Chicago Affair

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Chicago Affair
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Niko Arendt, Kathy Clark

Chicago Affair

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Impressum neobooks

Widmung

Für unsere Schwester Kriky.

Glaube mehr an dich.

***********

Das war eine verdammt schwere Geburt, aber, hey, hier ist es.

Wir haben’s geschafft und so schaffen wir auch alles andere. Ein Schritt nach dem anderen und wir kommen dort an, wo wir schon immer sein wollten.

***********

„Lebe, sei glücklich und mache andere glücklich.“

Mary Shelley

Kapitel 1

Chicagos frische Sommerbrise wehte durch die großen, weit geöffneten Panoramafenster des modernen Büros in der Chefetage der Firma Morra Bourdain Systems.

Dumpf drangen die Geräusche des nachmittägigen Verkehrs in die oberen Etagen. Sie wurden vom Wind fortgetragen, bis nur noch ein brummendes Rauschen, dem des Meeres gleich, übrig blieb.

Wie gerne hätte Sean sich von dem Wind davon tragen lassen. In seiner Fantasie schwebte er schwerelos über die Dächer der monströsen Bürobauten, die verzweigten überfüllten Straßen entlang und an der hektischen Menge Menschen vorbei, die wild ihrem hastigen Leben hinterherjagten. Verlockend war der kurze Augenblick, den er in Freiheit genießen würde.

Allerdings wäre das Ende seines Ausflugs weit weniger verlockend. Mit einem ekelhaften Platschen, platter als ein Pfannkuchen in der Pfanne, würde er unten aufschlagen. Von ihm würden nicht mehr als gebrochene Knochen und Blut übrig bleiben. Sean dachte kurz über dieses Schicksal nach. Vielleicht war es doch gar keine so schlechte Idee.

„Gefeuert?“, stotterte er ungläubig. Er erkannte seine Stimme kaum wieder. Sein ansonsten männlicher, etwas rauchiger Bariton war verwässert und dünn. Trotz der Vorhalte mancher Kollegen, dem Missfallen, die ewigen Diskussionen und dem elenden Gemaule und Gemecker, hatte er selbst seinen Chef für fair gehalten. Aber diese Kündigung war scheiß unfair. Was für ein Arschloch.

Und das ohne den leisesten Hinweis. Einfach so. Kein ‚Hallo, du hast einen Fleck auf dem Hemd, der mir nicht gefällt. Könnte sein, dass ich dich deswegen rausschmeiße.‘

Aber besser wäre: ‚Hey, such dir schon mal was Neues. Ich plane dich zu feuern. Verlier nicht gleich den Kopf, ich warte so lange, bis du was Neues findest.‘

Stattdessen ließ er ihn sofort ins offene Messer laufen. Viel schlimmer war jedoch das heuchlerische Lächeln auf dessen Gesicht, das Seans glorreiche Zukunft in kleinste Einzelteile zerhackte.

„Mr. Grandy, ich hatte Sie damals eingestellt, weil ich das Gefühl hatte, Sie seien besonders. Mehr, als das, was in Ihrer lahmen Bewerbung stand. Sie hatten so ein Feuer. Verstehen Sie?“

Nein. Eigentlich verstand er überhaupt nichts. Klar, dieser Job war ein absoluter Glücksgriff. Trotz seiner Ausbildung und ein paar ansehnlicher Referenzen und Weiterbildungen reichten seine Qualifikationen bei Weitem nicht aus, um von solch einem bedeutsamen und expandierenden Unternehmen eingestellt zu werden. Aber Sean hatte es probiert, sein bestes Foto für die blöde Bewerbung raus gekramt, sich mit Hochprozentigem Mut in der Toilette angetrunken. Und dann hatte Bourdain ihn mit selbigem Lächeln, das ihm damals nicht so verlogen vorgekommen war, in seiner Firma willkommen geheißen.

„Als Sie mir vor einem Monat die Hand reichten, war es um mich geschehen. Sie verdrehten mir den Kopf. Ich dachte, Sie seien mein Mann.“

Irritiert neigte Sean den Kopf zur Seite. Er fand die Wortwahl unglücklich, sagte aber nichts.

Bourdain erhob sich aus seinem gut gepolsterten Chefsessel und ging mit bedächtigen Schritten zu der verglasten Innenfront des Büros, um die Rollläden zu schließen. Sean schnürte es die Kehle zu.

„Leider“, Bourdain wurde ernst, „sind Sie mehr mit sich selbst beschäftigt. Machen zu viele Pausen. Reden, anstatt zu arbeiten, und telefonieren oft.“

Sean hätte am liebsten bei jedem zweiten Wort protestiert. Denn er wusste, dass einige seiner hoch geschätzten Kollegen mehrstündige Auslandstelefonate auf Kosten der Firma führten und dass sich die Koffeinzombies bereits nach einer Stunde die zehnte Tasse Kaffee aus dem Automaten zogen, anstatt ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen.

Gerade als Sean etwas zu seiner Verteidigung sagen wollte, setzte Bourdain erneut an. „Würden Sie die gleiche Energie in Ihre einfache und doch bedeutende Arbeit stecken, wie in ihre Eheprobleme, dann müssten wir dieses unangenehme Gespräch nicht führen.“

Bourdain setzte sich zurück in seinen Bürostuhl. Mit einer eleganten Bewegung strich er einige Strähnen seiner gewellten, braunen Haare zurück, die ihm in die Stirn gefallen waren. Seine Körperhaltung strahlte bittere Enttäuschung aus, was Sean mächtig aufgesetzt vorkam. Mit seinen azurblauen Augen fixierte er Sean.

„Haben Sie etwas dazu zu sagen?“, fragte der Brünette unschuldig und schlug die Beine wichtigtuerisch übereinander.

Dieses Arschloch.

Dieser Idiot.

Dieser reiche, überhebliche Schnösel.

 

Wie hatte ich nur so gut von ihm denken können?

Was wusste dieser blasierte Affe schon über seine Ehe? Sicher beneidete er ihn um diese Schönheit. Das musste er nicht. Sie war hübsch. Mehr nicht.

Wenn Sean jetzt den Mund aufmachen würde, bestand die Gefahr, dass er von seinem Wortschatz an provokativen Obszönitäten Gebrauch machte. Oder, er würde - was wesentlich schlimmer als jegliche verbale Beschimpfung wäre - auf die Knie fallen und Bourdain erbärmlich um Gnade anbetteln. Nein, er hatte seinen verdammten Stolz.

Mit todernstem Gesicht schlug er beide Handflächen auf den Tisch seines Chefs, sodass jenem beinahe die Tasse entkoffeinierten Kaffees aus den Händen rutschte, nach der er gegriffen hatte.

„Selbstverständlich habe ich etwas zu sagen!“

Ein guter Anfang, fand er. Gespannt richtete Bourdain einen scharfen Blick auf ihn. Blickkontakt war gut. Sehr gut. Er musste selbstbewusst wirken.

Nach einem zähen Augenblick, indem Bourdain zweimal an seiner Kaffeetasse nippte und dann fragend die Augenbrauen hochzog, entschloss Sean sich endlich den Mund aufzumachen.

„Das können Sie nicht tun!“

„Warum nicht? Ich bin der Boss. Ich kann tun, was ich will.“

Das klang nicht besonders professionell, oder? Eher kindisch.

Sean zeigte ihm seine offenen Handflächen, was seinerseits eine Geste für Armut sein sollte. „Ich habe Schulden. Eine Familie, die ich-.“

„Ich wusste nicht, dass Sie Kinder haben.“

„Habe ich nicht.“

„Eine Ehefrau ist keine-.“

„Ich habe einen Hund. Punchy! Punchy ist ein übergewichtiger, alter Labrador. Er ist inkontinent und braucht Windeln. Wovon soll ich die bezahlen? Hundewindeln sind scheißteuer.“

Wild gestikulierend versuchte er seinen unbedeutenden Worten Ausdruck zu verleihen. Bourdain konnte unmöglich wissen, dass Punchy in hohem Alter in die ewigen Hundejagdgründe gegangen war, als Sean sich noch Sorgen um Pickel, Zahnspangen und dem misslungenen Blondieren seiner Haare Gedanken gemacht hatte.

„Ich werde mein verdammtes Haus verlieren. Dann bin ich obdachlos. Meine Frau muss sich prostituieren, während ich die Passanten um eine kleine Spende anbettele und ihre Verachtung ertragen muss. Nehmen Sie denn keinen Anteil am Schicksal Ihrer Mitmenschen?“

„Nein.“

„Nein?“ Es entstand eine lange Pause. „Das hätte ich jetzt nicht erwartet.“

„Seien Sie nicht melodramatisch.“ Belustigt schürzte Bourdain die Lippen.

„Bitte feuern Sie mich nicht.“ Sean war um den Tisch herumgegangen und stand Bourdain von Angesicht zu Angesicht gegenüber, während er ein mitleiderregendes Gesicht verzog und mit den letzten Worten sein unwürdiges Dasein besiegelte. „Ich tue alles für diesen Job. Alles.“

Einen verhängnisvollen, schwermütigen Moment lang starrte Bourdain ihn aus seinen kalten Augen heraus an. Und dann ging alles verflucht schnell. Sein Chef griff nach der billigen, braunen Krawatte mit den grünen Punkten, die Seans Frau ihm zu Weihnachten geschenkt hatte und welche dieser aus ganzer Seele verabscheute. Er hätte sie auch in den Tiefen seiner Sockenschublade verrotten lassen, wenn Amanda sie heute nicht zutage gefördert hätte. Fakt war, dass seine Lippen nur wenige Zentimeter von Bourdains entfernt waren. Abrupt in der Bewegung innehaltend, starrte er seinen erbärmlichen Angestellten in Grund und Boden.

„Sind Sie etwa käuflich, Mr. Grandy?“

Eine abscheuliche Gänsehaut bildete sich auf Seans Unterarmen, als sich fremde Lippen brutal auf die seinen legten. Sein Gehirn erlitt einen Kurzschluss, infolge der Flut an Gefühlen, die ihn überrannten. Error! Ohne Erfolg auf 100-prozentige Genesung.

Überrascht schnellten Seans Augenbrauen in die Höhe. Ihm blieb überhaupt keine Zeit zum Reagieren. Aber wie sollte man auch reagieren, wenn die Zunge des Chefs dem Gaumen schmeichelte?

Während sich die forsche Zunge, über seine Zähne und Zunge hinweg bis tief in seinen Hals hineinbohrte, versuchte Sean, sich vergeblich loszureißen. Doch der Griff um seine Krawatte war fester als erwartet, und Bourdain zog ihn zielstrebig immer näher zu sich herunter. Die gutturalen Laute, die er dabei ausstieß, waren ziemlich verstörend. Sanft streichelte Bourdains warmer Atem Seans Wange.

Lodernde Hitze breitete sich in Seans Mund aus und betäubte seine Sinne gänzlich, sodass seine Beine unter ihm nachzugeben drohten. Er klammerte sich ungewollt an den Armlehnen des Bürosessels, in der trüben Hoffnung nicht gleich ohnmächtig zu werden.

Eigenartige Gefühle rumorten in seinem Bauch. Fragen nach dem Grund des unerwarteten Kusses, bis hin zu pornografischen Visionen, davon wie Bourdain ihn leidenschaftlich auf dem teuren Mahagonitisch seines Büros nahm. Angesichts der Hand, die sich zwischen seine Beine geschlichen hatte, war diese Vorstellung gar nicht abwegig.

Japsend kämpfte Sean sich los, doch Bourdain war schneller, umfasste mit langen Fingern seinen Nacken in einem so eisernen, harten Griff, dass Sean schwarz vor Augen wurde. Mit den Fingerspitzen streifte er sein blondes Haar und verhakte seine Finger darin.

Mit einiger Gewalt hielt Sean Bourdains andere Hand davon ab, erneut seinen Oberschenkel entlang zufahren.

Sobald Sean zu der Erkenntnis kam, dass er um einiges muskulöser als sein Chef und somit stärker war, schaffte er es endlich sich loszureißen. Nicht aber ohne mit dem rechten Arm die Hälfte des Büromaterials vom Tisch zu fegen, die Topfpflanze mit seinem breiten Rücken niederzumähen und einen Teil der Rollläden herunter zu reißen. Vielleicht hatte er Bourdain auch mit der Hand am Kopf erwischt. Er hoffte es. Verdient hätte es dieser Perverse allemal.

Hektisch rappelte Sean sich auf, penetrant darauf achtend dem anderen nicht in die Augen zu blicken. Ohne ein weiteres Wort hechtete er Richtung Tür, stolperte unglücklich, öffnete die Tür schneller, als das er ausweichen konnte und donnerte schmerzhaft dagegen. Es verstrichen noch einige verhängnisvolle Sekunden, in denen er mit Bourdain alleine in einem Raum eingepfercht war.

Vorbei an den verdutzten Blicken der Sekretärin sprintete Sean mit Mordstempo den Flur entlang und die Treppe herunter. Er hielt erst an, als er völlig außer Atem, die Tiefgarage des mehrstöckigen Gebäudes erreichte. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich bei der Geschwindigkeit nicht das Genick gebrochen oder wenigstens einen Fuß verstaucht hatte. Aber das konnte Amanda sicherlich noch für ihn übernehmen.

Auf dem Heimweg beachtete Sean die Verkehrsregeln kaum, nahm anderen Autofahrern die Vorfahrt und riss beinahe eine dürre Frau von ihrem Sportrad. Seine Gedanken kreisten unfokussiert in seinem Kopf herum, kamen jedoch immer wieder zu einem jähen Ende, als er an Bourdains Lippen dachte. Er konnte ihn auf seiner Zunge schmecken, an seinem Hemd riechen und seine Finger in seinem Haar spüren.

Die Fahrt war die reinste Qual für seinen Geist, aber viel schlimmer, war das, was ihn zu Hause erwartete. Noch bevor er richtig in die Einfahrt gefahren war, wurde die Haustür aufgerissen und eine zierliche Frau mit langen, blonden Haaren kam ihm entgegen. Aber nicht vor Sorge, das wusste Sean zu gut.

Sein Chihuahua Anakin rannte voller Vorfreude zur Tür, bemerkte aber schnell die Anspannung und verzog sich schneller als Sean blinzeln konnte wieder ins Innere. Anakin hasste es, wenn sie stritten.

„Was in Teufels Namen hast du hier zu suchen?“, schleuderte sie ihm zischend entgegen, obwohl sie ihn freudig anstrahlte und ihm sogar einen Kuss auf die Wange drückte. Alles Show, falls ein Nachbar zufällig aus dem Fenster blicken sollte.

„Hast du gekocht, Schatz?“, fragte Sean unschuldig und lenkte bewusst vom Thema ab, als er ihre Schürze und das Messer in ihrer Hand bemerkte. Ihr Lächeln wurde um einiges breiter. Es war so falsch, wie ihre gespielte Zärtlichkeit.

„Sei nicht albern. Und lenk nicht vom Thema ab.“

Sie hatte ihn schnell durchschaut.

„Also, was hast du angestellt?“

Kapitel 2

„Was?“, schrie sie mit hoher Stimme. „Was soll das heißen?“

„Dass ich mir einen neuen Job suchen muss“, antwortete er. Leider wieder falsch.

„Willst du mich provozieren?“

„Natürlich nicht, Schatz.“

„Wir haben hart dafür gearbeitet, damit du diese Stelle bekommst. Opfer gebracht.“

Sean fand, dass sie übertrieb. Er hatte nicht das Gefühl, dass sie das gemeinsam durchgestanden hätten. Allerdings wusste er sehr wohl, wie wichtig ihr seine Stelle gewesen war. Wie sie vor den Nachbarn und ihren Freundinnen angegeben hatte. Sie war es auch, die darauf bestanden hatte, dass er sich dort bewarb.

Um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, verlegten sie ihr hitziges Gespräch vom Vorgarten ins Esszimmer. Jetzt musste Amanda nicht einmal das falsche Lächeln aufrechterhalten und tobte mit voller Wucht. Dabei befand sich das Messer noch immer in ihrer Hand. In regelmäßigen Abständen zerteilte sie die Luft, um ihrer Wut die entsprechende Glaubhaftigkeit zu verleihen.

„Schatz, bitte leg das Messer weg. Du könntest dich verletzen.“ Oder mich. Sean sah sich nach Anakin um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Er würde ihm auch keine Hilfe sein.

„Ich kann damit umgehen. Und du lenkst schon wieder vom Thema ab“, schimpfte sie. Plötzlich hielt sie inne und starrte ihn mit ihrem kritischen Blick nieder. „Wie siehst du überhaupt aus?“

Kopflos war er aus dem Büro gestürmt und nach Hause gefahren, ohne einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen. Gut, dass Bourdain keinen Lippenstift trug, ansonsten hätte sie ihn sofort einer Affäre bezichtigt. Bestimmt war sein Haar zerzaust, das Jackett verknittert und die Krawatte verrutscht. Vergeblich versuchte er sie zu richten, konnte aber nicht mehr viel retten.

„Ich will nicht mehr zurück“, sagte er stattdessen mit fester Stimme. Zumindest glaubte er, sie sei es. Es war nicht gut ihre Fragen zu ignorieren, aber ihr würde er gewiss nicht erzählen, was passiert war.

„Ist das so eine ich-bin-ein-Mann-und-viel-zu-stolz-Sache?“

Nein. Es war eine ich-bin-ein-Mann-aber-mein-Chef-will-mich-trotzdem-vögeln-Sache.

Ihn übermannte das schlechte Gewissen, obwohl er in dieser Situation eindeutig das Opfer war. Schließlich hatte Bourdain ihn geküsst und nicht umgekehrt. Er konnte diesem Mann nicht mehr ins Gesicht blicken, ganz egal, was seine Frau von ihm erwartete. Das, was sein Chef von ihm erwartete, war um Einiges schlimmer.

„Das hat mit Stolz nichts zu tun“, erwiderte er matt. Den besaß er schon lange nicht mehr.

„Es hat immer mit Stolz zu tun.“

„Bourdain ist mit meiner Arbeit nicht zufrieden. Er will-.“

„Etwas anderes habe ich jetzt auch nicht erwartet.“ Sie zeigte mit der Messerspitze auf ihn, während sich der Zeigefinger ihrer anderen Hand schmerzhaft in Seans Brust bohrte. „Du musst dich mehr engagieren, dann nimmt er dich auch wieder zurück!“

Die Version von sich selbst und Bourdain, nackt, auf dessen Büroschreibtisch schob Sean schnell beiseite, als diese bei Amandas Worten vor seinem inneren Auge auftauchte.

„Wenn du wüsstest, was er getan hat“, flüsterte er mehr zu sich selbst, als zu ihr gewandt, doch natürlich hatte sie wieder alles mitbekommen.

„Das sind doch alles nur Ausreden, Sean. Wenn du wolltest, dann hättest du viel mehr erreicht. Immer muss ich dir vorher in den Arsch treten, damit du dich bewegst“, wütete sie.

„Dann solltest du mich während der Arbeit nicht mehr anrufen.“

„Was hat das mit mir zu tun?“

„Er meinte, ich telefoniere zu viel mit dir.“

„Hat er das so gesagt? Und lüg mich nicht an, ich sehe, wenn du lügst.“

„Nicht direkt, aber-.“

„Das waren also nicht seine Worte.“

Sean fiel es schwer zu argumentieren. Sobald Amanda sich in Rage geredet hatte, wollte sie nicht mehr hören, was er zu sagen hatte.

„Also telefonierst du allgemein zu viel, anstatt zu arbeiten.“

„Aber ich telefoniere doch nur mit dir“, gab Sean verzweifelt zu bedenken.

„Du brauchst die Schuld nicht auf mich abzuwälzen. Wenn du keine Zeit für meine Anrufe hast, kannst du das sagen.“

„Dafür hast du doch kein Verständnis.“

„Wie bitte?“

Sean ließ den Kopf hängen. Er hatte nicht die Absicht mit ihr zu streiten, so miserabel wie er sich momentan fühlte. Eigentlich wollte er nur ein wenig Ruhe. Ruhe, um Nachdenken zu können.

 

„Als Ehefrau darf ich wohl ab und zu auch mal anrufen. Ansonsten vergisst du noch, dass ich existiere.“

„Das würde ich nie, Amanda.“ Seans Stimme nahm einen flehenden Ton an. „Du rufst einfach zu oft an.“

„Sei nicht albern“, antwortete sie. Eine ihrer Lieblingsfloskeln in ihren Gesprächen. „So oft rufe ich gar nicht an. Du telefonierst nebenbei bestimmt noch mit anderen Frauen.“

Sean hatte die Befürchtung, das Ganze könnte in einem verdammten Streit um seine Treue ausarten, weshalb er sein ramponiertes Nokia Handy hervorholte und ihr auf dem noch schwarz-weißen Bildschirm die Anrufliste zeigte. An manchen Tagen verzeichnete die Chronik beinahe alle 10 Minuten einen eingehenden Anruf.

„Aber Schatz, ich telefoniere nur mit dir. Sieh dir die Liste an. Du hast mich letzten Dienstag insgesamt 27 Mal angerufen.“

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, mit der sie - wie Sean inständig hoffte - das Handy versehentlich aus seiner ausgestreckten Hand fegte. Er traute sich nicht, es aufzuheben. Nicht einmal mit Snake würde er sich dann noch ablenken können.

„Du gehst jetzt zurück und regelst das! Wenn du dich dafür ein bisschen demütigen lassen musst, dann tut das deinem Ego nur gut.“

Der Blonde stieß einen winselnden Laut aus. Ihre Zweideutigkeiten bereiteten ihm Bauchschmerzen. Aus ihrem Mund klang alles so banal und einfach.

„Nicht heute.“

„Sofort.“

Sie drängte ihn mit aggressiver Zielstrebigkeit in Richtung Haustür.

„Du setzt keinen Fuß in dieses verdammte Haus. Nicht bevor du diese Angelegenheit geregelt hast. Und zwar zufriedenstellend. Für alle!“

Das waren ihre letzten Worte, bevor die Tür mit ohrenbetäubenden Lärm ins Schloss fiel. Sie wusste ja gar nicht, was sie da redete. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Seans Magen aus. Irgendwie hatte er gehofft, die Situation würde besser laufen. Besser für ihn.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich ergeben ins Auto zu setzen und davon zu fahren. Eine ganze Weile fuhr er ziellos umher.

Er könnte zu Bob, seinem früheren Chef fahren. Ihn darum bitten, ihm seinen alten Job zu geben. Allerdings war es sehr unwahrscheinlich, dass er ihn wieder aufnehmen würde. Für Bob waren seine Mitarbeiter wie eine Familie und er nahm ihnen eine Kündigung furchtbar übel.

Und Amanda würde ihn trotzdem nicht ins Haus lassen. Sie hasste Bob. Und sie hasste sein Gehalt dort.

Spätabends lenkte er seinen Wagen auf einen ausgestorbenen Parkplatz in der City. Der Motor erstarb ächzend nach der langen Fahrt. Die Tankanzeige bewegte sich im unteren Bereich und erinnerte ihn dezent daran sein Gefährt zu füttern. Mit einem lauten Knurren revoltierte Seans Magen in der Stille.

Sean blickte aus dem Fenster und bemerkte, wo er geparkt hatte. Die Computerfirma, in der er arbeitete, erhob sich wie ein riesiges, gläsernes Ungetüm in den sich verdunkelnden Abendhimmel. Erhaben thronte es über all die anderen Gebäude in Chicago hinweg. Morra Bourdain Systems stand in großen Lettern auf der glatten Außenfassade.

In einem der oberen Etagen brannte Licht. Sean seufzte. Bourdain war noch da. Aber sein Mut reichte nicht aus, um zu ihm zu gehen. Während er über seine missliche Lage grübelte, verschiedene Möglichkeiten in seinem Kopf abspielte, die allesamt nicht zu seinem Vorteil endeten, nickte er ein. Seine schweren Augenlider schlossen sich ganz automatisch und forderten endlich die Ruhe ein, die er seinem Geist den Tag über verwehrt hatte.

Ein plötzliches Klopfen ließ ihn hochschrecken. Dabei stieß er sich das Knie am Lenkrad seines Wagens an. Mit schmerzverzogenem Gesicht suchte er nach der Ursache für das unsanfte Erwachen. Ein erneutes Klopfen lenkte seine Aufmerksamkeit in die richtige Richtung. Und was er sah, gefiel ihm gar nicht.

In der diffusen Dunkelheit des Parkplatzes, der zwar durch zahlreiche Lampen beleuchtet war, dessen Schein aber nicht ausreichte, um etwas zu erkennen, erhob sich eine schemenhafte Gestalt.

Verwirrt beobachtete Sean, wie die Gestalt ihren Arm zur Autotür hin bewegte. Und diese öffnete. Unbewusst machte er sich auf einen Angriff gefasst, bis er eine ihm vertraute Stimme wahrnahm.

„Was machen Sie noch hier?“ Sean war sich sicher, dass Bourdain nicht die Stimme erhoben hatte, aber in seinem Zustand schien es ihm, als würde er ihn anbrüllen. Mit einer nervösen Bewegung fuhr er sich über das Gesicht und dann durch das dichte, dunkelblonde Haar.

„Ich wollte-,“ stotterte Sean und blickte in das im Dunkel verborgene Gesicht. Es war schwer zu lesen, was sein Chef von ihm dachte. Er selbst fand sich ziemlich erbärmlich. Vermutlich sah Bourdain das genauso.

„Ich wollte mit Ihnen reden“, gab er dann mit etwas mehr Festigkeit in der Stimme zurück und stieg ungeschickt aus dem Auto aus. Bourdain trat einen Schritt zurück, stand aber für Seans Geschmack trotzdem nicht weit genug von ihm entfernt.

„Und worüber?“, fragte Bourdain, als Sean selbst nach einigen Minuten noch nichts sagte.

„Ich will meinen Job zurück.“ Nervös strich Sean sich über seinen Bauch, während Bourdain lässig die Arme vor der Brust verschränkte. Das Blau seiner Augen wirkte jetzt düster, die Andeutung eines Lächelns sarkastisch.

„Sagten Sie nicht, Sie würden alles für den Job tun? Das taten Sie aber nicht.“

„Damit meinte ich sicher nicht, dass ich Ihre kleine Büroaffäre werde“, flüsterte Sean leise und verschwörerisch, als habe er Angst von jemandem gehört zu werden, obwohl sie ganz alleine waren. Nicht einmal Insekten schwirrten durch die Nacht.

„Wieso nicht?“, fragte Bourdain unverblümt und Sean wunderte sich wieder einmal über dessen Unverfrorenheit. „Alles, bedeutet alles. Oder sehe ich das falsch?“

Darauf konnte Sean nichts erwidern. Das sagte man eben so. Das sagten alle so.

„Sie hätten die Dinge, die Sie nicht bereit sind für den Erhalt Ihres Arbeitsplatzes zu erbringen, ausklammern müssen.“ Bourdain machte den Schritt, den er zurückgetreten war, wieder vor, sodass Sean sich ungewollt fester in das unnachgiebige Metall der Autotür presste. ‚Ich tue alles für den Job, außer mit Ihnen zu schlafen.‘ Warum haben Sie denn nicht das gesagt, Mr. Grandy?“

Ein Kloß in der Größe einer rollenden Schneelawine bildete sich in seinem Hals und erschwerte Sean das Schlucken erheblich.

„Ich denke bei dieser Aussage doch nicht gleich daran, dass Sie mir die Zunge in den Hals stecken“, erwiderte Sean empört, erhob aber nicht die Stimme.

„Warum nicht?“

„Weil ich ein Mann bin.“

„Und ich darf Sie nicht attraktiv finden, weil Sie ein Mann sind?“

„Sie finden mich attraktiv?“ Das schien Sean zu amüsieren. Unmerklich blähte sich seine Brust vor Stolz auf.

Bourdain lehnte sich ein wenig zu ihm. „Oder ich bin sexuell frustriert.“

Und die Luft war schneller raus, als aus einem Luftballon, der in der Sonne gelegen hatte.

„Und da finden Sie niemand Williges für Ihre Fantasien?“, witzelte Sean.

„Ich finde meinen verzweifelten, männlichen Angestellten zu nötigen, indem ich ihn vor ein Ultimatum stelle, ziemlich erregend.“

„Charmant“, erwiderte der andere trocken. „Mit Ihrem Aussehen haben Sie in Ihrer Szene bestimmt kein Problem jemanden abzuschleppen?“

„Was denn für eine Szene? Die der sexuell frustrierten, reichen und erfolgreichen Computerfreaks?“

Bourdain schnaubte. Sarkasmus triefte schwer von jeder Silbe seiner Worte. Sean glaubte alten Frust und unreifen Hunger aus seiner Aussage herauszuhören, wollte sich aber darauf nicht festlegen. Es gelang ihm nicht sein Gegenüber einzuschätzen, schließlich lernte er heute eine ganz andere Seite von ihm kennen. Eine, von der er nicht einmal geahnt hatte, dass sie existierte.

„Nein, mal ganz ehrlich. Warum sind Sie alleine?“, fragte Sean mit ernster Stimme und ehrlichem Interesse. Er spürte die Wärme des anderen Mannes, empfand sie aber nicht als unangenehm. Nicht in diesem sich selbst bemitleidenden Moment.

„Warum schlafen Sie im Auto, auf dem Parkplatz der Firma, aus der man Sie rausgeschmissen hat?“

„Fragen beantwortet man nicht mit Gegenfragen.“

„Wieso nicht?“

„Weil das anstrengend ist.“

„Soll ich Sie stattdessen lieber küssen?“

„Lieber nicht. Ich will nicht fortsetzen, was Ihre Hand im Büro angefangen hat.“

„Ich schon.“

„Das war zu erwarten.“

Nach ihrem kurzen Schlagabtausch kehrte klammes Schweigen ein, das Sean schlimmer fand, als mit seinem Boss darüber zu reden, mit ihm Sex zu haben. Wenigstens redeten sie miteinander. In der Stille konnte Bourdain noch auf Einfälle kommen, die über bloße Worte hinausgehen würden. Und so war es auch.

Der Brünette streckte seine Hand nach Sean aus, die dieser nicht sehen, aber an seiner Taille spüren konnte. Die Hitze schien ein Loch in sein Hemd zu brennen. Das Licht spielte reizvoll mit Bourdains Gesichtszügen, die eine widersprüchliche Mischung aus Amüsement und Hohn waren.

„Haben Sie es sich überlegt, Mr. Grandy?“, fragte er rau und Sean konnte deutlich seinen Atem in seinem Gesicht spüren. Er roch nach Aftershave und Pfefferminz, welches eine kühle Distanz schaffte. „Jetzt kennen Sie die Bedingungen für eine Wiedereinstellung.“

Sean atmete rasselnd aus. „Sie wissen, dass ich verheiratet bin.“

Bourdains Oberlippe kräuselte sich. „So gut kann Ihre Ehe wohl nicht laufen, wenn Sie mir auf dem Parkplatz auflauern.“

Sean überhörte das mit der Ehe und konzentrierte sich lieber auf Bourdains Arroganz. „Ich hab Ihnen bestimmt nicht aufgelauert. Ich habe mich mental auf ein Gespräch vorbereitet.“

„Und? Ist es gelaufen, wie Sie es sich vorgestellt haben?“

„Ganz und gar nicht.“

„In Ihrer Version habe ich Sie bestimmt angefallen und mit Haut und Haaren gefressen.“

„So was in der Art.“

„Rotkäppchen und der böse Wolf?“

„Hänsel und Gretel.“

„Tatsächlich?“ Bourdain kam ihm wieder ein Stück näher. Sean presste den Rücken ins Auto, aber es schmerzte nur, deswegen ließ er es bleiben. „Die böse Hexe bin nicht ich, denn die hält Sie daheim an der kurzen Leine.“

„Nein, Sie locken doch mit Süßigkeiten.“ Sean räusperte sich erneut. „Lassen wir das mit den Metaphern, mir schwirrt schon der Kopf.“

Bourdain schlug die Augen nieder und der Glanz, der in ihnen lag, als er Sean wieder ansah, bereitete diesem Unbehagen. Ihre Knie und Oberschenkel berührten sich. Bourdains Hand lag noch immer in seiner Taille, darüber hinaus passierte aber nichts.

„Wo schlafen Sie heute Nacht?“, fragte der Brünette unschuldig. „Soll ich Sie irgendwo absetzten?“

„Ich bin selbst mit dem Auto da.“

„Und der Tank ist bestimmt leer.“

Woher weiß er das bloß? Es war nicht schön, wie dieser Mann ihn durchschaute, während Sean nicht die blasseste Ahnung hatte. Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen. Bourdain war ihm unheimlich.

Mit der freien Hand, die teilnahmslos an seiner Seite heruntergehangen hatte, strich Bourdain über Seans Brust, dem die Nackenhaare zu Berge standen. Sean schielte zu seinem Auto.

„Nein“, sagte er unsicher. Es hörte sich nach einer Frage und nicht nach einer Aussage an.

„Schwach“, konterte Bourdain und mit einem Mal wurde die Situation todernst. „Sie sind erbärmlich. Wenn Sie sich wenigstens das eingestehen würden. Ihre Frau hat Sie ganz schön unter dem Pantoffel, wenn Sie hier auftauchen mit der ernsthaften Absicht auf meine Forderungen einzugehen. Sie haben nicht die Courage ihr die Meinung zu sagen. Aber auch nicht die Gelassenheit, um sich von ihrem Boss vögeln zu lassen. Entscheiden müssen Sie sich aber irgendwann.“

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