Ein Blizzard

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KARL MAY
EIN BLIZZARD

REISEERZÄHLUNG AUS DEM WILDEN WESTEN

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 23

„AUF FREMDEN PFADEN“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1315-0

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

EIN BLIZZARD

EIN BLIZZARD

Der vorigen Erzählung mag ein anderes Ereignis folgen, das mit derselben erschütternden Unwiderleglichkeit beweist, dass die ewige Gerechtigkeit den Menschen, der allzu sehr auf Gottes Langmut rechnet, endlich und plötzlich gerade mit derjenigen Strafe packt, die mit natürlicher Notwendigkeit aus der betreffenden Sünde hervorgehen muss.

Ich war mit Winnetou jenseits der Felsenberge bei befreundeten Indianern auf der Herbstbüffeljagd gewesen und dann mit ihm über das Gebirge und trotz der späten Jahreszeit quer durch ganz Wyoming bis nach Fort Niobrara in Nebraska geritten, wo uns der Winter überraschte. Da auf diesem Fort oft Sioux erschienen, die uns ganz unverdienterweise als ihre Todfeinde betrachteten, so hüteten wir uns natürlich, unsere Namen zu sagen. Es war für alle Fälle besser, wenn niemand wusste, dass Winnetou und Old Shatterhand anwesend waren. Weil unsere Jagdanzüge vollständig zerschlissen waren und wir nach dem zivilisierten Osten wollten, kauften wir uns im Fort anständige Anzüge aus warmen Winterstoffen und dicke Reitdecken dazu. In dieser Kleidung sah ich nicht wie ein Westmann aus, und da ich mich Mr. Beyer nannte und Winnetou kaum einen Augenblick von meiner Seite wich, so war er bald nur als ‚Mr. Beyers Indianer‘ bekannt.

In Fort Niobrara wurden wir leider vollständig eingeschneit; das ganze weite Land war unwegsam geworden und wir sahen uns gezwungen, den ganzen Dezember und Januar in dieser Einsamkeit zu bleiben. Gesellschaft fanden wir nur an den wenigen Offizieren der Garnison, von denen ich nicht gerade sagen kann, dass sie uns sehr sympathisch waren; um die übrige Soldateska bekümmerten wir uns nicht mehr, als unumgänglich nötig war, und was die andern auf dem Fort Anwesenden betrifft, so gab es unter ihnen nur zwei Personen, mit denen wir uns zuweilen unterhielten. Das waren die Brüder Burning aus Moberly in Missouri‚ die in den Black Hills glücklich nach Gold gegraben hatten und sich jetzt mit dem Ertrag ihrer schweren Arbeit auf dem Heimweg befanden. Beide waren verheiratet, sehnten sich nach den Ihrigen und empfanden es darum schmerzlich, durch den Schnee für so lange festgehalten zu werden.

Außerdem hatte sich noch allerhand Volk im Fort zusammengefunden, lauter zweifelhafte Existenzen, mit denen die Burnings nicht verkehrten. Es gab da allerhand Rohheiten; es wurde viel Pulver verknallt, viel gespielt, viel gewettet und noch mehr getrunken, und es herrschte dabei ein Ton, der mir so zuwider war, dass ich den allgemeinen Bar-Room nur dann betrat, wenn es unumgänglich nötig war. Am rohesten betrugen sich zwei Kerls, die Grinder und Slack hießen. Sie waren Falschspieler, notorische Säufer und rücksichtslose Raufbolde, ohne aber wirklichen Mut zu besitzen. Es verging kein Gelage, ohne dass sie nicht einen Raufhandel in Szene setzten; ganz besonders aber schienen sie es auf die Art der Duelle, die man ‚amerikanische‘ nennt, abgesehen zu haben; aber stets wussten sie es so einzurichten, dass nicht sie, sondern andere die Angelegenheit zum Austrag zu bringen hatten. Sie machten sich eben nur wichtig, waren aber feig. Am widerlichsten an ihnen war mir der Umstand, dass jeder von ihnen sich eine stehende Redensart angewöhnt hatte, die man täglich hundertmal hören konnte, als Schwur, als Beteuerung, überhaupt bei jeder Gelegenheit. Das ständige Wort Grinders war „Ich will gleich erblinden“, während sein Kumpan die Lästerung „Gott soll mich wahnsinnig machen“ im Munde führte.

Mit diesen beiden Menschen geriet ich nur ein einziges Mal zusammen. Sie hatten erfahren, dass ich ein Deutscher war, und warfen mir, als ich ihre Einladung, mitzuspielen, mit einer stillen Handbewegung zurückwies, ein ‚damned dutchman‘ ins Gesicht. Dafür erhielt jeder sofort eine so kräftige Ohrfeige von mir, dass beide von ihren Stühlen flogen. Die andern glaubten natürlich, es werde hierauf eine großartige Schlägerei oder Schießerei erfolgen, hatten sich aber geirrt, denn die Gezüchtigten besaßen nicht den Mut, sich tatsächlich an ‚Mr. Beyer oder seinen Indianer‘ zu wagen.

Zu erwähnen sind noch zwei Indianer, die der Schneesturm nach dem Fort getrieben hatte. Sie behaupteten, dem Stamm der Caddo anzugehören, waren aber wahrscheinlich Ausgestoßene, blutarme Teufel, die kaum ihre Blöße bedecken konnten und nicht einmal Waffen hatten, denn sie waren vor kurzem von den Sioux vollständig ausgeraubt worden. Sie wollten nach Kansas hinunter und schnitzten sich Pfeile und Bogen, um nicht unterwegs hungern zu müssen. Wir beschenkten sie nach Kräften, konnten ihnen aber weder Pferde noch Gewehre verschaffen, weil diese leider nicht zu haben waren.

Anfang Februar trat plötzlich milde Witterung mit Tauwetter und dann Regen ein. Der Schnee verschwand und wir konnten nun daran denken, unseren Ritt fortzusetzen. Zuerst brachen die beiden Indianer auf, zu Fuß natürlich; wir gaben ihnen einen guten Vorrat von Lebensmitteln mit, der gewiss bis Fort Hillock reichte, wo sie wieder Rast machen konnten. Dieses Fort war damals versuchsweise angelegt worden, musste aber im nächsten Jahr wieder aufgegeben werden. Zwei Tage später ritten die Brüder Burning fort, denen am nächsten Tag Grinder und Slack folgten. Ich stand mit Winnetou am Tor. Als sie an uns vorüberkamen, rief uns Slack zu:

„Kommt uns ja nicht einmal in den Weg! Wenn ihr euch wieder vor uns sehen lässt, so soll mich Gott wahnsinnig machen, wenn wir euch nicht so schnell auslöschen, wie ein Talglicht ausgeblasen wird!“

Und Grinder fügte drohend hinzu:

„Ja, merkt euch das, ihr Schufte! Lasst ihr euch ertappen, so will ich gleich erblinden, wenn ihr nicht an den Ohrfeigen zu Grunde geht, die wir euch noch schuldig sind!“

Wir sahen natürlich in die Luft, als ob wir die Wort gar nicht gehört hätten. Solche Menschen konnten uns, auch wenn wir gewusst hätten, wohin sie ritten, nicht im Geringsten bange machen.

Als erfahrene Westmänner warteten wir noch einen Tag, um zu erfahren, ob die milde Witterung beständig sei; dann brachen auch wir auf. Es lässt sich denken, dass der Weg durch das tief aufgeweichte Land nicht gerade bequem war, aber unsere Rapphengste hatten sich nun wochenlang ausgeruht und überwanden fast spielend alle Hindernisse. Nebraska hat fast nur Prärieland; das, durch das wir kamen, war offen, und in dem weichen Boden sahen wir ganz deutlich die Spuren derer, die Fort Niobrara vor uns verlassen hatten. Sie alle, die beiden Indianer, die Burnings, Grinder und Slack, schienen ohne Ausnahme, so wie auch wir, nach Fort Hillock zu wollen. Das machte mich um der Burnings willen bedenklich. Man hatte mir gesagt, dass Grinder und Slack in der letzten Zeit Unglück im Spiel gehabt und alles verloren hätten, und da war solchen Leuten nicht zu trauen. Sie wussten höchstwahrscheinlich ebenso gut wie wir, dass die Burnings Goldstaub und Nuggets bei sich führten, und wenn ich sie auch für viel zu feig hielt, einen offenen Kampf zu wagen, so traute ich ihnen dafür die Gewissenlosigkeit zu, um dieses Goldes willen einen hinterlistigen Überfall auszuführen. Als ich meine Gedanken Winnetou mitteilte, sagte er zwar nichts, aber er drückte seinem Pferd die Fersen in die Weichen, was für mich ebenso deutlich war, als wenn er mir geantwortet hätte: „Du hast Recht; wir wollen uns beeilen, diese Kerls einzuholen!“

Es ist kein Grund vorhanden, auf die Einzelheiten unseres mehrtägigen Ritts einzugehen. Die Spuren hielten sich beisammen und wir folgten ihnen über den Loup-Fork hinüber, dessen Eis stellenweise noch so dick und fest stand, dass es Reiter trug. Von da aus konnte man Fort Hillock nach einem kurzen Tagesritt erreichen. Da es aber jetzt schon über Mittag war, konnten wir nicht vor morgen Vormittag dort eintreffen.

Die tief ausgetretenen Spuren waren so deutlich zu lesen, wie man in einem Buch liest; ihr Alter war, besonders für die scharfen, geübten Augen meines Winnetou, fast bis auf die Stunde genau zu bestimmen. Die beiden Indianer hatten zwar vor den Burnings einen Vorsprung von zwei Tagen, waren aber als Fußgänger jetzt von ihnen beinahe erreicht worden; jedenfalls mussten sie heute Abend oder morgen früh von ihnen eingeholt werden. Grinder und Slack waren einen Tag nach den Burnings von Niobrara fort; sie hatten aber, wie ihre Fährte uns sagte, ihre Pferde so angestrengt, dass sie jetzt hart hinter den beiden Brüdern ritten. Das erhöhte meine Sorge. Aus welchem Grund waren die beiden so schnell geritten? Um die Burnings einzuholen und zu überfallen oder nur um rasch nach Fort Hillock zu kommen? Das Letztere war ja auch sehr leicht zu denken, aber ich konnte mich dabei nicht beruhigen. Die nächsten Stunden mussten uns Gewissheit bringen. Sagten uns da die Spuren, dass Grinder und Slack die Burnings überholt hatten, so waren meine Befürchtungen grundlos gewesen.

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