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Waldröschen IX. Erkämpftes Glück. Teil 2

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Waldröschen IX. Erkämpftes Glück. Teil 2
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1. Kapitel

Endlich, nach so langer Zeit, wandert der freundliche Leser wieder einmal nach Spanien, und zwar nach jenem Dorf, wo unsere vielbewegte Erzählung begonnen hat.

Dort, im Wald von Rodriganda, lagerte eine Zigeunerbande, alt und jung bunt durcheinander. Die Älteste aber lag unter einer Art von Zelt, damit sie am Tag von der Sonnenglut und des Nachts von der fühlbaren Kühle nicht so viel zu leiden habe, eine Zartheit, die bei Zigeunern selten zu sein pflegt.

Diese Alte war Zarba, die Königin der Gitanos, die einstige, blühende Schönheit, die Rose Zingarita, die Cortejo vom Stamm gebrochen und dann fortgeworfen hatte.

Es war gegen Abend. Die Altmutter lag in tiefem Schlummer. Daher beobachtete man im Lager eine ungewöhnliche Ruhe. Infolge dieser Stille waren die Tritte eines Pferdes, das den Weg durch den Wald suchte, leichter zu vernehmen.

Alle lauschten. Die Tritte näherten sich. Bald wurde ein Reiter sichtbar, der auf ungesatteltem Pferd ohne Bügel saß und einen einfachen Strick als Zügel hatte. Alle sprangen auf. Sie kannten ihn.

»Jarko«, rief es rundum so laut, daß die Ältermutter erwachte. Sie erhob sich vom Lager und steckte den Kopf zum Zelt heraus. Sofort wurde es im Kreis der anderen ruhig.

Welch eigentümliches Gesicht war es doch, dem solche Ehrerbietung erwiesen wurde! War das wirklich jene Zarba, deren berauschende Schönheit solches Aufsehen erregt hatte? Falte legte sich an Falte, tief und breit, lederfarben und auch lederhart. Die Nase bog sich weit nach unten, die Zähne waren verschwunden, daher war die Mundgegend tief eingefallen, und so schien es, als ob das Kinn eine sehr energische Anstrengung machte, mit der Nasenspitze zusammenzustoßen.

Aber die Augen waren nicht alt geworden. Sie besaßen noch die ganze Glut und Schärfe der Jugend; in ihnen konnte es noch leuchtend aufflammen, in Liebe oder in Haß, ganz wie es kam.

»Jarko!« rief sie.

Der soeben Angekommene, der inzwischen vom Pferd gesprungen war, trat näher zu ihr heran.

»Setze dich, mein Sohn!« sagte sie. »Du bist sehr lange fern gewesen. Jetzt endlich bringst du mir Nachricht. Ich werde fragen, und du sollst mir antworten. Oder bist du müde? Hast du Hunger oder Durst, mein Sohn?«

Der Zigeuner schüttelte verächtlich den Kopf.

»Müdigkeit? Hunger oder Durst?« fragte er. »Was ficht das den Gitano an! Frage, Mutter, damit ich dir antworten kann!« – »So sage mir, ob du Deutschland glücklich erreicht hast.« – »Ich war in diesem Land.« – »Auch an dem Ort, nach dem ich dich sandte?« – »Auf dem Schloß Rheinswalden? Ja, da war ich auch.« – »So ist mein Wunsch erfüllt. Lebt Tombi noch?« – »Er lebt noch, ist gesund und freut sich seines Lebens.« – »Hast du nicht gesehen einen alten Mann, der krank in seinem Geist ist?« – »Ich habe ihn gesehen. Er spricht stets, daß er der gute, treue Alimpo sei. Man sagt, dieser Mann sei der eigentliche Graf de Rodriganda.« – »Was er ist, das geht dich nichts an. Welche Personen hast du noch dort gefunden?« – »Den Herzog von Olsunna.« – »Ich kenne ihn.« – »Die Herzogin, seine Frau.« – »Sie war meine Freundin.« – »Frau Rosa Sternau, die Tochter der Rodriganda.« – »Sie war die Wonne ihres Gatten. Gott hat ihn sterben lassen.« – »Ihr Töchterlein Rosa, genannt Waldröschen.« – »Ich habe sie als Kind gesehen und ihr die Hände auf das Haupt gelegt. Ist sie schön geworden?« – »Schöner als die Röte des Morgens.« – »Und gut?« – »Ihr Herz kennt nichts als Güte allein.« – »Gott wird sie segnen. Wen hast du noch gesehen?« – »Einen Offizier, der Kurt genannt wird. Er ist jung, aber er wird schnell ein großer Mann werden.« – »Er ist der Sohn des Steuermannes. Ich habe in den Sternen gelesen, daß ihm keine seiner Leuchten untergehen wird.« – »Sodann habe ich gesehen den alten Rodenstein.« – »Der Rodensteiner ist wie der Stein, der aus dem Feld gerodet wird. Er hat keinen Glanz und keine Politur und verwittert langsam.« – »Seinen Sohn, den Maler, und seines Sohnes Frau, die Herzogstochter.« – »Es sind zwei Herzen, die fest zusammenwuchsen, sie werden sich niemals fremd werden.« – »Sodann bekam ich von Tombi, deinem Sohn, einen Brief für dich.« – »Einen Brief? Gib ihn her! Der Gitano versteht nicht, einen Brief zu schreiben. Aber was er einmal schreibt, das wird von seinen Brüdern und Schwestern gelesen. Meine Augen sind noch scharf genug, die Worte zu sehen, die mir mein Sohn sendet, der der Sohn meines größten Feindes ist.«

Der Zigeuner gab Zarba ein Blatt Papier, worauf mehrere Zeilen mit schlechter Feder und noch schlechterer Tinte geschrieben waren. Dieses Blatt war in einen Leinwandlappen gewickelt gewesen. Sie verstand dennoch das undeutlich Geschriebene und las folgende Apostrophen:

Mutter.

Brief von Frau Sternau. Lebt noch. Auch Steuermann. Graf Ferdinando. Auch alle anderen. Sind in Mexiko. Ferdinando von Cortejo Pablo Gift. Scheintot. Schiff geschafft. Sklave geworden. Landola getan. Die anderen von Landola auf Schiff. Gefangen. Sollte sie töten. Schaffte sie auf eine wüste Insel. Sechzehn Jahre. Gerettet. Kommen bald nach Hause. Große Freude in Rheinswalden und Rodriganda. Rache bald und groß.

Sohn Tombi.«

Man sieht, daß dieser Brief ein früheres Datum hatte. Er war vor Geierschnabels Ankunft geschrieben, also zu einer Zeit, in der man noch nicht wußte, daß die Geretteten wieder verschwunden seien.

Zarba saß lange Zeit in tiefe Gedanken versunken. Dann barg sie den Brief in der Tasche des alten Gewandes und kam aus dem Zelt hervor. Sie steckte einen Dolch zu sich und entfernte sich aus dem Lager, ohne den Ihrigen ein Wort der Erklärung zu geben.

Ihre Schritte waren zwar langsam, aber fest und sicher. Sie schien, trotzdem es Winter war, nicht im geringsten zu frieren. War es vielleicht eine seelische Potenz, die ihr diese Wärme, diese Kraft erteilte?

Sie schritt geradewegs auf Schloß Rodriganda zu. Als sie das Portal erreichte, stand ein Diener unter demselben.

»Was willst du, Hexe?« fragte er.

Zarba antwortete nicht, sondern schritt an ihm vorüber. Da erfaßte er sie beim Arm und wiederholte:

»Was du willst, Hexe, habe ich gefragt!«

Sie blickte ihn ruhig an und antwortete:

»Weißt du nicht, daß ich hier stets Zutritt habe?« – »Ich weiß es. Aber sage mir, zu wem du willst.« – »Ist Graf Alfonzo da?« – »Nein.« – »Señor Cortejo?« – »Ja.« – »Schwester Clarissa?« – »Ja.« – »Wo befinden sich diese beiden?« – »Im Zimmer Cortejos.«

Zarba wußte sehr gut Bescheid im Schloß. Sie stieg also die beiden Treppen empor, horchte an der betreffenden Tür, und als sie hinter derselben eine männliche und eine weibliche Stimme vernahm, klopfte sie an. Drin erscholl der Ruf, und sie trat ein.

Cortejo saß mit Schwester Clarissa auf dem Sofa. Sie hatten auf dem Tisch vor sich ein höchst splendides Abendmahl stehen. Beider Züge verfinsterten sich, als sie bemerkten, daß Zarba die Eintretende sei.

»Was willst du?« fragte Cortejo barsch. – »Mich an deinem Feuer wärmen«, antwortete sie, indem sie die Achseln zusammenzog, wie jemand, den sehr friert, und sich an den prächtigen Marmorkamin kuschelte. – »Dich wärmen? Geh in den Wald zu den Deinen! Brenne dir dort ein Feuer an!« – »Im Schloß bei den Meinen ist es besser als im Wald.«

Cortejo blickte Zarba erstaunt an. Was hatte sie nur? Diese Zigeunerin besaß eine Macht, der er nicht gewachsen war. Sie wußte einiges aus seinem Leben. Daß sie noch mehr, daß sie alles wußte, ahnte er gar nicht. Wie oft hatte er ihren Tod gewünscht! Er hätte sich kein Gewissen daraus gemacht, sie zu töten, aber ein geheimnisvolles Etwas hatte ihn immer von der Ausführung dieses Gedankens abgehalten.

»Wen hättest du im Schloß, die du ›die Deinen‹ nennen könntest?« fragte Schwester Clarissa in stolzem, höhnischem Ton. – »Dich nicht«, antwortete die Gefragte.

Da brauste die Schwester auf.

»Weib!« rief sie. »Wagst du, mich du zu heißen! Mißbrauche unsere Geduld nicht auf solche Weise!« – »Was bist du anderes als ich?« fragte die Zigeunerin.

Clarissa antwortete nicht, aber sie wandte sich an Cortejo und rief:

»Schaffe diese Vagabundin fort! Auf der Stelle!«

Cortejo mußte gehorchen; er gebot der Zigeunerin:

»Gehe hinab und wärme dich beim Gesinde! Bei uns ist kein Raum für dich!«

Da war es, als ob der Körper Zarbas höher und breiter werde. Sie richtete sich empor, lehnte sich an den Kamin, verschränkte die Arme über der Brust und erwiderte mit Nachdruck:

»Zarba wird sich da wärmen, wo es ihr beliebt. Dieses Weib hat dir einen Sohn geboren, der noch lebt. Auch ich gab dir einen Sohn, der lebt. Wer ist mehr, sie oder ich? Freilich ist mein Sohn ein armer Gitano, während der ihrige jetzt Graf von Rodriganda ist.«

Die beiden erschraken so, daß ihnen das Blut in den Adern stockte. Erst nach längerer Pause sagte Cortejo:

»Zarba, um Gottes willen, was fällt dir ein! Du phantasierst!«

Sie zuckte die Achsel und antwortete:

»Wohl wäre es kein Wunder, wenn mir die Sinne verlorengegangen wären, aber Gott hat sie mir erhalten, damit es eine Anklägerin gebe, wenn die Zeit des Gerichtes über euch gekommen ist.«

Schwester Clarissa fuhr sich mit dem Riechfläschchen an die Nase.

»Dieses Weib ist wirklich wahnsinnig, oder es träumt ihm nur!« rief sie aus. – »Frevle nicht!« gebot Zarba. »Es wird für euch die Stunde kommen, wo der Wahnsinn für euch eine Wohltat wäre. Ihr werdet heulen und mit den Zähnen klappern, daß die Teufel gezwungen sein werden, Mitleid mit euch zu haben!«

Cortejo wußte nicht, was er denken und sagen sollte. Zarba, seine einstige Geliebte, seine Mitschuldige in so vielen Fällen, trat jetzt in dieser Weise gegen ihn auf? Was hatte das zu bedeuten? Er starrte sie lange an, und endlich fragte er:

»Was willst du denn eigentlich von uns?« – »Nur mich wärmen«, antwortete sie. »Wenn aber dieses Weib mich hinausweist, weil es denkt, mehr zu sein als ich, so zeige ich ihm, daß ich gleiche Rechte mit ihm habe. Ich verlange von dir für meinen Sohn eine Grafschaft, ebenso wie der ihrige eine erhalten hat.« – »Was redest du von meinen Söhnen?« – »Schweige!« erwiderte Zarba gebieterisch. »Wir beleidigen uns nicht, wenn wir gegenseitig die Wahrheit gestehen. Zarba ist mächtiger als du. Sie kann erretten und verderben.« – »Du irrst«, antwortete er. »Es kostet mich ein Wort, so bist du verloren!«

 

Cortejo hatte sich zusammengerafft. Er wollte nun diese Vagabundin loswerden. Vor Clarissa hatte er kein Geheimnis, er konnte mit der Zigeunerin ganz ohne Furcht sprechen.

»Sprich dieses Wort!« gebot sie ihm. – »Ich will dich nicht sehen, nicht hören; es soll sein, als ob du gestorben seiest. Gehst du mit darauf ein, so werde ich schweigen. Fährst du aber fort, Schloß Rodriganda zu besuchen, als ob du hereingehörtest, so übergebe ich dich der Gerechtigkeit.« – »Du?« fragte Zarba, indem sie leise in sich hineinkicherte. »Sage nur ein Wort von mir, so geht dein Kopf verloren!« – »Oho!« meinte er. »Denkst du der Nacht, als Graf Emanuel verschwand? Er lag krank. Da kamen Zigeuner durch die hintere Tür. Sie würgten ihn, trugen ihn fort, und am anderen Morgen fand man ihn in der Tiefe des Abgrundes. Kennst du die Zigeuner, die dies taten? Kennst du die Anführerin, die ihnen befohlen hatte, dies zu tun?« – »Ich kenne sie«, entgegnete Zarba ruhig. »Aber kennst du auch den, der dies von ihr bestellte und sie dafür bezahlte? Kennst du die fromme Schwester, mit der er den Streich beraten hatte?« – »Pah!« meinte Cortejo. »Wer kann mir etwas beweisen?« – »Und wer mir?« fragte sie. – »Ich«, antwortete er. »Ich beschwöre es. Du aber hättest gegen mich keinen Schwur. Du bist Zigeunerin.« – »Ich würde deines Schwures lachen.« – »Prahlerin! Mörderin! Das Blut Don Emanuels klebt an deinen Händen!«

Zarba lächelte wieder heimlich in sich hinein und erwiderte:

»Um zu beweisen, wer sein Mörder ist, müßte man erst nachweisen, wer ihn erblinden lassen wollte und ihm und seiner Tochter Gift eingab, um sie wahnsinnig zu machen; aber das ist nicht nötig. Ich lache eurer doch. Erinnerst du dich noch jenes deutschen Doktors Sternau, der den Grafen operierte?« – »Er war ein Scharlatan, der längst untergegangen ist.« – »Er war weder ein Scharlatan, noch ist er untergegangen. Daß er kein Scharlatan sei, bewies er, als die Leiche des Grafen aufgehoben wurde, indem er behauptete, es sei gar nicht die Leiche des Grafen.« – »Sie war es aber doch.« – »Nein, sie war es nicht. Sternau war ein gescheiter Arzt, und ich war keine Mörderin. Ich sollte den Grafen töten, aber ich holte ihn nur von euch fort, um sein Leben sicherzustellen, und ließ ihn nach einem Ort schaffen, wo er nicht zu finden war.«

Die beiden Zuhörer waren totenbleich geworden. Cortejo war vor Schreck emporgefahren, Clarissa aber niedergesunken.

»Lüge, Lüge!« rief der erstere. »Man fand ja die Leiche!« – »Das war der Körper eines am Tag vorher begrabenen Mannes. Ich ließ ihn ausgraben, zog ihm die Kleidung des Grafen an und stürzte ihn zum Felsen hinab; er wurde so zerschmettert, daß eine Täuschung sehr wahrscheinlich war.« – »Weib, Teufel, du lügst!« rief Cortejo. – »Glaube das immerhin. Aber Graf Emanuel lebt noch.« – »Wo hättest du ihn?« – »Da, wohin du nicht kommen kannst. Ferner nanntest du jenen Sternau untergegangen. Auch darin irrst du. Sternau lebt.«

Cortejo blickte Zarba überlegen an und antwortete:

»Er ist tot. Das weiß ich sehr genau.« – »Meinst du?« fragte sie, abermals in sich hineinlachend. »So ist wohl auch Graf Ferdinando tot?« – »Ja.« – »Und Mariano, der echte Rodriganda?« – »Den kenne ich nicht. Sie alle sind tot, während eines Schiffbruchs untergegangen.«

Zarba trat einen Schritt näher und meinte:

»Gasparino Cortejo, du irrst abermals. Henrico Landola hat euch ebenso schlecht bedient wie ich.« – »Was sagst du? Ich verstehe dich nicht.« – »Du sollst mich sogleich verstehen. Landola traute dir niemals. Er wollte eine Waffe gegen dich behalten, darum tötete er diejenigen nicht, die er töten sollte, sondern setzte sie auf einer wüsten Insel aus. Sechzehn Jahre waren sie dort, bis es ihnen kürzlich gelang, zu entkommen.«

Cortejo wußte nicht, was er denken sollte. Selbst wenn Zarba jetzt log, mußte sie sich doch im Besitz von Geheimnissen befinden, die er bisher für sein ausschließliches Eigentum gehalten hatte. Und was sie erzählte, das war diesem Landola zuzutrauen. Wie nun, wenn sie die Wahrheit sagte?

Es wurde ihm ganz schwindlig, und auch Clarissa ließ ein leises Stöhnen hören, das sie nicht zu unterdrücken vermochte. Sie schien also ganz seine eigenen Gedanken und Gefühle zu haben. Cortejo raffte sich jedoch zusammen und sagte in höhnischem Ton:

»Du erfindest sehr gut, Alte! Werde Kinderwärterin, es wird dir da nicht schwer werden, Ammenmärchen zu ersinnen.«

Zarba lachte überlegen auf und antwortete:

»Das spricht nur deine Angst, ich höre und sehe es dir an! Ich will dir aber noch mehr sagen. Ihr hielt Don Emanuel für tot, nun sollte auch Don Ferdinando sterben, damit dein Sohn das ganze Erbe empfange. Es wurde ihm ein Gift eingegeben, aber dieses Gift tötete nicht, sondern machte nur starrkrämpfig. Don Ferdinando starb, wurde beerdigt, aber bald wieder ausgegraben und von Landola in die Sklaverei geschafft. Auch er hat sich gerettet und lebt. Sie alle, Sternau, Ferdinando und Mariano sind in Mexiko.« – »Beweise es!« – »Meine Boten und Quellen brauchst du nicht zu kennen. Aber ich sage dir, daß es wahr ist.« – »Und wenn es wahr ist, warum sagst du mir es, Hexe?« fragte Cortejo wütend. »Etwa um mich zur Vorsicht zu mahnen, etwa um mir Zeit zu geben, mich zu retten?« – »Nein, denn zu retten bist du nicht«, hohnlachte Zarba. »Ich sage es dir nur, um mich an deiner Qual zu weiden. Du sollst das alles eher erfahren, um die Angst desto länger zu tragen.« – »Satan!« rief er. – »Teufel« antwortete sie. – »Es ist doch alles erlogen. Ich glaube dir kein Wort.«

Da klopfte es leise an, und der Diener, der vorhin am Portal gestanden hatte, trat ein. Er brachte mehrere Briefe, die vom Boten abgegeben worden waren. Als er sich entfernt hatte, betrachtete Cortejo die Kuverts.

»Aus Mexiko!« entfuhr es ihm beim Anblick eines der Briefe. – »Lies ihn!« gebot Zarba. »Vielleicht weißt du dann, ob ich dich belogen habe oder ob ich die Wahrheit sagte.«

Cortejo öffnete halb vorsätzlich und halb unwillkürlich das Kuvert und faltete das innenliegende Papier auseinander. Er las es. Seine Blicke wurden starr, er stieß einen tiefen, schweren Seufzer aus und sank auf das Kissen des Sofas zurück.

Schwester Clarissa konnte ihre Neugierde nicht besiegen. Sie nahm den Brief aus seiner Hand und las nun folgende Zeilen:

»Lieber Oheim!

In aller Eile schreibe ich Dir von der Hacienda del Erina aus, denn es hat sich Wichtiges oder vielmehr Schreckliches zugetragen. Landola hat uns betrogen. Die, die er töten sollte, leben alle. Auch die Nebenpersonen kennst Du aus unseren Briefen. Er hat sie auf einer einsamen Insel ausgesetzt, von der sie nun entkommen sind. Sie befinden sich in Fort Guadeloupe bei unserem Feind Juarez. Ich nenne Dir Sternau, Mariano, zwei Helmers, Büffelstirn, Bärenherz, Emma Arbellez und Karja. Auch Don Ferdinando ist bei ihnen; er ist nicht tot, sondern er lebt. Vater ist nicht da, und ich bin krank. Ich sandte ihm diese Nachricht nach, damit er Maßregeln ergreifen könne. Gelingt es uns nicht, die Genannten abermals in unsere Hände zu bringen, so sind wir unbedingt verloren. In größter Sorge Deine Nichte

Josefa.«

Der frommen Schwester sank die Hand mit dem Brief nieder. Zarba aber hustete herausfordernd und sagte:

»Nicht wahr, meine Nachricht bestätigt sich? Ich sehe es euch an!«

Da fuhr Cortejo empor.

»Schweig, Weib, sonst stopfe ich dir den Mund. Setze dir noch so viele Unwahrheiten zusammen, aber niemals wirst du deine Behauptung beweisen können, daß Graf Alfonzo ein falscher Rodriganda sei.« – »Meinst du?« lachte sie höhnisch. »Du irrst gewaltig, Gasparino Cortejo! Zunächst kann man dir beweisen, daß Mariano der echte Rodriganda ist. Der Räuber hat ihn nicht getötet. Und frage doch einmal deinen Sohn, den falschen Grafen, was ihm in Paris von einem Garotteur abgenommen wurde.« – »In Paris? Von einem Garotteur? Davon weiß ich nichts. Was sollte das gewesen sein?« – »Ich will es dir sagen. Es gibt Leute, die aus Gedächtnisschwäche oder anderen Ursachen alles aufschreiben, was sie tun oder was mit ihnen passiert. Diese Unvorsichtigen denken nie daran, daß ihre Aufzeichnungen in falsche Hände kommen können; ein solcher Schwachkopf ist dein Sohn. Er hat alle eure Geheimnisse notiert, und dieses Notizbuch wurde ihm von einem Garotteur abgenommen. Ich kenne den Inhalt Wort für Wort.« – »Himmel und Hölle, wer hat dieses Buch?« rief Cortejo, von dem Sofa auffahrend und auf die Zigeunerin zutretend. – »Das brauchst du nicht zu wissen.« – »Ah, du wirst es mir dennoch sagen! Ich lasse dich nicht eher fort, als bis du es gestanden hast.« – »Warte, ob es mir beliebt.« – »Nein, ich warte keinen Augenblick. Heraus damit.«

Cortejo faßte die Zigeunerin am Arm, stieß aber im nächsten Augenblick einen Schmerzensschrei aus. Zarba hatte ihren kleinen Dolch gezogen und ihm in die Hand gestoßen. Zugleich hatte sie mit der Geschwindigkeit eines Wiesels das Zimmer verlassen. Ehe Cortejo sie erreichen konnte, hatte sie hinter den Bäumen des Parks Schutz gefunden.

»Verdammte Schlange! Sticht wie eine Natter!« zürnte Cortejo, die Hand betrachtend. – »Bist du schwer verwundet, mein Lieber?« fragte Clarissa. – »Nein, der Stich ging zwischen zwei Fingern hindurch. Nicht der Rede wert. Aber desto mehr Stiche hat sie uns mit ihrer Zunge versetzt.« – »Es gilt uns vorzusehen, lieber Gasparino. Laß uns die einzelnen Punkte überlegen. Vorher aber sage einmal aufrichtig, ob es wirklich wahr ist von dem – Sohn.«

Der Gefragte zögerte mit der Antwort, endlich erwiderte er, sich ein Herz fassend:

»Hm, mag sein. Warum aber jetzt an solche Kleinigkeiten denken? Wir haben jetzt ganz andere Sachen zu überlegen. Zunächst Graf Ferdinando; er ist nicht gestorben.« – »Er wurde also nicht vergiftet, nicht getötet.« – »Hm. Wer trägt die Schuld?« – »Dein unvorsichtiger Bruder Pablo. Ich bin nicht klug oder schlecht genug, den Grund zu finden.« – »Ich glaube, ihn zu wissen.« – »Nun?« – »Er hat eine Tochter, und ich habe einen Sohn. Mein Sohn ist Erbe der Grafschaft; er sollte Josefa heiraten, damit das Mädchen teilnehmen könne an unserem Gewinn. Alfonzo mochte nicht. Jetzt fühlten sie sich zurückgesetzt und beschlossen, mir die Daumenschrauben anzulegen. Das war aber nur dann möglich, wenn sie Don Ferdinando nicht töteten, sondern zwar leben ließen, dabei aber unschädlich machten.« – »Das ist allerdings einleuchtend. Man wird sich zu revanchieren wissen. Was denkst du vom Wiedererscheinen der Verschwundenen?« – »Ich glaube es.« – »Ich halte es für einen Kunstgriff der Josefa.« – »Nein. Woher hätte Zarba denselben Gedanken?« – »Können die beiden nicht in Übereinstimmung handeln?« – »Nein. Ich bin überzeugt, daß Landola die ganze Sippschaft hat leben lassen.« – »Aber wozu? Doch zu seinem eigenen Schaden.« – Jetzt, ja, nicht aber sobald es ihnen nicht gelang, zu entkommen. Ich habe ihm seine Dienste reichlich bezahlt; er aber ist ein Mensch und nimmt also so viel wie möglich. Er hatte es in der Hand, die Gefangenen freizugeben; dies war das Rohr, mit dessen Hilfe er mich auspumpen konnte. Ich begreife nur nicht recht, warum er noch nicht damit begonnen hat.« – »Was aber nun tun? Die Wiedererschienenen müssen unbedingt so bald wie möglich verschwinden.« – »Das überlasse ich meinem Bruder. Für mich gibt es zwei Personen, die mir wichtiger sind als alle Sternaus und Marianos.« – »Wer?« – »Zarba und Landola. Ohne das Zeugnis dieser beiden kann uns kein Mensch etwas beweisen.« – »So mußt du diese beiden töten.« – »Die Zigeunerin jedenfalls.« – »Wann?« – »Noch heute. Sie weiß zu viel.« – »Und Landola?« – »Mit ihm müßte ich vorher Rücksprache nehmen. Vielleicht ist es besser, ihn noch so lange leben zu lassen, bis man ihn ausgenützt hat.« – »Befindet er sich noch in Barcelona?« – »Ja, er muß damals in Deutschland eine Unvorsichtigkeit begangen haben, da er sich sogar vor den spanischen Agenten verstecken muß. Dieser Bismarck beginnt den anderen Mächten zu imponieren. Schreiben wir übrigens Alfonzo, daß er uns von Madrid aus besuche. Auch er muß wissen, was geschehen ist und mit darüber verhandeln. Jetzt will ich mich vorbereiten.« – »Wegen Zarba?« – »Ja, und auch wegen Landola. Ich fahre noch in dieser Nacht nach Barcelona. In solchen Dingen kann man nicht schnell genug sein.« – »Aber auch nicht vorsichtig genug. Ich hoffe nicht, daß du dich in irgendeine Gefahr begibst.« – »Fällt mir gar nicht ein. Habe keine Angst.« – »Aber es liegt Schnee. Man wird deine Spur entdecken.« – »Man wird vielleicht eine Spur entdecken, aber die meinige nicht.« Sie trennten sich.