Schmerzfrei ohne Medikamente

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Schmerzfrei ohne Medikamente
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Katrin Jonas

Schmerzfrei ohne Medikamente


KATRIN JONAS

Schmerzfrei

ohne

Medikamente

Meditation und Körperbewusstsein

Ein 30-Tage Programm

Der Praxisband zu „Meditation heilt.

Schmerzfrei in ein neues Leben“


Alle Angaben in diesem Buch wurden sorgfältig geprüft und entsprechen nach bestem Wissen dem gegenwärtigen Stand der Forschung. Bevor es zur Selbstbehandlung oder Anwendung von Übungen kommt, sollte geklärt sein, dass vorliegende Beschwerden nicht Symptome von Krankheiten sind, die dringender ärztlicher Behandlung bedürfen. Die in diesem Buch vorgestellten Übungen ersetzen keine medizinische oder psychologische Hilfe. Den Erfolg oder die korrekte Umsetzung der Anwendungen kann die Autorin nicht gewährleisten.

Verlag Via Nova, Alte Landstr. 12, 36100 Petersberg

Telefon: (06 61) 6 29 73

Fax: (06 61) 96 79 560

E-Mail: info@verlag-vianova.de

Internet: www.verlag-vianova.de

Umschlag: Guter Punkt, München

Satz: Sebastian Carl, Amerang

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

© Alle Rechte vorbehalten

Print: 978-3-86616-426-0

ePub: 978-3-86616-413-0

Inhalt

Einleitung

Prolog: Das Schmerz-Meditations-Ritual

Sich Neuem öffnen

Das „Schmerzglas“ leergießen

Das „Meditationsglas” leergießen

„Ja, vielleicht”

1. KAPITELDie Vorbereitung des 30-Tage-Programms:Damit Ihr Neuanfang ein neuer wird

„Warm-up“ fürs Gehirn

Reisen oder zu Hause bleiben?

Zeit für sich

Das richtige Timing

Ihre To-do-Liste

2. KAPITELMedikamente, Mittel und Meditation

„Medi-kamente” und „Medi-tation”

Wahrnehmungsfreiheit

Die Reduzierung planen

Stolpersteine erkennen

3. KAPITELWillkommen im Meditations-Home-Spa: Ihr 30-Tage-Retreat beginnt

Die Spa-Eröffnung

1. Woche: Achtsamkeit üben. Dem Körper lauschen. Den Fokus schärfen

2. Woche: Den Schmerzmind kennen. Das „Mindieren” verstehen

3. Woche: Bewegt meditieren. Mit dem Nervensystem kommunizieren

4. Woche: Die 7 Schmerz-Emotionstypen kennen. Den inneren Beobachter stärken

4. KAPITELDas Danach: Damit Nachhaltigkeit mehr als eine Seifenblase ist

Der zweite „Gelenktag“

Wie weiter?

Die Essenz: Meditation leben

Literaturverzeichnis

Einleitung

Wussten Sie, dass regelmäßige Meditationspraxis dieselbe Menge körpereigener Opiate freisetzt wie ein starkes Schmerzmittel? Ist Ihnen bekannt, dass sture Migräne ihre Hartnäckigkeit durch Distanzierung vom internen Kopfkino verlieren kann und sogar Menschen mit „austherapierten“ Beschwerden durch Meditation eine Chance auf ein neues Leben erhalten?

Während Meditation noch vor ein paar Jahren als die Domäne der Spinner, Tagträumer und Realitätsflüchtlinge abgetan wurde, scheint heute nahezu jeder zu meditieren: die Manager zum Ertragen ihrer Leistungslimits, die Sportler zum Meistern ihrer Wettkämpfe, die IT-Spezialisten zum Ausgleich ihrer mentalen Überlastung, die Schulkinder zum Ruhigwerden und die Yogafans sowieso. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die Meditation auch in der modernen Medizin etablieren würde. Ein ganz neuer Forschungszweig entstand, die Meditationswissenschaft, und ich war nicht überrascht, als Neuroforscher verkündeten, dass regelmäßige Meditationspraxis selbst chronische Schmerzen unterminieren kann.

Doch was steckt dahinter? Besteht die Innovation wirklich darin, das Schmerzmittel A gegen die Wunderdroge M wie Meditation auszutauschen und sich, anstatt den Arzt aufzusuchen, auf den Meditationsschemel zu hocken? Und wie ist es bei den Dauerschmerzen, die als therapieresistent gelten? Reicht es wirklich aus, dass Betroffene ihre Medikamente in den Müll werfen, in sich versinken, und schon zieht sich der Schmerz wie auf Knopfdruck zurück?

Sicherlich sehen Sie selbst, dass solche Vorstellungen wenig mit der Realität zu tun haben. Bei meinem Toast auf die Meditation bin ich mir bewusst, dass es ein tieferes Verständnis der Materie braucht, bevor die Meditationspraxis ihre Trümpfe ausspielen und ihre Brillanz entfalten kann.

Jetzt falle ich gleich einmal mit der Tür ins Haus: Wie ich bereits in meinem ersten Buch „Meditation heilt: Schmerzfrei in ein neues Leben“ gezeigt habe, fruchtet Meditation nur dann, wenn wir sie in Bezug auf das menschliche Nervensystem einschließlich seines Dirigenten, des Gehirns, verstehen und der sogenannte „Schmerz-Mind“ als Hauptakteur im Schmerzgeschehen unterminiert wird. Wir müssen intern lernen, wie sich Meditationsimpulse praktisch in die Schmerzverarbeitung einmischen und sich in die Empfindung von Wohlgefühl transformieren. Wer an schmerzstillende Medikamente gewöhnt ist, muss in diesem Zuge den richtigen Moment erkennen, wann die Einnahme von Schmerzmitteln überflüssig wird.

Dieses Thema fesselt mich nicht nur deshalb, weil ich selbst seit Langem meditiere. Als Körper-Mind-Therapeutin und Meditationsmentorin habe ich auch ein berufliches Interesse daran. Meine Arbeit überschreibe ich mit dem Begriff „BodyWareness“, der von Körperbewusstheit abgeleitet ist. Ich werde primär von Menschen kontaktiert, die mit langwierigen Schmerzen kämpfen, in der physischen Sackgasse oder privaten Dürren stecken oder unterzugehen drohen im Strudel von Stress. Mittlerweile habe ich zahlreiche Klienten durch die Höhen und Tiefen der Schmerzprozesse begleitet und die Summe meiner Erfahrungen in ein dreißigtägiges bewusstheitsorientiertes Schmerzprogramm gepackt. Weil das „Philosophieren über …“, über den Schmerz und über die Meditation nicht wirklich mein Ding ist und ich mich am liebsten auf praktische Erfahrungen berufe, bin ich in diesem Buch noch praxisnäher geworden und habe bei der Auswahl der Übungssequenzen noch einmal mehr auf deren Alltagstauglichkeit gepocht.

Dieses Buch kann für Sie interessant sein, wenn Sie

• Ihren Schmerz von Grund auf verstehen möchten

• sich eine nachhaltige Lösung wünschen, mit der Sie Schmerzen sicher und selbstbestimmt begegnen können

• unter den Nebenwirkungen Ihrer Analgetika leiden oder die Einnahme Ihrer Medikamente satthaben

• Arztbesuche und Klinikaufenthalte gegen gelebtes Leben eintauschen möchten

• Ihrem von Schmerz bestimmten Alltag mehr Frische, Farbe und Reichtum geben wollen

• Ihre Lebensqualität durch Eigenreflexion und Selbstrespekt auf ein neues Level anheben möchten.

Worauf dürfen Sie gespannt sein?

Zunächst lernen Sie konkrete Schritte kennen, mit denen Sie Ihr Schmerzprogramm vorbereiten können, denn in der adäquaten Vorbereitung liegt bereits ein Großteil des Erfolgs. Besonderen Wert lege ich dabei auf den Umgang mit Medikamenten. Und dann geht es los.

Im Hauptkapitel heiße ich Sie herzlich willkommen in Ihrem Meditations-Home-Spa. Über vier Wochen schlagen Sie täglich ein neues Spa-Menü auf, das Ihnen ein Selbsterfahrungspaket, bestehend aus den vier „Ts“, präsentiert: einem Theorieteil, der Tagesbeobachtung, der Tagesaufgabe und dem Insider-Tipp. Sie finden heraus, welcher schmerzbezogene Reaktionstyp Sie sind und welcher Aspekt es hauptsächlich ist, der Ihre Schmerzen zum Bleiben zwingt. Eigenständig und selbstgeführt erforschen Sie, welche Art der Innenschau mit Ihrem Körper am besten resoniert.

Am Ende halten Sie eine Ressourcensammlung in Ihren Händen, die auf Ihren eigenen Erfahrungen beruht. Deshalb wird zu diesem Zeitpunkt nichts mehr so wie vorher sein. Sie haben einen frischen Blick auf Ihre Schmerzsituation und auf sich selbst und übertreiben nicht, wenn Sie behaupten, zu Ihrem eigenen Schmerz-Meditations-Experten geworden zu sein.

 

Krempeln wir uns die Ärmel hoch! An der Schnittstelle zwischen Machbarkeit und Zweifel, zwischen Hoffnung und Realität werden wir aktiv: Falls Sie mit Schmerzen leben, lade ich Sie dazu ein, Ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr nach innen zu wenden und Ihr „inneres Auge“ zu schärfen. Ihnen werden sich Türen öffnen, von denen Sie nicht einmal wussten, dass es sie gibt.

Prolog:

Das Schmerz-Meditations-Ritual

Sich Neuem öffnen

Das „Schmerzmittel Meditation“

Seitdem das Gebiet der Meditation zum Lieblingskind der Neuroforschung geworden ist, werden wir nahezu täglich mit neuen Botschaften überrascht: Helfen soll sie, die Meditation, bei allem, was uns Menschen in unserem komplexen Leben ein Bein stellen oder den Alltag vermiesen kann. Spitzenstress soll sie stoppen, Panikzustände mildern, Depressionen regulieren, Selbstzweifel vernichten, Herzbeschwerden kurieren, den Blutdruck senken, Schlaflosigkeit besiegen. Doch wenn sie nun auch noch Schmerztherapien, Operationen oder Schmerzmittel ersetzen soll, wie aus der Neuroforscherszene zu hören ist, und dazu die Einnahme von Aspirin, Novalgin, Tramal und Co. ersetzen soll, muss ich Bedenken anmelden, weil ich aus meiner langjährigen Arbeit mit schmerzerfahrenen Menschen weiß, worauf sich ihre Hoffnungen richten: auf ein Wunder, das Ihnen endlich geschieht, auf eine Geheimwaffe, die jemand plötzlich aus dem Ärmel zückt, oder auf das Umlegen eines Schalters, mit dem der Schmerz abgeschaltet wird.

Wenn das in der Macht von Meditationspraxis stände, könnten wir Reha-Einrichtungen und Therapiepraxen schließen und Meditationszentren aus ihnen machen. Die Pharmaindustrie müsste Bankrott anmelden und die Apotheken gleich mit. Sie sehen sicherlich selbst, dass die Idee von „Du musst nur meditieren…“ ein reichlich überzogener Ansatz ist.

Bevor wir uns dem bewusstheitsorientierten Schmerzprogramm nähern und Schmerzen in den Zusammenhang mit Meditation setzen, schlage ich Ihnen vor, dass wir zunächst den Nährboden dafür kreieren. Lassen Sie uns mit einem symbolischen Akt starten, mit einem kleinen Ritual, das Ihnen einen Vorgeschmack auf Ihre bevorstehenden inneren Explorationen gibt.

Inneres „Leerwerden“

Es ist mehr als zwei Jahrzehnte her, dass ich an einem Seminar über Traditionelle Chinesische Medizin teilnahm. Zu dieser Zeit wurden der fernöstliche medizinische Ansatz einschließlich des Energiebegriffs vielerorts noch belächelt und andere Therapieansätze nicht selten als Scharlatanerie abgetan. Einschlägige Fachausbildungen zählten kaum und es brauchte nicht nur einen gewissen Enthusiasmus, sondern vor allem Courage, als Therapeut für das fernöstliche Denken, ganz zu schweigen für Meditation, zu stehen.

Gerade weil damals das Fremde und Neue für die symptomverliebte Medizin noch viel weniger nachvollziehbar war als heute und auch in meinem therapeutisch getrimmten Kopf feste wie unschlagbare Argumente saßen, verstand ich, warum der Trainer den Auftakt des Seminars auf sehr ungewöhnliche Weise gestaltete: Er reichte jedem von uns Teilnehmern ein mit Wasser gefülltes Glas und bat uns, dieses so langsam und bewusst wie möglich auszugießen. Im Zuge dessen sollten wir die Gesamtheit unseres medizinischen und therapeutischen Wissens, unsere Theorien, Prinzipien, Konzepte und Urteile über den Körper, über Gesundheit und innere Regulationsprozesse für die Dauer des Kurses symbolisch ausgießen. Falls wir in diesem Seminar wirklich etwas Neues erfahren wollten, so der Trainer, hatten wir uns zunächst zu leeren. Wir hatten Platz zu schaffen für Neues und Unerwartetes, und ich sage Ihnen eins: Dieser symbolische Akt ist mir bis heute in lebhafter Erinnerung geblieben. Das ist er, weil er mir zum ersten Mal vor Augen hielt, wie wenig Neues in mich einsickern kann, wenn ich vollgefüllt mit starrem, „altem“ Wissen bin.

Als ich damals begann, das Wasserglas zu leeren, verwandelte sich der symbolische Akt des Ausgießens sehr schnell in eine wunderbare Chance: Ich spürte die Kostbarkeit des Moments und witterte den Effekt, mich zu erleichtern, mich leerzumachen, um für Neues und Unbekanntes offen zu sein.

Gerade als ich anfing, mich in diesem symbolischen Akt zu aalen, bemerkte ich, dass es schwierig sein würde, den umfangreichen Ballast meines vorgefertigten Wissens proportional zur Wassermenge in dem kleinen Glas auszugießen. Du meine Güte, dachte ich, es reicht nicht einmal zu einem Zehntel aus! Ich hatte das Gefühl, dafür ein Fass, nein, eine ganze Badewanne ausschütten zu müssen. Außerdem spürte ich, dass ich dem Moment mit Furcht entgegensah, in dem ich aufhören müsste, weil das Wasser ausgegossen sein würde. Wann hat man denn schon einmal eine Chance dazu? Wann passiert es einem schon, sich von dem Wust an Informationen zu befreien, die man in der Schule, in der Universität oder im Arbeitsleben in sich hineinverfrachtet hat? Und wann hat man die Gelegenheit, von vorn beginnen zu dürfen, Neues erfahren zu können und alles Festgesetzte und Todsichere den Abfluss des Seminarhauswaschbeckens hinunterlaufen zu lassen? Mit größter Aufmerksamkeit für meine inneren Vorgänge goss ich die letzten Tropfen aus.

Doch warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte zu Beginn des 30-Tage-Programms? Vielleicht ahnen Sie es: Wenn Sie sich dem Thema „Meditation“ vor dem Hintergrund von Schmerzen nähern möchten und darauf hoffen, dass sich Ihre Schmerzen ad hoc zurückziehen werden, geht das nur, wenn Sie Ihr gewohntes Denken und Handeln zur Disposition stellen. Wenn sich Meditationspraxis positiv auf Ihren Schmerz auswirken soll, sodass er sich aufs Abklingen besinnt und Sie zukünftig ohne Medikamente auskommen, führt nichts daran vorbei, dass Sie sich zunächst von vorgefertigtem Wissen lösen. Ich empfehle Ihnen, Ihren Blick blankzuputzen und Neues wie Andersartiges mit frischen Augen zu sehen, auch wenn es hier nur um eine symbolische Handlung geht. Deshalb bitte ich Sie jetzt, bevor Sie sich auf das „Schmerzmittel Meditation“ einlassen, Ihr angesammeltes Wissen darüber, wie Schmerzintervention durch Innenschau zu geschehen hat, zu lüften. Gießen Sie dieses so langsam und bewusst wie möglich aus! Und wenn möglich: Schätzen Sie diese Chance!

Zwei Gläser

Bevor Sie das Ausgießen praktisch in Angriff nehmen, müssen wir allerdings einen Unterschied im Hinblick auf meine Seminarerfahrung machen: Sie sollten nämlich nicht nur ein Glas, sondern zwei Gläser ausgießen. Genau: eins für den Schmerz und eins für die Meditation. Darum bitte ich Sie, weil beide Bereiche mit Urteilen und Konzepten wie „gut“ und „schlecht“, „verkehrt“ und „richtig“ extrem vorbelastet sind.

Und noch einen Unterschied gibt’s: Ich bitte Sie, die Größe Ihrer beiden Gläser Ihrer persönlichen Situation entsprechend zu wählen. Während ich mit einem kleinen Wasserglas auskommen musste, dürfen Sie Ihr Glas in einer angemesseneren Größe wählen. Bedenken Sie dabei Folgendes: Je langwieriger Ihre Schmerzgeschichte ist, je mehr Erfahrung Sie mit gescheiterten Schmerztherapien haben, je länger Sie Medikamente in hohen Dosen einnehmen und je fester Ihre Überzeugung in Ihrem Denken einbetoniert ist, dass Schmerzlösung auf eine bestimmte Weise zu geschehen hat, desto größer sollte Ihr Gefäß sein. Und weiter: Je misstrauischer Sie diesem symbolischen Akt gegenüberstehen und je mehr Sie ihn als Unsinn abtun, desto bewusster und langsamer sollten Sie den Akt des Ausgießens gestalten. Denn je skeptischer Sie einem bloßen „Spiel“ gegenüberstehen, desto misstrauischer werden Sie auch sein, wenn es zum Meditieren, zum Schließen Ihrer Augen und zum Wenden Ihres Blickes nach innen geht.

Es ist nun mal so, ob bei Schmerzen, in der Meditation oder im Leben: Neue Wege bahnen sich nicht, wenn am Althergebrachten, an denselben ausgetrampelten Wegen, an den ewigen Gewohnheiten nicht gerüttelt wird. Wenn Sie einen neuen Weg wie den des auf Bewusstheit basierenden 30-Tage-Programms einschlagen möchten und sich danach sehnen, das Blatt Ihrer Schmerzgeschichte zu wenden, liegt es nahe, dass Sie alte Pfade verlassen und einen Strategiewechsel in Betracht ziehen. Mit dem Kopf immer wieder gegen dieselbe Wand zu laufen, ist schmerzhaft. Dieselben oder sich ähnelnde Runden im Therapiekarussell zu drehen, erschöpft. Es wirft Sie bezüglich Ihres Schmerzempfindens zurück, wobei jeder fehlgelaufene Therapieversuch Ihr Gehirn noch weiter in die Schmerzproduktion drängt.

Also schaufeln wir jetzt den Weg für ein neues Vorgehen frei. Fangen wir an!

Das „Schmerzglas“ leergießen

Das Ritual

Bei all dem habe ich natürlich einkalkuliert, dass Sie womöglich gerade kein Glas zur Verfügung haben, weil Sie im Flugzeug, in der Bahn, am Strand, im Warteraum der Osteopathiepraxis oder bei Starbucks sitzen und lesen. In diesem Fall sollten Sie den Akt des Ausgießens keinesfalls verschenken. Visualisieren Sie ihn! Lassen Sie diesen Akt und seine zweimal sieben Aspekte mit größter Bewusstheit vor Ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Genau, Sie lesen richtig: zweimal sieben Aspekte. Wir gehen beim Leermachen in vierzehn Schritten vor, um keinen der Faktoren zu vergessen, die Ihnen später beim Praktischwerden ein Bein stellen könnten. Lassen Sie uns hier wirklich pedantisch sein und teilen Sie Ihr Wasser gut ein. Sie werden staunen, wovon Sie sich verabschieden dürfen.

1. Der Kampf gegen den Schmerz

Sobald Schmerzen im Körper auftauchen, sei es nach einer Verletzung, nach einem Unfall, einer Operation oder auch ohne offensichtlichen Grund, verhält es sich häufig so, dass das Gewebe irgendwann abheilt, die Schmerzen abklingen und vergehen. Dieser Heilungsprozess nach einem akuten Schmerzgeschehen, der gewissermaßen eine Schutzreaktion des Körpers darstellt, ist gut nachvollziehbar und allgemein bekannt.

Wenn sich Schmerz jedoch im Körper einzunisten beginnt, wenn er bleibt und dann nach etwa drei Monaten die Rede von „chronischen Schmerzen“ ist, kippt das Geschehen recht schnell und wird zum Gefecht: Der Schmerz ist plötzlich ein Gegner. Er ist der Feind, der auf der anderen Seite der Frontlinie steht. Ein Heer aus Therapeuten, Ärzten, Schmerzspezialisten, Operateuren, Pharmazeuten, Psychologen bietet sich an, um ihn offensiv in die Flucht zu schlagen und zur Kapitulation in die Knie zu zwingen.

Und dabei passiert eines: Je hartnäckiger er ist, der Schmerz, je mehr Widerstand er leistet, desto mehr rüstet man auf und desto massiver gestaltet sich der Einsatz der Waffen, mit denen er bekämpft wird. Das Szenario gleicht einem nicht endenden Gemetzel. Ihr Körper ist der Kampfplatz und der Vernichtungsgedanke steht im Mittelpunkt Ihrer Intervention.

Wenn Sie zu denjenigen Schmerzbetroffenen zählen, die sich mit diesem kämpferischen Ansatz voll und ganz einverstanden erklären, weil Sie ihn für sinnvoll, logisch und nachvollziehbar halten, möchte ich Ihnen diesen Weg keineswegs streitig machen. Nur wird es dann schwer für Sie, hier weiterzulesen. Weder intelligente Schmerztherapie noch Meditationspraxis haben mit Kämpfen etwas zu tun.

Falls Sie aber schon des Öfteren das Gefühl hatten, dass mit dieser gefechtsbetonten Vorgehensweise irgendetwas nicht stimmt, dass mit dem Dagegenhalten, mit dem „Kampf gegen …“ etwas verkehrt läuft, weil Ihre Angriffe kaum erfolgreich gewesen sind oder zu noch mehr Schmerzen geführt haben, dann liegen Sie richtig. Und falls Sie außerdem im Therapiedschungel schon viele Leerkilometer gelaufen sind, viele Duelle ausgefochten und doch verloren haben, möchte ich Ihnen hier das Ende des Kampfes verkünden. Legen Sie die Waffen nieder und lehnen Sie sich zurück. Genau. Lehnen Sie sich so entspannt wie möglich zurück.

Der Verzicht auf den Kampfgedanken wird in der Meditationspraxis eine zentrale Rolle spielen. Noch viele Male werde ich Sie daran erinnern, dass das physische Bekämpfen des Körpers, einschließlich des Schmerzes, weder zu einem positiven Körpererleben noch zu einer tiefgreifenden Meditationserfahrung führt. Wenn sich Meditationspraxis in den „Kampfakt gegen …“, gegen das Symptom, gegen die Pein, gegen den Stress, gegen Spannung, Rastlosigkeit oder Sorge einreihen würde, bliebe sie fruchtlos und stände heute nicht im Mittelpunkt der Forschung. Das tut sie, weil sie neutralisierend über jegliche Form des Bewertens und Polarisierens hinausgeht.

Das Fazit: Meditation als „Mittel gegen …“ funktioniert nicht. Sobald Sie sich gegen Ihren Körper ausrichten, ob in Phasen der Heilung, innerhalb der Selbsterfahrung oder beim Meditieren, es geht immer schief! Nehmen Sie jetzt Ihr Glas zur Hand und gießen Sie den ersten von sieben Güssen aus. Notieren Sie einen Grundsatz, den wir später im Einzelnen weiterverfolgen werden:

 

Der Schmerz ist nicht Ihr Feind. Sehen Sie ihn als Partner und kooperieren Sie mit ihm, damit sich Lösungen ergeben.

2. Das Symptom „Schmerz“ verstehen

Der erste Grundsatz bringt uns direkt zum zweiten: Wenn Sie den Schmerz zum Feind erklären, bringt das mit sich, dass er lokal an Ort und Stelle im Körper bekämpft wird. Im Krieg wird das genauso gemacht: Dort, wo sich das Hauptquartier des Feindes befindet, findet der Angriff statt, dort wird bombardiert. Ebenso ist es in der Medizin: Wo der Schmerz tobt und lauert, wird er beschossen, dort wird therapiert.

Und ja, dieser klassisch-konventionelle Ansatz leuchtet ja auch ein. Der Nacken tut weh, also wird der Nacken entblockt, gerenkt, massiert und manipuliert. Der Tennisellenbogen wird an Ort und Stelle weggespritzt oder eingegipst, das rheumatisch entzündete Gelenk kriegt Cortisonspritzen und wenn das arthrotische Knie schmerzt, wird es arthroskopiert. Im Zweifelsfall gibt’s ein neues.

Doch auch wenn dieses Vorgehen für einige Menschen eine Hilfe ist, unterliegt ihm ein fundamentaler Irrtum, der im Zuge von Meditation nur gegen den Baum laufen kann: In diesen beiden Denkansätzen, dem des Feindbildes und dem des symptomorientierten Herangehens, ist der Fokus einzig auf das Symptom in Bezug auf eine anatomische Struktur gerichtet, auf das schmerzende Areal. Das Gelenk ist der Bösewicht, die Bandscheibe, der zerstörte Knorpel und der eingeklemmte Nerv. Diese Strukturen tun weh, also gehören sie in den Fokus der Intervention.

Doch: Unser Körper ist kein aus Teilen zusammengesetztes Ding. Unser Körper ist ein Riesenmechanismus, ein Organismus, in dem alle Teile zusammenarbeiten und miteinander in Abstimmung funktionieren. Fakt ist deshalb, dass unser Körper als System funktioniert und langfristig gesehen auch nur als System beeinflusst werden kann. Und mehr: Es geht bei allem ja auch um Nachhaltigkeit, um die Langlebigkeit des Resultats. Ich weiß, die meisten Schmerzerfahrenen blenden diesen Aspekt schnell aus, weil ihnen ein rasches Ende ihrer Beschwerden zunächst einmal wichtiger erscheint.

„Wie soll das gehen, den Fokus der Intervention von der schmerzenden Stelle wegzuleiten?“, fragte mich erst kürzlich eine Teilnehmerin eines Trainings.

Weil ich diese Skepsis sehr gut kenne, werde ich alles daransetzen, Sie mit einer anderen, mit der „systematischen“ Sichtweise vertraut zu machen. Durch das Ansprechen des ganzen „Systems Mensch“ mit seinen natürlichen Funktionen können Sie den Schmerzherd viel effizienter beeinflussen. Dies geschieht über eine gezielte Kommunikation zwischen dem Körper und dem Chef des Nervensystems, dem Gehirn.

Für den jetzigen Akt des Ausgießens müssen Sie sich zunächst erst einmal von der Überzeugung lösen, dass es nicht primär um den konkreten Schmerzherd als solchen, um den Quadratzentimeter Bandscheibe zwischen L4 und 5, um den dritten oder den siebenten Nackenwirbel, den schiefsitzenden Atlas, den 2. Strang des Trigeminusnervs, den Ischias, den Piriformismuskel, Ihre unterschiedlich langen Beine oder Ihr linkes Knie geht. Gießen Sie den nächsten Schluck aus und „inhalieren“ Sie den Grundsatz Nummer zwei:

Verabschieden Sie sich vom Irrtum des symptomfokussierten Behandelns. Sehen und schätzen Sie Ihren Körper als System, das nur systematisch behandelt werden kann.

3. Schmerzvertreibung

Was in der symptomorientierten Schmerzbekämpfung aus therapeutischer Sicht so gut wie außer Acht gelassen wird, ist der Vorgang der Schmerzvertreibung. Selbst dann nämlich, wenn ein Schmerzmittel oder eine therapeutische Aktion Linderung verschafft, kann das zwar den Siegeszug über den Schmerz bedeuten, muss aber nicht das Ende der Problematik sein. Oftmals geschieht es sogar, dass die Grundlage des Schmerzes nicht einmal annähernd berührt worden ist. Durch das massive Bearbeiten der betroffenen Region wurde dem Körper einzig die funktionelle Möglichkeit des Ausdrucks entzogen. Die Folge ist, dass sich der Umstand im Körper sogar noch verschärft.

Nach erfolgreicher Chirotherapie im Nacken beispielsweise, wenn der Wirbel wieder eingerenkt und seinem ordentlichen Platz zugewiesen worden ist, treten nicht selten Kieferprobleme auf, während die Kiefermuskeln ausdrücken, dass der Zustand von Anspannung dort immer noch derselbe ist. Würde man dann am Kiefer weitermanipulieren, renkt sich der Nackenwirbel in die Fehlposition zurück, sodass ein immer regelmäßigeres Einrenken und Manipulieren nötig wird. Entweder tut der Nacken oder der Kiefer weh, je nachdem, wohin die Spannung vertrieben wird. Wenn die Intervention übermäßig stark ist, kann das Szenario auch kippen: Die Spannungssituation wandert weiter zu einem anderen Ort, der mit dem ursprünglichen Geschehen funktionell zusammenhängt.

Bleiben wir noch beim stressgebeutelten Kiefer und nehmen wir hier das Beispiel einer Bissschiene. Diese verordnen Zahnärzte zumeist, um das Zähneknirschen in der Nacht zu unterbinden. Logisch, werden Sie sagen, mit der Bissschiene geht das Zähneknirschen nun mal nicht mehr. Doch Sie werden einsehen, dass die Spannungssituation, welche zum Zähneknirschen in der Nacht führt, ja keine andere geworden ist. Folglich muss sie sich woanders entladen. Meistens verlegt sie sich auf den Nacken, bringt dort Wirbel und Nerven in die Klemme und beeinflusst die Wirbelsäule in ihrer Elastizität. Das gesamte Bewegungssystem leidet in der Folge. Ich erinnere mich an einige Klienten, die sich bei mir nach einer „erfolgreichen“ Bissschienentherapie aufgrund von Kopf-, Nacken- oder Ohrenschmerzen, Trigeminusreizungen, Tinnitus, Schulter- und Lumbalschmerzen vorgestellt haben.

Solche Teufelskreise sehe ich in den Körpern meiner Klienten immer wieder. Wenn der Organismus zur Verlagerung des Schmerzherdes gezwungen wird, leistet er dem Folge, doch am ursprünglichen Zustand ist keine Verbesserung geschehen.

Oder schauen wir auf Medikamente: Sie betäuben den Schmerz, ja. Doch was tun sie zunächst? Sie unterbrechen die Reizleitung, sodass die gewohnte Übertragung von Schmerzsignalen aus der rebellierenden Region zum Gehirn unterbrochen wird. Das kann durchaus sinnvoll sein, wenn anfängliche akute Schmerzen stark sind oder der Schmerz offensichtlich von verletztem Gewebe verursacht wurde. Doch reine Schmerzmittel heilen nicht. Sie ändern nicht einen einzigen Fakt am Ursprung des Schmerzes und schon gar nichts an Beschwerden, die durch funktionelle Dysregulationen entstanden sind.

Noch einmal: Während der Einsatz von Schmerzmedikamenten in akuten Schmerzzuständen durchaus sinnvoll sein kann, weil er verhindert, dass das sogenannte „Schmerzgedächtnis“ gebahnt wird, tragen sie bei vielen chronisch gewordenen Schmerzen eher dazu bei, dass die komplexen Hintergründe der Schmerzsituation im Dunkeln bleiben und sich der Betroffene in falscher Sicherheit wiegt. Außerdem setzen sie, wie Schmerzforscher belegen, die Schmerzschwelle herunter, sodass das Nervensystem immer schmerzempfindlicher wird.

Der Ansatz der Schmerzvertreibung wird dann auf die Spitze getrieben, wenn nach schiefgelaufenen Therapieversuchen die schmerzende Struktur entfernt wird. Hüft- oder Kniegelenke zum Beispiel werden heute wie im Fließbandmodus ersetzt. Klar, die Struktur kann dann nicht mehr wehtun, was den Operationswilligen einleuchten und entgegenkommen mag. Doch wenn wir etwas genauer hinsehen, gleicht der Ansatz des bedenkenlosen Ersetzens schmerzender Strukturen dem Entfernen des Warnlichts bei einem Fahrzeug, das durch sein Blinken einen Fehler im Mechanismus zum Ausdruck bringt. Wenn der Monteur käme, kurzerhand die Glühlampe aus der Warnblinkanlage entfernte und seinen Job als erledigt ansähe, würden Sie das sicherlich nicht tolerieren. Anders beim Körper. Hier geben sich viele Menschen mit dem Entfernen der schmerzhaften Struktur zufrieden, ohne vorher herausgefunden zu haben, welche Störung sie gemeldet hat.

Gießen Sie sehr bewusst weiter und kommen Sie mit mir zu Grundsatz Nummer drei:

Verabschieden Sie sich von der Idee, dass vertriebener Schmerz automatisch geheilter Schmerz bedeutet. Kurzzeitlösungen taugen nicht. Lernen Sie Ihren Körper als Ganzes kennen und profitieren Sie davon auf lange Sicht!

4. Der zerteilte Mensch

Es gibt noch enorm viel Aufklärungsarbeit zu leisten, bis auch in die letzten Arzt- und Therapiepraxen durchgesickert ist, dass wir Menschen keine in Stücke zerlegbare Wesen sind. Folgt man diesem Ansatz, kommt dabei heraus, dass wir auch bruchstückhaft behandelt werden und für unsere Einzelteile verschiedene Spezialisten verantwortlich sind: Für ein normales Zipperlein im Lendenbereich zeichnet noch der Hausarzt verantwortlich, doch um die ernsten Rücken- und Gelenkschmerzen kümmert sich der Orthopäde. Wenn dieselben Beschwerden aber als entzündlich diagnostiziert werden, ist der Rheumatologe zuständig. Liegen Schmerzen in der Herzregion, fallen sie ins Behandlungsspektrum des Kardiologen, selbst dann, wenn es reine Rippen- oder Brustbeinschmerzen betrifft. Bei Problemen der Blutgefäße, die ja letztlich auch zum Herzen hin und vom Herzen wegführen, meldet allerdings der Phlebologe sein Zuständigkeitsrevier an. Nervenschmerzen behandelt dann wiederum der Neurologe, auch wenn unsere körperlichen Funktionen neuronal instruiert werden, während die neuromuskulären Beschwerden dann aber doch wieder beim Orthopäden landen.