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Von Bagdad nach Stambul

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Von Bagdad nach Stambul
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Erstes Kapitel: Unter Dieben

Im Süden von den großen syrischen und mesopotamischen Wüsteneinöden liegt, vom roten Meere und von dem persischen Golfe umgeben, die Halbinsel Arabien, welche ihre äußerste Kante weit in das stürmereiche arabisch-indische Meer hinein erstreckt.

An drei Seiten ist dieses Land von einem zwar schmalen, aber außerordentlich fruchtbaren Küstensaume eingefaßt, welcher nach innen zu einer weiten, wüsten Hochebene emporsteigt, deren teils trübselige, teils groteske Landschaftsbilder besonders im Osten durch hohe, unwegsame Gebirgsstöcke abgeschlossen werden, zu denen ganz hauptsächlich die öden Berge von Schammar zu zählen sind.

Dieses Land, dessen Quadratmeilenzahl man heute noch nicht genau anzugeben vermag, wurde im Altertum eingeteilt in Arabia peträa, in Arabia deserta und in Arabia felix, zu deutsch: in das peträische, wüste und glückliche Arabien. Wenn noch öfters jetzt gewisse Geographen der Ansicht sind, daß der Ausdruck peträa abzuleiten sei von dem griechisch-lateinischen Worte, das »Stein, Fels« bedeutet, und deshalb diesen Teil des Landes das »steinigte« Arabien nennen, so beruht das auf einer irrtümlichen Auffassung; dieser Name ist vielmehr zurückzuführen auf das alte Petra, das die Hauptstadt dieser nördlichsten Provinz des Landes war. Der Araber nennt seine Heimat Dschesirat el Arab[1], während sie bei den Türken und Persern Arabistan geheißen wird. Die jetzige Einteilung wird verschieden angegeben; die nomadisierenden Einwohner lassen jedoch nur den einzigen Unterschied der Stämme gelten.

Ueber diesem Lande wölbt sich ein ewig heiterer Himmel, von welchem des Nachts die Sterne rein und klar herniederblicken; durch die Bergschluchten und über die zum großen Teile noch unerforschten Wüsten-Ebenen schweift der halbwilde Sohn der Steppe auf prachtvollem Pferde oder auf unermüdlichem Kamele. Sein Auge ist überall, denn er lebt mit aller Welt in Streit und Unfrieden, nur mit den Angehörigen seines Stammes nicht. Von einer Grenze bis zur anderen zieht bald der sanfte Hauch einer reinen, milden, bald der rauschende Odem einer trüben, wilden Poesie, welcher den Wanderer überall umweht, wo er nur immer weilen mag. So kommt es, daß man bereits vor langen Jahrhunderten Hunderte von arabischen Dichtern und Dichterinnen kannte, deren Lieder im Munde des Volkes lebten und die mit Hilfe des Griffels für spätere Zeiten festgehalten wurden.

Als Stammvater der echten Araber oder Joktaniden gilt Joktan, der Sohn Huts, welcher ein Abkömmling Sems im fünften Gliede war, und dessen Nachkommen das glückliche Arabien und die Küste Tehama bis hinab zum persischen Meerbusen bewohnten. Jetzt suchen viele Stämme eine Ehre darin, von Ismaël, dem Sohne Hagars, abzustammen.

Dieser Ismaël soll, wie die Sage berichtet, mit seinem Vater Abraham nach Mekka gekommen sein und dort die heilige Kaaba errichtet haben. Das Wahre aber ist, daß die Kaaba von dem Stamme der Koreïschiten gestiftet oder wenigstens ausgebaut wurde. Unter den Heiligtümern, die sie besaß, waren der Brunnen Zem-Zem und der angeblich vom Himmel gefallene schwarze Stein die berühmtesten.

Hierher pilgerten die verschiedenen Stämme der Araber, um da ihre Stamm- oder auch wohl Haus-Götzen aufzustellen und ihnen ihre Opfer und Gebete darzubringen. Daher war Mekka den Arabern das, was Delphi den Griechen und Jerusalem den Juden gewesen ist; es bildete den Mittelpunkt für die weithin zerstreuten Nomaden, die sich ohne denselben in allen Richtungen verloren hätten.

Da sich dieser hochwichtige Punkt im Besitze der Koreïschiten befand, so war dieser Stamm der mächtigste und angesehenste Arabiens und infolgedessen auch der reichste, weil die von allen Seiten herbeikommenden Pilger nie ohne Geschenke oder wertvolle Handelswaren anzulangen pflegten.

Ein armer Angehöriger dieses Stammes, Namens Abd Allah[2], starb im Jahre 570 nach Christus, und einige Monate später, am 20. April 571, der auf einen Montag fiel, gebar seine Witwe Amina einen Knaben, welcher später Mohammed[3] genannt wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Knabe vorher einen andern Namen getragen hat und erst dann, als seine prophetische Wirksamkeit ihn zu einem hervorragenden Manne machte, den Ehrennamen Mohammed erhielt. Dieser Name wird auch Muhammed, Mohammad und Muhammad geschrieben, und aus Ehrfurcht vor dem Propheten wagt es nie ein Gläubiger, ihn in dieser Fassung zu tragen; das Wort wird dann meist in Mehemmed verwandelt.

Dem Knaben waren von seinem Vater nur zwei Kamele, fünf Schafe und eine abyssinische Sklavin hinterlassen worden, weshalb er sich zunächst auf den Schutz seines Großvaters Abd-al-Muttalib und nach dessen Tode auf die Unterstützung seiner beiden Oheime Zuheir und Abu Taleb angewiesen sah. Da diese Männer aber nicht viel für ihn tun konnten, so mußte er sich sein Brot als Schafhirtenjunge verdienen. Später wurde er Kameltreiber und Bogen- und Köcherträger, wobei sich wahrscheinlich sein kriegerischer Sinn entwickelt hat.

Als er fünfundzwanzig Jahre zählte, trat er in den Dienst der reichen Kaufmannswitwe Chadidscha, der er mit solcher Treue und Aufopferung diente, daß sie ihn lieb gewann und ihn zu ihrem Gemahl machte. Das große Vermögen seiner Frau ging ihm aber später verloren. Er lebte nun bis zu seinem vierzigsten Jahre als Kaufmann und Händler. Er kam auf seinen weiten Reisen mit Juden und Christen, mit Bramahnen und Feueranbetern zusammen und gab sich Mühe, ihre Religionen kennen zu lernen. Er litt an Epilepsie und infolgedessen an einer Verstimmung des Nervensystems, die ihn sehr zu Halluzinationen geneigt machte. Seine religiösen Grübeleien waren der Heilung dieser Krankheit nicht sehr förderlich. Er zog sich schließlich gar in eine Höhle zurück, die in der Nähe von Mekka auf dem Berge Hara lag. Hier hatte er seine ersten Visionen.

Der Kreis der Gläubigen, der sich um ihn versammelte, bestand zunächst nur aus seiner Frau Chadidscha, aus seinem Sklaven Zaïd, aus den beiden Mekkanern Othman und Abu Bekr und aus seinem jungen Vetter Ali, der später den Ehrennamen Areth-Allah[4] erhielt und zu den unglücklichsten Helden des Islam gehört.

Dieser Ali, dessen Name auf deutsch »der Hohe, der Erhabene« bedeutet, war im Jahre 602 geboren und stand bei Muhammed in solchem Ansehen, daß er dessen Tochter Fatime zur Gemahlin erhielt. Als der Prophet im Kreise seiner Familie zum ersten Male seine neuen Glaubenssatzungen vortrug und dann fragte: »Wer unter euch will mein Anhänger sein?« da schwiegen alle; nur der junge Ali, begeistert von der gewaltigen Poesie des soeben gehörten Vortrages, rief in lautem, entschlossenem Tone: »Ich will es sein und nimmer von dir lassen!« Das hat ihm Mohammed niemals vergessen.

Er war ein tapferer, verwegener Kämpfer und hatte großen Teil an der so ungemein schnellen Ausbreitung des Islam. Dennoch wurde er, als Mohammed ohne letztwillige Verfügung starb, übergangen, und man wählte Abu Bekr, den Schwiegervater Mohammeds, zum Kalifen[5]. Diesem folgte im Jahre 634 ein zweiter Schwiegervater des Propheten, namens Omar, welchem wieder Othman, ein Schwiegersohn Mohammeds, nachfolgte. Dieser wurde im Jahre 656 von einem Sohne Abu Bekrs erstochen. Man beschuldigte Ali der Anstiftung dieses Mordes, und als er von seiner Partei erwählt wurde, verweigerten ihm viele von den Statthaltern die Huldigung. Er kämpfte vier Jahre lang um das Kalifat und wurde im Jahre 660 von Abd-er-Rahmann erstochen. Er liegt in Kufa begraben, wo ihm auch ein Denkmal errichtet worden ist.

Von hier an datiert sich die Spaltung, die die Mohammedaner in zwei gegnerische Heerlager, in die Sunniten und die Schiiten, teilt. Diese Spaltung bezieht sich weniger auf die islamitischen Grundsätze als vielmehr auf die Personalfrage der Nachfolgerschaft. Die Anhänger der Schia behaupten nämlich, daß nicht Abu Bekr, Omar und Othman, sondern nur allein Ali das Recht gehabt hätte, der erste Stellvertreter des Propheten zu sein. Die zwischen den beiden Parteien dann ausgebrochenen Streitigkeiten über die Attribute Gottes, das Fatum, die Ewigkeit des Kuran und die einstige Vergeltung sind nicht als so wesentlich zu betrachten.

Ali hinterließ zwei Söhne, Hassan und Hosseïn. Der erstere wurde von den Schiiten zum Kalifen erwählt, während die Anhänger der Sunna Muawijah I¨, den Gründer der Ommajjaden-Dynastie, erkoren. Dieser letztere verlegte seine Residenz nach Damaskus, machte das Kalifat erblich und erzwang bereits zu seinen Lebzeiten die Anerkennung seines Sohnes Dschezid, der sich später als ein solcher Wüterich zeigte, daß sein Andenken selbst von den Sunniten mit Fluch belegt wird. Hassan konnte sich gegen Muawijah nicht behaupten und starb im Jahre 670 in Medinah an Gift.

 

Sein Bruder Hosseïn widersetzte sich der Anerkennung Dschezids. Er ist der Held einer der tragischsten Episoden aus der Geschichte des Islam.

Die Hand des Kalifen Muawijah ruhte schwer auf den Provinzen, und seine Statthalter unterstützten ihn dabei aus allen Kräften. So befahl zum Beispiel Zijad, der Statthalter zu Basra, daß nach Sonnenuntergang sich bei Todesstrafe niemand auf der Straße sehen lassen dürfe. Am Abend nach der Bekanntmachung dieses Befehls wurden über zweihundert Personen außerhalb ihrer Wohnungen angetroffen und unverzüglich geköpft; am nächsten Tage war die Ziffer schon weit geringer, und am dritten Abend war kein einziger Mensch zu sehen. Der grimmigste aller Ommajjaden war Hadjasch, der Statthalter von Kufa, dessen Tyrannei 120 000 Menschen das Leben kostete.

Noch schlimmer als Muawijah zeigte sich sein Sohn Dschezid. Zur Zeit dieses Scheusales hielt sich Hosseïn in Mekka auf, wo er aus Kufa Boten empfing, die ihn aufforderten, zu ihnen zu kommen, da sie ihn als Kalifen anerkennen wollten. Er folgte dem Rufe – zu seinem Verderben.

Mit kaum hundert Getreuen langte er vor Kufa an, fand aber die Stadt bereits von seinen Feinden besetzt. Er verlegte sich auf erfolgloses Unterhandeln. Die Lebensmittel gingen ihm aus; das Wasser vertrocknete in dem Sonnenbrande; seine Tiere stürzten, und seinen Begleitern schaute der blasse Tod aus den eingesunkenen fieberfunkelnden Augen. Er rief vergebens Allah und den Propheten um Hilfe und Rettung an; sein Untergang stand »im Buch verzeichnet«. Obeïd ‚Allah, ein Heerführer Dschezids, drang bei Kerbela auf ihn ein, massakrierte seine ganze Begleitung und ließ auch ihn selbst umbringen. Man fand ihn aus Mangel an Wasser bereits dem Tode nahe; aber man hatte kein Mitleid mit ihm, und er wehrte sich vergebens mit der letzten Kraft seines schwindenden Lebens – man schnitt ihm den Kopf ab, der auf eine Lanze gesteckt und im Triumphe herumgetragen wurde.

Dies geschah am 10¨ Muharrem, und bis auf heute ist dieser Tag bei den Schiiten ein Tag der Trauer. In Hindostan trägt man ein Bild von Hosseïns Kopf auf einer Lanze herum, wie es nach seinem Tode geschah, und ahmt mit einem aus edlen Metallen gefertigten Hufeisen den Lauf seines Renners nach. Am 10¨ Muharrem ertönt ein Wehegeschrei von Borneo und Celebes über Indien und Persien bis zum Mogreb[6] Asiens, wo die Schia nur noch zerstreute Anhänger hat, und dann gibt es in Kerbela eine dramatische Vorstellung, welche an Szenen der wildesten Verzweiflung ihresgleichen sucht. Wehe dem Sunniten, wehe dem Giaur, welcher an diesem Tage sich in Kerbela unter der bis zur Tobsucht aufgeregten Rotte der Schiiten sehen lassen wollte! Er würde in Stücke zerrissen! – —

Diese historische Einleitung mag zum besseren Verständnis des Nachfolgenden dienen.

Wir hatten am Zab den Entschluß gefaßt, den Fluß entlang bis zu den Schirban- und dann den Zibar-Kurden zu reiten. Bis zu den Schirbani hatten wir Empfehlungen vom Bey zu Gumri und von dem Melek in Lizan erhalten, und von da aus hofften wir auf weitere Unterstützung. Die Schirbani nahmen uns gastfreundlich auf, von den Zibari aber wurden wir sehr feindselig empfangen; doch gelang es mir später, mich ihrer Teilnahme zu versichern. Wir kamen glücklich bis zum Akrafluß, stießen aber hier bei der wilden Bergbevölkerung auf eine so große Böswilligkeit, daß wir nach verschiedenen schlimmen Erfahrungen uns nach Südost wenden mußten. Wir überschritten den Zab östlich des Ghara Surgh, ließen Pir Hasan links liegen und sahen uns genötigt, da wir den dortigen Kurden keineswegs trauen durften, längs des Dschebel Pir Mam nach Südost zu halten, um dann nach rechts umzubiegen und irgendwo zwischen dem Diyaleh und kleinen Zab den Tigris zu erreichen. Wir hofften, bei den Dscherboa-Arabern gastlich aufgenommen zu werden und sichere Wegweiser zu finden, erfuhren aber zu unserem Leidwesen, daß dieselben sich mit den Obeïde und Beni-Lam verbündet hatten, um alle Stämme zwischen dem Tigris und Thathar die Spitzen ihrer Speere fühlen zu lassen. Nun waren die Schammar zwar mit dem einen Ferkah der Obeïde, dessen Scheik Eslah el Mahem war, befreundet, aber dieser Mann konnte seine Gesinnung geändert haben, und von den andern Ferkah wußte Mohammed Emin genau, daß sie den Haddedihn feindlich gesinnt seien. Unter diesen Umständen war es am geratensten, unsere Richtung zuerst nach Sulimania zu nehmen und uns dann weiter zu entscheiden. Hatten wir Amad el Ghandur befreit und glücklich bis hierher gebracht, so wollten wir nun lieber einen Umweg einschlagen, als uns wieder in neue Gefahren begeben.

So gelangten wir nach längerer Zeit und mancherlei Anstrengungen und Entbehrungen glücklich an das nördliche Zagrosgebirge.

Es war Abend, und wir lagerten am Rande eines Tschimarwaldes (Orientalische Platane.). Ueber uns wölbte sich ein Firmament, dessen Glanz nur in diesen Gegenden in solcher Reinheit und Kraft zu beobachten ist. Wir befanden uns in der Nähe der persischen Grenze, und die Luft Persiens ist ja wegen ihrer Klarheit berühmt. Das Licht der Sterne war so stark, daß ich, trotzdem der Mond weder im Kalender noch am Himmel stand, die Zeiger meiner Taschenuhr auf drei Schritte Entfernung ganz deutlich erkennen konnte. Lesen hätte ich, selbst bei kleiner Schrift, ganz gut vermocht. Die Strahlen des Jupiter waren so hell, daß seine Trabanten selbst dann mit einem Fernrohre mit ausgeschraubten Gläsern wohl schwerlich zu entdecken gewesen wären, wenn man den Körper des Planeten mit dem Rande des Rohres zu bedecken versucht hätte. Sogar teleskopische Gestirne kamen zum Vorscheine. Der siebente Stern des Siebengestirns war ohne bedeutende Anstrengung des Auges zu erkennen. Die Klarheit eines solchen Firmamentes macht einen tiefen Eindruck auf das Gemüt, und ich lernte einsehen, warum Persien die Heimat der Astrologie ist, dieser unfrei geborenen Mutter der edlen Tochter, welche uns die leuchtenden Welten des Himmels kennen lehrt.

Unsere Lage ließ uns vorziehen, im Freien zu übernachten. Wir hatten uns im Laufe des Tages von einem Hirten ein Lamm gekauft und brannten uns jetzt ein Feuer an, um das Lamm gleich in der Haut zu braten, nachdem wir es ausgenommen und mit dem Messer geschoren hatten.

Unsere Pferde grasten in der Nähe. Sie waren in der letzten Zeit ganz ungewöhnlich angestrengt worden, und es wäre ihnen eine mehrtägige Ruhe zu gönnen gewesen, was sich leider aber nicht ermöglichen ließ. Wir selbst befanden uns alle wohl, mit Ausnahme eines Einzigen. Dies war Sir David, welcher unter einem großen Aerger zu leiden hatte.

Er war nämlich vor einigen Tagen von einem Fieber befallen worden, welches ungefähr vierundzwanzig Stunden lang anhielt. Dann war es wieder verschwunden, aber mit diesem Verschwinden hatte sich bei ihm jenes schaudervolle Geschenk des Orientes entwickelt, welches der Lateiner Febris Aleppensis, der Franzose aber Mal d‘Aleppo oder Bouton d‘Alep nennt. Diese »Aleppobeule«, welche nicht nur Menschen, sondern auch gewisse Tiere z¨B¨ Hunde und Katzen heimsucht, wird stets von einem kurzen Fieber eingeleitet, nach welchem sich entweder im Gesicht oder auch auf der Brust, an den Armen und Beinen eine große Beule bildet, welche unter Aussickern einer Feuchtigkeit fast ein ganzes Jahr steht und beim Verschwinden eine tiefe, nie wieder verschwindende Narbe hinterläßt. Der Name dieser Beule ist übrigens nicht zutreffend, da die Krankheit nicht nur in Aleppo, sondern auch in der Gegend von Antiochia, Mossul, Diarbekr, Bagdad und in einigen Gegenden Persiens auftritt.

Ich hatte diese verunstaltende Beule schon öfters gesehen, noch niemals aber in der ungewöhnlichen Größe wie bei unserm guten Master Lindsay. Nicht genug, daß bei ihm die außerordentliche Anschwellung im dunkelsten Rot erglänzte, war sie auch so impertinent gewesen, sich just die Nase zu ihrem Sitze auszuwählen – diese arme Nase, welche so schon an einer ganz abnormen Dimension zu leiden hatte. Unser Englishman trug das Uebel nicht etwa mit Ergebenheit, wie es seine Pflicht als Gentleman und Vertreter der very great and excellent nation gewesen wäre, sondern er verriet einen Aerger und eine Ungeduld, deren Ausbrüche oft das Zwerchfell der Zuhörer in Mitleidenschaft zog.

Auch jetzt saß er am Feuer und befühlte fortwährend mit beiden Händen die unverschämte Pustel.

»Master!« sagte er zu mir. »Hersehen!«

»Wohin?«

»Hm! Dumme Frage! Auf mein Gesicht natürlich! Yes! Ist wieder gewachsen?«

»Was? Wer?«

»‘s death! Diese Beule hier! Viel gewachsen?«

»Sehr! Sieht grad wie eine Gurke aus.«

»All devils! Schauderhaft! Entsetzlich! Yes!«

»Vielleicht wird‘s mit der Zeit ein Fowling-bull, Sir!«

»Wollt Ihr eine Ohrfeige haben, Master? Stehe sofort zu Diensten! Wollte, Ihr selbst hättet dieses armselige Swelling[7] auf Eurer Nase!«

»Habt Ihr Schmerzen?«

»Nein.«

»So seid froh!«

»Froh? Zounds! Wie kann ich froh sein, wenn die Leute denken, meine Nase hätte die Snuff-box gleich mit auf die Welt gebracht! Wie lange werde ich dieses Ding haben?«

»Ziemlich ein Jahr, Sir!«

Er machte ein Paar Augen, daß ich vor Schreck beinahe zurückgewichen wäre, zumal das Entsetzen ihm den Mund so weit aufriß, daß die Nase mitsamt der Snuff-box (Schnupftabaksdose) geradewegs hätte hineinspazieren können.

»Ein Jahr? Ein ganzes Jahr? Zwölf ganze Monate?«

»So ungefähr.«

»Oh! Ah! Horrible! Fürchterlich, entsetzlich! Gibt es kein Mittel? Pflaster? Salbe? Brei auflegen? Wegschneiden?«

»Nichts, gar nichts.«

»Aber jede Krankheit hat ihr Mittel!«

»Diese nicht, Sir. Diese Beule ist nicht im mindesten gefährlich; aber wenn man sie zu zerteilen sucht oder gar ritzt und schneidet, dann kann sie sehr schlimm werden.«

»Hm! Was dann, wenn sie fort ist? Sieht man es noch?«

»Das ist verschieden. Je größer die Beule, desto größer auch das Loch, welches zurückbleibt.«

»My sky! Ein Loch?«

»Leider!«

»O weh! Schauderhaftes Land hier! Miserable Gegend! Werde machen, daß ich nach Old England komme! Well!«

»Nehmt Euch Zeit, Sir!«

»Warum?«

»Was würde man in Altengland sagen, wenn Sir David Lindsay seiner Nase erlaubt, sich eine Filiale anzulegen!«

»Hm! Habt recht, Master! Die Straßenjungen würden mir nachtrollen. Werde also hier bleiben und mich – —«

»Sihdi!« unterbrach ihn Halef. »Blicke nicht um!«

Ich saß mit dem Rücken gegen den Waldesrand und dachte mir natürlich sofort, daß der kleine Hadschi hinter mir etwas Verdächtiges bemerkt habe.

»Was siehst du?« fragte ich ihn darum.

»Ein Paar Augen. Grad hinter dir stehen zwei Tschimars, und zwischen ihnen gibt es einen wilden Birnbusch. Dort steckt der Mann, dessen Augen ich gesehen habe.«

»Siehst du sie noch?«

»Warte!«

Er beobachtete so unauffällig wie möglich den Busch, und ich instruierte unterdessen die anderen, sich ganz so unbefangen wie vorher zu verhalten.

»Jetzt!« sagte Halef.

Ich erhob mich und gab mir den Anschein, als ob ich dürres Holz für das Feuer suchen wolle. Dabei entfernte ich mich so weit von dem Lager, daß ich nicht mehr gesehen werden konnte. Dann drang ich in den Waldsaum ein und schlich mich zwischen den Bäumen wieder zurück. Es waren nicht fünf Minuten vergangen, so befand ich mich hinter den beiden Tschimarbäumen und fand da allerdings Gelegenheit, das scharfe Auge Halefs zu bewundern. Zwischen den Bäumen und dem Busche kauerte eine menschliche Gestalt, welche unser Treiben am Lagerfeuer beobachtete.

Weshalb geschah dies? Wir befanden uns hier in einer Gegend, wo in meilenweitem Umkreise kein Dorf zu finden war. Allerdings gab es rund umher verschiedene kleine kurdische Stämme, welche sich bekämpften, und es mochte wohl auch zuweilen geschehen, daß irgend ein persischer Nomadenstamm über die Grenze kam, um einen Raub auszuführen. Dabei gab es genug Umhertreiber, Ueberreste von vernichteten Stämmen, die Gelegenheit suchten, sich einem andern Stamm anzuschließen.

 

Ich durfte nicht trauen; daher schob ich mich ganz leise an den Mann heran und faßte ihn dann rasch bei der Kehle. Er erschrak so sehr, daß er ganz steif wurde und sich auch gar nicht wehrte, als ich ihn in die Höhe nahm und an das Feuer trug.

Dort legte ich ihn nieder und zog den Dolch.

»Mann, rühre dich nicht, sonst ersteche ich dich!« drohte ich.

Es war mir gar nicht so grimmig um das Herz, aber der Fremde nahm meine Drohung ernst auf und faltete bittend die Hände.

»Herr, Gnade!«

»Das soll auf dich ankommen. Belügst du mich, so bist du verloren. Wer bist du?«

»Ich bin ein Turkomane vom Stamme der Bejat.«

Ein Turkomane? Hier? Seiner Kleidung nach konnte er allerdings die Wahrheit gesagt haben. Auch wußte ich, daß es früher Turkomanen zwischen dem Tigris und der persischen Grenze gegeben hatte, und es stimmte, daß es der Stamm Bejat gewesen war. Die lurische Wüste und die Ebene Tapespi waren der Schauplatz ihrer Umherschweifereien gewesen. Aber als Nadir-Schah in das Ejalet Bagdad einfiel, schleppte er die Bejat nach Khorassan. Er nannte diese Provinz wegen ihrer Lage und Beschaffenheit »das Schwert Persiens« und bemühte sich, sie mit tapferen, kriegerischen Bewohnern zu bevölkern.

»Ein Bejat?« fragte ich. »Du lügst!«

»Ich sage die Wahrheit, Herr.«

»Die Bejat wohnen nicht hier, sondern im fernen Khorassan.«

»Du hast recht; aber als sie einst diese Gegend verlassen mußten, so blieben doch einige zurück, deren Nachkommen sich jetzt so vermehrt haben, daß sie über tausend Krieger zählen. Wir haben unsere Sommerplätze in der Gegend von den Ruinen von Kizzel-Karaba und an den Ufern des Kuru-Tschai.«

Es fiel mir ein, davon gehört zu haben.

»Jetzt befindet ihr euch hier in der Nähe?«

»Ja, Herr.«

»Wie viele Zelte zählt ihr?«

»Wir haben keine Zelte.«

Das mußte mir auffallen. Wenn ein Nomadenstamm sein Lager verläßt, ohne seine Zelte mitzunehmen, so deutet dies gewöhnlich auf einen Raub- oder Kriegszug. Ich fragte weiter:

»Wie viele Männer seid ihr heute?«

»Zweihundert!«

»Und Frauen?«

»Wir haben sie nicht bei uns.«

»Wo lagert ihr?«

»Nicht weit von hier. Wenn du dort um die Ecke des Waldes gehest, so bist du bei uns.«

»So habt ihr hier unser Feuer bemerkt?«

»Wir haben es gesehen, und der Khan schickte mich ab, um zu erfahren, was für Männer sich hier befinden.«

»Wohin gehet ihr?«

»Wir gehen nach dem Süden.«

»Welcher Ort ist euer Ziel?«

»Wir wollen in die Gegend von Sinna.«

»Das ist ja persisch!«

»Ja. Unsere Freunde dort geben ein großes Fest, zu welchem wir geladen sind.«

Das fiel mir auf. Diese Bejat hatten ihren Wohnsitz an den Ufern des Kuru-Tschai und bei den Ruinen von Kizzel-Karaba, also in der Nähe von Kifri; diese Stadt aber lag weit im Südwesten von unserem heutigen Lagerplatz, während Sinna zwei Dritteile derselben Entfernung im Südosten von uns lag. Warum waren die Bejat nicht direkt von Kifri nach Sinna gegangen? Warum hatten sie einen so bedeutenden Umweg gemacht?

»Was tut ihr hier oben?« fragte ich daher. »Warum habt ihr euren Weg um das Doppelte verlängert?«

»Weil wir durch das Gebiet des Pascha von Sulimania hätten ziehen müssen, und er ist unser Feind.«

»Aber ihr befindet euch hier doch ebenso auf seinem Gebiete!«

»Hier oben sucht er uns nicht. Er weiß, daß wir ausgezogen sind, und glaubt, uns im Süden von seiner Residenz zu finden.«

Dies klang wahrscheinlich, obgleich ich noch immer kein rechtes Vertrauen zu dem Manne hatte. Ich sagte mir jedoch, daß die Anwesenheit dieser Bejat uns nur von Vorteil sein könne. Unter ihrem Schutze konnten wir unangefochten bis nach Sinna kommen, und dann war für uns keine Gefahr mehr zu befürchten. Der Turkomane kam meiner darauf bezüglichen Frage entgegen:

»Herr, du wirst mich wieder freilassen? Ich habe euch ja nichts getan!«

»Du hast nur getan, was dir befohlen war; du bist frei.«

Er atmete erleichtert auf.

»Ich danke dir, Herr! Wohin sind die Köpfe eurer Pferde gerichtet?«

»Nach Süden.«

»Ihr kommt von Mitternacht herunter?«

»Ja. Wir kommen aus dem Lande der Tijari, Berwari und Chaldani.«

»So seid ihr sehr mutige und tapfere Männer. Welchem Stamme gehört ihr an?«

»Dieser Mann und ich, wir sind Emire aus Frankhistan, und die andern sind unsere Freunde.«

»Aus Frankhistan! – Herr, wollt ihr mit uns ziehen?«

»Wird dein Khan mir seine Hand öffnen?«

»Er wird es. Wir wissen, daß die Franken große Krieger sind. Soll ich gehen und ihm von euch sagen?«

»Geh, und frag ihn, ob er uns empfangen will!«

Er stand auf und eilte davon. Die Andern zeigten sich mit dem, was ich getan hatte, einverstanden, und besonders Mohammed Emin freute sich darüber.

»Effendi,« sagte er, »ich habe von den Bejat oft gehört. Sie leben mit den Dscherboa, Obeïde und Beni-Lam in immerwährendem Unfrieden, und darum werden sie uns nützlich sein. Dennoch aber wollen wir nicht sagen, daß wir Haddedihn sind; es ist besser, sie wissen es nicht.«

»Auch jetzt müssen wir vorsichtig sein, denn noch wissen wir nicht, ob der Khan uns freundlich aufnehmen wird. Holt die Pferde herbei, und legt euch die Waffen bereit, um für alle Fälle gerüstet zu sein!«

Die Bejat schienen unsertwegen eine ungewöhnlich lange Beratung zu halten, denn ehe sie ein Lebenszeichen von sich gaben, war unser Lamm gebraten und auch verzehrt. Endlich hörten wir Schritte. Der Turkomane, welcher bei uns gewesen war, erschien mit noch drei Kameraden.

»Herr,« sagte er, »der Khan sendet mich. Ihr sollt zu ihm kommen und uns willkommen sein.«

»So geht voran, und führt uns!«

Wir stiegen zu Pferde und folgten ihnen, die Gewehre in der Hand. Als wir die Waldecke hinter uns hatten, war von keinem Lagerplatze etwas zu bemerken; nachdem wir aber einen dichten Gebüschstreifen durchschnitten hatten, erreichten wir einen rings von Sträuchern eingefaßten Platz, auf dem ein mächtiges Feuer brannte. Dieser Lagerort war sehr gut gewählt, da er von außen her nicht leicht bemerkt werden konnte.

Das Feuer diente nicht zum Erwärmen der Leute, sondern zur Bereitung des Nachtmahles. Zweihundert dunkle Gestalten lagen im Grase umher, und etwas abseits der flackernden Flamme saß der Khan, welcher sich bei unserm Erscheinen langsam erhob. Wir ritten hart an ihn heran und sprangen von den Pferden.

»Friede sei mit dir!« grüßte ich ihn.

»Mi newahet kjerdem – ich mache mein Kompliment!« antwortete er, indem er sich verbeugte.

Das war persisch. Vielleicht wollte er mir damit beweisen, daß er wirklich ein Bejat sei, dessen Hauptstamm man in Khorassan suchen müsse. Der Perser ist der orientalische Franzose. Seine Sprache ist biegsam und wohlklingend, weshalb sie auch die Hofsprache der meisten asiatischen Fürsten geworden ist. Aber das höfliche, schmeichelnde und oft kriechende Wesen des Persers hat nie einen vorteilhaften Eindruck auf mich gemacht; die gerade, rauhe Ehrlichkeit des Arabers tat mir viel wohler.

Auch die Andern waren aufgesprungen, und alle Hände streckten sich dienstfertig aus, um sich unserer Pferde zu bemächtigen; doch hielten wir die Zügel fest, da wir noch keineswegs wußten, ob dies gastfreundlich oder hinterlistig gemeint sei.

»Gib ihnen immerhin die Pferde! Sie sollen für dieselben sorgen,« sagte der Khan.

Ich wollte mir gleich Gewißheit verschaffen; darum fragte ich, nun auch in persischer Sprache:

»Hesti irschad engiz – gewährst du uns Sicherheit?[8]«

Er verneigte sich zustimmend und erhob die Hand.

»Mi saukend chordem – ich beschwöre es! Setzt euch zu mir, und laßt uns reden!«

Die Bejat nahmen die Pferde; nur das meinige blieb in der Hand Halefs, der recht gut wußte, was mir lieb und angenehm war. Wir Andern nahmen bei dem Khan Platz. Die Flamme leuchtete hell auf uns herüber, so daß wir einander ganz genau erkennen konnten. Der Bejat war ein in den mittleren Jahren stehender Mann von sehr kriegerischem Aussehen. Seine Züge waren offen und Vertrauen erweckend, und die achtungsvolle Entfernung, in welcher sich seine Untergebenen von ihm hielten, ließ auf einen ehrliebenden und selbstbewußten Charakter schließen.

»Kennst du bereits meinen Namen?« erkundigte er sich.

»Nein,« antwortete ich.

»Ich bin Heider Mirlam[9], der Neffe des berühmten Hassan Kerkusch-Bey. Hast du von ihm gehört?«

»Ja. Er residierte in der Nähe des Dorfes Dschenijah, welches an der Poststraße von Bagdad nach Tauk liegt. Er war ein sehr tapferer Krieger, aber er liebte dennoch den Frieden, und jeder Verlassene fand guten Schutz bei ihm.«

Er hatte mir seinen Namen gesagt, und nun erforderte es natürlich die Höflichkeit, ihm auch den meinigen zu nennen. Darum fuhr ich fort:

»Dein Kundschafter wird dir bereits gesagt haben, daß ich ein Franke bin. Man nennt mich Kara Ben Nemsi – — —«

Er konnte trotz der bekannten orientalischen Selbstbeherrschung einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken:

»Ajah – oh! Kara Ben Nemsi! So ist dieser andere Mann, der eine rote Nase hat, der Emir aus Inglistan, welcher Steine und Schriften ausgraben will?«

»Hast du von ihm gehört?«

»Ja, Herr; du hast mir nur deinen Namen genannt, aber ich kenne dich und ihn. Der kleine Mann, welcher dein Pferd hält, ist Hadschi Halef Omar, vor dem sich so viele Große fürchten?«

»Du hast es erraten.«

»Und wer sind die beiden Andern?«

»Das sind Freunde von mir, welche ihre Namen in den Kuran legten[10]. Wer hat dir von uns erzählt?«

»Du kennst Ibn Zedar Ben Huli, den Scheik der Abu Hammed?«

»Ja. Er ist dein Freund?«

»Er ist nicht mein Freund und nicht mein Feind. Du brauchst dich nicht zu sorgen; ich habe ihn nicht an dir zu rächen.«

»Ich fürchte mich nicht!«

»Das glaube ich. Ich traf mit ihm bei Eski Kifri zusammen, und da erzählte er mir, daß du schuld bist, daß er Tribut zu zahlen hat. Sei vorsichtig, Herr! Er wird dich töten, wenn du in seine Hände fällst.«

1Inselland, arabisches.
2»Diener Gottes.«
3»Der Vielgepriesene.«
4Löwe Gottes; auch Assad Allah el Ahalib, Löwe des siegreichen Gottes.
5Kalif heißt Stellvertreter.
6Westen.
7Englisch: Geschwulst.
8Wörtlich: Bist du Sicherheit gewährend?
9Löwe Mirlam.
10Ausdruck für: aus wichtigen Gründen unerkannt bleiben.