Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 5

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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 5
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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Advents- und Weihnachtszeit

Band 5

Martina Meier (Hrsg.)


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2012.

Titelbild: Heike Georgi

Lektorat und Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-174-1 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-323-1 - E-Book

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Inhalt

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Lena und der lebendige Schneemann

Normalerweise können Schneemänner nicht rennen. Sie können sich noch nicht einmal an der langen Nase kratzen, wenn sie von der Sonne gekitzelt werden. Schneemänner stehen still und starr im verschneiten Garten. Deshalb traute Lena ihren Augen kaum, als sie an diesem Abend von der Krippenspielprobe nach Hause ging.

Konnte das sein? Wenige Meter von ihr entfernt drückte sich eine weiße, kugelige Gestalt in den Schatten der Häuser. Sie war mindestens so groß wie ein Erwachsener. Im Schein der Straßenlaterne sah Lena eine spitze Karottennase aufblitzen. Dann verschwand das weiße Kugelwesen im Dunkel der Kirchgasse. Fast hätte es dabei seinen roten Zylinder verloren, so schnell huschte es um die Ecke.

Verdutzt stand Lena da und rieb sich die Augen.

„Wahnsinn! Da ist doch glatt ein Schneemann an mir vorbeigehüpft!“ Sie blickte in die Gasse. Doch von der weißen Gestalt war nichts mehr zu sehen.

„Hm, vielleicht ist es dem Schneemann in seinem Garten zu langweilig geworden“, überlegte Lena.

Aber Schneemänner waren nicht lebendig. Ihnen konnte eigentlich gar nicht langweilig werden! „Und wenn doch? Vielleicht ist das ein ganz besonderer Schneemann. Ein Zauberschneemann, mit dem ich spielen kann!“ Dieser Gedanke gefiel ihr. Einen Schneemann hatte bestimmt sonst niemand zum Freund. Die anderen Kinder würden ganz schön gucken, wenn sie am Samstag mit ihm zur nächsten Krippenspielprobe käme!

„Ich muss ihm hinterher!“

Der Schneemann war zur Talstraße gelaufen, wo es seit zwei Wochen die Schlittschuhbahn gab. Lena kannte sich dort gut aus. Jeden Tag ging sie auf dem Weg zum Schulbus an der Eisbahn vorbei.

Die Kirchenglocken schlugen zweimal. Lena warf einen Blick auf die Turmuhr. Halb sechs.

„Und trödle nicht wieder, hörst du?“, hatte Mama gesagt. „Du kommst gleich nach der Probe nach Hause. Auf dem schnellsten Weg.“

„Versprochen“, hatte Lena geantwortet.

„Du weißt, dass wir essen wollen, wenn Papa von der Arbeit kommt.“

„Jaaa!“ Dann war Lena zur Tür hinausgeeilt.

Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie vom Handy aus anrufen sollte. Aber Mama würde ihr bestimmt nicht glauben, dass sie gerade einen rennenden Schneemann gesehen hatte. Mamas glauben immer nur das, was sie selbst sehen!

Lena eilte die Kirchgasse hinunter. Scheinwerfer beleuchteten die Eisbahn. Jonas und Alina drehten gerade ihre Runden. An einem anderen Tag wäre Lena zu den beiden gelaufen und mit ihnen über das Eis gerutscht. Aber heute hatte sie etwas Besseres vor. Heute suchte sie nach einem Schneemann, der hier irgendwo entlanggelaufen sein musste!

Sie spähte die Straße hinunter. Die Zäune und Vorgärten der Häuser waren mit bunten Lichterketten, mit Rentieren und beleuchteten Weihnachtsmännern geschmückt. Weiß, rot und grün funkelten die Lichter in der Dunkelheit. Lena liebte diesen Zauber. Oft schon war sie mit Mama und Papa an den erleuchteten Gärten vorbeigeschlendert und hatte den Lichterglanz bewundert.

Da! Am Ende der Straße blitzte der weiße Kugelbauch auf. „Dieser Schneemann hats aber ganz schön eilig. Wo will der nur hin?“ Jetzt musste Lena schnell sein, damit sie die weiße Gestalt nicht wieder aus den Augen verlor. Vielleicht konnte sie ihn doch noch einholen und mit ihm sprechen. Wie seine Stimme wohl klingen würde? Wahrscheinlich war sie ganz tief und brummig, wie die von einem Bären.

„Hoffentlich ist er nicht so scheu wie ein Bär“, dachte Lena und erinnerte sich an eine Tiersendung aus dem Fernsehen. Darin hatte der Sprecher erklärt, dass Bären sofort das Weite suchen, wenn sich ein Mensch nähert.

„Vielleicht läuft der Schneemann deshalb so schnell, weil er so scheu ist. Ich werde einfach ganz nett zu ihm sein. Dann merkt er, dass er keine Angst haben muss.“

So schnell sie konnte, rannte Lena auf den Gehsteig und hinter dem Schneemann her.

Hinter dem Feuerwehrhaus bog der Schneemann in den Fliederweg ein. Lena und ihre Eltern wohnten in Hausnummer sieben.

„Ob der Schneemann sich in unserer Straße nach einem neuen Garten umsieht? Vielleicht kann er ja bei uns wohnen. Dann spiele ich jeden Tag mit ihm und wir trinken Kakao und essen Plätzchen. Ob Schneemänner so etwas überhaupt mögen?“

Vor einem roten Bretterzaun blieb der Schneemann stehen und streckte seine Karottennase in Lenas Richtung.

„Das gibt es doch nicht. Er steht tatsächlich vor unserem Haus!“ Lena blieb einen Augenblick stehen. Rennen war ganz schön anstrengend. Erschöpft schloss sie die Augen und atmete aus. Nur für einen kurzen Moment. Doch als sie wieder aufsah, war der Schneemann verschwunden!

Verdutzt sah sie sich um. Als sie hinter die Garage spähte, entdeckte sie ihn.

„Der Schneemann!“ Still und starr stand er im verschneiten Garten. Aufmerksam musterte Lena die weiße Gestalt. Dann zog sie die Stirn kraus. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht.

„Der sieht aber total unecht aus“, stellte Lena fest. „Wie aus Plastik.“

Sie trat durch die Gartentür auf den Schneemann zu. Vorsichtig stupste sie ihn an der Nase. Er wackelte auf seinem Kugelbauch nach links und nach rechts. Sonst gab er keinen Mucks von sich.

Lena schlich um den Schneemann herum. Unter seinem Zylinder hing ein Kabel herab. In diesem Augenblick öffnete sich die Haustür.

„Ach schade, du hast ihn schon entdeckt.“ Papas Stimme riss Lena aus ihren Gedanken. „Ich wollte dich damit überraschen. Darum habe ich mich extra beeilt, dass ich vor dir zu Hause bin. Eigentlich solltest du ihn eingeschaltet sehen.“

„Du meinst, das ist ein beleuchteter Plastikschneemann für den Garten?“

„Ich weiß doch, wie sehr dir die Lichter und die Rentiere in den Nachbargärten gefallen. Und deshalb dachte ich, dass wir dieses Jahr unsere eigene Weihnachtsdekoration im Garten anbringen. War gar nicht so leicht, den Schneemann hierher zu tragen. Das Ding ist fast so groß wie ich.“

Lena blickte Papa noch immer ein wenig verwundert an. Papa bückte sich und zog eine Lichterkette aus einer braunen Einkaufstüte. „Und die habe ich für den Gartenzaun besorgt. Ich dachte, dass wir beide ihn damit schmücken könnten.“

„Dann gibt es keinen lebendigen Schneemann?“ Lena war fast ein bisschen enttäuscht.

„Ein lebendiger Schneemann?“, fragte Papa. „Manchmal kommst du schon auf tolle Ideen, Lena“, lachte er dann. „Aber sag mal: Freust du dich denn gar nicht über unseren Lichterschmuck?“

„Na klar freue ich mich!“, rief Lena. Obwohl sie es ein wenig schade fand, dass sie nun doch nicht mit dem Schneemann Kakao trinken und Plätzchen essen konnte. Doch dann schaltete Papa die Lichterkette und den Schneemann ein. Lenas Augen leuchteten mit dem weihnachtlichen Lichterglanz um die Wette. Und für einen Augenblick hatte Lena das Gefühl, als würde ihr der Schneemann zuzwinkern.

Patrick Grasser wurde 1981 in Nürnberg geboren, wo er auch heute noch mit seiner Frau lebt. Nach dem Zivildienst studierte er Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit. Seit mehreren Jahren arbeitet er als Religionslehrer und Autor. Sein Buch „Tatort Bibel. Religionsunterricht mit Kriminalfällen aus dem Alten und Neuen Testament“ erschien dieses Jahr im Vandenhoeck & Ruprecht-Verlag.

*

Aufruhr im Adventskalender

In 25 Tagen ist Weihnachten. Die letzten Adventskalender sollen gleich an die Supermärkte ausgeliefert werden. Schließlich sollen sie schon morgen bei Kindern und so manchem Erwachsenen an der Wand hängen. Aber was ist denn das für ein großes Durcheinander? Alle Bewohner der Adventskalender laufen und springen wild herum.

Jeder hat gerade gehört, in welchem Fach er stecken soll, und nun müssen alle ihren Platz finden. Du meine Güte! Ein grün-rot-blau-gelb gestreifter Ball hüpft aufgeregt von Bild zu Bild und probiert, in welche Form er passen könnte. Eine Glocke klingt bei jedem Schwung: Ding Dong! Ding Dong! Das Licht der Kerze flackert, so schnell rennt sie von Tür zu Tür.

Wer ist denn das? Eine Tanne schreitet elegant durch die Bilder. Sie weiß sehr genau, wo ihr Platz ist. Sie ist dunkelgrün, groß, mit vollen Zweigen, und sie geht mit erhobenem Wipfel und geradem Stamm. Sie ist mit Lametta und bunt glitzernden Kugeln behangen und sieht einfach bezaubernd aus. Ein Schneemann auf einem Schlitten saust vorbei und hält seinen Hut fest, während er zu dem Schlitten sagt: „Ich hoffe unsere Türen liegen nebeneinander, das wird ein Spaß!“

 

Nun hat jeder seinen Platz. Sie sind hinter 24 Türen verteilt. Der LKW rollt los. Die Auslieferung in die Supermärkte hat begonnen. Dann wird es dunkel.

Als alle wieder aufwachen, hängt der Kalender bereits bei einem Jungen im Kinderzimmer an der Wand über dem Schreibtisch. Wer von euch jetzt glaubt, dass alle nun still in ihren Fächern liegen, bis der Junge ihre Türen öffnet, der täuscht sich ordentlich. Sofort gibt es wieder ein Durcheinander. Also Ordnung kann man das wirklich nicht nennen.

Die Glocke putzt sich mit einem weichen Tuch von oben bis unten, damit sie wieder glänzt. Der Engel spielt mit dem Ball, dem Pilz und dem Hufeisen verstecken, was den Halbmond ziemlich ärgert. Er ist meistens schlecht gelaunt.

Dann ist der Glocke auf einmal kalt: „Kann nicht mal jemand die Tür vom Stiefel schließen?“, fragt sie.

„Wollen wir Plätze tauschen?“, fragt die Schneeflocke, „ich habe es gern kalt.“

„Nein, ich will hierbleiben, ich will nicht umziehen.“

„Du kannst dich an meinem Feuer wärmen“, bietet die Kerze der Glocke an. Damit ist sie einverstanden.

Dass die Tür vom Stiefel schon länger offen steht, fällt ihnen jetzt erst auf. Wo ist der Stiefel überhaupt? Das ist das erste Mal, dass jemand fehlt.

In den nächsten Tagen verschwinden die Zuckerstange, die Puppe und das Geschenk. Sie sind gern allein geblieben, deshalb fiel es den anderen zuerst nicht auf, dass sie nicht mehr da waren.

Doch nun herrscht große Aufregung. Sie kommen zusammen, blicken sich verwundert an, und plötzlich reden alle gleichzeitig.

Dass sie die Puppe, den Stiefel, die Zuckerstange und das Geschenk gar nicht so richtig kennengelernt haben, finden alle traurig. Es weiß auch niemand, wo sie hin sind. Die Glocke hat Angst. Sie findet es schrecklich, nicht zu wissen, was als Nächstes kommt. Und allein ist sie auch nicht gern.

Als sie das sagt, spricht auf einmal die Tanne zu allen: „Niemand von uns weiß, wann er den Kalender verlässt und was dann ist, aber wir können das Beste daraus machen. Wir können zusammen spielen, lachen, tanzen, gemeinsam einschlafen, uns angucken, nichts sagen, in den Arm nehmen, herumtollen, einander erzählen, was wir vorher gemacht haben. Wir können füreinander da sein.“

Die Glocke fragt ängstlich: „Bald ist das alles hier vorbei? Aber was wird denn dann?“

„Wieso vorbei, ich komme dann in einen anderen Kalender, ist doch klar. So geht es immer weiter“, sagt die Orange, und murmelt noch hinterher: „Vorbei! Na so was. Es ist doch nicht vorbei.“ Sie schüttelt noch ihre Schale, als sie sich auf das Schaukelpferd schwingt.

Das gefällt der Glocke schon etwas besser, wieder in einen anderen Kalender zu kommen. Der Schneemann aber sagt: „Na, ich denke, ich komme als Nächstes dahin, wo ein paar riesige Berge sind, damit ich den ganzen Tag dort mit anderen Schneemännern die Berge herauf- und herunterlaufen kann. Hey, Schlitten, willst Du mit?“

Der Schlitten will mit, ist ja klar. „Ich mache etwas ganz anderes, wenn ich hier aus dem Kalender komme“, ruft der Wichtel, und der Nikolaus sofort hinterher: „Ich auch!“

Die zwei sind sich einig. Die beiden haben immer viel zu tun gehabt. Sie haben ganz viele Geschenke gebastelt, die Werkstatt aufgeräumt, immer die Säcke vollgepackt, schwer getragen und dafür gesorgt, dass kein Kind davon etwas mitbekommt. Nein, sie wollten jetzt etwas Neues erleben.

Sie alle merken, dass jeder an etwas anderes glaubt, was nach dem Adventskalender passieren wird. Und so öffnet sich jeden Tag eine neue Tür, und sie werden immer einer weniger. Da sie aber festgestellt haben, dass immer erst am Morgen jemand den Kalender verlässt, haben sie angefangen, sich am Abend vorher zu verabschieden.

Manchmal singen sie ein Lied gemeinsam. Das Kleeblatt kann unglaublich viele Lieder auswendig, aber der Engel kennt auch einige. Oder der Pfefferkuchen erzählt eine Geschichte über Gewürze, heiße Backöfen und Pfefferkuchenhäuser. An einigen Tagen sitzen sie auch nur zusammen. Dann scheinen die Kerze und der Halbmond, und niemand sagt ein Wort.

Das Hufeisen und das Schaukelpferd wünschen sich an einem Abend etwas bei der Sternschnuppe, für den Fall, dass einer von ihnen am Morgen den Kalender verlässt. So vergehen die Tage, und sie werden immer weniger, bis schließlich nur noch die Glocke übrig ist.

Den letzten Tag und die letzte Nacht ist sie allein. Sie geht noch einmal von Tür zu Tür, die nun alle offen stehen bis auf eine. Sie erinnert sich bei jedem Bild, das sie anschaut, was sie alles gemeinsam erlebt haben.

Dann muss sie lachen, und es erklingt wieder ihr Ding Dong! Ding Dong! Das war eine schöne Zeit gewesen. Sie hatten einander getröstet, miteinander gelacht, auch mal gezankt und manchmal war es einfach ruhig. Die Glocke weiß immer noch nicht, was am Morgen auf sie wartet, wenn sich ihre Tür öffnet. Deshalb ist sie aufgeregt und ein kleines bisschen unsicher, aber Angst hat sie keine mehr. Sie ist auch traurig, aber das gehört dazu. So ist das eben, auch im Adventskalender.

Simone Funk wurde 1974 in Kiel geboren und lebt seit 2002 mit ihrem Mann in Köln. Sie engagiert sich ehrenamtlich im Ambulanten Deutschen Kinderhospizverein. In ihrer Freizeit liest Simone Funk viel, schreibt Lyrik und Kurzgeschichten, geht gern auf Reisen. Sie liebt die Erholung in ihrem Garten, Kochen und Sport. Bisher erschien von ihr das Gedicht „Eisblumen“ im Lyrikletter der Zeitschrift „Kaskaden“.

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Überraschung zu Weihnachten

„Hallo Maike, wo gehst du hin?“ Marie sieht ihre Freundin erwartungsvoll an.

„Ich habe wenig Zeit, Marie, da ich in die Schule muss. Wir wollen uns etwas für Weihnachten überlegen. Vielleicht üben wir wieder ein Krippenspiel ein wie im letzten Jahr. Unsere Lehrerin sagt es uns heute. Kommst du denn im nächsten Jahr an unsere Schule, wenn du eingeschult wirst?“

„Ja! Ich komme im nächsten Jahr mit meiner Freundin Hanna in die Schule. Ich freue mich darauf. Hanna freut sich gar nicht. Sie sagt, dass man in der Schule sehr lange still sitzen muss, und das gefällt ihr nicht.“

„Na, das ist gar nicht so schwer, da es in der Stunde nicht langweilig ist. Da ist es gar nicht so schwer, aufzupassen, was der Lehrer sagt. Jetzt muss ich mich beeilen. Machs gut. Bis bald.“

Marie schaut Maike fröhlich an und winkt zum Abschied.

Dann geht sie ins Haus, zieht ihren Mantel und die Schuhe aus, und geht gleich in ihr Zimmer. Sie holt schnell das Weihnachtsbuch vom letzten Jahr hervor und blättert nachdenklich darin.

„Was könnte ich denn an Weihnachten einüben für Mama und Papa? Und Oma und Opa kommen doch auch zu uns. Das ist an jedem Weihnachtsfest so, dass die ganze Familie das Fest zusammen feiert. Das finde ich so schön, und ich könnte doch auch als Überraschung für alle etwas einüben“, grübelt sie vor sich hin.

„Schade, dass ich nicht lesen kann, dann würde ich sicher etwas finden“, murmelt sie gerade, als ihre Mama leise ins Zimmer kommt.

„Was möchtest du denn lesen? Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn du dein Zimmer aufräumst, bin ich gerne bereit, dir die gewünschte Geschichte vorzulesen. Welche soll es denn sein?“

„Das weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall etwas von Weihnachten.“

„Das ist doch wunderbar. Ich habe ein neues Weihnachtsbuch heute in der Stadt gesehen. Das bringe ich morgen mit. Darin suchst du dir eine Geschichte mit meiner Hilfe aus und ich lese sie dir vor. Sollen wir es so machen?“

Die Mutter schaut sich das Durcheinander im Zimmer ihrer Tochter an. Marie sieht es und sagt: „Darf ich das Aufräumen morgen machen? Heute bin ich nicht so gut drauf.“

„Na gut. Aber vergiss es nicht.“ Die Mutter geht in die Küche, um das Abendbrot zu richten.

Plötzlich schellt es. Als sie die Tür öffnet, sieht sie das Nachbarmädchen Maike. Die Mutter freut sich über den Besuch und führt Maike ins Kinderzimmer.

„Hier ist Besuch für dich!“, ruft sie fröhlich und geht wieder in die Küche.

Die beiden Mädchen haben sich viel zu erzählen. Plötzlich sagt Maike: „Das Wichtigste hätte ich fast vergessen. Hast du Lust, bei unserem Krippenspiel mitzumachen? Uns fehlen Engel, und du hast so schönes langes Haar. Außerdem kannst du gut singen. Ich habe es im Kindergottesdienst einmal gehört. Da hast du ein Lied gesungen.“

„Ja, klar mache ich das. Ich freue mich, dass du an mich gedacht hast, danke.“

„Na gut, ich sage es meiner Lehrerin. Dann bis morgen“, sie winkt Marie zum Abschied zu.

Marie eilt in die Küche, um ihrer Mutter das alles zu erzählen. Aber dann fällt ihr ein, das könnte ja ihre Überraschung zu Weihnachten werden. Dann darf sie es aber nicht verraten. So fragt sie nur, ob das Essen fertig ist.

Sie ist richtig stolz, dass ihr das früh genug eingefallen ist und sie verrät auch in den nächsten Tagen nichts von ihren Plänen.

Am anderen Tag holt Maike sie zum Üben ab. Der Mutter sagen sie, dass die Lehrerin es erlaubt hat, dass Marie beim Üben zuschaut.

Maike macht Marie mit den anderen Schülern bekannt. Dann kommt die Lehrerin herein und fragt, ob alle Spieler da sind und wer jetzt den großen Engel spielt. Da wird Marie vorgeschoben, und die Lehrerin fragt erstaunt: „Wer bist du denn?“

Maike erklärt alles, und nun kann Marie jeden Tag mit in die Schule gehen zum Üben.

Dann kommt der große Tag. Marie hat inzwischen ihre Eltern und Großeltern zu diesem Nachmittag eingeladen, und sie sind natürlich gern gekommen. Nur hat es sie erstaunt, dass Marie mit Maike schon zwei Stunden vor der Anfangszeit in die Schule gehen musste.

„Das ist doch ungewöhnlich“, meint die Mutter und schaut nachdenklich den Vater an. Aber dieser ist ganz zuversichtlich, dass alles in Ordnung ist. Inzwischen sitzen alle gespannt im weihnachtlich geschmückten Klassenzimmer.

Plötzlich wird es still. Das Licht geht aus und der Vorhang vor der Bühne auf. Man hört ein leichtes Raunen. Das Bühnenbild ist wunderschön. Die Kinder haben sich große Mühe gegeben. Ein Kind liest die Weihnachtsgeschichte. Dann kommt Maries Auftritt.

„Ein richtiger Engel!“, ruft ein Kind aus der ersten Reihe, und alle schmunzeln.

Doch die Eltern von Marie werden ganz unruhig. „Das ist doch unsere Tochter“, raunt der Vater der Mutter ins Ohr.

„Oh ja, das ist Marie“, flüstert sie.

Marie hört von alledem nichts. Sie singt mit Inbrunst das Weihnachtslied Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Sie bekommt viel Beifall dafür und das Krippenspiel geht weiter.

Nach einer Weile kommt sie mit vielen kleinen Engeln auf die Bühne, und sie singen gemeinsam das Lied Vom Himmel hoch, da komm ich her.

Eine Strophe muss sie alleine singen. Und sie singt mit ihrer glockenreinen Stimme: „Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron, der uns schenkt seinen einʼgen Sohn. Des freuet sich der Engel Schar und singet uns solch neues Jahr.“

Alle sind überrascht, am meisten natürlich die Eltern und Großeltern von Marie.

Die Kinder bekommen viel Beifall. Danach gehen alle in fröhlicher Weihnachtsstimmung nach Hause. Marie erzählt nun ihrer Familie von dem fleißigen Üben, und laut und fröhlich ruft sie: „Das ist meine Überraschung für euch zu Weihnachten.“

„Die ist dir gelungen!“, rufen ihre Eltern. „Uns hast du damit sehr überrascht. Du hast uns allen eine große Freude gemacht“, und sie nehmen ihre Marie ganz fest in die Arme.

Lore Buschjohann wurde 1929 geboren und lebt in Gütersloh. Seit 27 Jahren leitet sie eine Seniorentanzgruppe. Neben Fotografieren, Lesen und Gartenarbeit liebt sie vor allem das Schreiben. Lore Buschjohann hat ihre Lebenserinnerungen für Familie und Freunde mithilfe des Papierfresserchens MTM-Verlages in mehreren Büchern festgehalten und Kindergeschichten in verschiedenen Anthologien veröffentlicht.