Unerfüllte Träume einer jungen Liebe

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Unerfüllte Träume einer jungen Liebe
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Unerfüllte Träume einer jungen Liebe

Heimatroman

Marie-Claire de Bergér


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Taschenbuchauflage erschienen 2013

Cover gestaltet mit Bildern von © Victoria - Fotolia.com + Taiga - Adobe Stock - lizensiert

Lektorat: Hedda Esselborn

ISBN: 978-3-86196-219-9 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-353-8 – E-Book

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Inhalt

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Vorwort

Dieses Buch, das ich bereits vor sechsunddreißig Jahren schreiben wollte, ist nun fertig. Ich möchte diesen Band meinem tödlich verunglückten Bergkameraden, einem besonderen Menschen, den ich nie vergessen habe, widmen: Diether Marchart stud. phil. danke ich insbesondere für seine Liebe, Herzlichkeit, Fröhlichkeit und Besonnenheit in den Schweizer Bergen, wenn wir beide dort unterwegs waren. Ich möchte das Buch weiterhin meinem Bergfreund Klaus Herrmann widmen, der 1967 im Karwendelgebirge tödlich verunglückte, sowie meinem alten Bergkameraden Klaus Wischer, der 1994 verstorben ist. Für ihre treue Bergkameradschaft, ihre Loyalität beim Bergsteigen, Bergwandern und beim Klettern, außerdem für ihre Menschlichkeit und Größe.

Vor allem bei den noch lebenden Bergfreunden möchte ich mich hiermit bedanken: bei Heinz Steinkötter aus Trient, Franzel Widerer aus München, Hans-Peter König aus Wuppertal, Jürgen und Christel May aus Köln, Rosel und Manfred Arenz aus Egglkofen, Helga Freivogel aus München, dem ehemaligen Chefredakteur des Bergkamerad, dem Bergverlag Rother, Karl-Heinz Muffat aus Benediktbeuren. In alter Verbundenheit möchte ich meinen „alten“ Bergkameraden der Jungmannschaft der Sektion Aachen des Deutschen-Alpenvereins danken. Besonderen Dank für die Jahre 1963 bis 1967 gilt dem Jungmannschaftsleiter Friedel Esser.

Die Bergkameradschaft ist das größte und schönste Geschenk, das es im Leben gibt. Sie vergeht nie! Den Bergfreunden auf allen Bergen der Welt: Mögen die Berge ewig stehen!

Marie-Claire de Bergér

*

Ich hab mir Träume aufgeschrieben,

Träume, die man nicht mehr erleben kann.

Träume nur für mich allein.

Träume den Traum!

Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Träume, wie sie hätten sein können.

Wenn, ja, wenn er nicht in diese Wand …?

Träume sind keine Schäume.

Träume wollen uns etwas sagen!

Der Mensch ohne Träume

ist ein Wesen ohne den Sinn des Lebens.

Wenn jemand keine Träume hat,

weint die Seele.

Der Traum eines Menschen ist der Traum vom Glück.

Ohne Träume ist der Mensch ein Nichts.

Das Schönste am Träumen ist:

Man kann sie aufschreiben und sie beim

Schreiben erleben – und lesen!

*

Begegnung mit Uschi

Ein Samstagnachmittag im August des Jahres 1958: Wolkenlos war der Himmel über Luzern, der Kantonshauptstadt der Zentralschweiz, der berühmten Stadt an der Reuß. Es herrschte reger Betrieb auf dem Parkplatz am äußeren Rande der City. Uschi Giebelmeyer saß am Ende des Platzes auf einer Bank, die im Halbschatten unter einem Baum stand.

Plötzlich näherte sich ein junger Mann, der etwa 1,80 Meter groß und schlank war. Er hatte einen Kletterrucksack dabei, ein Perlonseil über der Schulter und in der Rechten einen Pickel. Er kam langsam auf ihre Bank zu, wischte sich den Schweiß von der Stirn und meinte lakonisch: „Heiß heut, gell?“

Uschi sah ihm neugierig ins braun gebrannte Bubengesicht, ehe sie antwortete: „Ja, sehr, darum sitze ich hier im Halbschatten.“ Sie schaute ihm immer noch mitten in seine lachenden, blauen Augen – und dann traf es sie beide wie ein Blitz. So eine Begegnung nannte man im Volksmund Liebe auf den ersten Blick. Diether fuhr es durch Mark und Bein und Uschi erging es ebenso. Sie reichten sich wie unter einem Zwang die Hände und sprachen gleichzeitig ihre Namen aus.

„Ich heiße Diether Marchart.“

„Und ich bin Uschi Giebelmeyer.“

Zu Diethers Freude ergriff Uschi als Erste das Wort: „Sag amoal, warst beim Klettern, Diether?“

„Ja freili, i war im Alpsteingebirge im Appenzellerland“, entgegnete er.

„Woher kommst denn, bist du aus Österreich?“, fragte Uschi.

„Hört man das? Ja, i bin aus Wien und studiere Germanistik und Philosophie. Bist du aus Bayern?“

„Ja, i mach mit der Freundin meiner Mutter Ferien auf Rigi Scheidegg. Die Freundin ist meine Patentante, sie besitzt dort ein Chalet, das ihren Großeltern gehörte. Nun hat sie es geerbt und musste deswegen in Luzern zum Notar. Dieser hat das Testament in Verwahrung und deshalb hatte meine Patentante dort zu tun. Und weil es mir in der Innenstadt zu heiß war, sitze ich hier und warte auf sie.“

„Wo wohnst du denn in Bayern“, fragte er.

„In Trostberg an der Alz, das ist im Chiemgau, da bin i daheim, fünfundzwanzig Kilometer vom Chiemsee entfernt“, fügte Uschi hinzu.

„Madl, gehst auch in die Berg?“

„Freili, mit meiner Freundin Christel und unseren Bergkameraden Franzl und Fritzl.“ Sie lächelte. „Meistens san mir im Wilden Kaiser auf der Strips, pardon, im Stripsen-Jochhaus der Sektion Kufstein in Tirol. Dort san mir an vielen Wochenenden. Aber auch in den Berchtesgadener-Alpen auf dem Stahl-Haus am Torrener Joch der Sektion Lofer“, ergänzte Uschi ihre Rede.

„Sauber, sag i. Wie lang bist noch in der Schweiz?“, fragte Diether.

Uschi antwortete: „Noch vierzehn Tag, wir wollen noch ein paar Wanderungen im Oberengadin erleben. Dorthin werden wir in der letzten Woche fahren. Dann sind wir im Fextal in einem Ferienhaus untergebracht. Dieses Haus gehört einer Freundin von Marie-Theres, und die hat uns wie jedes Jahr eingeladen. Schau, da kimmt sie selbst!“

Uschi war eine Augenweide in ihrem blau gemusterten Jacquard-Dirndl mit der grünen Seidenschürze und dem blonden, mit Strähnchen durchzogenem Bubikopf. Kein Wunder, dass Diether Feuer gefangen hatte.

Ihre Patentante war dunkelhaarig, die gleiche Haarfrisur wie ihr Mündel. Sie war genauso gekleidet wie Uschi, nur in einem grün gemusterten Dirndl mit gelber Seidenschürze. Marie-Theres kam merklich näher und wunderte sich über ihre Ulli, wie sie ihr Patenkind nannte, die mit einem fremden, jungen Mann sprach. Er hatte einen aufrichtigen Blick, stahlblaue Augen und war gekleidet wie ein Bergsteiger. „Ja, wen haben wir denn da?“, lachte sie.

Diether stellte sich vor, verbeugte sich ritterlich und begrüßte sie mit einem festen Händedruck. „Marie-Theres, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?“, sprach Diether furchtlos zu ihr.

Sie musste lachen, ob sie wollte oder nicht. „Da hast du mir ja was Schönes eingebrockt, Ursula. Was soll ich jetzt deiner Mama erzählen, die hält mich für verrückt, wenn ich ihr dies berichte. Hören Sie, Diether, das Gör ist erst sechzehn Jahre alt“, erwiderte sie belustigt.

„Macht doch nichts, ich bin achtzehn Jahre alt und studiere in Wien an der Universität.“

„So, so, Sie sind Student. Na ja, dann müssen wir den Tatsachen ins Auge sehen, Ursula, was meinst du?“, lächelte sie. „Dann kommen Sie halt mit nach Rigi Scheidegg und wohnen bei uns im Haus. Platz ist ja eh genug da“, fügte sie freundlich hinzu.

„Bist du mit dem Zug gekommen oder mit dem Auto?“, wollte Uschi nun wissen.

„Ich bin mit dem Wagen da. Mein Volvo steht gleich dahinten.“

„Fahren Sie einfach hinter uns her, Diether. Wir fahren die Straße bis Gersau und dann bis zur Talstation der Luftseilbahn, die fährt nämlich hinauf zur Scheidegg“, erklärte die Patentante.

Diether kehrte zu seinem PKW zurück, der ganz in der Nähe stand. Der Karmann Ghia von Uschis Tante parkte nur drei Autos weiter. Sie stiegen in die Wagen und fuhren zusammen vom Parkplatz in Richtung Vierwaldstättersee. Zwanzig Minuten später hatten beide Autos ihr Ziel erreicht, nämlich den Parkplatz der Rigi-Seilbahn in Chräbel.

Die drei Personen begaben sich zum Eingang der Talstation und Diether löste sich ein Ferienbillett für vierzehn Tage auf Rigi Scheidegg. Die beiden Damen zeigten ihre Billetts vor, Diether nahm sein Gepäck und alle drei stiegen in die Gondelbahn ein. Die Fahrt dauerte etwa fünfundzwanzig Minuten, dann erreichte sie die Bergstation. Sie kletterten aus der Kabine. Vor der Station wurden sie bereits erwartet. Es war die kleine Bella, eine Westhighland-Terrier-Hündin, die sich tierisch auf ihr Frauchen freute. Uschi und Diether wurden zuerst beschnuppert und dann stürmisch begrüßt. Zusammen gingen sie den langen Hang des Weges hinunter zum Chalet Resi.

Das Chalet Resi hatte man im alpenländischen Stil erbaut. Am Haus angekommen schloss Marie-Theres die Haustüre auf. In der Diele stand eine prachtvoll bemalte Truhe mit einem herrlichen Krug aus Gmundener Keramik, befüllt mit einem Strauß bunter Gladiolen. Marie-Theres lud ihren Gast zum weiteren Eintreten ins Haus ein.

 

Diether betrat dieses Ferienhaus voller Bewunderung. Das Heim von Uschis Tante bot etwa 240 Quadratmeter Wohnfläche. Im Erdgeschoss lagen die Küche mit Essraum, ihr Schlafzimmer, der große Wohnbereich und ihr Arbeitszimmer. Draußen war eine überdachte Terrasse zum Ausruhen, um den Blick über die Berge schweifen zu lassen. Darüber hinaus waren im ersten Stock vier Doppelzimmer mit Bad und WC. Uschi logierte im Erkerzimmer und Diether bekam das angrenzende Balkonstüberl links neben ihr. Alle Räume waren mit Schweizer Arvenmöbeln ausgestattet. In der oberen Diele des ersten Stocks stand ein Familienerbstück – ein alter, bemalter Bauernschrank aus dem bayerischen Rupertiwinkel anno 1878. Im Wohnbereich des Salons erblickte man das Pendant dazu, einen Bauernschrank anno 1880 aus dem Tegernseer Tal, bemalt mit Darstellungen der vier Jahreszeiten. In manchen Ecken des Zimmers sah man alte, bemalte Truhen stehen. Die übrigen Einrichtungsgegenstände waren Biedermeiermöbel.

Rechts neben der Terrassentüre befand sich ein riesiges Blumenfenster. Davor stand ein kleiner Rauchtisch nebst Messingleuchte und ein überaus gemütlicher Ohrensessel, in dem man sich die Hausherrin gut beim Schmökern vorstellen konnte. An der gegenüberliegenden Wand bereicherte ein üppig mit Holzintarsien geschmücktes und aus Kirschholz gebautes Klavier den Wohnbereich. Darauf lagen jede Menge Noten. Außerdem drei kleine Marmor-Büsten: von Beethoven, Haydn und Mozart.

Der Gast des Hauses staunte nicht schlecht über das wertvolle Mobiliar des Chalets. Bei diesen Möbeln konnte man sich die Familie gut beim abendlichen Musizieren vorstellen. Diether kam selbst aus einer musikalischen Familie und spielte ausgezeichnet Cello.

*

Diethers Ferientage im Chalet Resi

Marie-Theres trat leise hinter Diether und freute sich, dass er das Klavier bewunderte. Leicht tippte sie an seine Schulter, um ihn nicht zu erschrecken. In Gedanken versunken zuckte er dennoch merklich zusammen. Er fing sich aber sofort wieder, räusperte sich und sagte: „Ich komme aus einer musikalischen Familie und unser Klavier ist nur zum Spielen da. Dieses Exemplar ist eigentlich zu wertvoll, um darauf zu spielen. In Wien gehe ich in die Meisterklasse der Musikhochschule und musiziere auf dem Cello, dem Klavier und der Geige. Wenn ich mit den Bergkameraden auf der Hütte bin, habe ich meine Gitarre immer dabei“, erklärte er.

„Wollen Sie uns etwas zu Gehör bringen?“, fragte Marie-Theres.

„Gerne, wenn ich darf“, erwiderte er voller Freude. Die Baronin schloss das Piano auf und reichte ihm die Noten. Es waren die Kinderszenen von Robert Schumann. Er schlug die Seite der Träumerei auf und begann zu musizieren – Uschis Lieblingsstück, aber dies wusste er noch nicht. Er spielte dieses Stück mit Grazie und fast mit Zärtlichkeit, wie man es eigentlich immer spielen sollte.

Uschi war still ins Zimmer getreten und wunderte sich, wer da ihr Lieblingsstückerl so auf dem Klavier präsentieren konnte. Eigentlich wollte sie etwas sagen, aber ihre Patentante legte den Finger auf den Mund und so schwieg sie. „Das gibt’s doch nicht“, dachte sie bei sich. „Erst hat uns die Liebe wie ein Blitz getroffen und nun lieben wir beide das gleiche Klavierstück.“ Marie-Theres warf ihr einen wissenden Blick zu. Als Diether geendet hatte, klatschten die Damen Beifall.

„Oh, liabs Herrgöttle von Biberach, Diether, dös is mei Lieblingswerk von Schumann.“ Sie trat hinter ihn, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.

„Was sagst du da, deines auch? Ich liebe Schumann und besonders seine Lieder für seine Frau Clara, zum Beispiel die Stücke vom Myrtenkranz, die er so beispiellos vertont hat“, erwiderte er und küsste sie zärtlich zurück auf die Wange. Errötend meinte er: „Ich weiß, du bist erst sechzehn Jahre und ich dürfte das gar nicht ...“

„Was darfst du nicht?“, bemerkte Uschi gelassen.

„Dich busseln, meine ich. Madl, du bist mein Schicksal, und dem soll man nicht davonlaufen. Dies hab ich auf dem Parkplatz in Luzern gemerkt, es ist mir durch Mark und Bein gegangen!“

„Mein Gott, mir auch, als hätte mich der Blitz getroffen, Bub“, flüsterte Uschi ihm zu.

„Genauso war’s bei mir auch, so etwas habe ich noch nie erlebt, Uschilein. Habe immer gedacht, dös gibt’s net, und hab gelacht, wenn die Freunde mir so etwas erzählten. Weil ich es nicht glauben wollte, dass es dieses Gefühl wirklich gibt. Wart nur, bis es dich auch erwischt, witzelten die Kameraden – und jetzt hat es mich gepackt. Aber mir ist net zum Lachen zumute, eher zum Weinen, weil es so wunderbar ist“, fügte er hinzu. „Mei Madl, i muss mit deiner Bekannten reden, was meinst du?“

„Ach Diether, mach die Pferd net scheu, mir wird schon was einfallen.“ Er stand in seiner ganzen Länge von der Klavierbank auf, umarmte Uschi, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie herzhaft.

„Na, ihr zwei verliebten Gockeln – oder sage ich besser Hennen, wollt’s nix essen?“, äußerte sich die Baronin lachend.

Klar hatten sie Hunger und ließen sich an der liebevoll gedeckten Tafel nieder. Die Haushälterin beziehungsweise die Köchin Madame Sutter hatte sich wegen des Gastes viel Mühe gegeben. Es gab eine Vorspeise – Lachsterrine gratiniert mit frischem Spargel. Dazu servierte die Hausherrin einen lieblichen Veltliner Weißwein Jahrgang 1956. Als Hauptgang gab es einen Rehrücken mit gefüllten Steinpilzen, Herzoginkartoffeln und Rotkraut. Dazu tranken sie einen Rotwein: Gumpoldskirchner Spätlese Jahrgang 1950. Diether war wie verzaubert, nicht nur vom Abendessen, sondern besonders von der jüngeren Dame. Das Diner war für ihn der Beweis, dass diese Familie Stil besaß. Nicht nur wegen der Atmosphäre des Hauses, sondern es war das Flair im Gesamten, dem er sich nicht entziehen konnte. Marie-Theres schmunzelte und schaute Diether freundlich an: „Na, Diether, Ihnen scheint ja eine Menge durch den Kopf zu gehen: Was ist das für eine Familie, die so ein wunderbares Heim besitzt und in solch einem geschmackvollen Ambiente leben kann, stimmt’s?“

„Können Sie Gedanken lesen?“, fragte er.

„Nein, aber ich konnte in Ihrem Gesicht lesen wie in einem Buch“, erklärte Marie-Theres.

„Weißt Diether, dös macht sie öfters, indem sie ihrem Gegenüber so lange ins Gesicht schaut und seine Miene studiert, bis sie weiß, was er denkt“, sprach Uschi.

„Was soll ich dazu sagen, dieses Ferienhaus gefällt mir sehr gut. Der Onkel Max meines Freundes Peter besitzt ebenfalls ein Chalet im alpenländischen Stil wie dieses. Allerdings im Kanton Wallis auf der Bettmeralp hoch über dem Rhônetal. Eine Frage hätte ich an Sie, Marie-Theres, was sind Sie von Beruf?“, fragte er.

„Mein kürzlich verstorbener Großvater war Militärattaché in der Deutschen Botschaft in Bern. Ich habe dort eine Stellung als Chefin der Generale Justice Directrice de Unicef.“

„Oh je, da kann ich nicht mithalten, ich stamme nur aus einer Lehrerfamilie. Wie kommen Sie zu Ulli?“

„Meine Familie stammt aus Trostberg an der Alz. Mein Vater hatte viel im Ausland zu arbeiten, und zwar wegen seines diplomatischen Berufes. Er war Botschaftsrat in der Deutschen Botschaft in Bern. Er war daher viel mit meiner Mutter auf Reisen. Darum blieb ich in meinem Heimatort. Ursulas Mutter, Pia-Maria Giebelmeyer geborene von Hartenstein, ist meine beste Freundin. Da meine Eltern viel und oft im Ausland zu tun hatten, durfte ich bei Familie von Hartenstein meine Jugend bis zum Abitur verbringen. Dann kamen wir, Pia und ich, auf eine Höhere Töchterschule in Interlaken. Studiert habe ich an der Dolmetscher Akademie in München, dort absolvierte ich mein Examen für Dolmetscher, um später das Schweizer Büro in der Botschaft zu leiten“, berichtete Mariele.

Doch da wurde sie von Madame Sutter unterbrochen: „Frau Baronin, ich bin fertig mit allem und frage Sie: Werde ich noch hier im Hause gebraucht? Wenn nicht, würde ich gerne in die Dienstwohnung gehen.“

„Nein Frau Sutter, wir brauchen Sie nicht mehr, heute ist alles recht gewesen, dann bis morgen früh um 8 Uhr, gell. Auf Wiederluege, Frau Sutter“, verabschiedete sie die Hausdame.

„Halt! Tante Donatha, kennst mi nimmer?“, rief Uschi.

Frau Sutter schaute ganz erstaunt auf das junge Mädchen. „Uschi, bist du das wirklich? Ich habe dich das letzte Mal in Wuppertal bei meiner Schwägerin gesehen, das war 1955 und Klaus war auch dabei, mein Gott Maidli, ich hab dich bald nimmer kennt! Auf Wiederluege allerseits!“

„Salü, Tante Donatha!“ Uschi musste schallend lachen, als sie Diethers verdutztes Gesicht sah. Wie Frau Sutter Mariele angeredet hatte. „Oh mein Gott, Diether, was machst du für ein zerknirschtes Gesicht? Wegen der Anrede oder des Titels vielleicht, oder weil ich Frau Sutter mit Tante Donatha angeredet habe? Sie ist wirklich eine Tante von mir“, machte Uschi den Vorstoß, damit Diether nicht dachte, er habe ins Fettnäpfchen getreten.

„Bin ich vielleicht in eine adlige Familie hineingeraten, dös hab i net gewusst, oh verflixt“, schimpfte Diether lachend vor sich hin. „Vergebt mir bitte, wenn ihr könnt!“

„Du brauchst dir nichts vorzuwerfen, dös geht vielen so, wer schaut schon auf das Schild neben dem Klingelknopf, wo dann draufsteht: von Trostburg“, fügte Uschi noch immer lachend hinzu.

„Ja mei, i bitt schön um Entschuldigung, Marie-Theres, äh, Frau Baronin“, sagte er grinsend.

„Unterstehen Sie sich, mich jetzt Frau Baronin zu nennen, sonst sage ich zu Ihnen Herr Hofrat, verstanden Diether?“, witzelte Mariele lächelnd.

„Verflixt, da bin ich doch wieder ins Fettnäpfchen getreten“, rief er.

„Nein, Sie brauchen sich um Gottes willen nichts vorzuwerfen, mein Junge, daran bin ich alleine schuld“, entgegnete sie. „Gut, das wäre geklärt und ich kann die Abendtafel aufheben.“

Uschi räumte den Tisch ab und brachte das Porzellan in die Küche. Die Hausherrin ermunterte Diether, ihnen noch etwas auf dem Klavier vorzutragen. Dazu ließ Diether sich nicht lange bitten. Er fand die Noten eines der Klavierkonzerte Mozarts und brachte es zu Gehör. Sein Spiel war ausdrucksvoll und besänftigend zugleich. Dasselbe galt für die anschließend vorgetragene Mondscheinsonate von Beethoven. Sie wurde so gespielt, als hätte der Pianist diese Begegnung mit dem Mond gerade selbst erlebt.

Ursula kam aus der Küche und gesellte sich zu Mariele. Die hatte es sich im Ohrensessel bequem gemacht. Beide lauschten verzückt dem Vortrag des Klavierspiels. Uschi hatte sich leise hinter Diether gestellt und umarmte ihn zärtlich. Die herrlichen Melodien versetzten sie in eine glückliche Stimmung und sie dachte bei sich: „Diese Begegnung war vorherbestimmt, es ist einfach Schicksal.“ Mittlerweile schlug die Uhr zehnmal und Mariele erklärte, dass sie müde sei und gerne zu Bett gehen würde.

Ursula entschuldigte sich und meinte: „Was für ein ereignisreicher Tag ist das heute gewesen, liebe Patentante. Eigentlich bin ich auch müde, Diether vielleicht ebenso? Aber mir ist so nach Singen zumute, geht’s dir genauso wie mir, Großer?“, fragte sie ihn leise.

„Du hast recht, Kleines, in mir singt und klingt es gewaltig. Würdest du denn für uns noch etwas singen?“, bat er ruhig.

„Ja, wenn es meiner Tante recht ist!“

„Natürlich darfst du noch ein Schubertlied singen“, meinte die Baronin.

„Am besten passt jetzt: Meine Ruh ist hin oder gefällt euch ein anderes Stück?“

„Nein, das ist gerade richtig, Schatz!“ Diether hatte das Gefühl, sie einfach so anreden zu dürfen, schlug die Noten auf und begann das Vorspiel.

Ursula sang das Schubertlied: „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer ...“ Ihre herrliche Sopranstimme brachte Schubert so richtig zur Geltung. Es passte in die Stimmung eines aufregenden Tages. Die jungen Leute erkannten in ihrem Innern die große Gemeinsamkeit ihrer Seelen. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt.

Nach dem Schubertlied, das Uschi mit viel Seele und Gefühl vorgetragen hatte, verabschiedeten sich die drei Menschen liebevoll voneinander. Marie-Theres ging in ihr Zimmer. Uschi und Diether begaben sich in den ersten Stock, wo sich ihre Schlafräume befanden. Sie sagten sich zärtlich gute Nacht. „Schlaf gut, Uschilein.“

„Du auch, Dietherle.“

„Weißt, was man in einem fremden Haus, dort wo gute Freunde wohnen, in der ersten Nacht träumt, das geht in Erfüllung“, erklärte Uschi leise.

 

„Wenn du das sagst, Schatz, ich lasse ich mich überraschen. Aber wenn du net gut schlafen kannst, Mädele, klopfst bei mir und ich halte dich so lang im Arm, bist wieder einschläfst, gell?“, erwiderte Diether zärtlich und wollte in sein Zimmer gehen.

Doch Ulli hielt ihn an seiner Trachtenjoppe fest und meinte: „Hast du nicht etwas vergessen, krieg i kein Gutenachtbusserl von dir? Dös möcht i schon von dir erhalten, gell!“

So etwas ließ Diether nicht auf sich sitzen. Deshalb küsste er sie ganz sanft und meinte: „Gute Nacht, mein kleiner Schatz, träum schön von mir und schlaf gut, bis morgen früh.“ Er verschwand lachend in seine Schlafstube.

Im Chalet Resi kehrte Ruhe ein. Der Mond zog silberhell seine Bahn und schaute verwundert ins Balkonzimmer: keine Vorhänge zu? Noch keine Fensterläden geschlossen? Da entdeckte er den einsamen Gast auf dem Balkon, der Gottes freie Natur in der dunklen Nacht und die Sterne am Firmament anschaute. Laut dankte er dem Herrn für dieses liebreizende Geschöpf, das Ursula hieß, das Maidli, das sein Schicksal sein würde. Nach fünf Minuten ging er zurück in sein Zimmer, verschloss die Fensterläden und die Balkontüre und legte sich schlafen.

Uschi saß im Erker bei verschlossenen Fensterläden und schrieb noch folgende Sätze in ihr Reisetagebuch:

Habe heute im August 1958 die erste große Liebe meines Lebens kennengelernt: Diether Marchart, stud. phil. aus Wien. Drei Wochen lang werden wir hier auf Rigi Scheidegg verbringen.“

Danach zog sie ihren Pyjama an und legte sich ebenso in das wunderschöne, bemalte Himmelbett wie ihr neuer Freund.

Diether lag noch eine Weile wach und dachte über seinen ersten Ferientag im Chalet Resi nach. „Lieber Gott“, betete er, „du hast mir dieses liebe Mädel aus heiterem Himmel geschickt. Sie wird wohl mein weiteres Leben bereichern. Wir haben schon so viele Gemeinsamkeiten: die Liebe zu den Bergen, zur Musik, sie ist gescheit und kommt aus einer wunderbaren Familie. Eine gute Mischung, um später das Leben mit ihr zu teilen.“ Darum dankte er dem Herrgott für diesen einmaligen Tag in seinem Leben, der ihm beschert worden war, und darüber schlief er schließlich ein.

Am Morgen in der Frühe hörte Ulli die Haustüre. „Ach“, dachte sie bei sich, „Mariele geht mit Bella Gassi. Dann kann ich noch a bisserl weiterschlafen, denn es ist ja erst 7 Uhr.“ Sie drehte sich auf die andere Seite und schlief erneut ein.

Gegen 7:30 Uhr kam die Hausherrin mit ihrer Hündin zurück. Bella bekam ihr Fresschen und freute sich darüber. Danach legte sich sie sich in ihr Hundekörbchen zum Schlafen nieder. Uschi stand unterdessen auf und begann mit ihrer Morgentoilette, anschließend kleidete sie sich an. Dann ging sie zu Diether hinüber, um ihn zu wecken. Sie klopfte. Als sie keine Antwort erhielt, lugte sie vorsichtig in die Schlafstube hinein. Da sah sie, dass das Bett leer war und erschrak. In der Diele hörte sie im Bad die Dusche und nun wusste Ursula, wo er sich befand. Daraufhin eilte sie die Treppe hinunter ins Esszimmer, dort saß am gedeckten Frühstückstisch ihre mütterliche Freundin und begrüßte sie mit einem freundlichen „Guten Morgen, Ursula! Hast du gut geschlafen?“

„Ja, wie a Katz! Diether ist noch im Bad“, antwortete sie glücklich. Die Baronin wünschte zum Frühstück „Guten Appetit“, als Diether ins Wohnzimmer trat. Er hatte gut geschlafen, was man ihm auch ansah, ohne neugierige Fragen stellen zu müssen. Er wünschte daher den Damen einen schönen guten Morgen und einen gesegneten Appetit.

„Gleichfalls, lasse es dir gut schmecken“, meinte Ulli dazu.

Diether strahlte. „Ich hoffe, dass es euch so gut geht wie mir. Aber Sie machen ein betrübtes Gesicht, Marie-Theres, was ist passiert?“, fragte er.

„Ich muss für zwei Tage nach Bern in die Deutsche Botschaft und werde die Ursula hier alleine lassen müssen, was mir eigentlich nicht gefällt. Sie können sich ja denken, warum, Diether“, erwiderte die Botschaftsrätin.

„Ach ja, ich weiß, weil ich noch nicht volljährig bin. Oh Gott, Mariele, hast du Sorgen, und das wegen mir! Meinst du, Diether würde über mich herfallen, während du weg bist, aber das glaubst du doch selbst nicht!“, lachte Ursula.

„Diether, kann ich mich auf Sie verlassen, dass in der Zeit, in der ich fort bin, nichts zwischen euch passiert außer Busseln und Kuscheln?“, fragte die Baronin freundlich.

„Marie-Theres, Sie können sich auf mich verlassen, ein Mann, ein Wort. Wenn ich so ein Versprechen gebe, halte ich das auch, keine Frage“, antwortete Diether der Hausherrin aufgeregt. „Ich werde sorgfältig auf die Ulli aufpassen, als wäre sie meine Schwester. Und ich weiß auch schon, was wir zwei unternehmen: Vielleicht gehen wir wandern, denn die Rigi ist ja das reinste Blumen- und Wanderparadies“, fügte er hinzu.