Fettie macht 'ne Arschbombe

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Fettie macht 'ne Arschbombe
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Martin Arz

Fettie macht ’ne Arschbombe

April 2021

Cover und grafische Gestaltung von Hirschkäfer Design/Coriander P.

© auf alle Texte und alle Fotos: Martin Arz

© Hirschkäfer Verlag, München 2021

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung in elektronischen Systemen.

E-Book-ISBN 978-3-940839-78-7

Besuchen Sie uns im Internet:

www.hirschkaefer-verlag.de

Inhalt

Heißa Safari!

Heu-schrecken im Knuspermantel

Kaffeefahrt ins Reich der Mitte

Dit is Balin, wa?

So, hab ich mir gedacht oder Fettie macht ’ne Arschbombe oder Senioren in Glitzerkleidern

Indien auf die Schnelle …

Samos und die skandinavischen Seekühe

Heißa Safari reloaded

Promi-Flug

Eviva Valencia

Die weiße Witwe

Den Haag, Niederlande, 2019

Mein »Wer wird Millionär?«-Tagebuch

Die Max Pfeffer-Reihe von Martin Arz

Nachwort

Die Max Pfeffer-Reihe von Martin Arz


Heißa Safari!

Kenia, 1998

Ein Nilpferd steht mitten in einer üppig grünen Wiese und guckt vor sich hin. So weit das Auge reicht – üppig grüne Savanne und mittendrin ein einsames Nilpferd. Das ist an und für sich nichts Ungewöhnliches mitten in einem afrikanischen Nationalpark. Doch dieses Nilpferd ist augenscheinlich mutterseelenallein. Kein anderes Tier weit und breit. Zugegeben, die Savanne links vom Nilpferd ist üppiger grün als der Rest. Joe, unser Guide, bringt den großen Jeep zum Stehen und wir dürfen aussteigen. Keine gefährlichen Raubtiere in Sicht. Wohl wissend, dass die meisten tödlichen Wildunfälle nicht mit Löwen passieren, sondern just eben mit Nilpferden, die erstaunlich schnell rennen können und über gewaltige Hauer verfügen, pirschen wir uns mit staksigen vorsichtigen Schritten etwas näher heran. Carlo bringt die Kamera in Anschlag, und ich werfe mich in Pose, denn das gibt ein sensationelles Foto: Ich vor einem einsamen Nilpferd mit nichts als Landschaft ringsum. Doch schneller als wir den Auslöser drücken können, macht es »platsch«, und es gibt nur noch nichts als Landschaft ringsum. Das üppige Grün links von dem monströsen Tier entpuppt sich als komplett zugewachsener See, in den das Hippo eben eingetaucht ist. Es bleibt verschwunden unter dem dichten Teppich aus Wasserpflanzen. Ein klein wenig enttäuscht steigen wir wieder ein. Nun soll es zum Camp gehen, denn wir sind eben erst angekommen, haben die erste Safarifahrt mit Gepäck auf dem Weg zum Camp absolviert.

Rückblende: Ein paar Wochen vorher fragte mich Carlo: »Hast du nicht mal Lust auf eine Safari? Ich habe nächsten Monat drei Tage Nairobi.«

Ähnliche Fragen war ich damals gewöhnt, denn damals führte ich das verwöhnte Luxusleben eines Lufthansa-Angehörigen. Carlo, Purser bei Lufthansa, also Kabinenchef von Beruf – und nicht »Perser«, wie einmal die Bild-Zeitung in einem Artikel über ihn schrieb –, hatte mich als Lebenspartner eingetragen, und so konnte ich die Vorzüge des spottbillig In-der-Weltgeschichte-Herumfliegens genießen.

Wollen wir mal ein wenig Neid generieren und Einblicke in das Luxusleben des Lufthansa-Angehörigen werfen, denn das lief dann in der Regel so:

Carlo: »Du, nächsten Monat habe ich einen Tag in Rom frei …«

Ich: »Koffer ist schon gepackt.«

Ich war noch nie zuvor in Rom gewesen. Und schon bummelten wir an einem milden Dezembertag durch die Ewige Stadt, Carlo verdiente sogar noch Geld dabei. Natürlich musste man sich aufgrund der meist sehr begrenzten Zeit mit dem Sightseeing beeilen. Doch das haben wir schnell perfektioniert. In Rom benötigten wir für Forum Romanum über die komplette Altstadt bis zu Spanischen Treppe keine zwölf Stunden, wir waren sogar noch im Petersdom sowie in den Vatikanischen Museen und haben im Caffè Greco einen Espresso zu Schockerpreisen getrunken. Im Eiltempo eroberte ich auf diese Weise Barcelona, Stockholm, Amsterdam, Budapest, San Francisco, Tel Aviv, Kapstadt, Jerusalem, New York und Bangkok. Ich gewöhnte mich so sehr an das schnelle Stadt-Checken, dass ich mich heute nach einem Tag Mega-Metropole in der Regel bereits zu langweilen beginne, weil nach acht Stunden schon alles besichtigt ist, auch wenn die Füße wunde, blutende Klumpen sind.

Als Lufthansa-Angehöriger, der gerne mal mitflog, wenn der Lufthansa-Angestellte »on duty« war, also auf Arbeit, gewöhnte ich mich leider auch schnell an Fünfsternehotels und Luxusherbergen mit üppigstem Frühstücksbuffet. Zahlen musste ich ohnehin nur mein Ticket, das mich teilweise nur 10 oder 20 Prozent vom regulären Preis kostete. Natürlich sind auch 300 Mark (damals gab es noch diese Währung, heute wären das rund 150 Euro) viel Geld, doch für einen Flug mit Businessclass-Upgrade nach Bangkok und drei Nächte im Kempinski (damals noch in der Sukhumvit Soi 11 – später abgebrannt und nie wieder aufgebaut) oder im Central Plaza (tolle Poollandschaft!) zahlt man das gerne. Da ich aber auch dieses Geld und noch ein bisschen mehr verdienen musste, konnte ich leider nicht so oft mit, wie ich wollte. Allein diese Einschränkung hätte sicher eine Runde Mitleid verdient. Mehr noch, denn nicht immer war mir das Glück hold. Gut, nach Kapstadt gings sogar First Class, aber mir steckt noch heute der Vierzehn-Stunden-Flug nach San Francisco in den Knochen, den ich in der Küche stehend verbringen musste. Nur für Start und Landung durfte ich in der Schlafkabine der Piloten sitzen. Den Rest der Zeit lümmelte ich in der Galley (so nennen wir Flieger die Küche) für die First herum. Musste Champagner schlürfen, Obstbrände verkosten, Kaviar testen, Krabben schlabbern und Pralinés knabbern. Denn die Stewardessen der First ließen alles, was sie den Gästen servieren sollten, von mir vorkosten. Hartes Schicksal. Vierzehn Stunden später landete ich sturzbesoffen, mit dicker Plauze und in selbige hineingestandenen Beinen in San Fran (sprich: Säänfrään, so nennt man heute San Francisco, nur Gestrige sagen noch Frisco).

Im Laufe der Jahre wurde ich wählerisch und flog z. B. nur noch nach Thailand mit, wenn es einwöchige Umläufe gab, d. h. die Crew eine Woche frei hatte. Dann konnten wir mal für ein paar Tage nach Phuket ins traumhafte Marina Cottage. Oder eben nach Kenia, wenn eine Safari winkte.

Fast die ganze Crew hat Angehörige dabei; Brüder, Schwestern, Väter (aber keine Mütter), Lebensgefährten jeden Geschlechts. Alle wollen Tiere schauen. Der Mann einer Stewardess hatte vorab per E-Mail für die gesamte Mannschaft eine Tour gebucht. Und so werden wir in aller Herrgottsfrühe eines schönen Septembermorgens vom Safari Park Hotel in Nairobi abgeholt und zu einem Hangar auf dem Flughafen gefahren, wo unsere Minimaschine wartet. Der Flieger Marke »Seelenverkäufer« setzt uns nach gut zwei Stunden Flug mitten in der Wildnis aus. Nur ein gelber Windsack, der an einer Stange befestigt munter im Mittagswind weht, kündet von menschlicher Zivilisation. Und die beiden Jeeps, die uns in Empfang nehmen. Eine menschliche Behausung ist weit und breit nicht in Sicht. Unser Fahrer heißt Joe, ein freundlicher kleiner Kerl.

Neben Carlo und mir steigen noch zwei Stewards, der prinzessinnenhafte Stefan und der kerlige Markus, sowie die Stewardess Giovanna mit ihrem italienischen Vater (der kein Wort Deutsch spricht) ein. Wir bleiben für die gesamte Safari eine Mannschaft.

Los gehts, die Geier warten schon. Genüsslich knabbern sie an einem Gnukadaver. Sie sind die ersten Tiere, die wir sehen. Noch vor dem Hippo in der grünen Seewiese. Nach dem Hippo ziehen an uns endlose Gnu- und Zebraherden vorbei. Massenwanderungen mitten durch den Masai Mara Nationalpark im Südwesten Kenias, der unmittelbar an den Serengeti-Park in Tansania grenzt. Wir haben eine günstige Safarizeit gewählt, denn im September wandern die großen Herden von hier nach da und von da nach dort. Endlose Ströme von Zebras und Gnus. Massen, Millionen, bis zum Horizont ein einziger Fluss aus Zebra- und Gnuleibern. Ab und an kommen wir an den Überresten von Raubtiergelagen vorbei. Mein Sammeltrieb juckt mir in den Fingern. Zu gerne würde ich den einen oder anderen Schädel mitnehmen. Leider hängt an den meisten noch zu viel Fleisch, und ich glaube nicht, dass ich im Camp Gelegenheit haben werde, die Schädel auszukochen. Bei einem zerlegten Zebra, durch dessen Überreste pietätlos die Spuren zahlloser Jeeps führen, hält Joe an. Zwischen den Hufen und der halben Karkasse findet er den bestens erhaltenen Schweif. Ein kurzes Stück schwarz-weiß gestreifter Schwanz mit dicker schwarzer Quaste.

 

»Guter Fliegenwedel«, grinst Joe, fächelt sich mit dem Stück toten Tiers Luft zu und steigt wieder in den Wagen.

Die Sau! Wie ich ihn beneide!

Im Governor’s Camp, unserer Safari-Station, kommen wir dann doch noch zu unserem Foto mit Hippo. Denn vor dem Haupthaus liegt ein mächtiger Nilpferdschädel bleich in der Sonne. Wir hocken uns gleich fotogen daneben.

Unsere Unterkünfte im Governor’s Camp sind komfortable Zelte, die sich in einer Flussschleife aneinanderkuscheln. Der Fluss bildet eine natürliche Barriere zur wilden Savanne, nur von einer Seite kann man das Camp auf dem Landweg betreten. Gleich vor unserem Zelt befindet sich ein hölzernes Absperrgitter, und dahinter geht es mehrere Meter steil bergab. Unten rauscht der Fluss, darin tollen jede Menge Nilpferde. Gut, dass die nicht klettern können. Die Zelte im Camp sind geräumig. Zwei Betten, Schreibtisch und Schrank. Dazu eine gemauerte Open-Air-Dusche im hinteren Teil. Richtig romantisch. Richtig Tania-Blixen-mäßig.

Nach dem Mittagessen geht es los zur ersten richtigen Safari. Und kaum haben wir das Camp verlassen, stolpern wir über die ersten Löwen. Ehrlich gesagt stolpern wir nicht, zahllose andere Jeeps, darunter ein japanisches Fernsehteam, weisen uns den Weg. Die Fahrer der unterschiedlichen Camps verständigen sich per Walkie-Talkie über lohnenswerte Ziele. Das kleine Löwenrudel bietet tourismusgerecht alles, was die Fotoapparate begehren: Ein abgenagtes Gnuskelett, einen prächtigen Pascha, der döst und herzhaft gähnt, ein paar wachsam umherschleichende Löwinnen und zahlreiche putzige Babylöwen, die drollig herumtapsen und Adoptionsgelüste bei uns wecken.

Nach und nach verstreuen sich die Jeeps wieder. Nur das TV-Team bleibt, vermutlich froh, endlich in Ruhe drehen zu können. Wir düsen quer durch die Landschaft. Eigentlich sollten sich die Führer an die ausgefahrenen Pisten halten, doch Joe will uns was bieten und schürt querfeldein. Wir kommen an Dörfern vorbei, Grals, die von hohen Dornenhecken umgeben sind. Wir genießen Landschaft, Landschaft, Landschaft. Traumhafte Weiten, die man nicht vergisst. Gelegentlich sehen wir ein paar Kinder auf einsamer Flur. Sie winken uns zu. Haben wir nicht rund 200 Meter entfernt Löwen beobachtet? Egal, die Einheimischen werden sicher wissen, was sie tun. Erstaunlich oft sind alte Frauen unterwegs. Meist alleine. Ist das Afrikas Antwort auf das Rentenproblem? Mpambo, schick die Alte raus, Löwen sind in der Nähe!

An diesem ersten Tag bleiben die Löwen der Höhepunkt. Gerne hätten wir die Big Five gesehen: Löwen, Elefanten, Nilpferde, Nashörner und Kaffernbüffel. Nun denn, immerhin die Big Two. Die endlosen Paraden an Zebras und Gnus beeindrucken uns längst nicht mehr. Die ersten »Gnus raus!«- oder »Zebrafreie Zone«-Rufe ertönen in unserem Jeep.

Abends wird es zapfig kalt. Wir, die wir aus dem europäischen Sommer kommen und auf den afrikanischen Sommer gesetzt haben, ziehen alles über, was wir finden können. Dick eingemummt geht es zum Abendessen. Wir freuen uns auf Zebraschnitzel, Giraffengulasch oder Gnukeule, dazu Maniok und Yams oder Foufou. Die Enttäuschung folgt auf dem Fuß. Man kredenzt uns Schweinelendchen an Kartoffeln auf Brokkolispiegel. Wie bei Muttern. Also kippen wir an der Semi-Open-Air-Bar, vor der ein riesiges Lagerfeuer lodert, noch ein paar kenianische Biere, bevor wir in die Zelte torkeln und bibbernd vor Kälte Schlaf suchen. Am nächsten Morgen soll die erste Fahrt bereits um 6 Uhr losgehen. Da können wir uns keine durchzechte Nacht leisten.

Die Nacht ist erfüllt von tierischen Geräuschen. Vor allem die Nilpferde im Fluss vor unserem Zelt prusten und grunzen vor sich hin. Es kracht zwischenzeitlich, als würden direkt neben dem Zelt Baumfällarbeiten im Gang sein. Gerade hat man die Augen für fünf Minuten geschlossen, reißt einen schon das fröhliche »Good morning, Sirs!« aus dem Schlaf. Ein grinsender Boy steht im Zelt und serviert uns den Kaffee ans Bett. Es ist schon halb sechs, und wir müssen los.

Kaum verlassen wir das Zelt, prallen wir zurück. Vor uns baut sich ein Mann mit Gewehr auf. Überfall oder Geiselnahme, schießt es uns durch den Kopf. Der Mann verwehrt uns den Weg zur Rezeption. Unmissverständliche Gesten seinerseits fordern uns auf, zu schweigen und die andere Richtung einzuschlagen. Wie benommen folgen wir seinen Anweisungen. Mitten im Camp treffen wir auf die anderen. Verstörte Gesichter, kaum einer wagt zu flüstern. Die Gewehrmänner haben alle zusammengetrieben. Ein Rudel unausgeschlafener Bleichgesichter. Nun denn, immerhin sterben wir auf Safari. Dann erfüllt ein tosendes Krachen die Luft. Wo eben noch ein Baum zwischen den Zelten gestanden hat, stehen nun riesige dunkle Schemen.

Elefanten.

Eine kleine Herde mit vier Kühen und mehreren Kälbern ist in das Camp eingedrungen und futtert sich durch die Zeltreihen. Doch keine Einbildung, dass wir in der Nacht Baumfällarbeiten im Gang wähnten. Daher also die bewaffneten Ranger, daher also unser mit Waffengewalt erzwungenes Schweigen. Eben beginnt die Morgendämmerung, wir dürfen nicht mit Blitz fotografieren, wie sich die Kolosse sanft durch das Camp schieben und die Zelte umtanzen, während sie die Bäume brutal niedermähen. Leise pirschen wir zur Rezeption, wo die Jeeps und die Fahrer warten. Der Tag kann nach diesem Erlebnis eigentlich gar nicht mehr getoppt werden.

Dramatisch steigt eine glutrote Sonne über der endlosen Savanne auf. Tiefe Wolken künden Regen an. Kaum haben wir das Camp verlassen, treffen wir auf Löwen. Ungewöhnlicherweise kein Rudel, sondern nur ein Paar, nur er und sie. Er hat keine sandfarbene Mähne wie die Männchen am Vortag, sondern eine schwarze. Joe, unser Fahrer, verständigt per Walkie-Talkie die anderen Jeeps. Bevor die eintreffen, setzen wir unsere Fahrt fort. Nun geht es Schlag auf Schlag. Wir sind die Avantgarde, Joe muss ständig die anderen von unseren Funden in Kenntnis setzen. Erst stoßen wir auf einen mächtigen Elefanten, der mutterseelenallein in der Weite steht und sich bei bestem Licht geduldig fotografieren lässt, dann entdecken ich Giraffen, die zwischen Akazien äsen und uns fast auf Armeslänge an sich heranlassen. Anschließend weist uns der Kadaver eines gerissenen Gazellenbabys den Weg zu einem Leoparden. Den sehen wir dann allerdings nur durch ein Fernglas in weiter Ferne auf seinem Baum ruhen. Im Nachbarjeep sitzt ein einzelner älterer Herr, der den Leoparden schon länger beobachtet und sichtbar ungehalten darüber ist, dass wir Pöbel die Raubkatze ausfindig gemacht haben. Wir fahren weiter, bevor die anderen Jeeps eintreffen und der alte Mann vollends ausflippt. An einem Fluss dürfen wir aussteigen. Im Wasser unterhalb der Böschung tummelt sich eine Riesenherde Nilpferde. Dann gibt uns Joe ein Zeichen, leise und vorsichtig zu sein. Wir pirschen ein wenig näher an den Rand der Böschung heran und blicken nach unten. Direkt unter uns sonnt sich ein Krokodil von mindestens 2,50 Meter Länge. Wir prallen zurück. Ein falscher Schritt … und es geht uns so wie den Gnus, die ein wenig weiter flussaufwärts die Furt durchqueren wollen. Ein bis drei Tiere laufen den Panzerechsen direkt in die Fänge. Der Fluss wird zu einem blutigen Whirlpool. Völlig unbeeindruckt davon schwimmen und tauchen die Nilpferde, wohl wissend, dass sie die wahren Monster der Savanne sind.

Auf der Weiterfahrt stoßen wir auf Hyänen, die ein Schlammloch für die Schönheitspflege belagern und uns misstrauisch hechelnd fixieren. Wenn man weiß, dass selbst Löwen vor einem Rudel Hyänen Angst haben, dann bleibt man gerne auf Distanz. Doch nur wenige Hundert Meter weiter bleibt eine Hyäne einem Kudukalb nicht genug auf Distanz. Die Kudumutter steht blökend in der Gegend, das Kind folgt einfach nicht. Die einzelne Hyäne zieht langsam ihre Kreise um das Kalb, näher und näher kommt sie. Drei Jeeps haben sich versammelt, die Insassen beratschlagen aufgeregt, wie man denn das putzige Tierbaby vor der bösen hässlichen Hyäne retten könnte. Schon tauchen am Horizont weitere Hyänen auf. Ringsum ziehen völlig unbeeindruckt endlose Gnu- und Zebraherden vorbei. Thomson-Gazellen und Oryx-Antilopen würdigen die prekäre Lage nicht eines Blickes, und auch alle anderen Kudus außer der Mutter zeigen sich absolut desinteressiert. C’est la vie, n’est-ce pas?

Wir Menschen hingegen, die zu viele Disneyfilme mit sprechenden Rehen gesehen haben, beschließen Folgendes: Der kleine Jeep mit dem jungen Paar aus dem Schwäbischen (er ist Selbstfahrer) wird die Hyäne forttreiben, der große Jeep mit den Engländern wird die nahenden Hyänen in Schach halten, und wir haben die Aufgabe, das Baby zur Mutter zu treiben. Mama Kudu wird es uns danken. Alles leichter gesagt, als getan. Die Schwaben spielen mit der einzelnen Hyäne munteres Quersavanneeinrennen und wildes Hakenschlagen, bis die Stoßdämpfer qualmen. Die Engländer haben nicht den Hauch einer Chance, das nahende Rudel aufzuhalten, das sich strategisch günstig aufteilt und mit den Tommys Katz und Maus spielt.

Leider entpuppt sich das Kudukalb als absolut störrisch und weigert sich, zu seiner immer noch rufenden Mutter zu gehen. Da findet es unseren Wagen schon viel interessanter. Es nähert sich schnuppernd und rollt drollig mit den großen, feuchten Bambiaugen. Giovanna schmilzt seufzend dahin. Nach langen Minuten wird es unserem Fahrer Joe zu dumm. Er steigt aus, packt das kleine Tier und hebt es in den Wagen. Giovanna, die vorne neben Joe sitzt und der Joe das Kalb auf den Schoß legen will, weigert sich entschieden. Seufzend schmelzen ja, aber bitte nicht anfassen. Also muss der prinzessinnenhafte Stefan den Babysitter spielen. Mit glasigen Augen balanciert er das Kudubaby auf seinen Oberschenkeln und streichelt es verzückt. Meinen Einwand, dass die Mutter das Kind nie wieder annehmen wird, weil es nun nach Menschen riecht, beachtet niemand. Wozu habe ich schließlich alle Grzimek- und Sielmann-Filme gesehen und wollte einst »Naturforscher« werden?

»Werft es doch gleich der Hyäne vor«, sage ich resigniert und ernte dafür nur böse Blicke. Die andern sind auf einer Rettungsmission, da stören »Naturforscher«-Weisheiten.

Wir fahren auf Mama Kudu zu, um ihr das Kind zu übergeben. Doch anders als bei Disney flüchtet das Tier vor uns. Wir folgen der Guten minutenlang. Vergebens. »Hallo, wir wollen dir doch nur das Baby zurückgeben!«, ruft Stefan überflüssigerweise mit schmeichelnder Kuschelstimme und knuddelt das Kleine mit dem seidenweichen Fell in seinen Armen. Schließlich gibt es ein Einsehen. Wir haben es verbockt. Joe hält an, nimmt Stefan das Kalb aus dem Arm und stellt es in die Landschaft. Wir fahren ein paar Meter zurück. Sehen die immer noch rufende Mutter und das Kalb, das nicht reagiert. Wir fahren weiter weg. Sehen die Mutter rufen und die einzelne Hyäne wieder ihre Kreise ziehen, denn die Schwaben und die Engländer hetzen mittlerweile das Rudel sinnlos durch die Weite Afrikas. Wir fahren weg. Ein letzter Blick zurück: Die Mama sucht Anschluss zu einer kleinen Gruppe Kudus, das Kalb schaut uns mit riesengroßen Bambiaugen nach und achtet nicht auf die Hyäne, die das Kreisen aufgegeben hat und nun die Direttissima wählt. Supper time.

Ein gewaltiger Regenschauer geht nieder. Wir kehren ins Camp zurück. Paviane tummeln sich am Eingang neben einem kleinen Lagerfeuer und spielen mit Müll. Leider haben wir nicht die Big Five gesehen, denn Kaffernbüffel und Rhinozerosse blieben in der Weite Afrikas verborgen. Nach dem Mittagessen bricht die Sonne hervor, wir legen uns neben die Zelte und brutzeln ein wenig. Die Spuren an den Bäumen zeigen, dass die Elefantenherde, die uns nachts besuchte, direkt neben unserem Zelt einen Snack zu sich nahm.

Am späteren Nachmittag ist unsere Abreise. Joe kutschiert uns zu der Piste mitten im Nirgendwo, wo nur der träge flatternde gelbe Windsack von Zivilisation kündet. Erneut brechen die Wolken, es schüttet wie aus Eimern, Blitze und Donner toben – und außerdem ziehen die endlosen Gnu- und Zebraherden just über unser Rollfeld. Wir sollen uns festhalten, sagt Joe, dann brettert er los und scheucht die Tiere von der Landebahn. Eine Sisyphusarbeit, denn für ein Gnu, das weicht, kommen zwei nach. Letztlich ist doch so viel Platz, dass das Miniflugzeug landen kann. Eine farbige Pilotin, die aussieht wie ein amerikanischer Popstar, steigt aus und legt beim Einladen des Gepäcks selbst Hand an (Anm.: Ja, ich weiß, farbig darf man heute nicht mehr sagen oder am Ende gar schwarz, der politisch korrekte Begriff nach Vorgaben der Sprachpolizei wäre PoC; ausgesprochen wird das »Pi oh Si«. PoC steht für Person of Color, das heißt übersetzt Person von Farbe, was schlechtes Deutsch ist, darum ist die bessere Übersetzung farbige Person; mich stört ja dieses »Person« sehr, das klingt mir sehr nach Objekt, nach Herabwürdigung, nach Ausgrenzung. Die beste Übersetzung von PoC ist also Farbige(r). Und schon sind wir plötzlich wieder politisch unkorrekt! Nur durch korrekte Übersetzung. Ich checks nicht.). Ihre schmucke Uniformbluse ist in Sekundenschnelle durchnässt. Damit das Flugzeug starten kann, muss Joe die Bahn wieder gnufrei machen. Mitten in Blitz, Donner und Wolkenbruch hebt schließlich die nasse Pilotin mit uns ab. Als Bordverpflegung wird eine Schale mit Bonbons herumgereicht. Nach zwei weiteren Zwischenlandungen mitten im Nirgendwo, wo jeweils ein paar Touristen zusteigen, landen wir gegen Abend in Nairobi.

 

Im Hotel können wir endlich nachholen, was uns auf Safari verwehrt blieb: Wir essen alles, was wir gesehen haben. Das Barbecue bietet Giraffe, Zebra, Kudu, Springbock, Gazelle, Strauß und Elenantilope. Auf unseren Wunsch legt man noch eine Portion Krokodil drauf, das allerdings nur wie eine knorpelige Mischung aus Huhn mit Fisch schmeckt. Neben den Gourmetklassikern Strauß und Springbock überrascht vor allem das Zebra durch seinen delikaten Geschmack. Aber schließlich ist das eine Pferdeart, und da ich zu dieser Zeit mit einem Holländer zusammen bin, kenne ich natürlich leckere Pferdewurst oder zartes Pferderoastbeef, was in holländischen Metzgereien und Supermärkten zum normalen Programm gehörten. Seltsamerweise haben offenbar nur die Deutschen ein derart gestörtes Verhältnis zum Pferd als Nahrungsmittel.

Am letzten Tag unseres Afrika-Sprints steht ein Nairobibummel auf dem Programm. Der Hotel-Shuttle bringt uns in die Stadt. Natürlich müssen wir die alte Markthalle (Tubman Road/Muindi Mbingu Street) sehen, doch wie enttäuschend für uns: Drinnen hat sich ein Touristen-Abzock-Zentrum (TAZ) etabliert. Der übliche Ramsch, der auf jedem deutschen Festival angeboten wird. Ethnokitsch, bei dem natürlich alle Stewardessen wie auf Befehl in Kaufrausch verfallen. Carlo und ich seilen uns ab. Neben der Halle ist der Fleischmarkt. Beißender Verwesungsgeruch liegt in der Luft. Die Metzger stehen mit blutverschmierten Kitteln zwischen ihrer Ware. Freundlich winkt uns ein junger Mann heran. Wir verzichten doch lieber. Vielleicht hat der junge Mann auch nicht uns gewunken, sondern versucht, die dichten schwarzen Fliegenschwärme zu verscheuchen.

Die Innenstadt von Nairobi ist schnell abgegrast. Natürlich gibt es Bettler und abgerissene Straßenkinder, die teilweise auf den Bürgersteigen schlafen. Doch auffallend viele Menschen sind perfekt gekleidet. Die Nairobianer tragen elegante Anzüge mit Krawatte, häufig sogar mit Weste. Die Damen sind meist im schicken Kostüm unterwegs. Nur Weiße fallen unangenehm durch Kurzärmligkeit und Jeans auf. Wir fühlen uns underdressed und schämen uns fast, dass wir T-Shirts tragen. Wir stolpern über einen Markt, der von Ferne interessant und original einheimisch wirkt, sich beim Darüberlaufen aber als Freiluft-TAZ entpuppt. Wir müssen regelrecht fliehen, denn einer der jungen Männer, die als Anreißer jeden Weißen sofort mit Beschlag belegen, klebt wie eine Zecke an uns. Unsere Zecke spricht sogar Deutsch. Erst als wir den Markt einige Hundert Meter weit hinter uns gelassen haben, lässt er von uns ab. Ich kaufe in einem regulären Geschäft, das einem Inder gehört, zwei alte Masken. Die Preise sind hoch, doch im offiziellen African Art Shop ein paar Straßen weiter sind sie noch höher. Wir wollen noch einen Kaffee im legendären Dornenbaum Café trinken, das bei Weltenbummlern und Afrikadurchquerern eine Institution ist. Doch der Dornenbaum, der dem Laden den Namen verlieh, ist nicht mehr. Nur ein Stumpf blieb. Mitten an einer verkehrsumtosten Straße ohne Baum wollen wir keinen Kaffee trinken. Also nehmen wir einen Shuttlebus früher als geplant zurück zum Hotel.

An der Haltestelle des Shuttlebusses lungern Straßenkinder herum, die aus dem Stand die komplette deutsche Fußballnationalmannschaft aufsagen können und darauf hoffen, dass man ihnen dafür ein wenig Kleingeld zusteckt. Ein älterer Inder, der sich etwas im Hintergrund hält, fällt uns auf. Der Inder fährt mit uns zum Hotel. Auf der Fahrt zurück macht unser Chauffeur einen kleinen Schlenker und zeigt uns die ausgebrannte Ruine der amerikanischen Botschaft, auf die am 7. August 1998 ein verheerender Bombenanschlag verübt worden war. Nur wenige Wochen vor unserem Safaritrip. Da hatte sich Al Kaida das erste Mal erfolgreich in die Medien gebombt. Tagelang hatten wir in Deutschland um die zwölf US-Bürger getrauert, die Fotos der Ermordeten wurden überall gedruckt, Amerika hatte getobt und Rache geschworen. Zwölf Tote, das ist hart. Doch viel härter, so berichtet uns der Fahrer mit bitterem Unterton, war für die Kenianer, dass die Welt der Weißen von den 241 bei dem Anschlag ums Leben gekommenen Afrikanern keine Notiz genommen hat. Ganz zu schweigen von den mehr als 5 000 teils schwer Verletzten. Wir starren auf die Hochhausruine mit den zerplatzten Fensterscheiben. Mehr als betroffen zustimmen können wir nicht.

Zurück im Hotel planen wir, den restlichen Tag am Pool zu verbringen. Schade nur, dass es zuzieht und die Sonne hinter dichten Wolken verschwindet. What shalls, wir sind ja in Afrika! Da ist bekanntlich immer August. Erst recht im September, doch kaum liegen wir am Pool, ist November. Es ist kalt. Erbärmlich kalt. Viel zu kalt zum Baden. Nairobi liegt immerhin 1 661 Meter über Null. Wir bleiben trotzig am Pool liegen, ziehen uns aber wieder alles an, was wir dabeihaben. Sehr zum Ärger des seltsamen Inders, der mit uns aus der Stadt kam. Der sitzt in Poolnähe auf einer Bank und spielt seit Stunden ungeniert Taschenbillard. Als er merkt, dass wir ihn seit einiger Zeit im Visier haben, zieht er die Hände aus den Hosentaschen und bummelt von dannen.

An diesem Abend geht der Flieger zurück nach Deutschland. Am Flughafen von Nairobi erfahren wir von der Lufthansa-Chefhostess, dass der Flug nach Frankfurt überbucht ist und alle Angehörigen nicht mitgenommen werden können, es gäbe so viele Stand-bys, die bereits seit Längerem warteten. Womit wir wieder bei den Vor- und Nachteilen des Lufthansa-Angehörigen wären. Man ist immer Stand-by. Zwar hatte ich in den allermeisten Fällen immer Glück und blieb nie stehen, doch diesmal hat mich das Glück offenbar verlassen. Wir sind bestimmt zehn Angehörige, die nun einer unbequemen Nacht auf dem Flughafen von Nairobi entgegensehen und nur hoffen können, dass die Flüge am kommenden Tag nicht voll sind.

Carlo, als Purser immerhin nach dem Kapitän der zweite Mann an Bord, findet diese Aussicht allerdings nicht so erfrischend und legt sich mit der Chefhostess an. Wenn die Angehörigen nicht mitkämen, blieben eben alle Stand-bys stehen, droht er. Chefhostess und Chefpurser fetzen sich ein wenig, bis schließlich der Kompromiss gefunden wird. Es dürfen so viele lange wartende Stand-bys mit, wie es noch freie Plätze gibt. Die Jumpseats und Cockpit-Okays erhalten die Angehörigen. Wir kommen also alle mit! Jumpseat und Cockpit-Okay heißt zwar, dass wir nur bei Start und Landung entweder auf den Klappsitzen in den Galleys (Küchen) oder im Cockpit sitzen dürfen und den restlichen Flug stehen müssen, aber immerhin sind es nur acht Stunden bis nach Frankfurt. Und die Crew ist außerdem so entzückend, dass wir abwechselnd auf den Schlafsitzen, die der Crew zum Ausruhen zur Verfügung stehen, sitzen dürfen.

Die Maschine ist voller Flüchtlinge aus Eritrea, die zur Familienzusammenführung nach Deutschland dürfen. Ein paar Greise und zahllose Frauen mit zahllosen Kindern. Die Greise behandeln die Stewardessen so, wie sie es gewohnt sind, Frauen zu behandeln – als letzten Dreck. Herrisch scheuchen sie die Stewardessen herum, blöken in schlechtem Englisch Befehle und bemäkeln die Sandwiches. Sie wollen alle Käse-, keine Schinkenbrote. Schließlich sind sie gläubige Moslems. Die weitestgehend verschleierten Frauen müssen den Greisen jedes Sandwich zeigen und das zustimmende Knurren abwarten, bevor sie es essen dürfen. Dann fordern die Frauen Schokoriegel und legen dabei erstaunliches Aggressionspotenzial an den Tag. Die Kinder wollen Sunkist mit Strohhalm, aber gefälligst nicht nur eine. Leider so geschehen und gesehen.