Ein Fürst-Marschall als Bäcker

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Ein Fürst-Marschall als Bäcker
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KARL MAY
EIN FÜRST-MARSCHALL ALS BÄCKER

HUMORESKE

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 42

„DER ALTE DESSAUER“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1323-5

Die Erzählung spielt im Jahre 1726.

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

EIN FÜRST-MARSCHALL ALS BÄCKER

Beim Alten

Eine Auseinandersetzung

Inkognitos

Hefe und Sauerteig

Ein guter Fang

EIN FÜRST-MARSCHALL ALS BÄCKER

(1726)

Beim Alten

Es war in Dessau, im Jahre 1726, und zwar am sechzehnten Trinitatiossonntag früh halb acht. Der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau saß in seinem Arbeitszimmer und frühstückte, um sich zum Kirchgang zu stärken.

Er war gewohnt, in der Kirche seinen gewaltigen Bass wie eine Posaune ertönen zu lassen. Leider hatte nun aber sein musikalisches Talent nur für eine einzige Melodie zugereicht, nämlich für die des ‚Dessauer Marsches‘. Und so sang er alle Kirchenlieder rundweg nach dieser tapferen Weise. Dabei kam er stets in Widerstreit mit der Orgel und mit dem Gesang der Gemeinde. Und wenn der Organist alle Register zog, um seine Stimme zu übertäuben, und wenn die versammelten Andächtigen noch so laut sangen, um sein „So leben wir, so leben wir!“ zum Schweigen zu bringen, es gelang doch niemals. Denn dann erhob er seinen Bass zu dreifacher Stärke; seine Gestalt richtete sich siegreich empor, seine Augen blitzten kampfesmutig und seine unwiderstehlichen Töne schmetterten wie die Posaunen von Jericho jeden Widerstand nieder.

War es da ein Wunder, dass er vor jedem Kirchenbesuch ein ganz besonders kräftiges Frühstück zu sich nahm?

Auch heute lagen vor ihm ein festes hausbackenes Brot, ein angeschnittener Schinken, eine riesige geräucherte Schlackwurst, ein Käse von sechs Zoll Höhe und zwei Spannen im Durchmesser, dabei einige frische Zwiebeln, mehrere saure Gurken und allerhand Kleinzeug.

Nach dem leisen, vergnügten Brummen zu urteilen, das er beim Kauen hören ließ, schien es ihm vorzüglich zu munden. Er hatte eine arge Verwüstung unter den Vorräten angerichtet, als er endlich die Reste von sich schob und sich erhob, um zur Förderung der Verdauung das Zimmer einige Male mit langen Schritten zu durchmessen.

Dann klatschte er laut in die Hände. Der Diener erschien. Der Fürst zeigte nach einem auf dem Tisch liegenden Zettel.

„Durchlaucht gestatten, dass ich zunächst die Verabschiedung des Herrn Leutnant von Kosewitz vorlege. Da ist wohl ein Fehler drin?“

„Was? Ein Fehler? Von mir?“

Der Diener reichte ihm die Urkunde und wies auf eine Stelle.

„Hier steht, der Herr Leutnant ist ein ‚feiger‘ Offizier!“

„Feiger Offizier? Der Kosewitz? Wo soll das stehen? Hier? Buchstabier Er mir das mal vor!“

Der Lakai entzifferte: „F-e-i-g-e-r.“

„So, so, sehr richtig. Und wie soll das heißen? Feiger? Buchstabieren kann Er, aber nicht lesen. Das heißt doch ganz deutlich: Fä-i-ger. Der Kosewitz ist ein fähiger Offizier. Das weiß ein jedes Kind, Donnerwetter noch einmal! Komm Er mir mit Seiner Tollpatschigkeit nicht noch mal zu nahe, sonst jag ich Ihn zum Teufel! – Nun kümmere Er sich um den Zettel und lass die Leute eintreten!“

Der Diener trat in den Vorraum, blickte im Kreis umher und trat zu einem Herren, dessen Tracht einen Geistlichen in ihm vermuten ließ.

„Herr Feldprediger, bitte!“

Der Lakai verschwand und Leopold wandte sich an den Prediger:

„Ich habe Ihn aus Halle hergerufen, dass Er mir heute einmal eine rechte Extrapredigt halten soll. Versteht Er mich?“

„Haben Exzellenz die Gewogenheit, mich von Dero Absichten gnädigst zu unterrichten!“

„Von ihm weiß ich, dass er ein guter Redner ist, und daher will ich mir heute einmal einen Spaß antun. Nämlich die Herren Väter von der Stadt scheinen den Gehorsam verlernt zu haben. Es soll ihnen einmal recht tüchtig der Kopf gewaschen werden. Sag Er den Kerls Seine Meinung nur so recht von der Leber herunter!“

„Dann wäre es mir lieb, einige Punkte zu erfahren, in denen die besagten Väter der Stadt sich das Missfallen Euer Durchlaucht zugezogen haben.“

„Das ist nicht notwendig. Glaubt Er, dass ich wegen einer Kanzelrede Ihm erlaube, Seine Nase in meine Töpfe zu stecken? Er braucht weiter nichts zu wissen, als dass sie schwerhörig und hartmäulig sind. Will ich hüh, so wollen sie hott; sag ich ja, so sagen sie nein; fluch’ ich, so beten sie; will ich ein Graupelwetter, so wollen sie Sonnenschein. Das ist geradezu zum Aus-der-Haut-Fahren. Was gibt es denn heute für eine Epistel oder für ein Evangelium?“

„Wir haben den sechzehnten Trinitatissonntag. Da wird gepredigt entweder über Epheser 3, Vers 13-21, oder über Lukas 7, Vers 11-17.“

„Was steht denn in diesem Lukas?“

„Die Auferstehung des Jünglings zu Nain.“

„Und in diesem Epheser?“

„Dass Christum lieb haben besser ist als alles Wissen.“

„Das ist ganz richtig. Aber Sein Evangelium passt ebenso wenig für meinen Zweck wie Seine heutige Epistel. Eine Strafpredigt muss kräftig sein und dazu ist auch ein kerniger Text notwendig. Kennt Er die Geschichte von dem Teufel, der unter die Säue gefahren ist, dass sie ins Wasser liefen und alle ersaufen mussten? Predige Er über diese Stelle!“

„Exzellenz erlauben mir gnädigst die Bemerkung, dass diese biblische Erzählung denn doch nicht wohl als Predigttext zu behandeln ist.“

„Nicht?“, fragte der Fürst, die Stirn runzelnd. „Warum nicht? Hat Er etwa kein Geschick dazu?“

„Sie dürfte wohl etwas zu kräftig sein.“

„Mohrenelement! Das ist es ja gerade, was ich haben will! Die Säue, das sind die Halunken, die mir nicht gehorchen wollen, und der Teufel, das bin ich. Ich werde unter sie fahren, dass es eine Art hat.“

„Und wer soll da der Besessene sein, Durchlaucht?“

„Der Besessene, aus dem der Teufel eigentlich ausgetrieben wird? Hm, das ist natürlich die Stadt Dessau, das Ratskollegium, der Bürgermeister. Sinn Er sich das weiter aus! Gehe Er jetzt hinaus! Draußen steht mein Page, der Lindow, der Ihn zur Kirche bringen soll. Später darf er bei mir zu Mittag essen. Macht Er Seine Sache gut, so wird es Ihm schmecken; macht Er sie aber nicht gut, so stehe ich für nichts! Er kennt mich. Ich bin die Liebe selbst; man kann mich um den Finger wickeln. Aber versuche Er ja nicht, mich von der anderen Seite kennenzulernen. Denn dann könnte es sehr leicht geschehen, dass ich Ihn als gemeinen Soldaten unter die Grenadiere stecke. Für jetzt sind wir fertig!“

Eben als sich der Prediger, dem nicht ganz wohl zu Mute war, entfernen wollte, trat der Diener wieder ein.

„Was gibt’s?“, fragte Leopold. „Kannst du wieder nicht lesen?“

„Ich wollte mir nur die Frage gestatten, ob die auf dem Zettel bezeichnete Reihenfolge beizuhalten ist, da eben jetzt ein Offizier angekommen ist.“

„Wer?“

„Der hannöversche Oberleutnant von Hartegg.“

„Schick ihn herein und jag die anderen fort. Sie mögen morgen wiederkommen. Ich glaube nicht, dass mir heute viel Zeit für sie übrig bleibt!“

Der Lakai entfernte sich und gleich trat der Angemeldete ein.

Er war ein junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren, hoch und breit gewachsen, mit blondem Haar und treuen, blauen Augen. Er trat drei Schritte vor, schlug die Fersen zusammen, dass die Sporen klirrten, und stand dann kerzengerade und unbeweglich, als sei er aus Stein gehauen.

Die drohend emporgezogenen Brauen des Fürsten senkten sich langsam nieder. Er schien Wohlgefallen an dem Hannoveraner zu finden und musterte ihn mit Kennerblick vom Kopf bis zu den Sohlen. Der Offizier hielt diese Musterung ruhig aus. Keine Wimper zuckte an ihm; kein Fingerglied wich um die Breite eines Haares aus seiner Lage. Seine Uniform saß wie angegossen. Nicht das leiseste Fältchen war daran zu bemerken, und das Metallzeug glänzte, als ob sich der Sonnenstrahl drin spiegelte.

Aber das erste Wort des Fürsten war dennoch ein Tadel.

„Er ist nicht gepudert!“

„Wär’ ich Offizier in dem berühmtesten Regiment Euer Durchlaucht, so würde ich pudern“, klang die ruhige Antwort.

„Was will Er?“

„Euer Exzellenz Erlaubnis, mich verheiraten zu dürfen.“

Leopold trat einen Schritt zurück.

„Meine Erlaubnis? Meine? Sich verhei – – – Donnerwetter! Wie kommt Er mir vor? Was habe denn ich dabei zu tun, wenn Er, ein Hannoveraner, Seinem Mädchen den Kopf verdreht hat?“

„Sehr viel Durchlaucht! Das Mädchen ist eine Liebau und hier im Land ansässig.“

„Ah! Das ist etwas anderes!“

„Der Vater hat nichts gegen unsere Verbindung. Aber er will seine Einwilligung nicht eher geben, als bis er überzeugt ist, die Genehmigung Euer Durchlaucht zu besitzen.“

„Warum kommt er nicht selbst?“

„Er ist unwohl.“

„Unwohl? Ja, dieses Unwohlsein kenne ich! Angst hat er vor mir; das Herz ist ihm in die Hosen gefallen, weiter nichts! Ich wollte sein Gut haben und er wollte es nicht verkaufen; da zwang ich ihn, es mir für die Taxe zu lassen, und nun mag er nichts mehr mit mir zu tun haben. Der alte Schlucker schmollt wie ein Hamster, dem man die Körner genommen hat. Aber er sollte doch wissen, dass er damit nicht vorwärts kommt. Ich bin sein Herr und frage den Geier danach, was er mir für Gesichter schneidet. Wo hat Er das Mädchen kennengelernt?“

 

„In Magdeburg.“

„Ja, ich weiß, sie ist dort gewesen. Sie hat eine Muhme dort, ein altes Felleisen, dem bereits schon einige Riemen und Schnallen abhanden gekommen sind. Ich glaube, das Weibsen muss bereits über sechzig zählen. Habe sie in Dresden kennengelernt. Stammt aus einem gräflichen Haus und trug deshalb die Nase so hoch, dass sie recht gut als Wetterfahne hätte dienen können. Kann solche Leute sehr gut leiden, sehr gut! – Aber was sagen seine Vorgesetzten dazu, dass Er sich so jung verheiraten will? Er darf sich als Oberleutnant noch gar keine Frau nehmen! Hat Er Hoffnung, das Hauptmannspatent zu erhalten?“

„Ich nehme den Abschied.“

„Was? Ist Er bei Sinnen? Ein Kerl wie Er? Gewachsen wie eine Eiche, gesund wie ein Hecht, und den Abschied!“

„Ich hab’ das Ding satt.“

„Satt? Wird Er geschurigelt? Will man Ihm nicht wohl?“

„Im Gegenteil! Gerade das zu große Wohlwollen passt mir nicht!“

„Höre Er, Er hat wohl ein gelindes Fieber?“

„Möglich, denn der Ärger geht ins Blut.“

„Erkläre Er sich!“

„Ich habe mein Mädchen; ich will keine andere und soll doch eine andere nehmen.“

„So nehme Er sie doch in Gottes Namen! Gehauen oder gestochen, das ist ja ganz gleich. Es ist eine so schlimm wie die andere!“

„Dann will ich mir doch die Schlimme nehmen, die ich mir selbst heraussuche!“

„Das klingt allerdings nicht unverständig! Wer ist denn die andere?“

„Die Tochter eines Regimentkommandeurs.“

„Aha! Eine Heirat aus dienstlicher Rücksicht! Alt?“

„Neunundzwanzig.“

„Alle Wetter! Man kennt das! Wenn so eine neunundzwanzig sagt, so ist sie eigentlich achtunddreißig oder sechsundvierzig! Hübsch?“

„Sehr! Uhu oder Schleiereule.“

„Bombenelement, Er scheint sich auf Gleichnisse zu verstehen! Reich?“

„Sie ist seit ihrem vierzehnten Jahr jede Stecknadel schuldig geblieben.“

„So sind viele Geschwister da?“

„Fünf Schwestern und ein Bruder. Sie ist die Jüngste.“

„Er tut mir wirklich Leid; aber ich kann Ihm nicht helfen. Ein Hannoveraner bekommt die Liebau nicht!“

„Ich quittiere ja den Dienst!“

„Bleibt sich gleich! Ich kann das Volk da drüben nun einmal nicht leiden. Sein Kurfürst schreit sich heiser um eines armseligen Rekruten willen. Trete Er über!“

„Das ist nicht Euer Exzellenz Ernst!“

„Warum nicht? Er gehört einer guten Familie an, die auch bei uns begütert ist, und hat sich im Dienst bereits einige Verdienste erworben, wie ich gehört habe. Ich glaube, Er würde bei mir nicht lange Oberleutnant bleiben.“

Das Auge Harteggs leuchtete auf. Er wusste, welche Ehre es für einen preußischen Offizier war, in dem Musterregiment des Dessauers zu dienen. Dennoch aber antwortete er:

„Ein Überläufer ist unter allen Umständen ehrlos!“

„Freut mich, dass Er diese Ansicht besitzt! Aber so lasse Er sich doch einmal fangen!“

„Wer sich mit Absicht fangen lässt, ist auch ein Überläufer.“

„Gut, so mag Er Seinen Willen haben und ich behalte den meinigen.“

Das offene Angesicht des Offiziers wurde um einen Schatten bleicher. Aber er beherrschte sich.

„So ist die private Angelegenheit beendet und ich bitte um die Erlaubnis, zur dienstlichen schreiten zu dürfen.“

„Er ist auch im Dienst hier?“

„Zu Befehl!“

„Und bringt das Dienstliche erst nach dem Privaten vor! Mann, wenn Er zu meinem Regiment gehörte, so fuchtelte ich Ihn!“

„Ich kenne die Sünde, die ich begangen habe, aber ich glaube, Euer Durchlaucht Verzeihung zu erhalten. Ich wollte die Erfüllung meiner Bitte nicht gleich von vornherein unmöglich machen.“

„So hat das Dienstliche wohl einen üblen Beigeschmack? Was kann auch aus Hannover Gutes kommen! Schieß Er einmal los!“

„Königliche Hoheit, der Kurfürst Georg Ludwig von Hannover, mein allergnädigster Landesfürst und Kriegsherr, haben geruht, in Sachen des Werbewesens eine Beschwerdeschrift an Kaiserliche Majestät nach Wien gehen zu lassen...“

„Das danke ihm der Teufel!“

„Kaiserliche Majestät haben geruht, dem Kurfürsten ein freundliches Handschreiben zuzustellen, in dem gemeldet wird, dass an den Königlich Preußischen Hof ernstliche Vorstellungen ergangen sind, die hannöverschen Landesgrenzen in Zukunft zu respektieren und das preußische Heer nur innerhalb der preußischen Länder und Besitzungen zu rekrutieren. Trotz dieser kaiserlichen Verwarnung aber...“

„Verwarnung? Himmelelement, beherrsche Er sich!“

„Durchlaucht halten zu Gnaden. Ich muss so sprechen, wie mir befohlen wurde! Also trotz der Vermahnung ist es des Öfteren vorgekommen, dass preußische Werber die Grenze überschritten und hannöversche Untertanen belästigt oder gar mitgenommen haben, um sie unter die Fahne zu stecken, und so haben sich Kurfürstliche Hoheit bewogen gefühlt, einen Kurier nach Berlin zu senden mit dem Bescheid, dass von jetzt an Repressalien erhoben werden, wenn weder die Grenze des Landes noch der Wille des Kaisers respektiert wird.“

„Er hat Seine Lektion sehr hübsch auswendig gelernt; das muss ich Ihm bezeugen“, meinte der Fürst ironisch. „Aber warum kommt Er zu mir?“

„Der Kurier hat gar keine Antwort erhalten und einige Tage nach seiner Rückkehr wurde von den Preußen ein ganzer Trupp Hannoveraner über die Grenze geholt. Da nun Euer Durchlaucht sozusagen der Wächter der besagten Grenze sind...“

Leopold unterbrach ihn:

„Wächter der besagten Grenze? Hm! Nicht übel ausgedrückt! Das ist beinah lateinisch und heißt eigentlich zu deutsch ‚Kettenhund‘. Ja, ja, das bin ich auch, mein Herr Oberleutnant. Aber Sein Georg Ludwig mag nur nicht etwa denken, dass ich nur mit dem Schwanz wedle; ich kann auch brummen, beißen, bellen. Versteht Er mich? Nun weiter!“

„So ist mir der Auftrag geworden, Exzellenz in direkter Weise die Entschließung Seiner Kurfürstlichen Hoheit zu übermitteln und vor allen weiteren Eingriffen zu warnen. Derjenige preußische Werber, der auf hannöverschem Gebiet ergriffen wird, wird sofort gehenkt...“

„Sage Er doch Seinem Georg Ludwig, er möge selber baumeln! Wenn einer unserer Werber sich hinüber verirren sollte, was bei Nacht und Nebel leicht geschehen kann, so habt ihr ihn uns einfach auszuliefern. Wird ihm nur ein einziges Haar gekrümmt, so kommen wir hinüber und treiben euch zu Paaren; darauf könnt ihr euch verlassen!“

„Würden Exzellenz einen ergriffenen hannöverschen Werber auch ausliefern?“

„Ja.“

„Euer Durchlaucht haben das noch nie getan, sondern die Leute stets in den preußischen Rock gesteckt.“

„So steckt doch auch ihr den Kerl, der so dumm ist, sich von euch erwischen zu lassen, in den hannöverschen Kittel! Übrigens hat Er soeben zugegeben, dass auch eure Werber herüberkommen. Was räsoniert Er denn da über die unsrigen, he? Was dem einen recht ist, das ist dem anderen billig. Noch in der vorigen Woche haben eure Schlingels einen Klempner aus Betzendorf über die Grenze hinübergelockt und nun muss er drüben exerzieren nach Noten. Und bei einem solchen Stand der Dinge rennt Sein Kurfürst von Pontius zu Pilatus, um sich über uns zu beschweren. Sogar dem Kaiser ist er untertänigst vor die Füße gekrochen. So ein Millionenhund, hat selber Werg genug am Rocken und will wegen eines Lumpazivagabundus, der zu uns herüberläuft, den Kaiser und das Reich auf uns hetzen! Da schlag doch gleich der Blitz die ganze Sippe auseinander!“

Da richtete sich der Offizier höher empor.

„Durchlaucht erlauben mir die Bitte, in meiner Gegenwart nicht in dieser Weise von meinem Monarchen und Feldherrn zu sprechen! Ich als hannöverscher Offizier darf solche Worte nicht hören.“

„Mensch, um des Himmels willen, ist Er denn übergeschnappt?“

„Ich glaube vielmehr, dass ich sehr bei Sinnen bin!“

„Ja, das ist eben das Unglück, dass jeder Verrückte denkt, er ist bei Sinnen!“

„Durchlaucht!“, donnerte der Oberleutnant und trat einen Schritt weiter vor.

Leopold fuhr empor. Seine Augen funkelten unheimlich wie die eines Panthers, und seine Lippen öffneten sich, um die weißen Zähne sehen zu lassen.

„Was? Will Er mir etwa drohen?“

„Das kann ich nicht wagen. Aber ich muss mir jede Beleidigung ernstlich verbitten!“

„Verbitten? Er? Er Knirps? Da soll doch gleich ein Himmeltausenddonner und Doria – – – wo habe ich denn nur meinen – meinen Stock hingelegt? Ich werde...“

Er rannte wie besessen in der Stube hin und her, um den Stock zu suchen. Er sah ihn nicht liegen, so wurden seine Augen von der Wut geblendet.

„Mir so etwas zu sagen!“, rief er. „Hier in meinem eigenen Zimmer! Ein Hannoveraner! Ein Lumpenhund, ein Lausewenzel, der...“

„Durchlaucht, meinen Sie mich?“

Hartegg trat abermals einen Schritt vor und legte die Linke an die Scheide seines Säbels.

„Ja, ja, hundertmal ja und tausendmal ja! Luft muss ich haben, Luft, sonst zerplatze ich! – – Ah, endlich! Da ist der Stock!“

Dieser Stock war gar oft mit dem Rücken eines Bürgers, eines Soldaten in Berührung gekommen. Hohe Beamte und selbst Offiziere hatten ihn gefühlt, ohne etwas dagegen machen zu können. Jetzt holte Leopold zum Schlag aus.

„Zurück!“, rief der Oberleutnant und trat beiseite, indem er nun auch die Rechte an den Griff seines Säbels legte.

„Kerl! Du wagst es, die Hand an die Waffe zu legen! Hundsfott!“

Der Stock sauste nieder.

Der furchtbare Hieb musste, wenn er traf, den Oberleutnant zu Boden schmettern. Aber in diesem Augenblick fuhr dessen Säbel blitzschnell aus der Scheide und der Stock wurde in zwei Hälften zerhauen, von denen die eine in der Hand des Fürsten blieb, während die andere gegen die Wand flog. Leopold stand erstarrt.

„Durchlaucht, ich werde Sie fordern!“, sagte Hartegg ruhig, indem er den Säbel abwehrbereit in der Hand behielt.

Der Fürst warf das Bruchstück seines Stockes zu Boden und ballte die Fäuste. Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als ob er sich auf den Gegner stürzen wolle. Die Stirnadern schienen zerspringen und die Augen aus ihren Höhlen hervortreten zu wollen. Aber plötzlich und ganz unerwartet drehte er sich mit einem raschen Ruck auf der Ferse herum und trat zum Fenster. Sein Blut kochte und seine Lunge atmete hörbar, aber sein Gesicht glättete sich nach und nach. Endlich drehte er sich wieder herum.

„Er will mich fordern lassen?“

„Ja, Durchlaucht können meine Kartellisten nicht zurückweisen. Ich bin ein Offizier und Edelmann, an dessen Namen kein Makel haftet. Exzellenz haben mich mit Wort und Tat so schwer beleidigt, dass ich darauf bestehen muss!“

„Aber ich schlage Ihn ja in Grund und Boden!“

„Das wird sich finden! Man weiß den Säbel auch zu führen!“

„Den Kuckuck werde ich! Versteht Er mich? Er ist ein ganz prächtiger Himmelelementer, der sich nicht einmal vor mir und vor dem Satan fürchtet! Und es sollte mir Leid tun, wenn ich Ihm die Haut ritzen sollte. Wie habe ich Ihn denn genannt, he?“

„Ich mag die Worte nicht wiederholen.“

„Na, es wird wohl so etwas gewesen sein wie verrückt, Knirps, Lumpenhund, Lausewenzel und so weiter. Ist Er zufrieden, wenn ich es Ihm jetzt abbitte?“

Der Oberleutnant blickte überrascht empor.

„Das kann ich ja kaum erwarten!“

„Warum nicht? Einen anderen beleidigen, das kann ein jeder. Aber eine übereilte Beleidigung wieder abbitten, das ist ehrenhafter, als mit dem Froschmesser zu renommieren und zu der Beleidigung auch noch den Totschlag fügen. Hier hat Er meine Hand. Verzeihe Er mir und schlage Er ein! Er ist weder ein Lumpenhund noch ein Lausewenzel, sondern ein Heidenkerl, vor dem man Respekt haben muss. Für Seinen Georg Ludwig gebe ich keinen Pfennig. Für Ihn aber würde ich ein schönes Sümmchen zahlen, wenn Er Handgeld nehmen wollte. Doch da Er nicht will, so mag Er es bleiben lassen!“

„Es geht nicht, Durchlaucht!“

 

„Na, schon gut! Hat Er Hunger?“

„Nein!“, antwortete der Oberlautnant lächelnd.

„Sonst hätte Er hier essen können. Aber Er wird wohl noch Appetit bekommen, und so gehe Er her und schneide Er sich ab. Er kann es unterwegs verzehren.“

„Exzellenz, es gibt ja unterwegs Schankhäuser genug, um...“

„Papperlapapp! Will Er wohl gehorchen! Halte Er Seine paar Groschen zusammen! Komm Er her! Ich will Ihm abschneiden. Das kann Er einstecken. Unterwegs setzt Er sich auf einen Feldrand und lebt unter freiem Himmel wie der Herrgott in Frankreich, das der Teufel holen mag.“

Der Fürst trat an den Frühstückstisch und riss mit dem Messer ein Stück Brot herunter, an dem sich zwei Mann hätten sattessen können. In den dicksten Teil dieser Masse grub er ein Loch, das er mit Butter füllte. Dazu legte er Käse, Schinken und Wurst in Fülle, eine saure Gurke, einen Rettich, eine Zwiebel, eine Knolle Knoblauch und eine tüchtige Portion Salz, Pfeffer und Kümmel. Dann trat er an den Schreibtisch und suchte in den dort befindlichen Papieren.

„Jetzt wollen wir das Futter gehörig einpacken. Da liegen ein paar Schreiben vom Minister von Grumbkow und von dem österreichischen Gesandten General Graf Seckendorf. Diese Wische sind eigentlich viel zu schlecht für die Zwiebel und den Knoblauch. Aber ich will die Geschichte doch damit einwickeln und diese beiden Ehrenmänner in meinem nächsten Brief davon benachrichtigen. So, da hat Er Sein Paket und nun schere Er sich dahin, wo der Pfeffer wächst!“

„Ich danke, Exzellenz! Auf meine Privatbitte darf ich wohl nicht noch einmal zurückkommen?“

„Das wage Er ja nicht, wenn Er mich nicht wieder in Harnisch bringen will. Ich habe Ihm bereits gesagt, dass ein Hannoveraner die Liebau nicht bekommt, und dabei hat es sein Bewenden. Basta!“

Er winkte mit der Hand und der Oberleutnant sah sich gezwungen, mit seinem Speisepaket unterm Arm, sich zu verabschieden.

Dann öffnete der Fürst die Tür. Das Vorzimmer war jetzt leer. Nur der Lakai befand sich noch da.

„Der Feldwebel Haberkorn hat den Dienst?“

„Zu Befehl, Exzellenz!“

„Soll sofort herkommen!“

Zwei Minuten später trat der Genannte bei ihm ein. Er war einer jener Riesen, die von Friedrich Wilhelm I. oft mit mehreren tausend Talern bezahlt wurden. Er maß sicher seine achtundsiebzig Zoll1. Das Auge Leopolds ruhte mit besonderem Wohlgefallen auf ihm. Das war beim ersten Blick zu bemerken, dass er ein Liebling des Dessauers war. Auch er trat vorschriftsmäßig drei Schritte vor und stand dann stramm und starr wie eine Bildsäule. Das Auge des Fürsten musterte ihn. Auch ihm wurde sofort ein Tadel, wenn auch nicht in einem harten, beleidigenden Ton.

„Donnerwetter, Feldwebel! Er ist ja ganz ungeheuer liederlich geworden!“

Der Angeredete wurde rot, aber er sagte kein Wort.

„Mit vierundzwanzig Jahren bereits Feldwebel in meinem Regiment, das ist viel! Nicht?“

„Zu Befehl!“

„Das hat Er Seiner Tapferkeit, Seiner Schlauheit bei aller Ehrlichkeit und Seiner Ordnungsliebe zu verdanken. Jetzt aber steht Er vor mir geradeso liederlich und schladdrig wie ein Rekrut!“

Auch jetzt sagte Haberkorn kein Wort.

„Weiß Er warum? Die linke Spitze Seines Schnurrbarts steht wenigstens um einen Messerrücken breit tiefer als die rechte. Dreh er sie sofort in die Höhe!“

Der Feldwebel gehorchte dem Befehl.

„Jetzt ist sie zu hoch“, meinte der Fürst. „Schaffe Er sie um ein Haarbreit niedriger!“

Auch dies wurde befolgt.

„So! Jetzt steht er da als ein Muster für – – Alle Wetter, was ist denn das?“ Der Fürst trat näher und besah sich den Schnurrbart genau. „Da rechts ist ein Haar schneller gewachsen als die anderen. Es steht ganz gewiss einen Zehntelzoll hervor, und das sieht Er nicht, Er Schwerenöter! Soll ich Ihn Spießruten laufen lassen? Ich stelle Ihn bei jeder Gelegenheit dem Regiment als Beispiel hin, und da kommt Er herein, so schlendrig und schlumpig wie ein Kesselflicker! Wenn das noch ein einziges Mal geschieht, so nehme ich Ihm das Portepee und gebe Ihm dafür drei Monate Lattenarrest. Verstanden?“

„Zu Befehl!“

„Na, schön! Und damit Er dennoch sieht, dass der Dessauer kein Wüterich ist, werde ich Ihm seinen Bart selbst kurieren.“

Der Fürst ging zum Schreibtisch, holte eine riesige Papierschere, die mehr einem Gartenwerkzeug glich, und knipp mit ihr das vorschriftswidrige Haar weg.

„Jetzt ist Er parademäßig hergestellt! So will ich meine Jungens haben; dann schlage ich die Welt mit ihnen tot! Feldwebel, es gibt wieder einmal einen Streich! Will Er?“

„Zu Befehl!“

„Er soll nicht Bef – – – Ah so! Trete Er los und mache Er es sich bequemer! So! Also, es gibt wieder einen Streich anzuführen, bei dem ich Ihn brauche. Will Er?“

Der Feldwebel hatte jetzt die strenge Haltung aufgegeben und konnte daher auch auf die Unterhaltung eingehen. Wenn Leopold bei guter Laune war, so ließ es sich ganz prächtig mit ihm verkehren. Nur musste man dabei sehr vorsichtig sein. Denn er glich auch dann einem Vulkan, der in jedem Augenblick ausbrechen konnte.

„Und ob, Durchlaucht!“, antwortete der Feldwebel.

„Schön! Ich kenne Ihn und weiß, dass ich mich auf Ihn verlassen kann. Ich will Ihm einmal etwas vorlesen.“

Er langte in die Tasche seiner grauen Leinwandhose und zog ein zu einem Knäuel zusammengeknittertes Papier hervor, das er auseinanderfaltete und auf dem Knie glättete. Er las:

„Liebwerter Serenissimus!

Wie Uns in Erfahrung gekommen, ist von Hannover eine Skriptura nach Wien expediert worden, des Inhaltes, dass Unsere Werber als Raub- und Mordgesellen dahingestellet und konterfeiet werden. Hierauf wurde Uns ein kaiserliches Dokument donnieret, in welchem Wir ermahnet werden, dieses Wesen zu remanieren und dem Kurfürsten Reparation zu leisten. Eine solche Reparation aber können Wir unmöglich goutieren, zumalen ihr Scopus sowohl eine Reprehensio als auch eine Deprimo enthält und Wir zu gleicher Stunde erfahren, dass die hannöverschen Conquisitores einen Klempner aus Betzendorf fortgeführet haben. Daher ersuchen wir Ew. Liebden, Eure Bureaux d’affège so zu stellen, dass Wir von diesen hannöverschen Bengels gleich eine tüchtige Zahl saisieren und unter Unser Vexillum steen, wasmaßen Wir Euch ersuchen, Uns zwei oder drei große Kerls zu entvoyieren, die Wir notwendig für Unsere Garde nötig haben.

Indem Wir Ew. Exzellenz Unsere Affection und Delination versichern, zeichnen Wir

Euer gnädigster Freund und Bruder

Friedrich Wilhelm.

König von Preußen etc. etc. etc.“

Nachdem Leopold dieses Schreiben vorgelesen hatte, ballte er das Papier wieder zusammen und warf es zornig zur Erde.

„Was sagt Er zu diesem Geschreibsel? Kann Er es verstehen?“

„Ja.“

„Was? Ist Er etwa auch so ein gelehrter Regenwurm, der sich nur im lateinischen Dreck wohl befindet?“

„Nein! Aber ich sollte Theologe werden und habe einige Klassen durchgemacht. Dann starb der Vater. Er hinterließ nichts und ich griff zur Muskete.“

„Das hat Er gescheit gemacht. Denk Er nicht etwa, dass der König diesen Wisch geschrieben hat. Den hat so ein Federfuchser verfasst, der an seinem Latein und Französisch gewiss noch einmal ersticken wird. Da patschen diese Menschen in der fremden Tunke herum, als hätte unsere ehrliche deutsche Sprache nicht Worte genug, um mir zu sagen, dass wir dem Kaiser und dem Kurfürsten von Hannover zum Schur nur gerade erst recht auf den Fang gehen werden. Das Beste an dem ganzen Kram ist, dass nun der Teufel erst recht losgehen soll und dass wir dem König sobald wie möglich drei große hannöversche Kerls schaffen müssen. Aber woher nehmen und nicht mausen!“

„Vielleicht ist es leichter, als Euer Durchlaucht denken.“

„So? Feldwebel, ich sehe es Ihm an, Er hat einen guten Gedanken. Rede Er!“

„Drei lange Kerls? Durchlaucht, das passt mir gerade. Ich will sie gern los sein und Euer Durchlaucht soll sie bekommen.“

„Donnerwetter! So hat Er sie schon? Wo sind sie denn?“

„Hm! Etwas weit von hier. Nämlich in Wustrow an der Jeetzel.“

„Da unten? Wie alt?“

„Zwanzig, dreiundzwanzig und fünfundzwanzig.“

„Wer ist’s?“

„Der Vater heißt Hillmann und hat einen Gasthof mit Bäckerei und Fleischerei in Wustrow. Er selbst betreibt die Schenke und überlässt das Backen einem Gesellen.“

„Warum nicht einem Sohn?“

„Weil keiner seiner Söhne Bäcker ist. Der Jüngste hat die Schlächterei und die beiden anderen betreiben den Viehandel. Übrigens kommen sie mit dem Alten nicht gar zu gut aus. Er gießt gern einen hinter die Binde und ist dann unausstehlich. Und dann gibt es keinen gröberen Kerl im ganzen Deutschen Reich als ihn. Er ist wegen seiner Grobheit weit und breit berühmt, und wenn einmal ein Fremder kommt, der sucht gewiss den alten Hillmann auf, um sich von ihm anschnauzen zu lassen.“

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