Die Gum

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Die Gum
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KARL MAY
DIE GUM

REISEERZÄHLUNG AUS DEM ORIENT

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 10

„SAND DES VERDERBENS“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1301-3

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DIE GUM

1. Dschessâr Bei, der Menschenwürger

2. Asad Bei, der Herdenwürger

3. Hedschân Bei, der Karawanenwürger

4. Pehlewân Bei, der Räuberwürger

DIE GUM
1. Dschessâr Bei, der Menschenwürger

Afrika! –

Sei mir gegrüßt, du Land der Geheimnisse! Ich soll auf edlem Ross deine kahlen, leeren Steppen, auf flüchtigem Kamel deine gluterfüllte Hammada durchreiten, soll unter deinen Palmen wandeln, deine Spiegelung schauen und auf grünender Oase an deine Vergangenheit denken, deine Gegenwart betrauern und von deiner Zukunft träumen.

Sei mir gegrüßt, du Land des Sonnenbrandes, des tropischen Pulses und der riesenhaften Ausmaße! Ich habe im eisigen Norden deine Wärme gefühlt, dem wunderbaren Klang deiner Märchen gelauscht und das ferne Rauschen der Psalmen vernommen, die deine überwältigende Natur zum Himmel braust. Da brandete das Meer der Springböcke über die Ebene, das Flusspferd tummelte sich im tiefen Wasser, der Wald brach unter den Tritten des Elefanten und des Nashorns, im Schlamm wälzte sich das Krokodil und unter stacheligen Mimosen röchelte der schlafende Löwe. Mein Fuß war gefesselt, aber meine Seele eilte zu dir. Da donnerte die Büchse des Buren, da erklangen die Speere der Hottentotten und Kaffern; schwarze Gestalten wanden sich im Ringen, Ketten rasselten, Sklaven heulten und schwer beladen zog die Karawane nach Osten, das Schiff aber dem Westen zu.

Im einsamen Duar erscholl der schmetternde Chor der Hariri[1]; vom hohen Minarett rief der Muezzin zum Gebet, die Söhne der Wüste wandten ihre Augen gen Aufgang und der Dschellab sang sein frommes ,Lubbekka Allah hümeh – hier bin ich, o mein Gott!‘

Sei mir gegrüßt, du Land meiner Sehnsucht! Jetzt endlich sehe ich deine Küste winken, atme die Flut deiner reinen Luft und trinke den süßen Hauch deiner Düfte. Deine Zungen sind mir nicht fremd, doch will kein Angesicht mir entgegenlächeln und keine Hand die meinige erfassen, aber vom grünen Strand herüber neigen sich die Palmenwedel, und die Höhen strahlen im freundlichen Glanz mir zu ihr ,Habakek – sei uns willkommen o Fremdling!‘ –

Drüben im ,far west‘ hatte ich einen Mann getroffen, der sich ebenso wie ich aus reiner Abenteuerlust ganz allein in die ,finsteren und blutigen Gründe‘ des Indianergebietes gewagt hatte und mir bei allen Fährlichkeiten ein treuer Freund geblieben war. Sir Emery Bothwell war ein Mann, wie man ihn selten findet, stolz, edel, kalt, wortkarg, kühn bis zur Verwegenheit, geistesgegenwärtig, ein starker Ringer, ein gewandter Fechter, ein sicherer Schütze und dabei voller Aufopferungsfähigkeit, wenn sein Herz einmal freundschaftlichen Regungen zugänglich geworden war.

Neben diesen zahlreichen Vorzügen besaß der gute Sir Emery allerdings einige kleine Eigentümlichkeiten, die ihn sofort als Angelsachsen kennzeichneten und einen Fremden gar wohl abzustoßen vermochten. Mir aber hatten sie keinerlei Störung, sondern im Gegenteil öfters eine kleine, allerdings heimliche und unschuldige Belustigung gebracht, und wir waren schließlich in New Orleans als die besten Freunde geschieden. Wir hatten uns das Versprechen gegeben, uns wieder zu sehen. Die Begegnung sollte – in Afrika stattfinden.

Dass wir uns für Algier entschieden, geschah nicht ohne Gründe. Mein braver Bothwell war ebenso wie ich das, was man einen ,Weltläufer‘ zu nennen pflegt. Er hatte fast alle Winkel der Erde durchkrochen, von Afrika aber im Süden nur die Kapstadt gesehen und im Norden das ,Gharb‘, wie der Araber die Küstenstrecke von Marokko bis Tripolis nennt, bereist.[2] Natürlich lag ihm da der Wunsch nahe, auch das Innere dieses Erdteils, vor allem die Sahara, den Sudan, kennenzulernen; über Dar Fur und Kordofan wollte er dann auf dem Nil zur Zivilisation zurückkehren. In Algier lebte ein Verwandter von ihm, ein Onkel mütterlicherseits, bei dem er früher einmal längere Zeit gewesen war, um das Arabische zu lernen. Dieser Franzose namens Latréaumont war Leiter eines Handelshauses, das sehr fruchtbringende Beziehungen zum Sudan unterhielt. Bei ihm wollten wir uns treffen.

Was mich anlangt, so hatte ich mich bereits in früherer Zeit aus besonderer Liebhaberei auch mit der arabischen Sprache beschäftigt. Unser Beisammensein in der Prärie hatte treffliche Gelegenheit geboten, beiderseits in Übung zu bleiben, und so ging ich mit dem Dampfer ,Vulkan‘, der der Messagerie Impériale gehörte, in der beruhigenden Überzeugung von Marseille ab, es werde mir nicht schwer fallen, mich mit den Kindern der Sahara in ihrer Muttersprache zu verständigen.

Afrika galt uns, wie ja auch einem jeden anderen, als das Land großer, noch ungelöster Rätsel, die uns genug des Merkwürdigen und wohl auch Gefährlichen bieten würden. Doch erfüllte uns besonders eins mit erwartungsvoller Begeisterung: Wie wir den grauen Bären und den Büffel getötet hatten, so wollten wir unsere Büchsen auch an dem schwarzen Panther und dem Löwen versuchen. Emery Bothwell hatte mit einer Art von Eifersucht die Berichte über Gérard, den kühnen Löwenjäger, vernommen und war fest entschlossen, sich auf alle Fälle einige Mähnenhäute zu holen.

Es waren bereits drei Monate seit unserer Trennung vergangen, doch kannte er ungefähr die Zeit meines Eintreffens, und da er ebenso wusste, dass ich mit dem französischen Dampfer kommen würde, so fühlte ich mich einigermaßen enttäuscht, als ich ihn beim Landen nicht unter der bunten Menge erblickte, die auf dem Kai die Ausschiffung der Fahrgäste erwartete oder in Booten herbeigeeilt kam, um Freunde und Bekannte in Empfang zu nehmen.

Algier ist an der Westseite eines halbmondförmigen Golfs gelegen. Die Stadt kehrte dem Schiff ihre ganze Stirnseite zu und gewährte ein sonderbares, fast geisterhaftes Bild. Eine an dem grünen Gebirge aufsteigende, kreideweiße und ineinander fließende Häusermasse ohne Dächer und Fenster starrte herab in den Hafen und sah beinahe aus wie ein Kalksteinfelsen, eine riesige Gipsgruppe oder ein Gletscher bei Sonnenbeleuchtung. Hoch oben auf dem Gipfel des Gebirges erschienen die Bollwerke des Kaiserforts, und an seinem Fuß zogen sich außer der Festung Mersa Edduben verschiedene Befestigungen hin.

Auf dem Kai bewegten sich Gruppen weißer Burnusgestalten, Neger und Negerinnen in den buntesten Gewändern, Frauen, vom Kopf bis zum Fuß in weiße Wollschleier gehüllt, Mauren und Juden in türkischer Tracht, Mischlinge aller Farben, Herren und Damen in europäischer Kleidung und französische Soldaten aller Grade und Truppenteile.

Ich ließ mein Gepäck nach dem Hotel de Paris in der Straße Bab-el-Oued schaffen, stärkte mich dort nach Bedürfnis und begab mich dann in die Straße Bab-Azoun, wo die Wohnung Latréaumonts lag.

Meine Karte wurde abgegeben und sofort erschien der Hausherr unter der Tür seines Arbeitszimmers.

„Soyez le bienvenu, Monseigneur, aber nicht hier, nicht hier! Bitte, kommen Sie mit mir, damit ich Sie Madame und Mademoiselle vorstelle! Wir haben seit langem mit Schmerzen auf Sie gewartet!“

Dieser unerwartete Empfang musste mich überraschen. Mit Schmerzen hatte man auf mich, den Unbekannten, gewartet? Aus welchem Grund?

Latréaumont, ein kleiner, beweglicher Mann hatte die breiten, marmornen Stiegen erklommen, noch ehe die Hälfte hinter mir lag. Das Haus war früher der Palast eines reichen Muselmanen gewesen, und die Vereinigung arabischer Baukunst mit französischer Ausstattung brachte eine eigentümliche Wirkung hervor. Ich wurde durch den glänzend eingerichteten Empfangsraum ins Familienzimmer geführt, eine Auszeichnung, die mit dem Schmerz, womit man mich erwartet hatte, in Verbindung stehen musste.

Madame saß, in einem Roman blätternd, auf einem niedrigen Stuhl; sie war nach europäischem Schnitt in schwarze Seide gekleidet. Mademoiselle lag auf einem samtenen Diwan und trug das bequeme morgenländische Gewand. Ein weites seidenes Beinkleid reichte vom Gürtel bis zum Knöchel herab, während der nackte Fuß in blauen, goldgestickten Pantoffeln steckte. Feine Spitzeneinsätze, mit Gold und Silber durchwirkt, bedeckten Hals und Brust, und darüber trug sie eine samtene türkische Jacke, die mit kostbaren Schnörkeln verziert und mit Reihen wertvoller Knöpfe besetzt war. Das dunkle Haar war von Gold- und Perlenschnüren durchflochten und in blaue und rosa indische Seide eingebunden.

Beide Damen erhoben sich bei unserem Eintritt. Sie konnten ihre Überraschung über den gesellschaftlichen Fehler kaum verbergen, den der Hausherr dadurch beging, dass er einem Fremden so ohne vorherige Anmeldung Zutritt in diesen Raum gestattete. Kaum aber hatten sie meinen Namen gehört, so machte diese Überraschung dem Ausdruck unverhohlener Freude Platz.

Madame eilte auf mich zu und ergriff meine Hand. „Welch ein Glück, Monseigneur, dass Sie endlich kommen! Unsere Sehnsucht nach Ihnen ist grenzenlos gewesen. Nun aber dürfen wir ruhiger sein, denn Sie werden unserem wackeren Bothwell nacheilen und ihm helfen, Renaud zu finden!“

 

„Gewiss, Madame, werde ich dies tun, wenn Sie es wünschen. Nur bitte ich Sie, mir zu sagen, wer Renaud ist und was für eine Bewandtnis es mit ihm und Emery hat, den ich hier zu treffen hoffte!“

„Sie wissen es noch nicht, wirklich noch nicht? Mon dieu, die ganze Stadt weiß es ja schon längst!“

„Aber, Blanche“, fiel Latréaumont ein, „magst du nicht bedenken, dass Monseigneur jedenfalls soeben erst mit dem Schiff angekommen ist?“

„Vraiment, das ist wahr! Sie können noch nichts wissen. Bitte, nehmen Sie Platz, und, Clairon, begrüße doch unseren Gast!“

Die junge Dame verneigte sich und ich wurde von der Mutter zu einem Sitz geleitet. Der Empfang war geheimnisvoll und ich sah dem Kommenden mit Erwartung entgegen.

„Sie finden uns in einer Lage“, begann Latréaumont, „die uns gebietet, von den gewöhnlichen Formen abzusehen. Emery hat uns sehr viel von Ihnen erzählt, was bei seiner verschlossenen Art für uns eine Veranlassung ist, Ihnen unser ganzes Vertrauen zu schenken.“

„Ja, unser unerschütterliches Vertrauen, Monseigneur“, bekräftigte Madame, nach dem höflichen Gebrauch des Südens das Monseigneur an Stelle des einfachen Monsieur setzend. „Sie haben so viel Schlimmes mit unserem Neveu gewagt, dass Sie wohl auch nicht vor der Erfüllung unserer Bitte zurückschrecken werden.“

Ich musste über die rasche Art und Weise lächeln, womit diese liebenswürdigen Leute über mich verfügten. Den Grund dafür kannte ich zwar noch nicht, nach den Worten der Dame aber schien die Sache offenbar mit irgendeiner Gefahr für mich verbunden zu sein.

„Mesdames und Monseigneur, gestatten Sie mir, mich Ihnen für alles, was Sie von mir wünschen, zur Verfügung zu stellen!“

„Eh bien! Nach dem, was wir von Ihnen hörten, konnten wir nichts anderes erwarten, obgleich ich Ihnen der Wahrheit gemäß sagen muss, dass uns unsere Bitte von Bothwell vorgeschrieben wurde.“

„Liegt es in meiner Macht, so wird sie erfüllt!“

„Ich danke Ihnen, Monseigneur“, sagte Latréaumont. „Wir haben einen großen Verlust, ein fürchterliches Unglück erlitten...“

„Ja, ein grässliches Unglück, Monseigneur“, fiel Madame ein, während ihr die Tränen in die Augen traten.

Auch Clairon, die Tochter, zog ihr Taschentuch, um ein Schluchzen zu verbergen.

„Bitte, sprechen Sie, Madame!“

„Nein, ich kann es nicht erzählen. Der Kummer raubt mir die Worte.“

Die kleine, zarte Dame zeigte auf einmal eine Erschütterung, die so tief war, dass sie mich beinahe beängstigte.

„Monseigneur, lassen Sie mich hören!“, bat ich darum Latréaumont.

„Kennen Sie die Imoscharh?“, fragte er, fügte aber sofort in der lebhaften Weise des Südländers hinzu: „Doch nein, Sie können sie ja nicht kennen, da Sie erst heute hier ankamen. Aber ich sage Ihnen, diese Imoscharh oder Tuareg sind ein fürchterliches Volk, und die Karawanenstraße von Aïn es Salah nach Dschenneh, nach Aïr und Sokoto, auf der ich meine Güter nach dem Sudan schicke, geht gerade durch ihr Gebiet. Mein Haus ist das einzige in Algier, das unmittelbare Beziehungen nach Timbuktu, Haussa, Bornu und Wadaï unterhält, und da wir fern von jeder Straße liegen und leider erst in Aïn es Salah oder Ghadames und Ghat Anschluss finden, so ist die Unterhaltung so unsicherer Handelsverbindungen oft mit schweren Opfern und Verlusten verbunden. Das Schwerste aber ist uns mit der letzten Kâfila[3] widerfahren.“

„Sie wurde von den Tuareg überfallen?“

„Sie raten richtig, Monseigneur. Die Gum[4] griff sie auf und machte alles nieder. Nur einer entkam; er hatte sich gleich bei Beginn des Kampfes tot gestellt und brachte mir die Nachricht von dem fürchterlichen Schlag, der meine Familie betroffen hat.“

„Ihr Haus wird sich davon erholen, Monseigneur.“

„Mein Haus, ja, aber meine Familie nie! Der Verlust der Güter ist zu verschmerzen, doch Renaud, mein Sohn, mein einziger Sohn, befand sich bei der Kâfila und ist nicht zurückgekehrt!“

Jetzt konnten die Damen ein lautes Weinen nicht länger zurückhalten, und auch Latréaumont gab sich rückhaltlos seinem Schmerz hin. Ich ließ sie einige Zeit gewähren und fragte dann:

„Erhielten Sie keine bestimmte Nachricht über sein Schicksal? Die Räuber der Wüste pflegen niemand zu verschonen.“

„Er lebt noch!“

„Ah! Das müssen Sie als ein Wunder betrachten, wenn nicht ein Irrtum vorliegt!“

„Er lebt sicher, denn wir bekamen Nachricht von ihm.“

„Durch wen?“

„Durch einen Targi[5], der von dem Aguid[6] abgeschickt worden war. Er verlangte ein Lösegeld.“

„Das Sie bezahlten?“

„Ich musste, ich konnte nicht anders.“

„Worin bestand es?“

„In Waren, die ich nach Ghadames zu schicken hatte.“

„Und Ihr Sohn?“

„Kehrte dennoch nicht zurück. Die treulosen Räuber traten mit einer neuen Forderung auf.“

„Die Sie auch befriedigten?“

„Ja.“

„Und mit demselben Erfolg?“

„Kann ich noch nicht sagen. Als der zweite Bote kam, war Bothwell eben eingetroffen. Das war vor ungefähr acht Wochen. Hélas, er kam zur rechten Zeit!“

„Ich ahne das Weitere, Monseigneur. Die Regierung mit all den ihr zu Gebote stehenden Mitteln konnte Ihnen nichts nützen. Sie waren auf sich selber angewiesen und da hat sich unser Emery erboten, die Sache in die Hand zu nehmen.“

„So ist es.“

„Welche Maßregeln traf er?“

„Er ließ die verlangten Waren abgehen, folgte aber heimlich nach.“

„Ein kühnes Unternehmen! Mit welcher Begleitung reiste er?“

„Nur mit einem Führer und einem einzigen arabischen Diener.“

„Wohin ging der Weg?“

„Diesmal waren die Güter nach Aïn es Salah bestimmt.“

„Welche Waren wurden verlangt?“

„Fertige Burnusse und Kopftücher, lange Flinten, Messer, Decken, weit ausgeschnittene Schuhe, wie sie die Araber zu tragen pflegen, und eine Menge für uns allerdings beinahe wertloser Zeltgegenstände.“

„Ich sehe, die Gum will sich eine vollständige Ausstattung erpressen und wird dann Ihren Sohn doch nicht herausgeben. Der Araber hält es für keine Sünde, einen Ungläubigen zu betrügen, und muss, wenn man ihn sicher haben will, bei gewissen empfindlichen Punkten gefasst werden. Aber, Monseigneur, Emery hat sämtliche Waren zeichnen lassen?“

„Woher wissen Sie das?“, fragte er überrascht.

„Ich hörte es von niemand. Er handelt hier als Westmann, und von dieser Seite kennen wir uns genau. Wer unter den Indianerstämmen des Wilden Westens jahrelang fast jeden Augenblick in Todesgefahr schwebte, hat sich an Scharfsinnigkeiten gewöhnt, die ihm wohl auch in der Sahara von Nutzen sein können. Wie war das Zeichen?“

„Es bestand in den Anfangsbuchstaben meines Namens André Latréaumont, also in einem A. L. Ich ließ es in die Kolben und Griffe der Flinten und Messer einbrennen und nebst einer Verschnörkelung dem Kragenteil der Burnusse und den Ecken der Kopftücher und Decken einsticken.“

„Emery wird die Räuber daran erkennen. Haben Sie keine Nachricht von ihm?“

„Eine sehr bestimmte. Ich erhielt sie vor zwei Wochen und erwarte seitdem sehnlichst Ihre Ankunft, denn die Nachricht bezieht sich zumeist auf Sie, Monseigneur.“

„Ich soll ihm folgen, nicht?“

„Allerdings. Hier sind die Zeilen, die er von Sinder aus sandte.“

Das Papier lag auf dem Tisch, ein Zeichen, wie oft während dieser vierzehn Tage die Augen der drei Personen darauf geruht hatten. Bothwell schrieb nur wenige Worte. Er hatte zwar noch keinen Erfolg zu verzeichnen, bat aber dennoch, die Hoffnung nicht sinken zu lassen, und knüpfte hieran die Bitte, mich ihm nach meiner Ankunft sofort nachzusenden.

„Wer brachte diesen Brief?“, erkundigte ich mich.

„Ein Araber vom Stamm der Kababisch, der den Befehl hat, auf Ihre Ankunft zu warten und Ihnen als Wegweiser zu dienen.“

„Wo befindet er sich?“

„Hier im Haus. Befehlen Monseigneur, ihn rufen zu lassen?“

„Ich bitte darum!“

Ich musste mich im Stillen ein Glückskind nennen, denn kaum hatte mein Fuß die afrikanische Erde betreten, so wurde ich in eine Angelegenheit gezogen, die mir eine reiche Aussicht auf die merkwürdigsten Erlebnisse eröffnete. Latréaumont klingelte nach dem Araber und die Damen vergaßen in Erwartung der kommenden Verhandlung für kurze Zeit den Schmerz, der sie bewegte.

Der Kabbaschi[7] trat ein. Die Araber überragen nur selten die Mittelgröße und sind meist von schlanker, hagerer Gestalt. Dieser Mann aber war fast ein Riese zu nennen. Er war so hoch und breit gewachsen, dass mir beinahe ein Ausruf des Erstaunens entfahren wäre, und sein langer, dichter Vollbart sowie die Tatsache, dass er bis an die Zähne in allen möglichen Waffen steckte, gaben ihm ein höchst kriegerisches Aussehen. Das war jedenfalls ein Begleiter, wie ich mir keinen besseren wünschen konnte, denn schon sein bloßer Anblick musste dem Feind Furcht einjagen.

Er verbeugte sich mit über die Brust gekreuzten Händen bis nahe hinab zur Erde, und mit tiefer, dröhnender Bassstimme erklang sein „Es-salâm, aleïkum – Friede sei mit euch!“

„Marhaba, du sollst willkommen sein!“, antwortete ich ihm. „Du bist ein Sohn der tapferen Kababisch?“

Ein stolzer Blick seines dunklen Auges blitzte mir entgegen.

„Die Kababisch sind die berühmtesten Kinder des großen Abu Zett, Sihdi[8]; ihr Stamm umfasst mehr als zwanzig Afrâk[9], und der tapferste ist En Nurab, zu dem ich gehöre.“

„Und wie ist dein Name?“

„Mein Name ist schwer für die Zunge eines Inglis. Er lautet Hassan Ben Abulfeda Ibn Haukal al Wardi Jussuf Ibn Abul Foslan Ben Ishak al Duli.“

Ich musste lächeln. Hier stand einer jener Araber vor mir, die ihrem einfachen Namen den ganzen Stammbaum beifügen, teils um ihre Ahnen zu ehren, meist aber um auf den Hörer Eindruck zu machen.

Ich entgegnete daher:

„Hassan Ben Abulfeda Ibn Haukal al Wardi Jussuf Ibn Abul Foslan Ben Ishak al Duli. Die Zunge eines Franken vermag einen Namen auszusprechen, der, wenn er niedergeschrieben wird, von Bengasi bis nach Katsena reicht; dennoch aber werde ich dich nur Hassan nennen, weil Mohammed sagt: ,Sprich nicht zehn Worte, wo ein einziges genügt!‘“

„Mein Ohr wird verschlossen sein, wenn du mich Hassan rufst, Sihdi. Die mich kennen, nennen mich Hassan el Kebîr, Hassan den Großen; denn du musst wissen, dass ich Dschessâr Bei, der Menschenwürger, bin!“

„Allah akbar – Gott ist groß; ihn kennt jedes Geschöpf, aber von Dschessâr Bei, dem Menschenwürger, habe ich noch nie ein Wort vernommen! Wer hat dich so genannt?“

„Ein jeder, der mich kennt, Sihdi!“

„Und wie viele Menschen hast du bereits erwürgt?“

Er schlug verlegen die Augen zu Boden.

„Die Steppe bebt und die Sahel[10] erzittert, wenn Dschessâr Bei erscheint, Sihdi; aber sein Herz ist voll Gnade, Langmut und Barmherzigkeit, denn ,deine Hand sei stark wie die Tatze des Panthers, doch lind wie der Halm des Grases auf dem Felde‘, lehrt der fromme Abu Hanifa, dem jeder Gläubige gehorcht.“

„So ist dein Name makasch[11] und ich werde ihn erst dann gebrauchen, wenn ich überzeugt bin, dass du ihn verdienst.“

Ich begann zu ahnen, dass der gute Hassan el Kebîr trotz seiner riesigen Gestalt und des Waffenlagers, das er um sich hängen hatte, ein höchst unschädliches Menschenkind sei. Die Wüste hat ihre Aufschneider ebenso wie die Bierbank oder das Gesellschaftszimmer.

„Ich habe ihn verdient, sonst hätte ich ihn nicht, Sihdi“, antwortete er stolz. „Sieh diese Flinte, diese Pistolen, diese Musra[12], dieses Kussa[13] und dieses Abu-Thum[14], vor dem selbst der kühne Uëlad Sliman flieht! Und du willst mir meinen Namen verweigern? Selbst Sihdi Emir hat ihn mir gegeben.“

 

Sihdi Emir? Verwandelte er vielleicht das englische Emery in das morgenländische Emir?

„Wer ist Sihdi Emir?“, fragte ich ihn.

„Rabbena chaliëk – Gott erhalte dich, Sihdi, und deinen Verstand! Kennst du nicht den Namen dessen, der mich zu dir sendet?“

Wahrhaftig, er hatte aus unserm Emery einen Emir gemacht! Der liebenswürdige Wunsch, womit er seine Verwunderung aussprach, musste mich belustigen, doch nahm ich einen ernsteren Ton an, um ihn in die gebotenen Schranken zurückzuweisen.

„Erzähle mir von Sihdi Emery!“

„Ich war in Bilma, von wo aus ich eine Kâfila nach Sinder geleitete. Du musst nämlich wissen, Sihdi, dass Hassan el Kebîr ein berühmter Chabir[15] ist, der alle Wege der Sahara kennt und ein Auge besitzt, dem nicht die geringsten Durûb und Asâr[16] entgehen!“

War dies wirklich so, dann musste mir seine Begleitung allerdings von großem Vorteil sein. Ich beschloss, ihn sofort auf die Probe zu stellen.

„Sagst du die Wahrheit, Hassan?“

Er nahm die stolzeste Haltung an, die ihm möglich war.

„Weißt du, was ein Hafis ist, Sihdi?“

„Einer, der den Koran auswendig kennt.“

„Du bist klug, obgleich du aus dem Land Almanja stammst. Nun wohlan, Sidhi! Hassan Ben Abulfeda Ibn Haukal al Wardi Jussuf Ibn Abul Foslan Ben Ishak al Duli ist ein Hafis, der dir alle hundertvierzehn Suren und alle sechstausendsechshundertsechsundsechzig Ajât des Koran hersagen kann; du aber bist ein Giaur. Willst du an dem Wort eines echten Muslim zweifeln?“

„Hüte deine Zunge, Hassan, denn ich bin nicht gewohnt, mich von jemand beschimpfen zu lassen, und wenn er zehnmal ein Hafis und hundertmal ein Muslim ist! Strenge dein Gedächtnis an, so wirst du dich entsinnen, dass die Christen nicht ungläubig sind, denn sie haben ebenso wie ihr ein ,heiliges Buch‘ empfangen; so sagen alle weisen Lehrer von dem ersten Emir al mu ‘minîn an bis herab zu deinem frommen Abu Hanifa. Du hast den Koran gelernt; aber kennst du auch den Ilm Tefsîr al Kurân[17]? Dort heißt es, dass nur ein Parsi und ein Götzendiener ein Giaur ist.“

„Du bist weise wie ein Softha[18], Sihdi; noch weiser aber wärst du, wenn du glauben würdest, was ich dir sage.“

„Ich will es glauben, wenn du mir sagst, welche Oasen den Schlüssel zur nordafrikanischen Küste bilden.“

„Aïn es Salah, Ghadames, Ghat, Mursuk, Audschila und Siut.“

„Und zum Sudan?“

„Agades, Bilma, Berger, Khartum und Dongola.“

„Wie reist man von Kordofan nach Kairo?“

„Von El Obeïd über Kursi nach Khartum. Die Reise dauert zehn Tage. Oder von El Obeïd nach Debbeh über Bara, Kagmar, Dschebel Harasa und Um Bellila. Dieser Weg ist um acht Tage länger, aber besser als der vorige.“

„Wie lange braucht man, um von Suakin nach Berber zu kommen?“

„Der Weg geht über den berühmten Brunnen von Rauai und durch das Gebiet der Amerar, Hadendoa und Omarab, die sämtlich nubische Hirten sind. Du kannst ihn in zwölf Tagen zurücklegen, Sihdi.“

Er gab seine Antworten schnell, richtig und mit einer Miene, worin sich eine sichtbare Genugtuung über die glanzvolle Art und Weise aussprach, mit der er die kurze Prüfung bestand.

„Ich glaube dir, Hassan“, entschied ich jetzt einfach. „Jetzt erzähle weiter! Also du geleitetest eine Kâfila nach Sinder.“

„Von Bilma nach Sinder. Dort traf ich den Sihdi Emir. Er gab mir alles, was ich brauchte, und sandte mich hierher, wo ich einen tapferen Sihdi aus Almanja finden würde, den ich zu ihm bringen soll.“

„Wo soll ich ihn treffen?“

„Beim Bab el Ghud[19], wo man aus den wandernden Sandhaufen in die Felsen des Serir[20] gelangt. Hast du bereits gehört von den bösen Dschinnen[21] der Wüste, Sihdi?“

„Ich kenne sie. Hast du Angst vor ihnen, Hassan?“

„Angst? Hassan el Kebîr, der große Hassan, fürchtet weder die Schejatin[22] noch die bösen Dschinnen. Er weiß, dass sie fliehen, wenn er die Surat en nas und die Surat el falak betet. Du aber bist ein Christ und kannst keine Sure beten, deshalb werden sie dich verschlingen, wenn du in das Serir kommst, wo sie wohnen.“

„Warum hast du da den Sihdi Emir nach dem Bab el Ghud gehen lassen? Sie werden ihn verschlungen haben, ehe wir ihn erreichen.“

Diese unerwartete Entgegnung brachte ihn in einige Verlegenheit, aber er wusste sich zu helfen.

„Ich werde für ihn beten!“

„Für einen Ungläubigen? Gut, Hassan, ich sehe, dass du ein frommer Sohn des Propheten bist; bete auch für mich: für ihn die Surat en nas und für mich die Surat el falak, dann brauchen wir uns vor den Dschinnen der Wüste nicht zu fürchten. Ich werde morgen aufbrechen, wenn die Sonne sich erhebt.“

„Allah akbar Gott ist groß, Sihdi! Er kann alles und darf alles; der Mensch aber muss ihm gehorchen und darf keine Reise antreten zur Zeit der Morgenröte. Die Zeit des Aufbruchs ist drei Uhr nachmittags oder das heilige Asr, zwei Stunden vor dem Abend.“

„Du vergisst, Hassan, dass diese Zeit nur den Karawanen gilt. Der einzelne Reisende aber kann gehen, wann es ihm beliebt.“

„Sihdi, du bist wirklich ein gelehrter Fakîh[23], und ich beklage die Stunde, die dir einen Franken zum Vater und eine Christin zur Mutter gegeben hat. Ich sehe, dass du ein Hafis bist, der nicht allein den Koran, sondern auch den Ilm Tefsîr al Kurân auswendig kennt. Ich werde dir treu und gehorsam sein und dich führen, wohin du willst.“

„Was für Tiere hast du?“

„Keines, Sihdi. Ich ritt mit zwei Dschemâl[24] von Sinder ab. Das eine stürzte mir in der Tehama[25] und das andere war, als ich hier anlangte, so abgetrieben, dass ich es verkaufen musste.“

„So werden wir mit der Steppenpost von hier nach Batna fahren und von dort mit der Wüstenpost nach den achtzehn Oasen des Siban, wo wir uns in Biskra mit guten Hudschûn[26] versorgen können. Also halte dich bereit, früh mit der Sonne aufzubrechen, und überzeugst du mich bis Bab el Ghud von deiner Tapferkeit, so werde ich mich nicht weigern, dich Dschessâr Bei und el Kebîr zu nennen!“

„Meinst du vielleicht, Sihdi, dass ich ein Tuschan[27] bin? Ich fürchte weder den Löwen noch den Samûm[28], ich fange die Assaleh[29] und den Vogel Strauß, ich jage die Gazelle und das Gnu und ich töte den Panther und den Skorpion. Wenn meine Stimme erschallt, so zittert jedermann, und auch du wirst mir den Namen nicht versagen, der mir gebührt. Es-salâm ‘aleїkum, Friede sei mit euch!“

Nach einer tiefen Verbeugung verließ er das Zimmer. Madame Latréaumont trat abermals auf mich zu und fasste meine Hand.

„Also wirklich, Sie erfüllen unsere Bitte, Monseigneur, obgleich sie so groß und so kühn ist? Und schon morgen wollen Sie fort, ohne zuvor unsere Gastfreundschaft zu genießen?“

„Madame, wir befinden uns in einer Lage, die schnelles Handeln erfordert, und wenn Sie mir erlauben, werde ich nach unserer Rückkehr Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Vielleicht gestatten Sie mir, bis dahin mein Gepäck, das ich nicht mitnehmen kann, bei Ihnen einzustellen?“

„Sûr, assurement, Monseigneur! Ich werde sofort nach dem Schiff senden, um alles, was...“

„Pardon, Madame, ich stieg bereits im Hotel de Paris ab.“

„Wirklich, das taten Sie? Wissen Sie, Monseigneur, dass dies eine Beleidigung für uns ist?“

Ich bekam einige freundliche Vorwürfe zu hören, dann wurde die Angelegenheit einem Diener übergeben. Eben war ich bereit, mich in das mir angewiesene Zimmer zurückzuziehen, als ein Araber gemeldet wurde, der mit dem Hausherrn zu sprechen wünsche. Der Mann wurde in meiner Gegenwart empfangen.

Er war von hagerer und sehniger Gestalt. Sein Burnus war arg mitgenommen. Die ausgefransten Kamelhaarschnüre hingen ihm in Fetzen um die Kapuze, und jeder Zollbreit an ihm zeigte den echten Wüstensohn, der vor keiner Gefahr zurückbebt und alle Entbehrungen mit Gleichmut zu ertragen weiß.

„Sal – ‘aleïk !“, grüßte er mit stolzer Abkürzung der beiden Worte. Nicht die leiseste Neigung seines Hauptes ließ sich bemerken. Der Kolben seines langen Gewehrs polterte rücksichtslos auf die Marmorfliesen, und sein dunkles Auge flog mit einem Blick, worin sich die Überlegenheit des freien und rechtgläubigen Mannes aussprechen sollte, von einem zum anderen.

„Reden Sie mit ihm, Monseigneur!“, raunte mir Latréaumont zu. „Es ist der Targi, der wegen Renaud bereits bei mir war.“

Nichts konnte mir lieber sein, als dass der Bote gerade heute noch kam.

„Sal – ‘al – !“, antwortete ich noch kürzer. Der Beduine gibt durch diese Art der Ausdrucksweise gern den Grad der Achtung zu erkennen, die er dem anderen widmet. „Was willst du?“

„Du bist nicht der, mit dem ich zu sprechen habe.“

„Du hast mit keinem anderen als mit mir zu reden!“

„Ich komme nicht zu dir.“

„So kannst du wieder gehen!“

Ich drehte mich um. Auch die anderen wandten sich dem Ausgang zu.

„Sihdi!“, sagte er.

Ich schritt weiter.