Der Pfahlmann

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Der Pfahlmann
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KARL MAY
DER PFAHLMANN

ERZÄHLUNG AUS DEM WILDEN WESTEN

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 38

„HALBBLUT“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1320-4

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER PFAHLMANN

1. In der Todessteppe

2. Der Savannendichter

3. Rache

4. Beim Grafen Hernano

5. Fürstlich belohnt

DER PFAHLMANN
1. In der Todessteppe

Zwischen Texas, Neu-Mexiko, dem Indianerterritorium und dem nach Nordosten streichenden Ozarkgebirge liegt eine weite Landstrecke, nicht weniger furchtbar als die asiatische Gobi oder die afrikanische Sahara. Kein Baum, kein einsamer Busch gibt dem Auge einen Ruhepunkt; kein Hügel, keine einzige nennenswerte Erhöhung unterbricht die todesstarre, eintönige Ebene; keine Quelle erquickt die lechzende Zunge und bringt Errettung vor dem Verschmachten, dem jeder anheimfällt, der aus der Richtung gerät und den Weg nach den Bergen oder einer der grünenden Prärien verfehlt. Sand, Sand und nichts als Sand, und nur zuweilen stößt der kühne Jäger, der sich in diese Öde wagt, auf ein Stück Land, dem ein vorübergehender Regen ein wenig Pflanzenwuchs entlockt hat. Der Fuß meidet diese Felder von scharfem, stacheligem Kaktus, weil dieser ihn verletzt, die Tiere verwundet und kaum einen Tropfen Saft enthält, der die glühende Zunge nur auf einen Augenblick zu kühlen vermöchte.

Und doch durchziehen einige wenige Straßen dieses Land: hinauf nach Santa Fe, an die Creeks, Springs und Goldfelder der Felsenberge und hinunter über den Rio Grande nach dem reichen Mexiko. Aber es sind keine Straßen, wie die Zivilisation sie dem Verkehr bietet, sondern was man dort Straße nennt, besteht in nichts als dürren Stangen, die man von Zeit zu Zeit in den Sand gesteckt hat, um die Richtung anzuzeigen, die der langsam dahinschleichende Ochsenkarrenzug oder der schnellere Trapper und Squatter zu verfolgen hat. Wehe ihm, wenn er diese Zeichen verfehlt, von denen dieser Teil des südwestlichen Nordamerikas den Namen Llano Estacado erhalten hat, oder wenn sie von wilden Indianerhorden oder räuberischen Jägerbanden entfernt wurden, um den Ortsunkundigen in die Irre zu führen. Er ist verloren! –

Weit wie der unermessliche Ozean breitete sich die Wüste aus; glühend brannte die Sonne hernieder und über dem heißen Sand zitterte ein flackernder Schein, der das Auge schmerzte und blendete. Fünf lebende Wesen waren in dieser trostlosen Einöde sichtbar: ein Reiter, sein Pferd und drei Aasgeier, die hoch in der Luft schwebten, als ob sie nur auf den Augenblick warteten, in dem Ross und Reiter vor Erschöpfung zusammensinken und ihnen zur Beute werden sollten. War es doch schon der zweite Tag, dass sie diesem Reiter folgten, und die Tiere mochten instinktiv spüren, dass ein Mensch die Entbehrungen eines solchen Rittes nicht länger zu ertragen im Stande ist.

Der Wanderer war ein noch junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren. Er trug die gewöhnliche Tracht der Präriejäger, ein ledernes ausgefranstes Jagdhemd, ebensolche Leggins und Mokassins und auf dem Kopf einen Filzhut, dessen Farbe und Gestalt erraten ließen, dass sein Besitzer schon seit geraumer Zeit nicht mit der Zivilisation in Berührung gekommen war. Seine bleichen, erschöpften Züge, seine trüben, gläsernen Augen, seine wirr herniederhängenden Haare und die krampfhaft um die Büchse geballte Hand ließen erraten, dass er kaum mehr den Entbehrungen und Anstrengungen des Rittes Widerstand zu leisten vermochte.

Ebenso ermattet wie er war auch sein Pferd. Das Tier war offenbar ein aus der Herde herausgefangener Mustang; vor wenigen Tagen vielleicht noch voll Mut, Kraft und Ausdauer, war er jetzt gebrochen und bis auf den letzten Rest seiner Kräfte abgetrieben. Die Zunge hing ihm trocken zwischen den auseinanderklaffenden Zähnen hervor, die Augen schienen mit Blut unterlaufen und nur mechanisch schleppte er sich Schritt um Schritt im tiefen Sand weiter.

So war es schon seit Tagen gegangen. Der junge Mann hatte mit einer Gesellschaft von Westmännern Santa Fe verlassen, um über das Ozarkgebirge Arkansas zu erreichen, war jedoch von einem Trupp Komantschen überfallen worden und dankte es nur seinem Pferde, dass er als der Einzige den Roten entkommen war. Sie hatten ihn bis in die Steppe verfolgt, sonst hätte er sich sicherlich nicht ohne Begleitung in diese Wüste gewagt. Schon seit gestern früh hatten die Stangen aufgehört und er besaß keine anderen Wegweiser als den Kompass und die Gestirne des Himmels. Seit drei Tagen war kein Tropfen Wasser über seine Lippen gekommen und mit einem trostlosen Blick beobachtete er die Geier, die sich immer tiefer niedersenkten, je langsamer und strauchelnder die Bewegungen des erschöpften Pferdes wurden. Endlich stand das Tier still und war nicht mehr weiterzubringen; es zitterte an allen Gliedern und drohte bei der ersten erzwungenen Anstrengung umzusinken. „Also bis hierher und – jedenfalls – nicht weiter!“, murmelte der Fremde in deutscher Sprache, an diesem Ort eine Seltenheit. „Gibt es denn keine Rettung für mich und dich, mein braves Tier?“

Er stand schon im Begriff abzusteigen, als ihn das Verhalten des Pferdes aufmerksam werden ließ. Dessen Zittern schien halb von der Ermüdung, halb von Angst verursacht zu sein; die schlaffen Nüstern hatten sich erweitert und gespannt, jetzt erhob sich auch der Kopf zu jenem Schnauben, mit dem das echte Präriepferd die Nähe eines feindlichen Wesens verrät.

Der Wanderer zog sein Fernglas hervor, um den Gesichtskreis genauer abzusuchen, und bemerkte, dass die Geier ihn verlassen hatten und westwärts von ihm über einem Punkt schwebten, der sich langsam fortbewegte. Das musste ein Mensch sein.

„Gott sei Dank!“, seufzte er auf. „Das gibt vielleicht Hilfe. Komm, mein braves Tier, komm! Nimm dich noch einige Minuten zusammen, bis wir den Mann da drüben erreichen!“

Er stieg ab, ergriff die Zügel und schleppte sich und das Pferd vorwärts, und zwar so, dass seine Richtung und diejenige des Mannes, den er gesehen hatte, in einem spitzen Winkel zusammentreffen mussten. Als er sich ihm näherte, erkannte er zu seinem Erstaunen, dass dieser Mann ein Fußgänger war. Dies Erstaunen war sehr gerechtfertigt, denn jeder Westmann weiß, dass ein Mensch in dem Llano Estacado ohne Pferd verloren ist. Der andere erblickte ihn jetzt und blieb stehen, um ihn herankommen zu lassen. Er war unbewaffnet und hatte am Riemen einen Flaschenkürbis umhängen. Als sie sich einander genug genähert hatten, rief er dem Reiter entgegen:

„Heigh-day, ist das ein Wunder und eine Freude, einen lebenden Menschen hier in dieser trostlosen Öde zu sehen! Aber sagt einmal, Sir, seid Ihr ein ehrlicher Mann oder gehört Ihr zu den Kerls, die man hier noch mehr als anderswo zu meiden hat?“

„Das Erstere, das Erstere! Ihr habt nichts zu besorgen. Ich habe mich verirrt und bin dem Verschmachten nahe. Habt Ihr vielleicht Wasser in Eurem Kürbis?“

„Nur noch einen Schluck.“

„Gebt her, gebt her, sonst fall’ ich um!“

„Hm! Es geht mir fast ebenso, aber dennoch sollt Ihr den Schluck haben. Ihr habt ein ehrliches Gesicht. Da, nehmt!“

Er hielt ihm den Flaschenkürbis hin und der andere sog begierig den geringen Rest bis auf den letzten Tropfen ein.

„Thank you!“, sagte der Reiter. „Nun habt aber Ihr nichts zu trinken.“

„Werden bald etwas bekommen, etwas, was hier außerordentlich selten ist.“ Dabei zeigte er nach einem kleinen Wölkchen, welches sich eben jetzt über den Horizont erhoben hatte. „Aber sagt, Sir, wer seid Ihr und wie kommt Ihr nach dem gefährlichen Llano Estacado?“

„Ich komme von Santa Fe, bin den Komantschen entflohen und wollte hinauf nach den Bergen, um über den Red River nach Arkansas zu gehen. Mein Name ist Richard Forster, meine Heimat Frankfort in Kentucky.“

„Richard Forster – Frankfort in Kentucky? – Dann seid Ihr wohl gar der berühmte Mann, der die schönen Lieder macht, die weit über die Staaten hinaus gelesen werden?“

Der andere nickte lächelnd.

„Richtig geraten! Ich bin der Mann, der ‚Savannenbilder‘ dichten wollte und deshalb in die Prärie ging, um sich von den Kojoten beinahe auffressen zu lassen. Aber nun will ich dieselbe Frage aussprechen, die Ihr mir vorlegtet.“

„Wie ich heiße, wollt Ihr wissen, Sir? Nun, ich bin weder Präsident noch Gouverneur. Tim Summerland ist mein Name, seit ich lebe, und so wird er auch bleiben, bis ich meinen Skalp verliere oder von irgendeinem Grizzly mit Haut und Haar verschlungen werde. Habt Ihr vielleicht von Bill Summerland gehört, dem Lawyer?“

„Meint Ihr den bekannten Advokaten Bill Summerland in Stenton, Arkansas?“

„Ja. Er ist mein Bruder und zu ihm wollte ich. Ich hätte ihm eine hübsche Ladung von Goldstaub und Nuggets mitgebracht, die ich am Kanadian geholt hatte, aber die Pfahlmänner haben sie mir abgenommen.“

„Die Pfahlmänner?“

„Ja, die Pfahlmänner. Oder wisst Ihr noch nicht, welche Schufte man damit bezeichnet? Es gibt allerlei Gesindel, das aus gewissen Gründen die Staaten verlassen musste und hier in der Wüste sicher ist vor den Armen der Jury. Es zieht in verschiedenen Trupps umher, plündert, mordet und hat es ganz besonders auf die Reisenden der Karawanen abgesehen, die gezwungen sind, die Todessteppe zu durchqueren. Um diese irrezuführen, ziehen sie die Pfähle heraus und entfernen sie oder stecken sie in falscher Richtung ein. Ist dann der Wanderer halb verschmachtet, so fallen sie über ihn her und... Nun ja, jetzt wisst Ihr, warum man sie Pfahlmänner nennt. Als wir die Spanish Peaks und den Kanadian verließen, waren wir über zwanzig wohlbewehrte Westleute. Sie alle fielen unter den Tomahawks und Pfeilen der Komantschen, bis auf mich und noch zwei. Wir konnten uns durch den Llano Estacado retten und hatten bereits dessen größeren Teil hinter uns, als die Pfähle aufhörten. Das mahnte uns zur Vorsicht, aber trotz aller List und Achtsamkeit wurden wir überrumpelt. Es war mitten in der Nacht; ich entkam im Dunkel aus dem Handgemenge, aber so, wie Ihr mich hier seht, ohne Pferd und Waffen. Nur den Flaschenkürbis mit dem Wasser rettete ich. Aber der alte Tim Summerland wird schon wieder zu einer Büchse und einem Pferd kommen!“

 

Er hielt inne. Der Nomade des Westens ist meist ein schweigsamer Gesell und Tim Summerland hatte trotz seiner Erschöpfung wohl die längste Rede seines Lebens gehalten. Der gute Mann sah nichts weniger als gentlemanlike aus; die Strapazen hatten seinen Körper und noch mehr seine Kleidung arg mitgenommen, aber er besaß eines jener nicht seltenen Trappergesichter, in denen sich der Ausdruck ungemeiner List und Verschlagenheit mit Ehrlichkeit und Treue paart, die den braven Mann auch in zerlumpten Kleidern erkennen lässt.

„Was die Büchse betrifft, so kann schon jetzt geholfen werden“, meinte Forster. „Ich habe außer meinem Doppelläufer einen trefflichen Stutzen dort am Sattel hängen. Den könnt Ihr haben; für Munition und Mundvorrat ist gesorgt; nur Wasser, Wasser, das ist nötig, nicht bloß für uns, sondern viel mehr für mein Tier, ohne das wir verloren sind. Aber, Gott sei Dank, Ihr habt Recht gehabt: Die Wolke wächst zusehends; sie nimmt schon fast den halben Himmel ein, und ich glaube, vor dem Verschmachten sind wir nun sicher!“

„Das ist so gewiss wie meine Mütze! In fünf Minuten kommt der Guss, Sir, das könnt Ihr glauben. Tim Summerland ist nicht zum ersten Mal in der Todessteppe und kennt ihre Launen wie seinen Kugelbeutel. Macht nur, dass Ihr das Pferd anpflockt und das Pulver verwahrt, sonst ist es um beides geschehen.“

Er erhob sich und stülpte sich die Mütze auf das wirre Haar. Es war eine Kopfbedeckung, die Ihresgleichen suchte. Von ihm selbst vor langen Jahren mit Hirschsehnen aus einem Stück Bärenfell zusammengenäht, hatte sie wohl schon ursprünglich eine außergewöhnliche Form besessen. Dann waren ihr im Laufe der Zeit die Haare bis auf einige Troddeln abhanden gekommen, die lang und schmutzigbraun an der nackten Haut hingen. Tausendmal vom Regen durchnässt und ebenso oft von der Sonne wieder getrocknet, hatte das Prachtstück jetzt eine geradezu unbeschreibliche Gestalt angenommen und lag auf dem Kopf wie eine ausgedorrte Qualle oder ein Stück ausgelaugte Dachpappe, das die Hitze in Halbkugelform gezogen hat. Solche Ausrüstungsstücke sind in der Prärie gar nichts Seltenes; sie haben dem Besitzer ihre guten Dienste geleistet, werden von ihm heilig gehalten und selbst dann nicht abgelegt, wenn er auf kurze Zeit mit der Zivilisation in Berührung kommt.

Zwar war die Luft jetzt noch schwüler als vorher, aber die beiden Männer fühlten sich schon durch die Hoffnung auf den Regen gekräftigt. Auch das Pferd war aufgesprungen und hielt den Kopf schnaubend in die Höhe. Sein Instinkt ließ es die nahe Rettung erkennen. Es wurde fest angepflockt; Forster sorgte dafür, dass Mundvorrat und Munition nicht von der Nässe erreicht werden konnten, und kaum war dies geschehen, so brach es los, nicht allmählich, sondern plötzlich, wie eine See, die vom Himmel stürzt und alles in die Erde schlagen will. Die Jäger tauchten förmlich auf den Boden nieder, dann aber riss Summerland die Mütze herab und hielt sie verkehrt dem niederströmenden Nass entgegen. In wenigen Augenblicken war sie gefüllt.

„Cheer up, Sir, nehmt Euren Hut und macht es wie ich! Auf Euer Wohl und auf das des alten Tim Summerland!“

Er goss das Wasser in den weit geöffneten Mund, schnalzte mit der Zunge, als habe er einen echten New Hampshire Whisky geleert, und hielt die Bärenhaut wieder empor.

Forster folgte seinem Beispiel und wurde nicht weniger erfrischt. Auch das Pferd wieherte laut und schlug vorn und hinten aus.

Weit über eine Stunde lang gossen die Schleusen des Himmels ihre Ströme unvermindert hernieder, dann hörte die Flut ebenso plötzlich auf, wie sie begonnen hatte.

„’s death, war das eine Sintflut!“, meinte Summerland. „Ich wollte, die ganze Komantschen- und Pfahlmännersippschaft wäre darin ersoffen wie der König Belsazar im Roten Meer, als er die Ägypter erschlagen wollte. Come on, setzt Euch auf; wir wollen machen, dass wir aus dieser verteufelten Steppe heraus und in ein Land kommen, wo es ein wenig Gras und einige Bäume gibt!“

„Wollt Ihr nicht zuvor ein Stück Fleisch nehmen? Ich bin damit zur Genüge versehen.“

„Gebt her! Das lässt sich im Gehen tun.“

„Well! Aber die Richtung, Tim, über die müssen wir uns doch vorher einigen! Ich schlage Nordost vor. In dieser Richtung sah ich vorhin einige Kojoten laufen. Kein Raubtier kann lange ohne Wasser sein und ich vermute, dass in dieser Richtung welches zu finden ist und infolgedessen auch Pflanzenwuchs und Futter für das Pferd.“

„Ihr seid ein Dichter, Sir, und solchen Gentlemen ist nicht viel praktischer Sinn zuzutrauen, weil sie meist ganz woanders zu Hause sind als gewöhnliche Menschenkinder, die keine Verse machen. Das hatte ich beinahe auch von Euch gedacht; jetzt aber muss ich Abbitte tun, denn ich sehe, dass Ihr das Auge dort habt, wo es hingehört. Vorwärts also, nach Nordnordost!“

„Nehmt vorher den Stutzen und mein Bowiemesser. Die Büchse und den Tomahawk behalte ich für mich. Auch muss ich laden. Man kann nicht wissen, was uns begegnet.“

„All right! Gebt her, ich werde Eurem Schießzeug keine Schande machen!“

So verließen die beiden den Ort, der ihnen so verhängnisvoll hätte werden können. Das Pferd war vollständig munter und wohlauf und trug seinen Reiter mit der früheren Leichtigkeit; doch war dies wohl nur eine rasch vorübergehende Folge des Regenbades. Das Tier hatte seit längerer Zeit kein Gras gehabt und die zurückgekehrten Kräfte konnten nur durch baldiges Futter erhalten werden. Dennoch hielt es brav aus bis gegen Abend, wo alle Anzeichen verrieten, dass es wieder zu ermatten begann. Summerland blieb stehen und streckte den Kopf vor; ein eigentümlicher Geruch machte ihn aufmerksam. Auch Forster sog die Luft ein.

„Kaktus!“, meinte er. „Wir müssen ihm ausweichen.“

„Ausweichen! Das fällt Tim Summerland nicht ein. Gerade hin zu ihm müssen wir; das ist so sicher wie meine Mütze.“

„Warum?“

„Weil er durch den Regen saftig geworden ist und...“

„Habt Recht, Tim!“, fiel Forster ein. „Die Schale mit den Stacheln herunter! Dann wird der Kaktus vielleicht vom Pferd gefressen.“

„Wenn es die richtige Art ist. Also immer geradeaus!“

In kurzer Zeit war die Kaktusoase erreicht. Die Pflanzen hatten meist Kugelform; das innere Fleisch, das nach dem Schälen zurückblieb, wäre von dem Tier zu anderer Zeit verschmäht worden; jetzt fraß es mit Begierde davon. Als es seinen Hunger gestillt hatte, wurde der Weg wieder aufgenommen und bis in die späte Nacht hinein fortgesetzt, wobei abwechselnd der eine ritt und der andere ging. Dann aber waren Menschen und Tier so ermüdet, dass man Rast halten musste.

Kurz nach Tagesanbruch ging es schon wieder weiter und zu Mittag zeigten sich zur größten Freude der beiden Männer zwischen dem Sand einzelne vertrocknete Exemplare des kurzen, lockigen Büffelgrases. Je weiter sie kamen, desto geschlossener wurde der Pflanzenwuchs und endlich trat die Steppe ganz zurück, um der grünenden Prärie Platz zu machen.

Jetzt waren sie gerettet. Das Pferd schwelgte förmlich in dem saftigen Futter und die Jäger streckten sich mit einer wahren Wonne in das frische, kühle Grün. Dann wurde beschlossen, noch vor Nacht womöglich einen blaugrauen Streifen zu erreichen, der sich am nördlichen Horizont sichtbar machte. Es musste Buschwerk oder ein vortretendes Waldstück sein.

Die Sonne stand schon tief, als man das Ziel erreichte. Es war ein sehr lichtes Wildkirschengebüsch, von vielen Rasenplätzen unterbrochen. Weiterhin verdichtete es sich immer mehr, bis sich in der Ferne einzelne Baumkronen über ihm zeigten.

„Farewell, Hunger, Durst, Hitze und Elend!“, meinte Summerland. „Da eben beginnt der Wald und – seht Ihr die Linien über ihm, Sir? Das sind Berge; das ist – by God, jetzt weiß ich, wo wir sind; ich kenne diese Hügel, ich bin zwischen ihnen herumgeritten und da drüben fließt der Beefork, der in den Red River geht, das ist so sicher wie meine Mütze!“

„So reiten wir noch bis zum Wald; wir haben gerade noch Licht genug, um ihn zu erreichen und eine gute Stelle zum Lager auszuwählen.“

Dieser Vorschlag wurde befolgt. Immer die gerade Linie einhaltend, drangen sie durch das Buschwerk. Summerland saß jetzt zu Pferde. Forster schritt voran, die Aufmerksamkeit zwischen der Ferne und dem Boden geteilt. Man befand sich auf wegsamem Gebiet, musste also wieder auf feindliche Begegnungen gefasst sein. Da plötzlich blieb er stehen und bückte sich zur Erde, um das Gras einer sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen. Auch Summerland stieg ab und betrachtete die geknickten und niedergebogenen Halme.

„Eine Fährte! Eins, zwei – fünf – acht, neun Reiter mit eins, zwei – vier, fünf Lasttieren. Stimmt es, Sir?“

„Ja. Neun einzelne Spuren und fünf Eindrücke von Tieren, die zusammengekoppelt sind. Es sind keine Indianer, sondern Weiße, denn sie hielten sich nicht einzeln hintereinander, sondern sorglos durch- und nebeneinander. Folgen wir ihnen?“

„Warum nicht? Wir müssen ihnen nach, zu unserer eigenen Sicherheit.“

„Dann aber langsam; sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier vorbei. Wäre es länger, so hätten sich die Halme wieder emporgerichtet.“

Das Pferd am Zügel führend und die Spur scharf im Auge behaltend, bogen sie rechts ein und beobachteten dabei, stets Deckung suchend, das vor ihnen liegende Gelände. Da führte die Fährte über einen sandigen Platz, der die Hufeindrücke in größter Deutlichkeit zeigte. Die Männer mussten sich vollständig sicher gefühlt haben, sonst hätten sie solche Zeichen ihrer Anwesenheit gewiss vermieden.

„God bless my soul, Gott schütze meine Seele“, klang da der halblaute Ausruf Summerlands, „das sind die Pfahlmänner, die meine Nuggets geholt haben. Vierzehn waren es; fünf haben wir kaltgemacht, bleiben neun; das stimmt wie meine Mütze!“

„Woher wollt Ihr so genau wissen, dass sie es sind, Tim?“

„Woher? Na, seht Ihr denn nicht diese Hufspuren im Sande, die... Ach so, Ihr könnt das ja nicht wissen! Schaut diesen rechten Hinterfuß. Ist er an der linken Seite nicht etwas kürzer als an der anderen?“

„Allerdings.“

„Dieser Eindruck stammt von meiner alten Fuchsstute. Wenn es nicht so ist, so will ich durch und durch gespießt sein! Sie hat sich einmal einen Dorn ins Leben getreten, der ausgeschwärt ist; der Fuß ist zwar wieder heil geworden, doch hat sich die eine Seite des Hufes hinten etwas nach aufwärts gekrümmt, sodass der Sand nie eine vollständige Spur empfängt; selbst jetzt nicht, wo das arme Tier über die Gebühr beladen ist, wie Ihr an der Tiefe und Schärfe der Eindrücke seht. Ich muss den Fuchs wiederhaben, und koste es mich das Leben! Seid Ihr dabei, Sir?“

„Natürlich! Die Burschen haben die Wegstangen entfernt und uns dem Tod nahegebracht, gar nicht zu rechnen, dass Ihr von ihnen überfallen und beraubt worden seid. Sie müssen eine ernste Lehre bekommen, obgleich ich ohne Not nicht gern einem Menschenkind ans Leben gehe.“

Sie folgten der Fährte weiter. Einzelne Bäume unterbrachen das niedere Buschwerk, wurden nach und nach immer häufiger und schlossen sich endlich zum mäßig dichten Wald, unter dessen Baumkronen die Eindrücke in gerader Linie hinführten.

Da machte sich ein brenzliger Geruch bemerkbar.

„Stop!“, meinte Summerland. „Sie haben sich gelagert und ein Feuer angezündet. Wartet ein wenig; ich bin gleich wieder hier!“

Er führte das Pferd bis an den Saum des Waldes zurück und pflockte es hier zwischen mehreren Büschen so an, dass es weder gesehen werden noch entfliehen konnte. Dann kehrte er zurück.

 

„Jetzt gilt es, unbemerkt an sie zu kommen. Folgt mir!“

Er huschte, von Baum zu Baum Deckung suchend und die Zwischenräume blitzschnell überspringend, unhörbar vorwärts. Forster folgte ihm in derselben Weise. Nach einiger Zeit bemerkten sie einen hellen Rauch, der sich durch das Laubdach einen Ausgang suchte, und dann auch ein Feuer, um das neun Männer Platz genommen hatten. Summerland lehnte an einer Fichte, deren dicker Stamm beiden genügend Sicherheit bot. Er winkte den Gefährten zu sich heran. „Sie haben die Tiere noch nicht entschirrt und auch keine Wache ausgestellt! Welch horrible Unvorsichtigkeit!“, flüsterte er.

„Wo sind die Pferde?“

„Dort drüben höre ich sie schnaufen. Ich brauche Waffen; sind welche dort, so braucht kein Tropfen Blut zu fließen. Kommt!“

Sie schlichen sich weiter bis in die unmittelbare Nähe der Pferde, die keinen verdächtigen Laut hören ließen, weil sie sich noch nicht in freier Bewegung befanden.

„Seht Ihr dort meinen Fuchs? Er hat wirklich die Beutel mit den Nuggets noch über dem Rücken hängen. Und dort der Rappe hat eine vollständige Jagdausrüstung auf dem Packsattel. Ich nehme beide, Ihr auch eins oder zwei, und die andern schneiden wir los. Go on, jetzt schnell!“

Er glitt vorwärts, schnitt im Vordringen einige Lassos durch und gab den Tieren einen Schlag, dass sie laut wiehernd davonstürmten. Dann sprang er auf den Fuchs, ergriff den Rappen beim Zügel und sah sich nun erst nach Forster um. Dieser saß auf einem Braunen und machte eben Miene, den Platz zu verlassen, als lautes Geschrei ertönte und die Pfahlmänner zwischen den Bäumen hervorsprangen.

Der Vorderste von ihnen war ein breitschultriger, schwarzbärtiger Gesell, der sich sofort auf Forster stürzte.

„Der Anführer, Master Dichter!“, rief Summerland, seinen Stutzen auf zwei andere abdrückend. „Gebt ihm eins!“

Der Tomahawk Forsters sauste durch die Luft und der Schwarze brach zusammen.

„Huzza, so war es gut. Jetzt fort!“

Sie wandten sich zur Flucht. Schüsse krachten hinter ihnen, laute Flüche erschallten. Der Wald hinderte ihre Eile; dennoch erreichten sie unverwundet die Büsche, zwischen denen Summerland das Pferd zurückgelassen hatte.

„Schnell heraus mit dem Tier und dann weiter, Sir! Ehe sie die Pferde wieder bekommen, wird es Nacht und sie können erst morgen unserer Fährte folgen. Aber fangen sollen sie Tim Summerland und seine Stute nicht. Das ist so sicher wie meine Mütze!“

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