Der Krumir

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Der Krumir
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

KARL MAY
DER KRUMIR

REISEERZÄHLUNG AUS DEM ORIENT

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 10

„SAND DES VERDERBENS“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1303-7

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER KRUMIR

1. Sâdis el Chabir

2. Auf der Verfolgung

3. Dschumeila

4. Eine gefährliche Jagd

5. Der ‚Geist des Sebkha‘

DER KRUMIR
1. Sâdis el Chabir

Es war erst neun Uhr vormittags und doch brannte die afrikanische Sonne schon stechend auf das vor uns liegende Tal herab. Wir beide waren allerdings gegen die Wärme recht gut geschützt. Zu unseren Häupten breitete ein riesiger Mastix, in dessen gefiederten Blättern ein leichter Nordwind säuselte, seine Äste aus, und seine Wurzelspitzen badete der Baum in dem kühlen Wasser eines Baches, der in eiligem Lauf den Fluss zu erreichen suchte.

Wir kamen aus der Provinz Constantine, hatten gestern zwischen Dschebel Frima und Dschebel el Maallega die tunesische Grenze überschritten und waren dann quer durch das Wadi Melis gegangen. Zwischen den westlichen, steilen Abhängen des Dschebel Gwibub hatten wir unter Feigen und Granaten unser Nachtlager aufgeschlagen, waren heute in östlicher Richtung über die Höhen geritten und hielten nun kurze Morgenrast.

Wir wollten bis zum Abend Seraïa Bent erreichen und mussten zu diesem Zweck das Wadi Mellel durchschneiden, das mit seinen Zypressen-, Johannisbrot- und Mandelbüschen vor uns lag.

„Wie weit ist es noch bis Kef?“, fragte ich meinen Diener.

„Nach dem Maß der Franken können es fünfundzwanzig Kilometer sein, Sihdi“, antwortete er.

Er war lange Zeit in Algier gewesen und daher war ihm das französische Maß geläufig.

„Und bis Seraїa Bent?“

„Acht Kilometer in gerader Richtung. Wie ich gehört habe, sind dort die Uëlad Sedira auf der Weide. Herr, ich werde die Meinen wieder sehen, den Vater, die Mutter und...“

Er hielt inne.

„Und wen noch?“, fragte ich.

„Sihdi, du hast mich nie gefragt, ob ich eine Bint el Amm[1] habe. Ich weiß, warum du es nicht tatest, aber ich sage dir, dass die Bedwân[2] es für eine Sünde halten, von ihren Frauen zu sprechen und die Morgenröte ihres Angesichts sehen zu lassen. Die Frauen und Töchter der Uёlad Sedira haben das Herz der Taube, aber nicht die Augen der Tänzerinnen; sie brauchen ihr Gesicht nicht zu verhüllen.“

„Also gibt es zwei Taubenaugen, deren Blick deine Seele erleuchtet?“

„Ich habe noch kein Weib, aber Scheik Ali en Nurabi hat eine Tochter. Sie heißt Mochallah, die Wohlriechende. Ihre Füße sind wie die Füße der Gazelle, ihr Haar gleicht den Locken von Scheherazade, ihre Augen sind wie die Sterne am Himmel, ihre Stimme ist lieblich wie der Gesang des Sandes um Mitternacht, und ihr Gang ist wie der Schritt einer Königin, die durch die Reihen ihrer Sklavinnen wandelt. La ilâha ill’ Allah – es gibt nur einen Gott, aber es gibt auch nur eine Mochallah! Du wirst sie sehen, Sihdi, und deine Zunge wird mein Glück preisen, das höher ist als der Himmel, tiefer als die Fluten des Meeres und weiter als die Wüste es Sahar und alle Länder der Erde.“

Er hatte sich erhoben. Sein Auge leuchtete, seine braunen Wangen verdunkelten sich und seine Hände begleiteten die Rede mit lebhaften Gebärden.

„Und Mochallah, die Wohlriechende, wird dein Weib sein?“, erkundigte ich mich.

„Sie wird mein Weib sein. Sie ist die Sonne meiner Tage, der Traum meiner Nächte, der Preis meiner Taten und das Ziel aller meiner Gedanken. Sihdi, ich war arm, aber um sie zu erringen, ging ich fort von den Zelten der Uëlad Sedira. Hamdulillah, Preis sei Gott, der meine Hand und meinen Fuß gesegnet hat! Ich habe mir viele Franken und Piaster verdient. Am wohltätigsten aber hat deine Gnade über mir geleuchtet, Effendi, und nun kann ich dem Scheik bezahlen, was er für seine Tochter von mir gefordert hat. Ich bin Achmed es Sallah und werde der glücklichste der Sterblichen sein – insch’ Allah, wenn es Gott gefällt!“

„Allah kerîm – Gott ist gnädig, doch die Schicksale des Menschen sind im Buch aufgezeichnet. Möge der Baum deines Lebens duften wie die Blume el Mochallah, die deine Seele bezaubert hat!“

„Effendi, der Baum meines Lebens wird sein wie der Baum des Paradieses, der ewig Blüten und Früchte trägt und aus dessen Wurzeln tausend kühle Quellen strömen. Da drüben erhebt sich der lange Kamm des Dschebel Hermomta Wergra, bis an dessen Fuß die Herden meiner Brüder weiden. Lass uns aufbrechen, damit ich keinen Tropfen verliere von dem Meer der Seligkeit, dessen Fluten ich bereits rauschen höre! Wir können heute noch Kef erreichen, trotz der Berge und Flüsse, die zwischen dort und hier zu finden sind.“

„Gut, so wollen wir aufsitzen!“

Er hatte Recht. Was mein Pferd betrifft, so hätte ich es gegen kein Tier der Welt vertauscht, und das seinige war eins der besten, die ich jemals gesehen hatte. Auch er selber war ein Mann, über den man sich nur freuen musste. Zwar nur von mittlerer, aber kräftiger und herrlich ebenmäßiger Gestalt, sah er in seinem weißen Haïk, mit dem wehenden Turbantuch und den messingbeschlagenen Waffen aus wie eine Gestalt aus den Zeiten Saladins des Großen. Dabei war er treu, ehrlich und offen, abgehärtet gegen alle Mühen und Entbehrungen und unerschrocken in jeder Gefahr. Ferner sprach er nicht nur alle landläufigen Mundarten, sondern er war auch, bevor er nach Algier ging, in Istanbul gewesen und hatte sich dort zur Genüge mit dem Türkischen bekannt gemacht. Aus allen diesen Gründen war er mir bisher ein wertvoller Begleiter gewesen, den ich mehr als Freund denn als Diener zu behandeln pflegte, und so tat es mir wirklich Leid, ihn bald verlieren zu müssen.

Wir ritten längs des Baches den kurzen Abhang vollends hinab und hielten dann unten im Tal grad auf den Fluss zu. Das Wasser des Wadi Mellel ist nicht breit. Wir gelangten leicht an das andere Ufer und damit in eine nicht sehr große, vollständig ebene Lichtung, die rings von einem wilden Olivengebüsch eingefasst wurde.

„Maschallah – Wunder Gottes, was ist das, Sihdi?“, fragte da plötzlich Achmed, indem er nach links deutete.

Ich bemerkte in der angedeuteten Richtung, also oberhalb unseres Standpunktes, ein Rudel Gazellen aus den Büschen brechen. Meine Jagdlust erwachte sofort.

„Sie kommen grad auf uns zu, Achmed. Sie sind auf der Flucht!“

„So ist es, Sihdi. Siehst du den Fahad[3], der jetzt hinter ihnen aus dem Busche schnellt? Was tun wir?“

„Wir jagen mit und verlegen den Antilopen den Weg. Mein Pferd ist noch schneller als das deinige. Halte dich hier am Fluss. Ich werde nach rechts hinübergehn.“

„Aber, Sihdi, dürfen wir? Der Fahad gehört jedenfalls einem Scheik oder gar dem Emir von Kasr el Bordsch!“

„Pah, wir tun dennoch mit. Vorwärts!“

Wie von der Sehne geschnellt flog mein Pferd über die Ebene dahin. Die Gazellen mussten sich in größter Angst befinden, da sie uns nicht beachteten, obwohl die Entfernung nur unbedeutend war. Sie hatten zweimal gebogene, schwarze, leierförmige Hörner und waren oben hellbraun, unten weiß gezeichnet; Schwanz und Seitenstreifen zeigten eine dunkelbraune Farbe; wir hatten es mit Antilope dorcas L. zu tun. Ich zählte vierzehn Stück, ließ also die Doppelbüchse auf dem Rücken und langte nach dem Henrystutzen, aus dem ich meine Kugeln abgeben konnte, ohne zwischen jedem Schuss zu laden. Dieses Gewehr hatte mir in Amerika und Asien große Dienste geleistet und auch die Bewunderung meines wackeren Achmed auf sich gezogen.

Jetzt hatte der Gepard die hinterste der Gazellen erreicht, mit einem weiten Sprung warf er sich auf sie und riss sie nieder. Ich hielt mein Pferd an und zeigte ihm das Gewehr. Sofort stand das kluge Tier vollständig bewegungslos. Eben krachte mein erster Schuss, als ich es auch aus dem Gewehr Achmeds aufblitzen sah. Zwei Tiere stürzten zu Boden. Zu gleicher Zeit wurde das Buschwerk von neuem durchbrochen und ich bemerkte sechs Reiter, fünf in arabischer Tracht und der sechste in der goldstrotzenden Uniform eines hohen, tunesischen Offiziers. Auf seiner linken Faust sah ich einen Schahin[4] sitzen. Er stutzte einen Augenblick, als er uns erblickte, dann häubte er den Vogel ab und warf ihn empor. Sofort stieß der Falke auf eine der Gazellen, unglücklicherweise aber auf die, die ich im selben Augenblick aufs Korn genommen hatte; es war zu spät, den Finger zurückzunehmen, denn ich war bereits im Abdrücken – beide Tiere wälzten sich am Boden. Ohne mich um sie zu kümmern, wandte ich mich den vorüberschießenden Gazellen nach und gab noch zwei Schüsse ab. Da aber hörte ich den Hufschlag eines Pferdes hinter mir, und eine Hand fasste meinen Arm.

„Chammar el kelb – Hund von einem Betrunkenen, wie darfst du wagen, hier zu jagen und meinen Schahîn zu erschießen!“, donnerte es mich an.

Ich wandte mich um. Es war der Offizier. Seine Augen blitzen vor Zorn; die Spitzen seines Schnurrbartes zitterten heftig und sein sonst wohl gutmütiges Angesicht hatte sich dunkel gerötet. Ich war nicht gewillt, mir solche Reden bieten zu lassen, und schüttelte seine Hand von meinem Arm.

 

„Hawuahsch – lass mich in Ruh!“, donnerte ich ebenso herzhaft zurück. „Sagst du noch ein einziges solches Wort, so schlage ich dich mit dieser meiner Faust vom Pferd!“

„Allah aienak – Gott helfe dir!“, anwortete er, indem er nach dem Griff seiner Dschanbije[5] fasste. „Mensch, bist du verrückt? Weißt du, wer ich bin?“

„Der Besitzer eines ungeschickten Falken bist du, weiter nichts!“

„Dieser Kerl macht meinen Falken schlecht“, rief der Mann. „Allah istaffer – Gott mag es ihm vergeben! Wirst du gleich von deinem Pferd steigen und mir Abbitte leisten!“

„Allah kerîm – Gott ist gnädig, er mag deine Gedanken lenken, damit du dich nicht lächerlich machst. Bist du vielleicht Mohammed es Sadok Bei, der Herrscher von Tunis, oder gar der Sultan von Stambul, dass du von mir verlangst, um Verzeihung zu bitten?“

„Ich bin weder der Sultan noch der Bei von Tunis, den Allah segnen möge, aber ich bin sein Apha el harass, der Oberste seiner Leibgarde. Herunter vom Pferd, wenn du nicht die Bastonade schmecken willst!“

Ich zog in höchster Überraschung mein Pferd etwas zurück.

„Allah akbar – Gott ist groß! Bist du wirklich der Bei el mamluk des Beherrschers von Tunis?“

„Ich sage es!“, antwortete er stolz.

Welch ein Zusammentreffen! Dieser Mann war also ,Krüger Bei‘, der Anführer der tunesischen Leibscharen! Ich hatte sehr oft von ihm sprechen gehört. Er war keineswegs ein Afrikaner, sondern er stammte als der Sohn eines Bierbrauers aus der ,Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation‘. Sein Kismet hatte ihn im Anfang der dreißiger Jahre nach Tunis verschlagen, wo er zum Islam übertrat. Dadurch erwarb er sich die Gnade des Propheten und aller heiligen Kalifen in der Weise, dass er von Stufe zu Stufe stieg und endlich die ehrenvolle Aufgabe erhielt, an der Spitze der Leibmamelucken das teure Leben Mohammed es Sadok Paschas zu beschützen. Aber das verleugnete Vaterland schwor ihm Rache. Es sandte nicht etwa, wie das alte Griechenland es getan hätte, drei Erynnien über ihn, sondern es ließ volle fünf unermüdliche Rachegötter über ihn herfallen, und deren Namen lauteten erster, zweiter, dritter, vierter Fall und Satzlehre. Er hatte das Deutsche nie anders als in der Brandenburger Mundart sprechen können, drüben in Afrika kamen ihm die Regeln seiner Muttersprache nach und nach abhanden, und wenn er sich ihrer nun einmal bedienen wollte, so eilten sofort die genannten fünf Rächer herbei, um sich seiner zu bemächtigen und ihn in ihrem sprachlichen Höllenfeuer schwitzen und schmoren zu lassen.

Hiervon sollte ich jetzt gleich ein Beispiel erleben. Wir hatten bisher Arabisch gesprochen, nun aber machte ich meiner Überraschung in deutschen Worten Luft:

„Sapperlot, Herr Oberst, hätte ich das gewusst, so wäre unsere Unterhaltung etwas artiger ausgefallen...“

Er riss die Augen auf und öffnete den Mund sperrangelweit. Ich ahnte, dass jetzt erster und dritter Fall und Genossen in ihm zu streiten beginnen würden.

„Maschallah, Dunderwetter! Du bist wohl – – ach so, hätte ich mir doch bald versprochen! Ihnen sind wohl gar ein Deutscher?“

„Allerdings.“

„Allah, wallah, billah, tillah – heiliges Pech, dat is doch eigentlich janz und jar unmöglich!“

„Warum?“

„Deswegen – weil – – insofern – – – na, Allah ist jroß, er führt die Seinigen und auch die Ihrigen oft wunderbar und herrlich hinaus. Wat wollen Sie denn hier im Tunis, he?“

„Nichts weiter, als alte Erinnerungen auffrischen und dabei Land und Leute eingehender kennenlernen, als es früher möglich war.“

„Alte Erinnerungen – Land und Leute? – Haben Sie denn früher schon mal hier jewesen?“

„Ja.“

„Wo?“

„Weiter im Westen, in Algier. Ich ging damals über das Auresgebirge in die Sahara und kam bis zu dem Bab el Ghud[6].“

„Algier – Aures – Bab el Ghud? – Wallahi, tallahi, Schock Batailljon, dat ist weiter als ein Spazierjang von Berlin nach Köpenick! Und wo sind Ihnen nun heute herjekommen?“

„Ich komme über den Dschebel...“ Die Rede blieb mir auf der Zunge liegen. Mein Auge war auf das Angesicht eines Mannes gefallen, der abgestiegen war und sich mit dem toten Falken zu schaffen gemacht hatte. Jetzt wandte er sich zu uns und kam herbei. Wo hatte ich diesen ewig langen, zum Zerbrechen hageren Menschen nur schon gesehen? War dies wirklich Lord David Percy, der eigentümliche Sohn des Earl von Forfax? Auch er blieb stehen und blickte höchst erstaunt zu mir herauf.

„Good Luck! Seid Ihr’s oder seid Ihr es nicht, old Rifleman?“, fragte er.

„Lord Percy, ist’s wahr?“

„Egad!“, nickte er. „Welcome within this tedious part of the world – willkommen mitten in diesem langweiligen Weltteil!“

Er reichte mir die Hand und ich drückte sie ihm lebhaft.

„Langweilig?“, fragte ich. „Warum?“

„Hm! Kam herüber, um Löwen zu schießen, Tiger, Nashörner, Elefanten, Flusspferde. Habe aber noch nichts gesehen als Wüstenflöhe, Eidechsen und diese Ziegen da. Langweiliges Land, hm!“

„Ich finde es nicht langweilig.“

„Ja, Sir, mit Euch ist es anders. Ihr dürft nur hintappen, wohin Ihr wollt, da gibt es Abenteuer. Ich habe kein solches Glück. Well! Werde mich Euch wieder anschließen müssen, wie da drüben in old East-India.“

„Sollte mir recht sein, Sir. Aber wollt Ihr mich nicht diesem Gentleman vorstellen? Ich habe ihm meinen Namen noch nicht genannt.“

„Yes, soll geschehen!“ Er machte eine seiner gewaltigen Armbewegungen und stellte mich dem Anführer der Leibgarde vor. Dann fügte er hinzu: „War ein guter Schuss, Sir. Könnt nicht dafür, dass Ihr diesen Vogel getroffen habt. Soll ein Falke sein, ist aber wohl nur ein Thistle-finch[7] oder eine Goose[8] gewesen. War schlecht geschult, hatte kein Geschick, nahm die Gazelle nicht oberhalb der Augen, sondern an der Kehle, musste also von Eurer Kugel getroffen werden. Well!“

„Sie haben Ihnen einander bereits jekannt?“, fragte Krüger Bei.

„Ja. Wir haben miteinander ein gutes Teil von Indien durchquert“, antwortete ich ihm.

„Maschallah, hole mir der Juckuck, dat ist zum Erstaunen! Haben sich im Indien jekannt und tun sich hier im Tunis wieder treffen! Ich bin ein juter Muslimit, aber dat ist mich schon mehr als Kismet, dat ist ein Zufall, der mich zu denken jiebt. Schade, dass Ihnen Ihr Freund jar nicht deutsch und nur janz wenig arabisch reden kann, et ist da janz unmöglich, ihm mit sich zu unterhalten.“

„Wo sind Sie mit ihm zusammengetroffen?“

„Er hat sich mir im Tunis vorstellen lassen und ist dann mit mich nach el Bordsch[9] jegangen, was jar nicht weit von hinnen liegt. Ich musste mit dem Achordar[10] hin, um Pferde einzuhandeln. Heute wollten wir jagen, und um das Nützliche mit das Anjenehme zu befriedigen, werden wir jetzt noch hinüber nach Seraïa Bent reiten, was auch zuweilen Mosole jenannt zu heißen wird.“

„Nach Seraïa Bent?“, fragte ich erfreut.

„Ja, der Scheik Ali en Nurabi lagert dort, der einige prächtige Pferde haben soll, die er mir zeigen muss.“

„Das trifft sich gut, denn auch ich will nach Mosole.“

„Prächtig! Wir reiten zusammen. Aber wie steht es mit die Jasellen, he?“

„Die gehören natürlich Ihnen. Wegen des Schahîn aber dürfen Sie mir nicht zürnen. Er war schlecht abgerichtet und stieß im unrechten Augenblick. Hätte er das Wild an der richtigen Stelle genommen, so wäre ihm kein Leid geschehen.“

„Schadet nichts. In Ejypten werden mehr jefangen. Der Bei bekommt von dem Vizekönig öfters welche jeschickt. Aber die Jasellen, die Ihnen Ihr Jewehr jetroffen hat, die jehören Sie. Das tu ich nicht anders. Sehen Sie, da kommen noch zwei Sais[11] von mich, die haben jeder einen Falken und eine Jaselle aufjeladen, die von mich bereits erlegt zu werden jeworden sind. Ich habe also Fleisch jenug.“

„Gut, so danke ich herzlich und werde mit den Tieren dem Scheik Ali en Nurabi ein Geschenk machen.“

„Richtig! Janz praktisch! Was mich betrifft, so werde ich die Leute zurückschicken, die mich überflüssig sind.“

Der Gepard war unterdessen wieder mit der Kappe versehen worden. Einer der Männer nahm ihn hinter sich auf das Pferd und kehrte mit den Reitknechten nach el Bordsch zurück. Von den anderen Begleitern des Obersten der Leibwache wurde die mir überlassene Jagdbeute aufgeladen und dann wandten wir uns der im Osten aufsteigenden Talwand zu. Sie war nicht sehr schroff und hoch und ließ sich leicht ersteigen, da eine Art von Weg hinauf zur Höhe führte.

Oben fanden wir eine kleine baumlose Ebene, hinter der sich das Gelände abermals erhob. Dort gab es wieder Busch und Wald, und da jetzt die Sonne im Scheitelpunkt stand, wurde beschlossen, eine kurze Rast zu machen.

Die Unterhaltung, die seit unserem Aufbruch etwas ins Stocken geraten war, wurde jetzt wieder lebhaft. Lord Percy war von schweigsamer Art, aber Krüger Bei wollte viel und alles wissen.

Ich musste ihm von der Heimat erzählen, von meinen Reisen, von allem möglichen, und als wir wieder aufbrachen, klopfte er mir auf die Schulter und meinte:

„So wohl wie jetzt ist mich’s selten jewesen, bei Allah, hole mir der Juckuck! Ich sage Sie, dass ich Ihnen nicht sogleich wieder von mich lasse. Deutsch bleibt Deutsch, dem Propheten und dem Koran jar nicht mitjerechnet. Nehme es Ihnen übel nicht, aber ich sage Sie, es wäre sehr jut für Ihnen, im Tunis zu bleiben. Zwar so hoch wie mir bringt es nicht gleich ein jeder, aber ein Mann von die Ihrigen Fähigkeiten wird es nicht schwer finden, es zu einer guten Stellung jerückt zu haben jeworden sein. Jeben Sie mich die Hand! Es kostet mich ein Wort, aus Sie etwas Besseres zu machen, als Ihnen da drüben in Deutschland jemals werden zu können vermögen.“

„Besten Dank, Herr Oberst! Ich werde mir Ihr freundliches Anerbieten angelegentlich überdenken.“

„Recht so! Der Mensch soll sein Glück niemals nicht mit die Füße betreten. Ich jebe mich die Ehre, Ihnen bereits als Staatsbürger vom Tunis zu betrachten. Von Mohammed und seine Kalifen können wir später einmal zu sprechen die Zeit jefunden haben dürfen. Trotzdem aber werde ich Ihnen nicht zum Islam verleiten, denn ein Christ kann es deretwegen dennoch zu etwas bringen, wenn er nur glaubt, dass der Prophet und die Kalifen wirklich auf der Welt jewesen sind. – Aber jetzt möchte ich wissen, wohin wir reiten müssen, nach rechtsum oder nach linksdrum.“

„Mein Diener kennt die Gegend genau.“

„War er bereits hier jewesen?“

„Er gehört zu den Uёlad Sedira, zu denen wir wollen.“

„Rufen Sie ihm herbei! Ist er ein braver Kerl?“

„Ich betrachte ihn mehr als Freund denn als Untergebenen.“

„So erlaube ich Sie, ihm mich vorzustellen.“

Ich winkte Achmed herbei. Krüger Bei betrachtete ihn mit angelegentlicher Gönnermiene und fragte ihn, natürlich arabisch :

„Dein Name ist Achmed?“

Der Gefragte machte eine stolze Handbewegung und antwortete:

„Ich heiße Achmed es Sallah Ibn Mohammed er Rahman Ben Schafei el Farabi Abu Muwajid Kulani.“

Der freie Araber ist stolz auf seine Ahnen und unterlässt es zur geeigneten Zeit sicherlich nicht, sie wenigstens bis zum Großvater aufzuzählen. Je länger der Name, desto größer die Ehre, ein kurzer Name wird fast als Schande gerechnet.

„Schön!“, nickte der Bei der Mamelucken. „Dein Name ist gut und dein Herr hat dich gelobt, ich werde...“

„Mein Herr?“, fiel ihm Achmed mit blitzenden Augen in die Rede. „Du selbst magst einen Gebieter haben. Ich aber bin ein freier Sohn der Beni Rakba von der Ferkat[12] Uëlad Sedira. Ich habe keinen Herrn. Aber ich liebe diesen Sihdi, weil er nicht nur klüger und tapferer, sondern auch gütiger ist als alle anderen, die ich kenne. Was wünschest du von mir, Effendi?“

„Wie kommen wir zu den Uëlad Sedira. Hier rechts oder links?“

 

„Reite rechts! Sobald du das Tal überblicken kannst, wirst du ihre Zelte sehen.“

Er kehrte, während wir seiner Weisung folgten, zu den anderen zurück. Krüger Bei hatte die kleine Zurechtweisung ruhig hingenommen.

„Stolze Kerle, diese Beduinen“, meinte er. „Kein anderer Fürst hat solche Untertanen.“

„Untertanen?“, fragte ich lächelnd. „Gehorchen sie wirklich Mohammed es Sadok Pascha?“

Der Gefragte machte eine schlaue Miene.

„Natürlich betrachten sie ihn als ihren Herrscher, dat versteht sich janz von selber. Oder jiebt es vielleicht einem anderen, dessen Herrschaft sie ihnen jefallen zu lassen jeneigt zu sein pflegen werden?“

„Ich wüsste allerdings keinen.“

„Na also! Mohammed es Sadok Bei herrscht weder mit Ruten noch mit Skorpionen, wie jener König Rehabraham oder Jerobraham von Israel, wie der Koran erzählt. Oder steht das vielleicht in der Bibel? Er ist klug und lässt es denen Beduinen jar nicht ahnen, dass sie seine Untertanen zu sein sich zu rühmen haben müssen.“

„Aber wenn sie im Bardo[13], wo er alle Sonnabend Gericht zu halten pflegt, die Bastonade oder gar den Strick erhalten, dann merken sie es, nicht?“

„Malesch – das tut nichts! Die Bastonade und der Galgen stehen auch in dem Buch des Lebens jeschrieben, und niemand, dem sie bestimmt sind, kann ihnen entjehen. Wer nicht mag hören wollen, der wird und muss fühlen sollen, dat ist eine alte Weisheit. Verstanden?“

„Wie steht es denn da mit der Bastonade, die auch ich vorhin bekommen sollte?“

„Die ist abjemacht und verjährt. Ahlah kerîm, Allah ist barmherzig, und auch mein Jemüt liebt die Gnade. Wir sind Freunde und werden einander also nicht die Füße zu versohlen brauchen notwendig haben. Aber – da unten stehen Zelte. Mich scheint, wir sind nun bald an das Ziel zu kommen anjelangt.“

Auch der Engländer, der wortlos neben uns geritten war, hatte bereits die weißen Zelte bemerkt, die verstreut auf der Ebene lagen.

„Sind dies die Uëlad Sedira, Sir?“, fragte er mich.

„Wenigstens eine Abteilung von ihnen. Sie gehören zu dem großen Stamm der Rakba, der unter Umständen weit über zehntausend Krieger zu stellen vermag.“

„Tapfere Leute?“

„Ja, wie man hört.“

„Räuber?“

„Hm! Der Beduine ist an allen Orten und zu allen Zeiten mehr oder weniger das, was man einen Räuber nennt.“

„Well! So wird es wohl ein Abenteuer geben?“

„Das müssen wir abwarten.“

„Will eins haben, verstanden, Sir? Mit Euch erlebt man andere Dinge als mit diesem Colonel der Leibwache, mit dem man nicht einmal reden kann. Ich gehe nicht wieder von Euch fort. Welchen Weg wollt Ihr einschlagen, Sir?“

„Ich will über Kef nach der Ebene der berühmten Uëlad Ayar und von da über die Berge von Melhila und Margeba nach den großen Duars von Feriana, um dann nach Gafsa, Seddada, Toser und Nefta am Schott el Dscherid zu gehen. – Seht, man hat uns bereits bemerkt und kommt uns entgegen.“

Zwischen den Zelten weideten zahlreiche Schafe, Pferde und Kamele, vor jeder der weißen Sommerwohnungen aber war eine Lanze in den Boden gestoßen, an die das Leibpferd des Besitzers gebunden war. Bei unserem Erscheinen wurden die Lanzen herausgezogen und die Pferde bestiegen. Es bildete sich ein Trupp von etwa achtzig Kriegern, der uns entgegengesprengt kam. Die Männer stießen ein lautes, herausforderndes Geschrei aus, schwangen die Lanzen und schossen ihre langen Flinten ab. Lord David Percy griff nach seiner Büchse und lockerte auch die Pistolen.

„Good gracious! Sie verhalten sich feindlich. Endlich einmal ein Kampf, ein Abenteuer!“

„Freut Euch nicht zu früh! Sie sehen ja, dass wir nur sieben Personen sind und also keine unfreundlichen Absichten haben können. Sie werden uns nach arabischer Sitte mit einer kriegerischen Fantasia empfangen, von Kampf aber ist keine Rede.“

„Stupid, extremely stupid – dumm, außerordentlich dumm!“, brummte er.

Ich wandte mich an Krüger Bei:

„Sind Sie sicher, in Ihrer Uniform hier gastlich aufgenommen zu werden?“

„Ja. Die Rakba sind unsere Freunde. Sie haben die Karawanenstraßen zu bewachen, die vom Tunis über Testur, Nebör und Kef nach Constantine jeht, und bekommen dafür Jeschenke. Wir haben von sie nichts zu fürchten. Dieser Scheik Ali en Nurabi kennt mir übrigens jut, denn er war schon einmal bei mich im Tunis jewesen. Er wird sich freuen, mir jesund wieder sehen jedurft zu haben, darauf können Sie Ihnen verlassen. Und wenn ich Sie ihn als Landsmann vorstelle, so wird er jeneigt sein, davon sehr anjenehm berührt werden zu können. Dort kommt er an die Spitze von seine Eskadron. Er hat mir bereits erkannt. Bitte, wir wollen in Galopp auf ihn anrennen, denn dat ist die Sitte, die bei dem Arabern jebräuchlisch zu sein jenannt zu werden verdienen muss.“

Wir flogen einander in gestrecktem Lauf entgegen, wobei von beiden Seiten durch Schießen und Schreien ein bedeutender Lärm verursacht wurde. Es hatte den Anschein, als würden wir zusammenrennen, aber gerade im letzten Augenblick vor dem Zusammenprall warf ein jeder sein Pferd herum und ließ das Spiel von neuem beginnen. Zwar nimmt sich dies ganz prächtig aus, aber die Pferde werden dabei in den Hachsen angegriffen, und es ist nichts Seltenes, dass ein Tier daran zu Grunde geht. Wir jagten im Scheingefecht durch das von Frauen, Greisen und Kindern belebte Lager und sprangen endlich vor einem Zelt ab, dessen Größe und Ausschmückung uns erraten ließ, dass es dem Scheik gehöre. Die Männer bildeten einen Halbkreis um uns. Bis jetzt war kein Wort der Begrüßung gefallen, nun aber trat Ali en Nurabi auf den Anführer der Leibmamelucken zu und reichte ihm die Hand.

„Die Wüste freut sich des Regens und der Ibn es Sahar seines Freundes. Marhaba – du sollst willkommen sein. Tritt ein in das Zelt deines Bruders und siehe, wie lieb er dich hat!“

Der Scheik war ein echter, dünn bebarteter Beduine in den reifen Mannesjahren. Er hatte das Hamaїl[14] am Hals hängen, war also in Mekka und Medina gewesen.

Krüger Bei benahm sich sehr würdevoll:

„Der Mond erhält sein Licht von der Sonne und ich habe keine Freude ohne den Freund meiner Seele. Dein Name ist groß auf den Bergen und deine Stute berühmt in den Tälern, dein Vater war der tapferste der Helden und der Vater deines Vaters der weiseste der Weisen. Mögen deine Söhne stark sein wie Chalid und die Söhne deiner Söhne tapfer wie der Hengst, der seine Frauen und Kinder verteidigt! Ich bringe dir hier zwei Männer aus dem Abendland. Sie sind große Emire bei den Ihrigen und kommen zu dir, um deine Macht und Freundlichkeit rühmen zu können in den Ländern, wo die Sonne untergeht.“

Wie schade, dass dieser Krüger Bei das Deutsche nicht ebenso gewandt zu gebrauchen wusste wie das Arabische!

„Du sollst mein Rafîk[15] sein und du mein Sâhib[16]“, meinte der Scheik, indem er erst dem Engländer und dann auch mir die Hand reichte. „Ihr seid in meinem Zelte so sicher, als ob Dsu’l Fikar[17], der Säbel des Propheten, euch beschützte. Tretet ein und esst das Brot mit mir!“

Wir schritten in das Zelt. Die Begleiter Krüger Beis blieben draußen, mein Diener Achmed mit ihnen. Er hatte kein Wort der Begrüßung vom Scheik erhalten. Lag dies daran, dass jener zunächst seine Gäste zu beehren hatte? Oder hatte es andere Gründe?

Im Hintergrund des Zeltes war ein ungefähr fünfzehn Zentimeter hohes, hölzernes und mit Matten belegtes Gestell errichtet, das so genannte Serir, auf dem wir Platz nahmen. Eine besondere Frauenabteilung gab es augenscheinlich nicht. Die weiblichen Familienmitglieder des Scheik waren jedenfalls in dem kleineren Zelt, das neben dem großen lag, untergebracht. Von der Decke hing an einer grünseidenen Schnur ein Glasgefäß herab, das der Scheik nahm, um es uns entgegenzureichen. Es enthielt Salz, klargestoßenes Natron aus den Salzseen des Südens, dabei lag ein kleiner Porzellanlöffel. Beides, Glasschale und Porzellanlöffel, war hier ein Aufwand, auf den der Scheik nicht wenig stolz zu sein schien. Wir genossen jeder einige Körner, Ali en Nurabi tat desgleichen und sprach dann feierlich:

„Nanu malahin – wir haben Salz miteinander gegessen. Wir sind Brüder und keine Feindschaft vermag uns zu trennen.“

Hierauf nahm er drei Tabakspfeifen von der Zeltwand, stopfte sie mit eigener Hand, reichte sie uns und gab uns Feuer. Dann entfernte er sich auf kurze Zeit. Als er wieder zurückkehrte, folgten ihm eine ältere Frau und ein junges Mädchen. Die Frau trug eine Sinije[18] in den Händen, die sie vor uns niedersetzte. Das Mädchen war eine vollkommene Schönheit. Das tiefschwarze Haar lag in langen, dicken Flechten, in die Silberschnüre eingewoben waren, um den vollen, hellbraunen Hals legte sich eine Korallenkette, an der eine goldene Schaumünze hing. Sie trug einen schneeweißen Saub[19], der an der Brust ausgeschnitten war, sodass man das rotseidene Sadrîje[20] sehen konnte. Dieses Hemd hatte weite, geschlitzte Ärmel und reichte bis über das Knie auf die weiß und rot gestreiften Schalmar[21] herunter. Die nackten Füßchen steckten in blauen Pantoffeln, und an den Hand- und Fußgelenken glänzten blanke metallene Ringe, an denen je ein Mariatheresientaler und ein goldenes Fünfpiasterstück befestigt waren.