Theologie des Neuen Testaments

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Theologie des Neuen Testaments
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UTB 4838

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Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft

Herausgegeben von Lukas Bormann


Dr. theol. Lukas Bormann ist Professor für Neues Testament an der Philipps-Universität Marburg.

Lukas Bormann

Theologie des

Neuen Testaments

Grundlinien und wichtigste Ergebnisse

der internationalen Forschung

Vandenhoeck & Ruprecht

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Mit 13 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Ausschnitt Albrecht Dürer, Michaels Kampf mit dem Drachen, 1498, Bildarchiv Foto Marburg. © Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

EPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

UTB-Band-Nr. 4838

ISBN 978-3-8463-4838-3

Vorwort

Die Arbeit an diesem Buch war von der Überzeugung bestimmt, dass es nach wie vor sinnvoll und möglich ist, ein Gesamtbild des Neuen Testaments und seiner theologischen Aussagen zu entwerfen und auszuführen. Jeder wird verstehen, dass das Ergebnis eines solchen Bemühens durch sehr viele Gespräche, Vorträge, Diskussionen und vor allem durch die Lektüre zahlloser wissenschaftlicher Publikationen mitbestimmt ist, die sich nach fast vierzigjähriger intensiver Auseinandersetzung mit den Schriften des Neuen Testaments nicht alle nennen lassen. Die Literaturverzeichnisse und das Autorenregister geben darüber eine gewisse, wenn auch nicht erschöpfende Auskunft. Mein Dank gilt demnach der großen internationalen Wissenschaftlergemeinschaft, die sich seit Beginn der kritischen Erforschung des Neuen Testaments im 19. Jahrhundert mit der Gedankenwelt dieser Texte befasst hat.

Ich danke namentlich all denen, die an der Verwirklichung dieses Buchprojekts in der letzten Phase mitgewirkt haben: Eva-Maria Molnár, Hannah Kress, Fabio de Gregorio und vor allem Dr. Johanna Conrad. Die Gesprächspartner des Verlags, zunächst Jörg Persch und dann Moritz Reissing und Dr. Bernhard Kirchmeier, haben durch ruhiges Nachfragen und sachliche Hilfen die Entstehung befördert. Für die Erteilung der Rechte, die Abbildungen im Buch abdrucken zu dürfen, danke ich den im Abbildungsverzeichnis genannten Institutionen und den Kolleginnen und Kollegen Nicole Belayche, Monique Morales und Ze’ev Weiss. Dr. Timo Glaser, Universitätsbibliothek Marburg, sei für die Erstellung hochauflösender Digitalisate gedankt.


Marburg an der Lahn, Ostern 2017Lukas Bormann

Inhalt

Vorwort

Zur Einführung

1Was ist „Theologie des Neuen Testaments“?

1.1Einführung

1.2Anfänge der Theologie des Neuen Testaments

1.3Bultmanns Theologie des Neuen Testaments und deren Nachwirkungen

1.4Theologisch eigenständige Entwürfe nach Bultmann

1.5Theologie oder Religionsgeschichte und Religionstheorie?

1.6Theologie als „Meistererzählung“

1.7Ergebnis und Ausblick

Gesamtdarstellungen einer Theologie des Neuen Testaments

Literatur

2Antikes Judentum

2.1Einführung

2.2Bezeichnung

2.3Gott

2.4Schrift

2.5Geschichte

2.6Tora

2.7Tempel

2.8Diaspora

2.9Sondergruppen

2.10Ergebnis und Ausblick

Literatur

3Jesus von Nazareth

3.1Einführung

3.2Historische Grundlagen

3.3Königsherrschaft Gottes

3.4Ethik der Königsherrschaft

3.5Selbstverständnis Jesu

3.6Ergebnis und Ausblick

Literatur

4Theologie des Paulus 1: Gott und Christus

4.1Einführung

4.2Theologie des vorchristlichen Paulus

4.3Theologie des Paulus „in Christus“

4.4Heilswende in Christus: Kreuz und Auferstehung

4.5Folgen der Heilswende in Christus: Gemeinde, Taufe und Geist

Literatur

5Theologie des Paulus 2: Mensch

5.1Glaube

5.2Gerechtigkeit aus Glauben und Rechtfertigung der Gottlosen

5.3Kreuzestheologie

5.4Eschatologie

5.5Ethik

Literatur

6Paulustradition

6.1Einführung

6.2Kolosser-, Epheser- und zweiter Thessalonicherbrief (Deuteropaulinen)

6.3Erster und zweiter Timotheus- und Titusbrief (Pastoralbriefe)

Literatur

 

7Logienquelle

7.1Einführung

7.2Inhalt und Aufbau der Logienquelle

7.3Gottesbild

7.4Gericht und Menschensohn

7.5Ergebnis

Literatur

8Markusevangelium

8.1Einführung

8.2Theologie als Biographie

8.3Narrative Theologie des Markus

8.4Theologisieren mit Markus

Literatur

9Matthäusevangelium

9.1Einführung

9.2Besonderheiten der matthäischen Jesuserzählung

9.3Gott, der Vater im Himmel

9.4Jesus Christus, der Sohn Davids und Sohn Gottes

9.5Die „bessere“ Gerechtigkeit und das Gericht

9.6Von Israel zur weltweiten Mission

Literatur

10Lukasevangelium und Apostelgeschichte

10.1Einführung

10.2Sprache

10.3Gott, Herr der Geschichte

10.4Jesus, Prophet, kyrios und „Sohn des Höchsten“

10.5Geschichte des Volkes Gottes und „heiliger Geist“

10.6Ethik und Politik: Armut und Besitz, Rettung und Befreiung

Literatur

11Johannesevangelium

11.1Einführung

11.2Jesuserzählung als Inszenierung der Herrlichkeit (Doxa)

11.3Christologischer Monotheismus

11.4Liebesgebot

11.5Höhepunkt des Neuen Testaments?

Literatur

12Hebräerbrief und katholische Briefe

12.1Einführung

12.2Hebräerbrief

Literatur

12.3Der Jakobusbrief

Literatur

12.4Der erste Petrusbrief

Literatur

12.5Die drei Johannesbriefe

Literatur

12.6Zweiter Petrusbrief und Judasbrief

Literatur

13Offenbarung des Johannes

13.1Einführung

13.2Inhalt und Aufbau

13.3Der souveräne Gott

13.4Christus, das Lamm

13.5Macht, Herrschaft und Gerechtigkeit

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Register (in Auswahl)

1) Stellenregister

2) Schlagwortregister

3) Autorenregister

Zur Einführung

Diese Theologie des Neuen Testaments stellt die Gedankenwelt der neutestamentlichen Schriften und ihrer Autoren dar. Sie konzentriert sich dabei auf die Aussagen, die theologisch relevant sind. Für die Bestimmung dieser Relevanz wird als Analysekategorie ein offenes Verständnis von Theologie zugrundegelegt, nach dem Theologie das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch reflektiert. Zugleich werden die Herausforderungen angenommen, die sich einem solchen Projekt innerhalb der selbstreflexiv gewordenen Moderne stellen. An die Wissenschaften werden grundlegende Fragen nach ihrer Legitimität gestellt: Was ist Wissen überhaupt? Welche Funktionen erfüllt dieses Wissen? Welches Versprechen gibt es den Wissbegierigen? Diese hermeneutische Situation hat dazu geführt, dass die aktuellsten Theologien des Neuen Testaments (Schnelle, Wright) nicht nur informieren, sondern mit den Konzepten der story und der Meistererzählung die identitätsbildenden Funktionen einer Theologie des Neuen Testaments als Erzählung aufnehmen. Diese Erzählungen geben ihren Lesern und Zuhörern ein Versprechen. Wright sieht das Ziel in einer Kirche, die er als „single, multi-ethnic family promised by God“ bezeichnet. Schnelle hingegen konzentriert sich auf die Liebe als das „Grundprinzip allen Seins“. Beide Aussagen, die eher soziologische bzw. ekklesiologische Wrights und die eher begriffliche bzw. dogmatische Schnelles, treffen eine Auswahl, die vieles, was die neutestamentlichen Autoren theologisch bewegt, unberücksichtigt lässt, z. B. die Fragen nach Gerechtigkeit, Schuld, Strafe und Vergeltung. Der vorliegende Entwurf hat sich deswegen entschieden, einen Vorstellungszusammenhang in den Mittelpunkt zu rücken, der sowohl die neutestamentlichen Texte enger zueinander in Beziehung setzt als auch der Tatsache Rechnung trägt, dass die neutestamentlichen Autoren selbst die „Schrift“, die das Christentum das Alte Testament nennt, als autoritativen und normativen Text sowie als grundlegende Erzählung (primary history) voraussetzen. Aus diesem dem Neuen Testament vorgegebenen Reflexionshorizont der „Schrift“ ragen die Aussagen über die Eigenschaften Gottes in Ex 34,6 bzw. Ps 145,8 u. ö. hervor. Sie werden innerhalb des Alten Testaments immer wieder aufgegriffen, im antiken Judentum reflektiert und von der alttestamentlichen Wissenschaft als „Wesensdefinition Gottes“ (Jeremias, Spieckermann) bezeichnet. Der Diskurs um die Eigenschaften Gottes, der sich vor allem in der Spannung zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bzw. zwischen Recht und Liebe bewegt, ist demnach zugleich der Ausgangspunkt wie auch der Zielpunkt, d. h. das Versprechen, dieser Theologie des Neuen Testaments.

Im Rahmen dieses Diskurses verwenden die verschiedenen neutestamenentlichen Schriften Sprachformen und Ausdrucksweisen, die für sie jeweils charakteristisch sind. Die gewählte sprachliche Form und der sprachliche Ausdruck bestimmen und begrenzen die Textaussagen, ihren Bezug zur textexternen Wirklichkeit und ihren Beitrag zur Kommunikation um die theologischen Anliegen. Jesus bevorzugt den Spruch und das Gleichnis, während Paulus dem Argumentationsstil der stoisch-kynischen Diatribe folgt. Das Markusevangelium reflektiert sein theologisches Anliegen als biographisches Narrativ. Matthäus und Lukas greifen das auf, setzen aber mit der Aufnahme jüdischer Diskursformen bzw. der Orientierung an der hellenistischen Fachprosa eigene Akzente. Das Johannesevangelium schlägt wiederum einen ganz anderen Weg ein, indem es die äußere Simplizität seines Sprachgebrauchs bewusst dafür einsetzt, den Leser von der komplexen theologischen These des christologischen Monotheismus zu überzeugen. Die Johannesoffenbarung schließlich entscheidet sich für eine visuelle Kommunikation in Bildern und Vorstellungen, die ganz eigene Möglichkeiten eröffnet, aber auch bestimmte Grenzen setzt.

Der offene Begriff von Theologie, die Reflexion der Darstellungsform einer Theologie, die Orientierung an den Eigenschaften Gottes und die Analyse der gewählten Sprach- und Ausdrucksformen stellen die vier übergreifenden Perspektiven dar, die dieser Entwurf verfolgt.

Der Aufbau und die Gliederung der einzelnen Kapitel folgen der sachlichen Ordnung des gedanklichen Zusammenhangs, der durch die behandelten Themen und neutestamentlichen Schriften gegeben ist. Auf eine schematische Bearbeitung theologischer Topoi (Gotteslehre, Christologie, Soteriologie usw.) wurde verzichtet. Vielmehr wird auf der Grundlage des offenen Theologiebegriffs die Gedankenwelt der jeweiligen neutestamentlichen Schrift oder der hinter diesen Texten stehenden Personen, etwa Jesus und Paulus, in ihrem historischen Kontext dargestellt und analysiert.

Der fortlaufende Text wird an geeigneten Stellen durch im Druck hervorgehobene Zwischenresümees unterbrochen. Diese sollen Grundaussagen des zuvor entfalteten Gedankengangs zusammenfassen, weiterführende Überlegungen anstoßen und das vertiefte sinnerfassende Lesen des Buches unterstützen. Jedes Kapitel bzw. in Kp. 12 die Unterabschnitte schließen mit einem Literaturverzeichnis, das die in den Anmerkungen als Kurztitel notierten Angaben vervollständigt.

Die einzelnen Kapitel werden durch eine bildliche Darstellung eröffnet, deren Bedeutung im Text aufgegriffen und auf die weiteren Ausführungen bezogen wird. Durch die Kombination von bildlicher Darstellung und wissenschaftlichem Text soll dem Leser des Buches die Möglichkeit gegeben werden, eigenständig bedeutsame Zwischenräume wahrzunehmen und Sinndimensionen zu erschließen, die entstehen, wenn visueller Ausdruck und textlich-begriffliche Interpretation nebeneinander stehen und zugleich aufeinander bezogen werden. Die Grafiken sollen auch zum Ausdruck bringen, dass die Texte des Neuen Testaments in historischen Kontexten entstanden sind und in Rezeptionsprozessen überliefert wurden, die für ihr Verständnis bedeutsam sind, aber in diesem Buch nicht ausführlich behandelt werden können. Die gewählten Grafiken sind je für sich so ausdrucksstark und vielschichtig, dass ihre Wahrnehmung auch ein autonomes Seh- und Leseerlebnis ermöglicht. In der Regel wird im Anschluss daran, meist ausgehend von den altkirchlichen Zeugnissen, eine knappe historische Information über die Abfassungsverhältnisse gegeben, um dann in geeigneter Weise jeweils auf die gewählten sprachlichen Formen des neutestamentlichen Überlieferungsträgers oder der jeweiligen Schrift einzugehen. Diese Fragestellungen werden nicht schematisch abgearbeitet, sondern orientieren sich an den jeweiligen Sinn- und Verstehensangeboten, die die Gegenstände der Untersuchung machen.

 

In Kapitel 1 wird die Forschungs- und Problemgeschichte der Disziplin Theologie des Neuen Testaments dargestellt. Kapitel 2 wendet sich den Grundlagen der neutestamentlichen Schriften zu, die im antiken Judentum liegen. Die neutestamentlichen Autoren reflektieren ihre Überlegungen zum Verhältnis von Gott, Welt und Mensch im Horizont der Überzeugungen und Praktiken des antiken Judentums. Ohne eine Zuordnung der neutestamentlichen Aussagen zu diesem Sinn- und Deutungshorizont sind sie nicht angemessen zu verstehen. Im Verlauf der weiteren Kapitel wird vor allem auf dieses zweite Kapitel durch Verweise immer wieder Bezug genommen, aber auch dort, wo dies nicht ausdrücklich geschieht, wird der Inhalt dieses Kapitels vorausgesetzt. Den internen Verweisen in den Fußnoten ist in Klammern jeweils ein Stichwort über die Thematik, die auf der angegeben Seite behandelt wird, beigegeben, sodass der Leser jeweils entscheiden kann, ob er diesen Sachverhalt im Sinn hat oder ob er ihn nachschlagen möchte. Kapitel 3 befasst sich mit Jesus von Nazareth. Auch in diesem dritten Kapitel werden Überlegungen formuliert, die im weiteren Verlauf des Buches immer wieder aufgegriffen werden. Aufgrund dieses besonderen Charakters enden die drei ersten Kapitel jeweils mit einem Abschnitt zu „Ergebnis und Ausblick“. In diesen abschließenden Passagen sind die Gedanken, die für die Theologie des Neuen Testaments besonders bedeutsam sind, zusammengefasst.

Die Darstellung der Theologie des Paulus erfolgt in den Kapiteln 4 und 5. Dabei werden nicht die einzelnen Paulusbriefe für sich, sondern die sachlichen Zusammenhänge der Theologie des Paulus behandelt. Diese beiden Kapitel setzen zwar mit „Gott und Christus“ (Kp. 4) und „Mensch“ (Kp. 5) unterschiedliche Schwerpunkte, sie sind aber aufgrund des alle Themen der paulinischen Theologie durchdringenden eschatologisch-soteriologischen Interesses des Paulus im Zusammenhang zu lesen. Das Kapitel 6 erläutert die Rezeption und Weiterführung der Theologie des Paulus in der Paulustradition, d. h. in den Deuteropaulinen (Kol, Eph, 2Thess) und in den Pastoralbriefen (1/2Tim; Tit). Die Kapitel 7 bis 11 kommen wieder auf die Jesustradition im engeren Sinn zurück. Die Logienquelle und die Evangelien werden unter besonderer Berücksichtigung ihrer narrativen Gestalt als Jesuserzählungen auf ihre theologischen Aussagen hin interpretiert. Die beiden abschließenden Kapitel 12 und 13 wenden sich dann den übrigen neutestamentlichen Schriften zu, die nicht unmittelbar an die beiden durch Paulus und Jesus vorgegebenen Traditionslinien anknüpfen: Hebräer-, Jakobus-, Johannes- und Petrusbriefe sowie Judasbrief und Johannesoffenbarung.

Im Verlauf werden immer wieder biblische Texte und antike Quellen zitiert. Dadurch sollen zentrale Aussagen in ihrem Wortlaut zugänglich gemacht werden. Auch diese Zitate eröffnen wie das Gegenüber von Bild und Text gedankliche Zwischenräume, indem sie den originalen historischen Ausdruck neben die Interpretationen des Autors stellen. Diese Zitate sind ein wichtiges Korrektiv gegenüber einer allzu integrativ-synthetischen Darstellungsweise. Sie ermöglichen dem Leser ein eigenes Urteil darüber, ob und inwieweit diese Darstellung der Theologie des Neuen Testaments überzeugend und sachgerecht mit ihren Quellen umgeht – und welche Sinndimensionen der antiken Texte unberücksichtigt bleiben und zu eigener Quellenlektüre auffordern. Die Übersetzungen sind an den Stellen, an denen es nicht anders vermerkt ist, eigenständig aus den Originaltexten angefertigt und an Übersetzungen in moderne Sprachen geprüft worden. Zentrale Begriffe sind in den Quellensprachen angeführt. Griechische und hebräische Wörter und Wendungen werden in einer Umschrift, die sich an der Aussprache orientiert, kursiv und dann in griechischen und hebräischen Schriftzeichen gedruckt. Der Text soll ohne Kenntnisse des Griechischen und Hebräischen verständlich sein, dennoch aber darauf hinweisen, dass die dargestellten Gedanken in Zusammenhängen stehen, die sich erst durch die Kenntnis der genannten Sprachen voll erschließen. Im Falle des Koptischen und Aramäischen wird in der Regel nur die lautorientierte Umschrift in Kursivdruck verwendet.

In Zitaten verweisen eckige Klammern auf Auslassungen, die der Autor vorgenommen hat. Runde Klammern hingegen zeigen an, dass er Ergänzungen zum Verständnis des Zitats hinzugefügt hat. Bei Zitaten moderner Autoren sind diese zudem durch das Kürzel „LB“ für den Autor gekennzeichnet. Alle fremdsprachigen Zitate aus der wissenschaftlichen Literatur wurden ins Deutsche übersetzt. Dadurch soll zum einen der Lesefluss erleichtert und zum anderen die grammatikalisch korrekte Einbindung von Begriffen und Wendungen in den deutschen Text ermöglicht werden.

Die verwendeten Abkürzungen orientieren sich an Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG3), Berlin/Boston 3. Aufl. 2014.

1Was ist „Theologie des Neuen Testaments“?


Abb. 1: Titelblatt der Antrittsvorlesung von Johann Philipp Gabler vom 30. März 1787 in Altdorf bei Nürnberg.

1.1Einführung

Als Urdatum der Biblischen Theologie und damit auch der Theologie des Neuen Testaments gilt die Antrittsvorlesung von Johann Philipp Gabler (1753–1826) aus dem Jahr 1787. Dieser erste grundsätzliche und bahnbrechende Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von historischer Kritik und theologischer Gegenwartsbedeutung stellte bereits die Fragen, die bis heute im Zentrum der Diskussion um die Theologie des Neuen Testaments stehen.1 Die folgende Problemgeschichte der Theologie des Neuen Testaments setzt deswegen bei Gabler an und skizziert die markanten Weichenstellungen der wissenschaftlichen Diskussion bis zum Stand der internationalen Forschung der Gegenwart.

1.2Anfänge der Theologie des Neuen Testaments

Die Vorlesung Gablers trug den Titel: „Von der richtigen Unterscheidung der biblischen und der dogmatischen Theologie und der rechten Bestimmung ihrer beiden Ziele“. In ihr schlug er eine wissenschaftstheoretische Trennung der biblischen von der dogmatischen Theologie vor, die damals als revolutionär und provokativ galt. Zu Gablers Zeiten wurde die Bibel im Zuge der Loci-Methode (Belegstellen-Methode) vorrangig als Fundus für Belege genutzt, die dazu dienen sollten, die konfessionell geprägten dogmatischen Ansichten und Glaubensüberzeugungen zu bestätigen Gabler forderte nun, dass die biblischen Schriften historisch zu untersuchen seien. Die biblischen Zitate sollten ihren Autoren, ihrer Entstehungszeit, ihrem Abfassungsort und ihren Adressaten zugeordnet und im Horizont ihrer Entstehung interpretiert werden. Er formulierte dieses Anliegen in der Sprache seiner Zeit mit den Worten, die Biblische Theologie solle „die Meinungen der göttlichen Männer aus den heiligen Schriften“ (36) sammeln und historisch erläutern.2 Erst wenn die historische Aufgabe gelöst sei, stelle sich eine zweite, nämlich „Menschliches“ von „Göttlichem“ zu scheiden. So werde das „Allgemeine“, „Universelle“, das zugleich das „Göttliche“ sei, freigelegt. Dieses solle dann als Grundlage für die „reine“ Biblische Theologie dienen.

Gablers Überlegungen leiten den Beginn einer historischen Beschäftigung mit den theologischen Gehalten der Bibel ein. Sie machen aber auch deutlich, wo das Grundproblem einer solchen Biblischen Theologie bis heute liegt: Wie soll „Menschliches“ von „Göttlichem“ – wir würden heute sagen: Zeitbedingtes von bleibend Gültigem – unterschieden werden? Welche wissenschaftliche Methode findet das „Göttliche“ bzw. das bleibend Gültige? Oder zeitgemäß formuliert: Wie ist in den Schriften des Neuen Testaments das freizulegen, was die Sinn- und Existenzfragen des Menschen heute anspricht, ohne dass man sich dem Vorwurf aussetzen muss, dass dieses bleibend Gültige in die biblischen Schriften hineingelesen wurde?

Gabler hat die Spannung zwischen deskriptiver historischer Forschung und konstruktiver Theologiebildung herausgearbeitet, mit der sich bis heute jede Theologie des Neuen Testaments auseinanderzusetzen hat. Er selbst hat allerdings seine bahnbrechenden programmatischen Überlegungen nicht umgesetzt und keine umfassende Biblische Theologie verfasst.

Zwei Generationen nach Gabler schlug Ferdinand Christian Baur (1792–1860) eine konsequente, aber auch einseitige Lösung der Problematik vor. Er forderte, dass man darauf verzichten solle, das Neue Testament als Grundlage und Quelle des Glaubens der Gegenwart zu verstehen. Dieses Interesse habe zur Folge, dass nur das bestätigt werde, „was wir selbst für das an sich Wahre und Vernünftige des religiösen Glaubens halten“ (13). Baur hingegen forderte eine Theologie des Neuen Testaments, die als „rein geschichtliche(n) Betrachtung, (welche) das geschichtlich Gegebene ganz als das nimmt, was es in seiner concreten Wirklichkeit ist“ (13). Er löste die von Gabler benannte Spannung zwischen Menschlichem und Göttlichem einseitig zugunsten des Menschlichen auf. Theologie des Neuen Testaments sei „reine“ Historie. Sie habe die „Lehrbegriffe“ Jesu, der Apostel und der Autoren der neutestamentlichen Schriften herauszuarbeiten und als systematischen Zusammenhang zu begreifen, der „die neutestamentliche Theologie […] als ein lebendiger Organismus“ erscheinen lasse (28). Baur war davon überzeugt, dass der Gesamtzusammenhang der neutestamentlichen Theologie umso deutlicher werde, je gründlicher man historisch arbeite. Er war zudem der Meinung, dass es einer historisch rekonstruierten Theologie des Paulus gelingen könne, „in letzter Beziehung zur absoluten Idee Gottes aufzusteigen, und seine Betrachtung in ihr als der absoluten Spitze abzuschließen“ (205). Für Baur konnte die Frage, „ob das Christenthum eine vernünftige und göttliche Religion sei […], wie sich von selbst versteht, nur bejahend beantwortet werden“ (9). Woher gewann Baur dieses Selbstbewusstsein? Neben der Anknüpfung an die Geschichtsphilosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), der im reformatorischen Christentum die Vollendung der Religionsgeschichte schlechthin sah, ist auch auf das Selbstverständnis der Epoche, in der Baur wirkte, hinzuweisen. Im sogenannten langen 19. Jahrhundert zwischen der Französischen Revolution und dem Ersten Weltkrieg galt die Überlegenheit des Christentums über alle bekannten Religionen und Kulturen angesichts der Weltherrschaft der christlichen europäischen Nationen, die wir heute als Imperialismus und Kolonialismus kritisch bewerten, als unwiderlegbare Tatsache. Das Werk Baurs führt die Verbindung von Historie und Theologie weiter, die Gabler angeregt hatte, bezieht nun aber auch die dominante philosophische Konzeption seiner Zeit, die hegelsche Geschichtsphilosophie, in seine Überlegungen mit ein, die das Christentum unhinterfragt als Höhepunkt der Menschheitsgeschichte verstand.

Mit Baur beginnt somit ein Verständnis der Theologie des Neuen Testaments, das neben Geschichtsforschung und Theologie auch die Philosophie berücksichtigt. Er begründet damit die Einbeziehung philosophischer Überzeugungen in die neutestamentliche Theologie – ein Sachverhalt, der für die deutschsprachige Theologie prägend geworden ist.

1.3Bultmanns Theologie des Neuen Testaments und deren Nachwirkungen

Diese so selbstverständlich scheinende Überlegenheit der christlichen Nationen wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs tief erschüttert. Wie konnte ein Gott als „absolute Idee“ bezeichnet werden, wenn sich auf ihn die Heerführer und Staatenlenker aller miteinander verfeindeter Nationen zugleich beriefen, um ihre Soldaten zum Töten zu motivieren? Die mörderischen Schlachten des Ersten Weltkriegs wurden auch als eine Niederlage des Christentums empfunden und forderten eine Neuorientierung in der Evangelischen Theologie heraus.

Die genannten Erfahrungen prägten auch die wissenschaftliche Arbeit von Rudolf Bultmann (1884–1976). Er entfaltete, beeindruckt von der dialektischen Theologie Karl Barths (1886–1968) und der Fundamentalontologie Martin Heideggers (1889–1976), in seiner neutestamentlichen Exegese die Überzeugung, dass Theologie vor allem auf den modernen Menschen ausgerichtet sein müsse. Dieser war für Bultmann dadurch charakterisiert, dass er in seinen Überzeugungen einerseits rational mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild übereinstimmte und andererseits innerhalb dieser Vorgaben sein Leben in freier Entscheidung sinnvoll gestalten wolle. Eine Theologie des Neuen Testaments habe diesen modernen Menschen und dessen Selbstverständnis herauszufordern und mit dem Selbstverständnis zu konfrontieren, das dem Neuen Testament zugrunde liege. Bultmann interpretierte dementsprechend die Verkündigung Jesu als „Forderung“ und „Ruf in die Entscheidung“ (8), ohne unmittelbar zu klären, was das Ziel dieser Entscheidung oder der Inhalt dieses Rufs sei. Vielmehr entsprächen diese in ihrer Struktur der fundamentalen Verfasstheit des Menschen an sich, der sein Leben als Vollzug oder Verfehlung der Entscheidung zum je eigenen Menschsein führe. Die Theologie des Paulus galt Bultmann „zugleich“, wenn nicht gar vorrangig, als „Anthropologie“ (187), die die Grundstrukturen wie auch die Widersprüche der menschlichen Existenz als solche offenlege. Die johanneische Theologie wiederum war für ihn das Angebot an den Menschen, sich in der Krise seiner Existenz gegen die Welt und für den Glauben zu entscheiden und so die „Entweltlichung“ als „Übergang in die eschatologische Existenz“ zu vollziehen (424). Tatsächlich gelang es Bultmann, die Diskussion um die Theologie des Neuen Testaments im 20. Jh. auf die Frage zu konzentrieren, was Jesus, Paulus und Johannes dem modernen Menschen des 20. Jh. zu sagen haben.

So wie die neutestamentliche Theologie Baurs ihre Überzeugungskraft nicht aus der Exegese, sondern aus der Verbindung mit der breiten Bewegung des Hegelianismus seiner Zeit gewann, so war Bultmanns Theologie des Neuen Testaments auch deswegen so wirkungsvoll, weil sie die durch die Existenzphilosophie bestimmte Erwartung ihrer Zeit zu erfüllen wusste. Bultmann stellte wie Martin Buber (1878–1965), Karl Jaspers (1883–1969), Martin Heidegger und schließlich auch Jean-Paul Sartre (1905–1980) den Menschen und nicht philosophische Systeme oder abstrakte Begriffe in den Mittelpunkt. Die Bindung der neutestamentlichen Theologie an die philosophischen Einsichten ihrer Zeit gehört zu den Besonderheiten der protestantischen Theologie in Deutschland, die ihre Anziehungskraft ausmachte, aber auch Ablehnung provozierte.

Die theologischen und philosophischen Annahmen Bultmanns wurden in der systematischen Theologie und in der Religionsphilosophie weiterverfolgt. Die neutestamentliche Forschung im engeren Sinn hingegen diskutierte vor allem die exegetisch-historischen Urteile Bultmanns. Auf geradezu einhellige Ablehnung stieß Bultmanns Entscheidung, die Verkündigung Jesu nur als Voraussetzung, nicht aber als Teil einer Theologie des Neuen Testaments zu betrachten (1). Bultmann machte mit dem historischen Diktum von Julius Wellhausen (1844–1918) ernst, dass Jesus kein Christ, sondern Jude gewesen und geblieben sei. Er stellte demgegenüber heraus, dass die Botschaft des Neuen Testaments, das „Kerygma“ (gr. für Botschaft), auf dem Glauben beruhe, der „Jesus Christus als eschatologische Heilstat […], und zwar Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen“ bekenne (1). Glaube habe ohne Kreuz und Auferstehung keine Grundlage. Somit könne die Verkündigung Jesu, die ja nach Bultmann weder den Kreuzestod noch die Auferstehung enthalten habe, nicht Teil einer Theologie des Neuen Testaments sein. Bultmann bestimmte mit dem Kerygma ein Kriterium, das ihm dazu diente, innerhalb des Neuen Testaments das theologisch Bedeutsame herauszustellen und weniger relevante religiöse Vorstellungen zu kritisieren. Er nannte dieses Vorgehen theologische Sachkritik.