Pony

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Aus der Reihe: Kristinas bizarre Fantasien #1
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Kristina Schwartz

Pony

Eine BDSM-Fetisch-Fantasie

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Impressum neobooks

Kapitel 1

»Bevor ich Ihnen erzähle, weswegen ich hier bin, möchte ich erst ein paar Worte über mich sagen. Nur damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Nicht dass Sie im Nachhinein sagen, hätt’ ich gewusst, um wen es sich handelt, hätte ich mir die Story erst gar nicht angehört.«

Sie lacht. Es ist ein frisches, feminines Lachen.

»Mein Name ist Larissa, ich bin dreiunddreißig und arbeite als Lektorin bei einem österreichischen Verlag. — Nein! Ist das gescheit? Wäre meine Geschichte nicht wesentlich interessanter für Sie, wenn ich sagte, ich sei erst siebenundzwanzig, wurde von meinem Ex geschwängert und von dessen Vorgänger vergewaltigt? Wie auch immer. Ich bin Mutter eines zehnjährigen Jungen. Dem Vater wurde das Sorgerecht zugesprochen. Würden Sie meiner Erzählung mehr Glauben schenken, als wenn ich Ihnen diese Information vorenthielte? Wirkt sie so möglicherweise authentischer, ehrlicher, glaubwürdiger? Als ob Glaubwürdigkeit dabei eine Rolle spielte. Ha!«

Sie lacht mich an, als wollte sie mit mir kokettieren. Dabei wippt sie neckisch mit dem Bein.

»Ich bin also dreiunddreißig — möglicherweise auch erst siebenundzwanzig — und hier, um Ihnen meine Geschichte zu erzählen.«

Sie stockt, hält inne, blickt mädchenhaft schüchtern auf ihre Knie, dann fragend und ein wenig verlegen zu mir.

»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, sagt sie.

»Sie haben sich freiwillig auf mein Inserat hin gemeldet«, sage ich.

»Ich weiß, aber jetzt, wo es so weit ist, meine intimen Erlebnisse vor Ihnen ...«

Sie legt die Stirn in Falten und die gefalteten Hände in den Schoß.

»... auszubreiten.«

Den Rücken straffend zieht sie die Schultern zurück, räuspert sich.

»Nein. Ich hab’ mich dazu entschlossen, und werde das jetzt durchziehen.«

Gedankenverloren sieht sie an sich hinab. Betrachtet Sneakers, Jeans, die farblos glänzenden Nägel an den Fingern.

»Es beginnt immer ähnlich. Es ist wie ein Ritual, das mich zu diesem geheimnisvollen Ort bringt, an dem ich um jeden Preis — aus welchen Gründen auch immer —, sein muss. Irgendwie beängstigend. Als wäre meine Fantasie so einfallslos, meine Sehnsucht so vorhersagbar, mein Sexualleben so eintönig.

Ich kann es nicht kontrollieren. Es kommt ungefragt, taucht plötzlich vor mir auf, in meinen Gedanken. Dabei spielt es keine Rolle, ob es gleißender Tag oder beklemmende Nacht ist. Ich sitze in meinem Büro, stelle mir vor, es liegt in der fünfzigsten Etage. Als hätte ich eine Ahnung davon, welcher Blick sich mir aus dieser Höhe erschließen würde. Natürlich ist es nicht mein Büro. Das liegt im dritten Stock mit Ausblick auf eine hellbeige, mit dunklen Vierecken gesprenkelte Fassade, die von einem an suizidalen Albträumen leidenden Architekten, entworfen wurde. Gibt’s in Wien überhaupt ein Bürogebäude mit fünfzig Stockwerken? — Na egal. Eine grenzenlose, grüne Weite erstreckt sich vor mir. Ich sehe Teiche, Wege, Wälder. Alte knorrige Stämme behaupten ihren Platz zwischen schlanken jungen Sprösslingen. Auf den Gehwegen schieben sich, und das sieht aus wie in einem Film, in Zeitlupe Menschen vorwärts. Sie scheinen keine Eile zu haben, schleichen die ausgetretenen Pfade entlang, als wäre es ihre Bestimmung, diesen zu folgen. Der Weg ist das Ziel. Ist er das? Ja? Egal wo er auch hinführt?«

Sie sieht mich fragend an. Ich sage nichts, zucke nicht mit den Schultern, versuche auch nicht, mit Blicken die Fragen zu beantworten.

»Ich sitze an meinem Schreibtisch, wie festgeklebt, schiele aus dem Fenster, als würde ich diese winzigen Pünktchen auf ihren Ameisenstraßen beneiden, als wüssten sie etwas, das ich nicht weiß, das mir niemand verraten hat. Vermutlich etwas Wichtiges. Warum sonst sollten all diese Menschen, einer fanatischen Pilgerschar ähnelnd, dies tun? Vergeblich versuche ich, mich auf das vor mir liegende Manuskript zu konzentrieren. Doch meine Gedanken sind da draußen. Ich will sie zurückzuholen, auf das vor mir befindliche Geschreibsel lenken. Doch es gelingt mir nicht. Gedanken sind frei, rufen sie mir zu. Wir lassen uns nicht lenken, nicht einsperren, nicht kontrollieren, nicht zähmen. Nicht von einem Präsidenten, einer Königin, schon gar nicht von dir. Meine Augen nehmen Buchstaben, Worte, Sätze wahr. Endlich. Ernüchtert sehe ich auf. Es ist keine Einbildung. Ich habe den Eindruck, als würde ich ständig denselben Mist lesen, als hätten die jungen Autorinnen und Autoren nichts anderes mehr im Kopf, als Sex und Sex und nicht zu vergessen Sex. Noch dazu mit Wesen, die ... Aber vermutlich ist es müßig darüber zu reden. Der Leser bestimmt im Zeitalter der Gewinnmaximierung das Programm der Verlage. Zumindest all jener Verlage, die keinerlei Subventionen von diversen Bildungseinrichtungen oder Ministerien erhalten. Dann passiert es eben, dass auf meinem Tisch ständig derselbe Schrott landet; in dem zottige Werwölfe zarte Jungfrauen zerpflücken, kohlrabenschwarze Vampire mit kokainsüchtigen Nymphomaninnen kokettieren und verwunschene Ritter verhexte Burgfräulein verführen. Fehlte nur noch Merlin Potter mit seinem Zauberschwanz.«

Hört, hört. Das war nicht schlecht. Das erste Wort, das ich mir notiere.

»Stab. Zauberstab, muss es natürlich heißen. Ich sitze also da, versuche krampfhaft in die Geschichte zu kippen, in die Handlung zu fallen, ein Teil von ihr zu werden, mich von Werwölfen, Vampiren, Rittern sowie Jungfrauen, Nymphomaninnen und Burgfräulein fesseln zu lassen. Wer sind die Guten? Wo die Bösen? Ich frage mich, welches meine Rolle in den Pseudodramen aus diesen skurrilen Universen wäre. Suche meinen Archetypus, meinen Part, meine Nische. Die böse Schwiegermutter? — Haha! Dazu bin ich noch zu jung. In zwanzig Jahren vielleicht. Doch dann wäre die Vorstellung wohl zu nah an der Realität. Die laszive Dirne? — Zu fern der Realität. Eine gelangweilte Angestellte? — Bingo! Vielleicht sollte ich den Quatsch lieber lassen, schießt es mir durch den Kopf.«

Larissa mustert ihre Knie, die wohl ein wahnsinnig interessantes Geheimnis in sich bergen müssen. Warum müsste sie sie sonst ständig anstarren?

»Nicht dass ich nicht gerne die Verführerin wäre. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine, welche Frau wäre die wohl nicht gern? Doch der einen fehlt dafür das entsprechende Aussehen, der anderen der Mut, stramme Schenkel und üppige Brüste mit nichts weiter als einem winzigen Stückchen Textil zu bedecken, der Dritten die frivole Extrovertiertheit, sich selbstbewusst an das andere Geschlecht ranzuschmeißen, ihn zu unterwerfen, ihm zu zeigen, wer die Herrin ist und was er von ihr zu erwarten hat. — Der Mut und das Exhibitionistische passen so gut zu mir, wie das dreidimensionale Sehen zum Einäugigen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Gute und umfassende Selbsteinschätzung, denke ich, während sie mich unsicher anlächelt, als wollte sie sehen, ob ich ihre Aussage als Scherz interpretiere. Doch ich interpretiere nicht. Ich lehne mich zurück und mache Notizen. Dinge die mir abseits des Gesprochenen, das ich ohnehin aufzeichne, auffallen. Mein Stift fliegt über das Papier: Große Statur, ebenmäßiges, wunderbar weibliches Gesicht, flache Schuhe, schlanke Beine, die sie glaubt aus irgendwelchen Gründen unter Skinny Jeans verstecken zu müssen. Ihr Lächeln ist gewinnend, attraktiv, wenn es nicht ständig von Sorgenfalten oder Selbstzweifeln verunstaltet wäre. Sie schlägt ein Bein über das andere. Ein Stern blinzelt von ihren Schuhen.

»Plötzlich muss ich an meinen Ex denken. Betrachte sein Bild, das noch immer auf meinem Schreibtisch steht. Vielleicht war es doch ein Fehler, mich von ihm zu trennen. War es falsch, weil er versuchte, ein netter, treuer Ehemann zu sein? War es langweilig? Womöglich lag es aber gar nicht an ihm. Womöglich habe ich mich getäuscht, und er war gar nicht meine große Liebe. Heute frage ich mich, warum ich bei meinem Job nicht ebenso konsequent war und ihn nicht schon lange hingeschmissen habe? Im Vergleich dazu war Achim, weder Werwolf, Ritter noch Vampir, ein ausgesprochen ausgeschlafener Zeitgenosse. Apropos.

Ich versuche den Gedanken von mir zu schieben, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, auf wichsende Werwölfe, masturbierende Vampire und ejakulierende Ritter mit Schwertern und in Strumpfhosen, verzweifelt auf der Suche nach dem passenden Weibchen. Erotische Geschichten sollten doch antörnen — oder nicht? Ich fühle jedoch nur Langeweile. Vermutlich, weil ich nie etwas anderes lese. Ein harter Penis hier, eine sabbernde Vagina da, ein frauenloser Schwanz auf der Suche nach geschwollenen, weit geöffneten Schamlippen. Eine Geschichte, die in der Realität oft noch schlechter endet, als in den Romanen. Das kann ich Ihnen versichern. Entweder ist der Schwanz zu klein, die Vagina zu trocken oder die so lockenden Schamlippen befinden sich zwischen den Schenkeln der Falschen. Soll schon vorgekommen sein. Öfters als frau denkt. Glauben Sie mir.«

 

Larissa fasst sich in den Schritt. Verdreht die Augen. Ich habe es nicht nötig, ihr zu glauben. Ich weiß, dass es sich so verhält.

»Seltsam, wenn ich nur davon lese, hat das nie diese Wirkung auf mich.«

Sie grinst – schelmisch wie ein Teenager. Diese Frau ist mehr als bloß attraktiv, in den wenigen Momenten, in denen sie es schafft, ganz sie selbst zu sein.

Ich lächle.

Kapitel 2

»Neunzehn Uhr. Endlich. Müde und genervt und ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, lasse ich das Manuskript aufgeschlagen auf dem Tisch liegen. Die Menschen außerhalb meines Fensters sind verschwunden, ebenso Bäume und Tümpel. Leuchtende Rechtecke strahlen mich aus der Dunkelheit heraus an. Das Zeichen für den Aufbruch. Im Treppenhaus wartet der Aufzug auf mich. Ein Aufzug, der hier nicht sein sollte. Die Kabine betretend treffe ich einen Mann. Gut gekleidet, verwegen aussehend, mit einem Dreitagebart und vermutlich zehn Jahre jünger als ich. Als er mich anlächelt, glaube ich, spitze Eckzähne zu sehen. Doch er ist kein Bewohner meiner schalen, schmalspurigen Manuskripte. Er macht eher den Eindruck eines gelangweilten Angestellten. Gelangweilt und abgestumpft, so wie ich. Seine Schenkel zeichnen sich muskulös in den Hosen ab. Meine Augen nutzen die Zeit, um sich an den schlanken Gliedern festzusaugen. Schweigsam verbringen wir die gefühlte Ewigkeit, die der Aufzug von der fünfzigsten Etage nach unten braucht. — Ja, ich weiß ...

Im Erdgeschoß angekommen, spricht er mich an. Nein, ich spreche ihn an. Er wirkt nicht überrascht. Seine Physiognomie zeigt ein verschmitztes Lächeln, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich es tue. Zu dir oder zu mir, sagt er, ohne dass wir uns vorgestellt haben. Wie wär’s mit einem Lokal?, gebe ich zurück. Er nickt. Ich kenne eines, das wird Dir gefallen, sagt er, und zieht mich an der Hand aus Aufzug und Gebäude. Noch nie ließ ich mich so gerne ziehen.

Mein Name ist ...

Ich weiß, sagt er so kühl und so angenehm wie eine Radiostimme aus Ö1.

Ich reiße meinen Mund auf, als wollte ich protestieren, als würde es mich überraschen. Doch das tut es nicht. Ohne dass mir auch nur ein Laut entkommt, schließe ich ihn wieder.

Braves Mädchen, sagt er und umfasst meine Schultern. Und ich, ich fühle mich geborgen in dieser Umarmung, als wäre es schon immer so gewesen. Er verfrachtet mich in ein Taxi. Halb genötigt, halb willig folge ich ihm. Ich fürchte schon ... aber nein, das ist natürlich Quatsch. Ich befürchte gar nichts. Plötzlich wird mir klar, dass es mir Angst macht, dass nichts geschieht, dass mein Leben so öde und langweilig wie bisher an mir vorbei plätschert — ohne mich im Entferntesten zu berühren. In stroboskopartigen Bildern sehe ich, wie er mir die Jeans von den Hüften streift und mich auf der Rückbank des Taxis nimmt. Doch das ist bloßes Wunschdenken meinerseits. In knappen, wohl artikulierten Sätzen gibt er dem Fahrer Anweisungen. Diese hätte man ohne weitere Korrektur in ein Buch übernehmen können, so perfekt waren sie. Selbst die Positionen der Beistriche waren herauszuhören.

Wohin ...

Er legt einen Finger auf meinen Mund. Sch... Nicht fragen!

Gut. Also frage ich nicht. Wie lange ...?

Nicht lange.

Etwas liegt in der Luft, und es macht meine Sinne ganz kribbelig. Ist es sein Aftershave, der Geruch der Lederpolsterung, womöglich gar das süßliche Parfum des Taxilenkers. Hier können Sie anhalten, sagt er, worauf der Wagen wie ferngesteuert an die Seite fährt und zum Stillstand kommt. Das macht fünfundzwanzig Euro, sagt plötzlich eine weibliche Stimme. Erschrocken sehe ich in das Gesicht der Lenkerin. Noch nie hatte ich ein so weiches, einnehmendes, feminines Gesicht gesehen. Langes blondes Haar fließt unter der Kapuze hervor. Sie lächelt mich an, als wollte sie mich verführen. Ich lächle zurück, als wollte ich sagen, vielleicht ein andermal. Heute Abend ist grad ungünstig. Ich krame in meiner Handtasche nach meinem Portemonnaie, eine Visitenkarte suchend, um sie ihr beim Aussteigen zuzustecken. Doch als ich sie endlich gefunden habe, stehe ich schon auf dem Bürgersteig und meine Augen sehen nur noch zwei rote Lichter, die sich langsam entfernen.

Hier sind wir.

Ich schaue mich um. Nichts hier kommt mir bekannt vor. Wo sind wir? Sind wir überhaupt noch in der richtigen Stadt?

Fragend sieht er mich an, als wollte er sagen: Welche Stadt ist die richtige, welche die falsche?

Vermutlich, Larissa, denke ich, ist es ein schwerer Fehler, alles im Leben nach richtig und falsch zu beurteilen. Ich überlege eine Weile. — Richtig, denke ich. Verdammt!

Seine Hand umfängt meine Taille und bugsiert mich durch eine Glastür, über einen Marmorboden, dem man ansieht, dass er nicht erst gestern verlegt worden ist, zu einem Aufzug. Von Hand schließt er die beiden Metallgitter, dann drückt er eine Zahlenkombination auf den Knöpfen, die die Etagen bezeichnen. Fahren wir nicht in den Fünften?, frage ich.

Nein. Wir fahren ganz nach oben.

Doch über der Fünf gibt es nichts mehr. Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung und mein Bauch sagt mir, dass es nach unten geht. Die Reise zum Mittelpunkt der Erde fällt mir ein, als der Aufzug nach endlos scheinenden Minuten noch immer nicht sein Ziel erreicht hat. Ist es dort unten nicht unglaublich heiß?, frage ich, und weiß im selben Moment nicht, ob ich dies nun auf meine katholische Erziehung oder den Erdkundeunterricht zurückführen soll.

Er nickt. Lächelt überlegen.

Meine Beine beginnen zu zittern, werden schwach vom langen Stillstehen. Oder ist es etwa Angst? Endlich, ich habe jeglichen Begriff für Zeit verloren, sind wir angekommen. Eine Frau mit langem, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenem brünetten Haar öffnet die Gitter des Lifts. Sie grinst ihn an, als würden sie sich seit dem Aussterben der Dinosaurier kennen. Willkommen Larissa, sagt sie und schenkt mir ein warmes Lächeln, dass ich sie am liebsten küssen möchte. Das Pochen in meiner Mitte, das ich bisher als Einbildung abgetan habe, wird heftiger. Mit einem Mal verspüre ich Lust und Verlangen. Doch mein Körper ist wie gelähmt.

Hier entlang, sagt er, weist mit seinem Arm den Weg, während das Mädchen hinter uns den Fahrstuhl schließt und nach oben schickt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie ein überdimensionales Vorhängeschloss anbringt, das nun auch den letzten Gedanken an Flucht im Keim erstickt. Mir zieht sich der Magen zusammen und für einen Augenblick denke ich, dass ich kotzen muss. Doch ich unterdrücke das Bedürfnis. Er hält mir eine Tür auf, lässt mich vorangehen. Nichts als endlose Dunkelheit sehe ich vor mir. Erst nach einer Weile gewöhnen sich meine Augen daran. Aus dem Nichts schälen sich schemenhaft züngelnde Flämmchen, die einen langen Gang in gespenstisches Rotorange tauchen. Unsicher wage ich einen Schritt. Dann noch einen. Plötzlich taucht eine Frau neben mir auf. Eine Prostituierte, mein erster Gedanke. Sie ist größer als ich, schlank und trotzdem gut ausstaffiert. Ihr makelloser Körper steckt in einer Haut aus glänzendem Schwarz. Meine Augen gleiten ihren Körper hinauf. Ich bin fasziniert von der femininen Art, wie sie sich kleidet, ihren geschmeidigen Bewegungen, ihrem Selbstbewusstsein. Als ich wie beiläufig das von rabenschwarzen Locken umrahmte Gesicht streife, schrecke ich zusammen. Meine Nerven spielen verrückt und ich kann ihn spüren, als wäre er real, diesen Schmerz, der sich unsichtbar in meine Eingeweide bohrt. Trotz des langen Haars und der perfekt aufgetragenen Farben in ihrem Gesicht, habe ich die Frau sofort erkannt. Sie ist ich. Ich meine, ich bin sie. Ein eisiger Schauer läuft meinen Rücken entlang, scheint sich krampfhaft am Steiß festzukrallen. Ich schließe die Augen, hoffe, dass sie verschwindet. Vorsichtig zur Seite blinzelnd, stelle ich fest, sie ist noch immer da. Keine Täuschung, keine Einbildung, kein Traum. Eine Wand aus Glas trennt uns. Nein. Ist es tatsächlich Glas? Ich sehe auf meine, mit einem weißen Band verschnürten Sneakers, dann auf ihre Füße, die in aggressiven, furchteinflößenden Stilettos stecken. Im Gegenzug betrachtet sie erst ihre, dann mit geringschätzigem Blick, meine Schuhe. Erst als ich mich ihr zuwende und sie es ohne Verzögerung mir gleichtut, keimt ein Verdacht in mir: Das ist ein gottverdammter Spiegel!

Wirr balgen sich meine Gedanken. Ich? In diesem Outfit? Warum? Wieso? Wann? Ja, wann? War dies ein Blick in eine andere Zeit? In eine parallele Welt oder in ein längst vergangenes Leben?

Mein Gegenüber kann ich aufgrund der Unmengen Schminke und der mehr als spärlichen Beleuchtung schwer einschätzen. Als ich der Frau, die ich ist und doch auch nicht, die Hand entgegenstrecken will, zieht sie die ihre zurück. Meine Vermutung mit dem Spiegel ist offenbar doch nicht zutreffend. Die Frau entfernt sich, scheint sich in der Dunkelheit zu verlieren, mit ihr zu verschmelzen. Wie ferngesteuert gehe ich weiter, langsam und vorsichtig. Jetzt erst fällt mir auf, dass mein Begleiter nicht mehr bei mir ist. Ich spüre eine Unsicherheit, die mir im Nacken sitzt. Als ich nach links schaue, traue ich meinen Augen nicht. Eine Frauengestalt, über und über in Rot gehüllt, befindet sich auf der anderen Seite des Gangs. Sie hat wunderbar langes, zu einem Pferdeschwanz geflochtenes Haar, das ihr bis zum Hintern reicht. Es strahlt, als würde es in der untergehenden Sonne brennen. Ebenso ihre Stiefel, die Strümpfe, die Korsage und ... Von gleicher Farbe ist auch der Ball, der als Knebel zwischen ihren Zähnen steckt. Ein Speichelfaden zieht sich von ihren Lippen, löst sich, fällt zu Boden. Zwischen langen Wimpern ein laszives Lächeln. In den grazilen Seidenhandschuhen sehen ihre Arme lang und schlank aus. Das Gesicht ist — nein, es überrascht mich nicht — das meinige.«

Mit offenem Mund nicke ich und versuche die aufstehenden Härchen an meinen Armen zu bändigen. Ein eisiger Lufthauch kitzelt meine Schultern, doch das kann nicht sein. Wir haben fünfunddreißig Grad und kein Lüftchen rührt sich. Ich mache eine einladende Geste, um Larissa zum Weitersprechen zu animieren. Sie beugt sich vor, greift nach dem Glas auf dem Couchtisch und nippt zweimal daran. Verschmitzt und selbstsicherer als zuvor begegnet sie meinem Blick.

»Sie wissen, wie es ausgeht, oder?«

Die Frage überrascht mich. »Wie sollte ich ... Himmel, nein«, sage ich und hoffe, dass es schockiert genug klingt. »Ich doch nicht.«

»Nur so ein Gedanke. — Also. Ich gehe diesen Gang entlang, immer weiter, keine Ahnung wohin er führt. Ich kann mir nicht einmal erklären, warum ich ihm eigentlich folge, nicht auf der Stelle umkehre und zurück zum Fahrstuhl renne, mich dort auf die Knie werfe und die Frau anflehe, das Schloss von der Eisentür zu nehmen und den Aufzug zu rufen. Doch der Gedanke kommt mir nicht. — Sie sind nicht zufällig Psychologin, Therapeutin, Freud-Anhängerin, Jungianerin oder Ähnliches?«

Ich lache, schüttle sachte den Kopf. »Ich bin bloß Autorin, die an absonderlichen Geschichten interessiert ist«, lüge ich. Und ich lasse mich fesseln von Edgar Allan Poe, aber das sage ich nicht laut. Larissa zieht eine Schnute.

»Auch gut. Ich dachte schon, sie könnten mir vielleicht ... Na, egal. Als ich weitergehe wiederholt sich dieses Schauspiel noch unzählige Male. Die Haarfarbe wechselt, die Kleidung ebenso, wird immer verführerischer, lasziver. Manchmal trage ich Handschellen, dann wieder sind meine Arme mit elend langen Stricken, gleich einem Kunstwerk, hinter meinem Rücken gefesselt. Ich habe keine Ahnung, wie ich, ich meine mein Spiegelbild, Sie wissen, wen ich meine, in dieser Situation überhaupt das Gleichgewicht halten kann. Die Eindrücke verwirren mich, faszinieren mich, fesseln mich nicht nur im metaphorischen Sinn. Verzweifelt versucht mein Gehirn, das Gesehene zu begreifen. Ich möchte es verstehen, ihm einen Sinn geben. Wie absurd. Einen Sinn. Verstehen Sie?«

 

Nicht wirklich. Doch ich nicke.

»Kann ich mir nicht vorstellen«, sagt sie.

Durchschaut! Ich setze ein lauwarmes Schmunzeln auf.

»Jedenfalls bin ich so mit mir und meinen Gedanken beschäftigt, dass ich nicht bemerke, dass ich mit einem Mal vor einem massiven, aus schwerem dunklen Holz gearbeiteten Schreibtisch stehe. Aufgeregt suche ich die Augen meines Gegenübers. Sie kommt mir bekannt vor. Ich kenne sie. Doch nun sieht sie irgendwie anders aus. Natürlich, es ist das Mädchen vom Fahrstuhl. Die, die mir die letzte Chance auf eine Flucht, die ich nie vorhatte anzutreten, genommen hat.

Was sagen Sie?, sagt sie und es klingt schal und nichtssagend. Ich stehe da, als ginge mich die Frage nichts an. Was sagen Sie?, schnappt mein Unterbewusstsein erneut auf. Ich aber bleibe stumm. So vieles geht mir durch den Kopf. Wie wär’s? Verführerisch öffnen sich die roten Lippen, hinter denen langweilige weiße Zahnreihen auftauchen. Ratlos blicke ich auf meine Schuhe. Nein, es ist keine Täuschung gewesen.

Das orangefarbene Leinen der Sneakers wird aufgezehrt, aufgefressen von glänzend schwarzem Leder, das sich meine Schienbeine hinauf rankt. Etwas hebt meine Fersen an. Jeans und T-Shirt mutieren zu Leggings und Korsage, die sich eng um meinen Körper schließen. Mein Herz beginnt wild zu hämmern, als ich denke, jeden Moment müsse mein Brustkorb unter dem Druck kollabieren. Doch nichts geschieht. Ein Halskorsett spannt sich um meinen Nacken und zwingt mein Kinn dominant nach oben.

Die Hand der Frau weist in eine dunkle Leere. Dort, wo eben noch das Nichts herrschte, sehe ich nur einen Augenblick später mein Spiegelbild. Mir bleibt der Atem weg, und das hat nicht einmal mit der zu eng geschnürten Taille zu tun, die mir sofort auffällt. Die Frau jenseits des Spiegels bezaubert mich. Ich finde sie ausnehmend attraktiv.

Bist du bereit?, fragt mich die Frau mit sanfter und zugleich autoritärer Stimme.

Bereit wozu?, will ich fragen, doch der Raum bleibt stumm.

Bereit, um dich deinen Träumen zu stellen. Deinen Träumen, Begierden und Sehnsüchten.

Träume, Begierden, Sehnsüchte. Ein kalter Schauer rieselt unter dem Korsett meine Wirbelsäule entlang. Klingt irgendwie abartig, pervers, schießt es mir durch den Kopf. Doch es ist die Lektorin in mir, die sich wieder wichtig macht. Sie tut immer so, als hätte sie keine Träume, Fantasien, Sehnsüchte. Na ja, vermutlich liegt sie damit ja auch gar nicht so falsch. — Bei mir allerdings ...

Ich betrachte mich eingehend. Doch im Moment kann ich mich nicht daran erinnern, jemals von einer Frau — von mir? — in diesen Klamotten geträumt zu haben. Aber im Träumeerinnern war ich schon immer eine Niete. Erst denke ich, es war bloße Einbildung, doch bald merke ich, dass mich eine Welle von Erregung gleich einer fremden Macht in Besitz nimmt. Ich fühle mich attraktiv, verführerisch, sexy. Dann spüre ich meine Hände im Schritt, spüre, wie sie meine Scham streicheln, spüre, wie schlanke Finger in eine triefende Öffnung gleiten und ... Doch das kann nicht sein. Meine Arme sind hinter dem Rücken verschnürt, so straff, dass ich kaum den kleinen Finger rühren kann. Sie fühlen sich an, als wären sie kein Teil mehr von mir.

Als könne die Gutaussehende meine Gedanken lesen, sagt sie unvermittelt: Ganz wie erwartet. Ich sehe, wir haben dich richtig eingeschätzt.

Wir? Wer ist wir? Mir wird heiß. Bäche kalten Schweißes laufen nach unten, werden im Schaft der Stiefel aufgefangen. Eigentlich sollte ich vergehen vor Angst, bewegungsunfähig und ausgeliefert, wie ich hier stehe. Doch alles, was ich fühle, ist Lust, zügellose, ungezähmte Lust. Ich spüre, wie mir das Krapprot in die Wangen kriecht und sie intensiv zum Leuchten bringt. Meinem Gegenüber scheint dies nicht entgangen zu sein. Ein zauberhaftes Lächeln formen die Lippen der Frau, die ich mir samtig weich vorstelle, und sie schenkt mir einen anerkennenden Blick, als hätte ich gerade zum zweiten Mal meine Dissertation in Germanistik geschafft.

Du bist soweit, Larissa, haucht sie mir über die mittelalterliche Tischplatte hinweg zu.

Und warum auch immer, mit einem Mal denke ich das auch. Doch bereit wofür?

Die Umgebung verändert sich. Ich sitze an meinem Schreibtisch im Büro. Fünfzigste Etage. Eine Frau in schwarzem Kostüm, der Rock weit oberhalb der Knie endend, tritt in den Raum. Sie stakst direkt auf mich zu, streckt mir die Hand zur Begrüßung hin. Erst als ich versuche, diese zu greifen, wird mir klar, dass ich in den Klamotten von vorhin stecke und dass meine Arme noch immer nutzlos hinter meinem Rücken baumeln.

Oh, Sie können ja nicht, sagt sie und betrachtet mein Outfit mit akribischer Geringschätzung. Sie streicht das blonde Haar zurück, schiebt ihren Rock nach oben, (der so eng sitzt, dass er ihren Bemühungen kaum gehorchen mag) und setzt sich auf meine Schenkel. Eine biestige Lust überkommt mich, diese Frau zu küssen, doch ich stecke in diesem Halskorsett und meinen Lippen ist es nicht möglich, die ihren zu berühren. Zarte Finger legen sich auf meine nackten Schultern. Kaum spürbar beginnt sie, Schlüsselbeine und den Teil meiner Brüste, der aus dem Korsett quillt, mit Küssen zu bedecken. Ich fühle ein Pulsieren in meiner Mitte. Mein Körper reckt sich ihr entgegen und ich verfluche die Korsage, die den Großteil meiner liebeshungrigen Haut diesen Zuwendungen entzieht. Wie eine Schlange winde ich meinen Körper. Das Atmen wird zunehmend heftiger. Plötzlich wird die Tür aufgerissen, die Kollegin stürmt herein. Larissa, ich ... Sie hält mitten im Satz inne, starrt mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ich störe wohl gerade, sagt sie.

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