Der Hauptstadtflughafen

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Der Hauptstadtflughafen
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Matthias Roth

Der Hauptstadtflughafen

Politik und Missmanagement

Ein Insider berichtet


Hinweis

Die in diesem Buch beschriebenen Personen existieren so nicht. Handlungen und Eigenschaften von Personen sind ausgetauscht ebenso wie genannte Abteilungen und Funktionen, die beschriebenen Orte und die genannten Zeiten.

© 2013 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe

info@zuklampen.de · www.zuklampen.de

Umschlaggestaltung: Stefan Hilden, München unter Verwendung einer Illustration von Stefan Hilden

www.hildendesign.de

Satz: thielenverlagsbuero, Hannover

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783866743069

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

Für e.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Der erste Monat

Die erste Woche

Die zweite Woche

Die dritte Woche

Die vierte Woche, Arbeitstag 18 bis 22

August 2010 – Der zweite Monat

Die fünfte Woche, Arbeitstag 23 bis 27

Die sechste Woche – Das betriebliche Vorschlagswesen

Die siebte Woche, Arbeitstag 33 bis 37

Die achte Woche, Arbeitstag 38 bis 42

September 2010 – Der dritte Monat

Die neunte Woche, Arbeitstag 43 bis 47

Die zehnte Woche, Arbeitstag 48 bis 52

Die elfte Woche, Arbeitstag 53 bis 57

Die zwölfte Woche, Arbeitstag 58 bis 62

Die dreizehnte Woche, Arbeitstag 63 bis 67

Oktober 2010 – Der vierte Monat

Projekt des Monats: Das Betriebskonzept

Tag des Monats, Sonntag, kein Arbeitstag

November 2010 – Der fünfte Monat, Arbeitstag 88 bis 109

Tag des Monats, Dienstag 94. Arbeitstag

Projekt des Monats: Der neue Bodenbelag

Dezember 2010 – Der sechste Monat, Arbeitstag 110 bis 132

Projekt des Monats: SAP Modul PS

Risikomanagement, die Anfänge

Tag des Monats, Mittwoch 130. Arbeitstag

Januar 2011 – Der siebte Monat, sieben Monate bis zur Kündigung

Highlight des Monats: »The Henschel-Villa-Episode«

Tag des Monats, Donnerstag 136. Arbeitstag – Mein eigenes Büro

Risikomanagement, die Übergabe

Februar 2011 – der achte Monat: der neue Kollege

Projekt des Monats: Festlegung der Prioritäten

Tag des Monats, Montag 168. Arbeitstag

Risikomanagement, die Situation der Personalabteilung

März 2011 – Der neunte Monat, fünf Monate bis zur Kündigung

Vorfall des Monats: »The ORTI Incident«

Tag des Monats, Mittwoch 185. Arbeitstag – Der Einführungstag

Risikomanagement, die Ausschreibung

April 2011 – Der zehnte Monat, vier Monate bis zur Kündigung

Vorfall des Monats: die Beförderung

Tag des Monats, Montag, 203. Arbeitstag

Risikomanagement, Nummer 1

Mai 2011 – Der elfte Monat, drei Monate bis zur Kündigung

Projekt des Monats: Urlaub

Tag des Monats, Donnerstag 221. Arbeitstag – Der Flughafen in der Außenwirkung

Das Risikomanagement, die Berater kommen

Juni 2011 – Der zwölfte Monat

Projekt des Monats: Zahlen der Flughafen Energie und Wasser

Tag des Monats, Donnerstag 256. Arbeitstag

Risikomanagement, die Berater sind da

Juli 2011 – Der dreizehnte Monat

Projekt des Monats: Der größte Stau aller Zeiten

Tag des Monats, Montag 263. Arbeitstag

Risikomanagement, der Betriebsrat

August 2011 – Der vierzehnte Monat

Tag des Monats, Montag 283. Arbeitstag

Projekt des Monats: Umzug

Risikomanagement, zurück auf »los«

September 2011 – Der fünfzehnte Monat

Projekt des Monats: meine Kündigung

Tag des Monats, Mittwoch 320. Arbeitstag

Risikomanagement, das Ende

Oktober 2011 – Der sechzehnte Monat

Vorfall des Monats: Die KFZ Kennzeichen

Tag des Monats: Dienstag 344. Arbeitstag

November 2011 – Der siebzehnte Monat

Tag des Monats, Freitag 362. Arbeitstag

 

Projekt des Monats: Besichtigung der Baustelle

Dezember 2011 – Der achtzehnte Monat

Projekt des Monats: Einführung in den BER

Tag des Monats, Montag, der letzte Arbeitstag

Der Autor

Vorwort

Am 8. Mai 2012 sagte die Flughafengesellschaft den Termin zur Inbetriebnahme am 3. Juni 2012 kurzfristig wegen technischer Probleme beim Brandschutz ab. Der Eröffnungstermin wurde etwas vage auf die Zeit »nach den Sommerferien« verschoben. Dieser erste neue Termin könnte immer noch richtig sein, auch wenn inzwischen sieben Sommerferien verstrichen sind. Das hat er den vielen anderen Terminen voraus, die später und mit vermutlich mehr Bedacht genannt wurden, aber wieder abgesagt werden mussten.

Die Behebung der technischen Probleme beim Bau des Berliner Flughafens BER dauert inzwischen länger als die ursprünglich geplante Bauzeit. Wer kann noch sicher sagen, wie viele Eröffnungstermine verstrichen sind und wann – wenn jemals – der Flughafen eröffnen wird?

Sicher sagen lässt sich wohl, dass selbst bei einer möglichen Eröffnung zu einem Zeitpunkt in der Zukunft – ein Ereignis, das sich noch nicht ganz ausschließen lässt – das Projekt weitgehend gescheitert ist. Denn dann stünde da ein Flughafen, der zu klein ist, deutlich teurer wurde als geplant und dessen Bau viel zu lange gedauert hat. In dem ganzen Chaos ist auch kein Verantwortlicher der Misere mehr sicher auszumachen.

Im gewöhnlichen Lauf der Dinge ist die Konsequenz für eine solche unternehmerisch grobe Fehlplanung und Misswirtschaft die Insolvenz. Diese ist tragisch für alle Betroffenen, Arbeitnehmer, Zulieferer, Eigentümer. Solch drastische Konsequenzen sind aber auch Motivation dafür, vernünftig zu planen und mit den begrenzten Mitteln wirtschaftlich zu haushalten und verantwortungsvoll umzugehen. Eine Insolvenz ist darüber hinaus auch eine Gelegenheit zum Neuanfang, die Chance, gescheiterte Strukturen aufzugeben. Vermögenswerte werden am Markt angeboten, auf dass jemand mit mehr unternehmerischem Geschick damit Mehrwert schaffe.

Nichts von alledem gibt es bei der Flughafengesellschaft des BER, keine Wirtschaftlichkeit, keine Verantwortung, keine Konsequenz und keine Insolvenz. Die Flughafengesellschaft kann zu Recht erwarten, dass sie aus dem für ihre Zwecke unerschöpflichen Steueraufkommen bedient wird. Und solange gebaut wird, haben die mit dem Bau betrauten Mitarbeiter einen Arbeitsplatz und Zulieferer für die Baustelle ein sicheres Einkommen.

Dieses Buch entstand 2012 als Chronik meiner Zeit als Mitarbeiter der Flughafengesellschaft in den achtzehn Monaten bis kurz vor der Absage der Eröffnung am 8. Mai 2012. Damals war die Eröffnung im Sommer 2012 das Ziel, die Flughafengesellschaft war ein angesehener Arbeitgeber und die Eröffnung wurde nicht bezweifelt. Warum das so war, kann ich nicht nachvollziehen. Was ich nachvollziehen kann, ist, warum die Eröffnung gescheitert ist.

Dieses Buch richtet sich daher an alle, die das ebenfalls nachvollziehen wollen. Es richtet sich an die deutschen Steuerzahler, die wissen wollen, wie es in der Flughafengesellschaft kurz vor dem Debakel aussah. Dieses Buch richtet sich auch an alle Arbeitnehmer, die unausgelastet sind, unterfordert sind, innerlich gekündigt haben. Es richtet sich an alle die wissen wollen, was ein Bore-out ist und wie er sich anfühlt.

Kalifornien, Juli 2019

Der erste Monat
Die erste Woche

Der erste Tag

»Um Gutes zu tun, braucht es keine Überlegung.« Obwohl er schon lange tot ist, hat der Mann, der diesen Satz geprägt hat, auch heute noch genug Autorität, und kaum jemand wird ihm widersprechen: Goethe. Ich will ihm auch nicht widersprechen, aber ich will feststellen: Um das Falsche zu tun, braucht es auch keine Überlegung.

»Da sind Sie ja, wie schön, kommen Sie rein!«, die junge Mitarbeiterin der Personalabteilung empfängt mich in ihrem Büro, es ist mein erster Arbeitstag. Vor einigen Tagen hatten wir telefoniert und sie hatte mich vorsichtig gefragt, ob ich an meinem ersten Arbeitstag etwas früher kommen könne, so gegen halb neun vielleicht? Es seien noch einige Formalitäten zu erledigen. Halb neun fand ich nicht unbillig und daher hatte ich keine Einwände.

»Möchten Sie einen Kaffee haben?«, richtet sie das Wort wieder an mich, während sie Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zusammensucht.

»Ja, gerne.«

»Hier ist Ihre Stellenbeschreibung und eine Sicherheitsbelehrung, die müssten Sie bitte durchlesen und unterschreiben, ich hole Ihnen inzwischen einen Kaffee.«

Auf der Doppelseite steht, dass ich als Referent in der Zen­tralen Controllingabteilung der Berliner Flughafengesellschaft eingestellt werde, und was meine Aufgaben sind. Die Formulierungen sind allgemein gehalten und dürften auf ziemlich alle Mitarbeiter zutreffen, die entfernt in einer Finanzabteilung arbeiten. Meine Aufgaben sind mir aber klar, sie sind in drei Bewerbungsrunden ausführlich besprochen worden: Das Controlling der Baustelle, auf der der neue Hauptstadtflughafen der Stadt Berlin entsteht. Die Baustelle hat den Arbeitstitel BBI, der Flughafen selbst wird nach Fertigstellung BER heißen. Die Aufgabe eines Controllers ist üblicherweise die Erhebung und Aufbereitung von Daten als Grundlage für Entscheidungen der Unternehmensführung. Das ist vielleicht vergleichbar mit den Aufgaben eines Navigators auf einem Schiff. Der Kapitän bestimmt das Ziel und den groben Kurs, der Navigator kümmert sich um Position, Kurs und Geschwindigkeit. Beide zusammen kommen überein, in welcher Zeit das Ziel erreicht werden kann und soll, und wie viel Diesel dabei verbraucht wird.

Vor wenigen Monaten wurde der Termin für die Eröffnung des Flughafens um ein dreiviertel Jahr verschoben, weil ein Planer insolvent wurde und in der Folge wichtige Baupläne fehlten. Es gibt also offensichtlich Probleme mit dem Ziel, dem Kurs und der Zeit.

»Hier ist Ihr Kaffee.«

Die junge Kollegin ist zurück. In der nachfolgenden halben Stunde muss ich weitere Formulare ausfüllen und einige Unterschriften leisten. Die junge Kollegin erzählt derweil, wie schwierig es war, meine Stelle zu besetzen und welcher Aufwand getrieben wurde. Über ein Jahr sei die Stelle unbesetzt gewesen. Das wurde auch im Bewerbungsgespräch erwähnt, aber ich habe nicht nach den Gründen gefragt. Ich bekomme meinen Flughafenausweis und eine Willkommenstüte mit Werbegeschenken und einer Broschüre über den Flughafen und über die Baustelle.

»So, das wäre geschafft.« Die junge Kollegin ist zufrieden. »Ich bringe Sie jetzt zu Ihrer Abteilung.«

Die Ankündigung klingt nach mehr Leistung als nun unmittelbar folgt, denn »meine Abteilung« ist direkt auf der anderen Seite des Flurs. Nach vier Schritten stehen wir im Büro meines Chefs. Er ist leider nicht da. Eine Tür weiter wird uns geholfen.

Eine ältere, aber drahtige Frau mit schulterlangen lockigen Haaren sitzt hinter ihrem Schreibtisch und begrüßt uns: »Ach, da sind Sie ja, ich habe Sie schon erwartet. Ich soll Sie erstmal in Empfang nehmen.« Sie steht auf, läuft um Ihren Schreibtisch herum und reicht mir die Hand. »Ich bin Frau Moori und Sie werden bei mir im Büro sitzen.«

Die Kollegin aus der Personalabteilung verabschiedet sich, sie sei etwas im Stress. Wir bleiben zu zweit zurück und Frau Moori weiß nicht so recht weiter. Der Chef habe noch eben ein wichtiges Gespräch, er sei aber gleich zurück. Wir stehen etwas unentschlossen herum.

»Sind Sie nervös?«, überbrückt sie die Stille.

»Nein, warum sollte ich nervös sein?«, frage ich überrascht. Tatsächlich habe ich keinen Grund, es wirkt doch alles ganz normal.

Meine neue Kollegin schaut ungläubig. Schließlich zeigt sie auf den leeren Schreibtisch, der ihrem gegenüber steht: »Ja, das ist wie gesagt Ihr neuer Arbeitsplatz. Ich glaube, unser Chef hat Ihnen da schon Unterlagen hingelegt … Ja, genau, hier, das Organigramm der Flughafengesellschaft. Das können Sie mal durchsehen. Da sehen Sie hier oben unseren Geschäftsführer und daneben den anderen Geschäftsführer, zuständig für die Baustelle. Der ist aber nur Nummer 2, unser Geschäftsführer ist die Nummer 1.« Sie zeigt in einem Organigramm auf einen umrahmten Namen unterhalb »unseres« Geschäftsführers. »Und den hier kennen Sie, oder? Weil, bei dem müssten Sie eigentlich ein Bewerbungsgespräch gehabt haben, nicht wahr?«

»Ja, das ist richtig, das hatte ich.« Und ich erinnere mich auch noch gut daran. Das war im letzten Winter und ist inzwischen sieben Monate her. »Ist er dann Nummer 3?«, frage ich meine neue Kollegin.

Die überlegt kurz: »Nein, eher so … vielleicht Nummer 7. Die meisten anderen Bereichsleiter sind wichtiger.«

Das finde ich eine interessante Einschätzung und ich frage zurück: »Also haben wir den wichtigsten Geschäftsführer und den unwichtigsten Bereichsleiter?«

Frau Moori lächelt: »Ja, das kann man so sagen.«

Ich schaue wieder auf das Organigramm. Nummer 7 hat einige Abteilungen unter sich, unter anderem das Zentrale Controlling, meine Abteilung. Unterhalb der Bereichsleiter gibt es sehr viele Abteilungen mit jeweils einem Abteilungsleiter, mein Chef ist einer davon. Bei der Anzahl wird er schon Glück haben, wenn er die Nummer 50 in diesem Unternehmen ist. Weiter komme ich mit meinen Gedanken nicht, da betritt Nummer 50, Torsten Baumgard, unser Büro.

»Hallo, da sind Sie ja! Schön, dass Sie da sind, und willkommen beim Flughafen.« Wir reichen uns die Hand. »Kommen Sie, setzen wir uns in mein Büro.«

Es sind vier Monate vergangen, seit ich auch ihn zuletzt gesehen habe, es war Winter, kalt und dunkel. Jetzt ist Hochsommer und einer der heißesten seit langem. Die frühe Sonne scheint ins Büro und es ist schon jetzt warm, angenehm warm. Aber dabei wird es vermutlich nicht bleiben.

»Es ist schön, dass Sie da sind, wir haben unglaublich viel zu tun und die Abteilung ist vollkommen unterbesetzt. Die Kollegen sind alle am Limit.« Herr Baumgard lässt keinen Zweifel daran, welche Erleichterung ein neuer Mitarbeiter für ihn bedeutet. Er hatte mir eine Prämie versprochen für jede Woche, die ich früher beim Flughafen anfangen könne. Aber ich konnte nicht.

Herr Baumgard greift hinter sich und fördert eine großformatige Pappe mit dem Grundriss der Büros seiner Abteilung hervor, die an der Wand lehnte. Auf der Pappe kann ich erkennen, dass die Abteilung meines Chefs sich über sechs Räume erstreckt, die alle aneinandergereiht liegen und durch Türen jeweils miteinander verbunden sind. Er hat das mittlere Büro und ich sitze mit Frau Moori im Büro unmittelbar südlich davon.

»Wir haben ja einige Umbauarbeiten hier vorgenommen, bevor Sie gekommen sind«, erläutert er. »Also konkret haben wir Ihr Büro und mein Büro durch eine neue Tür verbunden. Früher mussten wir hier immer über den Flur laufen, jetzt sind alle Büros der Abteilung auch intern verbunden.«

Ich werfe einen Blick auf die Tür. Tatsächlich, sie sieht frisch aus. Die Handwerker scheinen mit dem Zusammenbau nicht ganz fertig geworden zu sein, am oberen Türrahmen fehlt noch die Verkleidung. Torsten Baumgard fährt fort in seinen Erläuterungen:

»Was jetzt am dringendsten anliegt, ist, dass Sie Aufgaben von Frau Moori übernehmen, also konkret die Betreuung des Bereiches Liegenschaften und der Gesellschaft Flughafen Energie und Wasser, kurz FEW.«

Ich bin überrascht: »Wieso Liegenschaften, was ist mit der Baustelle?«

»Der Bereich B, also die Baustelle selbst, soll weiterhin betreut werden von der Frau Moori, sie will das nicht abgeben.«

»Ich verstehe nicht, wir haben doch in den Bewerbungsgesprächen darüber gesprochen, dass jemand gesucht wird, der die finanzielle Situation der Baustelle betreut. Warum ist das jetzt geändert?«

»Nein, das ist noch so, nur müssen wir das anders einstellen. Zunächst betreuen Sie die FEW und die Liegenschaften, die ja indirekt auch mit der Baustelle zu tun haben. Also konkret: Alles, was fertiggebaut ist, geht in den Bereich Liegenschaften über. Und die FEW stellt den Strom für die Baustelle, der Bezug ist also schon da. Und alles Weitere wird sich finden, keine Sorge.«

 

Ich bin verwirrt, aber mein Chef bricht das Gespräch ab: »Kommen Sie, ich stelle Ihnen Ihre Kollegen vor.« Die Entwicklung finde ich gar nicht gut, aber Herr Baumgard scheint es nicht bemerkt zu haben. Spätestens bei der Besprechung meiner Aufgaben muss ich das wieder aufbringen.

Zunächst werde ich herumgeführt und den Kollegen vorgestellt. Insgesamt besteht die Abteilung aus acht Mitarbeitern verteilt auf fünf Büros, zwei nördlich vom Chefbüro, drei südlich. In jedem darf ich kurz einige Sätze zu mir sagen, wo ich herkomme und was ich bisher gemacht habe. Anschließend geht es gemeinsam zum Mittagessen in die Kantine. Als wir zurückkommen, ist gerade ein Mitarbeiter der EDV-Abteilung dabei, meinen PC aufzubauen. Ich bekomme einen gebrauchten Mini-Tower mit neuer Maus und aufgearbeiteter Tastatur. In einigen Wochen werde ich die Tastatur umtauschen, weil die Taste »L« nicht mehr geht.

»Laptops gibt es auch, aber nur ab Abteilungsleiter«, lässt mich Frau Moori wissen. »Und das ist zwei Hierarchiestufen über uns.«

»Wieso zwei? Doch nur eine, oder?«

»Nein, weil unsere Abteilung zu klein ist, wir haben keine Teamleiter. Aber eigentlich ist die Struktur: Geschäftsführer, Bereichsleiter, Abteilungsleiter, Teamleiter und dann wir, wir sind hier ganz un…«

Wir werden in unseren Betrachtungen unterbrochen, es klopft an der Tür zum Flur. Es vergehen zwei endlose Sekunden, bevor Frau Moori sich erbarmt: »Ja, bitte?«

Die Tür geht auf und unser Kollege Herr Tönjes tritt ein. Er ist mir heute Vormittag als der jüngste Mitarbeiter der Abteilung vorgestellt worden und bringt mir nun meine Ration Arbeitsmaterialien. Anschließend gibt er mir noch den Hinweis mit auf den Weg, darauf gut aufzupassen. Ich werde noch lernen, wie Recht er damit hat, Büromaterial ist in unserer Abteilung schwer zu beschaffen.

Der zweite Tag, Freitag

Ich erreiche den Flughafen um 8:30 Uhr. Torsten Baumgard hat mir freundlicherweise seine Parkkarte überlassen. Damit kann ich auf dem Parkplatz am Gebäude parken und muss nicht auf den Parkplatz weit hinten am Terminal. Herr Baumgard braucht die Karte nicht, als Abteilungsleiter hat er Anspruch auf eine Fernsteuerung für die Schranke, da muss er nicht groß anhalten und mit der Karte herumfingern, sondern kann einfach von ferne die Schranke bedienen und durchrauschen. Neue Parkkarten werden für den Parkplatz nicht mehr vergeben, er ist schon überfüllt. »Weil die Ossis nicht parken können«, wie ich irgendwann erklärt bekomme. Außerdem mussten Teile abgesperrt werden, weil die darunterliegenden Keller einsturzgefährdet sind.

Frau Moori begrüßt mich freundlich, wir geben uns die Hand. Sie findet es gut, dass sie nicht mehr alleine sitzen muss, sondern nun endlich wieder einen Kollegen hat.

»Wissen Sie, ich habe ja auch noch bis letzte Woche ganz hinten hier auf dem Flur mein Büro gehabt, bei den Marketing­leuten. Ich bin erst diese Woche umgezogen. Naja, umgezogen ist jetzt vielleicht etwas zu viel gesagt, weil ich habe noch einige Sachen in meinem alten Büro. Also, der Umzug ist noch nicht abgeschlossen, will ich damit sagen.« Es folgt eine kurze Pause bevor sie mich fragt: »Rauchen Sie eigentlich?«

»Nein, ich rauche nicht.«

»Aber es stört Sie doch nicht, wenn ich rauche?«

»Nein, überhaupt nicht, solange Sie nicht hier drinnen rauchen.« Frau Moori reagiert irritiert, sagt aber nichts. Mein PC fährt derweil immer noch hoch und ich wundere mich, wie lange das dauert.

Herr Baumgard hat mir einige Termine weitergeleitet, anscheinend gibt es jeden Dienstag eine Besprechung innerhalb der Abteilung und ein Mal im Monat eine Besprechung mit allen anderen Controllingabteilungen zusammen.

»Ist die Sitzordnung für Sie so in Ordnung?« Frau Moori nimmt dass Gespräch wieder auf. Sie scheint verunsichert. »Ich habe ja einfach jetzt diesen Schreibtisch hier besetzt, aber wenn Sie lieber anders sitzen möchten, können wir darüber sprechen.«

»Nein, das ist für mich so vollkommen in Ordnung.«

Frau Moori ist nicht zufrieden. »Ja, ich frage auch nur noch mal, weil, für mich ist diese Seite hier besser.«

»Dann ist doch super.«

»Ok, dann sitze ich also hier, auf der Seite. Abgemacht. Sehr gut. Ich finde das gut!«

»Ich auch.« Ich sitze mit dem Rücken zum Büro meines Chefs und Frau Moori mir gegenüber. Ich beschließe, bei meinem Chef vorbeizuschauen und betrete sein Büro durch die neue Tür. Wir begrüßen uns per Handschlag.

»Sollen wir uns heute zusammensetzen und über meine Aufgaben sprechen?«, eröffne ich das Gespräch.

»Ja«, entgegnet Herr Baumgard, »ich habe da auch gleich was.« Er öffnet eine Schublade und kramt eine Folienpräsenta­tion hervor. »Sehen Sie das doch zunächst durch, damit Sie einen ersten Eindruck vom Flughafen bekommen.« Er reicht mir die Folien über seinen Schreibtisch.

Die Präsentation ist eine Präsentation vom Flughafen über den Flughafen. Nichts, was ich nicht schon von der Webseite des Flughafens über den Flughafen weiß. Weitere Aufgaben gibt es erstmal nicht. Egal, ich muss ohnehin noch eine Wohnung suchen, für den neuen Job sind meine Frau und ich umgezogen und wir wohnen noch in einer beengten Zwischenlösung. Der weitere Tag vergeht also bei Surfen im Internet, Wohnungssuche und Gesprächen mit Frau Moori. Ich erfahre, dass sie wenige Tage vor der Wende beim Flughafen in Tegel als Ansagerin angefangen und sich dann bis zur Abteilungsleiterin hochgearbeitet habe. Neben der Arbeit habe sie eine Fortbildung gemacht. Ich merke, wie stolz sie darauf ist. Leider sei sie degradiert worden, als die Verwaltungen der Flughäfen Schönefeld und Tegel zusammengelegt wurden und ihre Position doppelt vorhanden war. Und das, obwohl der andere Kandidat aus dem Osten war, aus der DDR. Aber das störe sie nicht, weil das eben so sei. Außerdem habe sie ja nichts gegen diese Leute. Immerhin habe sie ihr Blackberry noch, das bekommen nur Abteilungsleiter. Sie zeigt es mir, es sieht etwas abgegriffen aus. In einigen Wochen wird sie mir damit aus ihrem Urlaub ein Foto schicken von dem Fisch, den sie an der Ostsee geangelt hat. Frau Moori zieht los und beschafft Eimer und Wischlappen, durch die Bauarbeiten an der Tür ist es etwas staubig in unserem Büro.

Mittags geht es wieder in die Kantine, pünktlich um 12:30 Uhr. Das Essen ist solide Hausmannskost in üppigen Portionen. Frau Moori gönnt sich noch einen Nachtisch aus einem winzigen Gläschen und lässt sich viel Zeit mit dem Verzehr. Der Rest der Abteilung schaut ihr dabei zu.

Der Nachmittag vergeht bei Privatgesprächen mit Frau Moori, sie sitzt dabei auf dem Stuhl maximal zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Sie erzählt von sich und aus ihrem Leben.

Am späten Nachmittag schaue ich bei Herrn Baumgard ins Büro: »Ich gehe ins Wochenende, schönen Feierabend und bis Montag!«

»Ja, aber Montag in einer Woche, ich habe kommende Woche Urlaub«, mit der Ansage überrascht mich mein Chef.

»Ja, ok.« Ich muss mich kurz orientieren und frage dann: »Was soll ich tun, haben Sie Aufträge?«

»Nein, finden Sie sich erstmal in Ruhe ein.« Er steht auf, kommt auf mich zu und reicht mir die Hand. »Schönes Wochenende.«

Ich bin überrascht. Ich bin perplex. Und ich bin ins Wochenende entlassen. Als ich nach Hause fahre, begleitet mich ein komisches Gefühl.

Der dritte Tag, Montag

Ich erreiche unser Büro vor Frau Moori. Während mein PC hochfährt, nutze ich die Zeit und wische meinen Schreibtisch. Der Wischeimer steht seit Freitag früh auf Frau Mooris Schreibtisch, darin Wasser und Lappen, aber noch keine Mückenlarven.

Frau Moori betritt das Büro, wir begrüßen uns per Handschlag. Frau Mooris Hand ist etwas feucht. Mein Chef ist im Urlaub und ich habe keine Vorstellung, was ich den Rest des Tages machen soll. Ich verwickle Frau Moori in Gespräche über den Aufbau und die Struktur des Flughafens, sie erzählt wenig darüber und viel über sich. Am Ende des Tages kenne ich ihr Leben in groben Zügen von den ersten verschwommenen Erinnerungen bis in die Gegenwart. Der Vormittag zieht sich etwas.

Nachmittags unterbricht ein Anruf aus der IT-Abteilung Frau Mooris frei vorgetragene eigene Biografie. Ich bin für das Gruppenlaufwerk freigeschaltet. Viel ist darauf nicht los, nur sind wahllos einige Dateien vorhanden. Ich vermute, die meisten arbeiten lokal. Ich finde Protokolle der Dienstags-Abteilungsmeetings, das letzte ist vom Februar 2010. Immerhin habe ich so Zeit für meine privaten Belange. Frau Moori erzählt in der üblichen Haltung, weit zurückgelehnt, Arme verschränkt und ich suche nach einer Wohnung. Der Nachmittag zieht sich etwas.

Der vierte Tag, Dienstag

Der gestrige Tag ist nur schleppend vergangen und es gibt keine Anzeichen, dass sich daran heute etwas ändern wird. Es ist 9:30 Uhr, ich hocke seit einer Stunde mit Frau Moori im Büro, E-Mails sind noch keine hereingekommen, das Passwort für unser Buchhaltungssystem SAP habe ich noch nicht und auf den Wohnungsbörsen im Internet gibt es gegenüber gestern keine neuen Angebote. Frau Moori hängt schlaff über ihrer Tastatur und klickt lustlos herum, den Kopf auf der linken Hand aufgestützt.

Ich stehe auf und trete hinaus auf den Flur vor unserem Büro, die Tür ziehe ich hinter mir wieder zu. Das Hauptgebäude der Flughafengesellschaft ist ein sehr langgezogener zweistöckiger Klinkerbau aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg mit einem langen Flur in jeder Etage, an dem links und rechts die Büros liegen. Mein Büro liegt ziemlich mittig in dem langen Flur im ersten Stock, nach rechts Richtung Norden kann ich den Flur hinaufblicken bis zu dem Fluchtpunkt, an dem Decke, Boden und Wände zusammenlaufen.

Dort hinten geht es eine Etage tiefer hinaus auf den Parkplatz. Nach links Richtung Süden geht der Blick nicht ganz so weit, ich kann die Glastür am Ende des Flurs noch erkennen. Kurzentschlossen lenke ich meine Schritte nach links in Richtung Glastür. Auf dem Flur liegt derselbe graue Teppich, den ich auch im Büro habe, er ist schon reichlich niedergetreten und abgewetzt. Rechts reihen sich die Türen der Personalabteilung aneinander, alle geschlossen. Links endet nach einigen Schritten das Reich von meinem Chef und es beginnen die Büros der Abteilung »Sicherheit«. Ich laufe weiter, rechts sind noch immer die Büros der Personalabteilung, alle Türen sind zu, links die Sicherheit, auch alle Türen zu. Die letzte Tür rechts steht offen, das ist die Herrentoilette. Hinter der Glastür beginnt das Treppenhaus, es ist repräsentativ und verbindet das Foyer am Haupteingang eine Etage tiefer mit den Räumen im dritten Stock. Dort oben irgendwo sitzt Nummer 7, wenn ich das von meinem Bewerbungsgespräch noch richtig in Erinnerung habe. Das Treppenhaus ist quadratisch, die Treppe verläuft im Uhrzeigersinn an den Wänden entlang und schraubt sich so nach oben. In der Mitte bleibt Raum frei für eine schockierend hässliche, eckige Hängeleuchte, die von der Decke in der dritten Etage bis in das Foyer herunterhängt. Ich schätze ihr Baujahr auf die frühen 60er Jahre. Rechtsherum folge ich dem Verlauf der Treppe hinunter in das Foyer. Die Stufen sind aus Marmor und an den Ecken rund abgetreten. Im Foyer sitzt eine Pförtnerin hinter ihrem Pult und schaut nur kurz von ­ihrem Kreuzworträtsel auf. Hinter zwei Automatiktüren scheint die Sonne und die Vögel zwitschern. Ich wandere hinüber in die Kantine, dort wird für die Mitarbeiter Frühstück bereitgehalten. Für mich gibt es einen Kaffee, der ist nicht besonders gut, aber dafür auch erfreulich billig. Die Kantine ist ziemlich leer, vermutlich ist es auch schon etwas spät für Frühstück.

Um 10:30 Uhr bin ich zurück an meinem Schreibtisch. Frau Moori hockt unverändert über ihren Tasten und reagiert nicht auf meine Rückkehr. Ich entsperre meinen Bildschirm und bin ratlos. Was jetzt? Ich starre links an meinem Monitor vorbei aus dem Fenster. Der Blick geht über das Vorfeld des alten Flughafens Schönefeld. Der Flughafen wickelt für Berlin Billigflugverkehre ab, AirBerlin und EasyJet. Weit hinten auf einer Abstellposition steht eine schwarze Fokker. Das vermute ich jedenfalls, ich kann das von hier so genau nicht erkennen. Ich schaue im Internet nach Wohnungen, alles noch immer unverändert, keine neuen Angebote. Es klopft an der Tür, Herr Lackner tritt ein. Er ist der Stellvertreter von Torsten Baumgard. Er begrüßt Frau Moori und anschließend mich mit Handschlag.

»Hört mal«, ist seine Eröffnung, »habt ihr was für das Abteilungsmeeting gleich?« Frau Moori denkt nach. »Ich habe nämlich nichts und würd das sonst absagen, da Herr Baumgard nicht da ist.«

Frau Moori nickt zustimmend. »Ja, da bin ich dafür.«

Ich habe auch nichts, der Kollege nickt und ist wieder weg. Fünf Minuten später sagt er den Termin ab, meinen einzigen Termin in dieser Woche. Es ist elf Uhr, noch anderthalb Stunden bis zum Mittagessen. Ich lese im Internet die FAZ.