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Durch das Land der Skipetaren

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Durch das Land der Skipetaren
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Erstes Kapitel: Entlarvt

Die türkische Rechtspflege hat bekanntlich ihre Eigentümlichkeiten, sagen wir geradezu ihre Schattenseiten, die um so deutlicher hervortreten, je entlegener die Gegend ist, um die es sich handelt. Unter den dortigen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, daß da, wo die verschiedenen zuchtlosen, sich ewig befehdenden Stämme der Arnauten ihre Wohnsitze haben, von einem wirklichen »Rechte« fast gar nicht gesprochen werden kann.

Bei Ostromdscha beginnt das Gebiet dieser Skipetaren, welche nur das eine Gesetz kennen, daß der Schwächere dem Stärkeren zu weichen hat. Wollten wir nicht den kürzeren ziehen, so mußten wir dasselbe auch für uns in Anwendung bringen. Wir hatten dies schon am Nachmittage, und zwar, wie man weiß, mit Erfolg getan und waren entschlossen, bei der Sitzung, welcher wir nun jetzt entgegen gingen, in derselben kräftigen Weise aufzutreten.

Als wir nach dem »Gerichtsgebäude« aufbrachen, war die Dämmerung eingetreten. Wir sahen unterwegs viele Menschen stehen, welche im Hofe keinen Platz gefunden und sich hier aufgestellt hatten, um uns wenigstens kommen zu sehen.

Als wir im Hofe ankamen, wurde das Tor hinter uns verschlossen, das war für uns kein gutes Zeichen. Der Mübarek hatte seinen Einfluß aufgeboten und zwar nicht ohne Erfolg, wie es schien.

Wir konnten kaum durch die Menge bis an den Platz des Verhöres gelangen. Wo vorher nur ein Stuhl gestanden hatte, war jetzt noch eine lange Bank aufgestellt. Der Apparat zur Bastonnade lag noch an derselben Stelle.

Man hatte Oel in Gefäße gegossen, Werg hineingetan und dasselbe angebrannt. Diese Flammen ließen alles in einem abenteuerlichen Licht erscheinen.

Die Herren vom Gericht befanden sich im Innern des Hauses. Unsere Ankunft wurde ihnen gemeldet. Die Kawassen postierten sich so um uns, daß sie den Weg nach dem Tor versperrten. Da dasselbe verschlossen war, so ließ sich dieses Verhalten der Polizisten doppelt bedenklich für uns deuten.

Lautlose Stille herrschte rundum. Jetzt erschienen die fünf Herren, und sofort zogen die Kawassen blank.

»O Allah!« sagte Halef in ironischem Tone. »Wie wird es uns ergehen, Sihdi! Ich zittere vor Angst.«

»Ich ebenso.«

»Soll ich diesen dummen Menschen, die da glauben, uns mit ihren Säbeln bange zu machen, meine Peitsche schmecken lassen?«

»Keine Dummheit! Du warst heute schon einmal voreilig und trägst die Schuld, daß wir uns überhaupt hier befinden.«

Die fünf Richter hatten Platz genommen, der Kodscha Bascha auf dem Stuhl und die Andern auf der Bank. Ein Frauenzimmer drängte sich aus der Menge herbei und nahm hinter dem Stellvertreter Stellung. Ich erkannte Nohuda, die Erbse, welche ihrer Schönheit mit Eisenocker nachhalf. Der Stellvertreter war also wohl ihr glücklicher Ehemann. Er hatte sehr nichtssagende Gesichtszüge.

Zunächst dem Kodscha Bascha saß der Mübarek. Er hatte ein Papier quer über das Knie gelegt. Zwischen ihm und seinem Nachbar stand ein kleiner Topf. Da eine Gänsefeder in demselben steckte, so vermutete ich, daß er die Tinte enthalte.

Der Kodscha Bascha wackelte mit dem Kopfe und räusperte sich auffällig. Dies war das Zeichen, daß die Verhandlung beginnen solle. Er begann mit krähender, weithin schallender Stimme:

»Im Namen des Propheten und im Namen des Padischah, dem Allah tausend Jahre verleihen wolle! Wir haben diese Kasa zusammenberufen, um über zwei Verbrechen zu urteilen, welche sich heute in unserer Stadt und in deren Nähe ereignet haben. Selim, tritt vor! Du bist der Ankläger. Erzähle nun, was mit dir geschehen ist.«

Der Kawaß trat in die Nähe seines Herrn und erzählte. Was wir zu hören bekamen, war geradezu lächerlich. Er hatte sich in der angestrengtesten amtlichen Tätigkeit befunden und war von uns mörderisch überfallen worden. Nur durch Unerschrockenheit und durch die tapferste Gegenwehr war es ihm gelungen, sein Leben zu retten, sagte er.

Als er geendet hatte, fragte ihn der Kodscha:

»Und welcher ist es, der dich schlug?«

»Dieser hier ist es,« antwortete er, auf Halef deutend.

»So kennen wir nun ihn und seine Tat und werden zur Beratung schreiten.«

Er begann mit seinen Beisitzern zu flüstern, und erklärte nach einer Weile mit lauter Stimme:

»Die Kasa hat beschlossen, daß der Verbrecher auf jede Fußsohle vierzig Hiebe erhalten und dann vier volle Wochen eingesperrt werden soll. Das verkündigen wir im Namen des Padischah. Allah segne ihn!«

Halefs Hand fuhr an den Griff seiner Peitsche. Ich mußte mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen.

»Jetzt kommt das zweite Verbrechen,« verkündete der Beamte. »Mawunadschi, tritt vor, und erzähle!«

Der Fährmann gehorchte dieser Aufforderung. Er hatte jedenfalls mehr Angst als ich. Aber ehe er seinen Bericht beginnen konnte, wendete ich mich in sehr höflichem Ton an den Kodscha Bascha:

»Willst du vielleicht die Gnade haben, dich einmal zu erheben?«

Er stand ahnungslos von seinem Stuhl auf. Ich schob ihn zur Seite und setzte mich nieder.

»Ich danke dir,« sagte ich. »Es ziemt dem Niedrigen, dem Hohen Ehrerbietung zu erweisen. Du hast ganz recht getan.«

Jammerschade, daß es unmöglich ist, sein Gesicht zu beschreiben. Der Kopf geriet in ein gefährliches Pendeln. Er wollte reden, brachte aber vor Entsetzen kein Wort hervor. Darum streckte er, um wenigstens durch die Pantomime seine Entrüstung auszudrücken, die dürren Arme aus und schlug die Hände über dem wackelnden Kopfe zusammen.

Kein Mensch sagte ein Wort. Kein Kawaß rührte sich. Man wartete auf den Zornesausbruch des Gebieters. Dieser fand glücklicherweise die Sprache wieder. Er brach in eine Reihe unbeschreiblicher Interjektionen aus und schrie mich dann an:

»Was fällt dir ein! Wie kannst du eine solche Unverschämtheit begehen und – —«

»Hadschi Halef Omar!« unterbrach ich ihn laut. »Nimm deine Peitsche. Denjenigen, welcher noch ein einziges unhöfliches Wort zu mir sagt, beschenkst du mit Hieben, bis ihm die Haut zerplatzt; mag er sein, wer er will!«

Der kleine Hadschi hatte sofort die Peitsche in der Hand.

»Emir, ich gehorche,« sagte er entschlossen. »Gib mir nur einen Wink.«

Es fehlte leider die Beleuchtung, sonst hätte man erstaunte Gesichter sehen können. Der Kodscha Bascha wußte offenbar gar nicht, wie er sich verhalten sollte. Da flüsterte ihm der Mübarek einige Worte zu, worauf er den Kawassen befahl:

»Nehmt ihn gefangen! Schafft ihn in den Keller!«

Er deutete auf mich.

Die Polizisten traten herbei, mit blanken Säbeln in den Händen.

»Zurück!« rief ich ihnen zu. »Wer mich anrührt, den schieße ich nieder!«

Ich hielt ihnen die beiden Revolver entgegen, und im nächsten Augenblick sah ich keinen einzigen Kawassen mehr. Sie hatten sich in das Publikum verloren.

»Was erregt deinen Zorn?« fragte ich den Kodscha. »Warum stehst du? Warum setzest du dich nicht? Laß den Mübarek aufstehen, und setze dich an seinen Platz.«

Jetzt ging ein Gemurmel durch die Menge. Daß ich den Kodscha beleidigen konnte, hatte ihnen noch im Bereich der Möglichkeit gelegen; aber daß ich nun auch den Heiligen angriff, das war denn doch zu viel gewagt. Man begann zu murren.

Das gab dem Kodscha eine bedeutende Energie. Er rief mir zornig zu:

»Mensch, sei du, wer du willst, aber für eine solche Frechheit werde ich dich auf das allerstrengste bestrafen. Der Mübarek ist ein Heiliger, ein Liebling Allahs, ein Wundertäter. Wenn er will, kann er Feuer vom Himmel auf dich fallen lassen!«

»Schweig‘, Kodscha Bascha! Wenn du reden willst, so halte eine klügere Rede. Der Mübarek ist weder ein Heiliger noch ein Wundertäter. Er ist vielmehr ein Verbrecher, ein Schwindler und Bösewicht!«

Da wurden im Publikum drohende Stimmen laut. Noch lauter aber wurde die Stimme des Mübarek selbst. Er hatte sich erhoben, streckte die Hand gegen mich aus und rief:

»Er ist ein Giaur, ein ungläubiger Hund. Ich verfluche ihn. Möge sich die Hölle unter ihm öffnen und die Verdammnis ihn verschlingen. Die bösen Geister werden – —«

Weiter kam er nicht. Mein kleiner Hadschi hatte ausgeholt und ihm mit der Peitsche einen solchen Jagdhieb versetzt, daß der alte Sünder sich unterbrach und einen gewaltigen Luftsprung machte.

Das war ein gewaltiges Wagnis, wie sich sogleich zeigte. Nach einem Augenblick drohender Stille schallten von allen Seiten Schreie des Zornes im Publikum. Die Hinteren drängten nach vorn. Die Sache konnte verhängnisvoll werden. Da trat ich schnell an die Seite des Mübarek und rief so laut ich konnte:

»Rahat, süküt – Ruhe, seid still! Ich werde euch beweisen, daß ich recht habe. Halef, hole die Flamme her! – — Sehet her, ihr Leute, wer der Mübarek ist, und wie er euch täuscht! Seht ihr diese Krücken?«

Ich nahm den Schurken mit der rechten Hand beim Genick und preßte ihm den dünnen Hals zusammen. Mit der Linken riß ich ihm den Kaftan auseinander. Richtig, da hing an jeder Seite eine Krücke. Beide waren mit Gelenken versehen und konnten zusammengeschlagen werden.

Bei dieser Gelegenheit sah ich, daß die Innenseite des Kaftans anders gefärbt war, als die Außenseite. Das Kleidungsstück hatte viele Taschen. Ich griff in die erste beste und fühlte einen haarigen Gegenstand. Ich zog ihn heraus. Es war eine Perücke, ganz genau das wirre, struppige Haar, wie ich es bei dem Bettler gesehen hatte.

Der Kerl war so erschrocken, daß er alle Gegenwehr vergaß. Jetzt aber stieß er Hilferufe aus und schlug mit den Armen um sich.

»Osko, Omar, haltet ihn! Greift aber tüchtig zu! Wenn es ihm auch wehe tut!«

Die beiden Genannten packten ihn, so daß ich nun beide Hände frei bekam. Da Halef das eine Oelgefäß herbeigeholt hatte, wurde unsere interessante Gruppe hell erleuchtet, so daß die Anwesenden alles deutlich sehen konnten. Sie verhielten sich ruhig.

 

»Dieser Mensch, den ihr für einen Heiligen haltet,« fuhr ich fort, »ist ein Verbündeter des Schut oder wohl gar der Schut selbst. Seine Wohnung ist der Aufenthalt von Dieben und Räubern, wie ich euch nachher beweisen werde. Er schleicht in allerlei Verkleidungen im Lande umher, um Gelegenheit zu Verbrechen auszukundschaften. Er und der Bettler Busra sind eine und dieselbe Person. Hier hat er sich die Krücken unter den Achseln angebunden. Wenn sie beim Gehen aneinander stießen, habt ihr geglaubt, daß seine Gebeine klappern. Hier ist die Perücke, welche er als Krüppel trug.«

Ich leerte nach und nach seine Taschen, betrachtete die einzelnen Gegenstände und erklärte deren Gebrauch, indem ich fortfuhr:

»Hier ist eine Büchse mit Farbenmehl, welches dazu diente, seinem Gesichte schnell eine andere Farbe zu geben. Da ist der Lappen, mit welchem er sich die Farbe rasch wieder abwischen konnte. Jetzt seht ihr eine Flasche, noch halb voll von Wasser, jedenfalls um sich auch an Orten, wo kein Wasser vorhanden war, nach Bedürfnis reinigen zu können. Und nun seht ihr – ja, was ist denn das? Das sind zwei kleine Halbkugeln aus Gummi. Er hat sie sich in die Backen gesteckt, wenn er den Bettler machen wollte. Das Gesicht war dann dicker als vorher. Seht ihr die verschiedene Färbung des Kaftan? Als Bettler zog er ihn aus, drehte die dunkle Seite nach außen und schlang ihn um den Leib. Dann sah das Gewand aus wie ein altes Tuch. Habt ihr jemals den Mübarek und den Bettler beisammen gesehen? Gewiß nicht. Das war ja ganz unmöglich, da beide nur eine Person waren. Und hat sich nicht der Mübarek grad zu der Zeit zum erstenmale sehen lassen, in welcher auch der Bettler in diese Gegend kam?«

Diese letzteren Argumente schienen überzeugend zu sein, denn ich hörte von allen Seiten Ausrufe verwunderter Zustimmung erschallen.

Jetzt zog ich ein kleines Päckchen aus der Tasche. In einen alten Lumpen gewickelt erschien ein Armband von alten venetianischen Goldzechinen. Bei einigen der Münzen war die Prägung gut erhalten. Ich sah beim Schein der Flamme auf dem Avers das Bild des heiligen Markus, welcher dem Dogen die Kreuzesfahne reicht, und auf dem Revers das Bild eines andern, mir unbekannten Heiligen, von Sternen und der Inschrift umgeben: Sit tibi, Christe, datus, quem tu regis, iste ducatus.

»Hier ist ein Bilezik von zwölf goldenen Münzen in einen Lappen gewickelt,« fuhr ich fort. »Wer weiß, wo er es gestohlen hat! Wenn ihr nachforscht, wird sich die Besitzerin vielleicht finden lassen.«

»On iki zikkeler – zwölf Münzen?« rief eine Frauenstimme hinter mir. »Zeig her! Mir ist ein solches Armband in voriger Woche aus dem Kasten gestohlen worden.«

Nohuda, die »Erbse«, war die Sprecherin. Sie trat herbei, nahm mir das Armband aus der Hand und betrachtete es.

»Allah!« rief sie. »Es ist das meinige. Es ist ein altes Erbstück meiner mütterlichen Vorfahren. Schau her und überzeuge dich, daß es mir wirklich gehört!«

Sie gab es ihrem Mann.

»Bei Allah, es ist das deinige!« stimmte dieser bei.

»So besinne dich, Nohuda, ob der Mübarek zur betreffenden Zeit bei dir gewesen ist,« sagte ich.

»Der Mübarek nicht, aber der Krüppel. Er wurde hereingerufen, um ein Essen zu empfangen. Ich hatte meinen Schmuck auf dem Tische liegen und legte ihn in den Kasten zurück. Das hat er gesehen. Als ich nach einigen Tagen zufällig nachschaute, war das Armband weg.«

»So kennst du nun den Dieb.«

»Er ist‘s. Er hat es; es ist erwiesen. O du Spitzbube! Ich kratze dir die Augen aus! Ich werde – —«

»Still jetzt!« unterbrach ich sie in der Befürchtung, daß der Fluß ihrer Rede, einmal in Ueberschwemmung getreten, nicht so leicht und bald versiegen werde. »Behalte das Band und laß den Dieb bestrafen. Ihr seht jetzt, welch einen Menschen ihr verehrt habt. Und dieser Räuber ist sogar zum Basch Kiatib ernannt worden und hat über Andere mit zu Gericht gesessen. Mich hat er in die Hölle verflucht, und bald hätte ich mir seinetwegen den Zorn dieser braven Versammlung zugezogen. Ich verlange, daß er an einem sicheren Ort eingesperrt werde, von welchem kein Entkommen möglich ist, und daß dem Makredsch von Saloniki Anzeige erstattet werde.«

Man stimmte mir nicht nur bei, sondern es ließen sich zahlreiche Rufe hören:

»Prügelt ihn vorher! Gebt ihm die Bastonnade! Zerschlagt ihm die Fußsohlen!«

»Sapytyn-iz ona bojunu – dreht ihm den Hals um!« eiferte die »Erbse« voller Grimm über den an ihr verübten Diebstahl.

Der Mübarek hatte bis jetzt nichts gesagt. Nun aber schrie er:

»Glaubt ihm nicht! Er ist ein Giaur. Er ist der Dieb. Er hat mir das Armband soeben in die Tasche gesteckt. Er – — waï‘ waï‘!«

Er unterbrach sich mit diesem Ausruf des Schmerzes, weil ihm Halefs Peitsche auf den Rücken knallte.

»Warte, Schurke!« rief der Hadschi. »Ich will es dir auf den Rücken schreiben, daß wir erst heute in diese Gegend gekommen sind. Wie kann dieser Emir das Band gestohlen haben? Uebrigens ist so ein berühmter Effendi kein Dieb. Hier hast du die Beglaubigung dafür.«

Er maß ihm noch einige so kräftige Hiebe über, daß der Getroffene laut aufbrüllte.

»Aferim, aferim – bravo, bravo!« riefen dieselben Leute, welche mir noch vor wenigen Augenblicken gefährlich werden wollten.

Der Kodscha Bascha wußte nicht, was er tun und was er sagen sollte. Er ließ mich machen. Doch hatte er schleunigst die Gelegenheit ergriffen, sich wieder auf dem Amtsstuhl niederzusetzen. So war doch wenigstens seine Ehre gewahrt.

Seine Beisitzer verhielten sich schweigsam. Sie mochten eine Art Beklemmung fühlen. Die Kawassen erkannten, daß meine Aktien zu steigen begannen, und in der Voraussetzung, daß ich mich infolgedessen in guter Laune befinden und ihnen nicht mehr gefährlich sein würde, kamen sie – einer nach dem andern – wieder herbei.

»Bindet den Kerl!« befahl ich ihnen. »Fesselt ihm die Hände!«

Sie gehorchten augenblicklich, und keiner der anwesenden Justizbeamten erhob Einspruch gegen meine Eigenmächtigkeit.

Der Mübarek sah wohl ein, daß es für ihn geraten sei, sich zu fügen. Er ließ sich binden, ohne Widerstand zu leisten, und setzte sich dann auf seinen Platz, wo er in sich zusammensank. Die Beisitzer standen schnell von ihren Sitzen auf. Sie wollten nicht dieselbe Bank mit einem Verbrecher teilen.

»Und nun zurück zu deinem Richterspruch,« sagte ich zu dem Kodscha Bascha. »Kennst du die Gesetze deines Landes?«

»Natürlich muß ich sie kennen,« antwortete er. »Ich habe ja in der Zivilhochschule studiert.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?« fragte er beleidigt. »Ich kenne das ganze geistliche Recht, welches auf dem Kuran beruht, auf der Sunna und auf den Entscheidungen der vier ersten Kalifen.«

»Kennst du auch das Mülteka el buher, welches euer Zivil- und Kriminalgesetzbuch ist?«

»Ich kenne es; es ist vom Scheik Ibrahim Halebi verfaßt.«

»Wenn du diese Verordnungen wirklich kennst, warum handelst du denn nicht nach ihnen?«

»Ich habe mich stets und auch heute streng nach ihnen gerichtet.«

»Das ist nicht wahr. Es steht geschrieben, daß der Richter selbst dem schlimmsten Verbrecher, bevor er ihm das Urteil spricht, die Verteidigung gestatten muß. Ihr aber habt meinen Freund und Begleiter verurteilt, ohne ihn ein einziges Wort sagen zu lassen. Euer Urteil gilt also nichts. Auch müssen bei der Verhandlung alle Angeklagten und Zeugen vollzählig beisammen sein; das war aber keineswegs der Fall.«

»Es sind ja alle da!«

»Nein. Es fehlt Ibarek, der Herbergsvater. Wo befindet er sich?«

Der Richter wackelte verlegen mit dem Kopf, stand dann auf und antwortete:

»Ich werde ihn holen.«

Er wollte fortgehen; ich aber ahnte, was mit Ibarek geschehen war, und hielt den Bascha am Arm zurück, indem ich den Kawassen gebot:

»Holt Ibarek! Bringt ihn aber genau in demselben Zustand herbei, in welchem er sich jetzt befindet!«

Zwei von ihnen entfernten sich und führten nach kurzer Zeit den Wirt herbei. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden.

»Was ist das? Was hat der Mann begangen, daß man ihn bindet?« fragte ich. »Wer hat den Befehl dazu gegeben?«

Der Bascha warf den Kopf herüber und hinüber und antwortete:

»Der Mübarek wollte es so haben.«

»So hat also der Kodscha Bascha das zu tun, was der Basch Kiatib befiehlt? Und doch sagst du, du hättest die Gesetze studiert! Dann ist es freilich kein Wunder, wenn in deinem Bezirke die ärgsten Spitzbuben für Heilige gehalten werden.«

»Ich war in meinem Recht,« verteidigte er sich kleinlaut.

»Das kannst du mir nicht beweisen.«

»O doch! Euch habe ich nicht arretieren lassen, weil ihr fremd seid. Dieser Herbergsvater aber ist ein Bewohner unserer Gegend. Er steht unter meiner Gewalt.«

»Und du meinst, daß es dir erlaubt sei, diese Gewalt zu mißbrauchen? Da stehen einige Hundert deiner Untergebenen. Meinst du, daß du mit ihnen machen kannst, was dir beliebt? Vielleicht hast du es bisher getan; aber sie werden sich das heutige Vorkommnis merken und in Zukunft Gerechtigkeit verlangen. Ibarek ist bestohlen worden. Er kam zu dir, um dich um Hilfe zu bitten. Anstatt sie ihm zu gewähren, hast du ihn fesseln und einsperren lassen. Wie willst du diese Ungerechtigkeit verantworten? Ich verlange, daß du ihm augenblicklich die Fesseln lösest.«

»Die Kawassen haben es zu tun.«

»Nein, du selbst wirst es tun als Sühne für deine Ungerechtigkeit.«

Das war ihm denn doch zu viel. Er fuhr mich zornig an:

»Wer bist du denn eigentlich, daß du hier gebietest, als ob du unser Makredsch oder Bilad i Kamse Mollatari seist?«

»Siehe hier meine Papiere!«

Ich gab ihm die drei Pässe hin. Als er das Teskereh, das Buyuruldi und sogar den Ferman erblickte, kniff er erschrocken die kleinen Triefaugen zusammen, und sein Kopf pendelte wie das Metronom des berühmten Regensburger Johann Nepomuk Mälzl.

»Herr, du stehst ja im Schatten des Großherrn!« rief er aus.

»So sorge dafür, daß ich einen Teil dieses Schattens auf dich werfe!«

»Ich werde tun, was du begehrst.«

Er trat zu Ibarek und löste ihm den Strick.

»Bist du nun zufrieden?« fragte er.

»Einstweilen, ja. Es wird noch mehr von dir verlangt. Dein Kawaß Selim hat dir grundfalschen Bericht erstattet. Das Zusammentreffen war ganz anders, als er erzählte. Der Mübarek wird ihm eingegeben haben, wie er zu sagen habe, um uns so viel wie möglich zu schaden.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ich aber glaube es, denn er hat den Fährmann auch verleitet, ein falsches Zeugnis gegen mich abzulegen.«

»Ist das wahr?«

Diese Frage war an den Fährmann gerichtet, welcher jetzt glaubte, daß der Mübarek ihm nun nicht mehr schaden könne, und infolgedessen furchtlos erzählte, wie er von ihm instruiert worden sei.

»Du siehst,« sagte ich zu dem Bascha, »daß ich diesem Mann keineswegs nach dem Leben getrachtet habe. Ich sah, daß er den Spion des Alten machte, und nahm ihn mit mir, um nach der Angelegenheit zu forschen. Das ist alles. Wenn du mich dafür bestrafen willst, so bin ich bereit, meine Verteidigung anzutreten.«

»Herr, von einer Bestrafung kann keine Rede sein; du hast keinen Fehler begangen.«

»So kann auch mein Begleiter nicht wegen des Kawassen bestraft werden, denn nicht er, sondern ein ganz Anderer trägt die Schuld an dem Vorkommnis.«

»Wer ist der Andere?«

»Du selbst bist es.«

»Ich? – Wieso?«

»Als Ibarek bestohlen worden, kam er zu dir, um Anzeige zu machen. Was hast du getan, um deine Pflicht zu erfüllen?«

»Alles, was ich konnte.«

»So? – Was war das?«

»Ich habe Selim den Auftrag gegeben, er solle nachsinnen, was zu tun sei.«

»Die andern Kawassen hast du nicht damit betraut?«

»Nein; denn das war überflüssig. Sie hätten ja doch nichts entdeckt.«

»So müssen deine Polizisten große Dummköpfe sein, weil du gleich von vornherein weißt, daß sie keinen Erfolg haben werden. Die Tat ist hier geschehen. Warum aber hast du denn diesen Selim, welcher sich erst seit ganz kurzem hier befindet, mit der Sache betraut?«

»Weil er der Klügste ist.«

»Ich denke, du hast einen ganz andern Grund.«

»Herr, welchen andern Grund sollte ich haben?«

»Ein guter Beamter setzt alle Hebel an, den Täter eines solchen Verbrechens zu entdecken. Du aber hast es verschwiegen und dem Einen, welchem du es mitteiltest, hast du fast eine ganze Woche Zeit gegeben, sich die Sache zu überlegen. Das hat den Anschein, als ob du wünschest, daß die Diebe entkommen mögen.«

»Effendi! Was denkst du von mir?«

»Meine Ansicht richtet sich ganz genau nach deinem Verhalten. Nichts lag näher, als daß du hier in Ostromdscha nach den Tätern suchen ließest.«

 

»Sie sind ja nach Doiran geritten!«

»Das zu glauben, muß man sehr befangen sein. Kein Dieb wird sagen, wohin er sich wenden will. Soviel mußt du als alter Jurist doch wissen. Wie nun, wenn ich entdecke, daß du ein Freund dieser Verbrecher bist?«

Er begann fürchterlich mit dem Kopf zu wackeln, jedenfalls vor Bestürzung.

»Herr, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll!« rief er aus.

»Sage lieber gar nichts, denn meine Meinung bleibt doch gänzlich unverändert. Wenn du dich der Sache in der Art angenommen hättest, wie es deine Pflicht war, so wären die Diebe längst entdeckt.«

»Glaubst du, daß sie freiwillig kommen, um sich mir zu melden?«

»Nein; aber ich glaube, daß sie sich hier in Ostromdscha befinden.«

»Unmöglich! Es sind in keinem Konak drei Reiter abgestiegen.«

»Das wird ihnen auch nicht einfallen. Sie werden sich nicht so nahe am Tatort öffentlich zeigen. Sie haben sich versteckt.«

»Soll ich wissen, bei wem?«

»Warum nicht? Ich bin ein Fremder und weiß es doch.«

»Was! Du weißt es?«

»Ja, ganz genau.«

»So mußt du allwissend sein.«

»Nein; ich habe aber gelernt, nachzudenken. Solche Halunken werden sich nur bei gleich schlechten Subjekten verstecken. Wer aber ist das schlechteste Subjekt in Ostromdscha?«

»Meinst du den Mübarek?«

»Du hast‘s erraten.«

»Bei ihm sollen sie sein?«

»Jedenfalls.«

»Da irrst du dich.«

»Ich irre mich so wenig, daß ich bereit bin, mit dir zu wetten. Wenn du die Diebe fangen willst, so mußt du hinauf zur Ruine gehen.«

Er blickte zu dem Mübarek hinüber, und dieser erwiderte den Blick. Es war mir ganz so, als ob diese beiden doch in einem Einvernehmen ständen.

»Der Weg würde vergeblich sein, Herr,« sagte er.

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt und sage dir, daß wir nicht nur die Diebe, sondern auch die gestohlenen Gegenstände finden würden. Darum fordere ich dich auf, mir mit deinen Kawassen zu folgen.«

»Du scherzest doch?«

»Nein, es ist mein Ernst.«

»In dieser Dunkelheit?«

»Fürchtest du dich?«

»Nein; aber solche Menschen sind gefährlich. Sind sie wirklich oben, so werden sie sich verteidigen. Warte lieber, bis es morgen Tag geworden ist.«

»Bis dahin könnten sie entkommen sein. Es hat übrigens den Anschein, daß es hier Leute gibt, welche die Diebe warnen würden.«

»Das wird niemand tun. Ich selbst werde dafür sorgen, daß kein Mensch sich in dieser Nacht der Ruine nähern kann.«

»Sorge lieber dafür, daß wir schnell aufbrechen können, und gib Befehl, daß Laternen mitgenommen werden.«

»Herr, laß ab von diesem Beginnen!«

»Nein! Wenn du deine Pflicht nicht tun willst, so bleibe daheim. Ich werde Leute finden, welche des Amtes eines Kodscha Bascha würdiger sind.«

Das zog. Er wackelte zwar noch immer höchst bedenklich mit dem Kopf, sagte aber doch:

»Du darfst mich nicht verkennen. Ich bin nur auf dein eigenes Wohl bedacht und wünsche nicht, daß du dich in Gefahr begibst.«

»Kümmere dich nicht um mich! Mein Wohl wahre ich selbst.«

»Nehmen wir den Mübarek mit?«

»Ja. Er wird uns führen.«

»So erlaube, daß ich für Beleuchtung und auch für Waffen sorge.«

Er begab sich in das Haus.

Viele der anwesenden Leute eilten fort; ich vermutete, um Laternen, oder etwas Aehnliches zu holen und uns zu begleiten. Ibarek hatte dieser Verhandlung still zugehört. Jetzt fragte er mich:

»Effendi, glaubst du wirklich, daß wir die drei Spitzbuben fangen?«

»Ganz gewiß.«

»Und daß ich mein Eigentum zurückerhalte?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Herr, ich kann dich nicht begreifen! Es scheint, daß du alles weißt. Ich gehe natürlich mit Freuden hinauf zu der Ruine.«

»Was sagst du nun zu dem Einsiedler? Du hast ihn gepriesen, obgleich du ihn fürchtetest. Und als du von ihm sprachst, ahnte ich bereits, daß er ein großer Halunke sei. Die Diebe deines Eigentumes befinden sich bei ihm.«

Der Bascha kehrte bald zurück. Er brachte einige alte Laternen, mehrere Fackeln und eine Anzahl von Kienspänen. Andere Leute kamen mit ähnlichen Beleuchtungsgegenständen herbei, und dann setzte sich der Zug in Bewegung.

Ein nächtlicher Zug zu der Ruine hinauf, um Diebe einzufangen, das war noch niemals dagewesen; das war den Leuten eine Lust. Darum wanderte fast die ganze Bevölkerung des Ortes hinter uns her.

Da ich weder dem Kodscha Bascha noch seinen Kawassen recht traute, mußten Osko und Omar den Mübarek bewachen. Sie hatten ihn zwischen sich genommen.

Voran schritten einige Kawassen. Dann kam der Bascha mit den Herren seines Gerichtes, hinter diesen der Mübarek mit seinen beiden Wächtern, dann ich mit Halef und den beiden verschwägerten Wirten, und hinter uns drein tummelte sich das Alter und die Jugend von Ostromdscha.

Es war lustig, zu hören, welche Meinungen geäußert wurden, auch über unsere Personen. Der Eine meinte, ich sei ein großherrlicher Prinz, und der Andere hielt mich für einen persischen Fürstensohn. Ein Dritter schwur, ich sei ein indischer Zauberer, und ein vierter schrie überlaut, daß ich ein Kronprinz aus Moskau sei und gekommen wäre, um das Land für Rußland zu erobern.

Je näher wir der Ruine kamen, desto stiller wurden die Leute. Sie sahen doch ein, daß man vorsichtig sein müsse, wenn man Spitzbuben fangen wolle.

Da, wo der Wald begann, blieben viele zurück. Das waren die Furchtsamen. Sie versicherten aber doch hoch und teuer, daß sie sich nur darum hier postierten, damit die Diebe an dieser Stelle nicht durchkommen könnten, falls es ihnen gelingen sollte, oben zu entfliehen.

Als wir dann die Lichtung erreichten, herrschte die Ruhe des Grabes auf derselben. Die Helden fühlten sich beklommen. Die Spitzbuben konnten ja jeden Augenblick erscheinen, konnten hinter jedem Baum stecken. Man trat so leise wie möglich auf, um sie ja nicht zu verscheuchen und – — um ja nicht etwa derjenige oder diejenige zu sein, der oder die mit ihnen in Kampf kommen werde. Denn Frauen waren auch dabei.

Diese gespannte Stille erlitt freilich einmal eine kurze Unterbrechung. Ein schriller Schrei erscholl aus einer weiblichen Kehle. Als ich an die Stelle kam, fand ich, daß Nohuda, die »Erbse«, so unglücklich gewesen war, sich in die kalte Quelle zu betten, an welcher ich die Butterblume gefunden hatte. Sie saß im Wasser und hielt ihrem geliebten Gerichtsbeisitzer eine mehr als halblaute Rede, deren Inhalt dringend wünschen ließ, daß sie dieselbe in sehr leisem Ton gehalten hätte. Sie wollte sich nicht herausziehen lassen, denn sie werde sich erkälten, wenn sie durchnäßt in der kühlen Abendluft einhergehen müsse, und nur, als ich ihr erklärte, daß das Wasser noch kälter als die Luft sei, meinte sie:

»Effendi, deinem Rat werde ich folgen. Du weißt das alles besser als andere Leute oder gar als mein Mann, der mich geraden Wegs in dieses Loch hineingeführt hat.«

Ich zog sie heraus. Glücklicherweise stand das Wasser kaum einen Fuß hoch. Ob es in der Folge ihrer durch Eisenocker verjüngten Schönheit schädlich geworden ist, weiß ich leider nicht.

Der Mübarek stand mit Omar und Osko an der Türe seiner Hütte. Er verlangte, hineingelassen zu werden. Da er sich aber mit Chemie abgab und in allerlei vermeintlichen Zauberkünsten bewandert war, so traute ich ihm nicht. Er konnte ja irgend eine Vorrichtung angebracht haben, welche für den Fall einer plötzlichen Verhaftung berechnet war.

»Was willst du drin tun?« fragte ich.

Er antwortete mir nicht. Der gute Mann schien gar nichts mehr von mir wissen zu wollen.

»Wenn du nicht antwortest, so darfst du auch nicht erwarten, daß dein Wunsch erfüllt werde.«

Jetzt antwortete er:

»Ich habe Tiere drin, welche gefüttert werden müssen, wenn sie nicht verhungern sollen.«

»Ich selbst werde sie morgen früh füttern. Deine Heimat ist von jetzt an das Gefängnis. Doch bin ich bereit, dir den Wunsch zu erfüllen, falls du mir einige Fragen der Wahrheit gemäß beantwortest.«

»So frage!«

»Hast du Besuch?«

»Nein.«

»Bewohnt außer dir jemand die Hütte oder die Ruine?«

»Nein.«

»Weißt du nicht, ob jemand in der Hütte anwesend ist?«

»Es ist niemand da. Ich müßte es wissen.«

»Kennst du einen Mann, welcher Manach el Barscha heißt?«

»Nein.«

»Oder einen andern namens Barud el Amasat?«

»Auch nicht.«

»Und doch sagen diese Leute, daß sie dich sehr gut kennen.«