.
Sindbad, der ein Stück landeinwärts wanderte, legte sich am Ufer eines Baches zum Schlafe, nachdem er eine gute Mahlzeit gehalten hatte. Aber als er erwachte, erstaunte er nicht wenig; denn das Schiff, das vorher ruhig vor Anker gelegen hatte, war nicht mehr da. Er rief, aber keiner der Kaufleute oder Matrosen, die mit ihm an Land gegangen, gab Antwort. Und ganz ferne am Horizont verschwanden die weißen Segel des Fahrzeugs wie eine enteilende Möwe.
Sindbad, wie er sich also betrogen sah, ward von großem Schmerze befallen, warf sich auf die Erde und klagte sich hundertmal der Habgier an, die ihn daheim nicht hatte ruhen lassen.
Endlich stieg er auf eine sehr hohe Palme, um einen Überblick über das Land zu gewinnen; da bemerkte er in weiter Ferne etwas Weißes, das er sich nicht anders erklären konnte, als dass es ein Haus sei. Er raffte zusammen, was er noch an Nahrungsmitteln besaß, und wanderte dem vermeintlichen Hause zu. Als er aber in die Nähe kam, bemerkte er: es war eine weiche weiße Kugel von riesigem Umfange; denn sie hatte einen Durchmesser von fünfzig Schritten.
Während der unglückliche Seefahrer noch immer ratlos dastand, verfinsterte sich plötzlich der Himmel, als ginge die Sonne unter. Es war aber nicht die sinkende Nacht, sondern ein mächtiger Vogel, der seine Schwingen vor der goldenen Scheibe des Himmels dehnte, heranflog und sich auf die große weiße Kugel setzte.
»Aha«, dachte Sindbad, »das ist der Vogel Roch, von dem die Schiffsleute so viel zu erzählen wissen; und die große weiße Kugel ist sein Ei, das er ausbrüten will. Wie wär’s, wenn ich diesen Vogel Roch zu meinem Schiffe machte?«
Der Vogel Roch hatte das eine Bein gerade an der Seite des Eies herabhängen, an welcher Sindbad stand; und dieses Bein war fast so dick wie ein mäßiger Baumstamm.
Gedacht, getan!
Während es Nacht wurde, nahm Sindbad einen Strick aus der Tasche, schleifte sich fest an das Bein des wundersamen Vogels und dachte: »Einmal muss er das Ei doch verlassen, und wenn ich auch nicht weiß, wohin er mich trägt – trostloser als diese Insel kann mein Aufenthalt unmöglich werden. Also, guten Mut, Sindbad!«
Kaum graute der Tag, so erhob sich der Vogel Roch und stieg kerzengerade gegen den Himmel empor. So hoch, dass Sindbad die Erde alsbald nicht mehr sehen konnte. Darauf stürzte er sich mit solcher Schnelle herab, dass dem armen Manne Hören und Sehen verging. Als er aber die Erde unter sich fühlte, knüpfte Sindbad rasch den Knoten auf, mit dem er sich an des Vogels Fuße befestigt hatte, und sah, wie der Vogel Roch mit seinem Schnabel nach einer Schlange hieb, die eine unerhörte Länge hatte. Damit flog er davon.
Sindbad befand sich nun in einem tiefen Tale, und die Berge ringsum waren so hoch, dass sie mit ihren Gipfeln in die Wolken ragten. Und der arme Sindbad dachte: »Da habe ich wohl noch ein schlechteres Geschäft gemacht, als mit der öden Insel.«
Er begann nun, das Land umher zu betrachten. Da bemerkte er zu seiner Verwunderung Diamanten, so groß wie die Erdäpfel. Die lagen da umher wie Steine und glänzten heller als gefallene Sterne.
Aber seine Freude an dem Reichtum des Tales verging, als er in der Ferne eine große Anzahl Schlangen erkannte; von denen war jede so dick, dass sie einen Elefanten hätte verschlingen können, wenn nur einer dagewesen wäre; und Sindbad machte sich mit dem Gedanken vertraut, dass er nun wohl an die Stelle des Elefanten treten müsse. Zum Glück sah er, dass die Schlangen sich in ihre Höhlen zurückzogen, weil es Tag wurde; denn sie fürchteten den Vogel Roch.
An diesem Tage schritt Sindbad ganze Wegstrecken lang auf gleißenden Diamanten, ohne die geringste Lust zu haben, einige davon aufzuheben, und jeder wäre doch ein Königreich wert gewesen. Aber die Nacht war schon wieder auf dem Wege; denn weil die Berge so himmelhoch waren, verbarg sich die Sonne sehr rasch; und weil Sindbad keinen Ausweg aus dem Tale sah, erspähte er eine Höhle zur Nachtruhe, kroch hinein und verschloss sie mit einem Steine. Nicht lange, da vernahm er das Gleiten der Riesenschlangen draußen, die einander mit furchtbarem Zischen begegneten; jene Nacht gehörte darum nicht zu den Annehmlichkeiten im Leben des Seefahrers.
Er vermochte kein Auge zu schließen und war froh, als die Sonne endlich einen Schein durch den Spalt am Türstein der Höhle warf. Um diese Zeit schritt er heraus, aß noch den Rest seines Mahles und lehnte sich zum Schlafen an einen Felsen.
Kaum hatten sich seine Lider gesenkt, als etwas mit großem Geräusche neben ihm niederfiel, das ihn jäh aus dem Schlummer riss. Es war ein großes Stück rohes Fleisch, und zugleich erkannte er, dass an den Hängen des Tales noch andere und größere Stücke herabrollten.
»Dies ist also jenes Tal der Diamanten, von denen mir die Kaufleute auf dem Schiffe erzählt haben«, dachte Sindbad. Er hatte die Geschichte damals für ein Märchen gehalten; denn sie lautete: »Das Tal der Diamanten ist so tief und die Berge ringsumher sind so steil, dass kein Mensch hinabsteigen kann, um das edle Gestein zu gewinnen. Wer sich nun in den Besitz der Diamanten setzen will, der muss von den Gipfeln der Berge große Stücke Fleisch in das Tal rollen, dann kommen die Adler und tragen das Fleisch ihren Jungen in die Nester auf den Gipfel. An jedem Stücke Fleisch aber sind etliche Diamanten des Talgrundes hängen geblieben; und wer nun die Adler von ihrem Horste scheucht, der findet die Diamanten.«
Was Sindbad gefürchtet hatte, traf also zu: es gab keinen Ausweg aus diesem fürchterlichen Tale des Todes! Aber die Stunde, die ihm die Bestätigung dieser Erkenntnis brachte, erfüllte ihn zugleich mit der ganzen Freude köstlicher Hoffnung. »Wie?« fragte er sich, »hat mich nicht der Vogel Roch viele Meilen durch die Luft getragen? Und sollte den Adlern dieser Berge nicht möglich sein, mich emporzuschleppen zu jenen Gipfeln?«
Er hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, so band er sich auch schon das längste Stück des herabgerollten Fleisches auf den Rücken, sammelte in Eile seinen ledernen Speisesack voll der schönsten Diamanten, schlang diesen fest an seinen Gürtel und legte sich auf den Bauch ins Gras.
Es waren noch nicht fünf Minuten vergangen, so geschah ein Brausen in der Luft. Das kam von den Adlern, die sich gierig auf das Fleisch stürzten, das da umherlag; und der stärkste unter ihnen packte das größte mit seinen Fängen und trug Sindbad samt dem Fleische zu seinem Horst.
Die Kaufleute, die in der Nähe der Nester auf der Lauer lagen, schlugen nun einen großen Lärm, bis sie die Adler verscheucht hatten, und alsbald näherte sich einer dem Flecke, auf dem Sindbad hockte.
Natürlich wunderte sich der Kaufmann nicht wenig, einen Menschen in dieser Gegend zu finden; und wie sie alle im Kreise standen, staunten sie über die unerhörte Dreistigkeit, mit der der Seefahrer seine List ausgeführt hatte.
Sindbad fühlte sich aber nicht recht wohl im Besitze seiner Diamanten; denn er dachte: »Nun werden Sie mit Übermacht sich auf mich stürzen und mich meines kostbaren Gutes berauben.« Dem war aber nicht so; denn jedem Kaufmann war ein bestimmtes Nest zugeteilt, an dessen Inhalt die anderen kein recht hatten. Und jener, der den Sindbad statt der Diamanten in seinem Horste entdeckte, hätte für diesmal das Nachsehen gehabt, wenn Sindbad nicht seinen Beutel aufgetan und gesagt hätte: »Da wähle dir einen der hellsten Steine, ich will ihn dir schenken!«
Der Glanz, der aus dem Beutel fiel, war leuchtender als der Glanz der Sonne und brach in ihre Augen, dass sie die Lider senken mussten; waren sich doch alle einig, dass sie so kostbares Gestein an dem Hofe keines Königs gesehen hätten. Der Kaufmann begnügte sich damit, einen einzigen von den Diamanten Sindbads für sich auszuwählen, und Sindbad forderte ihn auf, einen größeren zu nehmen.
»Ach«, sagte der glückliche Mann, »ich habe an diesem einen genug; denn er allein ist ein Königreich wert.«
Des anderen Tages reisten sie über die Berge von dannen, wo sie noch viele riesige Schlangen trafen, denen sie jedoch glücklich entgingen. Sie erreichten nach einigen Wandertagen einen Hafen und fuhren von da zu einer Insel, auf der in damaliger Zeit ein Baum wuchs, aus denen die Menschen den Kampfer gewannen. Dieser Baum war so groß, dass sich in seinem Schatten tausend Menschen lagern konnten. Nachdem Sindbad noch einige Handelsgeschäfte abgeschlossen hatte, reiste er wieder heim nach Bagdad.
Nicht lange hatte er dort gesessen, so befand er sich wieder auf dem Weltmeere, und ein wilder Sturm erfasste diesmal das Schiff, sodass der Kapitän gezwungen war, eine Insel anzulaufen, an der er viel lieber vorübergesegelt wäre; denn jene Insel war von einer zahllosen Menge scheußlicher Zwerge bewohnt. Das waren zwei Fuß hohe, behaarte Gesellen, deren jeden ein Mann sich leicht vom Leibe halten konnte. Aber sie kamen in Scharen wie die Heuschrecken, warfen sich schon ins Meer, als sie das Schiff erblickten, kletterten daran empor wie die Ratten und waren lästiger als ein Schwarm von Hornissen.
Aber der Kapitän hatte gewarnt, einen der Zwerge zu töten; denn sonst würden die anderen über die Schiffsleute herfallen und nicht eher ruhen, bis der letzte der Mannschaft vernichtet sei.
Der Kapitän hatte von Stund’ an kein Kommando mehr auf seinem Schiffe. Die Zwerge richteten das Steuer, landeten und nötigten alle, die an Bord waren, an Land zu gehen; das Schiff aber führten sie nach einer anderen Insel draußen im Ozean.
Die Mannschaft und die Reisenden erwarteten nun einen sicheren Tod. Alle gingen ein Stück landeinwärts und kamen zu einem großen Gebäude; das Tor tat sich auf, und sie traten in einen Hof, darin lagen auf der einen Seite sehr viele Menschenknochen, auf der anderen eine Menge Bratspieße. Kein Mensch konnte von diesem schrecklichen Orte fliehen; denn das Tor hatte sich mittlerweile lautlos geschlossen.
Als die Sonne unterging, trat mit mächtigem Geräusche ein Mann aus dem Hause, der war so groß wie ein Palmbaum, hatte lange Haare am Leibe und auf der Stirn ein Auge, das glühte wie eine heiße Kohle. Lange Zähne ragten aus seinem Munde hervor, die Oberlippe war gespalten wie bei einem Kamel, und die Unterlippe hing ihm bis auf die Brust hernieder. Seine Ohren waren wie die eines Elefanten, und an den Fingern saßen ihm Nägel wie die Klauen eines Adlers.
Das Ungeheuer ergriff Sindbad und drehte ihn um und um – wie der Schlächter einen Hammel. Als der Riese aber sah, dass er sehr mager war, ließ er ihn los. So prüfte er auch all die anderen, und weil er erkannte, dass der Kapitän unter den Ankömmlingen am besten genährt war, steckte er ihn an einen Spieß und briet ihn über dem Feuer. Dann verschwand er mit dem Braten in seinem Hause und verzehrte ihn zum Abendbrot.
Am nächsten Morgen öffnete der Riese das Tor und schickte die Männer auf die Insel, damit sie sich Nahrung suchten. Als aber der Abend kam, wurden sie alle von einer unsichtbaren Gewalt wieder im Hofe des Schreckens zusammengetrieben, der Riese kam, wählte sich den Fettesten und verzehrte ihn zum Abendbrote.
Am dritten Tage geschah es wie zuvor. Da sprach Sindbad zu seinen Genossen: »Es sind viele sehr schöne hohe Bäume an diesem Strande. Wir wollen uns heimlich Flöße davon bauen und morgen von diesem Strande fliehen; denn hier wartet der Tod sicherer auf uns als draußen auf der hohen See.«
Sie machten sich alsbald an die Arbeit und waren gerade fertig damit, als die unsichtbare Gewalt sie wieder in den Hof des Riesen trieb – alle mussten ihr folgen, wie die Nägel einem Magnet. Der Riese wählte sich abermals einen zum Mahle aus und legte sich danach schlafen. Als sie ihn draußen schnarchen hörten, sagte Sindbad: »Es ist zwar verboten, einen Menschen zu töten – aber dieser ist ein Mörder. Kommt, glühet die Bratspieße und stoßt sie ihm ins Auge, damit wir frei werden!« Neun unter den Männern hatten Mut zu dieser Tat, sie hielten die Spitzen der umherliegenden Spieße in die Flamme, schlichen sich in das Schlafgemach des Riesen und stießen ihm die glühenden Eisen ins Auge.
Mit einem furchtbaren Gebrüll erhob sich der Wilde und griff mit den Händen um sich, aber es gelang ihm nicht, einen seiner Peiniger zu fassen. Die flohen alle zum Strande, wo die Flöße lagen, und warteten auf das erste Licht, um zu entfliehen. Aber noch ehe sie die schwanken Fahrzeuge auf dem Wasser hatten, nahte auch schon der Riese, geführt von zwei gleichgroßen schrecklichen Gesellen … Da tat die höchste Eile not, und nicht lange, so stießen die Flöße vom Lande und schossen unter kräftigen Ruderschlägen hinaus ins Meer. Aber die Riesen brachen Felsstücke los, schleuderten sie den Fliehenden nach und warfen so geschickt, dass alle Flöße zertrümmert wurden – bis auf eines. Die Schiffsleute auf den anderen mussten ertrinken, und nur die drei jenes am weitesten entfernten Fahrzeugs blieben heil. Unter diesen befand sich Sindbad.
Als die Geretteten nun aufs hohe Meer steuerten, erfasste sie alsbald ein Sturm und warf sie an eine Insel.
Vergeblich suchten sie auch hier nach Menschen; als aber der Abend nahte, kroch eine Schlange, lang und schuppig wie ein Palmbaum, des Weges und verzehrte die Begleiter Sindbads, und auch er wäre dem Ungetüm zum Opfer gefallen, hätte er sich nicht auf eine List besonnen. Rasch trug er zu seinem Verstecke – einer kleinen Felsenhöhle – einen Haufen dürres Reisig, legte es dicht vor den Eingang und schlug Feuer. Die ganze Nacht hindurch ließ er eine Flamme aus dem Reisig emporzüngeln, und im Grauen des Tages sah er ein Schiff vorübersegeln. Er kletterte auf einen Felsen, er schrie, er gab Zeichen aller Art – doch seine Bemühungen waren vergebens. Elenden Todes zu sterben schien sein Los.
Da in der höchsten Not besann er sich auf seine Diamanten, die er noch in dem Lederbeutel am Gürtel trug. Er hielt einen der edlen Steine in das Licht der aufgehenden Sonne – und sieh, und sieh! Wie der strahlende Glanz einer zweiten Sonne flog es übers Meer! Da staunten die Schiffsleute und steuerten dem heißen schönen Lichte nach.
So wurde Sindbad gerettet und kam auch diesmal glücklich heim in seine Vaterstadt Bagdad. Aber die Genüsse und Vergnügungen, denen er sich nach den Strapazen seiner dritten Reise hingab, vermochten ihn nicht lange zu fesseln. Er begab sich alsbald nach Persien und schiffte sich von Neuem ein. In einem Unwetter war der Kapitän gezwungen, die Segel zu streichen, die Masten zu kappen, und nicht lange danach lief das Schiff auf ein Riff und zerschellte. Am Strande befanden sich zum Glücke Quellen und Früchte, und die zu Tode erschöpfte Mannschaft konnte wieder zu neuen Kräften kommen.
Kaum erschien die Sonne des nächsten Tages, so machte sich Sindbad mit fünf seiner Gefährten auf; denn sie hatten von ihrem Felsen aus menschliche Wohnungen gesehen. Als sie sich denen näherten, brach eine Schar schwarzer, wilder Menschen daraus hervor, umringte die Fremden und geleitete sie unter großem Freudengeheul in eine der Hütten. Dort setzten sie ihren weißen Gästen ein sehr wohlschmeckendes Kraut vor, von dem diese in ihrem Hunger aßen. Sindbad aber, der eine List witterte, weil er merkte, dass die Schwarzen die Speise verschmähten, kostete nur ein wenig davon, und bald wurde er gewahr, dass der Genuss des Krautes seinen Genossen den Verstand vollständig verwirrte. Sie gebärdeten sich wie trunken und aßen nun große Mengen Reis, der mit Kokosöl zubereitet war, und den die Wilden nur reichten, um die Fremden zu mästen.
Sindbad, der als der einzige seinen klaren Verstand behalten hatte, erkannte sein trauriges Schicksal, und die Not seiner Tage machte ihn fast zum Skelett. Darum verschonten ihn auch die Wilden und trösteten sich mit der Hoffnung, dass auch dieser eine in späterer Zeit ihnen noch einen guten Bissen liefern sollte, jetzt aber gaben sie nur wenig auf ihn acht.
Eines Tages hatten die Wilden ihre Hütten verlassen, nur ein paar alte Frauen waren zurückgeblieben, da sah Sindbad die Stunde seiner Flucht gekommen. Er entwischte, und als die Frauen nach ihm riefen, verdoppelte er seine Schritte und lief, bis die Nacht hereinbrach.
Sieben Tage ging er so in einem fort und lebte von Kokosnüssen, die er am Wege fand. Am achten kam er zum Strande des Meeres und bemerkte plötzlich einen Menschen, der Pfefferfrüchte sammelte. Der führte Sindbad zu seinen Genossen, und mit ihnen verließ er wenige Tage darauf die gefährliche Insel.
Am dritten Morgen landete das Schiff an einem fruchtbaren Eilande, auf dem eine sehr schöne Stadt stand. Man führte Sindbad zum Könige, der ihn freundlich empfing und ihn aufforderte, mit ihm um die Insel zu reiten. Da bemerkte der Seefahrer, dass in diesem kleinen Reiche jeder ohne Sattel, ohne Bügel und Zügel zu Pferde saß. »Ei«, sprach er, »das ist ein seltsamer Brauch. Herr König, ich will Euch dafür etwas Besseres zeigen!«
Er stellte also einen Sattel her, polsterte ihn und bezog ihn mit weichem Leder; er flocht einen Zügel und ließ von einem Schmiede ein Paar Steigbügel anfertigen.
Dem Könige, der da von all diesen Dingen nichts wusste, gefiel die neue Art zu reiten sehr wohl. Er belohnte Sindbad reichlich und ernannte ihn sofort zu seinem Staatsminister. Damit Sindbad das Reich des Inselkönigs aber nicht so bald wieder verlasse, schenkte ihm dieser das schönste junge Mädchen zum Weibe.
Nun geschah es bald danach, dass die Frau eines vornehmen Mannes gestorben war; Sindbad ging zu ihm, um ihm einige Worte des Trostes zu sagen, aber der vornehme Mann blieb traurig und sprach: »Was nützt mir dein Trost, mein lieber Minister Sindbad, da ich morgen doch sterben muss?«
»Ei«, entgegnete Sindbad, »du bist ja frisch und gesund. Warum solltest du denn morgen zu Tode kommen?«
»Und es wird doch geschehen«, ergriff der andere wieder das Wort; »denn hierzulande ist es Gesetz und Sitte, dass die Frau dem Manne, der Mann der Frau in das Grab folgt.«
Sindbad ließ sich das noch einmal sagen; denn er hatte auf all seinen Fahrten nie von diesem wunderlichen Brauche gehört. Und am anderen Tage musste er sehen, dass sie die Tote zu Grabe trugen. Das Grab lag auf einem hohen Berge. Als man die Leiche hinabgesenkt hatte, setzte sich der vornehme Mann auf eine Bahre, man stellte einen Krug Wasser neben ihn und reichte ihm sieben kleine Brote. Danach glitt auch diese Bahre in die Tiefe.
Sindbad, weil er Minister war, hielt sofort eine Konferenz mit dem Könige; aber der König zog die Achseln und sagte: »Mein lieber Minister Sindbad, an dieser schönen Gepflogenheit ist nichts zu ändern; und mir selbst und dir auch wird es so ergehen wie jenem vornehmen Manne, wenn unsere Frauen vor uns sterben.«