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KARL MAY

SEELENVERKÄUFER



HUMORESKE



Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 42

„DER ALTE DESSAUER“



© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1328-0



Die Erzählung spielt im Jahre 1745.



KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL




Inhalt





SEELENVERKÄUFER







Bei ‚Mutter Röse‘







Im Schloss zu Dessau







Die Reitprobe







Der Kleidertausch







Unter Werbern







Im Keller







Mamsell Rosine







SEELENVERKÄUFER



(1745)





Bei ‚Mutter Röse‘



Obgleich es noch früh am Tag war, ging es auf den Gassen, Straßen und Plätzen der Haupt- und Residenzstadt Dessau doch schon lebhaft zu. Es war heute ja Wochenmarkt, an dem die Bewohner der Umgegend herbeiströmten, entweder um die Erzeugnisse ihres Gewerbefleißes in Angebot zu bringen oder einzukaufen, was zur Befriedigung ihrer wirtschaftlichen, häuslichen und persönlichen Bedürfnisse notwendig war.



Durch die Alt-, Neu- und Vorstadt-auf-dem-Sande bewegten sich die Wagen, Karren und Fußgänger der von dem Fürsten Leopold erst neu angelegten Kavalierstraße zu, die noch heute mit ihren Rasenplätzen und dem unvergleichlichen Blick auf die Johanniskirche eine der größten Zierden der Stadt ist. Dorthin zog es die Neugierigen und gruppenweise standen sie vor den Ladenfenstern oder wagten sich scheu und einzeln in eines der ‚grausam vornehmen‘ Gasthäuser, wo es zu sehen, zu hören, zu essen und zu trinken gab, was noch keinem der biederen Landbewohner vorgekommen war.



Die meisten von ihnen aber kehrten doch schließlich nach dem engen, an der Mulde gelegenen Stadtteil zurück, in dem ‚Mutter Röse‘, die dickste und zugleich beste Wirtin des ganzen anhaltischen Landes, residierte; denn sie verstand es ganz besonders gut, ihre Gäste gegen die beiden Erbübel der Menschheit, den Hunger und den Durst, in nachdrücklichen Schutz zu nehmen.



Wie eine Königin thronte sie zwischen zahllosen Flaschen, Gläsern und Krügen hinter dem langen, schweren Schenktisch, hatte für jeden einen freundlichen Gruß, ein vertrauliches Kopfnicken oder wohl gar einen kräftigen Händedruck und ließ wie eine Sonne die Strahlen ihres vollen und stets lächelnden Gesichts bis in die entfernteste Ecke fallen. Nirgends war das Bier so frisch und erquickend, nirgends der Braten so saftig und nirgends die Bedienung so aufmerksam wie bei ‚Mutter Röse‘, und wem es gar widerfuhr, von ihr selbst bedient zu werden, der konnte sich diesen Vorzug für eine wirkliche Ehre anrechnen und wurde darüber von den anderen groß angesehen. Aber ebenso kräftig und entschieden konnte sie auch gegen den auftreten, der es wagte, sie aus ihrem Gleichgewicht zu bringen, und gar mancher Gast schon hatte ein solches Beginnen mit einem blitzschnellen ‚An-die-Luft-Setzen‘ büßen müssen.



Auch jetzt hatte sie sich mühsam zwischen den vielen anwesenden Marktgästen hindurchgedrängt, um am hinteren Tisch einen der erwähnten Bevorzugten mit ihrer Aufmerksamkeit zu beglücken, als sich die Tür öffnete und ein Mann eintrat, der sich tief bücken musste, um seinem Kopf eine unliebsame Berührung mit dem Querbalken zu ersparen. Obgleich er die Sechzig längst zurückgelegt haben musste, trug er sich noch stramm und kräftig, und das dunkle, scharfe Auge hatte in jugendlicher Lebhaftigkeit das Zimmer mit einem einzigen kurzen Blick überflogen.



Er schritt zu einem noch unbesetzten Tisch, ließ sich auf den laut krachenden Stuhl fallen, zog die bestaubten Gamaschen in die Höhe, warf den Dreispitz von dem zierlich bezopften Kopf und wartete nun augenscheinlich auf irgendeinen dienstbaren Geist, um sich mit dessen Hilfe von einem der oben genannten Erbübel zu befreien.



Zufälligerweise aber war sein Kommen nicht bemerkt worden und so zupfte er zunächst etliche Mal ungeduldig an dem blauen Leinwandsack herum, der seinen breitschultrigen Oberkörper bedeckte, wirbelte sodann mit unmutiger Miene die Spitzen seines Schnurrwichses um den Zeigefinger, und als auch dies erfolglos blieb, erhob er endlich den dicken Knotenstock, der mittels eines Lederriemens an seinem Handgelenk hing, und ließ ihn laut dröhnend auf die eichene Platte des Tisches fallen.



„Heda, alte Klatschmaschine, mach, dass du bald vorkommst, sonst werde ich dir Beine machen!“



Auf diese mit kräftiger Bassstimme hervorgedonnerten Worte trat augenblicklich tiefe Stille ein und aller Augen wandten sich nach dem Mann, der es wagte, die zwar gute, aber streng auf ihr Ansehen haltende Wirtin in dieser Weise zu beleidigen. Jedermann war überzeugt, dass der Sprecher in wenigen Sekunden draußen vor der Tür stehen werde, zumal Mutter Röse, schnell herumfahrend, die beiden Hände in die Hüften stemmte, was bei ihrer Beleibtheit allerdings ein gewagtes und höchst schwieriges Unternehmen war, und mit vor Zorn hochrotem Gesicht über die Häupter der Sitzenden hinweg rief:



„Wer ist denn der unverschämte Kerl, he, der da vorn so dick tut? Wart mal, Bürschchen, wir werden gleich sehn, wer von uns beiden dem andern Beine macht!“ Und sich nach dem Schenktisch wendend, wo eben ein vierschrötiger Hausknecht ein Fass auf das Gestell hob, setzte sie befehlend hinzu: „Christian, nimm ihn doch mal bei der Perücke und zeig ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!“



„Lass dich nicht auslachen, alte Bierliese, und halt den Schnabel. Ihr wärt mir die Rechten von wegen dem Zimmermannsloch!“



Das war der Wirtin doch zu stark, zumal nun auch der Ärger über den Hausknecht dazu kam, denn dieser machte nicht die geringste Miene, dem Befehl seiner Herrin Folge zu leisten, sondern lehnte in höchster Verlegenheit an der Küchentür. Mit raschen Schritten wand sie sich zwischen den Gästen hindurch, um den Angekommenen in Augenschein zu nehmen.



„Was wären wir? Die Rechten? Ja, das sind wir auch und das will ich Ihm sofort beweisen, Er Grobian! Glaubt Er denn, dass man eine ehrsame und tugendhafte Witwe – Herrjeh!“, unterbrach sie sich, als sie ins Gesicht des Ausgescholtenen blickte. „Bitte hunderttausendmal um Verzeihung, Durchl...“



„Will Sie wohl endlich ruhig sein und mir einen Krug Zerbster Bitterbier bringen und was dazu gehört!“, unterbrach er sie schnell. „Oder glaubt Sie etwa gar, dass ich hereingekommen bin, nur um Ihre schönen Redensarten anzuhören?“



„Ja, freilich, einen Krug Zerbster“, wiederholte sie eilfertig, „und was dazugehört, gleich, gleich sollen Durchl...“



Das Wort blieb ihr bei dem fürchterlichen Blick, der sie traf, im Mund stecken; sprachlos vor Verlegenheit eilte sie nach dem Schenktisch, brachte den vollen Tonkrug herbei, stellte ihn auf den höchst eigenhändig mit ihrer weißen Schürze abgewischten Tisch, und bald lagen neben dem Trunk auch ein mächtiges hausbackenes Roggenbrot, ein Stück gelber Butter und ein großer, appetitlicher Landkäse.



Der Gast leerte den Krug auf einen Zug und gab ihn der Wirtin zum Füllen zurück. Sodann griff er zum Messer und beschäftigte sich eifrig und erfolgreich mit dem Imbiss, während die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und sich nicht genug über das eigentümliche Vorkommnis wundern konnten, bis ein Name leise von Stuhl zu Stuhl, von Tisch zu Tisch geflüstert wurde und die Fremden dann mit halb scheuen, halb ehrfurchtsvollen Blicken die hohe Gestalt des Essenden musterten.



Dieser bekümmerte sich nicht im Geringsten um die anderen und war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er den Eintritt eines neuen Gastes gar nicht bemerkte, der, als er ihn erblickte, ein Zeichen der Überraschung nicht unterdrücken konnte, dann aber wie infolge eines raschen Entschlusses auf ihn zuschritt und nach einem Stuhl griff.



„Ist der Stuhl erlaubt?“, fragte er kurz.



„Warum nicht?“, antwortete mit einem tiefen Brummen der Kauende. „Ich hab’ ihn nicht gemietet!“



Der also Berichtete setzte sich und meinte:



„Wünsch’ guten Appetit!“



„Danke“, brummte es wieder, „aber lasst mich jetzt ungeschoren! Ich hab’ mehr zu tun, als mir Eure Höflichkeiten gefallen zu lassen.“



„Ist mir auch recht!“, klang die Antwort unter einem belustigten Lächeln des Sprechenden. „Heda, Mutter Röse, habt Ihr nicht noch ein Messer bei der Hand? Der Mann da wird die ganze Portion wohl nicht für sich allein brauchen!“



Jetzt erst blickte der Essende auf und überflog mit einem erstaunten Blick sein Gegenüber. Das Ergebnis musste zufrieden stellend sein, denn als die Wirtin antwortete:



„Ich hab’ schon noch das Nötige für Euch übrig“, entgegnete er in befehlendem Ton:



„Mache Sie keine Faxen und lasse Sie ihn immer hier mit zugreifen!“



Mit einem raschen Griff schwang er dem jungen Mann das schwere Brot hinüber, schob ihm Butter und Käse zu und nahm dann die unterbrochene Beschäftigung mit erneutem Nachdruck auf. Der andere griff ebenso fleißig zu, und als die beiden Hungrigen endlich ihre Arbeit beendigten, war außer einem bescheidenen Brotrest nichts Genießbares mehr auf dem Tisch zu bemerken.



Die leeren Krüge wurden wieder gefüllt, und sich mit einem behaglichen Laut die Magengegend streichend, begann der zuerst Angekommene:

 



„So, das wäre abgemacht und nun kann man auch wieder sprechen. Ihr schlagt keine schlechte Klinge!“



„Hm, so was lernt sich schon, und der Käse war gut!“



„Meint Ihr? Ja, bei der Mutter Röse weiß man, was man bekommt. Ihr seid wohl kein Dessauer Kind?“



„Nein.“



„So seid Ihr wohl in Geschäften hier?“



„Ja und nein, je nachdem man’s nimmt.“



„Ja und nein – so sprecht doch deutlicher, wie es einem vernünftigen Menschen zukommt!“



„Warum?“



„Warum, fragt Ihr noch? Na, zum Tausendsapperlot, wenn wir nicht hier sitzen und Maulaffen feilhalten wollen, so müssen wir doch etwas reden. Und auf eine gut gemeinte Frage gehört doch wohl eine ehrliche Antwort!“



„Da habt Ihr wohl Recht; nur weiß ich nicht, was es Euch und mir nützen soll, wenn wir über meine Angelegenheiten verhandeln!“



„Mir wird’s freilich nicht viel nützen, aber für Euch kann’s vielleicht gut sein. Ich bin hier bekannt, und wenn es auch weiter gar nichts wäre, so kann doch wenigstens ein guter Rat nie Schaden bringen.“



„Ihr sprecht wahrhaftig grad wie ein Buch; aber wahr ist’s trotzdem, was Ihr sagt. So sollt Ihr denn meinetwegen wissen, dass ich hier eine Stelle suchen will.“



„Eine Stelle? Was denn für eine?“



„Beim Alten!“



„Beim Alten? Bei was für einem Alten denn, he, wenn’s gefällig ist?“



„Na, beim Fürsten.“



„Beim Fürsten? Bei dem wollt Ihr eine Stelle haben und nennt ihn doch den Alten!“, fuhr er zornig auf. „Da schlag doch ein Himmelmillionenschock – ja, ich seh’ da gar nicht ein, warum ich mich ärgern soll. Eure Stelle kann mir ja ganz gleichgültig sein!“



„Ich hab’ nichts dagegen, aber wer neugierig ist, muss auch die Antworten nehmen, wie sie kommen.“



„Hört mal, Ihr seid ein verteufelt aufrichtiger Kerl und ich glaube, das Flunkern habt Ihr nicht gelernt!“



„Das will ich wohl zugeben. Man kommt mit der Ehrlichkeit immer noch weiter als mit der Flunkerei.“



„So? Da habt Ihr es wohl schon weit gebracht?“



„O ja, bis zum Reitknecht.“



„Alle Wetter! Kann Er denn wirklich ein Pferd reiten?“



„Ein Pferd? Hm! Sprecht lieber, jedes Pferd!“



„Jedes? Hör Er mal, dazu gehört mehr als Brot essen! Der ‚Alte‘ zum Beispiel, wie Er den Fürsten nennt, hat einen Rapphengst, der noch niemanden im Sattel gelitten hat. Das ist eine Bestie, wie es in der ganzen Welt weiter keine gibt!“



„Wer, der Alte oder der Rapphengst?“



„Mohrenelement, mache Er keine schlechten Witze! Was glaubt Er denn, was ich bin?“



„Ihr? Ja na, ich hab’ so einen Blick, so einen gewissen Geruch, um zu sagen, was einer ist, und ich irre mich selten. Ich glaube, Ihr – Ihr – handelt mit – mit – na, mit Zwiebeln!“



„Ich hand – le – mit – Zwie – wie – wie – beln – hahahaha – mit Zwie – Zwie – wie – wie – beln!“, brach der Alte mit einem Lachen los, das fast in einen Lachkrampf ausartete und die Wände des Zimmers zu erschüttern schien. „Oh, Er ist ein weiser Salomo; aber erraten hat Er es doch: Ich handle hahaha – mit Zwie – wie – wie – beln – hahahaha – ja, und ich hab’ schon manchen in eine Zwiebel beißen lassen, dass ihm die Augen übergegangen sind! Hör Er, Er ist kein unebner Kerl und ich möchte Ihm gern einen Gefallen erweisen. Will Er wirklich zum Fürsten?“



„Freilich! Ich hab’ gehört, dass der Leibknecht abgegangen ist, und wollte fragen...“



„Halt da! Er versteht wohl von der Sache noch gar nichts? Leibknecht kann nicht jeder hergelaufene Fremde werden, sondern zu einem solchen Posten kommt nur einer, der erstens sein Fach aus dem Effeff versteht, und zweitens vom Stalljungen auf gedient und sich das Vertrauen des Fürsten erworben hat. Das ist ein Vertrauensposten, auf den sich ein Unbekannter nicht spitzen darf.“



„Das ist mir alles gar wohl bekannt; aber man weiß doch manchmal nicht, wie der Hase läuft, und ein Fremder ist zuweilen ebenso brauchbar wie einer, der sich von Stelle zu Stelle emporgeschwenzelt hat.“



„Ich will da nicht mit Ihm streiten, aber der Leibknecht des Fürsten muss, soviel ich weiß, nicht nur ein ausgezeichneter Reiter sein, sondern auch nach der Schnur fahren können, denn der ‚Alte‘, wie Er den Fürsten nennt, ist etwas mürbe geworden und das Fahren fällt ihm leichter als das Reiten, da er seine Achtundsechzig auf dem Rücken hat. Er steht jetzt mit seinen Buntröcken in Magdeburg und muss auch zuweilen hier in Dessau sein; da geht es denn oft herüber und hinüber und der Leibknecht ist dabei meist seine einzige Begleitung. Versteht Er nun, was ich meine?“



„Warum denn nicht? Ihr macht es einem ja so deutlich, als wenn Ihr gar auf Schulmeister gelernt hättet. Aber Ihr sollt mir doch keine Angst machen und ich werde mein Heil versuchen! Der Fürst soll jetzt in Dessau sein und ich werde mich noch heut Vormittag erkundigen, wie man es anzufangen hat, um mit ihm sprechen zu können.“



„Da braucht Er gar nicht ewig herumzufragen, denn ich kann es Ihm ebenso gut berichten wie jeder andre. Ich muss nachher aufs Schloss; hab’ dort mit dem Hofgärtner so einiges abzumachen und werde wegen Ihm einmal zuhorchen. Bin auch nicht ganz so ohne alle Verbindungen. Wollen doch mal sehn, ob ich Ihn nicht bis zum Kammerlakaien hinaufschieben kann; das andre ist dann Seine Sache.“



„Ich hab’ volles Vertrauen zu Euch. Wenn Ihr ein Wort für mich sprechen wollt, so werde ich es Euch herzlich zu danken wissen; aber wie hab’ ich mich denn sonst noch zu verhalten?“



„Das ist sehr einfach. Geh Er einmal so in anderthalb Stunden aufs Schloss; da steht unter dem Tor einer, der muss jeden fragen, was er dort zu suchen hat, und dem kann Er es einmal im Vertrauen sagen, dass Er den Zwie – hahahaha – den Zwie – wie – wiebelhändler sucht. Er wird ihm sagen, wo ich stecke, und dann wird sich ja zeigen, ob ich derweil etwas für Ihn hab’ tun können.“



„Gut, ich werde mich pünktlich einfinden und Euch Ehre zu machen suchen!“



„Das will ich auch hoffen. Heda, Mutter Röse, hier ist Geld!“



Die Wirtin kam so eilig herbei, als ihr Körperumfang es ihr gestattete, und nahm von ihm die Bezahlung für beide Gäste in Empfang.



„Hab Seine Zeche mit abgemacht! Er hat mit mir gegessen und getrunken und war also mein Gast. Leb Er wohl und verbummle Er die richtige Zeit nicht!“



„Habt keine Sorge. Danke für das Zahlen!“



Die Wirtin begleitete den Fortgehenden bis an die Tür, während der Zurückbleibende ihm mit einem listigen und befriedigten Lächeln nachblickte.






Im Schloss zu Dessau



‚Der alte Knasterbart‘, wie der Feldmarschall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Preußens, Leopold von Anhalt-Dessau, gern von seinen Soldaten genannt wurde, saß in seinem Arbeitszimmer. Die kleinen Fältchen an den äußeren Augenwinkeln waren zusammengezogen und die tiefen Furchen der Stirn senkten sich nieder fast bis auf die Nasenwurzel – ein Zeichen, dass er sich mit unangenehmen Gedanken beschäftigte.



Früher war es seine treue Lebensgefährtin, die einstige Apothekerstochter Anna Luise Föse gewesen, die mit mildem Zuspruch so manche Wolke verscheucht, so manche Sorge mit ihm geteilt hatte, aber die lag nun im Grab, die alte, liebe, gute Anneliese

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, und er musste nun allen Ärger, alle Kränkung allein tragen und das wollte ihm doch gar nicht in den harten Trotzkopf, der die lange Reihe von Jahren bis auf den heutigen Tag kein anderes Gesetz gekannt hatte als seinen eigenen Willen.



Ärgerlich schob er den Stuhl zurück, riss einige Knöpfe des Uniformrocks auf und maß mit langen, raschen Schritten das Zimmer.



„Das ist doch, um bei lebendigem Leib aus der Haut zu fahren!“, murmelte er. „Da hat der König am dreißigsten September

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 bei Sorr die Österreicher mit seinen achtzehntausend gegen volle vierzigtausend aufs Haupt geschlagen, ihnen zweiundzwanzig Kanonen, zwölf Fahnen und zweitausend Gefangene abgenommen und glaubt nun, dass sie sich auf eine solche Schlappe heuer nicht wieder hinauswagen werden. Die Armee kantoniert bei Schweidnitz und General du Moulin soll sie mit seinem Kordon an der Grenze schützen. Der König ist nach Berlin gegangen und spielt Flöte, seine Soldaten liegen in ihren Baracken und rauchen Tabak und keiner merkt, dass man unterdessen da hinter dem Gebirge einen Trank zusammenbraut, der ganz verteufelt nach Schwefel und Salpeter schmecken wird.“



Dem alten Kriegshelden schien es wohl zu tun, sich immer weiter in seinen Grimm hineinzureden.



„Ja, ja, mich macht die österreichische Therese nicht dumm, und der Kaunitz, na, der taugt so wenig, dass ich ihn für zehntausend Taler nicht in eine Kompanie stecken möchte. Der Kerl ist ja die reine Flaumfeder und zieht zehn Röcke, zwanzig Oberröcke und dreißig Pelze an, wenn er sich in den Hundstagen einmal an die Luft fahren lässt, und so einem Ofenhocker sollte der Dessauer nicht in die Karten gucken können? Prost Mahlzeit! Aber was hilft’s denn, he? Einen Brief nach dem andern schick’ ich nach Berlin, warne, mahne, bitte, drohe, kurz und gut, ziehe alle möglichen Saiten auf – und was ist die Folge? Man antwortet mir nicht einmal, lacht mich vielleicht gar noch dazu aus. Da muss doch gleich ein hundsmiserables Graupelwetter dreinschlagen, mich auch noch auszulachen! Wenn ich nur ein einziges Wort davon höre, so nehm’ ich meine zwölftausend Buntröcke, marschiere auf Berlin und lass’ das ganze armselige Nest Spießruten laufen, vom König an bis herunter zum letzten Schusterjungen!“



Jetzt befand sich der Sprecher in voller Wut. Bei den letzten Worten war er stehen geblieben und hatte drohend den Arm erhoben. Er dachte gar nicht daran, dass er sich in der schönsten Revolution gegen seinen Feldobersten befinde, und als habe jemand einen Einspruch gegen seine Rede erhoben, fuhr er plötzlich auf den Absätzen herum und rief:



„Was, das tät ich nicht? Warum denn nicht, he? Wer will mir’s denn verwehren, mir, dem Sieger in den Niederlanden, am Rhein, in Bayern, in Italien, in Schweden und so weiter? Aber was ich getan hab’, das hat man vergessen, und wenn ich warne, da lacht man und – bläst Flöte dazu. I, da spielt meinetwegen Rumpelbass oder Brummeisen, aber auslachen lass’ ich mich nicht und Antwort will ich haben, wenn ich schreibe! Aber ich weiß wohl, der Fritz ist mir nicht gut, weil ich bei seinem Alten, der Herrgott hab’ ihn selig samt seinem Tabakskollegium, einen Stein im Brett hatte. Ja, der kannte seine Leute, und wenn er auch manchmal ein wenig unbequem werden konnte, so – – Na, was will Er denn, Er Schockschwerenöter?“, unterbrach er sich, als in diesem Augenblick ein Diener unter der Tür erschien.



„Oberleutnant von Polenz. Meldung aus Halle!“



„Herrrrein!“



In der nächsten Sekunde stand der Genannte gerade und steif wie ein Ladestock vor dem Fürsten, diesem mit der Rechten ein versiegeltes Schreiben hinreichend. Leopold trat damit ans Fenster, erbrach den Umschlag und begann, den Inhalt zu buchstabieren. Er war nie ein Freund und Bewunderer der edlen Schreibkunst gewesen und Meldungen lesen oder gar selbst die Feder führen, gehörte für ihn zu den größten Strapazen des Erdenlebens. Die Zeilen konnten nichts Gutes enthalten, denn seine Miene verfinsterte sich immer mehr, und als er fertig war, ballte er das Schreiben ärgerlich zusammen und trat mit Unheil verkündender Miene auf den Offizier zu.



„Weiß Er, was in dem Wisch steht?“



„Zu Befehl, Exzellenz!“



„Weiß Er auch, was draus wird, wenn das so fortgeht?“



„Zu Befehl, nein, Exzellenz!“



„So! Oberleutnant will Er sein und weiß das nicht, was sich ein jeder Tambour denken kann? Wenn das Desertieren und Ausreißen so fortgeht, steht Er zuletzt ganz allein im Standquartier und sperrt das Maul auf oder kann sich auch so nach und nach verduften wie die andern. Da schlag doch gleich das Wetter in die Disziplin! Kein Tag vergeht, wo ich nicht vom Durchbrennen höre, und allemal sind’s die besten Kerls, die sich davonmachen, während die Taugenichtse kleben bleiben. Heut wieder der Korporal Nauheimer, der bravste Unteroffizier in der ganzen Armee. Auf den hätte ich Häuser gebaut! Warum hat sich der beiseite gemacht, he? Das muss doch einen Grund haben, denn ohne Grund desertiert kein Nauheimer!“



„Halten zu Gnaden, Exzellenz, ich weiß es nicht; der Korporal Nauheimer hat sich einen Urlaub von drei Tagen genommen und ist nicht wieder eingetroffen.“

 



„So! Und da zetert Ihr gleich über Desertion? Es kann doch dem Mann sonst was zugestoßen sein. Werde die Sache untersuchen! – Aber was ist denn nun das andre, he? Da wagen sich die sächsischen Werber herüber über die Grenze und schnappen uns nicht nur die besten Bauernburschen, sondern auch die eignen Soldaten weg! Nun hört mir aber alles auf! Zwölftausend Preußen stehn da, ziehen die Nachtmützen über die Ohren und lassen sich die feindlichen Werber gradzu zwischen den Beinen hindurchkriechen – will Ihm denn da Sein bisschen Verstand nicht stillstehn, he? Na, ich werde die guten Herren beim Schopf nehmen, dass es ihnen grün und gelb vor den Augen funkeln soll! Wie weit ist Er denn mit Seiner Liebsten?“



„Exzellenz, immer noch auf demselben Fleck.“



„Kann mir’s denken! Tabak rauchen, Karten spielen, mit dem Säbel rasseln, den Verstand vertrinken, einem braven Bürgermädchen den Kopf verdrehen, Schulden machen, Schlägereien anzetteln, das könnt ihr alle; aber wenn es endlich einmal ernstlich einem gescheiten und anständigen Frauenzimmer gilt, da klebt ihr in der Buttermilch und wisst kein Geschick dran zu machen!“



„Exzellenz, halten zu Gnaden, das Fräulein von Naubitz hat die Marotte, nur mit einem Offizier anzuknüpfen, der eine Kompanie hat, und da...“



„Papperlapapp! Meine Anneliese hat auch nicht nach der Kompanie gefragt! Wenn man so ein Mädchen nur zu packen weiß, dann fällt sie einem ganz von selbst um den Hals; ich weiß das genau. Aber da scheint es Ihm am Besten, nämlich an der Anstelligkeit zu fehlen. Die Naubitz ist meine Pate; Sein Vater schreibt mir und bittet mich um Förderung, und ihm zuliebe, der ein alter Kriegskamerad von mir ist, tu ich auch alles Mögliche, um die Sache zu Stande zu bringen, aber wenn Er selbst den Brei immer wieder anbrennen lässt, so mag Er zusehn, wenn ein anderer kommt und sie Ihm vor der Nase wegschnappt.“



„Verzeihen, Exzellenz, das glaube ich nicht befürchten zu müssen!“



„Nicht? Da weiß ich mehr als Er. Das Teufelsmädel ist schön, reich und klug, und ich glaube, sie hat bei ihrem letzten Besuch in Berlin einen gefunden, der es geschickter anzudrehen weiß als Er. Er ist ein Rittmeister bei den Zietenhusaren und die sind in allen Dingen gewohnt, frisch dreinzuschlagen. Da ihre Eltern tot sind, so hat der Mann kurz und bündig mich um das Jawort gebeten, und wahrhaftig, er hätte es mit Freuden bekommen, wenn mir nicht noch zur rechten Zeit Sein Vater eingefallen wäre.“



„Gestatten, Exzellenz, die Frage nach dem Namen des Rittmeisters?“



„Meinetwegen; es ist der Herr von Platen, derselbe, von dem man sich so manches lustige Reiterstückchen erzählt. Der König scheint ihn sehr zu bevorzugen. Er kann sehn, wie Er ihn aus dem Sattel bringt!“



„Werde es versuchen und sage Exzellenz meinen schuldigen Dank für die gnädige Auskunft.“



„Schon gut! Das Mädel ist grad noch hier im Schloss, geht aber schon in einigen Stunden auf ihr Gut nach Beyersdorf. Er ist noch im letzten Augenblick gekommen; geh Er zu ihr und mach Er Seine Sache besser als bisher!“



Während des letzten Teils der Unterredung hatte sich der Unmut des Fürsten etwas gelegt und einer freundlicheren Stimmung Platz gemacht, ein Umstand, aus dem sich schließen ließ, dass der Vater des vor ihm stehenden Offiziers bei ihm in gutem Andenken stehen müsse. Am Schluss der Endermahnung gab er mit der Hand das Entlassungszeichen und wandte sich zurück.



Mit militärischem Gruß trat Polenz ab und schritt so schnell durch das Vorzimmer und über den Flur, dass er fast mit einer jungen Dame zusammengerannt wäre, die sich eben anschickte, die Treppe hinabzusteigen. Erschreckt fuhr er zurück, verbeugte sich errötend und stammelte:



„Entschuldigung, Fräulein von Naubitz, ich befinde ich so sehr in Eile...“



„Dass ich den Herrn Oberleutnant keinen Augenblick aufhalten, sondern ihm gern den Vortritt lassen werde“, fiel sie ihm mit stolzer Haltung und mit einem feinen, überlegenen Lächeln in die Rede, indem sie mit einer abweisenden Handbewegung zurücktrat.



„Oh, meine Gnädige – so groß ist meine Eile denn doch nicht –, dass ich nicht einige Worte...“



„Danke, danke! D

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