Das Gefühlsleben der Tiere

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Das Gefühlsleben der Tiere
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Marc Bekoff

Das Gefühlsleben der Tiere

Ein führender Wissenschaftler untersucht Freude, Kummer und Empathie bei Tieren

Mit einem Vorwort von Jane Goodall


© 2008 Marc Bekoff/animal learn Verlag

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

3. Auflage 2014

ISBN 978-3-936188-42-4

Übersetzung ins Deutsche: Elke Franz

Lektorat: Petra Schmidt, Susanne Artmann

Fotos: Cliff Grassmick, istockphoto, fotolia, pixelio

Satz & Layout: Annette Gevatter, Riegel a. K.

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte der deutschen Übersetzung:

animal learn Verlag

Am Anger 36, 83233 Bernau

Email: animal.learn@t-online.de

www.animal-learn.de

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT von Jane Goodall

EINFÜHRUNG

Das Geschenk der Gefühle von Tieren

DANKSAGUNG

KAPITEL 1

Argumente für die Gefühle der Tiere und

weshalb sie von Bedeutung sind

KAPITEL 2

Kognitive Ethologie: Das Studium des Verstandes

und der Herzen von Tieren

KAPITEL 3

Tierische Leidenschaften: Was Tiere fühlen

KAPITEL 4

Wilde Gerechtigkeit, Empathie und Fairplay: Tiere und Ehrgefühl

KAPITEL 5

Schwierige Fragen: Antworten für Skeptiker und das Ansprechen der Unsicherheit in der Wissenschaft

KAPITEL 6

Ethische Entscheidungen: Was wir mit unserem Wissen tun

QUELLENHINWEISE

LITERATURHINWEISE

ÜBER DEN AUTOR


Für Jasper, den Sprecher der Bären für Hoffnung und Freiheit, und Pablo, den Schimpansen CH-377

– zwei von viel zu vielen.


VORWORT

Es freut mich sehr, das Vorwort für dieses wichtige Buch schreiben zu dürfen, denn es befasst sich mit einem Thema – den Gefühlen von Tieren – das für das richtige Verständnis von Tieren und ihre Beziehung zu uns entscheidend ist. Schon während meiner Kindheit faszinierten mich alle Tiere – ich beobachtete sie, lernte von ihnen und liebte sie. Im Alter von zehn Jahren entwickelte ich eine ganz besondere Beziehung zu dem außerordentlich intelligenten Mischlingshund Rusty, der zu meinem ständigen Begleiter wurde. Er und drei aufeinander folgende Katzen, zwei Hängebauchschweine, ein Goldhamster, ein Kanarienvogel und zwei Schildkröten, mit denen wir unser Haus und unsere Herzen teilten, lehrten mich, dass Tiere, zumindest solche mit ziemlich komplexen Gehirnen, starke und unverwechselbare Persönlichkeiten sind und über einen Verstand verfügen, der sie zu einem gewissen rationalen Denken befähigt – und insbesondere dazu, Gefühle zu haben.

Später, im Jahr 1960, erhielt ich die außerordentliche Gelegenheit, die Schimpansen im Gombe National Park in Tansania zu beobachten. Ich hatte keine Ahnung von wissenschaftlichen Methoden und hielt einfach alles fest, was ich sah. Glücklicherweise war ich geduldig, denn während der ersten paar Monate flüchteten sie, wann immer sie dieses merkwürdigen weißen Affens ansichtig wurden, der so plötzlich in ihrer Mitte aufgetaucht war. Das erste Tier, das seine Angst vor mir verlor, nannte ich David Greybeard. Er war ein auffallend schöner, erwachsener Schimpansenmann mit großen, weit auseinander liegenden Augen. Ich fand schließlich heraus, dass er mit seiner freundlichen, aber entschlossenen Art eine echte Führungspersönlichkeit war. Davids ruhige Akzeptanz meiner Anwesenheit half anderen Mitgliedern seiner Gemeinschaft zu erkennen, dass ich letztlich doch keine so Furcht erregende Kreatur war. Dennoch wurden viele von ihnen aggressiv und unternahmen Einschüchterungsversuche, wie sie üblicherweise Leoparden oder großen Schlangen zu Teil werden. Doch schließlich entspannten sie sich, und nachdem ich Stück für Stück ihr Vertrauen gewonnen hatte, erlaubten sie mir, mich in ihrer Welt zu bewegen – immer nach ihren Regeln. Ich lernte die vielfältigen starken Persönlichkeiten kennen: Davids engen Gefährten Goliath, bei dem es sich, wie ich schließlich erkannte, um das Alpha-Männchen handelte; die hochrangige, bestimmte Flo und ihre große Familie; die schüchterne Olly und ihre alles andere als schüchterne Tochter Gilka; den reizbaren JB; Jomeo, den unabsichtlichen Clown – und all die anderen.

Nach einem Jahr ermöglichte es mir Louis Leakey, mich an der Universität von Cambridge auf meine Doktorarbeit in Ethologie vorzubereiten. Dort wurde ich dafür kritisiert, nicht nach wissenschaftlichen Methoden gearbeitet, den Schimpansen Namen statt Nummern zugeteilt und ihnen damit Persönlichkeit „verliehen“ zu haben – und dafür, zu behaupten, sie hätten Verstand und Gefühle. Dies, so wurde mir mit strengen Worten mitgeteilt, seien Attribute, die ausschließlich für das Tier Mensch reserviert seien. Ich wurde sogar dafür getadelt, einen männlichen Schimpansen mit „er“ und eine weibliche Schimpansin mit „sie“ zu bezeichnen: Wusste ich denn nicht, dass die korrekte Weise, mit der ein Tier zu bezeichnen war, „es“ lauten musste? Ein nichtmenschliches Tier, selbstverständlich. Und so wurden meine Beobachtungen größtenteils als die einer naiven jungen Frau ohne universitäre Bildung abgetan. Und doch war es gerade diese „fehlende Qualifikation“ in Verbindung mit meiner Leidenschaft, etwas über Tiere in freier Wildbahn zu erfahren, was meinen Mentor, den inzwischen verstorbenen Louis S. B. Leakey, für mich eingenommen hat. Er wünschte sich einen Beobachter, dessen Verstand unbeeinflusst war vom begrenzten Denken der Wissenschaft der frühen Sechziger Jahre. Tatsächlich vertraten Ethologen sowie zahlreiche Philosophen und Theologen den Standpunkt, Persönlichkeit, Verstand und Gefühle seien einzig menschliche Attribute und das Verhalten nichtmenschlicher Lebewesen sei lediglich auf umweltbedingte oder soziale Einflüsse zurückzuführen.

Das konnte ich jedoch nicht akzeptieren – es widersprach allem, was ich in den Jahren mit Rusty sowie während meiner Zeit mit den Schimpansen gelernt hatte. Glücklicherweise hatte ich in Professor Robert Hinde einen weisen Doktorvater. Er war selbst bekannt für seinen streng wissenschaftlichen Verstand und seine Intoleranz gegenüber verschwommenen Denkmodellen. Trotzdem hatte er allen Rhesusaffen, mit denen er gearbeitet hatte, Namen gegeben und schrieb über sie ohne Scham als „er“ und „sie“. Robert Hinde lehrte mich, meine Ideen, denen zwar gesunder Menschenverstand zugrunde lag, die ethologisch jedoch revolutionär anmuteten, in einer Weise auszudrücken, die mich vor allzu feindseliger wissenschaftlicher Kritik schützte. Ich konnte zum Beispiel nicht sagen „Fifi war glücklich“, da ich das nicht beweisen konnte. Stattdessen konnte ich sagen: „Fifi verhielt sich auf eine Weise, dass man, wäre sie menschlich, sagen würde, sie war glücklich.“

In den späten Sechziger Jahren gingen immer mehr Biologen ins Feld und begannen mit Langzeitstudien an allen möglichen tierischen Spezies: Affen, Menschenaffen, Elefanten, Wale, Delfine, Wölfe usw. Diese Studien machten deutlich, dass das Verhalten von Tieren wesentlich komplexer ist, als ursprünglich von der Wissenschaft der westlichen Welt zugegeben worden war. Es gab immer mehr zwingende Beweise dafür, dass wir nicht allein sind in unserem Universum, dass wir nicht die einzigen Kreaturen mit Verstand sind – fähig, Probleme zu lösen, Liebe und Hass ebenso zu verspüren wie Freude und Trauer, Angst und Verzweiflung. Sicher sind wir nicht die einzigen Tiere, die Schmerz und Leid empfinden. Mit anderen Worten: Es gibt keine klare Grenze zwischen dem Tier Mensch und dem Rest des tierischen Königreichs. Die Grenzen sind fließend und mit der Zeit werden sie immer fließender.

Doch gibt es leider zahllose Menschen, darunter sowohl Laien als auch Wissenschaftler, die immer noch aufrichtig davon überzeugt sind, dass Tiere lediglich Objekte sind, die durch äußere Einflüsse aktiviert und zu Reaktionen veranlasst werden. Und nur zu oft weisen diese Menschen bewusst oder unbewusst unsere Versuche zurück, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Letztlich ist es einfacher, an unbeseelten Objekten unangenehme Handlungen zu vollziehen – sie schmerzhaften Experimenten auszusetzen, sie in industrieller Massenzucht aufzuziehen, sie zu jagen, zu fangen, zu essen und auf andere Weise auszubeuten –, als diese Dinge lebendigen, fühlenden Wesen anzutun. Ein Affe, Hund oder Schwein erfährt Angst wahrscheinlich auf dieselbe Art und Weise wie ein menschliches Wesen. Jungtiere, ob menschlich oder nicht, zeigen ganz ähnliche Verhaltensweisen, wenn sie gut gefüttert und beschützt werden – sie spielen, tollen, drehen sich im Kreis, hüpfen, schlagen Purzelbäume –, so dass es schwer ist, nicht zu glauben, dass sie damit auch ganz ähnliche Gefühle ausdrücken. Mit anderen Worten: Sie sind voller Lebensfreude – sie sind glücklich. Ich sah bei Schimpansenkindern nach dem Tod ihrer Mütter ein ähnliches Verhalten, das der klinischen Depression trauernder Menschenkinder gleichkommt: gekrümmte Haltung, Schaukeln des Körpers, stumpf starrende Augen, Interesselosigkeit gegenüber den Vorgängen rundherum. Wenn menschliche Kinder aus Trauer leiden können, dann können dies auch Schimpansenkinder. In diesem Stadium der Trauer können Schimpansenwaisen – wie Flint und Kristal – sogar sterben.

 

Es wird immer offensichtlicher, wofür nun auch hervorragende wissenschaftliche Belege existieren, dass Tiere einen sehr großen therapeutischen, heilenden Einfluss ausüben können. Bei der Senkung des Blutdrucks, dem Reduzieren asozialen Verhaltens Gefangener und der Unterstützung von Kindern mit Leselernschwäche spielen sie eine wichtige Rolle. Ältere, allein lebende Menschen können vor Depressionen bewahrt werden, die durch Einsamkeit oder durch das Gefühl von Nutzlosigkeit entstehen, wenn sie ihr Leben mit einem geliebten Tier wie einer Katze oder einem Hund teilen. Dies liegt nicht allein daran, dass Tiere weich, pelzig und warm sind. Es liegt daran, dass diese heilenden Tiere mit ihren Menschen mitfühlen, ihre Nöte zu verstehen scheinen – und sie lieben. Mit anderen Worten: Diese Tiere sind sehr viel mehr als Objekte, deren Verhalten durch Stimulus und Reaktion beeinflusst wird. Ein ausgestopftes, mechanisches Spielzeugtier, egal wie kunstvoll gearbeitet und wie lebensecht in seiner Erscheinung, kann niemals den Platz eines lebenden, fühlenden und liebenden Tieres einnehmen.

Je mehr Menschen begreifen, dass Tiere, besonders in Gruppen lebende Säugetiere mit komplexen Gehirnen, ein reiches Gefühlsleben besitzen und darüber hinaus auch fähig sind zu leiden – sowohl mental als auch physisch – desto eher wird es uns gelingen, die unangemessene Behandlung, die so vielen Millionen von Tieren zu Teil wird, zu ändern. Tatsächlich haben die meisten Menschen keine Ahnung davon, was sich in den medizinischen Forschungslabors abspielt. Und sie wissen nichts – und wollen auch gar nichts wissen – von den Milliarden von Tieren, die in stinkenden, schmutzigen Zuchtfabriken, auf engstem Raum zusammengepfercht, geboren werden. Genauso wenig begreifen sie, welche Grausamkeit hinter dem Training von Tieren steckt, die im Zirkus oder auf andere Weise der Unterhaltung der Menschen dienen sollen. Solange Wissenschaftler (zumindest in ihrem Berufsleben) die falsche Ansicht aufrecht erhalten, dass nichtmenschliche Wesen bloß Dinge sind, wird dies leider dazu führen, auch weiterhin stillschweigend über dieses unmenschliche Verhalten hinwegzusehen.

Aus diesem Grund freue ich mich so sehr darüber, dass Marc dieses Buch geschrieben hat. Unbeeindruckt von der manches Mal bösartigen Kritik seiner Kollegen, die er praktisch während seines gesamten Berufslebens erfahren musste, fuhr er fort, die Persönlichkeiten und Gefühle nichtmenschlicher Tiere zu studieren und über sie zu schreiben. Nun hat er im Gefühlsleben der Tiere das stetig wachsende Datenmaterial wissenschaftlicher Beweise zusammengefasst, das die These von der Existenz vielfältiger Emotionen bei anderen Tieren unterstützt, reich illustriert durch seine eigenen sorgfältigen Beobachtungen und Schlüsse. Er vertritt eindringlich den Standpunkt, dass die Zeit gekommen ist, diesen Komplex an Informationen allgemein zu akzeptieren. Tatsächlich weist er darauf hin, dass es einer Zeitverschwendung gleichkommt, auch nur zu fragen, ob Schimpansen, Elefanten, Hunde usw. Gefühle wie Glück, Traurigkeit, Verzweiflung und Ärger erleben – und dass dies für Menschen, die auf sinnvolle Weise Zeit mit Tieren verbracht oder mit ihnen gelebt haben, offensichtlich ist. Statt weiterhin zu versuchen, das Offensichtliche zu beweisen, ist nun ganz sicher die Zeit gekommen zu akzeptieren, dass tierische Wesen – wie menschliche Wesen auch – Gefühle ausdrücken, und somit die Zeit, andere Fragen zu stellen, so wie er es mit diesem Buch tut. Wie entwickeln sich Gefühle überhaupt? Welchem Zweck dienen sie?

Das Gefühlsleben der Tiere ist eine weitere Stimme im wachsenden Chor derjenigen, die versuchen, die Haltung gegenüber den tierischen Wesen, mit denen wir uns diesen Planeten teilen, zu verändern. Die Verbindung sorgfältiger wissenschaftlicher Methodik mit Intuition und gesundem Menschenverstand wird dieses Buch zu einem großartigen Werkzeug für diejenigen machen, die dafür kämpfen, das Leben der Tiere in einer Umwelt zu verbessern, in der ein nahezu vollständiges Unverständnis herrscht. Ich hoffe nur, dass es viele Menschen dazu bringen wird, die Art und Weise, wie sie mit ihren Tieren umgehen, noch einmal zu überdenken.

Jane Goodall, PhD, DBE,

Gründerin des Jane Goodall Institute

und Friedensbotschafterin der Vereinten Nationen


EINFÜHRUNG

Das Geschenk der Gefühle von Tieren

Willkommen in der faszinierenden Welt der Gefühle der Tiere. Als Wissenschaftler, der seit mehr als 30 Jahren die Leidenschaften und Tugenden von Tieren studiert, sehe ich mich selbst als einen sehr glücklichen Menschen. Ich liebe, was ich tue. Ich liebe es, etwas über Tiere zu erfahren, und ich liebe es, meine und die Entdeckungen meiner Kollegen mit anderen zu teilen. Wann immer ich Tiere beobachte oder mit ihnen arbeite, leiste ich einen Beitrag für die Wissenschaft und gehe gleichzeitig soziale Beziehungen ein. Für mich liegt darin kein Widerspruch.

Bevor ich beginne, möchte ich einen wichtigen Punkt in Bezug auf die Terminologie ansprechen. Wenn wir über „tierische Gefühle“ diskutieren, vergessen wir manchmal, dass auch Menschen Tiere sind. Die Phrase „nichtmenschliche Tiere“ für Wesen zu verwenden, die wir gewöhnlich als „Tiere“ bezeichnen, ist jedoch sehr umständlich. Deshalb verwende ich in diesem Buch das Wort Tiere, wenn ich mich auf „nichtmenschliche Tiere“ beziehe – selbstverständlich in dem Wissen, dass wir alle Tiere sind, und in der Hoffnung, dass diese sprachliche Abkürzung nicht dazu beiträgt, gewisse „Nachlässigkeiten“ aufrecht zu erhalten.

Das Gebiet der tierischen Emotionen – bei dem es sich um einen spezifischen Bereich innerhalb der größeren wissenschaftlichen Disziplin der kognitiven Ethologie bzw. der Studien in Hinsicht auf den tierischen Verstand handelt – hat sich in den letzten 30 Jahren enorm gewandelt. Als ich mit meinen Studien begann, waren nahezu alle Forscher Skeptiker, die ihre Zeit damit verbrachten sich zu fragen, ob Hunde, Katzen, Schimpansen und andere Tiere etwas fühlen. Da man Gefühle nicht unter ein Mikroskop legen kann, fanden diese Forscher für gewöhnlich auch keine – und ich möchte sagen, ich bin froh, nicht ihr Hund gewesen zu sein! Zum Glück finden wir heute immer weniger Skeptiker; doch während die Debatten um die Frage, ob Tiere Gefühle haben oder nicht, zwar weiterhin geführt werden, lautet die Frage von wirklicher Bedeutung nun, weshalb sich die Gefühle der Tiere so und nicht anders entwickelt haben. Tatsächlich haben sich die Denkmuster auf eine Weise verändert, dass die Beweislast nun immer öfter denen zufällt, die immer noch behaupten, dass Tiere keine Gefühle haben. Meine Kollegen und ich müssen Worte wie glücklich oder traurig nicht mehr in vorsichtige Wendungen verpacken, wenn wir über das gefühlsmäßige Innenleben eines Tieres schreiben. Wenn unser Hund Fido dabei beobachtet wird, wie er ärgerlich oder ängstlich reagiert, können wir dies mit der gleichen Selbstverständlichkeit ausdrücken, mit der wir menschliche Gefühle diskutieren. In Wissenschaftsmagazinen und anderen Publikationen werden regelmäßig Geschichten und Berichte veröffentlicht, die sich mit der Freude von Ratten und der Trauer von Elefanten befassen, und niemand schreit mehr auf.

Gegen die Existenz tierischer Emotionen zu argumentieren, ist schlechte Biologie. Die wissenschaftliche Forschung in evolutionärer Biologie, kognitiver Ethologie und in den sozialen Neurowissenschaften unterstützt die Ansicht, dass zahlreiche unterschiedliche Arten ein reiches und tief empfundenes Gefühlsleben haben. Emotionen haben sich bei zahlreichen Spezies als Adaptionen entwickelt. Sie dienen als sozialer Kitt, der Tiere miteinander verbindet. Zusätzlich katalysieren und regulieren Gefühle eine Vielzahl sozialer Begegnungen zwischen Freunden, Liebenden sowie Konkurrenten und sie erlauben es Tieren, sich angepasst und flexibel selbst zu schützen, indem sie vielfältige Verhaltensmuster auf eine breite Palette von Situationen anwenden.

Charles Darwins anerkannte Theorie zur evolutionären Kontinuität, dass Unterschiede zwischen Spezies eher gradueller Natur, nicht aber grundsätzlicher Art sind, weist nachdrücklich auf die Präsenz von Gefühlen, Empathie und moralischem Verhalten bei Tieren hin. In der Praxis erlaubt uns diese Kontinuität, „die evolutionären Punkte unterschiedlicher Spezies miteinander zu verbinden“, um Ähnlichkeiten zwischen sich entwickelten Eigenschaften hervorzuheben, die auch individuelle Gefühle und Leidenschaften umfassen. Was wir bisher über tierische Emotionen und Empathie gelernt haben, passt gut zu dem, was wir über die Lebensweise unterschiedlicher Spezies wissen – nämlich wie komplex ihre sozialen Interaktionen und sozialen Netzwerke sind. Gefühle, Empathie und das Wissen um „Richtig“ oder „Falsch“ sind die Schlüssel zum Überleben, ohne die alle Tiere – sowohl menschliche als auch nichtmenschliche – untergehen würden. Das ist der Grund, weshalb sie so wichtig sind.

Und es gibt immer wieder Überraschungen. Immer dann, wenn wir meinen, alles gesehen zu haben, tauchen neue wissenschaftliche Daten und Berichte auf, die uns dazu zwingen, unser bisher erworbenes Wissen neu zu überdenken und unsere Klischeevorstellungen zu revidieren. Ein Beispiel: Nachdem ich gerade die Korrekturfahnen zu diesem Buch erhalten hatte, stieß ich in der Zeitschrift New Scientist vom 02. Dezember 2006 auf einen Artikel über die Gefühle von Walen. Man hat herausgefunden, dass Buckelwale, Finnwale, Orcas und Pottwale über Spiegelzellen bzw. Spiegelneuronen in derselben Gehirnregion verfügen wie wir Menschen. Diese Gehirnregion wird mit sozialer Organisation, Einfühlungsvermögen, Intuition in Bezug auf die Gefühle anderer sowie raschen gefühlsmäßigen Reaktionen in Verbindung gebracht. Von Spiegelzellen, einst als einzigartig bei Menschen und Großaffen angesehen, glaubt man, dass sie für die Verarbeitung von Gefühlen wichtig sind. Und Wale haben in der Tat mehr Spiegelzellen als Menschen.

Alle Säugetiere (auch die Menschen) verfügen über neuroanatomische Strukturen und neurochemische Bahnen, die für das Fühlen wichtig sind. Doch fühlen alle Tiere dasselbe? Die Forschung hat bewiesen, dass Mäuse empathische Nagetiere sind, und darüber hinaus stellte sich heraus, dass sie gerne Spaß haben. Wir hören Geschichten über vergnügungssüchtige Leguane, ein Pferd mit Sinn für Humor, verliebte Wale, Elefanten, die unter psychischen Flashbacks (Wiedererleben psychischer Traumata) und posttraumatischen Stress-Störungen leiden, über einen trauernden Otter, einen verwitweten Esel, unleidliche Paviane, empfindungsfähige Fische und einen sehenden Hund, der seinem blinden Hundefreund als „Auge“ zur Seite steht.

Wir wundern uns nicht, enge, dauerhafte und liebevolle emotionale Bindungen zwischen Mitgliedern einer Art zu finden, doch entstehen oftmals auch ungewöhnliche Beziehungen zwischen Tieren völlig unterschiedlicher Arten, ja, sogar zwischen Tieren, die sonst Jäger und deren Beute sind! So zum Beispiel Aochan, eine Schwarze Erdnatter, die sich im Mutsugoro Okoku Zoo in Tokio mit dem Zwerghamster Gohan anfreundete.

Wenn eine Schlange und ein Hamster Freunde werden können, warum dann nicht auch Menschen und andere Tiere? In vielerlei Hinsicht ist dies schon so, doch spielen in diesen Beziehungen nicht nur die menschlichen Emotionen eine Rolle. Die Gefühle der Tiere ziehen uns an, faszinieren uns. Im Verlauf einer Vortragsreihe, die ich im August 2006 am Assistance Dog Institute in Santa Rosa, Kalifornien, hielt, konnte ich die Interaktionen zwischen Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen und ihren Hunden, die ihnen lebensnotwendige Begleiter sind, beobachten. Als ich die nuancierten, auf den Punkt gebrachten Details der Kommunikation mit Hilfe von Stimme und Bewegungen sah, erkannte ich, dass jede Person mit ihrem Hund eine starke soziale Bindung hatte, die eindeutig auf gegenseitigem Respekt und Gefühl basierte. Beide Wesen, Mensch und Hund, teilten eine dauerhafte emotionale Zugehörigkeit, die weit über „bloßes Training“ hinausging.

 

Ich beginne meine Vorträge oft mit der Frage: „Gibt es irgend jemanden im Publikum, der denkt, Hunde haben keine Gefühle und empfänden keine Freude oder Trauer?“ Ich erhielt bisher nie eine enthusiastische Reaktion auf diese Frage, nicht einmal bei wissenschaftlichen Zusammenkünften, wenn auch gelegentlich ein oder zwei Hände zögerlich in die Höhe gehalten wurden (für gewöhnlich nur auf halbe Höhe, während sich die Person umsah, ob irgend jemand sie beobachtete). Wenn ich jedoch frage: „Wie viele von Ihnen glauben, dass Hunde Gefühle haben?“, wedeln nahezu alle Anwesenden wild mit der Hand, lächeln und nicken eifrig ihre Zustimmung. Das Zusammenleben mit einem Hund bedeutet, aus erster Hand zu wissen, dass Tiere Gefühle haben. Darüber müssen wir nicht einmal nachdenken. Wir messen ihre Gefühle anhand ihres Verhaltens, indem wir zum Vergleich unsere eigenen Gefühlsmuster als Schablone anlegen und wir tun dies sehr zuverlässig. Und ich bin glücklich, sagen zu können, dass heute sogar die Mehrheit der Wissenschaftler dem zustimmt, was allen anderen der gesunde Menschenverstand ohnehin zu sagen scheint.

Anzuerkennen, dass Tiere Emotionen haben, ist wichtig, denn die Gefühle der Tiere sind von Bedeutung. Tiere sind empfindungsfähige Wesen, die die Hochs und Tiefs des täglichen Lebens erfahren. Dies müssen wir respektieren, wenn wir mit ihnen interagieren. Tiere sind nicht nur die Gefährten, mit denen wir leben, für die wir sorgen und die wir lieben. Da sind außerdem noch die Milliarden anderer domestizierter Tiere, die in Mastbetrieben leben, in Schlachthäuser gebracht werden und uns mit Nahrung und Kleidung versorgen. Und wildlebende Tiere, die ständig versuchen müssen, unsere überbevölkerte Welt mit uns zu teilen.

Unsere Beziehung zu anderen Tieren ist eine komplexe, vielschichtige, herausfordernde und frustrierende Angelegenheit und wir müssen ununterbrochen überdenken, wie wir mit unseren nichtmenschlichen Verwandten umgehen sollten. Ein Teil dieses Denkprozesses beinhaltet das Stellen schwieriger Fragen und das Sicherstellen dessen, dass unsere Handlungen mit unserem Verständnis und Glauben übereinstimmen. So frage ich immer wieder Wissenschaftler, die Tierversuche durchführen, und Menschen, die in Massenzuchtanlagen arbeiten: „Würden Sie das Ihrem Hund antun?“ Manche erschreckt diese Frage, doch es ist sehr wichtig, sie zu stellen. Wenn wir täglich Mäusen, Ratten, Affen, Schweinen, Rindern, Elefanten, Schimpansen oder nicht zu uns gehörenden Katzen und Hunden etwas antun, das wir mit unseren Gefährten niemals machen würden, dann müssen wir uns dringend fragen, warum das so ist.

Der Mensch hat eine enorme Macht, die Welt auf jede erdenkliche und von ihm erwünschte Weise zu beeinflussen. Täglich bringen wir die Empfindungen zahlloser Tiere zum Schweigen. Und doch sind wir uns dessen bewusst, dass wir nicht die einzigen empfindungsfähigen Kreaturen mit Gefühlen sind. Mit diesem Wissen geht die enorme Verantwortung und Verpflichtung einher, anderen Wesen mit Respekt, Wertschätzung, Mitgefühl und Liebe zu begegnen. Wenn wir uns die Frage stellen, was wir Tieren antun können und was nicht, sind es ohne Zweifel ihre Emotionen, die unsere Diskussionen und Handlungen in ihrem Interesse bestimmen sollten, und wir können für sie immer noch mehr tun. Dies ist ein Buch der Hoffnung, in dem großer Wert darauf gelegt wird zu betonen, dass wir in unseren Interaktionen mit anderen Tieren fantasievoll sein müssen.

Emotionen sind ein Geschenk unserer Vorfahren. Wir haben sie – und alle anderen Tiere auch. Das dürfen wir niemals vergessen.