Spree-Babe

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SPREE-BABE

Geschichten aus der Hauptstadt

von

Mareen Vahle

Egal wie hoch der Preis ist –

Der Liebe kann man nicht entkommen.

Impressum

Titel: Spree- Babe

Autorin: Mareen Vahle

ISBN: 978-3-946510-94-9

Alle Rechte vorbehalten. Es ist ohne vorherige schriftliche Erlaubnis nicht gestattet, dieses Werk im Ganzen oder in Teilen zu vervielfältigen oder zu veröffentlichen.

Vorwort

Mit „Spree-Babe“ legt Mareen Vahle ihr zweites Buch vor. Dieses Mal geht die Jägerin und Waldpädagogin im Großstadtdschungel Berlin auf die Pirsch. Mit flotter Feder und sicherem Gespür für die Komik im ganz normalen Wahnsinn bietet sie den Lesern ein Kaleidoskop von Liebe, Lust und Frust in der Hauptstadt. Meist kann man sich das Schmunzeln nicht verkneifen, doch schon im nächsten Moment wird man nachdenklich gestimmt. Sinnliches und Besinnliches liegen oft nah beieinander und am Ende wartet der Tod. Es ist eine Liebeserklärung an das Leben und ein Bekenntnis zu Berlin, dessen Einwohner der beste Beweis sind, dass jeder anders komisch ist.

Die Autorin Mareen Vahle

Das leidenschaftliche Leben dieser allein erziehenden Powerfrau ist so bunt und abwechslungsreich wie ihre Geschichten. Mit Natürlichkeit und erfrischendem Humor ist sie immer auf der Jagd – egal ob im Großstadtdschungel Berlin, wo sie ihren Lebensmittelpunkt gefunden hat oder in den Bergen des Nationalparks. Als Waldpädagogin hat sie viele Jahre den Schülern in Sachen Wild und Wald lehrreiche und spannende Stunden beschert, was von Presse und Fernsehen vielfach dokumentiert wurde. Viele ihrer Kurzgeschichten und Jagderlebnisberichte wurden bereits veröffentlicht. Ihre Ausflüge in die Modewelt, ihre Arbeit vor und hinter der Kamera oder ihre Ausbildung zur Fitness-Trainerin in New York sind ein Fundus für ihre Arbeit als Autorin. Die Querdenkerin, der bei allem Temperament das Herz und die Sensibilität gegeben ist, die „Dinge hinter den Dingen“ zu sehen, nimmt die Herausforderungen des Alltags sportlich und nichts entgeht ihrem Sinn für Komik. Hier dürfen die Leser noch einiges erwarten!

Inhaltsverzeichnis

Dickes B

1. Potsdamer Brücke

2. Winterfeldtplatz

3. Urania

4. Danziger Strasse

5. Bötzow Kiez

6. Berlin WM

7. Kollwitzplatz

8. Wannsee

9. Schlüter Straße

10. Köpenick

11. Zionskirchplatz

12. Pankow

13. Volkspark Friedrichshain

14. Greifswalder Strasse

15. Turmstraße

16. Prenzlberger Vampire

17. Oranienburger

18. Bio-Fleisch im Mai

19. Rehrücken

20. Wedding Detektiv

Mutterstadt

1. Heiße Mitte

2. Italienische Verhältnisse

3. Museumsinsel

4. Q-damm

5. festhalten

6. Monbijoupark

7. Singlehauptstadt

8. Wie-agra

9. Kreuzberg

10. Ausflug

11. Solo tu

12. Chili und Chocolatl

Herz und Schmerz

1. Veti-weh

2. Todesahnung

3. Vertrauensärztin

4. Liebesbeweis

5.Tragischer Todesfall

6. Das Gemälde „Liebe ist stärker als der Tod“

7. Grunewald

8. Phillip

Jägerin

1. Graffiti Vizsla

2. Herz hat Flügel

3. Jugendsuche

4. Wildtaubenbrust

SPREE-BABE goes Mexiko

1. Die Jaguar-Legende

2. Ajijic

3. México, mi amor

4. Guadalajara, mi alma

5. palabras del corazon

Dickes B

Potsdamer Brücke

Seit zehn Minuten stand ich auf der Potsdamer Brücke. Nicht etwa um den putzig umherrudernden Enten, die von der Vogelgrippe verschont geblieben waren, nachzusehen. Vielmehr stand ich auf der linken Spur in Richtung Potsdamer Platz. An der rot-gelb-grünen Ampel war quer auf der mittleren Spur ein Polizeimotorrad geparkt, dessen Blaulicht unaufhörlich blinkte. Der dazu gehörende Sheriff hatte sich, ohne seinen Sturzhelm abzunehmen, vor der Mittelspur der Gegenrichtung aufgebaut. Er sah aus wie ein grüner Außerirdischer, der den unaufhörlich aus Richtung Kreuzberg strömenden Fahrzeugen Durchfahrt gewährte. Obwohl ich hermetisch abgeriegelt im Auto saß und Radio hörte, spürte ich die wachsende Unruhe der Anderen.

Nun ging der Verkehrsregulant zu seinem Bike. Aha, es geht los, dachte ich und ließ den Motor an. Falsch gedacht! Er hatte nur mal kurz in sein Mikro gesprochen und pflanzte sich dann wieder auf die Gegenfahrbahn. Wunderbarerweise hatte niemand seine kurzfristige Abwesenheit ausgenutzt um sich davon zu machen. Alle standen wie angenagelt. Trotzdem machte sich eine Atmosphäre breit, als würden die Autofahrer in Kürze den Polizisten irgendwo annageln.

Hier und da wurde gehupt, ich wollte mich da auch nicht verschließen und verhielt mich solidarisch. Der eine oder andere wendete widerrechtlich in seiner Spur und trat den geordneten Rückzug an. Der Fahrer eines Linienbusses war wohl der Meinung, er habe genug gewartet und rollte schon mal langsam an. Das blieb dem Grünen aber nicht verborgen. Er stieß seinen Arm mit der gegen den Bus gerichteten Handfläche so zackig in die Luft, dass der Bus trotz einer Distanz von immerhin vier Spuren und Mittelstreifen nachfedernd mit einem Quietschen stehen blieb. Respekt.

Der Fahrer gab aber noch nicht auf. Sein Oberkörper ging halb aus dem Seitenfenster und er berief sich schimpfend auf seinen Fahrplan, was allerdings kein Mitleid erzeugte. Parallel dazu wurde im Radio die Lüge verbreitet, mit Bus und Bahn käme man ohne Stau und schneller durch die City.

Jetzt kam ein weiteres Polizeimotorrad angesaust. Als es über die Brücke flitzte kam Leben in den Absperr-Polizisten. Wie ein HB-Männchen sprang er auf und ab und ruderte wild mit den Armen. Es war klar: Er wollte dessen Verstärkung. Der Andere hatte das wohl im letzten Moment mitbekommen und drehte. Nun nahm sein Motorrad den Platz des Kollegen ein, der seinerseits zu seinem Krad ging. Aha, folgerte ich. In Fällen von akutem Personalmangel kann ein polizeiliches Fahrzeug Kraft seiner grün-weißen Farbe und Blaulicht einen Beamten ersetzen. Interessant.

„… in Köpenick gesperrt. Grund ist eine Uferunterspülung.“ Kichernd fragte die Piepsstimme aus dem Sender, was denn wohl eine Uferunterspülung sei und forderte den Hörer, der es wüsste auf, sich doch bei ihr im Sender zu melden.

„You drive me crazy…“ schallte es aus dem Radio. Sofort stellte ich lauter – mein derzeitiger Lieblingssong. Der Fahrzeugstrom aus Kreuzberg ließ und ließ nicht nach. „Hey, trotz strahlendem Sonnenschein habt ihr heute nicht mehr als 19 Grad in der Hauptstadt. Nehmt euch eine Jacke mit, sonst holt ihr euch einen Schnupfen und das ist echt Kacke!“

Ja, so was sagen die hier im Radio! Dann kiekste sexy Shakira aus den Boxen. Passte irgendwie, denn die Temperatur in dem schwarzen Auto lag inzwischen deutlich über 19 Grad.

Endlich des Rätsels Lösung: eine Motorrad-Eskorte. Danach schwarze Limousinen mit Chauffeur, Bodyguard und im Fond jeweils ein wichtiger Mensch. Äh, Mann. Die lustig flatternde blau-gelb-grüne Standarte konnte ich nicht zuordnen. Mehr Motorräder. Schlussflagge.

So, Leute, jetzt aber los.

Aber nun traute sich keiner mehr. Ich drückte energisch auf die Hupe, denn die Ampel zeigte sich gerade von ihrer grünen Seite, aber die Beiden vor mir warteten noch auf den erlösenden Wink des Beamten. Da!

Alle waren froh wieder Gas geben zu können und fuhren mit Schmackes in die Kreuzung des Potsdamer Platzes, wo sich alle Autos verknoteten, denn dort war die Ampel vorsichtshalber komplett abgeschaltet.

„Fahr, du Idiot!“ rief ich unspezifisch nach vorne und ruderte empört mit dem rechten Arm. Von allen Seiten dröhnte die Musik der verschiedensten Radiosender und wildes Gehupe um den Vordermännern Mut zu machen, die quer stehenden Wagen zu rammen. Die Ampel sprang an. Grün.

„Fahr!“ rief ich, aber der Typ traute sich nicht. Ist das zu fassen? Mein Blick glitt zum Kennzeichen: HB – ein Bremer! Kein Wunder! Wenn du es eilig hast in der Hauptstadt, häng dich bloß nicht hinter ein auswärtiges Kennzeichen! Die schleichen durch die Gegend und suchen die nächste Attraktion. So jemand vor dir und du kannst deinen Termin vergessen! Die bremsen ab bei hellgelb, damit sie Gelegenheit haben noch mal fix ins Google Maps zu schauen.

Mach ich auch in anderen Städten.

Hinten am Horizont sah ich dicke schwarze Rauchwolken am Himmel träge nach links weg driften. Ach, du Schande. Da brennt doch wohl nicht unser Kiez? In jedem Fall war es was Größeres, was da in Rauch aufging.

„…ist die Hufelandstrasse zwischen Greifswalder und Bötzowstrasse gesperrt. Grund ist ein Wasserrohrbruch. Die Arbeiten werden die ganze Nacht andauern.“ Wasserrohrbrüche sind in Berlin an der Tagesordnung. Wahrscheinlich sind die vielen Schlaglöcher in den Straßen schuld: Da die Autos ständig in die Löcher knallen, beschädigt das Ausmaß der daraus entstehenden Erschütterungen die unterirdischen historischen Leitungen, die dann dem Wasserdruck nicht mehr standhalten. Oder so.

Andererseits darf man an dieser Stelle auch den völkerverbindenden Gedanken nicht aus den Augen verlieren. Es heißt ja, Europa wachse zusammen und in Bezug auf den Straßenzustand hat sich unsere Hauptstadt ganz klar an das Niveau tschechischer Landstraßen angepasst. Die Stadtverwaltung hat einfach kein Geld, sondern beschäftigt eigens angestellte Beobachter, die die schlimmsten Schäden melden. Diese werden dann mit einer Portion Asphalt-Teer-Stopfmaterial gefüllt, so dass meist ein abgerundeter Buckel an Stelle des scharfkantigen Schlagloches entsteht. Solcherart versucht die Stadtverwaltung sich vor den größten Schadensersatzforderungen zu schützen. Es gibt sogar Straßen in Berlin, die haben überhaupt keine Asphaltdecke, sondern bestehen aus festgefahrenem Boden. Nach stärkeren Regenfällen stehen die kontaktfreudigen Bewohner mit Klappspaten und Kinderschüppchen vor ihren Häusern und graben in Windeseile kleine Kanäle um die plötzlichen Wassermassen von ihrem Garten auf den des Nachbarn umzulenken. Nach schwachem Regen werden selbige Gerätschaften benutzt, um die dann auftretenden Nacktschnecken in Stücke zu hacken. Auf diese Weise schützen manche Berliner die Salatköpfe, die von den Rehen bis dahin noch verschont geblieben sind.

 

Auch sprachlich wachsen wir zusammen. Die von Anglizismen durchsetzte Werbung sorgt dafür, dass auch ältere Bürger aus den neuen Bundesländern längst wissen, was ein „Display“ oder ein „Counter“ ist. Spätestens seit WM-Zeiten kann man an absolut jeder Ecke „Togo-Kaffee“ bekommen und am Prenzlberg hat doch tatsächlich ein Bestattungsunternehmen eine Biergartengarnitur vor seinem Schaufenster aufgebaut! Wenn das nicht „cool“ ist!

Die „Charts“ kommen uns derzeit spanisch daher, weil Salsa die Tanzböden erobert und in der Urlaubszeit spanische Begriffe ganz allgemein die Laune heben. Zwei Jahre lang habe ich geglaubt, dass „pitsi“ ein ungarisches Wort sei und „klein“ oder auch „bisschen“ bedeute. Per Zufall erfuhr ich neulich von meiner ungarischen Nachbarin, bei der ich das Wort öfters höre, dass diese „pitsi“ für ein deutsches Wort hielt und ebenfalls glaubte, es hieße „bisschen“. So war uns zwei Jahre lang nicht aufgefallen, dass es das Wort eigentlich überhaupt nicht gibt. Wenn das keine Völkerverständigung ist!

So. Immerhin – der Rohrbruch war dieses Mal in unserem Kiez und der Rauch auch – genügend Löschwasser war also vorhanden.

Es ist noch gar nicht lange her, da hat eine Schauspielerin eine Kita angezündet. Warum, habe ich vergessen, aber ich erinnere mich, dass sie auf dem Foto ein rotes Kleid an hatte und toll aussah. Jedenfalls war das ganz in unserer Nähe gewesen. Die wird doch wohl nicht rückfällig geworden sein?

Neben mir hupte es nachdrücklich. Empört sah ich zur Seite, meine Hand griff zur Hupe um Paroli zu bieten. Ein attraktiver Typ in einem silbernen Cabrio machte Zeichen, ich solle meine Scheibe runterlassen. Dann hielt er sein Handy hoch und machte mit dem rechten Zeigefinger Tippzeichen. Ich musste lachen und schüttelte den Kopf. Das machen die immer, die Berliner!

Der Bremer hatte sein Gaspedal entdeckt und es ging weiter.

„… ist die Friedrichstrasse zwischen Französischer Strasse und Kronenstrasse gesperrt. Grund sind Dreharbeiten. Ebenfalls wegen Dreharbeiten gesperrt ist die Simon-Dach-Strasse.“ Dann James Blunt „I saw her face in a crowded place…“

Das bedeutete Rückstau auf der Leipziger an der Kreuzung Friedrichstrasse. Mist. Ich beschloss, den Bremer abzuhängen und zog das Lenkrad scharf rechts rüber und stieß in eine Lücke. Na ja, ein Lückchen, denn der Bus hinter mir war der Meinung, ich würde da nicht reinpassen und drückte mehrfach die Lichthupe. Auch egal. Hauptsache, nicht hinterm Bus. Das treibt meinen Adrenalinspiegel sofort in die Höhe.

Wie erwartet gab es ein Chaos an der Kreuzung Friedrichstrasse. Alle, die eigentlich links einbiegen wollten und kein Radio gehört hatten oder dem jugendlichen Sprecher keinen Glauben schenkten, versuchten sich nun in die Geradeausspur zu quetschen. Vom Reißverschlusssystem hatte scheinbar noch nie jemand was gehört, außerdem war es viel lustiger sich mit Gehupe, Armwedeln und Drohgebärden (Taxen) Durchlass zu erkämpfen. In der Gegenrichtung hätten die Rechtsabbieger ja eigentlich gleich auf ihrer Spur zügig weiterfahren können, trotzdem bremste jeder erstmal neugierig ab und glotzte auf die schwarzen Vans und die hohen Scheinwerfer.

Ich auch.

Fischerinsel - obligatorischer Blick nach links auf den halb verborgenen Dom, dessen Anblick mich auch nach dem tausendsten Mal immer noch fasziniert, besonders mit der nächtlichen Effektbeleuchtung. Mit Schwung fuhr ich in die zweispurige Unterführung - Vollbremsung, Stau. Shit. „ Shake that ass on me, shake that ass on me, girl...”

Was ist das denn? In dem Kombi vor mir hatte mein Jägerauge den steif in die Höhe gestreckten Lauf eines Wildschweins entdeckt. Ich musste grinsen. Tatsächlich werden in Berlin alljährlich über tausend Sauen erlegt. Sofort stieg meine Laune und ich dachte an die bevorstehende Bockjagd im Nationalpark. Als es weiter ging, zog der Kombi mit der Beute auf die rechte Spur. Ich gab Gas und schaute rüber. Der Fahrer hatte meinen Blick wohl bemerkt und drehte seinen Kopf zu mir. Hey, der sieht ja richtig gut aus, dachte ich – ganz ohne Bart und kein bisschen alt! Ich lachte ihn an und hob anerkennend einen Daumen. Das deutete er ganz richtig als „Waidmannsheil!“, lachte und winkte.

„… könnt ihr euch zwei Tickets abholen – for free!“

Berlin hat viel zu bieten. Und vieles ist völlig kostenfrei, beispielsweise Open Air-Tickets oder ganz einfach eine Fahrt vom Q-damm zum Prenzlauerberg.

Winterfeldtplatz

„Nee, sieht echt super aus.“ Das Khakihemd vor mir war voller Bewunderung für die Stuckdecke des neu eröffneten, etwa 15 qm großen Bio-Bistros. Mein Blick ging nach oben. Dort weitete sich der Raum tatsächlich extrem großzügig. In etwa Kirchturmhöhe prangte eine breite, umlaufende Stuckkante, die Deckenmitte zierte ein riesiger Löwenkopf mit bedrohlich aufgerissenem Maul.

„Also, in Weiß hätte das nicht ausgesehen“, bekräftigte der „Biologe“, der zu Jeans und kariertem Hemd eine lange, weiße Bistroschürze trug. „Zu profan“, legte er nach, „das hat ja jeder.“ „Hm-hm“, sagte der Bewunderer sinnend, „aber wie haste das gemacht?“

So langsam müssten die aber Genickstarre kriegen, hoffte ich, denn ich hätte gerne die Limonentarte, die ich mir in der Glasvitrine ausgeguckt hatte.

„Du, mit Tee“, triumphierte Bio-Man. „Ach!“

Nun kam etwas Bewegung in das Khakihemd. Im Profil sah ich, dass das Freiheit und Abenteuer-Outfit über dem Bauch ganz schön spannte. Außerdem trug er dazu Bermudashorts, Ton in Ton. Ich konnte ihm eine gewisse Verwegenheit nicht absprechen, denn der Mann war kaum größer als ich und ich bin deutlich unter eins siebzig. „Tee-ee…“ Sein nickender Hinterkopf war zwischen mir und der inzwischen heiß ersehnten Limonentarte.

„Also, man kann das auch mit Gewürzen machen“, mischte ich mich ein um wieder Tempo in das Gespräch zu bringen. Der Abenteurer drehte sich überrascht zu mir um. Ich sah in zwei ausdrucksvolle klare blaue Augen. Ach, du Schande – der Kommissar! Den hatte ich doch grad letzten Sonntag im Fernsehen gesehen. Und sooo klein ist der? Nicht zu fassen!

„Eh, ja“, hob ich an zu weiteren Erklärungen. „Man kann das mit Paprikapulver machen für einen rötlichen Ton und mit Curcuma wird es gelb. Das ist viel preiswerter als normale Farbe und wird total schön“, bekräftigte ich. „Und ist natürlich Bio“, fügte ich hastig hinzu.

Bio. Bio heißt zu Deutsch „Leben“ und gehört wohl inzwischen zu den meistverwendeten Vorsilben. Auch da wo es total lächerlich oder verwirrend erscheint, wie beispielsweise „Biosocken“. Sind die aus Wollen von Bio-Schafen oder ist die Wolle kratzig als Beweis, dass sie nicht chemisch behandelt und eingefärbt wurde? Oder sind diese Socken aus „intelligentem Material“, dass den Schweiß nach außen ableitet, so dass die Füße immer trocken sind und diese Wundersocken nicht gewaschen werden müssen? Dafür benötigt man dann allerdings alle drei Monate neue Sportschuhe, denn irgendwo muss der Schweiß ja hin… Oder wie?

Der Khaki-Man ließ sich drei Melonenviertel in Alufolie einpacken, jedes Viertel einzeln, versteht sich. Damit es nicht durchsaftet, kam noch mal eine extra Lage Alu drum. Wiederum pro Viertel. Ob das wohl Bio-Alufolie ist? Hier kostete jedes Viertel etwa so viel wie eine ganze Melone nebenan im Aldidl. Hatte ich grad zehn Minuten vorher selbst gekauft und lag verborgen in der schwarzen Einkaufstasche zu meinen Füssen. Meine Melone fand ich total Bio, da in eigener Verpackung, sprich Schale. Er murmelte was von Gästen und wandte sich dann wieder mir zu. „Also, wie war das?“ Weiter kam er nicht.

„Schahaatz!“ fegte eine hübsche Brünette alarmiert in den Laden. „Wir haben den Champagner vergessen!“ Wie schrecklich, dachte ich lakonisch. Immerhin sind hier alle Geschäfte bis mindestens 20 Uhr geöffnet, einige bis 22 Uhr, danach gibt es Rettung im „Spätverkauf“ bis Mitternacht. Sie trug ein glänzendes Stretchkleid mit großformatigem Siebziger Jahre-Muster und hatte einen ziemlich dicken Babybauch. Aha, dachte ich, da kommt ja mal ein echtes Abenteuer auf den Kommissar zu.

Er zog ein dickes Lederportemonnaie, das den Kurvenverlauf seines Pos auf immer und ewig angenommen hatte, aus der Gesäßtasche, knallte einen Fünfzig-Euro-Schein auf die Theke, der umgehend von der Schwangeren weggerissen wurde noch bevor er das Wörtchen „hier“ ganz ausgesprochen hatte. Dann richtete er wieder seinen Blick fragend auf mich.

„Ja, also, das Curcuma-Pulver bekommst du am preiswertesten im Kaufland“, fuhr ich fort.

Wie ein an der Leine gerissener Hund blieb die mother-to-be im Türrahmen stehen, machte auf dem Absatz kehrt und war mit einem energischen Schritt wieder bei uns. „Du gehst!“ knallte sie den Fünfziger wieder auf die Theke. „Ich mache hier weiter!“ Ihr Kommandoton war unmissverständlich. Wortlos nahm er den Schein und verließ die trendigsten 15 Bio-Quadratmeter des ganzen Prenzlberges. So mutig war er dann doch wieder nicht. Ganz kurz überlegte ich, ob ich der Furie sagen sollte, dass mein Freund 1,90 Meter groß und sportlich sei und ich ihn auf keinen Fall gegen diese Khakikugel tauschen würde, Fernsehen hin, Kommissar her… Mit Rücksicht auf die offensichtlich unmittelbar bevorstehende Geburt des unschuldigen Wesens hinter dem orange-braunen Kästchenmuster ließ ich es aber sein. Vielleicht sind es ja nur die Hormone und sonst ist sie ganz anders. Die wütenden Blicke, die sie mir von der Seite zuschoss und die zackigen Bewegungen, mit denen sie die saftigen Vitamine in ihre Designertasche stopfte, ließen allerdings nicht viel Raum für Spekulationen zu ihren Gunsten.

Am nächsten Tag traf ich ihn dann zufällig noch mal vor meiner Haustür. „Hallo, Nachbar!“ blieb ich stehen. „Was noch ganz wichtig ist: Das Gewürzpulver muss in Schwarzbier eingerührt werden.“ „Okay“, nickte er heftig. „Schwarzbier?“ und sah sich verstohlen um. Wahrscheinlich war die Embryomutter gerade in dem Buchlädchen („Stillen, aber richtig“ oder „Die finanzielle Absicherung in der pränatalen Phase“). Oder war ich etwa unbemerkt in Dreharbeiten geplatzt und er war unbewaffnet und wurde verfolgt?

Also, verfolgt wurde er auf jeden Fall. Soviel war schon mal klar.

Alles klar, Herr Kommissar?

Urania

Stefan hat Liebeskummer. Schon die ganze Woche saß er mit verschlossenem

Gesicht vor seinem Rechner. Besorgtes nachfragen der Kollegen ergab tagelang nur ein ersticktes „Simone…“ als Erklärung. Nach einiger Zeit war klar: Simone war weg. Ausgezogen. Direkt nach dem Skiurlaub. Dieser Urlaub war ein Geschenk gewesen. Alle hatten dafür gesammelt. Es war eine tolle Überraschungsfete, die Stefan zu Simones Vierzigstem organisiert hatte. Gleich danach war sie mit zwei alten Freundinnen losgedüst – und nun das. Unerklärlich, undenkbar, undankbar…

In der zweiten Woche war er den ersten tröstlichen Worten zugänglich, wollte sogar Aufmerksamkeit. Denn – Simone hatte einen Anderen! Kennen gelernt in eben diesem Skiurlaub. Nachdem sie ein Jahr mit Stefan zusammen war – glücklich zusammen! Ausgesprochen glücklich!

„Na ja, “ versuchte ich ihn zu trösten. „Wenn sie ihn gerade erst kennen gelernt hat… und ihr doch immer glücklich wart… Warte mal ab! Vielleicht klappt das gar nicht mit den Beiden.“

„Ach, die ist doch sofort bei dem eingezogen!“ Entgegnete Stefan heftig. „Die bleibt bei dem.“ „Ja“, sagte ich gedehnt, „aber vielleicht will er das gar nicht so, vielleicht geht es ihm ja zu schnell und er macht Schluss.“

„Nie im Leben!“ entgegnete Stefan heftig. „Nie! Kein Mann wird diese Frau je verlassen!“

 

Er hatte meine volle Aufmerksamkeit. „Wieso denn das?“ wollte ich unbedingt wissen.

„Diese Frau ist eine Granate im Bett!“ behauptete er mit fester Stimme.

Ich schwieg neugierig um seinen Redefluss ja nicht zu unterbrechen. Schließlich kann man – und auch frau – ja immer noch dazu lernen. Aufmunternd blickte ich in sein unrasiertes, nun hektisch gerötetes Gesicht.

„Diese Frau“ informierte er mich, „macht alles alleine.“ Verständnislos blickte ich ihn an. „Ja!“ rief er enthusiastisch aus. „Du brauchst dich als Mann nur hinlegen und sie schnappt sich das Ding. Die macht alles alleine!“ Seine entzündeten Augen blickten irr. „Du brauchst dich als Mann bei der nur hinlegen und genießen!“ Ich war fassungslos. Bis jetzt hatte ich Stefan für einen intelligenten Mann gehalten.

„Äh, du hast Recht.“ Bestätigte ich seine Befürchtungen. „Die kommt nicht wieder.“

Danziger Strasse

Jeder kann was aus sich machen, seinen Typ unterstreichen. Ich dachte, heute ist es mal wieder so weit.

Friseurbesuche sind Vertrauenssache und mal ehrlich: Wem kann man heutzutage noch trauen? Besonders, wenn so ein vager Vertrauensbeweis einen leicht siebzig Euro oder mehr kosten kann. Nachdem ich ein Jahr lang misstrauisch die zahlreichen „Cut and go 10 Euro“-Lockschilder beäugt hatte, habe ich mir in der Mittagspause ein Herz gefasst und machte mich auf den Weg zum „Best Service in town“.

Auf dem Weg dorthin kam ich an einem anderen Salon vorbei, wo „Gentleman-Haarschnitte“ für 7,99 Euro geboten wurden. Für Ladys war nix im Angebot und außerdem wollte ich ja das Beste, was für zehn Euro in der Stadt zu haben ist.

Beim Betreten des Salons umfing mich sofort eine trockene, Haarspray geschwängerte Luft und das systematische Summen diverser Föhne, die gegen die dröhnende Rockmusik aber nicht ankamen. Die Friseurinnen, die gerade an der Kundschaft ihren besten Service verrichteten, waren leicht zu erkennen: alle hatten tiefschwarz gefärbte Haare, die sich lediglich in der Länge unterschieden und durch die bunten Haarsträhnen, die keinesfalls von Gott gegeben waren, denn sie waren lila, grün oder pink. Alle Haarkünstlerinnen waren schwarz gekleidet, hatten viel Metall im Gesicht und unter jedem verrutschenden Kleidungsstück lugten Tätoos hervor.

„Okay“, dachte ich und tat einen tiefen Atemzug. „Das wird schon gut gehen.“

„Und? Watt machen?“ Brüllte eine Haarkünstlerin zu mir herüber. Ihr fülliger Leib bebte unter den zackigen Bewegungen, mit denen sie Föhn und Frisur der Kundin herum wirbelte. Ich versuchte erst gar nicht, die Geräuschkulisse zu überbrücken, sondern machte Stimmband schonend mit Zeige- und Mittelfinger eine Schere nach. Die Herrin über Heißluft und Farbe nickte.

„Maaaandy!“ Brüllte sie diesmal Richtung Trennwand.

„Ick hab Pause!“ wehrte sich eine bis dato unsichtbare Kollegin.

Der Kopfbewegung gehorsam folgend, setzte ich mich auf einen freien Stuhl. Jetzt bloß nix falsch machen! Im Spiegel traf ich den Blick eines Anfang Zwanzigjährigen, der den Stuhl neben mir hatte. Er schien auch einigermaßen besorgt zu sein und lächelte schief, aber da er ratzekurze Haare und einen ordentlich ausrasierten Nacken hatte, dachte ich, dass die Ladies in Black wohl doch ihr Handwerk beherrschten.

Mit einem Knall schwang die Saloontür neben mir auf: Auftritt Mandy.

Sie war die einzige Blondine im Team – klein und zierlich, die weißblonden Haare hingen bis zur Taille, durchsetzt von rosa Strähnen. Sie war ebenfalls in schwarz gekleidet, Springerstiefel und Ketten um die Hüften unterstrichen den martialischen Anstrich.

„Okay, wenigstens hab ich die Königin erwischt“, dachte ich und atmete erneut tief durch. Und sie hatte keinerlei Piercings im hübschen Gesicht.

„Und, watt machen wa?“ Fragte sie grußlos, während ihre dünnen Finger schon versiert durch meine Mähne fuhren. „Äh, ja, irgendwie kringeln die sich immer so an der Stirn“, wollte ich meine detaillierte Schilderung einleiten.

„Ick seh schon“, unterbrach sie meinen Redefluss und warf einen schwarzen Umhang über mich. „Hier ma rüber!“ Kommandierte sie mich dann zum Waschbecken. „Äh, ja. Also, …“

Ich hatte das dringende Bedürfnis, meine Vorstellungen über mein künftiges Aussehen zu artikulieren, bevor etwas passierte, was nicht wieder rückgängig zu machen sei.

„Spülung rein?“ So schnell hatte mir noch niemand die Haare gewaschen. „Kostet zwei Euro extra.“ Zackig durchpflügten die Finger mein nasses Haar. „Watt denn? Machen oder nicht?“ „Äh, ja.“ Ich war jeder Verbesserungsmaßnahme aufgeschlossen.

„Ah, nee, ne?“ Der Aufschrei kam vom Nachbarwaschbecken. „Meine Kugeln!“ Kugeln? Was für Kugeln? Noch während ich mich wunderte, wurde offensichtlich, dass jeder außer mir wusste, was gemeint war: die Piercings im Gesicht – Ringe oder eben wahlweise Kugeln.

Mit beiden Händen tastete sich die füllige Friseuse durch den Schaumberg auf dem Kopf ihrer Kundin. „Die kleinen verliert man immer schneller als die großen!“ Wusste die Kollegin auf der anderen Seite des Waschbeckens zu berichten.

„Schei-ße! Irgendwo müssen sie doch sein!“ Durchsuchte sie weiter das Haupthaar ihrer nicht stimmberechtigten Kundin.

„So kommt man hier ohne Aufpreis an eine Kopfmassage“, dachte ich und musste grinsen. Inzwischen wurden auch meine Haare heftig massiert, denn Mandy hatte mich anscheinend vergessen. Sie knetete automatisch an meinem Kopf herum und war ansonsten mit Blick und Gedanken bei dem Problem ihrer Mitstreiterin.

„Du musst die Kugeln austauschen gegen große“, empfahl sie. „die verlierste nich so schnell.“ „Ja! Die mit den Kunststoffstrippen dazwischen!“ Übertönte eine weitere Kollegin die Heavy Metal Musik.

„Jenau!“ Bekräftigte Mandy, der ich vor wenigen Minuten mein ganzes Vertrauen geschenkt hatte. „Die hab ich auch im Mund – die sind total schön!“

Kugeln? Kunststoffstrippen?? Im Mund??? Ich war entsetzt. Was sagt denn ihr Freund dazu? Oder küssen die sich nicht? Und das ganze Essen? Sie war doch eben so schnell aus der Pause gelaufen um sich meiner Problemfrisur zu widmen.

Ein schwarzes Handtuch, das blitzschnell um meinen Kopf geschleudert wurde, verdrängte aufkommende Visionen von Ruccolablättern und eingeklemmten Schinkenstreifen.

„Äh…“ Setzte ich an um meine Wunschfrisur zu erläutern, aber da segelten schon die ersten blonden Strähnen zu Boden – meine! Und so viele! Ich hob meine Hand um Einhalt zu gebieten, aber da alles unter dem riesigen schwarzen Plastikumhang steckte, war der Effekt gleich null. Trotz der hämmernden Musik erschien mir das Klappern der Schere überlaut und in Null Komma nix war der Boden übersät von Haaren – alles meine!

„Hier“, wurde mir dann ein Föhn in die Hand gedrückt, „datt kannste jetzt ma selber vasuchen. Dann seh ick, ob irgendwo noch watt weg muss. “

Mein Herz klopfte, als ich gehorsam den Föhn nahm.

Zack! warf sie dann einen Umhang über den Jungen und machte sich mit einer Haarschneidemaschine an seinem Kopf zu schaffen.

„Was soll denn bei dem noch ab?“ fragte ich mich verständnislos, konzentrierte mich dann aber doch lieber auf den Trocknungsvorgang. Hier muss jeder selber sehen wo er bleibt. Zügig blies ich die heiße Luft in meine verbliebene Haarpracht, die ich dabei mit den Fingern der freien Hand durchfurchte. Wunderbarerweise hatte ich innerhalb weniger Minuten eine bauschige Mähne, die sich mangels Masse, leicht um Kopf und Schultern schmiegte. Klasse!

Es war nicht gelogen: „Best Service in town!“

Bötzow Kiez

„Gib ab! Gib ab!“ Fröstelnd schob ich meine Hände tiefer in die Manteltasche und stieß eine weiße Atemwolke aus. „Toooor!“ brüllte ein begeisterter Mittdreißiger und hob triumphierend seine Faust gegen den stahlblauen Himmel. Dass er in beinahe knöcheltiefem Schneematsch stand, schien ihm nichts auszumachen. Mein Hund sauste durch die Parkanlage, gelegentlich rutschten ihm die Läufe weg auf dem Weg, der in den beschatteten Bereichen noch hart gefroren war.

„Hey! Pass doch auf! Hier findet das Spiel statt!“ Noch müde schielte ich durch meine langen Haarsträhnen. Zwei der Kälte verachtenden und erstaunlich modisch gekleideten Spieler hatten mich bemerkt und schauten mir für einen Moment gebannt hinterher. 8.20 Uhr morgens. Isses denn wahr?