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Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1

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Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1
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1. Kapitel

»Ich zieh‘ ins weite, ferne Land,

Der Zukunft denk‘ ich mit Entzücken,

Des Friedens Zepter in der Hand,

Will ich ein mutig Volk beglücken.

Ich trotz‘ der Franken Trug und List

Und glaub‘ an seines Schwures Treue,

Wie doch mein Herz so selig ist!

Geb‘ Gott, daß ich es nicht bereue!«


Im Westen von Neumexiko liegt eine weite Ebene, die am besten mit der Sahara zu vergleichen ist. Viele Tagereisen weit ist kein Baum, kein Strauch zu finden; kein Quell dringt aus dem Boden, um eine grüne Vegetation zu erzeugen. Nur der Kaktus fristet ein einsames, trockenes Leben; er bildet Felder von ungeheurem Umfang; aber er wird ebenso vom Menschen, wie vom Tier gemieden, denn seine Stacheln sind gefährlich. Tritt sich ein Pferd einen solchen Stachel in den Huf, so ist es unrettbar verloren. Es beginnt zu hinken, der Huf schwillt; es tritt Brand dazu, und der einsame Reiter, seines treuen, schnellen Tieres beraubt, kann zu Fuß das Ende der Wüste nicht erreichen und muß elend verschmachten. Er fällt den Geiern zur Beute, die hoch oben in der glühenden Luft ihre weiten Kreise ziehen, um mit scharfem Auge ihren Fraß zu suchen.

Aber auch noch in anderer Beziehung ist diese Wüste gefährlich. Da nämlich weder Baum noch Strauch als Wegweiser dienen kann, so hat man den Weg, der durch sie führt, mit langen, kahlen Stangen bezeichnet, daher sie den Namen Llano estacado, das ist die abgesteckte Wüste, führt. Nun gibt es dort allerlei Gesindel, deren Anführer diese Pfähle herausreißen und in falscher Richtung stecken lassen. Wer ihnen dann folgt, gerät immer tiefer in die Öde hinein, muß elend verhungern und verdursten, und ist er dann tot, so wird sein Leichnam von den feigen Räubern beraubt.

Diese Wüste geht mit ihrem Westrand fast bis zum Rio Puercos – auch Rio Pecos —, der ein Nebenfluß des Rio Grande del Norte ist. An diesem Rio Puercos liegt das Fort Guadeloupe, das unseren Lesern bereits von früher her bekannt ist. Emma Arbellez war mit ihrer Freundin Karja in Guadeloupe auf Besuch gewesen. Die erstere hatte dort eine befreundete Familie besucht, war auf dem Rückweg von den Komantschen überfallen und gefangengenommen, dann aber von Helmers und Bärenherz befreit worden.

Die erwähnte Familie war diejenige des einzigen Warenhändlers in Fort Guadeloupe. Er war mit dem Haziendero Pedro Arbellez verwandt, hieß Pirnero und galt als der reichste Mann der ganzen Gegend. Er war in das Land gekommen, man wußte nicht recht, woher, hatte sich eine hübsche, wohlhabende Neumexikanerin, eine Cousine von Pedro Arbellez, zur Frau genommen und einen Handel angefangen, der immer größeren Aufschwung nahm, bis Pirnero sich einen gemachten Mann nennen konnte.

Seine Frau war bald gestorben und hatte ihm ein einziges Kind, eine Tochter, hinterlassen. Dieser Todesfall traf ihn nicht tief. Er besaß ein heiteres Gemüt, das nicht zum Gram geschaffen war. Er lebte glücklich und sorglos, das heißt, ohne alle Sorge außer einer einzigen. Seine Tochter, die hübsche Resedilla, machte nämlich keine Anstalt, sich einen Mann zu nehmen. Dies war ihm früher ziemlich gleichgültig gewesen; jetzt aber trat das Alter an ihn heran, und er wünschte sich einen tüchtigen Nachfolger, um die Tochter versorgt zu wissen. Sie hatte Anbeter genug gehabt, das hübsche, blonde Mädchen, auch mit allen gescherzt und gelacht, aber keinen vorgezogen und begünstigt. So war sie zwanzig Jahre geworden, dann fünfundzwanzig, endlich fast dreißig. Sie war noch immer hübsch; es war gar nicht, als ob sie zu den Mexikanerinnen gehöre, die ja bekanntlich in diesen Jahren bereits vollständig verblüht sind. Ihr hellblondes Haar zeigte auch auf eine andere, vielleicht germanische Abstammung, doch war es selten, daß sie oder ihr Vater darüber sprach, denn er wußte, was zu seinem Vorteil diente.

Pirnero besaß ein großes Haus und außerhalb des Forts bedeutende Weiden, auf denen er eine Anzahl Vaqueros beschäftigte. Sein Haus hatte außer dem Erdgeschoß große Kellereien und ein Stockwerk. In den Kellern befand sich seine Niederlage, im Erdgeschoß war ein Verkaufsladen und eine Schenkstube, und das Stockwerk enthielt seine Wohn- und Schlafzimmer.

Heute wehte draußen ein steifer Wind über den Fluß herüber, ein Wind, wie ihn kein Jäger und kein Hirt liebt, und dennoch befand sich kein einziger Gast in dem Schenkzimmer, das doch bei solchem Sturm den besten Aufenthalt bot.

Señor Pirnero war in nicht ganz guter Laune. Er saß am Fenster und blickte schweigend in die Gegend hinaus, über die der Staub in dichten Wolken wirbelte. Resedilla saß am anderen Fenster und nähte an einem roten Busentuch, das eine der Mägde zum Geschenk erhalten sollte.

Da begann der Vater an der Fensterscheibe zu trommeln. Dies war ein sicheres Zeichen seiner schlechten Laune, und wenn er an dieser litt, so bekam Resedilla die bekannten Vorwürfe zu hören, aus denen sie sich aber nicht viel machte. Es gab ihr vielmehr Spaß zu beobachten, mit welchen wunderbaren Einleitungen und Sprüngen er immer wieder auf das Heiratsthema kam.

»Fürchterlicher Wind!« brummte er verdrießlich.

Sie antwortete nicht; darum fügte er nach einer Weile hinzu:

»Fast ein Sturm!«

Sie zog auch jetzt noch vor, zu schweigen; da richtete er die direkte Frage an sie:

»Nicht wahr, Resedilla?« – »Ja«, antwortete sie einsilbig. – »Ja? Was denn?« fragte er, aufgebracht über die Kürze ihrer Antwort. – »Nun, fürchterlicher Sturm.« – »Gut! Und ebenso fürchterlicher Staub!«

Resedilla antwortete abermals nicht; nun wandte er ihr das Gesicht zu und sagte:

»Wenn du dir kein besseres Mundwerk anschaffst, wie willst du denn da mit deinem Mann auskommen, wenn du einmal heiratest?« – »Eine schweigsame Frau ist besser als eine Plaudertasche!« antwortete sie.

Pirnero hustete einige Male. Er fühlte sich geschlagen und war verlegen um die Fortsetzung des Gespräches. Endlich fing er nach einer Weile abermals an:

»Außerordentlicher Wind! Unendlicher Sturm!«

Sie hielte diese geistreiche Bemerkung keiner abermaligen Antwort für wert.

Er schüttelte den Kopf, trommelte an die Scheibe und sagte:

»Und kein einziger Gast da!«

Da sie auch hierauf keine Antwort hatte, drehte er sich ihr wieder zu und fragte:

»Habe ich etwa nicht recht? Oder siehst du etwa einen Gast hier in der Stube?« – »Hältst du mich etwa für blind?« lachte sie jetzt. – »Na also! Kein Gast, gar keiner! Das ist schlimm für ein Mädchen, das sich nach einem Mann umzusehen hat! Oder hast du etwa bereits…« – »Nein«, antwortete sie abweisend. – »Nicht? Warum nicht?« – »Ich mag keinen!« – »Keinen! Hm! Dummheit! Ein Mann ist für ein Mädchen das, was für einen Schuh die Sohle ist.« – »Man muß auf ihn treten, nicht?« lachte sie. – »Dummheit! Ich meine, man kann ohne ihn nicht laufen.«

Aber trotz seiner Rechtfertigung fühlte er doch den Stich, den er erhalten hatte. Das wurmte ihn, und er sann darüber nach, wie er von neuem auf eine unbemerkte Weise auf sein Thema kommen könne, als ein Holzriegel draußen herabfiel, den der Sturm vom Dach gerissen hatte.

»Hast du es gesehen?« fragte er. – »Was?« – »Den Riegel da draußen!« – »Ja.« – »Nun ist ein Loch im Dach. Wer muß es reparieren, he? Ich allein!« – »Wer sonst? Doch wohl nicht ich?« – »Du? Dummheit! Der Schwiegersohn! Denn seine Pflicht ist es, auf Ordnung zu sehen. Wo kein Schwiegersohn ist, da ist keine Ordnung. Verstanden?«

Der gute Papa Pirnero war ein wenig sparsam, und der kleine Schaden, den ihm der Sturm verursacht hatte, ärgerte ihn. Wenn etwas Derartiges vorlag, dann wurde er doppelt redselig und sprach auch von Dingen, über die er sonst gewöhnlich Schweigen zu beobachten pflegte. Darum fuhr er jetzt fort:

»Aber ein ordentlicher Schwiegersohn muß es sein! Nicht so ein abgerissener und zerlumpter wie der lange Kerl, der jetzt zuweilen kommt!«

Pirnero bemerkte gar nicht, daß ein leichtes Rot die Wangen der Tochter überflog. Dieser zerlumpte Kerl schien ihr denn doch nicht so ganz gleichgültig zu sein.

»Du weißt doch, wen ich meine?« fragte der Vater. – »Ja«, antwortete sie. – »Nun also, den nicht, den bringst du mir nicht. Ich bin Ambition gewöhnt, schon von meinen seligen Eltern her. Weißt du, was mein Vater war?« – »Ja. Schornsteinfeger.« – »Gut. Das sind Leute, die hoch hinaus müssen. Und mein Großvater?« – »Meerrettichhändler.« – »Schön! Du siehst also ein, daß schon in ihm das Spekulationstalent gesteckt hat, durch das ich zum reichen Mann geworden bin. Man kann eine Tochter gar nicht genug an eine solche Abstammung erinnern, das Vaterland und die Vaterstadt mit eingerechnet. Oder hast du etwa vergessen, aus welchem Land ich bin?« – »Nein«, sagte sie, das Lachen verbeißend. – »Nun?« – »Aus Sachsen.« – »Ja, aus Sachsen, wo die schönen Mädchen wachsen. So schöne gibt‘s nirgends, aber heiraten müssen sie, sonst werden sie schimmelig. Verstanden? Auch du bist nicht weit vom Stamm gefallen. Ich war ein hübscher Kerl, schon von meiner Mutter und Großmutter her, und darum kannst du dich auch sehen lassen, das liegt so in der Natur der väterlichen Abstammung zur Tochter hinüber. Darum habe ich dich auch Reseda oder Resedilla genannt Und was meine Vaterstadt betrifft, so kennst du ja wohl ihren Namen?« – »Jawohl.« – »Nun?« – »Pirna.« – »Ja, Pirna. Das ist die schönste Stadt in der ganzen Welt. Sie ist berühmt wegen ihrer schönen Sprache, darum habe ich auch das Spanische so leicht gelernt, denn das Pirnsche und Spanische sind einander sehr verwandt; Pirnaisch und Spanisch ist beinahe egal; das siehst du schon aus dem Namen, den ich hier zu Ehren meiner Vaterstadt angenommen habe: Pirna und Pirnero. Darum hat mich deine Mutter sogleich geheiratet. Du aber magst keinen, ich glaube, selbst dann nicht, wenn er aus Pirna wäre. Wer soll mir da die Dachriegel fest machen, die der Wind herunterreißt!«

 

Der biedere Pirnero hätte in seinem Sermon noch weiter fortgefahren, wenn nicht von draußen Pferdegetrappel zu hören gewesen wäre. Ein Reiter kam herbeigesprengt, sprang aber nicht draußen vor dem Fenster vom Pferd, sondern ritt es in die offene Umzäunung hinein, die sich an der Giebelseite des Hauses befand. Dann erst schritt er an den Fenstern vorüber, um nach der Stube zu kommen. Der Wirt hatte ihn im Vorübergehen bemerkt und sagte jetzt höchst ärgerlich:

»Das ist er, der Lump! Der braucht gar nicht zu kommen, selbst wenn ich keine Gäste habe. So einer soll mir nicht sagen, daß er mein Schwiegersohn werden will!«

Resedilla beugte sich tiefer auf ihre Arbeit hinab, um die Röte ihres Gesichts nicht merken zu lassen, und unterdessen trat der Gast in die Stube.

Er grüßte höflich, setzte sich auf einen der Stühle und verlangte ein Glas Julep, der in den Vereinigten Staaten und deren Grenzgebieten gern getrunken wird.

Der Gast war hoch und stark gebaut, und sein Gesicht war von einem dunklen Vollbart umrahmt. Er mochte bereits ein Stück in die dreißig hinein sein, konnte aber recht gut als bedeutend jünger gelten. Er trug eine sehr fadenscheinige, mexikanische Hose und darüber eine wollene Bluse, die vorn offenstand und die bloße Brust sehen ließ, die er dem Sturmwind geboten hatte. Ein schmaler Ledergürtel ging um seine Hüften. In demselben steckten zwei Revolver und ein Messer. Die Büchse, die er neben sich an den Tisch gelehnt hatte, schien keinen Groschen wert zu sein, wie überhaupt seine ganze Bekleidung einen abgeschabten Eindruck machte. Wer aber in seine kräftigen, etwas melancholischen Züge blickte und sein großes, dunkles Auge sah, der hätte ihn sicher nicht nach diesen Kleidern beurteilt.

Als er jetzt den breitkrempigen Hut auf den Tisch legte, sah man, daß eine tiefe, kaum erst zugeheilte Narbe quer über seine Stirn lief. Doch waren seine Bluse und seine Hose von so frischen Blutflecken beschmutzt, daß man leicht sehen konnte, diese Flecken stammten nicht von der Stirnwunde her.

»Was für Julep wollt Ihr?« fragte der Wirt rauh. »Minze oder Kümmel?« – »Ich bitte, Señor, gebt mir Minze«, lautete die Antwort.

Sie war höflich und bescheiden. Ihr Ton hatte eine eigentümliche Weichheit, fast als ob er irgendeinen Fehler begangen hätte, den er sich verzeihen lassen müsse. Und doch klang diese Stimme so fest wie diejenige eines Mannes, der nicht Lust hat, mehr zu leiden, als er leiden will.

Der Wirt ging hinaus in den Laden und brachte das Verlangte. Dann setzte er sich wieder an das Fenster. Der Gast nippte an dem Branntwein und schien ebenso wie der Wirt seine Aufmerksamkeit durch das Fenster zu konzentrieren; ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerken können, daß sein Blick zuweilen verstohlen hinüber zu dem Mädchen flog, das dann die Augen errötend senkte. Und das war wirklich kein Wunder, denn ein unparteiisches Urteil hätte sicherlich dahin gelautet, daß dieser Mann recht gut geeignet ist, noch selbst das jüngste Mädchenherz zu erobern.

Der Alte fand das lange Schweigen denn doch zu drückend. Er räusperte sich ein wenig und sagte zum dritten Mal, allerdings jetzt zu dem Gast:

»Fürchterlicher Wind!«

Der Fremde antwortete nicht, und erst als der Wirt nach einer weiteren Pause fragte: »Nicht? Was?« lautete die gleichgültige Antwort: »Nicht schlimm.« – »Aber schrecklicher Staub!« – »Pah!« – »Pah? Was meint Ihr? Das soll kein Staub sein?« – »Staub ist es. Aber was tut das?« – »Was das tut? Welche Frage!« rief der Wirt ärgerlich. »Fliegt einem dieser Staub in die Augen, so …« – »So macht man sie zu«, fiel der Fremde ein. – »Zumachen? – Ah, ja, das wird das beste sein.«

Der geistreiche Wirt fühlte sich zum dritten Mal geschlagen, fügte aber hinzu:

»Doch die Kleider, die Kleider werden zu Schanden.« – »So zieht man schlechte an!«

Das war Wasser auf die Mühle des Wirtes. Er machte eine rasche Wendung nach dem verhaßten Gast zu und sagte:

»Ja, die Eurigen sind schlecht genug. Habt Ihr denn keine besseren?« – »Nein.«

Dieses Wort wurde so gleichmütig gesprochen, daß es den Alten empörte. Der Mexikaner hält sehr viel auf sein Äußeres. Er kleidet sich in eine bunte, höchst malerische Tracht, trägt gern schimmernde Waffen und schmückt sein Pferdegeschirr mit goldenen und silbernen Zierraten. Von alledem war bei dem Fremden nichts zu bemerken. Er hatte an seinen groben Stiefeln nicht einmal Sporen, die der Mexikaner stets mit ungeheuren Rädern trägt.

»Warum denn nicht?« fragte der Wirt. – »Sie sind mir zu teuer.« – »Ah, so seid Ihr ein armer Habenichts?« – »Ja«, antwortete der Gefragte gleichmütig. Er bemerkte aber wohl, daß die Tochter unwillig errötete und ihm einen Blick zuwarf, in dem es wie eine Bitte um Verzeihung lag.

Der Wirt bemerkte dies nicht; er fuhr in seinen Fragen fort

»Was seid Ihr denn eigentlich?« – »Jäger.« – »Jäger? Und davon lebt Ihr?« – »Allerdings.«

Der Alte warf ihm einen höchst verächtlichen Blick zu.

»Da sollt Ihr mich dauern«, sagte er stolz. »Wie kann ein Jäger jetzt leben? Es gibt keinen mehr. Ja, früher war es etwas anderes. Da gab es Kerle, vor denen man Respekt haben mußte. Habt Ihr einmal von Bärenherz gehört?« – »Ja, es war ein berühmter Apache.« – »Oder von Büffelstirn?« – »Ja, er war der König der Büffeljäger.« – »Und von Donnerpfeil?« – »Ja, er war ein Deutscher.« – »Mein Landsmann!« sagte der Wirt stolz. »Ich bin nämlich aus Pirna, von woher sie in Dresden die Elbe beziehen. Der größte Jäger aber ist der ›Fürst des Felsens‹ gewesen, der eigentlich auch ein Deutscher war. Er war früher Arzt und hat Sternau geheißen…« – »Sternau«, unterbrach ihn der Fremde schnell. – »Ja, Sternau.« – »Wie lautet sein Vorname?« – »Carlos, Señor Carlos Sternau. Mein Vetter hat mir von ihm erzählt, als ich ihn vor einigen Jahren besuchte.« – »Und wer ist dieser Euer Vetter?« – »Das ist der Señor Pedro Arbellez, Besitzer der Hacienda del Erina.« – »Ist dieser Señor Sternau verheiratet?« – »Ja. Nämlich mit der Gräfin Rosa de Rodriganda.« – »Er ist‘s, er ist‘s; es ist derselbe«, sagte der Jäger für sich, aber so, daß es der Wirt und dessen Tochter hörten. – »Wer ist er? Wer ist ganz derselbe?« fragte der erstere. »Kennt Ihr ihn?« – »Ja, sehr gut.« – »Woher?« – »Er hat meine Schwester aus dem Wasser gezogen.« – »Seht Ihr, was für ein Kerl er ist! Er zieht sogar die Leute aus dem Wasser heraus. Ja, er war ein großer Jäger, wie es keinen wieder gibt. Wir haben jetzt keinen berühmten Wald- oder Prärieläufer mehr, einen höchstens ausgenommen, der soll aber auch ein ganz verteufelter Kerl sein. Habt Ihr von ihm gehört?« – »Wen meint Ihr denn?« – »Den Schwarzen Gerard. Ihr müßt nämlich wissen, daß sich die Waldläufer einander gern beim Vornamen nennen und dann noch irgendeine Bezeichnung dazusetzen. Ich muß Euch das sagen, weil Ihr zwar ein Jäger seid, aber jedenfalls kein solcher, der diese Gebräuche kennt. Dieser Mann heißt Gerard und soll einen schwarzen Bart haben; daher wird er der Schwarze Gerard genannt. Kennt Ihr ihn?« – »Ich habe von ihm gehört.« – »Nun, so werdet Ihr wissen, daß dies der einzig berühmte Kerl ist, den wir jetzt hier an der Grenze haben. Er fürchtet sich vor dem Teufel nicht; sein Schuß geht niemals fehl, und sein Messer trifft stets den richtigen Fleck. Vor so einem Mann muß man Respekt haben. Er hat es besonders auf die Raubbanden in dem Llano estacado abgesehen. Seit er von Norden droben heruntergekommen ist, sind die Wege von ihnen fast gesäubert worden. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken, denn früher fingen sie mir meine Waren zehnmal ab, ehe ich sie einmal bekam. So ein Kerl sollte mein Schwie…« Er besann sich und hielt mitten im Wort inne. In Gegenwart dieses Gastes durfte er unmöglich in seine Lieblingslitanei verfallen. Darum fuhr er fort: »Ich möchte wissen, was für ein Landsmann er ist. Wohl auch ein Deutscher und am Ende gar aus Pirna, denn die Leute dort sind ganz ungeheuer tapfer. Wie hatte denn der Königstein nach Pirna kommen können, wenn sie ihn nicht für sich erobert hätten? Und dies hat ihnen bis jetzt noch niemand nachgemacht. Aus welchem Land seid Ihr denn eigentlich gebürtig?« – »Aus Frankreich«, entgegnete der Jäger. – »O weh! So seid Ihr ein Franzose?« – »Natürlich!« – »So! Hm! Hm! Das ist gut, Señor!«

Pirnero drehte sich schnell um und machte keinen Versuch, das Gespräch fortzusetzen. Es war klar, daß die Franzosen aus irgendeinem Grund bei ihm in Mißkredit standen. Nach einer Pause erhob er sich und verließ das Zimmer, gab aber vorher seiner Tochter einen Wink, ihm zu folgen. Sie gehorchte und fand ihn in der Vorratskammer.

»Du«, sagte er, »hast du gehört, was er ist?« – »Ja, ein Franzose«, antwortete sie. – »So maß ich dich warnen.« – »Warum?« – »Das darf ich dir nicht sagen, aber da das Schweigen gefährlich werden könnte, so muß ich mit dir darüber reden. Weißt du, daß uns die Franzosen einen deutschen oder vielmehr einen österreichischen Prinzen herübergebracht haben, der Kaiser von Mexiko werden soll?« – »Warum sollte ich dies nicht wissen, man spricht doch überall davon.« – »Nun, so will ich dir sagen, daß die Österreicher alle gute Kerle sind. Sie rechnen zwar nach Gulden, die bloß siebzehn Groschen gelten, aber mich gehen die übrigen drei Groschen ja gar nichts an. In Pirna ist man nobel. Ich habe gegen die Österreicher gar nichts, und dieser Prinz Max soll ein guter Mensch sein. Den Mexikanern gefällt es jedoch nicht, daß er sich von den Franzosen bringen läßt, und darum wollen sie von ihm nichts wissen. Sie sagen, der Napoleon sei ein Lügner, er werde seine Versprechungen nicht erfüllen und auch den Prinzen Max später sitzenlassen. Sie wollen keinen Kaiser haben, sie wollen einen Präsidenten, und der soll Juarez sein.« – »Der jetzt in Paso del Norte ist?« – »Ja. Die Franzosen wollen ihn daher gern fangen. Sie haben bereits das ganze Land besetzt und ihn in Chihuahua beinahe ergriffen. Er ist ihnen aber glücklich nach Paso del Norte entkommen. So weit zur Indianergrenze wagen jene sich zwar nicht herauf, aber man spricht davon, daß sie ein Streifkorps absenden wollen, um ihn aufzuheben. Darum muß man vorsichtig sein und sich vor jedem Franzosen hüten.« – »Du doch nicht. Was geht dich Juarez an?« – »Oh, sehr viel«, antwortete er mit wichtiger Miene, »ich habe es dir bisher verschwiegen, daß ich eine außerordentliche Begabung für Politik habe.« – »Du?« unterbrach sie ihn im höchsten Grad erstaunt. – »Ja, ich. Alle Leute in Pirna sind groß in Politik. Das haben wir noch vom Finkenfang bei Maxen her. Ich habe drüben in Präsidio noch einige Ländereien, und weil ich daselbst eine Stimme besitze, so ist es mir nicht gleichgültig, ob wir den Prinzen Max bekommen oder den Juarez. Der Max ist gut, aber er kann sich unmöglich halten. Er hängt von den Franzosen ab. Der Napoleon hat, um ein mexikanisches Kaiserreich zu gründen, zwei Anleihen gemacht; davon ließ er Mexiko lumpige vierzig Millionen zukommen, fünfhundert Millionen aber hat er für Frankreich selbst behalten. Das ist der offenbarste Betrug, und der arme Max weiß sich nun keinen Rat. Juarez hingegen kennt unser Land; er will nichts von den Franzosen wissen, und darum wollen wir ihn. Dazu gehört aber Geld. Darum hat er zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gesandt, um sich mit ihm zu verbinden und eine Anleihe zu machen. Vor einigen Tagen nun ist der Bote zurückgekehrt und hat die Nachricht gebracht, daß die Staaten von einem mexikanischen Kaiser, den der Franzose bringt, nichts wissen wollen und uns dreißig Millionen Dollar bewilligt haben. Einige Millionen sind bereits unterwegs. Sie sollen durch die Llano estacado zu Juarez transportiert werden. Davon aber haben die Franzosen Wind bekommen, und es ist wahrscheinlich, daß sie den Geldtransport überfallen wollen. Er kommt in schleunigen Tagemärschen heran. Im Fall der Not soll er, wenn es unmöglich ist, ihn weiterzubringen, hierher nach Fort Guadeloupe geschafft und in unserem Haus einstweilen versteckt werden. Deshalb wird Juarez eine stärkere Besatzung herlegen, deshalb haben wir aber auch die Franzosen doppelt zu fürchten. Sie werden Kundschafter senden, um uns auszuhorchen, und ich ahne, daß der Kerl, der jetzt drin sitzt, ein solcher Spion ist. Er spricht nur wenig und verwendet keinen Blick vom Fenster, um ja genau zu sehen, was draußen vorgeht. Nicht einmal dich sieht er an.«

Resedilla wußte dies besser; sie hütete sich aber, es zu verraten.

»Ich glaube nicht, daß er das Auge eines Spions hat«, meinte sie. – »Nicht? Da irrst du! Nun muß du aber wissen, daß man es einem Diplomaten gleich ansieht, was für ein großer Mann er ist. Darum will ich mich lieber vor diesem Franzosen gar nicht sehen lassen. Er könnte es meiner Miene ansehen, daß ich zur großen Schule gehöre, und Verdacht schöpfen. Darum sollst du allein ihn bedienen. Aber ich bitte dich um des Himmels willen, laß dir nicht merken, daß ich ein Anhänger von Juarez bin.«

 

Resedilla unterdrückte ein Lächeln und antwortete:

»Habe keine Sorge! Ich habe von dir eine diplomatische Ader. Er soll mich nicht fangen.« – »Ja, ich glaube selbst, daß du diese Ader hast. Das ist die Erbschaft vom Vater auf die Tochter, ohne daß man weiß, woher es eigentlich kommt. Also kehre in die Schenkstube zurück und mache deine Sache gut. Sei sogar etwas liebenswürdig mit ihm, um ihn kirrezumachen. Ein guter Diplomat muß seine Feinde mit dem Lächeln fangen, ich kenne das von Pirna her!«