Wege zu sich selbst

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Wege zu sich selbst
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Marc Aurel

Wege zu sich selbst

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

Erstes Buch

Marc Aurel

Wege zu sich selbst

Impressum:

Titel: Wege zu sich selbst

Autor: Marc Aurel

Verlag: Pretorian Books, Ul. Hristo Samsarov 9, 9000 Varna

Datum: 12.10.2019

1. Von meinem Grossvater Verus weiss ich, was edle Sitten sind und was es heisst: frei sein von Zorn.

2. Der Ruf und das Andenken, in welchem mein Vater steht, predigen mir Schamhaftigkeit und männliches Wesen.

3. Der Mutter Werk ist es, wenn ich gottesfürchtig und mittheilsam bin; wenn ich nicht nur schlechte Handlungen, sondern auch schlechte Gedanken fliehe; auch dass ich einfach lebe und überhaupt nicht wie reiche Leute.

4. Mein Urgrossvater litt nicht, dass ich die öffentlichen Disputirübungen besuchte, sorgte aber dafür, dass ich zu Hause von tüchtigen Lehrern unterrichtet wurde, und überzeugte mich, dass man zu solchem Zweck schon Etwas aufgehen lassen müsse.

5. Mein Erzieher gab nicht zu, dass ich mich an den Wettfahrten betheiligte, weder in Grün noch in Blau, auch nicht, dass ich Ring- und Fechterkünste trieb. Er lehrte mich Mühen ertragen, Wenig bedürfen, selbstthätig sein, mich wenig kümmern um anderer Leute Angelegenheiten und einen Widerwillen haben gegen alles Aufschieben.

6. Diognet bewahrte mich vor allen unnützen Beschäftigungen; vor dem Glauben an das, was Wunderthäter und Gaukler von Zauberformeln, vom Geisterbannen u.s.w. lehrten; davor, dass ich Wachteln hielt, und vor andern solchen Passionen. Er lehrte mich ein freies Wort vertragen; gewöhnte mich an philosophische Studien, schickte mich zuerst zu Bacchius, dann zu Tandasis und Marcian, liess mich schon als Knabe Dialoge verfassen und machte mir Lust zu den Ruhebetten und Pelzdecken, wie sie bei den Lehrern der griechischen Schule Mode sind.

7. Dem Rusticus verdanke ich, dass es mir einfiel, in sittlicher Hinsicht für mich zu sorgen und an meiner Veredlung zu arbeiten; dass ich frei blieb von dem Ehrgeiz der Sophisten; dass ich nicht Abhandlungen schrieb über abstrakte Dinge, noch Reden hielt zum Zweck der Erbauung, noch prunkend mich als einen streng und wohlgesinnten jungen Mann darstellte, und dass ich von rhetorischen, poetischen und stilistischen Studien abstand; dass ich zu Hause nicht im Staatskleid einherging oder sonst so Etwas that, und dass die Briefe, die ich schrieb, einfach waren, so einfach und schmucklos wie der seinige an meine Mutter von Sinuessa aus. Ihm habe ich's auch zu danken, wenn ich mit denen, die mich gekränkt oder sonst sich gegen mich vergangen haben, leicht zu versöhnen bin, sobald sie nur selbst schnell bereit sind, wiederzukommen. Auch lehrte er mich, was ich las, genau lesen und mich nicht mit einer oberflächlichen Kenntniss begnügen, auch nicht gleich beistimmendem, was oberflächliche Beurtheiler sagen. Endlich war er's auch, der mich mit den Schriften Epiktets bekannt machte, die er mir aus freien Stücken mittheilte.

8. Appollonius zeigte mir, was Freiheit sei und eine Festigkeit, die dem Spiel des Zufalls Nichts einräumt; dass man auf Nichts ohne Ausnahme so achten müsse, als auf die Gebote der Vernunft. Auch was Gleichmuth sei bei heftigen Schmerzen, bei Verlust eines Kindes, in langen Krankheiten, habe ich von ihm lernen können. – Er zeigte mir handgreiflich an einem lebendigen Beispiele, dass man der ungestümste und gelassenste Mensch zugleich sein kann, und dass man beim Studium philosophischer Werke die gute Laune nicht zu verlieren brauche. Er liess mich einen Menschen sehen, der es offenbar für die geringste seiner guten Eigenschaften hielt, dass er Uebung und Gewandtheit besass, die Grundgesetze der Wissenschaft zu lehren; und bewies mir, wie man von Freunden sogenannte Gunstbezeugungen aufnehmen müsse, ohne dadurch in Abhängigkeit von ihnen zu gerathen, aber auch ohne gefühllos darüber hinzugehen.

9. An Sextus könnt' ich lernen, was Herzensgüte sei. Sein Haus bot das Muster eines väterlichen Regimentes dar, und er gab mir den Begriff eines Lebens, das der Natur entspricht. Er besass eine ungekünstelte Würde und war stets bemüht, die Wünsche seiner Freunde zu errathen. Duldsam gegen Unwissende hatte er doch keinen Blick für die, die an blossen Vorurtheilen kleben. Sonst wusste er sich mit Allen gut zu stellen, so dass er denselben Menschen, die ihm wegen seines gütigen und milden Wesens nicht schmeicheln konnten, zu gleicher Zeit die grösste Ehrfurcht einflösste. Seine Anleitung, die zum Leben nothwendigen Grundsätze aufzufinden und näher zu gestalten, war eine durchaus verständliche. Niemals zeigte er eine Spur von Zorn oder einer andern Leidenschaft, sondern er war der leidenschaftsloseste und der liebendste Mensch zugleich. Er suchte Lob, aber ein geräuschloses; er war hochgelehrt, aber ohne jede Ostentation.

10. Von Alexander dem Grammatiker lernte ich, wie man sich jeglicher Scheltworte enthalten und es ohne Vorwurf hinnehmen kann, was Einem auf fehlerhafte, rohe oder plumpe Manier vorgebracht wird; ebenso aber auch, wie man sich geschickt nur über das, was zu sagen Noth thut, auszulassen habe, sei's in Form einer Antwort oder der Bestätigung oder der gemeinschaftlichen Ueberlegung über die Sache selbst, nicht über den Ausdruck, oder durch eine treffende anderweite Bemerkung.

11. Durch Phronto gewann ich die Ueberzeugung, dass der Despotismus Missgunst, Unredlichkeit und Heuchelei in hohem Maasse zu erzeugen pflege, und dass der sogenannte Adel im Allgemeinen ziemlich unedel sei.

12. Alexander der Platoniker brachte mir bei, wie ich nur selten und nie ohne Noth zu Jemand mündlich oder schriftlich äussern dürfe: ich hätte keine Zeit; und dass ich nicht so, unter dem Vorwande dringender Geschäfte, mich beständig weigern sollte, die Pflichten zu erfüllen, die uns die Beziehungen zu denen, mit denen wir leben, auferlegen.

13. Catulus rieth mir, dass ich's nicht unberücksichtigt lassen sollte, wenn sich ein Freund bei mir über Etwas beklagte, selbst wenn er keinen Grund dazu hätte, sondern dass ich's versuchen müsste, die Sache in's Reine zu bringen. Wie man von seinen Lehrern heftig eingenommen sein kann, sah ich an ihm; ebenso aber auch, wie lieb man seine Kinder haben müsse.

14. An Severus hatte ich häuslichen Sinn, Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe zu bewundern. Er machte mich mit Thraseas, Helvidius, Cato, Dio und Brutus bekannt und führte mich zu dem Begriff eines Staates, in welchem alle Bürger gleich sind vor dem Gesetz, und einer Regierung, die Nichts so hoch hält als die bürgerliche Freiheit. Ausserdem blieb er, um Anderes zu übergehen, in der Achtung vor der Philosophie sich immer gleich; war wohlthätig, ja in hohem Grade freigebig; hoffte immer das Beste und zweifelte nie an der Liebe seiner Freunde. Hatte er Etwas gegen Jemand, so hielt er damit nicht zurück, und seine Freunde hatten niemals nöthig, ihn erst auszuforschen, was er wollte oder nicht wollte, weil es offen am Tage lag.

15. Von Maximus konnte ich lernen, mich selbst beherrschen, nicht hin- und herschwanken, guten Muthes sein in misslichen Verhältnissen oder in Krankheiten, auch wie man in seinem Benehmen Weisheit mit Würde verbinden muss, und an ein Werk, das rasch auszuführen ist, doch nicht unbesonnen gehen darf. Von ihm waren Alle überzeugt, dass er gerade so dachte wie er sprach, und was er that, in guter Absicht that. Etwas zu bewundern oder sich verblüffen zu lassen, zu eilen oder zu zögern, rathlos zu sein und niedergeschlagen oder ausgelassen in Freude oder Zorn oder argwöhnisch – das Alles war seine Sache nicht. Aber wohlthätig zu sein und versöhnlich, hielt er für seine Pflicht. Er hasste jede Unwahrheit und machte so mehr den Eindruck eines geraden als eines feinen Mannes. Niemals hat sich Einer von ihm verachtet geglaubt; aber ebensowenig wagte es Jemand, sich für besser zu halten als er war. Auch wusste er auf anmuthige Weise zu scherzen.

16. Mein Vater hatte in seinem Wesen etwas Sanftes, aber zugleich auch eine unerschütterliche Festigkeit in dem, was er gründlich erwogen hatte. Er war ohne Ehrgeiz hinsichtlich dessen, was man gewöhnlich Ehre nennt. Er arbeitete gern und unermüdlich. Wer mit Dingen kam, die das gemeine Wohl zu fördern versprachen, den hörte er an und versäumte es nie, einem Jeden die Anerkennung zu zollen, die ihm gebührte. Wo vorwärts zu gehen und wo einzuhalten sei, wusste er. Er war herablassend gegen Jedermann; erliess den Freunden die Pflicht, immer mit ihm zu speisen oder, wenn er reiste, mit ihm zu gehen; und stets blieb er sich gleich auch gegen die, die er nothgedrungen zu Hause liess. Seine Erörterungen in den Rathsversammlungen waren stets von grosser Genauigkeit, und er hielt aus und begnügte sich nicht mit Ideen, die auf der flachen Hand liegen, blos um die Versammlung für geschlossen zu erklären. Er war sorgsam bemüht, sich seine Freunde zu erhalten, wurde ihrer niemals überdrüssig, verlangte aber auch nicht heftig nach ihnen. Er war sich selbst genug in allen Stücken und immer heiter. Er hatte einen scharfen Blick für das, was kommen würde, und traf für die kleinsten Dinge Vorbereitungen ohne Aufhebens zu machen, so wie er sich denn überhaupt jedes Beifall rufen und alle Schmeicheleien verbat. Was seiner Regierung nothwendig war, darüber wachte er stets, ging mit den öffentlichen Geldern haushälterisch um, und liess es sich ruhig gefallen, wenn man ihm darüber Vorwürfe machte. – Den Göttern gegenüber war er frei von Aberglauben, und was sein Verhältniss zu den Menschen betrifft, so fiel es ihm nicht ein um die Volksgunst zu buhlen, dem grossen Haufen sich gefällig zu erzeigen und sich bei ihm einzuschmeicheln, sondern er war in allen Stücken nüchtern, besonnen, taktvoll und ohne Sucht nach Neuerungen. Von den Dingen, die zur Annehmlichkeit des Lebens beitragen – und deren bot ihm das Glück eine Menge dar – machte er ohne zu prunken, aber auch ohne sich zu entschuldigen Gebrauch, so dass er, was da war, einfach nahm, was nicht da war, auch nicht entbehrte. Niemand konnte sagen, dass er ein Krittler, oder dass er ein gewöhnlicher Mensch oder ein Pedant sei, sondern man musste ihn einen reifen, vollendeten, über jede Schmeichelei erhabenen Mann nennen, der wohl im Stande sei, sich und Andern vorzustehen. Ausserdem: die ächten Philosophen schätzte er sehr, liess aber auch die Andern unangetastet, obschon er ihnen keinen Einfluss auf sich verstattete. In seinem Umgange ferner war er höchst liebenswürdig und witzig, ohne darin zu übertreiben. In der Sorge für seinen Leib wusste er das rechte Mass zu halten, nicht wie ein Lebenssüchtiger oder wie Einer, der sich schniegelt oder sich vernachlässigt; sondern er brachte es durch die eigene Aufmerksamkeit nur dahin, dass er den Arzt fast gar nicht brauchte und weder innere noch äussere Mittel nöthig hatte. – Vor Allem aber war ihm eigen, denen, die wirklich Etwas leisteten, sei's in der Beredtsamkeit oder in der Gesetzeskunde oder in der Sittenlehre oder in irgend einer anderen Disciplin, ohne Neid den Vorrang einzuräumen und sie wo er konnte zu unterstützen, damit ein Jeder in seinem Fache auch die nöthige Anerkennung fände. Wie seine Vorfahren regiert, so regierte er auch, ohne jedoch die Meinung hervorrufen zu wollen, als wache er über dem Althergebrachten. Er war nicht leicht zu bewegen oder von Etwas abzubringen, sondern wo er gerade war und wobei, da pflegte er auch gern zu bleiben. Nach den heftigsten Kopfschmerzen sah man ihn frisch und kräftig zu den gewohnten Geschäften eilen. Geheimnisse pflegte er nur äusserst wenige und nur in seltenen Fällen zu haben und nur um des gemeinen Wohles willen. Verständig und mässig im Anordnen von Schauspielen, von Bauten, von Spenden an das Volk und dergl. mehr, zeigte er sich als ein Mann, der nur auf seine Pflicht sieht, um den Ruhm aber sich nicht kümmert, den seine Handlungen ihm verschaffen können. – Er badete nur zur gewöhnlichen Stunde, liebte das Bauen nicht, legte auf das Essen keinen Werth, auch nicht auf Kleider und deren Stoffe und Farben, noch auf schöne Sklaven. Seine Kleider liess er sich meist aus Lorium, dem unteren Landgute, oder aus Lanubium kommen und bediente sich dazu des Generalpächters in Tusculum, der ihn um diesen Dienst gebeten hatte. – In seiner ganzen Art zu sein war nichts Unschickliches oder gar Schamloses oder auch nur Gewaltsames oder was man sagt: »bis zur Hitze«, sondern Alles war bei ihm wohl überdacht, ruhig, gelassen, wohl geordnet, fest und mit sich selbst im Einklang. Man könnte auf ihn anwenden, was man vom Sokrates gesagt hat, dass er sowohl sich solcher Dinge zu enthalten im Stande war, deren sich Viele aus Schwachheit nicht enthalten können, als auch dass er geniessen durfte, was Viele darum nicht dürfen, weil sie sich gehen lassen. Das Eine gründlich vertragen, und in dem Andern nüchtern sein, das aber ist die Sache eines Mannes von starkem, unbesieglichem Geiste, wie er ihn z.B. auch in der Krankheit des Maximus an den Tag gelegt hat. –

 

17. Den Göttern habe ich's zu danken, dass ich treffliche Vorfahren, treffliche Eltern, eine treffliche Schwester, treffliche Lehrer, treffliche Diener und fast lauter treffliche Verwandte und Freunde habe, und dass ich gegen keinen von ihnen fehlte, obgleich ich bei meiner Natur leicht hatte dahin kommen können. Es ist eine Wohlthat der Götter, dass die Umstände nicht so zusammentrafen, dass ich mir Schande auflud. Sie fügten es so, dass ich nicht länger von der Maitresse meines Grossvaters erzogen wurde; dass ich meine Jugendfrische mir erhielt und dass ich meinen fürstlichen Vater unterthan war, der mir allen Dünkel austreiben und mich überzeugen wollte, man könne bei Hofe leben ohne Leibwache, ohne kostbare Kleider, ohne Fackeln, ohne gewisse Bildsäulen und ähnlichen Pomp, und dass es sehr wohl anginge, sich soviel als möglich bürgerlich einzurichten, wenn man dabei nur nicht zu demüthig und zu sorglos würde in Erfüllung der Pflichten, die der Regent gegen das Ganze hat. – Die Götter haben mir einen Bruder gegeben, dessen sittlicher Wandel mich antrieb, auf mich selber Acht zu haben, und dessen Achtung und Liebe gegen mich mich glücklich machten. – Sie haben mir Kinder gegeben, die nicht ohne geistige Anlagen sind und von gesundem Körper. – Den Göttern verdanke ich's, dass ich nicht weiter kam in der Redekunst und in der Dichtkunst und in den übrigen Studien, welche mich völlig in Beschlag genommen haben würden, wenn ich gemerkt hätte, dass ich gute Fortschritte machte. Ebenso dass ich meine Erzieher frühzeitig schon so in Ehren hielt, wie sie's zu verlangen schienen, und ihnen nicht blos Hoffnung machte, ich würde das später thun, indem sie zu der Zeit ja noch so jung seien. Ferner, dass ich Appollonius, Rusticus und Maximus kennen lernte; dass ich das Bild eines naturgemässen Lebens so klar und so oft vor der Seele hatte, dass es nicht an den Göttern und an den Gaben, Hilfen und Winken, die ich von dorther empfing, liegen kann, wenn ich an einem solchen Leben gehindert worden bin; sondern wenn ich's bisher nicht geführt habe, muss es meine Schuld sein, indem ich die Erinnerungen der Götter, ich möchte sagen, ihre ausdrücklichen Belehrungen, nicht beherzigte. Den Göttern verdanke ich's, dass mein Körper ein solches Leben so lange ausgehalten hat; – dass ich weder die Benedicta noch den Theodot berührt habe, und dass ich später überhaupt von dieser Leidenschaft genas; dass ich in meinem heftigen Unwillen, den ich so oft gegen Rusticus empfand, Nichts weiter that, was ich hätte bereuen müssen; und dass meine Mutter, der ein früher Tod beschieden war, doch noch ihre letzten Jahre bei mir leben konnte. Auch fügten sie's, dass ich, so oft ich einen Armen oder sonst Bedürftigen unterstützen wollte, nie hören durfte, es fehle mir an den hierzu erforderlichen Mitteln, und dass ich selbst nie in die Nothwendigkeit versetzt wurde, bei einem Andern zu borgen; dann dass ich ein solches Weib besitze: so folgsam, zärtlich und in ihren Sitten so einfach, und dass ich – meinen Kindern tüchtige Erzieher geben konnte. Die Götter gaben mir durch Träume Hilfsmittel an die Hand gegen allerlei Krankheiten, so gegen Blutauswurf und Schwindel. Auch verhüteten sie, als ich das Studium der Philosophie anfing, dass ich einem Sophisten in die Hände fiel oder mit einem solchen Schriftsteller meine Zeit verdarb, oder mit der Lösung ihrer Syllogismen mich einliess, oder mit der Himmelskunde mich beschäftigte. Denn zu allen diesen Dingen bedarf es der helfenden Götter und des Glückes.

18. Man muss sich bei Zeiten sagen: ich werde einem vorwitzigen, einem undankbaren, einem schmähsüchtigen, einem verschlagenen oder neidischen oder unverträglichen Menschen begegnen. Denn solche Eigenschaften liegen Jedem nahe, der die wahren Güter und die wahren Uebel nicht kennt. Habe ich aber eingesehen, einmal, dass nur die Tugend ein Gut und nur das Laster ein Uebel, und dann, dass der, der Böses thut, mir verwandt ist, nicht sowohl nach Blut und Abstammung, als in der Gesinnung und in dem, was der Mensch von den Göttern hat, so kann ich weder von Jemand unter ihnen Schaden leiden – denn ich lasse mich nicht verführen – noch kann ich dem, der mir verwandt ist, zürnen oder mich feindlich von ihm abwenden, da wir ja dazu geboren sind, uns gegenseitig zu unterstützen, wie die Füsse, die Hände, die Augenlider, die Reihen der oberen und unteren Zähne einander dienen. Also ist es gegen die Natur, einander zuwider zu leben. Und das thun die doch, die auf einander zürnen oder sich von einander abwenden.

19. Was ich bin, ist ein Dreifaches: Fleisch und Seele und was das Ganze beherrscht. – Lege bei Seite, was Dich zerstreut, die Bücher und Alles, was hier zu Nichts führt; sondern einmal: des Fleischlichen achte gering wie ein Sterbender! Es ist Blut und Knochen und ein Geflecht aus Nerven, Adern und Gefässen gewebt. Dann betrachte Deine Seele, und was sie ist: ein Hauch; nicht immer dasselbe, sondern fortwährend ausgegeben und wieder eingesogen. Drittens also das, was die Herrschaft führt! Da sei doch kein Thor, Du bist nicht mehr jung: so lass auch nicht länger geschehen, dass es diene; dass es hingenommen werde von einem Zuge, der Dich dem Menschlichen entfremdet; dass es dem Verhängniss oder dem gegenwärtigen Augenblicke grolle oder ausweiche dem, was kommen soll!

20. Das Göttliche ist vorsehungsvoll, das Zufällige nach Art, Zusammenhang und Verflechtung nicht zu trennen von dem durch die Vorsehung Geordneten. Alles fliesst von hier aus. Daneben das Nothwendige und was dem ganzen Universum, dessen Theil Du bist, zuträglich ist. Jedem Theile der Natur- aber ist das gut, was seinen Halt an der Natur des Ganzen hat und wovon diese wiederum getragen wird. Die Welt aber wird getragen wie von den Verwandlungen der Grundstoffe so auch von denen der zusammengesetzten Dinge. – Das muss Dir genügen und fest stehen für immer. Nach der Weisheit, wie sie in Büchern zu finden ist, strebe nicht, sondern halte sie Dir fern, damit Du ohne Seufzer, mit wahrer Seelenruhe und den Göttern von Herzen dankbar sterben kannst. –

Zweites Buch

1. Erinnere Dich, seit wann Du das nun schon aufschiebst, und wie oft Dir die Götter Zeit und Stunde dazu gegeben haben, ohne dass Du sie nutztest. Endlich solltest Du doch einmal einsehen, was das für eine Welt ist, der Du angehörst, und wie der die Welt regiert, dessen Ausfluss Du bist; und dass Dir die Zeit zugemessen ist, die, wenn Du sie nicht brauchst Dich abzuklären, hin sein wird, wie Du selbst, und die nicht wiederkommt.

2. Immer sei darauf bedacht, wie es einem Manne geziemt, bei Allem was es zu thun giebt eine strenge und ungekünstelte Gewissenhaftigkeit, Liebe, Freimüthigkeit und Gerechtigkeit zu üben, und Dir dabei alle Nebengedanken fern zu halten. Und Du wirst sie Dir fern halten, sobald Du jede Deiner Handlungen als die letzte im Leben ansiehst: fern von jeder Unbesonnenheit und der Erregtheit, die Dich taub macht gegen die Stimme der richtenden Vernunft, frei von Verstellung, von Selbstliebe und von Unwillen über das, was das Schicksal daran hängt. – Du siehst, wie Wenig es ist, was man sich aneignen muss, um ein glückliches und gottgefälliges Leben zu führen. Denn auch die Götter verlangen von dem, der dies beobachtet, nicht Mehr.

3. Fahre nur immer fort, Dir selbst zu schaden, liebe Seele! Dich zu fördern wirst Du kaum noch Zeit haben. Denn das Leben flieht einen Jeglichen. Für Dich ist es aber schon so gut als zu Ende, der Du ohne Selbstachtung Dein Glück ausser Dich verlegst in die Seelen Anderer.

4. Trotz Deines Bestrebens, an Erkenntniss zu wachsen und Dein unstätes Wesen aufzugeben, zerstreuen Dich die Aussendinge noch immer? Mag sein, wenn Du jenes Streben nur festhältst. Denn das bleibt die grösste Thorheit, sich müde zu arbeiten ohne ein Ziel, auf das man all sein Dichten und Trachten hinrichtet.

5. Wenn man nicht herausbringen kann, was in des Andern Seele vorgeht, so ist das schwerlich ein Unglück; aber nothwendig unglücklich ist man, wenn man über die Regungen der eigenen Seele im Unklaren ist.

 

6. Daran musst Du immer denken, was das Wesen der Welt und was das Deinige ist, und wie sich beides zu einander verhält, nämlich was für ein Theil des Ganzen Du bist und zu welchem Ganzen Du gehörst, und dass Dich Niemand hindern kann, stets nur das zu thun und zu reden, was dem Ganzen entspricht, dessen Theil Du bist.

7. Theophrast in seiner Vergleichung der menschlichen Fehler – wie diese denn allenfalls verglichen werden können – sagt: schwerer seien die, die aus Begierde, als die, welche aus Zorn begangen werden. Und wirklich erscheint ja der Zornige als ein Mensch, der nur mit ein ein gewissen Schmerze und mit innerem Widerstreben von der Vernunft abgekommen ist, während der aus Begierde Fehlende, weil ihn die Lust überwältigt, zügelloser erscheint und schwächer in seinen Fehlern. Wenn er nun also behauptet: es zeuge von grösserer Schuld, einen Fehler zu begehen mit Freuden als mit Bedauern, so ist das gewiss richtig und der Philosophie nur angemessen. Man erklärt dann überhaupt den Einen für einen Menschen, der gekränkt worden ist und zu seinem eigenen Leidwesen zum Zorn gezwungen wird, während man bei dem Andern, der Etwas aus Begierde thut, die Sache so ansieht, als begehe er das Unrecht aus heiler Haut.

8. Jegliches thun und bedenken wie Einer, der im Begriff ist das Leben zu verlassen, das ist das Richtige. Das Fortgehen von den Menschen aber, wenn es Götter giebt, ist kein Unglück. Denn das Uebel hört dann doch wohl gerade auf. Giebt es aber keine, oder kümmern sie sich nicht um die menschlichen Dinge, was soll mir das Leben in einer götterleeren Welt, in einer Welt ohne Vorsehung? Doch sie sind und sie kümmern sich um die menschlichen Dinge. Noch Mehr. Sie haben es, was die Uebel betrifft, und zwar die eigentlichen, ganz in des Menschen Hand gelegt, sich davor zu bewahren. Ja auch hinsichtlich der sonstigen Uebel, kann man sagen, haben sie es so eingerichtet, dass es nur auf uns ankommt, ob sie uns widerfahren werden. Denn wobei der Mensch nicht schlimmer wird, wie sollte dies sein Leben verschlimmern? Selbst die blosse Natur – sei es, dass wir sie uns ohne Bewusstsein oder mit Bewusstsein begabt vorstellen; gewiss ist, dass sie nicht vermag, dem Uebel vorzubeugen oder es wieder gut zu machen – auch sie hätte dergleichen nicht übersehen, hätte nicht in dem Grade gefehlt aus Ohnmacht oder aus Mangel an Anlage, dass sie Gutes und Böses in gleicher Weise guten und bösen Menschen unterschiedslos zu Theil werden Hesse. Tod aber und Leben, Ruhm und Ruhmlosigkeit, Leid und Freude, Reichthum und Armuth und alles dieses wird den guten wie den bösen Menschen ohne Unterschied zu Theil, als Dinge, die weder sittliche Vorzüge noch sittliche Mängel begründen: also sind sie auch weder gut noch böse (weder ein Glück noch ein Unglück).

9. Wie doch Alles so schnell verbleicht! in der sichtbaren Welt die Leiber, in der Geisterwelt deren Gedächtniss! Was ist doch alles Sinnliche, zumal was durch Vergnügen anlockt oder durch Schmerz abschreckt oder in Stolz und Hochmuth sich breit macht! wie nichtig und verächtlich, wie schmutzig, hinfällig, todt! – Man folge dem Zuge des Geistes; man frage nach denen, die sich durch Werke des Geistes berühmt gemacht haben; man untersuche, was eigentlich sterben heisst (und man wird, wenn man der Phantasie keinen Einfluss auf seine Gedanken verstattet, darin nichts Anderes als ein Werk der Natur erkennen: kindisch aber wäre es doch, vor einem Werke der Natur, das derselben ohnehin auch noch zuträglich ist, sich zu fürchten); man mache sich klar, wie der Mensch Gott ergreift und mit welchem Theile seines Wesens, und wie es mit diesem Theile des Menschen bestellt ist, wenn er Gott ergriffen hat.

10. Nichts Elenderes als ein Mensch, der um Alles und Jedes sich kümmert, auch um das, woran sonst Niemand denkt, der nicht aufhört über die Vorgänge in der Seele des Nächsten seine Conjecturen zu machen und nicht begreifen mag, dass es genug ist, für den Gott in der eignen Brust zu leben und ihm zu dienen, wie sich's gebührt. Das aber ist sein Dienst: ihn rein zu erhalten von Leidenschaft, von Unbesonnenheit und von Unlust über das, was von Göttern und Menschen geschieht. Denn die Handlungen der Götter zu ehren, gebietet die Tugend und mit denen der Menschen sich zu befreunden die Gleichheit der Abkunft, obwohl die letzteren allerdings auch zuweilen etwas Klägliches haben, weil so Viele nicht wissen, was Güter und was Uebel sind, – eine Blindheit, nicht geringer als die, wenn man Schwarz und Weiss nicht unterscheiden kann.

11. Und wenn Du 3000 Jahre leben solltest, ja noch 10 Mal mehr, es hat ja doch Niemand ein anderes Leben zu verlieren, als eben das, was erlebt, so wie Niemand ein anderes lebt, als was er einmal verlieren wird. Und so läuft das längste wie das kürzeste auf dasselbe hinaus. Denn das Jetzt ist das Gleiche für Alle, wenn auch das Vergangene nicht gleich ist, und der Verlast des Lebens erscheint doch so als ein Jetzt, indem Niemand verlieren kann weder was vergangen noch was zukünftig ist. Oder wie sollte man Einem Etwas abnehmen können, was er nicht besitzt? – An die beiden Dinge also müssen wir denken: einmal, dass Alles seiner Idee nach unter sich gleichartig ist und von gleichem Verlauf, und dass es keinen Unterschied macht, ob man 100 oder 200 Jahre lang oder ewig Ein und Dasselbe sieht. Und dann, dass auch der, der am Längsten gelebt hat, doch nur dasselbe verliert, wie der, der sehr bald stirbt. Denn nur das Jetzt ist es, dessen man beraubt werden kann, weil man nur dieses besitzt, und Niemand verlieren kann, was er nicht hat.

12. Die Seele des Menschen thut sich selbst den grössten Schaden, wenn sie sich von der Natur abzusondern, gleichsam aus ihr herauszuwachsen strebt. So, wenn sie unzufrieden ist über irgend Etwas, das sich ereignet. Es ist dies ein entschiedener Abfall von der Natur, in der ja diese eigenthümliche Verkettung der Umstände begründet ist. Ebenso, wenn sie Jemand verabscheut oder anfeindet oder im Begriff ist, Jemand weh zu thun, wie allemal im Zorn. Ebenso wenn sie von Lust oder von Schmerz sich hinnehmen lässt; oder wenn sie heuchelt, heuchlerisch und unwahr Etwas thut oder spricht; oder wenn ihre Handlungen und Triebe keinen Zweck haben, sondern in's Blaue hinausgehen und über sich selbst völlig im Unklaren sind. Denn auch das Kleinste muss in Beziehung zu einem Zweck gesetzt werden. Der Zweck aber aller vernunftbegabten Wesen ist: den Principien und Normen des ältesten Gemeinwesens Folge zu leisten.

13. Das menschliche Leben ist, was seine Dauer betrifft, ein Punkt; des Menschen Wesen flüssig, sein Empfinden trübe, die Substanz seines Leibes leicht verweslich, seine Seele – einem Kreisel vergleichbar, sein Schicksal schwer zu bestimmen, sein Ruf eine zweifelhafte Sache. Kurz, alles Leibliche an ihm ist wie ein Strom, und alles Seelische ein Traum, ein Rauch: sein Leben Krieg und Wanderung, sein Nachruhm die Vergessenheit. Was ist es nun, das ihn über das Alles zu erheben vermag? Einzig die Philosophie, sie, die uns lehrt, den göttlichen Funken, den wir in uns tragen, rein und unverletzt zu erhalten, dass er Herr sei über Freude und Leid, dass er Nichts ohne Ueberlegung thue, Nichts erlüge und erheuchele und stets unabhängig sei von dem, was Andere thun oder nicht thun, dass er Alles, was ihm widerfährt und zugetheilt wird, so aufnehme, als komme es von da, von wo er selbst gekommen, und dass er endlich den Tod mit heiterem Sinn erwarte, als den Moment der Trennung aller der Elemente, aus denen jegliches lebendige Wesen besteht. Denn wenn den Elementen dadurch nichts Schlimmes widerfährt, dass sie fortwährend in einander übergehen, weshalb sollte man sich scheuen vor der Verwandlung und Lösung aller auf einmal? Vielmehr ist dies das Naturgemässe, und das Naturgemässe ist niemals vom Uebel.

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