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Durch die Wüste

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Durch die Wüste
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Erstes Kapitel: Ein Todesritt

»Und ist es wirklich wahr, Sihdi[1], daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?«

»Ja,« antwortete ich.

»Effendi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen, daß sie nach ihrem Tode in die Dschehenna kommen, wo der Teufel wohnt; aber dich möchte ich retten vor dem ewigen Verderben, welches dich ereilen wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Lisan, zum heiligen Zeugnisse, bekennst. Du bist so gut, so ganz anders als andere Sihdis, denen ich gedient habe, und darum werde ich dich bekehren, du magst wollen oder nicht.«

So sprach Halef, mein Diener und Wegweiser, mit dem ich in den Schluchten und Klüften des Dschebel Aures herumgekrochen und dann nach dem Dra el Haua heruntergestiegen war, um über den Dschebel Tarfaui nach Seddada, Kris und Dgasche zu kommen, von welchen Orten aus ein Weg über den berüchtigten Schott Dscherid nach Fetnassa und Kbilli führt.

Halef war ein eigentümliches Kerlchen. Er war so klein, daß er mir kaum bis unter die Arme reichte, und dabei so hager und dünn, daß man hätte behaupten mögen, er habe ein volles Jahrzehnt zwischen den Löschpapierblättern eines Herbariums in fortwährender Pressung gelegen. Dabei verschwand sein Gesichtchen vollständig unter einem Turban, der drei volle Fuß im Durchmesser hatte, und sein einst weiß gewesener Burnus, welcher jetzt in allen möglichen Fett— und Schmutznuancen schimmerte, war jedenfalls für einen weit größeren Mann gefertigt worden, so daß er ihn, sobald er vom Pferde gestiegen war und nun gehen wollte, empornehmen mußte wie das Reitkleid einer Dame. Aber trotz dieser äußeren Unansehnlichkeit mußte man allen Respekt vor ihm haben. Er besaß einen ungemeinen Scharfsinn, viel Mut und Gewandtheit und eine Ausdauer, welche ihn die größten Beschwerden überwinden ließ. Und da er auch außerdem alle Dialekte sprach, welche zwischen dem Wohnsitze der Uëlad Bu Seba und den Nilmündungen erklingen, so kann man sich denken, daß er meine vollste Zufriedenheit besaß, so daß ich ihn mehr als Freund denn als Diener behandelte.

Eine Eigenschaft besaß er nun allerdings, welche mir zuweilen recht unbequem werden konnte: er war ein fanatischer Muselmann und hatte aus Liebe zu mir den Entschluß gefaßt, mich zum Islam zu bekehren. Eben jetzt hatte er wieder einen seiner fruchtlosen Versuche unternommen, und ich hätte lachen können, so komisch sah er dabei aus.

Ich ritt einen kleinen, halb wilden Berberhengst, und meine Füße schleiften dabei fast am Boden; er aber hatte sich, um seine Figur zu unterstützen, eine alte, dürre, aber himmelhohe Hassi-Ferdschahn-Stute ausgewählt und saß also so hoch, daß er zu mir herniederblicken konnte. Während der Unterhaltung war er äußerst lebhaft; er wedelte mit den bügellosen Beinen, gestikulierte mit den dünnen, braunen Aermchen und versuchte, seinen Worten durch ein so lebhaftes Mienenspiel Nachdruck zu geben, daß ich alle Mühe hatte, ernst zu bleiben.

Als ich auf seine letzten Worte nicht antwortete, fuhr er fort:

»Weißt du, Sihdi, wie es den Giaurs nach ihrem Tode ergehen wird?«

»Nun?« fragte ich.

»Nach dem Tode kommen alle Menschen, sie mögen Moslemim, Christen, Juden oder etwas Anderes sein, in den Barzakh.«

»Das ist der Zustand zwischen dem Tode und der Auferstehung?«

»Ja, Sihdi. Aus ihm werden sie alle mit dem Schall der Posaunen erweckt, denn el Jaum el akbar, der jüngste Tag, und el Akhiret, das Ende, sind gekommen, wo dann alles zu Grunde geht, außer el Kuhrs, der Sessel Gottes, er Ruhh, der heilige Geist, el Lauhel mafus und el Kalam, die Tafel und die Feder der göttlichen Vorherbestimmung.«

»Weiter wird nichts mehr bestehen?«

»Nein.«

»Aber das Paradies und die Hölle?«

»Sihdi, du bist klug und weise; du merkst gleich, was ich vergessen habe, und daher ist es jammerschade, daß du ein verfluchter Giaur bleiben willst. Aber ich schwöre es bei meinem Barte, daß ich dich bekehren werde, du magst wollen oder nicht!«

Bei diesen Worten zog er seine Stirn in sechs drohende Falten, zupfte sich an den sieben Fasern seines Kinns, zerrte an den acht Spinnenfäden rechts und an den neun Partikeln links von seiner Nase, Summa Summarum Bart genannt, schlenkerte die Beine unternehmend in die Höhe und fuhr mit der freien andern Hand der Stute so kräftig in die Mähne, als sei sie der Teufel, dem ich entrissen werden sollte.

Das so grausam aus seinem Nachdenken gestörte Tier machte einen Versuch, vorn emporzusteigen, besann sich aber sofort auf die Ehrwürdigkeit seines Alters und ließ sich stolz in seinem Gleichmut zurückfallen. Halef aber setzte seine Rede fort:

»Ja, Dschennet, das Paradies, und Dschehenna, die Hölle, müssen auch mit bleiben, denn wohin sollten die Seligen und die Verdammten sonst kommen? Vorher aber müssen die Auferstandenen über die Brücke Ssireth, welche über den Teich Handh führt und so schmal und scharf ist, wie die Schneide eines gut geschliffenen Schwertes.«

»Du hast noch Eins vergessen,« bemerkte ich.

»Was?« fragte er.

»Das Erscheinen des Deddschel.«

»Wahrhaftig! Sihdi, du kennst den Kuran und alle heiligen Bücher und willst dich nicht zur wahren Lehre bekehren! Aber trage nur keine Sorge; ich werde einen gläubigen Moslem aus dir machen! Also vor dem Gerichte wird sich der Deddschel zeigen, den die Giaurs den Antichrist nennen, nicht wahr, Effendi?«

»Ja.«

»Dann wird über jeden das Buch Kitab aufgeschlagen, in welchem seine guten und bösen Taten verzeichnet stehen, und die Hisab gehalten, die Musterung seiner Handlungen, welche über fünfzigtausend Jahre währt, eine Zeit, welche den Guten wie ein Augenblick vergehen, den Bösen aber wie eine Ewigkeit erscheinen wird. Das ist das Hukm, das Abwiegen aller menschlichen Taten.«

»Und nachher?«

»Nachher folgt das Urteil. Diejenigen mit überwiegend guten Werken kommen in das Paradies, die ungläubigen Sünder aber in die Hölle, während die sündigen Moslemim nur auf kurze Zeit bestraft werden. Du siehst also, Sihdi, was deiner wartet, selbst wenn du mehr gute als böse Taten verrichtest. Aber du sollst gerettet werden, du sollst mit mir in das Dschennet, in das Paradies, kommen, denn ich werde dich bekehren, du magst wollen oder nicht!«

Und wieder strampelte er bei dieser Versicherung so energisch mit den Beinen, daß die alte Hassi-Ferdschahn-Stute ganz verwundert die Ohren spitzte und mit den großen Augen nach ihm zu schielen versuchte.

»Und was harrt meiner in eurer Hölle?« fragte ich ihn.

»In der Dschehenna brennt das Nar, das ewige Feuer; dort fließen Bäche, welche so sehr stinken, daß der Verdammte trotz seines glühenden Durstes nichts aus ihnen trinken mag, und dort stehen fürchterliche Bäume, unter ihnen der schreckliche Baum Zakum, auf dessen Zweigen Teufelsköpfe wachsen.«

»Brrrrrrr!«

»Ja, Sihdi, es ist schauderhaft! Der Beherrscher der Dschehenna ist der Strafengel Thabek. Sie hat sieben Abteilungen, zu denen sieben Tore führen. Im Dschehennem, der ersten Abteilung, müssen die sündhaften Moslemim büßen so lange, bis sie gereinigt sind; Ladha, die zweite Abteilung, ist für die Christen, Hothama, die dritte Abteilung, für die Juden, Sair, die vierte, für die Sabier, Sakar, die fünfte, für die Magier und Feueranbeter, und Gehim, die sechste, für alle, welche Götzen oder Fetische anbeten. Zaoviat aber, die siebente Abteilung, welche auch Derk Asfal genannt wird, ist die allertiefste und fürchterlichste; sie wird alle Heuchler aufnehmen. In allen diesen Abteilungen werden die Verdammten von bösen Geistern durch Feuerströme geschleppt, und dabei müssen sie vom Baume Zakum die Teufelsköpfe essen, welche dann ihre Eingeweide zerbeißen und zerfleischen. O, Effendi, bekehre dich zum Propheten, damit du nur kurze Zeit in der Dschehenna zu stecken brauchst!«

Ich schüttelte den Kopf und sagte:

»Dann komme ich in unsere Hölle, welche ebenso entsetzlich ist wie die eurige.«

»Glaube dies nicht, Sihdi! Ich verspreche dir beim Propheten und allen Kalifen, daß du in das Paradies kommen wirst. Soll ich es dir beschreiben?«

»Tue es!«

»Das Dschennet liegt über den sieben Himmeln und hat acht Tore. Zuerst kommst du an den großen Brunnen Hawus Kewser, aus welchem hunderttausende Selige zugleich trinken können. Sein Wasser ist weißer als Milch, sein Geruch köstlicher als Moschus und Myrrha, und an seinem Rande stehen Millionen goldener Trinkschalen, welche mit Diamanten und Steinen besetzt sind. Dann kommst du an Orte, wo die Seligen auf golddurchwirkten Kissen ruhen. Sie erhalten von unsterblichen Jünglingen und ewig jungen Houris köstliche Speisen und Getränke. Ihr Ohr wird ohne Aufhören von den Gesängen des Engels Israfil entzückt und von den Harmonien der Bäume, in denen Glocken hängen, welche ein vom Throne Gottes gesendeter Wind bewegt. Jeder Selige ist sechzig Ellen lang und immerfort grad dreißig Jahre alt. Unter allen Bäumen aber ragt hervor der Tubah, der Baum der Glückseligkeit, dessen Stamm im Palaste des großen Propheten steht und dessen Aeste in die Wohnungen der Seligen reichen, wo an ihnen alles hängt, was zur Seligkeit erforderlich ist. Aus den Wurzeln des Baumes Tubah entspringen alle Flüsse des Paradieses, in denen Milch, Wein, Kaffee und Honig strömt.«

Trotz der Sinnlichkeit dieser Vorstellung muß ich bemerken, daß Muhammed aus der christlichen Anschauung geschöpft und dieselbe für seine Nomadenhorden umgemodelt hat. Halef blickte mich jetzt mit einem Gesichte an, in welchem sehr deutlich die Erwartung zu lesen war, daß mich seine Beschreibung des Paradieses überwältigt haben werde.

 

»Nun, was meinst du jetzt?« fragte er, als ich schwieg.

»Ich will dir aufrichtig sagen, daß ich nicht sechzig Ellen lang werden mag; auch mag ich von den Houris nichts wissen, denn ich bin ein Feind aller Frauen und Mädchen.«

»Warum?« fragte er ganz erstaunt.

»Weil der Prophet sagt: »Des Weibes Stimme ist wie der Gesang des Bülbül[2], aber ihre Zunge ist voll Gift wie die Zunge der Natter.« Hast du das noch nicht gelesen?«

»Ich habe es gelesen.«

Er senkte den Kopf; ich hatte ihn mit den Worten seines eigenen Propheten geschlagen. Dann fragte er mit etwas weniger Zuversichtlichkeit:

»Ist nicht trotzdem unsere Seligkeit schön? Du brauchst ja keine Houri anzusehen!«

»Ich bleibe ein Christ!«

»Aber es ist nicht schwer, zu sagen: La Illa illa Allah, we Muhammed Resul Allah!«

»Ist es schwerer, zu beten: Ja abana ‚Iledsi, fi ‚s – semavati, jata— haddeso ‚smoka?«

Er blickte mich zornig an.

»Ich weiß es wohl, daß Isa Ben Marryam, den ihr Jesus nennt, euch dieses Gebet gelehrt hat; ihr nennt es das Vaterunser. Du willst mich stets zu deinem Glauben bekehren, aber denke nur nicht daran, daß du mich zu einem Abtrünnigen vom Tauhid, dem Glauben an Allah, machen wirst!«

Ich hatte schon mehrmals versucht, seinem Bekehrungsversuche den meinigen entgegen zu stellen. Zwar war ich von der Fruchtlosigkeit desselben vollständig überzeugt, aber es war das einzige Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen. Das bewährte sich auch jetzt wieder.

»So laß mir meinen Glauben, wie ich dir den deinigen lasse!«

Er knurrte auf diese meine Worte etwas vor sich hin und brummte dann:

»Aber ich werde dich dennoch bekehren, du magst wollen oder nicht. Was ich einmal will, das will ich, denn ich bin der Hadschi[3] Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!«

»So bist du also der Sohn Abul Abbas‘, des Sohnes Dawud al Gossarah?«

»Ja.«

»Und beide waren Pilger?«

»Ja.«

»Auch du bist ein Hadschi?«

»Ja.«

»So waret ihr alle Drei in Mekka und habt die heilige Kaaba gesehen?«

»Dawud al Gossarah nicht.«

»Ah! Und dennoch nennst du ihn einen Hadschi?«

»Ja, denn er war einer. Er wohnte am Dschebel Schur-Schum und machte sich als Jüngling auf die Pilgerreise. Er kam glücklich über el Dschuf, das man den Leib der Wüste nennt; dann aber wurde er krank und mußte am Brunnen Trasah zurückbleiben. Dort nahm er ein Weib und starb, nachdem er seinen Sohn Abul Abbas gesehen hatte. Ist er nicht ein Hadschi, ein Pilger, zu nennen?«

»Hm! Aber Abul Abbas war in Mekka?«

»Nein.«

»Und auch er ist ein Hadschi?«

»Ja. Er trat die Pilgerfahrt an und kam bis in die Ebene Admar, wo er zurückbleiben mußte.«

»Warum?«

»Er erblickte da Amareh, die Perle von Dschunet, und liebte sie. Amareh wurde sein Weib und gebar ihm Halef Omar, den du hier neben dir siehst. Dann starb er. War er nicht ein Hadschi?«

»Hm! Aber du selbst warst in Mekka?«

»Nein.«

»Und nennst dich dennoch einen Pilger!«

»Ja. Als meine Mutter tot war, begab ich mich auf die Pilgerschaft. Ich zog gen Aufgang und Niedergang der Sonne; ich ging nach Mittag und nach Mitternacht; ich lernte alle Oasen der Wüste und alle Orte Aegyptens kennen; ich war noch nicht in Mekka, aber ich werde noch dorthin kommen. Bin ich also nicht ein Hadschi?«

»Hm! Ich denke, nur wer in Mekka war, darf sich einen Hadschi nennen?«

»Eigentlich, ja. Aber ich bin ja auf der Reise dorthin!«

»Möglich! Doch du wirst auch irgendwo eine schöne Jungfrau finden und bei ihr bleiben; deinem Sohne wird es ebenso gehen, denn dies scheint euer Kismet zu sein, und dann wird nach hundert Jahren dein Urenkel sagen: »Ich bin Hadschi Mustafa Ben Hadschi Ali Assabeth Ibn Hadschi Saïd al Hamza Ben Hadschi Schehab Tofaïl Ibn Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah,« und keiner von all diesen sieben Pilgern wird Mekka gesehen haben und ein echter, wirklicher Hadschi geworden sein. Meinst du nicht?«

So ernst er sonst war, er mußte dennoch über diese kleine, unschädliche Malice lachen. Es gibt unter den Muhammedanern sehr, sehr viele, die sich, besonders dem Fremden gegenüber, als Hadschi gebärden, ohne die Kaaba gesehen, den Lauf zwischen Ssafa und Merweh vollbracht zu haben, in Arafah gewesen und in Minah geschoren und rasiert worden zu sein. Mein guter Halef fühlte sich geschlagen, aber er nahm es mit guter Miene hin.

»Sihdi,« fragte er kleinlaut, »wirst du es ausplaudern, daß ich noch nicht in Mekka war?«

»Ich werde nur dann davon sprechen, wenn du wieder anfängst, mich zum Islam zu bekehren; sonst aber werde ich schweigen. Doch schau, sind das nicht Spuren im Sande?«

Wir waren schon längst in das Wadi[4] Tarfaui eingebogen und jetzt an eine Stelle desselben gekommen, an welcher der Wüstenwind den Flugsand über die hohen Felsenufer hinabgetrieben hatte. In diesem Sande war eine sehr deutliche Fährte zu erkennen.

»Hier sind Leute geritten,« meinte Halef unbekümmert.

»So werden wir absteigen, um die Spur zu untersuchen.«

Er blickte mich fragend an.

»Sihdi, das ist überflüssig. Es ist genug, zu wissen, daß Leute hier geritten sind. Weshalb willst du die Hufspuren untersuchen?«

»Es ist stets gut, zu wissen, welche Leute man vor sich hat.«

»Wenn du alle Spuren, welche du findest, untersuchen willst, so wirst du unter zwei Monden nicht nach Seddada kommen. Was gehen dich die Männer an, die vor uns sind?«

»Ich bin in fernen Ländern gewesen, in denen es viel Wildnis gibt und wo sehr oft das Leben davon abhängt, daß man alle Darb und Ethar, alle Spuren und Fährten, genau betrachtet, um zu erfahren, ob man einem Freunde oder einem Feinde begegnet.«

»Hier wirst du keinem Feinde begegnen, Effendi.«

»Das kann man nicht wissen.«

Ich stieg ab. Es waren die Fährten dreier Tiere zu bemerken, eines Kamels und zweier Pferde. Das erstere war jedenfalls ein Reitkamel, wie ich an der Zierlichkeit seiner Hufeindrücke bemerkte. Bei genauer Betrachtung fiel mir eine Eigentümlichkeit der Spuren auf, welche mich vermuten ließ, daß das eine der Pferde an dem »Hahnentritte« leide. Dieses mußte meine Verwunderung erregen, da ich mich in einem Lande befand, dessen Pferdereichtum zur Folge hat, daß man niemals Tiere reitet, welche mit diesem Uebel behaftet sind. Der Besitzer des Rosses war entweder kein oder ein sehr armer Araber.

Halef lächelte über die Sorgfalt, mit welcher ich den Sand untersuchte, und fragte, als ich mich wieder emporrichtete:

»Was hast du gesehen, Sihdi?«

»Es waren zwei Pferde und ein Kamel.«

»Zwei Pferde und ein Djemmel! Allah segne deine Augen; ich habe ganz dasselbe gesehen, ohne daß ich von meinem Tiere zu steigen brauchte. Du willst ein Taleb sein, ein Gelehrter, und tust doch Dinge, über welche ein Hamahr, ein Eselstreiber, lachen würde. Was hilft dir nun der Schatz des Wissens, den du hier gehoben hast?«

»Ich weiß nun zunächst, daß die drei Reiter vor ungefähr vier Stunden hier vorübergekommen sind.«

»Wer gibt dir etwas für diese Weisheit? Ihr Männer aus dem Belad er Rumi, aus Europa, seid sonderbare Leute!«

Er schnitt bei diesen Worten ein Gesicht, von welchem ich das tiefste Mitleid lesen konnte, doch zog ich es vor, schweigend unsern Weg fortzusetzen.

Wir folgten der Fährte wohl eine Stunde lang, bis wir da, wo das Wadi eine Krümmung machte und wir nun um eine Ecke bogen, unwillkürlich unsere Pferde anhielten. Wir sahen drei Geier, welche nicht weit vor uns hinter einer Sanddüne hockten und sich bei unserem Anblick mit heiseren Schreien in die Lüfte erhoben.

»El Büdj, der Bartgeier,« meinte Halef. »Wo er ist, da gibt es ganz sicher ein Aas.«

»Es wird dort irgend ein Tier verendet sein,« antwortete ich, indem ich ihm folgte.

Er hatte sein Pferd rascher vorwärts getrieben, so daß ich hinter ihm zurückgeblieben war. Kaum hatte er die Düne erreicht, so hielt er mit einem Rucke still und stieß einen Ruf des Schreckens aus.

»Masch Allah, Wunder Gottes! Was ist das? Ist das nicht ein Mensch, Sihdi, welcher hier liegt?«

Ich mußte allerdings bejahend antworten. Es war wirklich ein Mann, welcher hier lag, und an dessen Leichnam die Geier ihr schauderhaftes Mahl gehalten hatten. Schnell sprang ich vom Pferde und kniete bei ihm nieder. Seine Kleidung war von den Krallen der Vögel zerfetzt. Aber lange konnte dieser Unglückliche noch nicht tot sein, wie ich bei der Berührung sofort fühlte.

»Allah kerihm, Gott ist gnädig! Sihdi, ist dieser Mann eines natürlichen Todes gestorben?« fragte Halef.

»Nein. Siehst du nicht die Wunde am Halse und das Loch im Hinterhaupte? Er ist ermordet worden.«

»Allah verderbe den Menschen, der dies getan hat! Oder sollte der Tote in einem ehrlichen Kampfe gefallen sein?«

»Was nennst du ehrlichen Kampf? Vielleicht ist er das Opfer einer Blutrache. Wir wollen seine Kleider untersuchen.«

Halef half dabei. Wir fanden nicht das Geringste, bis mein Blick auf die Hand des Toten fiel. Ich bemerkte einen einfachen Goldreif von der gewöhnlichen Form der Trauringe und zog ihn ab. In seine innere Seite war klein, aber deutlich eingegraben: »E. P. 15. juillet 1830.«

»Was findest du?« fragte Halef.

»Dieser Mann ist kein Ibn Arab[5]

»Was sonst?«

»Ein Franzose.«

»Ein Franke, ein Christ? Woran willst du dies erkennen?«

»Wenn ein Christ sich ein Weib nimmt, so tauschen beide je einen Ring, in welchem der Name und der Tag eingegraben ist, an dem die Ehe geschlossen wurde.«

»Und dies ist ein solcher Ring?«

»Ja.«

»Aber woran erkennst du, daß dieser Tote zu dem Volke der Franken gehört? Er könnte doch ebenso gut von den Inglis[6] oder den Nemsi[7] stammen, zu denen auch du gehörst.«

»Es sind französische Zeichen, welche ich hier lese.«

»Er kann dennoch zu einem anderen Volke gehören. Meinst du nicht, Effendi, daß man einen Ring finden oder auch stehlen kann?«

»Das ist wahr. Aber sieh das Hemd, welches er unter seiner Kleidung trägt. Es ist dasjenige eines Europäers.«

»Wer hat ihn getötet?«

»Seine beiden Begleiter. Siehst du nicht, daß der Boden hier aufgewühlt ist vom Kampfe? Bemerkst du nicht, daß –«

Ich hielt mitten im Satze inne. Ich hatte mich aus meiner knieenden Stellung erhoben, um den Erdboden zu untersuchen, und fand nicht weit von der Stelle, an welcher der Tote lag, den Anfang einer breiten Blutspur, welche sich seitwärts zwischen die Felsen zog. Ich folgte ihr mit schußbereitem Gewehre, da die Mörder sich leicht noch in der Nähe befinden konnten. Noch war ich nicht weit gegangen, so stieg mit lautem Flügelschlage ein Geier empor und ich bemerkte an dem Orte, von welchem er sich erhoben hatte, ein Kamel liegen. Es war tot; in seiner Brust klaffte eine tiefe, breite Wunde. Halef schlug die Hände ineinander.

 

»Ein graues Hedjihn, ein graues Tuareg-Hedjihn, und diese Mörder, diese Schurken, diese Hunde haben es getötet!«

Es war klar, er bedauerte das prächtige Reittier viel mehr als den toten Franzosen. Als echter Sohn der Wüste, dem der geringste Gegenstand kostbar werden kann, bückte er sich nieder und untersuchte den Sattel des Kamels. Er fand nichts; die Taschen waren leer.

»Die Mörder haben bereits alles hinweggenommen, Sihdi. Mögen sie in alle Ewigkeit in der Dschehenna braten. Nichts, gar nichts haben sie zurückgelassen, als das Kamel – und die Papiere, welche dort im Sande liegen.«

Durch diese Worte aufmerksam gemacht, bemerkte ich in einer Entfernung von uns allerdings einige mit den Händen zusammengeballte und wohl als unnütz weggeworfene Papierstücke. Sie konnten mir vielleicht einen Anhaltspunkt bieten, und ich ging, um sie aufzuheben. Es waren mehrere Zeitungsbogen. Ich glättete die zusammengeknitterten Fetzen und paßte sie genau aneinander. Ich hatte zwei Seiten der »Vigie algérienne« und ebenso viel vom »L‘Indépendant« und der »Mahouna« in den Händen. Das erste Blatt erscheint in Algier, das zweite in Constantine und das dritte in Guelma. Trotz dieser örtlichen Verschiedenheit bemerkte ich bei näherer Prüfung eine mir auffällige Uebereinstimmung bezüglich des Inhaltes der drei Zeitungsfetzen: sie enthielten nämlich alle drei einen Bericht über die Ermordung eines reichen französischen Kaufmannes in Blidah. Des Mordes dringend verdächtig war ein armenischer Händler, welcher die Flucht ergriffen hatte und steckbrieflich verfolgt wurde. Die Beschreibung seiner Person stimmte in allen drei Journalen ganz wörtlich überein.

Aus welchem Grunde hatte der Tote, welchem dieses Kamel gehörte, diese Blätter bei sich geführt? Ging ihn der Fall persönlich etwas an? War er ein Verwandter des Kaufmanns in Blidah, war er der Mörder, oder war er ein Polizist, der die Spur des Verbrechers verfolgt hatte?

Ich nahm die Papiere an mich, wie ich auch den Ring an meinen Finger gesteckt hatte, und kehrte mit Halef zu der Leiche zurück. Ueber ihr schwebten beharrlich die Geier, welche sich nun nach unserer Entfernung auf das Kamel niederließen.

»Was gedenkest du nun zu tun, Sihdi?« fragte der Diener.

»Es bleibt uns nichts übrig, als den Mann zu begraben.«

»Willst du ihn in die Erde scharren?«

»Nein; dazu fehlen uns die Werkzeuge. Wir errichten einen Steinhaufen über ihm; so wird kein Tier zu ihm gelangen können.«

»Und du denkst wirklich, daß er ein Giaur ist?«

»Er ist ein Christ.«

»Es ist möglich, daß du dich dennoch irrst, Sihdi; er kann trotzdem auch ein Rechtgläubiger sein. Darum erlaube mir eine Bitte!«

»Welche?«

»Laß uns ihn so legen, daß er mit dem Gesichte nach Mekka blickt!«

»Ich habe nichts dagegen, denn dann ist es zugleich nach Jerusalem gerichtet, wo der Weltheiland litt und starb. Greife an!«

Es war ein trauriges Werk, welches wir in der tiefen Einsamkeit vollendeten. Als der Steinhaufen, welcher den Unglücklichen bedeckte, so hoch war, daß er der Leiche vollständigen Schutz gegen die Tiere der Wüste gewährte, fügte ich noch so viel hinzu, daß er die Gestalt eines Kreuzes bekam, und faltete dann die Hände, um ein Gebet zu sprechen. Als ich damit geendet hatte, wandte Halef sein Auge gegen Morgen, um mit der hundertundzwölften Sure des Korans zu beginnen:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich. Der Mensch liebt das dahineilende Leben und lässet das zukünftige unbeachtet. Deine Abreise aber ist gekommen, und nun wirst du hingetrieben zu deinem Herrn, der dich auferwecken wird zu neuem Leben. Möge dann die Zahl deiner Sünden klein sein und die Zahl deiner guten Taten so groß wie der Sand, auf dem du einschliefst in der Wüste!«

Nach diesen Worten bückte er sich nieder, um seine Hände, die er mit der Leiche verunreinigt hatte, mit dem Sande abzuwaschen.

»So, Sihdi, jetzt bin ich wieder tahir, was die Kinder Israel kauscher nennen, und darf wieder berühren, was rein und heilig ist. Was tun wir jetzt?«

»Wir eilen den Mördern nach, um sie einzuholen.«

»Willst du sie töten?«

»Ich bin ihr Richter nicht. Ich werde mit ihnen sprechen und dann erfahren, warum sie ihn getötet haben. Dann weiß ich, was ich tun werde.«

»Es können keine klugen Männer sein, sonst hätten sie nicht ein Hedjihn getötet, welches mehr wert ist, als ihre Pferde.«

»Das Hedjihn hätte sie vielleicht verraten. Hier siehst du ihre Spur. Vorwärts! Sie sind fünf Stunden vor uns; vielleicht treffen wir morgen auf sie, noch ehe sie Seddada erreichen.«

Wir jagten trotz der drückenden Hitze und des schwierigen, felsigen Bodens mit einer Eile dahin, als ob es gelte, Gazellen einzuholen, und es war dabei ganz unmöglich, ein Gespräch zu führen. Diese Schweigsamkeit aber konnte mein guter Halef unmöglich lange aushalten.

»Sihdi,« rief er hinter mir, »Sihdi, willst du mich verlassen?«

Ich drehte mich nach ihm um.

»Verlassen?«

»Ja. Meine Stute hat ältere Beine als dein Berberhengst.«

Wirklich triefte die alte Hassi-Ferdschahn-Stute bereits von Schweiß, und der Schaum flog ihr in großen Flocken von dem Maule.

»Aber wir können heute nicht wie gewöhnlich während der größten Hitze Rast machen, sondern wir müssen reiten bis zur Nacht, sonst holen wir die beiden, welche vor uns sind, nicht ein.«

»Wer zu viel eilt, kommt auch nicht früher als der, welcher langsam reitet, Effendi, denn – Allah akbar, blicke da hinunter!«

Wir befanden uns vor einem jähen Sturze des Wadi und sahen in der Entfernung von vielleicht einer Viertelwegsstunde unter uns zwei Reiter oder vielmehr zwei Männer an einer kleinen Sobha[8] sitzen, in welcher sich einiges brackiges Wasser erhalten hatte. Ihre Pferde knabberten an den dürren, stachelichen Mimosen herum, welche in der Nähe standen.

»Ah, sie sind es!«

»Ja, Sihdi, sie sind es. Auch ihnen ist es zu heiß gewesen, und sie haben beschlossen, zu warten, bis die größte Glut vorüber ist.«

»Oder sie haben sich verweilt, um die Beute zu teilen. Zurück, Halef, zurück, damit sie dich nicht bemerken! Wir werden das Wadi verlassen und ein wenig nach West reiten, um zu tun, als ob wir vom Schott Rharsa kämen.«

»Warum, Effendi?«

»Sie sollen nicht ahnen, daß wir die Leiche des Ermordeten gefunden haben.«

Unsere Pferde erklommen das Ufer des Wadi, und wir ritten stracks nach Westen in die Wüste hinein. Dann schlugen wir einen Bogen und hielten auf die Stelle zu, an welcher sich die beiden befanden. Sie konnten uns nicht kommen sehen, da sie in der Tiefe des Wadi saßen, mußten uns aber hören, als wir demselben nahe gekommen waren.

Wirklich hatten sie sich, als wir den Rand der Vertiefung erreichten, bereits erhoben und nach ihren Gewehren gegriffen. Ich tat natürlich, als sei ich ebenso überrascht wie sie selbst, hier in der Einsamkeit der Wüste so plötzlich auf Menschen zu treffen, hielt es jedoch nicht für nötig, nach meiner Büchse zu langen.

»Salam aaleïkum!« rief ich, mein Pferd anhaltend, zu ihnen hinab.

»Aaleïkum,« antwortete der ältere von ihnen. »Wer seid ihr?«

»Wir sind friedliche Reiter.«

»Wo kommt ihr her?«

»Von Westen.«

»Und wo wollt ihr hin?«

»Nach Seddada.«

»Von welchem Stamme seid ihr?«

Ich deutete auf Halef und antwortete:

»Dieser hier stammt aus der Ebene Admar, und ich gehöre zu den Beni-Sachsa. Wer seid ihr?«

»Wir sind von dem berühmten Stamme der Uëlad Hamalek.«

»Die Uëlad Hamalek sind gute Reiter und tapfere Krieger. Wo kommt ihr her?«

»Von Gafsa.«

»Da habt ihr eine weite Reise hinter euch. Wohin wollt ihr?«

»Nach dem Bir[9] Sauidi, wo wir Freunde haben.«

Beides, daß sie von Gafsa kamen und nach dem Brunnen Sauidi wollten, war eine Lüge, doch tat ich, als ob ich ihren Worten glaubte, und fragte:

»Erlaubt ihr uns, bei euch zu rasten?«

»Wir bleiben hier bis zum frühen Morgen,« lautete die Antwort, welche also für meine Frage weder ein Ja noch ein Nein enthielt.

»Auch wir gedenken, bis zum Aufgang der nächsten Sonne hier auszuruhen. Ihr habt genug Wasser für uns alle und auch für unsere Pferde. Dürfen wir bei euch bleiben?«

»Die Wüste gehört allen. Marhaba, du sollst uns willkommen sein!«

Es war ihnen trotz dieses Bescheides leicht anzusehen, daß ihnen unser Gehen lieber gewesen wäre, als unser Bleiben; wir aber ließen unsere Pferde den Abhang hinunter klettern und stiegen an dem Wasser ab, wo wir sofort ungeniert Platz nahmen.

Die beiden Physiognomien, welche ich nun studieren konnte, waren keineswegs Vertrauen erweckend. Der ältere, welcher bisher das Wort geführt hatte, war lang und hager gebaut. Der Burnus hing ihm am Leibe wie an einer Vogelscheuche. Unter dem schmutzig blauen Turban blickten zwei kleine, stechende Augen unheimlich hervor; über den schmalen, blutleeren Lippen fristete ein dünner Bart ein kümmerliches Dasein; das spitze Kinn zeigte eine auffallende Neigung, nach oben zu steigen, und die Nase, ja, diese Nase erinnerte mich lebhaft an die Geier, welche ich vor kurzer Zeit von der Leiche des Ermordeten vertrieben hatte. Das war keine Adler— und auch keine Habichtsnase; sie hatte wirklich die Form eines Geierschnabels.

Der andere war ein junger Mann von auffallender Schönheit; aber die Leidenschaften hatten sein Auge umflort, seine Nerven entkräftet und seine Stirn und Wangen zu früh gefurcht. Man konnte unmöglich Vertrauen zu ihm haben.

Der ältere sprach das Arabische mit jenem Akzente, wie man es am Euphrat spricht, und der jüngere ließ mich vermuten, daß er kein Orientale sondern ein Europäer sei. Ihre Pferde, welche in der Nähe standen, waren schlecht und sichtlich abgetrieben; ihre Kleidung hatte ein sehr mitgenommenes Aussehen, aber ihre Waffen waren ausgezeichnet. Da, wo sie vorhin gesessen, lagen verschiedene Gegenstände, welche sonst in der Wüste selten sind und wohl nur deshalb liegen geblieben waren, weil die beiden keine Zeit gefunden hatten, sie zu verbergen: ein seidenes Taschentuch, eine goldene Uhr nebst Kette, ein Kompaß, ein prachtvoller Revolver und ein in Maroquin gebundenes Taschenbuch.

1Herr.
2Nachtigall.
3Mekkapilger.
4Tal, Schlucht.
5Araber.
6Engländer.
7Deutschen
8Lache.
9Brunnen.