Im Zeichen des Drachen

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Im Zeichen des Drachen
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KARL MAY
IM ZEICHEN DES DRACHEN

REISEERZÄHLUNG

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 11

„AM STILLEN OZEAN“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1306-8

Die Erzählung spielt Anfang der 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts.

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

IM ZEICHEN DES DRACHEN

1. Auf der ,Maatepockeninsel‘

2. Die Rache des Ehri

3. Im Taifun

4. Eine ergebnisreiche Gämsenjagd

5. In Hongkong

6. Chinesische und europäische Musik

7. ,Kiang-lu‘

8. Das leere Nest

9. In der verbotenen Stadt

10. Bei einem chinesischen Großen

11. Im ,Erker der Drachenschlucht‘

12. Gefährliche Bekanntschaften

13. Nach Sibirien

14. ,Om mani padme hum!‘

IM ZEICHEN DES DRACHEN
1. Auf der ,Maatepockeninsel‘

Ein heiterer, wolkenloser Himmel breitete sich über uns aus, aber das strahlende Licht der Sonne vermochte die finsteren Schatten nicht zu verscheuchen, die auf den Zügen der wackeren Seeleute lagen. Missmutig saßen sie mit mir rings um das lodernde Feuer, an dem wir unser Mittagsmahl bereiteten.

Vor uns dehnte sich der niedrige Strand, von drei scharfen, gefährlichen Korallenringen umgeben, außerhalb deren die See ihre weiten, glänzenden Wogen wälzte. Zwischen ihnen und der Küste ruhte das Wasser so unbewegt, als hätte nie ein Sturm in diesen sonnendurchglühten Breiten getobt. Hinter uns stieg das Land zur Höhe, hier und da von grünen Eukalyptussträuchern, dichten Melaleuzeen1 und Gruppen von Kallitriskoniferen bestanden, unter und zwischen denen zahlreiche Akazien- und andere feinstielige Leguminosenarten eine dichte Bodenbekleidung bildeten. Auf dem höchsten Punkt der Insel stand Bob, der Zimmermann, denn an ihm war die Reihe, mit dem Fernrohr unausgesetzt den Gesichtskreis abzusuchen nach irgendeiner Art von Segel, das uns Befreiung aus unserer beklemmenden Lage bringen könnte.

Wir hatten mit unserem guten Dreimaster ,Poseidon‘ vor nunmehr sechs Wochen Valparaiso verlassen, um nach Hongkong zu segeln, in kurzer Zeit die viel befahrenen Linien nach Callao, Guayaquil, Panama und Acapulco durchschnitten und waren dann in schneller, glücklicher Fahrt vor einem steifen Südostpassat immer scharf nach Westen gegangen. Ungefähr auf der Höhe von Ducir und Elisabeth schlug der Passat in einen Orkan um, wie ich ihn von solcher Stärke und Unwiderstehlichkeit während meiner vielen Fahrten noch niemals erlebt hatte.

Wir waren gezwungen gewesen, alle Leinwand außer dem Sturmsegel einzuziehen, und dennoch hatte der ,Poseidon‘ einen Spielball der empörten Wogen gebildet, den keine menschliche Einsicht, Kraft und Geschicklichkeit zu lenken vermochte. Jetzt lag unser Dreimaster gestrandet draußen zwischen den verräterischen Korallenklippen. Der Kutter war über Bord gerissen worden, die Schaluppe hatte bei unserer Landung ein unheilbares Leck bekommen und das Langboot steckte auf einem spitzen, haarscharfen Riff, das sich wie ein malaiischer Dolch in seinen Bug gebohrt hatte.

Die Brandung riss Planke um Planke von dem Schiff, das unrettbar war, und wir hatten zwei Tage lang unter Anstrengung aller Kräfte arbeiten müssen, um wenigstens von der Fracht und den Lebensmitteln so viel zu bergen, wie wir der gefräßigen See zu entreißen vermochten.

Nun war es mit der schweren Arbeit zu Ende und wir kauerten zwischen großen Warenballen und Fässern um das Feuer und bemühten uns, einander an Düsterkeit der Mienen zu überbieten.

Seitwärts stand Kapitän Roberts und war beschäftigt, die Länge und Breite zu berechnen. Wir hatten seit früh wieder freien Himmel und es konnte ihm also jetzt, da die astronomischen und nautischen Messgeräte geborgen worden waren, nicht schwer fallen, seine Aufgabe genau zu lösen.

„Nun, Käpt’n, seid Ihr fertig?“, fragte der Steuermann, während er ein mächtiges Stück Salzfleisch vom Feuer nahm, um es auf seine Bratschärfe zu prüfen.

„Aye, aye, Maat, bin fertig“, lautete die Antwort.

„Wo sind wir?“

„Wir sitzen anderthalb Grad nördlich vom Steinbock auf dem zweihundertneununddreißigsten Grad östlich von Ferro.“

„Wollte, wir säßen daheim in Hobboken bei Mutter Grys und hätten einen festen Schemel unter uns und ein Glas Steifen vor der Nase. Was meint Ihr wohl zu dieser Insel, Käpt’n? Wird ihr Name ausfindig zu machen sein?“

Der Kapitän neigte bedenklich den Kopf.

„Hier gibt’s mehr Inseln als Pockennarben in Euerm Gesicht, und das ist viel gesagt, wie Ihr wohl wisst, Maat. Habt Ihr für jede Narbe gleich den richtigen Namen bei der Hand?“

Der Steuermann bemühte sich, die Schmeichelei, die der Vergleich für ihn enthielt, mit einem sauren Lächeln zu erwidern.

„Habe noch nie daran gedacht, die Teile meiner ehrlichen Fratze zu benamsen, Käpt’n. Aber wenn dieses unglückselige Stück Koralle hier noch keinen Namen hat, so sind wir wahrhaftig gezwungen, ihm einen zu geben. Ich schlage vor, wir heißen das Eiland Maatepockeninsel.“

Er schien seinen Witz für überaus geistreich zu halten, denn das saure Lächeln verschwand und neben dem riesigen Stück Kautabak, das er im Mund hatte, drängte sich ein kräftiges und herzliches Lachen über seine Lippen.

Die Schiffsordnung ist sehr streng und selbst der ,unbefahrenste‘ Seejunge weiß, dass alle einstimmen müssen, wenn der Kapitän oder der Maat so gnädig ist, zu lachen; nur muss der eine sich leiser und der andere lauter beteiligen, je nach dem Rang, den er auf der Schiffsliste einnimmt. Daher öffneten jetzt alle Mannen vom Hochbootsmann an bis herab zum Kajütenhelp die Lippen, um ihre Lachmuskeln pflichtschuldigst in Bewegung zu setzen. Sogar der Kapitän verzog den Mund zu einem wohlwollenden Schmunzeln und meinte dann:

„Ich denke, wir befinden uns so zwischen Holt und Miloradowitsch auf einem weit nach West vorgeschobenen Platz. Was meint Ihr, Master Charley?“

Ich war auf dem Schiff der einzige Fahrgast gewesen, mit dem sich der sonst sehr schweigsame Kapitän unterhalten hatte. Es war mir vorgekommen, als dürfte ich mich seiner Zuneigung rühmen, und er hatte wirklich die Gewohnheit angenommen, mich mehr in Rat zu ziehen, als es sonst von einem Seemann einem Laien gegenüber zu geschehen pflegt. Daher kam es, dass die Mannschaft eine gewisse Achtung vor mir hegte, die mir in manchen Fällen zustatten kam und oft eine kleine Bevorzugung oder Erleichterung zur Folge hatte.

„Meine Berechnung vorhin stimmt mit der Eurigen, Sir“, antwortete ich. „Zwar bin ich in diesen Gegenden noch nie gewesen, aber ich habe mich genau über sie unterrichtet. Sicher ist jedenfalls, dass wir uns auf einer der Pomatu-Inseln2 befinden, obgleich dieses Eiland eine abweichende Form zeigt.“

„Ich war auch noch nicht hier“, gestand der Kapitän. „Wollt Ihr mir wohl sagen, wie die Pomatu-Inseln gebaut sind?“

„Sie sind korallischen Ursprungs, meist rundlich geformt und nicht viel höher als die Oberfläche des Meeres. In ihrer Mitte haben sie meist einen kleinen See und auf dem harten Korallengrund tragen sie gewöhnlich eine fruchtbare Humusdecke. Die Inselwelt wurde zuerst von dem Spanier Quiros im Jahr 1606 entdeckt und zerfällt in mehr als sechzig Gruppen.“

„Wie weit rechnet Ihr von hier bis nach den Gesellschaftsinseln?“

„Sie liegen in der Richtung von Südost nach Nordwest zwischen dem zehnten bis achtzehnten Grad südlicher Breite und dem zweiundzwanzigsten Grad zu zweihundert östlicher Länge. Wir haben also, wenn wir erst West nehmen und dann nach Nord umlegen, sechzehn Grade, und wenn wir die Längskreise und Breitenlinien im Durchmesser nach Nordwest schneiden, vierzehn Grade zu durchmessen.“

Roberts sah mich bei dieser Auseinandersetzung etwas von der Seite an. Der gute Kapitän war nämlich auf den ihm gewohnten Kursen ein braver Schiffsführer, schien aber in anderen Lagen etwas unsicher zu sein.

„Vierzehn Grade? Das ist ein langer Weg, besonders wenn man festsitzt und kein Schiff unter den Füßen hat“, brummte er.

„Hm! Ich gab Euch ja den Rat, so viel Holz wie möglich zu bergen, um ein Fahrzeug zu bauen. Wir haben doch den Zimmermann und konnten alle mit Hand anlegen. Auch aus der Schaluppe, wenn wir sie nicht fahren ließen, und dem Kutter hätte sich vielleicht noch etwas machen lassen. Ihr aber habt die Fracht gerettet und nun sitzen wir fest, wie Ihr ja selber sagt.“

„Well, Sir, das ist Eure Meinung“, antwortete er unmutig. „Ihr wisst aber, dass in solchen Dingen nur die Ansicht des Kapitäns gilt. Die Fracht ist mir anvertraut und ich muss sie zu retten suchen.“

 

Das Schiff und das Leben seiner Leute waren ihm ebenso anvertraut und er hätte die Verpflichtung gehabt, daran zu denken, dass wir, wenn sich kein Schiff zeigte, ohne Fahrzeug hier so gut wie verloren waren. Das Menschenleben ist höher anzuschlagen als Geld und Gut. Doch ich schwieg, denn meine Erinnerung hatte ihn mürrisch gemacht, und es konnte nicht meine Absicht sein, ihn ernstlich zu erzürnen und mir sein Wohlwollen zu verscherzen oder mir gar seine Feindschaft zuzuziehen.

„Zum Essen!“, befahl jetzt der Maat und alles rückte näher, um sich an den dicken Erbsen mit Salzfleisch zu vergnügen. Ich hatte keine Lust zu dieser derben Seemannskost und nahm mein Gewehr, um am Strand hinzuschlendern, an dem ich ganze Scharen Seevögel bemerkt hatte, die hier auf den Pomatu-Inseln zahlreich vorkommen. Ich kehrte wirklich schon nach einer Viertelstunde mit reicher Beute zurück und wurde mit einem fröhlichen Hallo empfangen. Die Vögel waren die Feindschaft des Menschen nicht gewohnt, darum hatten meine Schrote mächtig unter ihnen aufgeräumt. Sie wurden schleunigst gerupft und gebraten und lieferten einen Nachtisch, dessen Schmackhaftigkeit den Kapitän wieder in seine gute Laune versetzte.

„Ihr seid ein famoser Kerl, Charley“, meinte er. „Ich könnte so ein Schießgewehr hinhalten, wo ich wollte, ich würde nichts treffen, davon bin ich überzeugt. Ein Ruder führen, ja das bringt man schon noch fertig, aber einen Braten schießen, hm, das ist doch etwas anderes. Sagt einmal, Charley, ob es hier an Back- oder Steuerbord wohl Menschen gibt!“

„Ich denke es.“

„Von welcher Sorge?“

„Malaien natürlich. Ihr wisst doch, dass viele der Pomatu-Inseln bewohnt sind.“

„Das weiß ich; aber ob in der Nachbarschaft Leute leben, das ist ja für uns die Hauptsache.“

„Möglich wäre es. Wenigstens sollten ich meinen, dass Holt und Miloradowitsch, zwischen denen wir uns wahrscheinlich befinden, Bewohner haben.“

„Ist’s ein gefährliches Volk?“

„Sie sind meint noch Wilde und man erzählt sich sogar, dass es unter ihnen Menschenfresser geben soll.“

„Sehr angenehm, Charley! Wir freilich haben von solchen Leuten nichts zu befürchten, aber – – ich glaube, wir könnten mit ihnen gar nicht einmal verhandeln. Wenigstens kenne ich keinen unter uns, der ihre Sprache versteht.“

Der Steuermann schob sich ein gewaltiges Stück Salzfleisch zwischen die Zähne und meinte kaltblütig:

„Ich bin es, der sie versteht, Käpt’n.“

„Ihr? Wie? Woher wollt Ihr das gelernt haben?“

„Mit Menschenfressern spricht man nur mit diesem da!“

Er hob das Messer in die Höhe, zog die fürchterlichste Miene, die ihm möglich war, und machte eine Bewegung mit dem Arm, als wollte er jemand erstechen.

„Ihr versteht doch nicht etwa Malaiisch, Charley?“, fragte der Kapitän.

Ich musste lächeln. Charley war stets der Mann, von dem der gute Roberts glaubte, dass er alles verstehen müsse.

„Die Wahrheit ist, Käpt’n, dass ich während meines Aufenthalts auf Sumatra und Malakka mir das eigentliche Malaiisch, das durch die ganze australische Inselwelt Verkehrssprache ist, ein wenig angeeignet habe. Das Kawi, die malaiische Priester- und Schriftsprache, verstehe ich nicht; dafür aber glaube ich, dass ich mich den Bewohnern der Tahiti- und Marquesas-Inseln in ihrem Dialekt verständlich machen kann.“

„Dann seid Ihr ja ein richtiger Polynesier.“

„Die Sache ist einfach die, dass man sich leichter in eine fremde Sprache findet, wenn man während seiner Schülerzeit einen guten Grund gelegt hat. Bei der Bekehrung der westmalaiischen Volksstämme zum Mohammedismus hat ihre Sprache viel von dem Arabischen aufgenommen und wird noch jetzt mit wesentlich arabischen Buchstaben geschrieben. Da ich nun das Arabische verstehe, so hat mir ein Zurechtfinden im Malaiischen nicht viel Mühe gemacht.“

„Dann müsst Ihr uns als Dolmetscher dienen, wenn wir ja mit Polynesiern zusammentreffen sollten.“

„Ahoi – iiiih!“, erscholl es da von der Anhöhe herab.

Bob musste etwas Auffälliges bemerkt haben und gab uns das mit dem gewöhnlichen Seemannsruf zu verstehen.

„Ahoi – iiiih!“, entgegnete der Kapitän. „Was ist’s, Zimmermann?“

„Ein Segel in Sicht!“

„Wo aus?“

„Süd nahe bei Ost!“

„Was für eins?“

„Kein Schiff, sondern ein Fahrzeug.“

Der Seemann ist gewohnt, bloß Dreimaster ,Schiffe‘ zu nennen. Bob hielt das Rohr wieder an die Augen und blickte nochmals aufmerksam hindurch. Dann berichtete er, sich wieder zu uns drehend:

„Es ist ein Boot oder so etwas, mit einem Segel, wie ich es in dieser Form noch nicht gesehen habe.“

„Es müsste eine malaiische Praue sein“, meinte ich. „Lasst uns hinaufgehen, um uns zu überzeugen, Käpt’n!“

Die anderen mussten zurückbleiben und wir beide eilten empor. Als wir oben anlangten, war das Segel bereits mit dem bloßen Auge zu erkennen. Ich nahm Bob das Fernrohr ab, blickte hindurch und gab es dann dem Kapitän.

„Da, seht einmal, Käpt’n! Es ist ein Boot von der Art, wie man es auf den Gesellschaftsinseln hat. Bemerkt Ihr den Ausleger an der Seite? Er soll das Kentern verhüten, das sonst leicht möglich wäre, da diese langen, scharfen Fahrzeuge bloß für einen Mann breit genug sind und einen runden Boden haben.“

„Ich gebe Euch Recht, Charley! Aber da schaut: eins, zwei, vier, fünf, sieben, zehn, dreizehn, vierzehn Segel hinter ihm!“, zählte Roberts. „Sie liegen ganz draußen am Horizont und sind nicht größer als ein Dollar. Hier, nehmt das Rohr!“

Ich überzeugte mich, dass er richtig gesehen hatte. Die meisten Punkte wurden größer; wir hatten es mit fünfzehn Fahrzeugen zu tun, die, wie sich nach ihrem Bau vermuten ließ, je mit einem Mann besetzt waren.

„Tretet hinter dieses Riff!“, meinte ich. „Wir wissen nicht, in welcher Absicht sie kommen, und haben also keine Ursache, uns vorzeitig blicken zu lassen.“

„Wird uns der Mann da vorn nicht bereits wahrgenommen haben?“, fragte der Zimmermann.

„Nein“, antwortete Roberts. „Wir stehen zu seinem Auge zwar hoch gegen den Himmel, aber bevor wir nicht seinen Bord genau erkennen, kann er auch uns nicht bemerken. Übrigens muss er ein sehr gewandter und kräftiger Bursche sein. Schaut, Charley, wie geschickt er den Wind und mit den Rudern jede Woge benutzt! Er kommt wahrhaftig wie mit Dampfkraft näher und arbeitet, meiner Treu, als ob er verfolgt würde.“

„Das scheint auch wirklich der Fall zu sein, Käpt’n. Ich kann ihn mit dem Rohr deutlich erkennen und sehe, dass er sich zuweilen erhebt, um zurückzublicken.“

„Was tun wir, Charley?“

„Wir müssen die Sache untersuchen, ehe die anderen in Augenweite kommen. Sie mögen ihn verfolgen oder nicht, sie mögen uns freundlich oder feindlich gesinnt sein: Wir müssen uns so vorbereiten, als hätten wir einen Angriff zu erwarten.“

„Hm, ja, Ihr habt Recht. Aber – – hm! Werde ich an Bord angegriffen, so weiß ich, was ich zu tun habe. Hier zu Land jedoch – – hm! Ist es nicht am besten, wenn wir unsere Leute alle hier oben aufstellen? Wir wären dann gedeckt und könnten das ganze untere Gelände bestreichen.“

„Sehr richtig! Aber ist es nicht besser, die Gegner zwischen zwei Feuer zu nehmen?“

„Wieso?“

„Wir teilen uns. Während wir bei unseren Sachen für alle Fälle eine Wache zurücklassen, nimmt die eine Hälfte hier oben Stellung, die andere aber geht längs des Strandes vor, um auf jener Klippenreihe da links den Korallenring zu gewinnen. Dort legen sie sich, um nicht bemerkt zu werden, platt zur Erde. Falls es zum Kampf kommen sollte, eilen sie auf ein Zeichen längs des Rings bis zu der Stelle da gerade vor uns, wo die Korallen die Bucht umschließen, in die die Malaien allem Anschein nach eindringen werden. Auf diese Weise sind die Feinde eingeschlossen und müssen sich ergeben, wenn sie nicht sterben wollen.“

„Richtig, ja, das ist das Beste, Charley! Aber wie erfahren wir, was die Leute herbeiführt und welche Gesinnung sie gegen uns hegen?“

„Ich werde den Mann im ersten Boot empfangen und mit ihm sprechen.“

„Wirklich, das wollt Ihr? Wenn er Euch nun tötet?“

„Das wird er nicht tun, Käpt’n, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Diese Leute sind entweder nach alter Weise mit Schleudern, Keulen, Pfeilen und Bogen, Lanzen und Wurfspießen bewaffnet, also einer guten Büchse gegenüber ungefährlich. Oder sie besitzen Schießgewehre, und dann sind das sicherlich nur alte Musketen und Steinschlossflinten von Anno Tobak her, die gegen unsere Bewaffnung nicht aufkommen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit Bob gleich hier bleiben; ich werde das Nötige anordnen.“

„Tut es, Charley! Ich weiß, dass Ihr das Richtige treffen werdet.“

Ich eilte hinab.

„Was habt Ihr gesehen, Sir?“, fragte mich der Steuermann, als ich unten anlangte.

„Fünfzehn Wilde, die in ebenso vielen Booten nach der Südbucht kommen.“

„Well, das ist gut, denn dann können wir ja gleich erfahren, welchen Namen diese verwünschte Insel hat. Ihr kommt doch, um uns zu sagen, dass wir uns bewaffnen sollen?“

„Allerdings. Huck und Classen mögen hier bei den Sachen bleiben. Ihr, Maat, geht mit der Hälfte der Leute da hinaus auf den Ring und bewegt Euch vorsichtig vorwärts, bis Ihr die Bucht erblickt. Da legt ihr euch platt nieder, damit ihr nicht von den Feinden bemerkt werdet! Kommt es zum Kampf, so erhebt ihr euch beim ersten Schuss oder auf ein Zeichen von mir und lauft vorwärts, um die Bucht zu umschließen. Habt Ihr mich verstanden?“

„Aye, aye, Sir!“

„Dann vorwärts! Es ist keine Zeit zu verlieren.“

Der Steuermann verteilte schnell Waffen und Munition unter seine Leute und eilte mit ihnen davon.

„Ihr anderen geht hinauf zum Kapitän! Nehmt seinen Schiffssäbel und seine Flinte mit, auch für den Zimmermann ein Gewehr!“

Sie hatten sich bereits bewaffnet und schritten der Anhöhe zu. Ich selber steckte das Messer und den Revolver ein, griff zum Stutzen und eilte längs des Hangs hin, um dem Inhaber des ersten Boots entgegenzugehen. Die Insel war nicht groß: Ich bekam ihn bereits nach zehn Minuten zu Gesicht. Er näherte sich schon dem Korallenring, der nur eine so schmale Durchfahrt frei ließ, dass man sie mit einem guten Anlauf überspringen konnte. Sein Segel war jetzt gerefft und er bediente sich bloß der Ruder, um die schwierige Stelle zu überwinden.

Es gelang ihm. Die Brandung trieb ihn durch den engen Kanal in das ruhige Wasser der Bucht. Hier erhob er sich hart hinter den Korallen. Er hatte die Ruder weggelegt und zu Pfeil und Bogen gegriffen. Nach der Insel gewandt, legte er den Pfeil auf den Bogen und schoss. Der Pfeil erreichte das Land an einer Stelle, die etwa zwanzig Schritte von der Küste einwärts lag.

Jetzt war ich gewiss, dass er von den anderen verfolgt wurde. Jedenfalls beabsichtigte er, vom Land aus die Durchfahrt zu verteidigen, und hatte erproben wollen, ob ihm das mit dem Pfeil möglich sei. Nun griff er wieder zum Ruder und kam herbei.

Diese Seite der Insel zeigte eine dichtere Vegetation die nördliche, auf der wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Es gab hier hohen, breitwedeligen Farn, der ein unbemerktes Anschleichen begünstigte. Ich pirschte mich so schnell wie möglich näher.

Er stieß sein Kanu ans Ufer. Es war eins der auf den Gesellschaftsinseln gebräuchlichen, einfach aus einem Stamm gehauenen Fahrzeuge mit einem runden Boden. Durch diese Bauart vermag ein solcher Kahn rascher zu segeln, würde aber auch sehr leicht umschlagen, wenn er nicht durch einen so genannten Outrigger3 davor bewahrt würde.

Diese Ausleger bestehen aus zwei quer über das Kanu befestigten Stangen oder Hölzern, die nach rechts hinaus einen leichten, kufenartig geschnittenen Balken halten, der gleichlaufend mit dem Kahn unter die Hölzer gebunden ist. Der Balken schwimmt also, etwa vier Fuß vom Steuerbord des Kahns entfernt, auf dem Wasser und ist mit Baststricken fest an die Querhölzer geschnürt. Ein Umschlagen des Fahrzeugs, ja selbst ein Schaukeln wird dadurch zur Unmöglichkeit gemacht. Denn das Boot kann nicht nach links hinüberkippen, weil es dann den ganzen nahezu eineinhalb Meter abstehenden Balken aus dem Wasser heben müsste; und nach rechts ebenso wenig, da sich der aus leichtem Holz bestehende Balken mit den Querstangen und auf diese Entfernung hin nicht unter Wasser drücken lässt. Diese Kanus fahren daher selbst bei unruhiger See sicher und zuverlässig. Freilich würde man sich ohne die Ausleger nur äußerst vorsichtig darin bewegen dürfen, da der runde Boden der geringsten Neigung des Körpers folgt; bei der kleinsten Schwankung liefe man nicht nur Gefahr, zu kentern und ein unfreiwilliges Bad zu nehmen, sondern man könnte diesen an und für sich kleinen Unfall leicht mit dem Leben bezahlen, da die Buchten und sonstigen Wasser dieser Inseln von gefräßigen Haien wimmeln.

 

Der Verfolgte zog sein Boot halb aus dem Wasser, hing sich den Köcher über, nahm den Bogen zur Hand und griff dann auch nach einer Flinte, deren Riemen er über die Schulter legte. Er schritt nach der Stelle, wo sein Pfeil lag, hob ihn auf und marschierte dann in gleich großen Schritten und gerader Linie landeinwärts. Jedenfalls wollte er die Entfernung messen für den Fall, dass seine Verfolger in die Bucht drangen und zu landen versuchten. Sein Benehmen war das eines kühnen und dabei doch vorsichtigen Mannes, der keinen Umstand, der ihm nützlich sein kann, unberücksichtigt lässt. Er näherte sich mir dabei so, dass ich ihn deutlich seine Schritte zählen hörte.

„Satu, dua, tiga, ampat, lima, anam, tudschuh, dalapan, sambilan, sapuluh“, murmelte er von eins bis zehn und fuhr dann fort: „Sapuluh-satz, spuluh-dua, spuluh-tiga...“

„Rorri – halt!“, gebot ich da, mich aus dem Farn erhebend und ihm die Hand auf die Schulter legend. „Was tust du hier?“

Er erschrak über mein plötzliches Erscheinen, hatte sich aber im nächsten Augenblick gefasst und zog das Messer aus dem Gürtel. Jetzt erkannte er, dass ich kein Eingeborener sei, und ließ den zum Stoß erhobenen Arm wieder sinken.

„Inglo?“

„Nein, ich bin kein Engländer.“

„Franko?“

„Ja“, antwortete ich, denn ich nahm an, dass er mit dem Wort nicht einen Franzosen bezeichnen wollte, sondern es in dem weiteren Sinn gebrauchte, mit dem alle Abendländer gemeint sind.

„Oh, das ist gut! Bist du allein, Sahib?“

War er in Indien gewesen, dass er mir diesen Titel gab? Ich zog es vor, ihn noch nicht aufzuklären, und fragte:

„Was suchst du hier?“

„Rettung.“ Er wandte sich zurück und deutete mit der Hand auf die Boote, die jetzt so nah waren, dass man ihre Borde deutlich erkennen konnte. „Sie verfolgen mich und wollen mich töten.“

„Weshalb?“

„Ich bin reich und ein Christ.“

„Und sie sind Heiden?“

Er nickte bejahend.

„Einige sind noch Heiden und einige haben sich von dem Inglo-Mitonare taufen lassen.“

Mitonare heißt Missionar und mit diesem Wort bezeichnet das in seinem Sprachschatz arme Inselvolk auch alles, was mit der Religion der Christen in Verbindung steht, wie z. B. Kirche, Prediger, Altar, Kreuz, Predigt, Bibel, selig, heilig, fromm usw. Alles das wird nur ,mitonare‘ genannt. Hier war jedenfalls ein Missionar der anglikanischen Kirche gemeint.

„So sind diese von dem Inglo-Mitonare Getauften also doch Christen?“

„Eita – nein. Sie glauben noch immer an Atua, den guten Gott, und an Ori, den Gott alles Bösen, aber sie haben sich taufen lassen, weil sie dann mit den Ingli handeln dürfen und schöne Sachen bekommen.“

„Wie heißt du?“

„Potomba.“

„Von welcher Insel bist du?“

„Ich wohne in Papetee, der Hauptstadt von Tahiti. Ich bin ein Ehri, ein Fürst des Landes, und werde alle meine Feinde töten!“

Er blickte zurück. Soeben versuchte das erste Boot seiner Verfolger die Einfahrt durch den engen Kanal. Er sprang zurück bis an den Ort, wo sein Pfeil niedergefallen war, spannte den Bogen und zielte. Der Pfeil schwirrte von der Sehne. Er hätte den Mann sicher getroffen, aber eine jäh hereindrängende Woge hob den Kahn empor und das spitze Geschoss bohrte sich ins Holz. Unwillkürlich hatte sich der Insasse des Bootes aus Furcht vor dem Pfeil niedergebückt und dabei die Ruder außer Tätigkeit gesetzt; dieselbe Woge, die ihn hereingetrieben hatte, erfasste im Zurückfluten sein Fahrzeug und riss es wieder aus der Einfahrt heraus.

„Hallo – o – oh!“, rief es da von dem Korallenring aus, und als ich mich seitwärts wandte, sah ich – den Steuermann mit den Seinen herbeispringen.

Der Maat hatte den Pfeilschuss fälschlicherweise für das Zeichen gehalten und machte jetzt meinen ganzen Plan zunichte. Die Verfolger hatten mich zwar bereits gesehen, ohne deshalb von ihrem Vorhaben abzulassen; als sie aber erkannten, dass die Insel von einer ganzen Truppe europäisch gekleideter Männer besetzt war, beschlossen sie den Rückzug, zogen schleunigst die Segel wieder auf und ruderten von dannen.

Ich schritt jetzt nach dem Strand, wo Potomba auf die Knie gesunken war.

„Bapa kami iang ada de surga, kuduslah kiranja namamu4“ hörte ich ihn beten nach dem Wortlaut, den die von der Mission Bekehrten anzuwenden pflegen. Dann sprang er freudig auf und rief: „Ich bin gerettet! Sie fliehen und ich brauche keinen zu verletzen. Fast hätte mein Pfeil Anoui, den falschen Priester, getötet, der doch der Vater meines Weibes ist.“

Nur die Not hatte ihn also zur Gegenwehr gedrängt, und ich erkannte in seinem jetzigen Ausruf und dem vorangehenden Dankgebet eine wahrhaft christliche Gesinnung, die unter den Bekehrten in dieser Herzensaufrichtigkeit nicht häufig angetroffen wird und dem jungen Mann mein Wohlwollen erwarb. Jedenfalls war er aus wirklicher Überzeugung Christ geworden.

„Wer ist Anoui?“, fragte ich ihn.

„Der Prister von Tamai.“

Ich besann mich.

„Liegt Tamai nicht auf Eimeo, der Nachbarinsel von Tahiti?“

„Ja, Sahib. Tamai befindet sich nicht weit von der Bai von Opoauho. Pareyma, mein Weib, ist die Tochter des Priesters, denn ein Ehri nimmt sich nur die Tochter eines Fürsten oder Priesters zur Frau.“

„Und warum ist Anoui jetzt dein Feind?“

„Weil ich Christ geworden bin. Er hat mir Pareyma, die Perle meines Lebens, abverlangt, aber ich gab sie ihm nicht. Da verklagte er mich bei den Ingli, die nicht an die mitonare (heilige) Jungfrau Marrya glauben, und sie halfen ihm. Ich aber ging zu den Franki, die viele mitonare Männer und Frauen im Himmel des guten Bapa haben, und sie unterstützten mich: Ich durfte Pareyma in meinem Haus behalten, obgleich sie mir nicht der Mitonare, sondern unser Priester gegeben hat, als ich noch ein Heide war. Dann musste ich fort nach den Tubuai-Inseln, um Kleider, Waffen und Perlen umzutauschen, denn seit die Europäer zu uns gekommen sind, ist alles anders und böser geworden, und selbst wer früher ein Fürst war, muss durch Arbeit oder Handel Geld verdienen. Anoui wusste, wohin ich ging, und folgte mir mit seinen Leuten nach. Als ich die Inseln von Tubuai verließ, lauerte er mir auf, um mich zu töten und mir den Reichtum zu nehmen, den ich bei mir führte.“

„Getötet hat er dich nicht, aber deine Habe – hast du sie hier im Boot?“

„Nein. Er bekam beides nicht, mein Leben und mein Eigentum, denn meine Hand ist stärker als die seine, und sein Verstand ist dunkler als der eines Ehri. Als ich ihn mit seinen Booten auftauchen sah, fuhr ich ihm entgegen und sandte meine Diener mit den Kähnen, auf denen sich meine Habe befand, auf einem Umweg nach Papetee. Ihn aber lockte ich bis hierher, wo ich ihn hätte töten müssen, wenn er nicht geflohen wäre.“

Sein Auge leuchtete und seine dunkle Wange brannte vor Erregung; er war noch jung und wirklich schön, als er so drohend vor mir stand; auf den langen, schwarzen Flechten den federgeschmückten Turban, zwei wertvolle Perlen an jedem Ohr und die gelbseidene Marra als Gürtel um die rot und weiß gestreifte Tebuta geschlungen, die in reichen Falten von seiner Schulter bis zum Knie reichte und das Ebenmaß seiner schlanken, kräftigen Gestalt vorteilhaft hervorhob.

„Was wirst du jetzt beginnen?“, fragte ich ihn.

„Sage zuvor, was ihr mit mir beginnen werdet, Sahib!“, antwortete er, nach der Höhe deutend, von der sich der Kapitän mit den Seinen näherte.

„Ich bin dein Freund und du hast von uns nichts zu befürchten. Du kannst tun, was dir beliebt. Doch bitte ich dich, dass du auch unser Freund wirst.“

„Ich bin es, Sahib! Sage mir deinen Befehl und ich werde ihn vollbringen, denn ich sehe es an deinem Auge, dass du nichts Böses von mir fordern wirst.“

„Wir bitten dich um Hilfe!“

Er blickte mich so erstaunt an, dass ich mich eines leisen Lächelns nicht erwehren konnte. Ich war einen vollen Kopf höher als er; der Turban mit Schleier, den ich trug, der dichte Vollbart, die abenteuerliche Kleidung, die sich nach unten in einem Paar riesiger Seemannsstiefel verlief: Das alles mochte wohl den Eindruck machen, als sei ich gewohnt, nur auf meine eigene Kraft zu vertrauen und fremder Unterstützung nicht leicht bedürftig.“

„Wer bist du und was tust du hier?“, fragte er.