Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 9

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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 9
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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Advents- und Weihnachtszeit

Band 9

Martina Meier (Hrsg.)


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2016.

Titelbild: Heike Georgi

Herstellung + Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-650-0 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-329-3 - E-Book

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Inhalt

*

Die Weihnachtsparty

Heute war ein ganz besonderer Tag im Kindergarten. Es hatte zum ersten Mal in diesem Jahr geschneit und die Kinder waren alle völlig aus dem Häuschen. Gleich nach dem Frühstück liefen sie nach draußen und bauten einen großen Schneemann. Joel war erst seit einigen Tagen in der Spatzengruppe. Er war der Neue, der aus Köln zugezogen war.

Nach dem Spielen im Schnee hatte Max alle Kinder zu einer Weihnachtsparty zu sich nach Hause eingeladen. Die Kinder freuten sich sehr und kamen noch mehr in Weihnachtsstimmung. Alle hatten eine Karte mit einem lustigen Weihnachtsmann bekommen, der Wackelaugen hatte. Joel hatte als Einziger keine Karte bekommen. Traurig stand er in einer Ecke und kämpfte mit den Tränen. Warum hatte Max ihn nicht eingeladen? Mochte er ihn nicht? Was hatte er bloß falsch gemacht? Hatte er ihn nicht eingeladen, weil er neu war?

Am Nachmittag, als die Mutter Joel abholte, sah sie schon an seinem Gesicht, dass ihn etwas sehr bedrückte.

Kaum waren sie zu Hause, sprudelte es aus Joel heraus: „Mama, der Max hat mich nicht zu seiner Weihnachtsparty eingeladen, das finde ich ganz ungerecht!“

„Vielleicht hat er nur eine kleine Wohnung und da passen nicht so viele Kinder hinein.“

„Er hat aber die ganze Spatzengruppe eingeladen, nur mich nicht!“

„Vielleicht kennt er dich noch nicht gut genug.“

„Wir spielen jeden Tag zusammen. Das kann es nicht sein! Oder meinst du doch?“

„Sei nicht traurig, dann lädst du ihn in drei Monaten zu deinem Geburtstag ein und dann wird er dich bestimmt auch einladen, wenn er wieder eine Party macht.“

„Aber dann muss ich ja noch soooo lange warten!“

„Ich habe eine Idee: Du kannst ihn doch schon nächste Woche zum Spielen einladen.“

„Und wenn er Nein sagt?“

„Er sagt ganz bestimmt nicht Nein.“

„Und wenn doch?“

„Dann spielst du im Kindergarten mit ihm.“

„Er mag mich nicht. Sonst hätte er mich doch auch zu der Weihnachtsparty eingeladen. Am besten, ich gehe ihm aus dem Weg ...“

„Ich bin mir sicher, dass er dich mag. Du bist doch ein guter Spielkamerad. Geh ihm nicht aus dem Weg, geh auf ihn zu!“

„Das schaffe ich nicht.“

Joel seufzte. Die Sache mit der Weihnachtsparty ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er freute sich jetzt kein bisschen mehr auf Weihnachten, alles war plötzlich ganz blöd. Wieso hatte er keine Einladung bekommen? Er gehörte doch dazu! Was war falsch an ihm? Und jetzt riet ihm seine Mutter auch noch dazu, auf Max zuzugehen? Das war doch eine verkehrte Welt. Max müsste auf ihn zugehen!

Am nächsten Tag waren Joel und Max die Ersten im Kindergarten. Sollte Joel doch den Rat der Mutter befolgen? Er mochte Max und war sich sicher, dass sie sehr gut zusammen spielen würden. Er könnte ihm sein großes Tor im Garten zeigen, den Apfelbaum und vieles mehr. Es war die Chance, um Max einzuladen. Doch Joel hatte Angst, sehr große Angst. Er wusste selbst nicht, warum. Wahrscheinlich hatte er sich zu sehr in die Sache hineingesteigert.

Die Kinder spielten gleich auf dem Bauteppich mit den Legosteinen und bauten eine Stadt. „Jetzt oder nie!“, dachte Joel und nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Hast du Lust, vielleicht einmal bei mir zu Hause ...“, setzte er an, doch da kam Kathi dazu und Max hörte seine Frage nicht mehr.

Als Joel an diesem Abend ins Bett gebracht wurde, fragte seine Mutter: „Hast du heute Max eingeladen?“

Joel seufzte. „Als ich ihn fragen wollte, da kam Kathi dazu und er hat meine Frage nicht gehört.“

„Dann frag ihn morgen noch einmal. Gib nicht zu schnell auf, um seine Freunde muss man kämpfen!“

Joel lag noch lange wach. Er war so traurig, dass er nicht zu Max’ Feier gehen durfte. Er hatte gehört, dass die Kinder alle zum Schlittschuhlaufen gehen würden. Wie gerne wäre er auch dabei ...

In der Nacht träumte Joel, dass Max bei ihm zum Spielen war. Sie spielten Fußball im Garten und Joel stand im Tor. Es war ein wunderschöner Nachmittag und die beiden wurden die besten Freunde.

Am folgenden Tag im Kindergarten spielten die Kinder wieder auf dem Bauteppich. Die ganze Zeit überlegte Joel hin und her, wie er Max am besten zu sich einladen könnte, ohne dass es doof klang. Gleichzeitig hatte er Angst vor einem Nein.

„Kommst du morgen auch zu Max’ Party?“, fragte Kathi Joel schließlich.

Joels Herz schlug wie wild.

„Ich bin nicht eingeladen“, antwortete er leise und wurde ganz rot, denn Max hörte zu.

Abrupt hörte Max auf zu spielen. „Aber ich habe dich doch eingeladen!“, rief er aufgeregt.

Joel schüttelte den Kopf.

„Hast du nicht die Karte mit dem Weihnachtsmann bekommen?“

Wieder schüttelte Joel den Kopf.

„Das gibt es doch gar nicht!“, rief Max, überlegte kurz und rannte zu seinem Rucksack, den er im Flur an einen Haken gehängt hatte. Er riss ihn auf und wühlte in ihm herum. Hervor kam eine zerknickte Weihnachtsmanneinladung. „Hier, deine Einladung! Sie war unter die Wasserflasche gerutscht“, sagte er fröhlich und über Joels Gesicht huschte ein glückliches Lächeln.

Jetzt konnte es Weihnachten werden!

Dörte Müller, geboren 1967, wohnt zurzeit mit ihrer Familie in den Niederlanden. Sie schreibt Kinder- und Jugendbücher und veröffentlicht ihre Kurzgeschichten in Anthologien. Am liebsten verbringt sie ihre Zeit mit ihrer Familie am Meer.

*

Weihnachtsmanns Reise um die Welt

Unabhängig ob es stürmt, regnet oder auch schneit,

der Weihnachtsmann bringt Geschenke zur Winterzeit.

Doch ist der Mann mit Rauschebart von Land zu Land

den Menschen mit verschiedenen Namen bekannt.

Deshalb möcht ich erzählen mit diesem Gedicht

von Weihnachtsmanns Brauchtum und Traditionsgeschicht’.

In Russlands Häusern von West bis Ost, Süd bis Nord

bringt der Weihnachtsmann Freude und manch liebes Wort.

Sein blau-weißes Gewand steht für Kälte und Frost,

deshalb trägt er dort den Namen Väterchen Frost.

Ihm zur Seite Snegurotschka, sein Enkelkind,

hilft beim Verteilen der Geschenke – ganz geschwind.

Die USA haben namentlich Santa Claus,

der reitet im Rentierschlitten von Haus zu Haus.

Rutscht heimlich im Kamin in die Stuben ganz sacht

und hat jedem Bewohner etwas mitgebracht.

Als Dankeschön zur besinnlichen Weihnachtszeit

stehen für Santa Claus Milch und Kekse bereit.

In Deutschland kommt der Weihnachtsmann

zu Groß und Klein,

durch die Tür betritt er jedes geschmückte Heim.

Im Schein vom strahlend-leuchtenden Weihnachtsbaumlicht

wird er begrüßt mit einem Lied oder Gedicht.

Dabei trägt im großen Sack auf seinem Rücken

er viele Geschenke, die Herzen beglücken.

Egal welchen Namen der Weihnachtsmann erhält,

zur Weihnachtszeit vor allem die Herzlichkeit zählt.

Wichtig sind Familie und Geborgenheit

und auf den Gesichtern erstrahlt Glückseligkeit.

So möcht ich mit jedem, der den Weihnachtsmann liebt,

abschließend noch sagen: „Danke, dass es dich gibt!“

Susann Scherschel-Peters wurde 1975 in Mühlhausen/Thüringen geboren. Sie ist Mutter, Diplom-Pädagogin, ausgebildete Trauerbegleiterin und arbeitet hauptberuflich im Beratungsbereich. Als Autorin schreibt sie seit 2012 Kurzgeschichten, Märchen, Gedichte und Elfchen, die bereits in verschiedenen Anthologien bei unterschiedlichen Verlagen veröffentlicht wurden. Zudem ist sie nebenberuflich als Dozentin tätig und liest ehrenamtlich in einem Seniorenheim Geschichten, Märchen und Gedichte vor. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Frankfurt am Main.

*

Juliana und die Plätzchendiebe

Juliana, ein junges blondes Mädchen, legte Wert darauf, ihren Namen auf die amerikanische Art mit Tsch zu hören. Das sagte sie jedem, denn woher sollten es die Menschen sonst wissen. Überhaupt ist es immer von Vorteil zu sagen, was man möchte. Natürlich in Verbindung mit einem netten Ton, dann bekommt man es auch viel leichter.

 

Es war Anfang Dezember, Weihnachten nahte. Die Vorbereitungen liefen allerorten auf Hochtouren. In den Straßen blinkte die weihnachtliche Beleuchtung, nur der Schnee ließ dieses Jahr auf sich warten. Alle Kinder waren ungeduldig, und Juliana bildete da keine Ausnahme.

Jeden Morgen stürmte sie zu ihrem Adventskalender und schaute nach, welche Figur sich hinter dem Türchen verbarg, naschen durfte sie die Schokolade allerdings erst nach dem Frühstück. Ihre Mutter achtete auf eine gute Ernährung, weshalb sie fast alles im Bioladen kaufte.

Am vierten Dezember kam Juliana morgens mit einem besorgten Gesichtsausdruck in die Küche, wo schon das Frühstück auf dem Tisch stand.

Ihre Mutter fragte: „Was ist los? Geht’s dir nicht gut?“

Juliana überlegte, ob sie dieses Jahr wie letztes etwas vom Nikolaus bekommen würde. Denn der sechste Dezember fiel auf einen Sonntag, an dem hatten alle Geschäfte geschlossen und keiner arbeitete, das wusste sie.

Nachdem sie der Mama ihre Sorgen erklärt hatte, lachte diese. „Wenn es weiter nichts ist, mein Liebling, diese Angst kann ich dir nehmen. Dem alten Mann und seinen Helfern macht es so viel Spaß, die Kinder zu beschenken, dass er dafür bestimmt auch eine Nachtschicht einlegt und sonntags auf seinen Schlitten steigt.“

„Und ich dachte schon, niemand arbeitet an einem Sonntag“, stöhnte Juliana erleichtert.

„Doch, doch die wichtigen Personen erfüllen ihren Dienst. Ärzte und Krankenschwestern, Köche und Bedienungen in Restaurants, und die wichtigsten, alle, die für ein gelungenes Weihnachtsfest sorgen müssen, arbeiten im Dezember auf Hochtouren.“

Das beruhigte Juliana, und wie fast immer fühlte sie eine Fröhlichkeit, die ihresgleichen suchte. Sie nahm sich ganz fest vor, am fünften Dezember eher ins Bett zu gehen, aber nicht zu schlafen. Juliana wollte sehen, ob der Nikolaus persönlich kam oder vielleicht eine Helferelfe oder Knecht Ruprecht schicken würde. Hellwach lag sie da ... und nichts geschah. Ihre Augenlider wurden schwer und schwerer. „Wahrscheinlich wiegen sie abends doppelt so viel wie am Tag“, ging es ihr durch den Kopf. Immer wenn ihr die Augen zufielen, riss Juliana sie wieder auf, bis sie irgendwann geschlossen blieben.

Am nächsten Morgen waren die bereitgestellten Stiefel übervoll, daneben lag noch einiges, was nicht mehr reingepasst hatte. Ganz oben steckte ein brauner Briefumschlag, den Juliana neugierig aufriss. Zuerst las sie, wer den Brief unterschrieben hatte. Nur ein einziges Wort stand alleine in der letzten Zeile: Nikolaus. Sie konnte nicht glauben, dass er Zeit gehabt hatte, an sie persönlich zu schreiben. So schnell sie konnte, las sie den Inhalt des Briefes.

Liebe Juliana!

Er war tatsächlich direkt an sie adressiert.

Ich schreibe allen neugierigen Kindern eine kleine Bitte. Ich verspreche dir, jedes Jahr zu kommen, jedoch immer erst, wenn du schläfst, also versuch gar nicht, so lange wach zu bleiben, bis ich da bin. Am meisten würdest du mir helfen, wenn du an diesem Tag früher ins Bett gehen würdest als sonst, dann könnte ich schneller deine Schuhe füllen und meine wahnsinnig große Tour fortsetzen. Bis nächstes Jahr.

Und seine Unterschrift.

Mit dem Briefbogen rannte das Mädchen in die Küche. „Mama, Mama, es gibt den Nikolaus wirklich“, schrie sie und wedelte dabei mit dem Papier.

„Ja, natürlich. Was dachtest du denn? Er ist gekommen, obwohl heute Sonntag ist.“

„Hast du ihn gesehen?“, fragte Juliana ihre Mutter.

„Nur gehört und mich ruhig verhalten. Ich wollte ihn nicht stören. Er war in großer Eile.“

Schuldbewusst schaute die Kleine auf den Boden und murmelte: „War wohl meine Schuld. Aber nächstes Jahr ist er hier schneller fertig.“ Dann rannte sie in ihr Zimmer, um nachzusehen, was alles in den Stiefeln war.

Eine Woche vor dem Fest wachte Juliana auf und hoffte wie jeden Morgen, dass endlich der lang erwartete Schnee gefallen wäre. Tatsächlich lag draußen eine dicke Schicht, die sehr schnell höher wurde. Gebannt blieb sie am Fenster stehen, bis sie kalte Füße bekam. Dann rannte sie zu ihrer Mutter.

Bei ihr duftete es herrlich nach Gebäck. Das wunderte Juliana, denn die Mutter betonte immer, die Weihnachtsbäckerei müsse am ersten Advent fertig sein.

So war es auch gewesen. Aber was das Mädchen von Anfang an am besten konnte, noch bevor es sprechen lernte, war, die Menschen in seiner Umgebung mit schönen Augen um den Finger zu wickeln. Deshalb durfte Juliana immer mal wieder ein Plätzchen naschen. Und oft nutzte sie die Gelegenheit, wenn sie sich ihr bot, und stibitzte einen Keks, ohne dass es jemand merkte. Manchmal dachte Juliana: „Wir müssen eine Wunderschachtel haben“, denn die Dose mit den Weihnachtsplätzchen wurde nie leer. Erklären konnte sie sich das nicht, aber es freute sie, denn nachwachsendes Gebäck war großartig. Sie aß und ihre Eltern merkten nichts.

Erstaunt fragte das Mädchen deshalb: „Mama, du backst?“

„Ja, ich glaube, letzte Nacht waren Einbrecher im Haus“, stöhnte sie, die Hände bis zu den Ellbogen mit Mehl bestäubt. „Die schöne Keksdose, die noch von meiner Mutter stammt, haben sie Gott sei Dank stehen lassen, aber den Inhalt nahmen sie komplett mit. Ich dachte die ganze Zeit schon, sie muss ein Loch haben, denn immer wenn ich nachsah, war weniger drin als beim letzten Mal, und jetzt ist sie völlig leer. Ich muss sie füllen, damit wir an Weihnachten was zum Knabbern haben.“

„Ich helfe dir“, bot Juliana geknickt an und wickelte emsig ihre Ärmel hoch. Gemeinsam backten sie mehrere Sorten, und seltsamerweise schlug ihre Mutter immer die Kekse vor, die Juliana meistens aus der Blechdose genascht hatte.

Am Mittag war der Vorrat wiederhergestellt. Vorsichtig durfte sie die alte Büchse in den kühlen Keller tragen. Dort überlegte sie, ob ein Plätzchen weniger auffallen würde, entschloss sich aber, der Versuchung zu widerstehen. Sie nahm sich vor, bis Weihnachten nicht mehr nach unten zu gehen, denn dann wollte sie noch von allen Sorten essen können. Als sie wieder oben war, beruhigte sie die Mutter.

„Wir haben die besten Plätzchen, aber ich glaube, die Einbrecher kommen kein zweites Mal zu uns. Bestimmt brechen sie in andere Häuser ein, um dort probieren zu können.“

Ihre Mama grinste sie an. „Ja, das wäre schön. Für dieses Jahr habe ich wirklich genug gebacken.“

Mit vollen Backen betrat Julianas Vater die Küche. „Schon als Kind konnte ich nicht bis Weihnachten auf die Plätzchen warten. Immer bin ich an die Verstecke geschlichen und habe genascht. Meine Eltern sprachen von einer Weihnachtsplätzchenbande, die nachts ihr Unwesen trieb. Ich bin ihnen dafür dankbar, denn so blieb ich unentdeckt.“

„Diese Bande kenn ich, die waren heute Nacht bei uns.“ Die Mutter lachte, nahm ihren Mann kurz in den Arm und verließ die Küche, um Zutaten fürs Mittagessen aus der Vorratskammer zu holen.

Ihr Vater hob Juliana auf den Arm und flüsterte: „Komm, wir gehen ausprobieren, ob zwei Kekse weniger auffallen.“

„Mensch, Papa, und ich dachte, so viel hab ich doch gar nicht gegessen.“

„Stimmt, das warst du nicht alleine. Auch ich bin immer wieder in den Keller geschlichen. Komm, einmal noch.“

Gern ließ sich die Kleine überreden.

Fred Keller wurde 1971 in Pforzheim geboren und liest fast ebenso lang. Mit vierzig fing er an zu schreiben. Seit 2015 gehört er zu dem Goldstadt-Autoren e.V. Dreimal war er in Anthologien des Papierfresserchens MTM-Verlags vertreten. Anfang 2016 erschien die Kurzgeschichtensammlung „Wenn die Sonne bläst“.

*

Der Stern von Bethlehem

Es ist bitterkalt. Und es schneit, als wolle es heute die ganze kleine Stadt derartig mit Schnee überdecken, dass kein Mensch die Eingangstüren zu den einzelnen Häusern finden kann.

Die beiden Dorfpolizisten, die gleich hinter dem Ortseingangsschild stehen, um Verkehrs- und Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen, heißen Alfred und Georg. Jeder, der die beiden sieht, fragt sich, ob sie denn an Heiligabend nichts anderes zu tun haben, als ausgerechnet hier zu stehen. Und bei diesen verschneiten Straßen schleichen die wenigen Autos, die unterwegs sind, sowieso im Schritttempo.

Alfred und Georg wollen sich gerade in ihr Polizeiauto setzen, um sich ein wenig aufzuwärmen, als sie weit hinten am Himmel etwas ganz hell aufleuchten sehen.

„Du, Alfred“, flüstert Georg, dem vor Kälte sein Mund fast eingefroren ist, „siehst du es auch da hinten am Himmel hoch oben leuchten? Und es glitzert so.“

„Was soll das denn sein? Wenn das etwa ein Flugzeug ist, das die Landebahn bei dem dichten Schneetreiben nicht findet, dann knallt es bestimmt hier, wo wir stehen, herunter und aus ist’s mit uns!“

Georg hat diesen Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als das leuchtende Gefährt auch schon ganz dicht vor ihm auftaucht. Schnell drückt er bei seiner Polizeikelle auf den Knopf zum Anschalten der roten Lampe und streckt seinen Arm aus, um die Kelle gerade noch rechtzeitig zum Anhalten des Gefährtes anzuheben.

Ein langgezogenes „Brrrrr!“ ertönt und das Gefährt steht vor Alfred und Georg.

„Na, die Herren, was ist los? War ich zu schnell?“, fragt der Mann auf dem Gefährt, das seltsamerweise ein Schlitten zu sein scheint. Und ebenso seltsam ist, dass dort vorn kein Motor eingebaut, sondern dass dort ein Rentier angespannt ist. „Aber ihr wisst ja, ich bin der Weihnachtsmann, und als Weihnachtsmann hat man es immer eilig. Die vielen Kinder weltweit und die Erwachsenen, alle wollen heute pünktlich ihre Geschenke bekommen. Da kann es schon vorkommen, dass vielleicht die Geschwindigkeit etwas erhöht war.“

„Sie sind gut, etwas erhöht. Und was heißt hier überhaupt Ich bin der Weihnachtsmann? Heute haben wir schon ein paar Gestalten gesehen, die in roten Mänteln mit Kapuzen durch den Schnee gestapft sind. Wenn das wirklich alles echte Weihnachtsmänner gewesen sind, wie jeder von ihnen behauptet hat, dann ist wohl in meinem Kopf von der Kälte schon irgendetwas eingefroren ... oder ich habe Wahnvorstellungen.“

„Aber ich bin wirklich der echte, der einzig echte Weihnachtsmann“, antwortet der Weihnachtsmann und fügt dann flüsternd hinzu: „Und ich muss mal aufs Klo, dringend.“

„Hahaha“, freut sich Alfred, „das hab ich ja noch nicht gehört, der Weihnachtsmann muss aufs Klo. Jetzt haben Sie sich selbst verraten, dass Sie nicht der echte Weihnachtsmann sind. Ein Weihnachtsmann, der aufs Klo muss! So was gibt’s nicht! Und außerdem … wo ist denn Ihr Navigationsgerät, mit dem Sie die vielen Kinder und Erwachsenen in den Städten und Dörfern finden?“ Alfred kann sich kaum beruhigen und möchte am liebsten bei der Zeitung anrufen und die Geschichte schildern.

Er wird aber von Georg unterbrochen, der ihn an der Uniform zupft. Kaum hat Georg nämlich gehört, dass der Weihnachtsmann aufs Klo muss, verspürt auch er das Bedürfnis, zur Toilette zu gehen. „Du, Alfred, ich gehe mal schnell um die Ecke, aufs Klo im Revier, bin gleich wieder da.“

„Kann ich da nicht fix mitgehen?“, bettelt der Weihnachtsmann. „Ich muss so dringend. Und wenn es geht, achten Sie, lieber Kollege“, dabei zeigt er auf Alfred, „in der Zeit auf Rudolph, das ist mein Rentier vor dem Schlitten.“

„Das wird ja immer toller. Erst behaupten Sie, der Weihnachtsmann zu sein, dann haben Sie kein Navigationsgerät, dann müssen Sie aufs Klo und dann soll ich auch noch auf Rudolph aufpassen. Und Sie werden die Gelegenheit nutzen und abhauen. Wenn Sie um die Ecke gegangen sind, werden Sie losrennen und wir kriegen Sie nicht mehr. Dann stehen wir mit dem Schlitten, den Päckchen und Rudolph, dem Rentier, da. Von wegen. Nichts da!“, bleibt Georg standhaft und macht sich auf den Weg.

Da kommt Alfred eine Idee. „Wenn Sie etwas tun, was nur der echte Weihnachtsmann machen kann, dann will ich Ihnen glauben und Sie dürfen aufs Klo und ich nehme Ihnen auch für zu schnelles Fahren kein Strafgeld ab.“

Der Weihnachtsmann hat nicht viel Zeit zum Überlegen, denn er trippelt schon von einem Bein aufs andere, so dringend braucht er eine Toilette. „Sie haben doch als Polizeimeister auf Ihrer Schulterklappe Sterne aufgestickt, stimmt’s?“, fragt der Weihnachtsmann.

Alfred nickt zustimmend.

„Ich habe auch Sterne. Dort oben die Sterne am Himmel, sehen Sie?“

Wieder nickt Alfred.

„Und jetzt Obacht.“ Der Weihnachtsmann hebt die rechte Hand am ausgestreckten Arm zum Himmel.

 

„Sie sehen dort oben den sehr hell leuchtenden Stern, auf den mein Finger zeigt?“, fragt er Alfred, der auch diesmal wieder zustimmend nickt.

Der Weihnachtsmann macht jetzt mit der flachen Hand eine Bewegung am Himmel, als wenn er eine lange gerade Linie ziehen will. Und dann bewegt er die flache, ausgestreckte Hand von dieser gedachten Linie aus erst nach rechts und anschließend nach links. Und während er dies tut, werden Alfreds Augen immer größer und sein Mund klappt immer weiter auf. Die Sterne, die eben noch für ihn wie ungeordnet am Himmel standen, rücken auf einmal alle zur Seite, die einen weit nach links, die anderen weit nach rechts. Der hell leuchtende Stern, auf den der Weihnachtsmann Alfred vorher aufmerksam gemacht hat, steht nun allein und strahlend am Himmel. Und merkwürdig, es ist trotzdem nicht dunkler geworden auf der Erde.

Alfred ringt mit seiner Fassung. Kopfschüttelnd steht er da. „Nee, nee, das ist nicht wahr, das gibt’s nicht“, kann er nur ungläubig stammeln.

„Doch, das, was Sie sehen, ist wahr. Der Stern dort oben ist der Stern von Bethlehem. Das ist der Stern, der schon den Weisen aus dem Morgenland den Weg zur Krippe geleuchtet hat, damit sie dorthin ihre Gaben bringen konnten. Die hatten damals auch kein technisches Navigationsgerät und sie haben den Stall mit der Krippe trotzdem gefunden. Das kennen Sie doch aus der Bibel?“, fragt er den wie erstarrt stehenden Alfred, der abermals nur bestätigend nicken kann.

„Und so ist es auch heute noch“, fährt der Weihnachtsmann fort. „Ich orientiere mich an diesem Stern und an der Liebe der kleinen und großen Menschen. So finde ich sie und kann bei ihnen meine Geschenke abgeben, so wie es die Weisen vor über zweitausend Jahren in Bethlehem getan hatten. Ein technisches Navigationsgerät benötige ich nicht. Und jetzt wollen wir doch bitte das Sie lassen und uns duzen. Wie klingt denn das: Sie Weihnachtsmann? Das klingt ja beinahe wie ein Schimpfwort. Die Kinder duzen mich doch auch. “

Alfred ist von der Echtheit des Weihnachtsmannes, der vor ihm steht, unzweifelhaft überzeugt und mit dem Vorschlag einverstanden. Er bittet ihn für sein dummes Verhalten um Entschuldigung und führt ihn zur Toilette.

Dort trifft er auch Georg wieder.

„Georg, das ist der echte, der einzig echte, der wahrhaftige, der ich weiß nicht was alles noch Weihnachtsmann. Was ich eben erlebt habe, das glaubst du nicht.“

Tja, wie soll Georg das auch glauben können. Er saß ja die ganze Zeit auf dem Klo. Und dort kann er der Sternenhimmel und auch nicht das merkwürdige Weihnachtsschauspiel mit dem Stern von Bethlehem sehen. Schade aber auch!

Der Weihnachtsmann besteigt nach seinem Toilettengang wieder sein Gefährt und bringt am Sternenhimmel alles wieder mit zwei Handbewegungen in Ordnung.

Nachdem er sich von Alfred und Georg verabschiedet hat blickt er kurz zu seinem Himmels-Navigator auf, hört lächelnd in sein Herz hinein, um die Kinder und Erwachsenen zu erspüren, die immer lieb und artig gewesen sind und die er deswegen gleich besuchen und beschenken will.

Dann feuert er sein Rentier Rudolph mit einem kräftigen „Hohoho“ an. Er hofft, nicht nochmals in eine Geschwindigkeitskontrolle zu kommen. Denn um die Zeit, die er mit den beiden Polizisten zugebracht hat, wieder aufzuholen, muss er jetzt bestimmt viel zu schnell unterwegs sein. Aber um Alfred und Georg macht er einen weiten Bogen.

Charlie Hagist ist seit 47 Jahren verheiratet und hat ein 17-jähriges Enkelkind, für das er seit seiner Pensionierung gerne Geschichten schreibt. In seinen kleinen Geschichten versucht er immer ein Thema, wie z. B. Angst, Übermut, Hilfe, Geheimnis, Freundschaft usw. kindgerecht zu verpacken, sodass die Eltern oder Großeltern einen Gesprächs-Anknüpfungspunkt mit ihren Kindern oder Enkelkindern haben.