Er Raml el Helahk

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KARL MAY
ER RAML EL HELAHK

(DER ‚SAND DES VERDERBENS‘)

REISEERZÄHLUNG AUS DEM ORIENT

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 10

„SAND DES VERDERBENS“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1304-4

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER SAND DES VERDERBENS

1. In den Felsengrotten der Sahara

2. Schrecken der Wüste

DER SAND DES VERDERBENS
1. In den Felsengrotten der Sahara

Die Sonne hatte ihren Tageslauf fast vollendet. Darum lag ich nach der glühenden Hitze etwas entfernt vom Brunnen vollständig im Schatten meines Reitkamels, während sich die anderen Mitglieder der Karawane rund um das brackige, schlecht schmeckende Wasser niedergelassen hatten und den überschwänglichen Reden meines Châdim[1] Kamil lauschten.

Ich konnte jedes Wort verstehen und hörte mit heimlichem Vergnügen, welche Mühe er sich gab, alle meine unzähligen guten Eigenschaften ins richtige Licht zu setzen.

„Nicht wahr, du heißt Abram Ben Sakir und bist ein reicher Mann?“, fragte er den neben ihm sitzenden Handelsherrn aus Mursuk. „Wie viel bezahlst du jedem deiner Begleiter auf dieser Reise für den Tag?“

„Zweihundert Kauris[2]“, antwortete der Gefragte bereitwillig. „Ist das nicht genug?“

„Für deinen Besitz, ja. Aber mein Sihdi[3] ist viel reicher als du. Er heißt Kara Ben Nemsi und in den Oasen seines Vaterlandes weiden 1.000 Pferde, 5.000 Kamele, 10.000 Ziegen und 20.000 Schafe, mit fetten Schwänzen, die ihm gehören. Er gibt mir täglich einen Abu ’n Nokta[4], sodass ich reicher als du sein werde, wenn ich von ihm in mein Duar[5] zurückgekehrt bin. Sag, was bist du gegen ihn?“

Der Aufschneider log gewaltig, denn ich zahlte ihm nicht täglich, sondern wöchentlich einen Mariatheresientaler. Er bekam also nach deutschem Geld täglich ungefähr 50 Pfennig. Der reiche Handelsherr hob die Schultern.

„Allah gibt und Allah nimmt, die Menschen können nicht alle gleich wohlhabend sein.“

„Du hast Recht“, nickte Kamil, „und weil mein Herr der Liebling Allahs ist, hat er viel von ihm bekommen. Ahnst du vielleicht, wie berühmt der Name Hadschi Kara Ben Nemsi in allen Ländern und bei allen Völkern der Erde ist? – Er spricht alle viertausendundfünfzig Sprachen der menschlichen Zunge, kennt die Namen aller achtzigtausend Tiere und Pflanzen, heilt alle zehntausend Krankheiten und schießt den Löwen mit einer einzigen Kugel tot. Seine Mutter war die schönste Frau der Welt. Die Mutter seines Vaters wurde der Inbegriff der Tugenden genannt und die sechsunddreißig Frauen, die er besitzt, sind folgsam, lieblich und nach Ambra duftend wie die Blumen des Paradieses. Er hat die Heere aller Helden besiegt. Vor seiner Stimme zittert sogar der schwarze Panther, und wenn, um uns zu überfallen, die räuberischen Tuareg kämen, in deren Gebiet wir uns leider jetzt befinden, so genügte allein seine kleine Flinte, sie in die Flucht zu treiben. Blick hin zu ihm! Siehst du, dass er zwei Gewehre hat, ein großes und ein kleines? Mit dem großen schießt er eine ganze Kal‘a[6] über den Haufen und mit dem kleinen kann er hunderttausendmal schießen, ohne zu laden, darum wird es eine Bundukîjet el tekrâr[7] genannt. Fast wünsche ich, dass diese Halunken kämen, dann solltet ihr sehen...“

„Sei still, um Allahs Willen!“, unterbrach ihn der Schêch el Dschemâli[8] rasch. „Wenn du die Mörder herbeiwünschst, so kann es dem Scheїtan[9] leicht einfallen, sie wirklich herbeizuführen, und dann wären wir verloren!“

„Verloren? Wenn mein Effendi hier ist und auch ich bei euch bin?“

Er hätte in dem Ton wohl noch weitergesprochen, da aber deutete der Schêch el Dschemâli auf die Sonne.

„Seht, ihr Männer, dass die Sonne den Himmelsrand berührt! Das ist die Stunde des Abendgebets. Gebt Allah Preis, Lob und Ehre!“

Sie sprangen alle auf, tauchten ihre Hände ins Wasser, knieten dann, mit dem Gesicht gen Mekka gewendet, nieder und beteten unter den vorgeschriebenen Verbeugungen und Handbewegungen dem alten Schêch die heilige Fâtiha nach.

Auch ich kniete währenddem im Sand und verrichtete mein christliches Abendgebet, natürlich ohne ihre Bewegungen nachzuahmen, denn ich hatte ihnen nicht verschwiegen, dass ich kein Mohammedaner sei. Ich war gestern, gleich nachdem ich mit meinem Kamil ihre Handelskarawane eingeholt hatte, so aufrichtig gewesen, ihnen das zu sagen, und sie hatten mir dennoch erlaubt, mich ihnen anzuschließen.

Als das Gebet beendet war und wir uns von den Knien erhoben hatten, sahen wir von Norden her einen einzelnen Kamelreiter kommen. Sein Hedschîn[10] war ein vorzüglicher Schnellläufer, und seine Waffen bestanden aus einer langen, arabischen Flinte und zwei Messern, die er an Armbändern an seinen Handgelenken hängen hatte. Diese Art, die Messer zu tragen, ist für den Gegner sehr gefährlich: Man umarmt ihn im Ringkampf und sticht ihm dabei die beiden Klingen von hinten in den Rücken.

„Salâm!“, grüßte er und sprang dabei aus dem Sattel, ohne sein Kamel niederknien zu lassen. „Erlaubt mir, hier mein Hedschîn zu tränken und euch vor den Feinden zu warnen, denen ihr entgegengeht!“

Er war in einen langen, weißen Burnus gehüllt, unter dessen Kapuze sein dunkles, stark eingefettetes Haar hervorquoll. Groß und kräftig war seine Gestalt. Er hatte ein volles Gesicht mit einer Abplattung in der Gegend der Backenknochen, eine kurze, fast stumpfige Nase, kleine Augen und ein rundes Kinn. Hätte er das Litham getragen, einen Gesichtsschleier, der nur die Augen frei lässt, so wäre ich überzeugt gewesen, einen Targi[11] vor mir zu haben.

„Du bist uns willkommen“, antwortete der Schêch, als das Tier des Fremden von selbst zum Wasser lief. „Wen aber meinst du, indem du von Feinden redest?“

„Die Imoscharh“, erwiderte der Gefragte.

Dieses Wort ist gleichbedeutend mit dem Wort Tuareg, dessen sich nur die Araber bedienen, während die Angehörigen des betreffenden räuberischen Volkes sich als Imoscharh bezeichnen.

„Du meinst die Tuareg? Befinden sich welche auf unserem Weg?“

„Sehr viele sogar, und zwar in der Oase Seghedem.“

„Allah! Dorthin wollten wir in dieser Nacht reiten!“

„Das könnt ihr nicht. Wir waren eine Karawane von über dreißig Männern mit achtzig Kamelen. Wir kamen vom Bir Ishaja und hielten uns für sicher. Kaum aber hatten wir Seghedem erreicht, so wurden wir von den Imoscharh, die sich dort versteckt hielten, überfallen und trotz der tapferen Gegenwehr niedergemetzelt. Ich bin der Einzige, der entkommen ist.“

„Allah!“, rief der Alte betroffen aus. „Die Hunde hat uns der Scheїtan in den Weg geführt! Sie werden in Seghedem liegen bleiben. Was tun wir da? Sollen wir hier warten, bis sie fort sind, hier am Bir[12] Ikbar, dessen Wasser für Menschen kaum zu genießen ist und für unsere Tiere keinen Tag mehr ausreichen würde?“

Er sah sich ratlos im Kreis um. Abraham Ben Sakir, der Handelsherr, machte ein bedenkliches Gesicht.

„Können wir die Oase Seghedem nicht umgehen?“

„Nein“, entgegnete der Schêch. „Nach Osten ist das unmöglich, denn der nächste Brunnen dorthin liegt drei volle Tagereisen von hier im Gebiet der Tibbu, und der Umweg nach Westen würde uns in die Berge der Maghâwir eß ßuchûr[13] führen, in denen ich mich nicht auskenne.“

„Aber ich weiß dort Bescheid“, erklärte der Angekommene.

„Du?“, fragte der Schêch erstaunt. „So wärest du ja ein Chabir[14], der in dieser Gegend weit erfahrener ist als ich, und doch zähle ich das Doppelte deiner Jahre.“

„Es ist so, ich bin Chabir. Das Alter spielt keine Rolle dabei. Ich kenne diese Gegend, weil ich mehrere Male da gewesen bin. Ich war auch der Chabir der Karawane, die von den Imoscharh überfallen wurde, und hätte mich nicht retten können, wenn mir der Wüstenweg unbekannt gewesen wäre. Ich bin ein Krieger der Beni Riah und werde Omar Ibn Amarah genannt.“

Der arabische Stamm der Beni Riah wohnt allerdings in Fessan, aber es wurde mir schwer, diesen Chabir für einen Araber zu halten, zumal er die Tuareg als Imoscharh bezeichnete, was ein Araber nicht getan hätte. Meinen Zweifel hegte der Schêch aber nicht, denn er sagte:

„Ich weiß, dass die Beni Riah Männer sind, die den Weg von Mursuk nach Bilma genau kennen. Und du glaubst, dass wir auf diesem Wege die Oase Seghedem und die Tuareg umgehen könnten?“

„Ja, es ist leichter, als du denkst. Wenn wir von hier aus einen Bogen um die Oase reiten, lassen wir die Gefahr rechts von uns liegen und kommen glücklich beim Bir Ishaja an. Ich will euch führen, denn ich denke, dass auch alle deine Begleiter den Wunsch hegen.“

 

„Sie hegen ihn. Setz dich zu uns und sei unser Gast! Wir werden jetzt essen und nach dem Abendgebet von hier aufbrechen.“

„Ich bin bereit, euer Führer und Gast zu sein, doch wirst du mir erst sagen, wer die Männer sind, deren Schêch el Dschemâli du zu sein scheinst.“

„Du siehst hier Abraham Ben Sakir, den Handelsherrn aus Mursuk, dem all die Diener und Lastkamele gehören. Ich soll ihn von Bilma nach Mursuk bringen. Und dort stehen zwei Fremde, die sich gestern zu uns gesellt haben. Es ist Hadschi Kara Ben Nemsi aus dem Abendland, mit Kamil Ben Sufakah, der sein Diener ist.“

Der Chabir sah uns mit scharfem, stechendem Blick an und fragte dann Kamil grollend:

„Dein Name ist Kamil Ben Sufakah? Zu welchem Volk gehörst du?“

„Ich bin ein Dscherar von der Ferkat[15] Ischelli.“

„Und als Muslim bist du der Diener eines Ungläubigen geworden? Schande und Fluch über dich! Möge dich die Dschehennem[16] verschlingen!“

Er spuckte ihn an, was sich mein Kamil ruhig gefallen ließ, denn er war nur mit dem Mund tapfer, in der Tat aber ein Feigling, der Seinesgleichen suchte. Das Einzige, was er wagte, war, sich mit vorwurfsvoller Frage an mich zu wenden:

„Sihdi, kannst du es dulden, dass dein treuer Diener so beleidigt wird, du, der Held aller Helden, der zwei Gewehre hat?“

„Der Held der Helden?“, lachte der Chabir verächtlich. „Wie kann ein Giaur ein Held sein! Ich werde dir zeigen, wie man mit so einem stinkenden Hund zu sprechen hat.“

Er kam auf mich zu, blieb drei Schritte vor mir stehen und funkelte mich mit lodernden Augen an.

„Du bist ein Christ?“

„Ja“, erwiderte ich in aller Ruhe.

„Und du glaubst, dass ich dich wirklich nach Mursuk bringen werde?“

„Nein!“

„Nicht?“, klang es erstaunt. „Du hast es erraten. Ein gläubiger Sohn des Propheten wird sich nie dazu hergeben, der Chabir eines Christen zu sein, dessen Seele für die Hölle bestimmt ist.“

„Du irrst. So, wie du denkst, habe ich es nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, dass es überhaupt nicht dein Wille ist, jemand nach Mursuk zu führen.“

„Maschallah! Was hindert mich, dich für diese Beleidigung niederzuschlagen!“

„Lass dich nicht auslachen! Ein Targi, wie du bist, schlägt mich nicht nieder.“

Er hob schon die Faust zum Hieb, ließ sie aber vor Erstaunen wieder sinken.

„Wie? Für einen Targi hältst du mich? Warum?“

„Darüber habe ich dir keine Rechenschaft abzulegen. Aber warum willst du jetzt nicht nach Bilma weiterreiten, sondern nach Mursuk umkehren? Warum bist du nicht gleich umgekehrt, als deine Karawane in der Oase Seghedem überfallen wurde, sondern eine ganze Tagereise bis hierher weitergeritten?“

„Weil – weil...“

Er stockte. Meine Frage brachte ihn so in Verlegenheit, dass er erst nach einiger Zeit fortfahren konnte:

„Weil die Imoscharh mir den Rückweg verlegt hatten.“

„Das war kein Grund, einen ganzen Tag lang weiterzureiten. Ich schenke keinem deiner Worte Glauben. Dass die Tuareg irgendwo stecken, daran will ich nicht zweifeln, in Seghedem aber wahrscheinlich nicht. Ich nehme vielmehr an, dass du uns erst zu ihnen bringen willst. Du bist ihr Rasûl[17], ihr Dschasûs[18], der uns in ihre Hände liefern soll. Wahrscheinlich stecken sie im Gebiet der Felsengrotten, weil du uns dorthin führen willst.“

Ich sagte das in einem so überzeugten Ton, dass er einige Zeit brauchte, seine Bestürzung zu überwinden, dann aber brach er los:

„Allah! Ein Dschasûs werde ich genannt, ein Dschasûs, zum Dank dafür, dass ich die Männer hier retten will! Hund von einem Giaur, du stinkst mich an wie ein Aas, in dem die Würmer wimmeln! Ich werde...“

„Halt!“, unterbrach ich ihn. „Kein solches Wort weiter! Als Christ bin ich zu deinen Beleidigungen bisher ruhig geblieben. Ich werde auch ferner ruhig bleiben, aber dafür sorgen, dass du auch ruhig wirst, falls du noch ein solches Wort aussprichst. Hast du bis jetzt noch keinen Christen gekannt, so sollst du einen kennenlernen, und kein Prophet wird mich hindern, dir zu zeigen, dass du gegen mich ein Knabe bist!“

„Ein Knabe!“, schrie er wütend auf. „Das sollst du büßen! Hund, da hast du beide Messer!“

Er tat einen Sprung auf mich zu, indem er die Arme ausbreitete, um sie um mich zu schlingen und mir die Messer in den Rücken zu stoßen; aber meine Faust kam ihm zuvor. Ich schlug sie ihm von unten herauf unters Kinn, dass er zurückflog und in den Sand stürzte. Im nächsten Augenblick war er wieder auf und legte die Flinte, die er festgehalten hatte, auf mich an. Eben als der Hahn knackte, griff ich zu, riss sie ihm aus den Händen, sprang zwei Schritte zurück und richtete den Lauf auf ihn.

„Keine Bewegung weiter, Knabe, sonst trifft dich deine eigene Kugel! Geh heim zu den Deinen und bitte deine Mutter um ein Spielzeug, das besser für deine Hände passt als diese Flinte!“

Ich drückte den Schuss ab und schlug dann den Kolben des Gewehrs schief gegen den Boden, dass er abbrach. Bei dem kleinen Krach, den das verursachte, stieß der Chabir einen wilden Schrei aus und sprang abermals auf mich ein. Er achtete nicht darauf, dass ich das Bein hob, und er bekam einen Fußtritt in die Magengegend, der ihn zu Boden warf. Sofort kniete ich auf ihm und gab ihm einen Fausthieb gegen die Schläfe, der ihn so ruhig machte, wie ich es ihm angedroht hatte. Er rührte sich nicht.

„Was hast du getan!“, fuhr mich jetzt der Schêch an. „Wir haben dich bei uns aufgenommen und dir erlaubt, mit uns zu reiten, du aber vergiltst uns die Gastlichkeit damit, dass du den Mann tötest, der unser Retter sein will.“

„Nicht euer Retter, sondern euer Verderber will er sein. Übrigens ist er nur betäubt. Untersuch ihn!“

Er kniete bei dem Chabir nieder und überzeugte sich, dass ich Recht hatte, was aber seinen Zorn keineswegs minderte. Er grollte weiter.

„Er ist zwar nicht tot, aber du hast ihn geschlagen und sein Gewehr zerbrochen. Das fordert nach dem Gesetz der Wüste dein Blut. Wir werden über dich zu Gericht sitzen müssen.“

„Haltet lieber Gericht über ihn! Ich behaupte, dass er ein Targi ist, der euch verderben will. Wenn ihr es nicht glaubt, so wird euch vielleicht schon der kommende Tag beweisen, dass ich mich nicht geirrt habe. Um mein Schicksal habe ich keine Sorge. Eure Entscheidung fürchte ich nicht. Wer will mich hindern, mich auf mein Hedschîn zu setzen und fortzureiten? Ihr seid zusammen zwölf Männer. Diese beiden kleinen abendländischen Tabandschâ[19], Revolver genannt, haben zweimal sechs Schüsse, das allein genügt, euch von mir fern zu halten, ohne dass ich zu den Gewehren greife. Wie ich vermute, bist du der Einzige, der sich mir feindlich gesinnt zeigt. Abram Ben Sakir kann nicht die Absicht haben, sein Leben und die Ladungen seiner Kamele in die Hände der Tuareg fallen zu lassen, und seine Leute werden der gleichen Meinung sein.“

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