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Die Lohensteinhexe

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Kristian Winter (winterschlaefer)

Die Lohensteinhexe

XXL Leseprobe

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Verhör

Die peinliche Befragung

Das Geständnis

Impressum neobooks

Das Verhör

4. nach Trinitatis, A.D. 1632, Comturei Lohenstein, Gewahrsam im Keller des Ratshauses

„Marie Schneidewind, Tochter des Joseph und dessen Frau Magda Gräber, die du am 18. September 1612 aus reinem und keuschen Ehebett geboren bist. Du wirst der Hexerei bezichtigt, da du den Erbkrüger Jacob Bellach vernarrt hast, dass er darüber sein vor Gott angetrautes Weib Mechthild mit einer Axt erschlagen und im Wald verscharrt hat, um dir hernach in ehebrecherischer Wollust beizuwohnen!“, zitiert Magister Daniel Titius aus dem vorliegenden Insiegel.

„Rede Weib! Wie ist es dir gelungen, solche Macht über ihn zu gewinnen, dass er bald darauf den Verstand verlor und sich selbst entleibte?“

„Oh, edler Camerarius, so ist es nicht gewesen“, wimmert die Angeklagte, die, bereits auf die Bank gebunden, mit Entsetzen ansehen muss, wie der Büttel ein glühendes Eisen aus dem Feuer zieht. „Ich habe ihm niemals schöne Augen gemacht. Ich schwöre es bei meinem Leben. Vielmehr stellte er mir nach, wo er nur konnte, nur weil er …“

„Du sollst nicht falsches Zeugnis geben“, fährt ihr der Magister übers Maul und macht ein Zeichen, worauf sich ihr der Büttel mit der rotglühenden Zange nähert. „Gestehe! Du hast den armen Mann mit Satans Hilfe in deine Fänge gebracht und ihn so lange genarrt, bis er dir hörig war.

So wird berichtet, dass du in einem Trog gebadet und ihm danach völlig schwarz entstiegen seiest. Weiterhin habest du Kröten gegessen und einer Natter den Kopf abgebissen. Das Blut sei in Milch verrührt und durch dich getrunken worden. Das alles ist durch Zeugen belegt!“

„Wie soll ich etwas gestehen, was ich nicht getan habe“, schreit sie, angststarr das rotglühende Eisen vor Augen. „Und wenn es solche Zeugen gibt, dann lügen sie.“

Doch der Magister bleibt unerbittlich. Er weiß längst mehr.

Gestern erst war er bei der ‚gütlichen Befragung‘ fast selbst Opfer ihrer boshaften Aura geworden. Obwohl sie nach Vorschrift rücklings und ohne Schuhe, an beiden Arme von den Bütteln gestützt, hereingeführt wurde, fühlte er sofort eine große Befangenheit. Diese verstärkte sich noch, als sie sich umdrehen durfte und ihn unverwandt ansah.

Noch jung an Jahren, in der Blüte ihrer Fruchtbarkeit, widersprach sie allen Ankündigungen. Eine hässliche Hexe sollte sie sein, alt, gebrechlich und mit hohlwangigem, gelben Gesicht. Doch vor ihm stand ein Weib von bezaubernder Schönheit. Sie war blass, hatte klare Augen, sehr weiße Lippen und ein weiches Gesicht. Ihr mittig gescheiteltes bernsteinfarbenes Haar war nach bäuerlicher Art im Nacken verknotet und von seidigem Glanz.

Ihre Stirn war hell und klar, das Oval ihres Gesichts von harmonischer Symmetrie und ihre vollen Lippen von verführerischer Sinnlichkeit. Unter ihrem ärmlichen Kleid zeichnete sich ein wohlgeformter Körper ab, dessen stolze Haltung allen Anschuldigungen zu trotzen schien.

Während der Prozedur ihrer Entkleidung wurde sein Unbehagen so groß, dass er ihren nackten Leib nicht unbefangen ertragen konnte, wie es der ‚Malleus maleficarum‘ vorschreibt, jenes von Magister Heinrich Kramer 1486 als Hexenhammer verfasstes Traktat, wonach Hexen zweifelsfrei zu überführen sind.

Von ihren zarten Brüsten und dem dunkel verschatteten Geschlecht verschreckt, wurde ihm schmerzlich das eigene Unvermögen zur Mannbarkeit bewusst – ein Mangel, worunter er schon seit langem litt. Und als sie dann noch ihre Scham mit den Händen bedeckte und errötend den Kopf senkte, quälte ihn eine große Pein.

Zwar versuchte er, die nachfolgende Leibesvisitation mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, damit ihm bloß nichts entginge, was ihr der Satan an verräterischen Zeichen eingepflanzt haben könnte. Als ihm aber jener betörende Moschusduft in die Nase fuhr, der jeden Mann unweigerlich verlockt, wandte er sich erschrocken ab.

„Weiche von mir, Satan!“, hat er gerufen und befohlen, ihr ein Büßerkleid überzuwerfen. Sich selbst versteckte er hinter der Maske, um sich vor ihren bösen Blicken zu schützen. Das gelang ihm zwar. Dennoch blieben Bilder von martialischer Schönheit in ihm haften, die manch sonderbaren Wunsch in ihm entfachten.

Es waren die zinnoberroten Zitzen, deren Knospen starr wie Lanzen emporstanden, dazu ihre wohlgeformten, wollüstig ausladenden Hüften samt dem dunklen Flaum, der sich verführerisch kringelte und jenen kleinen Zapfen zwischen ihren Lippen verbarg, welchen zu küssen, ihn ungemein verlockte. Alles an ihr war wohlgeformt und makellos gleich dem Ideal einer antiken Statue. Ihr ganzes Wesen atmete den Hauch eines Weibes mit jenen tiefen, auf dauerhafte Genüsse gerichteten Begierden, die jeden Mann unweigerlich in ihren Bann ziehen.

Aber das war Gift für seine gottesfürchtige Seele. Verstört wies er den Büttel an, die Maßnahme an seiner statt fortzusetzen. Der ging auch gleich daran, wurde aber so grob, dass sie vor Schmerzen schrie.

Und wieder konnte er es nicht ertragen. Sie war so zart und rein, er hingegen so brutal und dumm, dass es ihm fast das Herz brach.

Es sei schon gut. Er habe genug gesehen, unterbrach er und griff sich schwer atmend an die Brust. Und als man sie hinaus führte und er noch einmal ihren ängstlich-flehenden Blick einfing, las er eine Frage darin, die er nicht beantworten konnte. Nicht, weil er sie nicht verstand, sondern ihn verschreckte. Es war die Frage nach ihrer Schuld.

Seltsam war das. Anstelle einer Hexe erblickte er eine Venus. Ihre Stimme war die eines Engels und nicht einer Hure, ja ihr ganzes Wesen atmete Liebenswürdigkeit, anstatt Abscheu. So sehr er sich auch mühte - er konnte nichts Böses an ihr finden. Das war aber nötig, um den Prozess mit dem gebotenen Augenmaß zu führen. Wie sollte er also die Schuldfrage beantworten können?

Man hat sie angezeigt, weil unnatürliche Dinge bekannt wurden, die überall Ängste schürten. So ward glaubhaft berichtet, dass der Blitz in die Kirche zur Liebfrauen einschlug, nachdem ihr der Küster den Zutritt verweigert hatte. Weiterhin soll dessen Schwester Gertrud nur deshalb ihr Kind verloren haben, weil sie zuvor ihren bösen Blick empfing, und die Ferkel der Bäuerin Diethild wären nur deshalb verstorben, weil sie sich mit ihr verstritten hat.

Aber selbst wenn man nichts Genaueres wusste und sich oftmals nur in Mutmaßungen erging, genügten allein die unabhängigen Feststellungen zweier glaubhafter Zeugen, um das Tribunal einzuberufen. Aber die Angst vor einem neuen Hexenkomplott wie im Jahre 1615, als in vielen Flecken die Cholera wütete, nur weil man die Besessenen nicht rechtzeitig richtete, saß den Menschen noch immer in den Knochen.

Gewiss muss die Welt vor teuflischen Verwerfungen bewahrt werden, und seine Aufgabe als Magister disciplinae und städtischer Camerarius besteht darin, in aller Schärfe darüber zu wachen. Das er aber ihretwegen litt und ihm sogar Zweifel kamen – Zweifel, die er nicht erklären und deshalb nicht zerstreuen konnte - blieb ihm unbegreiflich.

Zwar hat er in vorangegangenen Prozessen ebenfalls gelitten, doch niemals gezweifelt. Sein Leid resultierte aus anderen Gründen; war es mehr ein stumpfer Rausch infolge des quälenden Bewusstseins des Unausweichlichen, was mit anzusehen nicht immer angenehm war. Dabei kann fremdes Leid niemals freuen oder gar befriedigen, es sei denn, man ist von krankhafter Natur, was er jedoch von sich ausschließt, im Gegensatz zu manch anderem seiner Zunft.

In ihrem Fall aber vermeinte er erstmals ihren Schmerz wie den eigenen zu spüren. Selbst abends in der Kammer noch versuchte ihn zu vertreiben, indem er sich die ganze Nacht über, das ‚Cor meum‘ betend, mit einer Rute geißelte.

„Herr, befreie mich von dieser Last!“, stöhnte er, als er wieder jenen Lendendruck verspürte, den er durch den Eingriff des Medicus Gregorius vor Jahren hatte dämmen lassen. Seither trägt er einen Reif unter seinem Rock, der eine Schamkapsel in seinen Schoß drückt. Diese bereitet ihm Schmerzen, sobald ihn unzüchtige Gedanken peinigen.

Das kommt hin und wieder vor, bleibt aber meist nur von kurzer Dauer. So aber vermag er die Entsagung besser zu ertragen, und niemals ist es in den letzten Jahren dazu gekommen, dass er eines Weibes bedurfte, wenngleich sich Möglichkeiten dafür genug boten.

Das ist vor allem im städtischen Badehaus der Fall, wo er öfter zu Gast ist und die Bäderinnen alles andere als zimperlich zu Werke gehen, wenn es gilt, ihre Gäste zu stimulieren Er aber lehnt ihre Dienste ab und genügt sich in fremden Beobachtungen. Allerdings bereiten ihm diese mehr Ekel als Vergnügen, vor allen, wenn er mit ansehen muss, wie leicht und schnell sie doch ihr Geld verdienen ohne nur das geringste Gefühl.

Leicht beschürzt und in den Künsten der Verführung geübt, handeln sie rein mechanisch, allein vulgären Notwendigkeiten gehorchend, die normalerweise eine Schande für Anstand und Moral darstellen, hier aber Gang du Gäbe sind. In Wahrheit gibt keine von ihnen nur einen Dreck für das Wohl eines Gastes außerhalb ihrer Dienste. Alles bleibt anonym, kalt, ohne jede Harmonie.

 

Männer, die darauf hereinfallen, sind Narren. Sie könne nicht begreifen, dass ihre Rolle als Verlangende sie zu Sklaven macht. Sie wären für sein Amt ungeeignet. Lange glaubte er sich darüber erhaben, doch jetzt ist er sich da nicht mehr sicher, fürchtet er das Schlimmste, was ihm als Magister disciplinae passieren kann - die Befangenheit.

Nicht auszudenken, wenn er ihr schon verfallen wäre. Er brauchte Gewissheit. Deshalb ritzte er sich noch am selben Abend mit dem Dolch in den Arm, fing das Blut in einem Becher auf und tat etwas Bilsenkraut hinzu. Angstvoll erwartete er das Ergebnis.