Jung & Alt

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SAMANTHA ZAUGG

JUNG
& ALT

LUDWIG HASLER

Der rüffer&rub Sachbuchverlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

Der Verlag bedankt sich bei Verleger Peter Wanner für die kollegiale Unterstützung.

Erste Auflage Frühjahr 2022

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 by rüffer & rub Sachbuchverlag GmbH, Zürich

info@ruefferundrub.ch | www.ruefferundrub.ch

Bildnachweis Cover:

© Zutik by Andoni | stocksy.com

Bildnachweis Autorenporträts:

Hasler: © Tanja Gschwandl

Zaugg: © Samantha Zaugg

E-Book-Konvertierung: Bookwire GmbH

ISBN 978-3-907351-01-7

eISBN 978-3-907351-06-2

Inhalt

»Manchmal reden wir gründlich aneinander vorbei«

Insgeheim erwarten wir von euch Jungen Dankbarkeit

Ihr macht euch die falschen Sorgen

Ist denn dieses Alter nüchtern zu ertragen?

Wer gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, bucht eine Weinreise

Ja, komplett Verheiratetsein kann anspruchsvoll werden

Vater, Mutter, Kind: Könnt ihr Alten euch nichts anderes vorstellen?

Sind denn nicht wir Alten die Eheveredler?

Warum backen alte Männer keine Kuchen?

Ist nicht ganz gebacken, wer nicht selber backt?

Die Männerquote

Wie dankbar bin ich Eva, dass sie in den Apfel biss

Ich kann die alten Männer nie auseinanderhalten

Was ist nun wichtiger – die Flanke oder die Frisur?

I’m like the other girls

Zwischen uns eine Weltpremiere: der Pillenknick

Wie gut war eigentlich früher die Schulzeit?

Meine Schule damals? Schluss mit lustig, fertig Kindheit!

Wer bestimmt schon, was normal ist?

Warum soll es mir unangenehm sein, Glück zu haben?

Gratulation, Sie haben im Kapitalismus gewonnen

Schlaraffenland für alle? Dann gut Nacht, Schlaraffenland

Gestatten, ich bin Verlegerin

Für uns ist das Versteckspiel zu Ende

Digitale Überforderung

Das Glück beim Stauen des Baches

In den Wald gehen, dass ich nicht lache!

Nein, ich mach hier nicht auf Lebensberater

Wer kauft mir Schnaps?

Wie das war mit analogem Dating? Mühsam halt

Die Schmach des Onlinedatings

Wollt ihr nicht erlöst werden vom Ichselbersein?

Monolog 1 Samantha

Monolog 2 Ludwig

Selbstdarstellung, Tanzkurs und Lehrstunde in Popkultur

Nichts gegen Blödeln, doch am Ende hilft nur Galgenhumor

Lach doch mal!

Bei Lachanfall bitte die Ethikkommission anrufen

Schwank mit Ratte

Deine Ratte ist ja reif zur Einbürgerung

Ich wär gern mehr wie ein Fuchs

Seit wann ist die Evolution eine Toleranz-Party?

Fleisch und Tod und Sprache

Fleisch? Schmeckte nach Sex, Sünde, Wollust

Krampf mit Penis

Muss nun alles gesund sein? Sogar Sex?

Einmal Schwank über sexuelle Befreiung bitte!

Abservieren, was stört? Macht schlaff

Die Jugend ist verweichlicht – na und?

Schon das Vokabular kann einen flachlegen

Warum seid ihr so hart?

Für Erfahrung gibt es null Credit Points

Habt ihr was an den Ohren?

Gar nicht abwegig, wie ihr die Arbeit dreht

Weniger Arbeit, mehr Vergnügen!

Ich aber will das pure Gegenteil: Arbeitserotik

Bitte nicht ausschaffen!

Du meinst: Ob ich noch lebe – oder schon wohne?

Schöftland? Nein danke, ist grad gut so

Ist halt so. Statt geistiger werden wir Alten körperlicher

Der alte Mann als Stilikone

Und die Freiheit zu vertrotteln? Wäre die nicht attraktiver?

Das schlimmste Gericht der Nation

So etwas wie Sinn kann man nicht kochen

Der ultimative Haushaltstipp

Biografien

»Manchmal reden wir gründlich aneinander vorbei«

Samantha: Lieber Ludwig, so fangen unsere Briefe ja jeweils an.

Ludwig: Wirkt manchmal etwas angestrengt, liebe Samantha. Oder nicht?

Samantha: Hast du vielleicht recht. Aber wir bleiben jetzt dabei. Also, lieber Ludwig, am Anfang müssen wir was Spannendes schreiben. Der Anfang muss die Leute reinziehen. Weißt du was Spannendes?

Ludwig: Vielleicht so: Wie Corona das Verhältnis der Generationen aufmischt. Plötzlich sind die Jungen die Geprügelten, und wir Alten die Privilegierten. Aber ist das spannend?

Samantha: Weiß nicht so recht. Ich dachte mehr so an was Spektakuläres. Vielleicht können wir was abschauen bei Film oder Literatur. Da gibt’s ja oft gute Anfänge.

Ludwig: Du kennst den Film »Les Intouchables«. Der famose kleinkriminelle junge Nordafrikaner »pflegt« den reichen invaliden Alten. Er verführt ihn einfach zum Leben! Das ließe ich mir gern gefallen.

Samantha: Recht gut, ja. Mir fällt Hemingway ein, seine Novelle »Der alte Mann und das Meer«: Die fängt so an: »Er war ein alter Mann und er fischte allein in seinem Boot im Golfstrom und seit 84 Tagen hatte er keinen Fisch mehr gefangen.« Das fasst meine Vorstellung von Alter ziemlich gut zusammen.

 

Ludwig: Immerhin fischt der alte Mann unverdrossen weiter. Was wäre mit euch Jungen? Therapie? Burnout?

Samantha: Ja, Therapie ist schon ein Ding in meiner Generation. Aber wir schweifen ab, das soll ja hier ein Vorwort werden. Also erzähl mal, was ist das für ein Buch?

Ludwig: Es ist der Briefwechsel zwischen zwei, die sich kaum kennen, also keine Brieffreundschaft, eher ein Akt der Tapferkeit, im Gespräch zu bleiben, auch wenn die Mentalitäten krass auseinanderlaufen.

Samantha: Obwohl so krass auseinander war’s dann oft manchmal auch gar nicht. Jedenfalls heißt das Buch »Jung & Alt«, weil unsere Kolumne so heißt. Die schreiben wir seit Herbst 2020 in der »Schweiz am Wochenende« der CH Media Gruppe.

Ludwig: Zwischen uns liegen exakt 50 Jahre. Bleibt da genug Gemeinsamkeit für ein interessantes Gespräch? Das testen wir. Nicht von Opa zu Enkelin, ist geschenkt. Wir gehören nicht zur Sippe, aber zur selben Gesellschaft. Und die sollten wir irgendwie zusammen weiterbringen.

Samantha: Genau. Drum schreiben wir über alle möglichen Themen. Gesellschaftsthemen, zum Beispiel Wein und Sex, alte Zeiten oder über die Schule.

Ludwig: Manchmal reden wir gründlich aneinander vorbei, etwa über Erfahrung, Arbeit, Weihnachten. Kein Vergnügen, aber gut gegen Illusionen. Und gegen Rechthaberei.

Samantha: Ich war meistens schon vergnügt! Zum Beispiel wenn wir über alte Männer und kleine Badehosen geschrieben haben. Das wär ein guter Anfang gewesen!

Ludwig: Warum sprachen wir nie über Humor? Trägt nicht er uns durch alles, was uns trennt?

Samantha: Hör mal, über Humor haben wir doch geschrieben, hast du schon vergessen? Über Galgenhumor, und Memes, und Männer, die sagen, man soll mal lachen.

Ludwig: Stimmt. Zur Sicherheit schieben wir jedenfalls je einen Monolog dazwischen, extra für dieses Buch geschrieben. In meinem Essay forsche ich nach Gründen, uns Alte ernst zu nehmen. Und du?

Samantha: Ich schreib was über die Leserinnen und Leser. Die hab ich unterdessen ganz gut kennengelernt. Nicht selten hab ich erzürnte Zuschriften erhalten. Die Leute fanden, ich sei zu frech. Fandest du jeweils, ich war zu frech?

Ludwig: Ach wo. Manchmal auffällig selbstsicher. Ich glaube, in deinem Alter war ich das auch. Seither hatte ich oft Gelegenheit, mir zu misstrauen.

Samantha: Auffällig selbstsicher! Das gefällt mir. So heißt dann unser nächstes Buch.

Insgeheim erwarten wir von euch Jungen Dankbarkeit
#1 Liebe Samantha

Du bist 26, ich bin 76. Ideal fürs Gespräch zwischen Jung und Alt, finde ich. Sind wir auch repräsentativ? Du, die exemplarisch Junge? Ich, der typische Alte? Ich eher nicht. Manchen gelte ich als Nestbeschmutzer – nur weil es für mich wenig Sinn macht, es jahrzehntelang nichts als »schön zu haben«.

Und du? Lupenrein jung? Oder auch schon etwas angejahrt – aus Sicht der »Generation Greta«? Auf Twitter las ich, wie 18-jährige Klimabewegte herziehen über die Y-Generation, zu der du irgendwie ja gehörst; »Okay, Schnarchnase!«, war noch das Freundlichste. Uns Alte winken sie eh resigniert ab (»Okay, Boomer!«), wenn wir es wieder mal besser wissen wollen. Wird die Luft dicker zwischen den Generationen?

Oder bilden die gar keine homogene Gruppen? Verlaufen die Trennlinien eher vertikal? Es gibt ja Schnarchnasen und Engagierte in allen Generationen – so wie es in jedem Alter Charmante und Kotzbrocken gibt, Engagierte und Motzer. Hast du im September die Besetzung des Bundesplatzes beobachtet? Die lief unter der Marke »Klimajugend«. Doch so ergraut, wie manche da aussahen, wird man erst mit 70. Und die Cleverness, mit der das organisiert wurde, lernt man definitiv nicht im Gymi, dazu brauchte es ein paar Abgebrühte mindestens aus der Y-Gruppe. »Klimajugend« gleich Generation Z? Wo waren in Bern Lehrlinge? Am Arbeiten, klar. Spricht alles nicht gegen die Klimajugend. Gegen Generationen-Pauschalen schon.

Und doch. Warum ticke ich so oft synchron mit Gleichaltrigen? Hat uns die Zeit, in der wir aufwuchsen, quasi programmiert? Menschen halten sich an das, was sie kennen. Was kennen wir Alten? Wir sind in den Nachkriegsjahren aufgewachsen, da war alles eher knapp, also packten wir fleißig an, wirtschafteten sparsam, hielten unseren Triebhaushalt in Grenzen. Es sollte ja aufwärtsgehen, es sollte uns zügig besser gehen. Haben wir geschafft. Wir haben den sagenhaften Wohlstand erarbeitet. Die Genugtuung darüber verbindet uns. Auch Selbstgerechtigkeit? Möglich, manchmal.

Jedenfalls erwarten wir – zumindest insgeheim – von euch Jungen: Dankbarkeit, logisch. Und was kriegen wir? Vorwürfe. Für euch ist Wohlstand geschenkt, also könnt ihr ihn unbefangen kritisch betrachten – und erblickt dann seine Kehrseiten, mit denen ihr euch künftig herumschlagen müsst: Klima, zerstörte Natur, Müllberge. Das sind zwei unterschiedliche Positionen: Für uns ist die Welt, die ihr übernehmt, stets auch unser Lebenswerk. Für euch eine Art Erbschaft. Die gehört – wie ein geerbtes Haus – gründlich entrümpelt. Nur dass wir halt auch noch drin sind.

Schluss mit Monolog, Samantha. Ich hol mal eine Flasche Rotwein – gespannt, wie du das Haus siehst, wie du uns alte Mitbewohner erlebst.

Ludwig

Ihr macht euch die falschen Sorgen
#2 Lieber Ludwig

Du hast in deinem letzten Brief die Metapher des Hauses benutzt. Die Alten und Jungen als eine Art Wohngemeinschaft. Ein spannendes Thema, denn beim Wohnen zeigen sich deutliche Generationenunterschiede. Lass uns unbedingt darüber schreiben. Aber nicht jetzt. Denn zuerst will ich auf eine deiner Fragen eingehen. Wie ich euch Alten erlebe.

Ich habe das Gefühl, dass die Alten konstant besorgt sind. Aber einfach wegen den falschen Sachen. Die alten Menschen, die ich gut kenne, das sind meine Großeltern und einige Verwandte und Bekannte. Die jedenfalls machen sich allerhand Sorgen. Darüber, dass ich alleine nach Zürich gehe zum Beispiel. Dass ich keine Festanstellung habe und dass ich immer noch zur Schule muss. Und darüber, dass ich kein Fleisch esse und deshalb ganz bestimmt zu wenig Proteine bekomme und man das auch sieht, weil ich ganz blass bin.

Und genau diese Sorgen verstehe ich nicht. Denn die Alten müssten ja wissen, dass das alles nicht so wild ist. Das schließe ich aus ihren Geschichten, die sie erzählen. Sie sagen, sie mussten früher kilometerweit zur Schule laufen in Schuhen mit Holzböden. Und im Winter mussten sie sogar noch eine Stunde früher los und eine Schaufel mitnehmen, um den Weg zu pfaden. Sie erzählen auch, dass sie immer gearbeitet haben, dass sie nie Ferien hatten und dass der Samstag auch ein Werktag war. Und dass sie nichts als Rösti gegessen haben. Zum Zmorge Rösti, zum Zmittag Rösti, zum Znacht Rösti. Immer nur Rösti mit Rösti, gebraten in Schweineschmalz. Tönt nicht so spaßig. Und trotzdem sind sie alt geworden.

Das alles erzählen sie und bedauern mich, weil ich meinen Karton mit dem Velo zur Sammelstelle fahren muss. Und weil ich so viel arbeite. Und sie befürchten, dass ich wegen meiner vegetarischen Ernährung Mangelerscheinungen bekomme.

Ich mache mir auch Sorgen. Aber ganz andere. Weil die Alten so viel Auto fahren und reisen und Fleisch essen und Häuser haben und Zeug kaufen. Genau aus diesen Sorgen heraus kommt mein Verhalten. Und das wiederum bereitet den Alten Sorgen. Ein endloser Sorgenstrudel.

Was sagst du zu diesen Sorgen? Hast du selber welche? Kannst du den Widerspruch erklären, selbst ein Leben voller Arbeit und Entbehrung gehabt zu haben und trotzdem die Jungen zu bedauern? Und was soll eigentlich das mit dem Wein? In deinem letzten Brief hast du von einer Flasche Rotwein geschrieben. Das ist auch so was, was ich nicht verstehe. Ich habe den Eindruck, je älter die Menschen werden, desto mehr interessieren sie sich für Wein. Ich habe da eine Theorie. Aber ich frage lieber dich: Was ist mit dem Wein?

Samantha

Ist denn dieses Alter nüchtern zu ertragen?
#3 Liebe Samantha

Was das mit dem Wein soll? Na ja, ich wollte anstoßen auf unser Gespräch. Typisch alt, findest du. Je älter, umso interessierter an Wein. Seit du es sagst, fällt mir auf: Wo ich bin, ist auch Wein, in der Küche, im Restaurant, als Geschenk. Auch in Romanen, die ich lese, werden Flaschen geleert, gern hinein in die Verzweiflung.

Ist das die Spur? Das Alter als zunehmendes Verzweiflungsdrama? Es sei »nichts für Weicheier«, sagte Marianne Faithfull, eine regelrechte Verlustgeschichte. Bei mir begann es beim Gehör, die übrigen Sinne geben auch schon nach, Vitalkräfte sowieso. Dafür kriegen wir die Seelenruhe? Ja? Glückwunsch! Manche aber fragen sich: Ist das nüchtern zu ertragen? Zu körperlichen Ausfällen kommen oft soziale, am Ende die Tristesse der Vereinsamung. In Statistiken schlagen Depression und Alkoholismus ab 65 aus, besonders verbreitet das »Pegel-Trinken«, das macht nicht betrunken, bloß leicht betäubt, aber konstant, wirkt wie ein Schleier vor der eigenen Realität. Ist bei mir nicht so weit.

Wozu brauchen manche Jugendliche ihr Bier? Zum Durstlöschen? Welchen Durst? Den nach mehr Leben, nach Rausch, Entgrenzung? Das wäre ein Thema, Samantha: Wie brechen wir – Junge, Alte – aus dem Alltag aus? Später mal.

Das mit dem Wein läuft wohl harmloser. Oft als soziales Ritual. Wer zusammen trinkt, beißt sich nicht. Brachte ich darum eine Flasche mit zum Gespräch? Zur Auflockerung der Unterschiede? Ich bin nicht so unkompliziert aufgewachsen. Und ihr Jungen tickt manchmal schon auffällig anders. Entspannter, scheint mir, irgendwie freier, auch ohne Wein. Vermutlich weckt genau diese Freiheit bei manchen Alten die Sorgen, die dich befremden. Ich höre sie auch. Als eine Enkelin ein Jahr durch Europa tourte, im VW-Bus, mit allerlei Gelegenheitsjobs beschäftigt, da ging es gleich los mit der Sorgenmacherei: Passt sie auch auf? Isst sie ordentlich? Kann sie sich das überhaupt leisten? Verspielt sie den Anschluss im Beruf? Gratis mitgeliefert: unser Besserwissen. Wir Alten haben es ja geschafft, wir haben das Leben bestanden. Ergo wissen wir, wie man es macht. Und nun sehen wir, ihr macht manches anders. Also Stirnrunzeln – hmm, wenn das bloß nicht schiefgeht!

Es sind die falschen Sorgen, da stimme ich dir zu. Die richtigen jedoch – Sorgen über den Zustand der Welt – wären halt lästig. Am Zustand der Welt sind wir Alten direkt beteiligt, jedenfalls mehr als ihr. Und da dieser Zustand, gelinde gesagt, durchzogen aussieht, steht unser Besserwissen auf wackligen Füßen. Brauchen wir etwa darum Wein? Doch wenn ihr unsere Agenda der Sorgen nun auswechselt, könnten wir aufatmen: Mit Glück, junge Leute!

Aber spielen wir Alten in eurem Stück überhaupt noch eine Rolle?

Ludwig

Wer gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, bucht eine Weinreise
#4 Lieber Ludwig

Um es gleich am Anfang zu sagen, gegen anstoßen hab ich nichts. Auch nicht gegen Wein. Aber ich bin bekennende Nicht-Wein-Kennerin. Denn wenig langweilt mich mehr, als Leute, die sich mit Wein auskennen.

Damit meine ich nicht Winzerinnen und Winzer, sondern die Menschen, die über Wein sprechen. Wer länger als 20 Minuten über Wein sprechen kann, hat einfach keinen Sex mehr.

Du hast deine Theorie zum Wein geäußert. Das Gleiche will ich auch tun. So wie ich das erlebe, haben Konsum und Status für ältere Menschen einen höheren Stellenwert. Und beide Bedürfnisse lassen sich durch Wein befriedigen.

Beginnen wir beim banalen: Den Wein kann man konsumieren. Und ich sag, wie’s ist, manches ist mit einem gepflegten Räuschlein einfach erträglicher.

Dann ist auch schon das Kaufen des Weins ein Happening. Weinhändler, Weingut, Weinmesse, Weinschiff. Und wenn man wirklich gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, dann macht man eine Weinreise. Rheinhessisches Hügelland, Piemont, Toskana, Südafrika.

 

Es wird sogar noch besser: Man kauft sich nicht nur Wein, sondern man kann auch seinem Wein gleich noch Sachen kaufen. Weingläser, Dekantierkaraffe, Weinthermometer oder einen Weinklimaschrank. Mit eingebautem Sichtfenster und beleuchtetem Innenraum, damit man den ganzen Tag seine wohltemperierten Weinflaschen anschauen kann.

Wein ist eben auch Statussymbol. Man definiert sich über Wein, zeigt, dass man Geschmack hat. Das ist für Leute wie mich recht nützlich. Anhand der Art, wie jemand über Wein spricht, kann ich die Person recht zuverlässig einer soziokulturellen Klasse zuordnen.

Ich weiß genau, was das für Leute sind, die sagen, für einen gelungenen Abend brauchen sie ein gutes Glas Wein und ein feines Stück Fleisch. Sie heißen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen. Darum der Wein, über irgendwas muss man ja sprechen. Und sonst ist man immerhin betrunken, das macht ja auch vieles leichter.

Insofern sind wir uns wohl einig: Wein gehört ab einem gewissen Alter dazu, taugt wunderbar zur Ersatzhandlung. Weil es lästig wäre, sich mit seinen wirklichen Problemen zu konfrontieren.

Du fragst, wozu wir Jungen unser Bier brauchen. Ja, Durst nach mehr hätten wir schon. Doch im Moment haben wir andere Probleme. Die Pandemie zieht wieder an, und verstärkt ein Lebensgefühl, dass viele von uns ohnehin schon kennen. Wir haben keinen Plan, wie wir durch das Heute kommen, und wissen gleichzeitig, dass das Morgen erst das ist, was richtig zäh wird.

Vielleicht war ich deshalb etwas zynisch mit der ganzen Weingeschichte. Du siehst mir das nach, ja?

Wie ist das bei dir? Wird dein Leben auch grad wieder enger, erlebst du auch ein unangenehmes Déjà-vu?

Samantha

Ja, komplett Verheiratetsein kann anspruchsvoll werden
#5 Liebe Samantha

Jetzt kommst du aber zur Sache. »Wer länger als 20 Minuten über Wein sprechen kann, hat einfach keinen Sex mehr.« Ich konnte nie länger als zwei Minuten über Wein reden, kann also nicht mitreden.

Dafür hier: »Sie heißen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen.« Ja, was sollte sich ein Paar nach 30 oder 50 Jahren unaufhörlich zu sagen haben? Wie das Wetter morgen wird? Wie das Hüftgelenk sich heute anfühlt? Wo sie am Sonntag hinwollen? Bloß, jetzt geht es nirgends wohin. Corona wird zum Härtetest älterer Paare.

Ich kenne welche, die wirken verliebt wie am ersten Tage. Spezies rara. Und manche, die sich freundschaftlich das Leben erleichtern, gar steigern. In Hotels sehe ich die verzweifelt Tapferen beim Morgenessen, es gibt nichts zu erzählen, zu lachen schon gar nicht, sie schweigen in sich hinein, sehen aneinander vorbei. Harte Kost.

Ich bin selber verheiratet. Oft solo unterwegs. Wie meine Frau, übrigens. Wir merkten früh: Treten wir stets als Paar auf, haben wir weniger vom Leben, werden seltener angesprochen, können nicht einmal flunkern, wir sind, was wir sind, genauer: was wir waren. Also machen wir nie komplett auf verheiratet, es gibt auch mehr zu erzählen. Um 1900, als die Leute im Durchschnitt 46 wurden, war die Ehe keine Hexerei. Bei 30 Rentnerjahren wird sie anspruchsvoll.

Zumal im Alter immer weniger passiert, egal, wie aktiv wir drauf sind: Immer häufiger wiederholt sich, was wir erleben. Nun ja, kennen wir, kaum der Rede wert. Wie anders die jungen Jahre, wo alles neu ist, voller Erwartung, Angst und Hoffnung, wo jeder Abend das Leben umstürzen kann. So ein Sommer mit 16 dehnt sich zur halben Ewigkeit, ein Jahr mit 76 kann fast eindrucksfrei verstreichen. Ein Zeitforscher klärte mich mal auf: Ich könne glatt 90 werden – und hätte doch mit 20 meine Lebensmitte überschritten. Huch. Wir werden also stets älter, doch in die Länge gerät nur die Phase, die – mangels Neuigkeiten – im Hui vorbeirauscht? Wie reagieren? Neue Pubertät, neues Glück, neue Ehe? Oder die Zeit heiter dahinfließen lassen, erleichtert, nicht mehr zu allem etwas sagen zu müssen?

Für dich ferne Zukunft. Wie packst du sie an? Laut Umfragen (aktuell: Berner Generationenhaus) seid ihr Jungen skeptisch gegen monogame Ambitionen, offen für sogenannt polyamorische Varianten. In der Praxis scheinen die Partnervorlieben dann erstaunlich stabil: Aschenputtel schnappt sich den Prinzen. Sie ist jung und schön, er ist reich und arriviert, das passt zusammen. So las ich es grad in »Psychological Science«, Forscher aus 45 Ländern bilanzieren da geltende Partnervorlieben.

Unverschämte Frage: Prinz in Sicht, Samantha?

Ludwig