Eine Wanderung über das Rothaargebirge und durch den Westerwald

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Eine Wanderung über das Rothaargebirge und durch den Westerwald
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Eine Wanderung

über das Rothaargebirge

und durch den Westerwald

Notizenbuch

Malte Kerber

Engelsdorfer Verlag

Leipzig 2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 9783961451395

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Gestaltung Umschlag, Seitenlayout, Umschlagfotos: Kerber

Brotschrift: Palatino Linotype 11 Punkt

Hoemat ös dat schünste Woad off da all Wilt

Gedicht von F. Schweitzer

im Wäller Platt

Heimat

ist das schönste Wort

auf der ganzen Welt

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Hinweise

Vor-Notizen

Über den Rothaarsteig

Kein Tagebuch, doch nichts vergessen!

Rothaariges Gebirge?

Sechs Traktoren – ein Nummernschild

Im Upland

Eierfresser

Der Kahle Asten

Auf der Schanze

Wo sich Rhein und Weser nicht streiten!

Potthucke und Sauerländer Bier

Heiß, heißer, am heißesten

Dillenburg

Die Zwischenetappe

Auf der HOHEN SCHULE

Hessentage

Ein Lied vorm Weiterziehen

Durch den Westerwald

... das ist die Heimat mein!

Über die Fuchskaute und weiter

Mal so und mal so

Langes Wandern und Baumeltage

Nistertal

Von Basaltköppen und Plattschwätzern

Die „Erbacher Brücke“

Kulturhauptstadt und Stadt der Bierferkel

Wo die Kroppacher Schweiz schweizt

Malepartus

Wallfahrer ziehen durch das Tal

Am Weltende

Merkwürdiges in Weyerbusch

Heimatliche Augenfreude

Verlaufungen

Blauer Montag

Als die Römer frech geworden …

Am Ziel! Am Ziel?

Rhein-Gedanken

Das war es also …

Vorschlag

Die Großen Fahrten

Was wird bleiben?

Nach-Notizen

Vor-Notizen

Rothaargebirge – Westerwald. Diese eigenartigen Landschaftsnamen klangen uns lockend in den Ohren, als wir nach einem neuen interessanten Wanderweg suchten.

Rothaargebirge – ist das ein Gebirge mit roten Haaren? Westerwald – heißt das, da liegt ein Wald westlicher als im Westen? Entsprachen unsere ersten Überlegungen der Wirklichkeit, lagen sie dicht bei der Wahrheit? Die Neugier ließ uns nicht mehr aus ihren Fragen und: ... da ich dies notiere, liegt unsere Wanderung über den Rothaarsteig und den Westerwald-Steig schon Wochen zurück.*

„Zu Lande ausgefahren“ sind also wieder einmal. Diesmal über das Rothaargebirge1 und durch den Westerwald2. Welch eine Wanderfreude! Die Erinnerungen daran beginnen zu verblassen. Die Farben der Naturbilder verwischen sich. Doch die Erlebnisse klingen nach. In den Gedanken und auch – nun ja – im Herzen. Das Gefühl der Melancholie allerdings verstärkt sich. Sie, die leise traurige Nachdenklichkeit, war bei dieser Tour häufiger unsere Begleiterin als bei vorherigen Wanderungen. Der Grund? Die Tour über das Rothaargebirge und durch den Westerwald war die 37. Langstreckenwanderung, die wir, meine Frau Anne und ich, unternommen haben. So oft waren wir nun schon mit den Speichenrössern bzw. „auf Schusters Rappen“ unterwegs! Wir wandern seit gut dreißig Jahren gemeinsam durchs Leben und ziehen ebenso lange immer wieder zu zweit durch Lande und Landschaften. Und oft haben wir auch das alte Wanderlied

Wir wollen zu Lande ausfahren ... 3

gesungen. Mit dem AUSFAHREN meinten wir nie das autogestützte Unterwegssein. „Auf Fahrt gehen“, das hieß und heißt für uns, mit eigener Kraft über Wiesen, Felder, durch Wälder und über Berge zu ziehen, zu wandern oder eben zu fahren. Bewusst die Natur zu erleben, DRAUßEN Neues zu suchen und zu entdecken und dabei auch zu sich selbst zu finden, darum geht es uns vor allem. Da fühlen wir uns verbunden mit den Traditionen unserer „Vor-Wanderer“, die ebenfalls auf „Fahrt gingen“. Zugleich sind wir uns einig mit all denen, die sich auch heute in den so schnelllebigen Zeiten die Zeit nehmen, in diesem Sinne „auf Fahrt zu gehen“. Vor allem auch möchten wir immer wieder durch Anschauung Geschichte erfahren und Geschichten hören, Geschichte und Geschichten in uns aufnehmen. Am wichtigsten bleiben uns beim Wandern aber immer die Begegnungen mit anderen Menschen.

Die Traditionen, mit denen wir uns verbunden fühlen, entstanden auch und vor allem in der europäischen Jugendbewegung. Sie sind besonders mit der Geschichte der Wandervogelbewegung4 in Deutschland bzw. mit der Entwicklung der Pfadfinderbewegung5 verknüpft. Es sind auch die Traditionen der Wanderburschen und Wandergesellen, der Wandervögel und Pfadfinder. Sie wollten und wollen auch heute vor allem Neues erfahren, sie wollen sich in der Fremde zurechtfinden und dort von anderen Menschen für das eigene Leben lernen. Wie ihnen ist es uns wichtig geworden, wenigstens im Urlaub bzw. in der längeren arbeitsfreien Zeit nicht an einem Ort zu verweilen, ließen wir uns in dieser Zeit stets auf Neues und Ungewohntes und auch auf Schwieriges ein. Im Renten- bzw. Seniorenalter war uns das häufiger und für länger möglich. Wir nutzen das bis heute.

So hielten wir also, seitdem wir gemeinsam durchs Leben wandern. Und das waren zum Zeitpunkt der Rothaargebirgs- und Westerwaldwanderung immerhin schon fast 35 Jahre. Auf unseren bisherigen Wegen wanderten wir nicht schlecht mit den genannten guten Traditionen unserer „Vor-Wanderer“. Aber wir sind auf unseren Lebens- und Wanderwegen nun auch gemeinsam älter geworden. Da kamen wir während unseres diesjährigen Dahinziehens über das Rothaargebirge und durch den Westerwald immer wieder darauf zu sprechen, ob es denn noch einmal eine Wanderung in der bisherigen Art geben wird. Eine Wanderung über die lange Strecke und über viele Tage, gar Wochen. Denn das ist Tatsache: Unser Älterwerden setzt auch uns zusehends deutliche Grenzen. Die Zweifel wachsen, die Hoffnung auf neue Wanderungen bleibt. Wird sie sich erfüllen?

 

Ich erlebte schon vor unserer gemeinsamen Zeit mit Berg- und Wanderkameraden große Touren. Eigentlich schon seit meiner Pfadfinderzeit als zehnjähriges Bürschlein im Stamm „Schwarze Schar“ in Westberlin. Später vor allem auch beim sportlichen Wandern und beim Langstreckenwandern in einer Betriebssportgruppe des DTSB6 – der Sektion Wandern von Rotation Berlin. Joi, da waren Kanten dabei! Und wenn ich an die abenteuerlichen Bergfahrten in den Transsilvanischen Alpen denke ...

Außerdem rannte bzw. lief ich fast 30 Jahren lang nach dem Motto „Ab fünf Kilometer aufwärts wird´s interessant!“. Bei Wind und Wetter, im Sommer wie im Winter, in der Hitze und auch wenn´s bitterkalt war. Viele Kilometer, Trainings- und Wettkampfkilometer, Kilometer bei langen und überlangen Läufen sind da zusammengekommen. Allein acht Mal bin ich die über siebzig Kilometer des RENNSTEIG-LAUFS7 angegangen, habe immer das Ziel erreicht. Mit durchaus respektablen Zeiten! Auch hier nach dem Prinzip: Vorwärtskommen aus eigener Kraft! Und eines meiner sportlichen Ziele, die Marathonstrecke unter drei Stunden zu laufen, konnte ich mir auch erfüllen. Zwar nur ganz knapp, aber für mich als Freizeitläufer und „nicht gedopt“ – eine feine Leistung!

Noch einmal sei festgehalten: 37 Mal waren wir nun schon auf langen Wanderstrecken unterwegs – meine liebste Wandergefährtin, also meine Frau Anne und ich. Gestartet immer in Berlin. Meiner Geburtsstadt und unserer Heimatstadt, mit ihr lebensverbunden. Nicht immer und zu jeder Zeit ineinander verliebt, also wir und Berlin. Was an den Zeiten lag und wie es in einer langjährigen Beziehung halt so ist. Von Berlin aus zogen wir jedes Mal los, und zur Heimatstadt an der Spree kehrten wir jedes Mal zurück. Obwohl: An manchem heimatlichen Ort unterwegs wären wir gern länger geblieben, vielleicht gar sesshaft geworden. Doch uns zog es immer wieder zurück.

Diesmal also sollten es nach längerem Überlegen das Rothaargebirge und der Westerwald sein. Die Wanderidee: Wir „verknüpfen“ die beiden Wanderwege über das Hochsauerland8 und durch den Westerwald miteinander. Laufen über den Rothaarsteig und den Westerwald-Steig in einem Stück. Das würde eine Mittelgebirgstour leichten bis mittelschweren Charakters ergeben, mit einem für uns annehmbaren Höhenprofil. Sie entspräche wohl auch unseren körperlichen Voraussetzungen und Erfahrungen. Aber immerhin: Es würden über 400 Wanderkilometer werden. Eine ansprechende Länge der Wanderung, so dass sie sich von der Entfernung als auch von der Zeit her für uns lohnen würde. Es sollte ja wieder eine Fernwanderung werden und eben die Jahrestour 2016.

Ende Mai starteten wir also: Vom Hauptbahnhof Berlin nach Brilon im Osten des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen fuhren wir. Mit der Deutschen Bundesbahn. Fahrkarten- und platzgesichert durch die BahnCard 25. In Brilon, dem Ausgangsort unserer Wanderung, beschrieb ich abends die ersten Seiten des Wandertagebuchs. Nur noch einmal würde ich es aufschlagen, um den Tagesablauf in gewohnter Form festzuhalten. Das wusste ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. Ahnte noch nicht, dass aus dem geplanten „Wandertagebuch“ nur ein „Notizenbuch über eine Wanderung“ werden würde. Aber so ganz sicher war ich mir nicht, ob ich wie während unserer bisherigen Wanderungen jeden Abend zum Kugelschreiber greifen würde.

Jede Wanderung verspricht an ihrem Anfang Unerwartetes, was immer dann auch eintritt.

* Nachfolgend Erklärung bestimmter Begriffe: Endnoten ab Seite 193

Über den Rothaarsteig


Rothaarsteig Markierungszeichen Hauptweg Liegendes weißes „R“ auf rotem Grund Zuwege Schwarzes „R“ auf gelbem Grund

Mögliche Etappenorte

Brilon > Petersborn > Bruchhausen > Willingen > Küstelberg > Winterberg > Neuastenberg/Lenneplätze > Schanze > Jagdhaus > Rhein-Weser-Turm > Lützel > Benfe > Großenbach > Lahnhof > Wilgersdorf > ......................................... Dillenburg

oder

Wilgersdorf > Lützeln > Breitscheid > Dillenburg


Gesamtlänge: 235 bzw. 154 Kilometer variierend je nach Tourverlauf
Höhenmeter: 3980 Meter

Tagebucheintragung

Brilon, 1. Wandertag

Waldhotel Klaholz, abends Anreisetag. Vorbereitungen auf die Wanderung diesmal besonders stressig. Unsere Ausrüstung im Prinzip vorhanden und in Ordnung. Alles noch einmal überprüft. Doch einiges musste ergänzt werden. Unterwäsche zum Beispiel. Deshalb noch einen Einkaufstag bei OUTDOOR in Steglitz eingeplant. Eine hübsche Summe ging in die Kasse ein, und über den Ladentisch kam einiges an Kleidung und an Wanderzubehör zu uns. Doch noch immer gilt das Prinzip: Wer an der Ausrüstung spart, zahlt drauf – später während der Tour.

Dann in der Vorbereitungszeit die üblichen abzusichernden Dinge organisiert: Autoaufsicht – Blumendienst – Geldreserven für unterwegs anlegen – Ärzte konsultieren – Impfungen ergänzen – Dokumente kontrollieren – Verabschiedung von den Freunden: von Marianne F. (der kranken Freundin), von Hans P. (dem ebenfalls kranken Roten Bruder), von Klaus S. (dem gesundheitlich angeschlagenem Nachbarn), von Frau M. (der alten Hausfreundin). Der Bruder und die Schwägerin durften ebenfalls nicht vergessen werden.

Die konditionelle Vorbereitung, also Training, diesmal luschig, zu wenig gemacht! Kontrollarztbesuche. Hier zum Teil erstauntes Kopfschütteln bzw. Skepsis wegen unseres Wanderplans. Das kennen wir schon!

Meinungen


von: Herr K., wann werden Sie denn endlich (!) vernünftig?
bis: Machen Sie! Machen Sie! Gehen Sie auf Tour! Solange Ihnen das anspruchsvolle Wandern Freude bereitet! Was Besseres können Sie in Ihrem Alter gar nicht tun!

Die erste zitierte Meinung äußerte besorgt, aber in guter Absicht, die Ärztin, die mich seit Jahren kennt und gut betreut. Die zweite mich motivierende Ansicht hörte ich von meinem Kardiologen. Ein sportlicher Typ mittleren Alters, dem die regelmäßigen körperlichen Aktivitäten gut zur Figur stehen. Wir tauschen uns bei der Auswertung meiner EKG-Werte fast immer darüber aus, was wir mit dem Tennisschläger in der Hand (er) und mit den Wanderschuhen an den Füßen (ich) wieder so für Trainingseinheiten absolviert hätten oder auf welche „Höhepunkte“ wir uns vorbereiten würden.

Des Interesses halber soll hier noch erwähnt werden, welchen Rat mir der Kardiologe und Sportsfreund mit auf den Wanderweg gab:

Wissen Sie, Herr K., der Herzinfarkt,

der kann Sie nicht nur im Gebirge,

sondern auch zu Hause auf der Treppe

ereilen. Achten Sie nur darauf, dass Sie

immer ihr Handy bei sich haben.

Aufgeladen, versteht sich.

Recht hat er, der Doktor, dachte ich bei mir. Ich bestätigte ihn dahingehend, dass ich „auf der Strecke“ im Gebirge stets auch die Nummer des jeweiligen Bergrettungsdienstes im Telefonverzeichnis gespeichert hätte. Auch im Hinblick auf andere Wanderer, wenn sie denn Hilfe brauchen würden.

Vorige Woche Freitag, einen Tag vor dem Start:

Alarm! Anne Allergie-Anfall im Lippenbereich!

Notfall-Set eingesetzt!

Schnell noch zur Hautärztin. Ohne Termin! Zweieinhalb Stunden Wartezimmer. Nervig! Doch beruhigend: Sie gab den Start aus ihrer Sicht frei. Ich hatte zum Glück richtig reagiert, indem ich Anne zur Einnahme der deftigen Notfall-Medikamente bewegt hatte.

Heute früh endlich, endlich: „Auf zum Hauptbahnhof!“ Nachts Gewitter. Kräftiger Wetterumschwung. Morgens unangenehm kühl. Hauptbahnhof trotz Störung auf der S-Bahn noch rechtzeitig erreicht. Durch das Gewusel der DB-Nutzer den Weg in die unterste Ebene des Weltstadtbahnhofs gefunden, dazu noch den richtigen Bahnsteig. Zug pünktlich (nur drei Minuten verspätete Einfahrt). Wagen-Nummer blitzschnell erfasst. Reservierte Plätze erreicht. Rucksäcke in der Ablage verstaut. Plätze eingenommen. Tief durchgeatmet ...

Brrr ... Endlich – jetzt geht´s los!

Zug setzte sich in Bewegung.

Dann, ja was dann? Bange Frage meiner Wandergefährtin: „Wo sind denn eigentlich meine Wanderstöcke?“ Dieses Eigentlich, mit besonderer Betonung ausgesprochen, macht mich immer hellhörig und misstrauisch!

Ja, wo waren sie denn, die Wanderstöcke? Die fuhren wahrscheinlich auf dem S-Bahn-Ring ihrem nächsten Besitzer oder dem Fundbüro entgegen. Wir dagegen fuhren dem Startort unserer Wanderung zu. Notbremse ...? Wäre wohl zu teuer geworden und hätte sicherlich nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Folglich kleiner Stimmungsumschwung bei uns beiden. Es war ja nichts Dramatisches passiert, aber dass es passierte, das machte die Sache ärgerlich.

In Dortmund umgestiegen, Regionalbahnzug bis Brilon. Erster Weg nicht ins Hotel, sondern ins das Fachsportgeschäft vor Ort – es gibt ein solches im Städtchen. Zum Glück für uns. Neue Wanderstöcke für Anne gekauft. Nebenbei dem jungem Verkäufer ein wenig Fachwissen über Wanderstöcke vermittelt. Von mir an ihn. Hat sich herzlich bedankt.

Dann ging´s ab in den Wald und Hügelchen hinauf. Das „Hotel Klaholz“, unser erstes Quartier, dreieinhalb Kilometer vor der Stadt. Kein Problem der Weg! Gerade richtig, um Kopf, Herz und Lunge von der Großstadtluft zu entlüften.

Das Hotel – fein und gemütlich! Freundlich und lustig wurden wir von der jungen Wirtin empfangen. Ihr Sprechen verriet eine ins Sauerland „Zugezogene“. Musste ich später folglich nachfragen. Neugierig wie´s mir durchgehend zu eigen. Doch auch in aller Höflichkeit und mit Humor, was mich meist auszeichnet. Ja, sie sei von Geburt im Spreewald zu Hause. Die Liebe hätte sie dann aber aus dem Gurken- und Spargelland in den Wald bei Brilon gelockt.

Zusatzfrage von mir: „Und, wie sind sie so, die Sauerländer?“ War ja wichtig, darüber ein wenig zu wissen, da wir in den kommenden Tagen und Wochen näher mit ihnen zu tun haben würden.

Die Antwort der Wirtin etwas zurückhaltend und vorsichtig formuliert, wie es mir schien: „Na, die Sauerländer, ja, das ist schon ein besonderes Völkchen!“

Doch sie machte mich mit dieser allgemeinen Antwort nicht sachkundiger. Und irgendwie sind wir alle ja ein besonderes Völkchen. Ob Berliner, Sachse, Bayer oder Sauerländer!

 

Das sollte sich auch in folgendem aktuellen speziellen Falle zeigen. Die Spreewälderin bzw. Neu-Sauerländerin reagierte bei aller Freundlichkeit etwas pikiert, als ich später während des Abendbrots eine Bemerkung über die enorme Größe der Spargelstangen machte, die sie mir serviert hatte.

Eine Spreewälderin, die aus Burgk im Spreewald stammt, über die weißen Langstangen belehren zu wollen? Naja, Malte, das hättest du dir sparen können! Ich mach´s nie wieder ...! Zur „Strafe“ bekam ich den doppelten Doppelkorn, den ich bestellt hatte, in zwei (2!) cl-Gläsern serviert. Große Schnapsgläser wären nicht vorhanden, aus solchen trinke man hier nicht.

So die Begründung. Mit der Wirtin begann ich darüber sicherheitshalber keine Diskussion. Ich würde, wie ich mir vornahm, ihre Behauptung während der Wanderung über den Rothaarsteig noch nachprüfen.

Kleine Missstimmung zwischen mir und Anne. Sie hatte in verschiedenen Ecken ihres Rucksacks insgesamt acht Lippenfettstifte gebunkert. Vorsichtshalber! Acht Stück!

Abendspaziergang mit weitem Blick ins Rothaargebirge hinein. Vielversprechend! Spannung und Freude auf die bevorstehende Wanderung kamen auf. Interessante Wolkenbilder am Himmel. Etwas sehr dunkel und zerzaust. Na ...?

Tagebucheintragung

Brilon, 2. Wandertag

Waldhotel Klaholz, abends Vergangene Nacht: Schlaf im Hotel Klaholz, gelegen im Wald, aber mit Hangblick in die geschwungenen Linien des sanften Gebirges. Schlaf in des Waldes Ruhe. Eigentlich war unter diesen Umständen ruhiger Schlaf angesagt. Doch mich plagten einige unruhige Träume. Das Spargelgericht zum Abendbrot? Oder sandten etwa die kommenden Wandererlebnisse ihre Vorboten.

Morgen also der Scharfe Start zur Tour über den Rothaarsteig! Heute: Gang in die Stadt. Erkunden, was Brilon zu bieten hat. Und: gute Stimmung für die Wanderung einfangen.

Machten uns nach dem reichhaltigen Frühstück auf den Weg. Bergab durch den Wald. Vor allem wollten wir den Startpunkt unserer Wanderung über den Steig finden, also den Beginn des Rothaarsteigs – das Eingangsportal des Rothaarsteigs. Da musste doch auch ein erstes klassisches Erinnerungsfoto geschossen werden. Der Himmel grau ... Wir werden sehen, wie uns das Wetter weiterhin gesonnen sein wird. Oder der Wettergott? Falls es den gibt und der seine Hand im Spiel hat.

Brilon also. Deren Bewohner werden liebevollspöttisch auch Esel genannt. Das manchmal etwas störrische Tier soll im Mittelalter hier oben im Sauerland ein wichtiges Transportmittel gewesen sein. Es avancierte im Laufe der Jahre seiner Tätigkeit zum heimlichen Wappentier von Brilon.

Die Stadt – schön gelegen im großen Talkessel. Umgeben von dicht bewaldeten Hängen, in den tieferen Lagen belegt mit Wohngrundstücken. Grau und weiß die vorherrschenden Farben der Häuser. Schiefer auf den Dächern und zum Teil auf den Fassaden. Brilon soll die waldreichste Stadt Deutschlands sein. War in ferneren Zeiten mal eine Hansestadt.

Das Zentrum eher langweilig. (Pardon, liebe Briloner!) Da hatten wir schon ansehnlichere Hansestädte gesehen. Ein üblicher Einkaufsboulevard ohne Besonderheiten. Das recht ehrwürdige Rathaus auf dem zentralen Platz in der Stadtmitte. Soll eines der ältesten Rathäuser Deutschlands sein. Auf dem Platz davor – eben dem Rathausplatz – eine Säule mit dem Markierungszeichen des Goldhaarsteigs. Hübsch anzusehen. Foto geschossen. Mit Anne vor der Säule. Auch hübsch anzusehen.

Versteckt hinter dem Rathaus die wichtigste Kirche der Stadt – die Propsteikirche St. Petrus und Andreas. Umgeben von einem alten Friedhof – eine stille in sich ruhende nachdenklich stimmende Rasenfläche. Und die Augenüberraschung: der romantische Kirchplatz eingerahmt von einem Ring sehr gut erhaltener bzw. restaurierter alter Fachwerkhäuser. Vielgestaltig, ehrwürdig, still, ernst stehen sie da, bewohnt und genutzt und damit voller Leben. Also nahm ich an dieser Stelle meine schnell formulierte Meinung über Brilon zurück. Zu kurz unser Aufenthalt für ein gültiges Urteil.

Wir machten uns bald auf den Rückweg. Am Stadtrand, dort, wo es in den Wald hineingeht, befindet sich der schön und interessant gestaltete offizielle Startplatz des Rothaarsteigs. Das Eingangsportal zum Steig. Wir konnten uns auf den Schautafeln für die Wanderstrecke noch ein wenig sachkundig machen.

Anschließend durch den Wald die ersten Kilometerchen des Wanderwegs gewandert. Er läuft in der Nähe unseres ersten Wanderquartiers, dem Hotel Klaholz, in das Rothaargebirge hinein.

Im „Quartier“ am frühen Nachmittag leichtes Mittagessen. Dann langer leichter Mittagsschlaf. Danach leichter Spaziergang. Darauf leichtes Abendbrot. Nicht wie am Vorabend noch einmal Spargel. Und ... leichte Spannung vor dem Beginn unserer Wanderung am morgigen Tag. Ich beende die Notierarbeit und schließe das Wandertagebuch ...